HKB-Zeitung 1/2019

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Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Diese Frage bezieht sich nicht auf die Psyche von AndroidSmartphone-Besitzer*innen, sondern ist der Titel des Buches von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968 und die Grundlage, auf welcher der Science-Fiction-Film Blade Runner basiert. Dick war mit seiner pessimistischen Zukunftsvision seiner Zeit voraus.

Echt oder künstlich Ein Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch Blade Runner und auch durch seinen Fortsetzungsfilm Blade Runner 2049 zieht, ist die Frage nach dem Echten und dem Künstlichen. Im Grundplot beider Filme ist die Suche nach sogenannten Replikant*innen, sehr menschenähnlichen Robotern, die als Sklaven und Krieger eingesetzt werden. Die Spannung entsteht, weil man nie wirklich weiss, wer ein*e Replikant*in ist und wer nicht, und weil die vermeintlichen Replikant*innen meist mehr Gefühle zeigen als ihre menschlichen Jäger*innen. Nicht mal Ridley Scott ist sich mit seinem Hauptdarsteller Harrison Ford einig, ob die Hauptfigur Deckard ein Replikant ist oder nicht. Auch wenn wir dieses Mass an Ähnlichkeit bei den heutigen, neusten Robotern noch nicht erreicht haben, so sind zumindest deren Bewegungsmöglichkeiten nicht mehr weit davon entfernt. Es geht um die Frage, wie wir uns gegenüber künstlichen Menschen verhalten sollen. Diese Frage grenzt wahrscheinlich für manche*n schon an Blasphemie. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, die Replikant*innen aus Blade Runner sind nicht mehr weit entfernt. IBM hat Mitte 2018 seinen Project Debater vorgestellt,

ein KI-System (KI für künstliche Intelligenz), das mit einem Menschen über Sprache debattieren kann. Für die meisten wirkt es erschreckend, mit welch optimistischer Einstellung die Japaner*innen die humanoiden Roboter weiterentwickeln. Sie scheinen keine Zweifel zu hegen, dass in Zukunft die Mensch-Roboter-Interaktion etwas Positives sein wird.

Virtuelle Realität Im zweiten Blade-Runner-Film aus dem Jahr 2017 wird die Frage nach dem Künstlichen auf die virtuelle Freundin der Hauptfigur K. ausgedehnt. K. ist selber ein Replikant und lebt mit seiner holografisch projizierten Freundin Joy zusammen. Eine holografische Projektion ist allerdings keine Zukunftsvision mehr, sondern heute mit Augmented Reality (AR) oder Virtual Reality (VR) bereits möglich. Mit einer AR-Brille (z.B. einer HoloLens-Brille) können wir uns 3-D-Objekte in unseren Raum projizieren lassen, sodass wir meinen, sie seien wirklich da. Mit einer VR-Brille (z.B. einer HTCVive-Brille) können wir, in Abhängigkeit der Kopflage, Bilder so produzieren lassen, dass wir uns an einen virtuellen Ort versetzt fühlen. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Projizierte realistisch oder abstrakt ist. Durch die schnelle und lageabhängige Projektion wird unser Auge bzw. die Verarbeitung im Hirn so getäuscht, dass wir es unbewusst als «wahr» nehmen. Natürlich sind diese Brillen heute noch sehr klobig, aber dies wird sich in naher Zukunft verbessern. Bald werden wir diese Funktionalität in normalen Alltagsbrillen einbauen oder vielleicht sogar direkt ins Auge implantieren können. Man kann VR auch als maximales Bildgebungsverfahren bezeichnen, mit dem wir uns künstliche Wirklichkeit (eben VR) vorgaukeln können. Wir wissen heute noch nicht, wie wir AR und VR in Zukunft einsetzen und welche Art von Geschichten wir erzählen bzw. erleben können werden, wenn wir uns an einem virtuellen Ort befinden. Im Laufe der Geschichte von Blade Runner 2049 befreit K. seine Freundin Joy von ihrem Projektor, damit er sie mitnehmen kann. Diese Befreiung von künstlichen Wesen von ihren Schöpfer*innen ist der rote Faden durch den zweiten Blade-Runner-Film. Der erste Blade-Runner-Film lief 1982 an der Kasse schlecht, weil er gleichzeitig mit E.T. the Extra-Terrestrial im Programm war und weil die Geschichte für die Massen wahrscheinlich zu sperrig war. Filmen ohne klares Happy End oder ohne klare Einteilung in Gut und Böse bleibt der schnelle Erfolg meist verwehrt. Über die Jahre hat man allerdings erkannt, wie einzigartig die Ästhetik ist und dass der Film viel mehr Fragen stellt als beantwortet. Vordergründig stellt der Film Fragen, wer ein*e Replikant*in ist oder wie ich das Künstliche erkenne, und vielleicht auch, ob das Künstliche falsch ist. Im Hintergrund lauert aber immer die Frage, was eigentlich menschlich ist und wo unsere Empathie geblieben ist gegenüber dem*der Anderen, egal ob diese*r Mensch oder Roboter ist.

* Marcus Hudritsch ist Professor für Bildverarbeitung und Computergrafik im Informatikstudiengang der Berner Fachhochschule BFH.

HKB -ZEITUNG

Es gibt wenige zeitlose Science-Fiction-Filme, die mit Würde altern. Meist wirken sie schon nach zehn Jahren eher peinlich und verschwinden deshalb in den Archiven. Noch seltener sind Beispiele dieses Genres, die man nach 30 Jahren renoviert und digitalisiert, um sie wieder im Heimkino erleben zu können. Wenn dann sogar noch das fiktive Jahr eines solchen Films eingetroffen ist, dann ergibt sich die seltene Gelegenheit, die Prophezeiungen des Films mit der Realität zu vergleichen. 2001 konnten wir dies mit 2001: A Space Odyssey machen, dem SF-Film schlechthin von Stanley Kubrick. Der Film wurde 1968 noch vor der Mondlandung gedreht und ist bis heute ein audiovisueller Meilenstein der Filmgeschichte. Viele der technologischen, ästhetischen und optimistischen Prophezeiungen im Film sind eingetroffen. Heute, im Jahr 2019, spielt Blade Runner von Ridley Scott aus dem Jahr 1982. Auch dieser Film ist bis heute stilprägend und wurde 2007 digitalisiert und mit dem Final Cut in die endgültige Version gebracht. Irgendetwas Schlimmes muss aber mit der Menschheit zwischen 1968 und 1982 passiert sein, denn das Zukunftsbild, das in diesem Film gezeichnet wurde, ist nicht mehr hell und optimistisch, sondern sehr düster und pessimistisch. Der Cyberpunk, wie dessen Ästhetik fortan genannt wurde, prägte bis heute viele Filme, Games und Comics. Im Film ist es immer dunkel und es regnet andauernd. Hell sind nur die riesigen Leuchtreklamen der Grossstadt, wo die Natur abhandengekommen ist. Der Film entstand in der Endphase des Kalten Krieges, als das Schreckensszenario eines Nuklearkrieges die Menschheit bedrohte.

M ÄR Z  –  MAI 2019

von Marcus Hudritsch*

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