LAMBDA-Nachrichten 5.2015

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Porträt

Eva Siewert (1907–1994)

Kurt Hillers „Schwester im Geiste“ Für den streitbaren Publizisten und Schriftsteller Kurt Hiller (1885–1972) war Eva Siewert eine Offenbarung. Als Hiller 1947 in seinem Londoner Exil einen Artikel der West-Berliner Journalistin in der Weltbühne las, setzte er sich umgehend mit ihr in Verbindung. Hiller lobte Siewert als bedeutendste Essayistin im Berlin der Nachkriegszeit, bezeichnete sie euphorisch als eine „sokratisch-mozarteske Jeanne d’Arc deutscher Prosa“ und sah in ihr eine „Schwester im Geiste“. Im persönlichen Briefwechsel mit ihr bekundete er: „Nach Rosa Luxemburg, Helene Stöcker und Else Lasker-Schüler (vielleicht muss die ältere doch noch lebende Ricarda Huch hier auch genannt werden) repräsentieren Sie einen durchaus andersartigen, aber ranggleichen Typus der in deutscher Sprache schreibenden Frau.“ Schwärmerisch fügte er hinzu: „Ich würde schon deshalb gern eine Zeitschrift herausgeben mögen, um Sie darin dauernd drucken zu können. Ich würde nie ein MS von Ihnen ‚ablehnen‘. In den verdammt seltenen Fällen, in denen die Tendenz mich ärgern würde, würde ich hinter Ihrem Text meine Polemik bringen.“ Die Emotionalität Hillers, der im Lauf seines Lebens durchaus mehrfach misogyne Töne anschlug, lässt aufmerken. In einem seiner Briefe an Siewert gab Hiller sich überzeugt: „Je genauer wir voneinander wissen, was wir voneinander nicht wollen (noch wollen können), desto klarer wird mir, dass, solange ich lebe, wil-

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ten, die einen ersten, aufschlussreichen Blick auf Leben und Wirken Eva Siewerts erlauben.

Kindheit und frühe Erfahrungen Eva Siewert wurde am 11. Februar 1907 als Tochter eines Musikerehepaares in Breslau geboren. Der Vater Hans Siewert (1872– 1941) war Kammersänger, die Mutter Frida Siewert (1880–1953) Opern- und Konzertsängerin. Die Ehe dürfte aber nicht glücklich gewesen sein, denn sie wurde schon 1911 geschieden. Hans Siewert wurde 1932 Mitglied der NSDAP, wohingegen Frida Siewert Jüdin war. Ihrer Tochter fiel deshalb später der Status eines „Mischlings ersten Grades“ zu.

Eva Siewert in der unmittelbaren Nachkriegszeit de Freundschaft für Sie im Herzen meines Hirns zucken wird.“ Und noch neun Jahre später konnte er – wohl wissend, dass Siewert Frauen liebte – nach einer ähnlichen Sympathiebekundung scherzen: „Die Gefahr, dass Sie in diesem Bekenntnis einen versteckten Heiratsantrag sehen, besteht ja wohl nicht.“ Worauf die Hochschätzung Hillers für die Essayistik Siewerts im einzelnen beruhte, lässt sich hier nicht ausführen. Zu wenig ist heute über die Veröffentlichungen der Journalistin bekannt, wie überhaupt ihr Name bis vor

kurzem sowohl in der Forschung zur Geschichte des deutschsprachigen Journalismus als auch in der zur homosexuellen Emanzipationsbewegung nicht geläufig war. Bekannt war allenfalls, dass Siewert 1949 als einzige Frau dem Vorstand des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (Gruppe Groß-Berlin), einer der allerersten deutschen Homosexuellenorganisationen der Nachkriegszeit, angehörte. Glücklicherweise haben sich aber im Archiv der Kurt-Hiller-Gesellschaft etliche zwischen Hiller und Siewert ausgetauschte Briefe aus den Jahren 1947 bis 1958 erhal-

Eva Siewert wuchs größtenteils bei ihrer Mutter in Berlin auf. Sie absolvierte ab 1923 ein Studium zur Koloratursopranistin und verbrachte um 1928 ein Bühnenjahr am Landestheater in Oldenburg, musste die Tätigkeit aber infolge von Krankheit bald wieder aufgeben. Anschließend arbeitete sie journalistisch und zog im Mai 1930 für ein Jahr nach Teheran, wo sie für eine deutsche Ex- und Importfirma tätig wurde. Der Auslandsaufenthalt bescherte ihr gute Fremdsprachenkenntnisse, und als sie nach Deutschland zurückkehrte, hielt sie erste Radiovorträge über ihre Reiseerlebnisse. Da sie dabei mit ihrer Stimme beeindruckte, wurde sie durch den Internationalen Radiodienst Berlin für den Posten einer deutschsprachigen Ansagerin bei Radio


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