LAMBDA-Nachrichten 3.2008

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Was vom Mannsein übrig blieb Wer hätte gedacht, welche Bedeutung Herbert Grönemeyers Frage Wann ist ein Mann ein Mann? noch bekommen würde! Während die Gender Studies noch brav das Verhältnis der Geschlechter zueinander unter die Lupe nehmen und das soziale vom biologischen Geschlecht trennen, woraus sich wiederum die Männerforschung entwickelt hat, kommt man inzwischen an den Queer Studies nicht mehr vorbei, die frech infrage stellen, ob überhaupt fixe Geschlechter und Identitäten existieren. Von Seiten der Wirtschaft funkt das Diversity-Konzept dazwischen, das Geschlecht als eines von vielen Merkmalen sieht, das es zu bedenken gibt, um die ideale Verwertbarkeit einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters einzuschätzen – kurzum: Die klassische Gender-Debatte sieht einigermaßen alt aus. Zu allem Überdruss scheren sich die meisten Männer wenig um diese und lassen sich nach wie vor von ihren Frauen das Bier vor den Fernseher bringen. Forschungsobjekt Mann Diese Vielfalt an Zugängen, Möglichkeiten, Ideenwelten und Betrachtungsweisen bringt einerseits die Wissenschaft unter Zugzwang, andererseits wird es immer schwieriger, die Kluft zwischen soziologischem Wissen und der gelebten Realität zu überbrücken. Dekonstruktionen eröffnen neue Möglichkeiten der Lebensge-

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staltung, verfestigen aber gleichzeitig alte Bilder, die als sicherer Hafen in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung Schutz bieten. Wenn Männer beforscht werden – welche sind es dann? Betrachtet man die neueren männerspezifischen Studien, so fallen drei Möglichkeiten auf, mit diesen Fragestellungen umzugehen: Einige AutorInnen versuchen, vorzugsweise in Sammelbänden, viele Lebensbereiche aus unterschiedlichen Blickwinkeln darzustellen; andere konzentrieren sich auf spezielle Themen, die eben auch Männer angehen, ohne sich auf Diskussionen über deren Identität(skrisen) einzulassen, während die dritten sich der Geschichte zuwenden, als alles noch einfacher und klarer war: Männer waren Männer waren Männer. Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert scheint dabei von besonderem Interesse zu sein. Nach den Jünglingen der Moderne (vgl. LN 1/08, S. 37) führt Andrea Kottow in Der kranke Mann in den interessanten Diskurs um Krankheit um die Jahrhundertwende ein. Dabei zeigt sie die neuartige Verwissenschaftlichung von Geschlecht und Krankheit auf, wodurch sie klarmacht, wie stark auch heute noch diese Verknüpfung nachwirkt. Anhand von vier Texten, zwei fiktionalen und zwei – angeblich – wissenschaftlichen, zeichnet sie nach, wie der Krankheitsbegriff miss-

braucht wurde. Hier spürt sie die Wurzeln des Gedankenguts vom reinen, potenten, „ganzen“ Mann im Gegensatz zum nervösen, sexuell unentschiedenen Schwächling auf. Natürlich sind Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit nicht weit. Während Otto Weiningers Geschlecht und Charakter sowie Thomas Manns Der Tod in Venedig auch im heutigen Diskurs noch präsent sind, holt sie mit Heinrich Manns Roman Die Jagd nach Liebe ein nahezu vergessenes Werk zurück ins Bewusstsein. Die Ergüsse Max Nordaus sind ebenfalls im Meer der Geschichte versunken, doch der programmatische Titel seiner reinen Lehre hat in anderem Zusammenhang überlebt: Entartung. Daran zeigt sich, wie eng die Konstruktion von Männlichkeit mit der Politik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbunden war. Einer größeren historischen Spanne widmen sich zwei andere Bücher. Während sich Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz in „Es ist ein Junge!“ der Geschichte der Männlichkeit in der Neuzeit annehmen, reichen die Beiträge in Männer – Macht – Körper gar bis zum Mittelalter zurück. Der Vorteil des letzteren Werkes liegt darin, dass es spotartig Themen herausgreift, wodurch die Lesbarkeit erleichtert wird. Die AutorInnen des Sammelbandes nehmen sich interessanter Detailthemen an, etwa der Männlichkeitskonstruktionen der Hildegard von Bingen, und eröffnen so den Blick auf reizvolle, verborgene

Winkel der Geschichte. Den Überlegungen liegen Connells Begriffe der hegemonialen und marginalisierten Männlichkeit zugrunde, die einerseits übernommen, gleichzeitig jedoch mit einem Fragezeichen versehen werden. Ist es ein Zufall, dass die Beiträge, die das 20. Jahrhundert betreffen, mit Marginalisierte Männlichkeiten? übertitelt sind? Im Gegensatz zu dieser Mosaiktechnik fühlen sich Martschukat und Stieglitz einer wissenschaftlichen Ganzheitlichkeit und Systematik verpflichtet und versuchen eine durchgehende Geschichte der Männlichkeit und ihrer Konstruktionen zu präsentieren – ein hoher Anspruch, zumal er sich auch nicht auf geografische Grenzen beschränkt. Als Ergebnis legen sie ein pralles Werk vor, das vieles anreißt, anspricht und zur Diskussion stellt. Bedeutend sind zudem der ausführlich kommentierte Quellenteil und das umfassende Literaturverzeichnis, das allein schon ein Nachvollziehen der Debatte möglich macht. Der eigentliche Text schafft viele Bezüge, bleibt aber trotz manch konkreten Beispiels nicht immer leicht zu lesen. Gewaltdiskurse Leicht lesbar ist auch die Studie Gewalt gegen Männer nicht, was aber an den vielen Grammatikund Rechtschreibfehlern liegt, die das Buch durchziehen. Auch inhalt-


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