LAMBDA 1.2020

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Nr. 179 - 1/2020

Kunst und HIV – immer noch ganz aktuell

einanderzusetzen. Denn sie kann (bewusst oder auch unbewusst) einen ganz intimen Zugang und damit auch Reflexion oder Motivation, Bestätigung, Unterstützung etc. anbieten. Dies gilt natürlich für beide Ebenen, also für die Künstler*in-

Die künstlerische Auseinandersetzung spielte zum Thema

nen selbst, als auch für die Konsument*innen.

HIV/AIDS von Beginn an eine große Rolle. Zum einen, da die

Und je offener, selbstverständlicher und selbstbewusster

Infektionskrankheit – auf Grund vermeintlicher moralischer

Körper und Sexualität wahrgenommen werden können, des-

Werte – mit vielen grundsätzlichen gesellschaftlichen Aspek-

to mehr wird sicherlich auch die eigene Gesundheit beachtet.

ten zusammenhängt, die per se häufig in der Kunst widergespiegelt werden. Zum anderen, da besonders in der queeren

Grundsätzlich hängt die individuelle sexuelle Gesundheit

Kunstszene, viele Menschen auch einen direkten und ganz

maßgeblich davon ab, inwieweit Angebote im Gesundheits-

persönlichen Bezug zum Thema haben.

bereich angenommen werden kön-

Obwohl es auf medizinischer Ebene phantastische Foto: Disco Desires / Sebastiano Sing

nen. In Bezug auf STDs vom Zugang zu Information, Beratung, Testung und Therapie. Um sich aber z.B. ohne Hemmschwelle testen zu lassen, ist logischerweise ein diskriminierungsfreier und werteneutraler Zugang notwendig. Und hier sind nicht nur einzelne Mitarbeiter*innen im Gesundheitssystem gefragt, hier geht es

Entwicklungen gab, ist HIV gesellschaftlich gesehen noch lange nicht als Thema abgehakt. HIV-positive

Menschen,

ihre

Partner*innen,

Freund*innen und Familien, erleben nach wie vor Ungleichbehandlung und Diskriminierung in allen Lebensbereichen. Dem gilt es mit allen Energien entgegenzuwirken. Eine Auseinandersetzung damit, auf jede zur Verfügung stehenden Art und Weise, ist daher heutzutage genauso wichtig wie zu Beginn der Epidemie.

um einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Besonders deutlich hebt die Weltgesundheitsbehörde WHO die-

Auch der in Wien lebende Performancekünstler Se-

sen Auftrag hervor. Sie definiert Ge-

bastiano Sing beschäftigt sich in seiner aktuellen

sundheit insgesamt als „einen Zustand körperlichen,

Arbeit „Disco Desires“ mit diesem Thema: Viele Menschen

geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein als

verbinden mit dem Wort Disco natürlich ein Nightlife-Sze-

das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“

nario. Aber Disco steht auch abgekürzt für „discordant

Da liegt es wohl auf der Hand, dass für das Erreichen eines

couple“, also einem Paar aus einer HIV-positiven und einer

Zustandes nach dieser Definition nicht nur biomedizinische

HIV-negativen Person. Vor allem auf Sex-Dating-Apps wird

Fakten und Gesundheitsangebote eine Rolle spielen, son-

man häufig mit der Frage “Are you clean?” konfrontiert, wel-

dern viel mehr der gesellschaftliche Umgang mit Menschen

che Auskunft über sexuell übertragbare Krankheiten geben

und mit Themen.

soll. Das Wort „clean“ impliziert dabei die Existenz des Gegenteils – nämlich „dirty“ oder „unclean“ –, das vor allem

Und hier spielt wieder Kunst – in welcher Form auch immer

Menschen meint, die HIV-positiv sind und damit automa-

– eine tragende Rolle. Denn sie hat einen (mitunter unter-

tisch eine Stigmatisierung erfahren.

schätzten) Einfluss auf die öffentliche Meinung, auf gesell-

Von diesem diskriminierenden Sprachakt ausgehend, spielt

schaftliche Einstellungen und soziale Strömungen. Und

Sebastiano Sing mit der Frage, wie Intimität zwischen einem

damit eindeutig Einfluss auf das ganz individuelle Leben und

„clean body“ und einem „unclean body“ aussehen kann, und

Wohlbefindens jedes einzelnen Menschen.

stellt Sinnlichkeit dem Phänomen des HIV-Shaming entgegen. Es sind, neben den zahlreichen Bemühungen auf allen EbeFoto: Disco Desires / Sebastiano Sing

nen, auch genau diese künstlerischen Reflexionen wie „Disco Desires“, die durch ihren ganz besonderen und individuellen Zugang das Potential haben, den gesellschaftlichen Umgang mit HIV zu verändern. λ Birgit Leichsenring


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