Was wir mit Katzen assoziieren Natürlich vertritt jede Katze durch das Bild, das sie abgibt, auch Eigenschaften, Zuschreibungen und Mythen, die wir routiniert erkennen und beurteilen. Auch wenn ich «Katze» sage (oder schreibe), dann ist vieles von der schon gewohnten oder verabredeten Bedeutungsladung vom Ding in das Wort hineingeschlüpft. Und da sitzt sie nun auf meinem Laptop und schnurrt, die semantische Katze. Katzen selbst – und das ist hier die haarige Hypothese – weisen auf Operationen der Semantik hin. Katzen, könnte man meinen, sind Konstanten in der Lehre von möglicher Bedeutung von Zeichen. Zunächst erinnern uns die Allgemeinplätze über kätzische Eigenschaften an das Grundvokabular: Die Katze hat sich eingewöhnt als tierische Hausgesellschaft mit eigenem Willen. Sie verkörpert traditionell die Weiblichkeit (mit allen kulturhistorischen 1
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Überlagerungen der Frau als mystisches, dem Mond zugewandtes Wesen, bis hin zur Pussycat als Zeichen für die sich prostituierende Frau) und wurde so zur ikonografischen Begleiterin von schönen und gefährlichen Frauen oder Hexen. Katzen in den Künsten … Solche Codes sind in den bildenden Künsten abzulesen, wo sie oft zeichenhaft die Eigenschaften repräsentieren, die ihnen aus der eigenen Mythologie geblieben sind. Katzenbilder überall: Bei Pieter Bruegel hängt man der Katze die sprichwörtliche Schelle um ( Niederländische Sprichwörter, 1559), Albrecht Dürer und Pablo Picasso haben sie gemalt, es gibt feline Scherenschnitte von Henri Matisse, Salvador Dalí fotografierte fliegende Katzen, bei Jeff Koons gibt es sie als überdimensioniertes und zugleich niedliches Polyethylen-Katzenbaby in einem an der Wäscheleine hängenden Strumpf (Cat on a
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Im Science-Fiction-Film Matrix (1999) der Wachowski-Geschwister wird die Katze zum Hinweis auf eine (autoritäre) Manipulation in der Matrix. Der Held Neo (Keanu Reeves) sieht eine schwarze Katze (die im Volksmund als Botschafterin des Schicksals mal von rechts, mal von links kommend, je nach Aberglaube mal Erfreuliches, mal Bedrohliches ankündigt) – und er sieht sie zweimal, als Déjà-vu. Sodann wird die unheimliche (und heimlich lustvolle) Erfahrung des Déjà-vu enträtselt als Anzeichen dafür, dass die Matrix reprogrammiert wurde. Überlagern sich die beiden Sprachgewohnheiten der Worte Déjà-vu und Katze, so ergibt sich eine sinnvolle Schnittmenge, weil der Subtext des Rätselhaften an Katzen eine gute Projektionsfläche bietet für irritierende Sinneswahrnehmungen. Die vermeintliche Harmlosigkeit der Hauskatze dient gleichzeitig als Tarnung für eine überwältigende Einsicht in die Grammatik dessen, was Neo für die (einzige) Wirklichkeit hielt. Das Strickmuster der Matrix bekommt von den Katzenkrallen eine Laufmasche. Ein wichtiger Urahn dieser Matrixkatze ist Lewis Carrolls Cheshire Cat, die er in Alice’s Adventures in Wonderland (1865) als flüchtige und verstörende Figur in einen Baum gesetzt hat. Die Unterhaltung, die Alice mit der Katze führt, ist beispielhaft für die Lesart von Katzen als vieldeutiges Sprachbild: Kryptisch und mit einiger Überheblichkeit entzieht die Katze mit dem auffälligen Grinsen Alice die Grundlage der sinnesbezogenen Wahrnehmung. Verunsicherung und Misstrauen stellen sich ein, wenn in linguistischen Kapriolen ausgestellt wird, wie die verlässlichen Entsprechungen zwischen Worten und Dingen sich zu sträuben beginnen. Wie die Katze in der Matrix ist auch das Bild von Alices Katze verwackelt und löst
sich schliesslich ganz auf – bis auf das weltbekannte Grinsen, das sich vom Katzendasein getrennt hat. In der Philosophie schleichen dazu Erklärungsversuche umher, wie eine Eigenschaft getrennt von ihrem Träger existieren könne. … und darüber hinaus Ein ähnliches Phänomen hat in der Physik einer weiteren Katze dadurch zu Weltruhm verholfen, eigentümlich zwischen den Welten zu verkehren: Schrödingers Katze ist jene Kreatur, die eingesperrt in einem Gedankenexperiment seit 1935 weder tot noch lebendig ist – oder eben beides gleichzeitig. In einem Modell zur Erklärung einer Idee aus der Quantenmechanik setzt ein ausgeklügelter Mechanismus entweder Gift frei oder nicht, was für die Katze, die eine Kiste mit dem Gift teilt, entweder tödlich ist oder sie am Leben lässt. In Schrödingers Hypothese steht zentral, dass eine geschlossene Kiste in einer Versuchsanordnung dazu führt, dass das Experiment bis zu seiner Überprüfung potenziell mehrere Resultate als Möglichkeit offen lässt. Die Katze ist damit Versuchskaninchen und Botschafterin der möglichen Wirklichkeit; bis zum Öffnen der Kiste muss die Katze als sowohl tot als auch lebendig verstanden werden. In der Sprachphilosophie selbst wurden Katzen als Satzvariablen beliebt. Beim britischen Begründer der Sprechakttheorie John Austin wurde eine Katze auf einer Fussmatte zum Paradebeispiel für pragmatische Linguistik. Sprachverständnis bedeutet, dass die Vorstellung, die von einem Satz ausgelöst wird,
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Damit – Verzeihung! – beisst sich die Katze in ihren Schwanz: Die Katze als zu enträtselndes Zeichen steht mitunter für das Rätselhafte, das man zu entschlüsseln versucht. Katzen sind dann selbst Symbole, die für das Symbolische stehen, für das Aufgeladensein und für das Portal in eine andere Bedeutungsmöglichkeit. Katzen sind Tore in andere Realitäten. 7
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Worte und Bilder sind aufgeladen von unseren Gewohnheiten, Assoziationen und Konventionen, sie sind Zeichen im verschlungenen Wirbel der Bedeutungen. Worte zeigen auf etwas – etwa auf Gegenstände oder als Namen auf Personen – und umgekehrt stehen Bilder von den Dingen ikonografisch für das, womit sie innerhalb eines Textes verbunden werden. Isoliert man den Namen von etwas, so wird es zum Symbol, das je nach Kontext an Bedeutung hinzugewinnt oder diese präzisiert, verzerrt.
Clothesline, 1994–2001): das Kätzchen als Klischee. Aber es scheint, dass im Werk von René Magritte – welches das Verhältnis von Wort und Symbol, Zeichen und Bedeutung mit seinem «Ceci n’est pas …» zum Allgemeinplatz gemacht hat – auch eine Katze dabei ist. Magritte setzt seine idealisierte Katze in einen Hut (Cat in a Hat, 1920er), ihre Bedeutung bleibt darin plakativ rätselhaft. Ist dieses Bild eine Fälschung? Eine abgebildete Katze repräsentiert immer auch den Typus Katze. Das hat sie mit dem Wort Katze gemein. Gleiches liesse sich aber auch über ein Pferd sagen, über eine Pfeife oder Fussmatte. Aber Katzenbilder sind oft – neben den metaphorischen Aufladungen, der jeder Gegenstand und jede Abbildung desselben unterliegt – allegorischer Hinweis auf eine alternative Welt. Dieses Motiv ist Teil der gegenwärtigen Ladung von Katzen als Portale: So ist die Katze ein Code, der eine andere mögliche Wirklichkeit anzuzeigen vermag.
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Sie repräsentieren in der Kunst das unterschätzte Türchen in fantastische Räume. Sie bringen glatte realistische Wahrnehmungsoberflächen zum Kräuseln und verkörpern Übergänge in andere, nicht realisierte Zonen. Für die Künste sind derart aufgeladene Zeichen riskant, aber reizvoll. Schliesslich kann die Kunst selbst als Praxis betrachtet werden, wo Ungereimtheiten in der Wahrnehmung ausgespäht, gejagt und gefasst werden. Parallele Bild- und Vorstellungswelten wie bei Schrödingers Katze und alogische Sequenzen wie die von Alices Kater sind in den Künsten zu Hause. Als Portale zur Lesbarkeit von möglichen Wirklichkeiten und für die Übergänge zwischen verschiedenen Wahrnehmungen ist die Katze eine potente Metapher. Sie ist ein durch und durch poetisch animiertes Haustier.
HKB -ZEITUNG
Ein reizvolles, aber riskantes Zeichen: die Katze in der Kunst. Ein kleiner Rundgang.
→ Tine Melzer ist Dozentin am Y Institut, im MA Contemporary Arts Practice sowie im Fachbereich Gestaltung und Kunst an der HKB.
zu einem Bild konstruiert wird. An diesem inneren Bild kann man prüfen, ob ein anderer aber gleichbedeutender Satz verstanden worden ist. «‹The cat is on the mat› entails ‹the mat is under the cat›». (How to Do Things with Words, 1962). Seitdem streunen Katzen durch die Lehrbücher der Semantik und leisten den Wissenschaftlern als Anschauungsgegenstand treue Gesellschaft. Die Katze – so aufgeladen sie durch die Assoziationen und Referenzen ohnehin als Wort-Bild ist – ist tatsächlich das liebste Haustier der Semantik. Katzen sind Tore in andere Realitäten Seit der Zucht der Hauskatze wurden also Bedeutungen auf sie übertragen und damit als Mythos gefestigt, der unter anderem selbstbezogen das Rätselhafte repräsentiert.
links Typisches Satzbeispiel aus Arnim von Stechow, Dieter Wunderlich: Semantik / Semantics: Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. An International Handbook of Contemporary Research. Walter de Gruyter, 1991. 1 Pieter Bruegel: Die niederländischen Sprichwörter (Detail: Der Katze eine Schelle umhängen), 1559. Ölgemälde.
2 Adaption von René Magrittes Gemälde Ceci n’est pas un chat (Das ist keine Pfeife). 3 Schrödingers Katze: In einer Kiste befinden sich eine Katze, ein radioaktives Präparat, ein Detektor für die beim Zerfall erzeugte Strahlung und eine tödliche Menge Gift. 4 Cheshire Cat in Lewis Carroll: Alice’s Adventures in Wonderland. Illustration von John Tenniel, 1865.
5 Benjamin Lee Whorf: Language, Thought and Reality. The MIT Press, 1956. 6 Wachowski-Geschwister: Matrix, 1999. Filmstill. 7 Cat on a Clothesline (©Jeff Koons), Polyethylen, 312.4 x 279.4 x 127 cm
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