Süddeutsche Zeitung, 20. 08. 2012 (Auszug)

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MEINUNG

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Montag, 20. August 2012, Nr. 191 DEFGH

EURO-KRISE

Aktuelles Lexikon

Vertrauensfragen

Straflager

VON MARTIN WINTER

Wer jetzt die große Reform will, der überfordert Europa Jenseits des deutschen Tellerrandes finden sich nämlich keine europäischen Staaten und Völker, bei denen eine große Mehrheit bereit wäre, den Schritt vom Bund souveräner Staaten zum europäischen Bundesstaat zu tun. Ob am Ende selbst die Deutschen diese Souveränität preisgeben wollen, mag ebenfalls bezweifelt werden. Der große Sprung in ein neues Europa, von dem heute einige träumen, würde zu kurz geraten. Diese Krise hat die europäischen Völker einander nicht näher gebracht, sondern dem europäischen Vorhaben gegenüber eher skeptischer werden lassen. Vor sieben Jahren ist ein europäischer Verfassungsvertrag in diversen Volksabstimmungen kläglich untergegangen, obwohl der die nationale Souveränität fast gar nicht berührte. Einem Vertrag, der die Nationen zu europäischen Bundesstaaten herabstuft, blüht mit Sicherheit ein härteres Schicksal. Die Realität in Europa lässt sich durch Wünsche nicht verdrängen. Dazu gehört eine zweite Erkenntnis: Selbst wenn es gelänge, einige Völker davon zu überzeu-

gen, die Kernbestände ihrer Souveränität auf die europäische Zentrale zu übertragen, wird das neue Europa kleiner sein, viel kleiner als das jetzige. Angeführt von Großbritannien werden einige vom europäischen Zug absteigen. Dann entstünde ein Kerneuropa, das vermutlich zu klein wäre, um in der Welt eine maßgebliche politische Stärke zu entwickeln. Es ist verständlich, dass gerade in Deutschland der Wunsch wächst, Europa jetzt radikal umzubauen. Klug ist er nicht. Dieser Umbau würde die Völker überfordern und eher zum Zerfall denn zum Zusammenwachsen Europas führen. Gerade weil dessen Krise weiter und tiefer reicht als ihre Vorgänger, muss man sich vor der Illusion hüten, dass es schnelle und einfache Rezepte gibt. Eine Schuldenunion mag kurzfristig die Märkte beruhigen, stabilisieren wird sie die EU auf Dauer nicht. Denn die Turbulenzen um die gemeinsame Währung sind nicht die Ursache, sondern nur ein Ausdruck des eigentlichen Problems der Europäischen Union: Es wird ihr nicht getraut. Sie schafft es, weder die Welt noch die eigenen Bürger davon zu überzeugen, dass sie die Rolle einer starken und zuverlässigen Macht ausfüllen kann. Dafür läuft in der EU zu viel gegen- und durcheinander. Nicht nur bei Wirtschaft und Finanzen, sondern auch in der Außen- oder Sicherheitspolitik. Europa hat den Rest der Welt noch nicht überzeugt, dass es tatsächlich und unumkehrbar zusammengewachsen ist. Eine hektische Reform wird wieder nur Stückwerk sein. Das würde das Misstrauen nur verstärken, zumal wenn die Reform von Deutschland eingefordert wird. Deswegen gilt es, die Debatte zu entschleunigen: Vor allem die reformskeptischen Staaten müssen zunächst sagen, was Europa in Zukunft sein will und wozu es fähig sein soll. Diese zentrale Frage nach der Identität der Europäischen Union kann nicht aus der Panik der Krise heraus beantwortet werden – das führt unweigerlich in ein Desaster. Wer Europa helfen will, sollte aufhören, über Großlösungen zu phantasieren. Die Krise und die grundlegende Verfasstheit der EU lassen sich nur nacheinander lösen. Zunächst muss die Euro-Krise beigelegt werden, notfalls durch den Rauswurf Griechenlands und eine massive Marktintervention der Europäischen Zentralbank. Nur wenn die Panik vorbei ist, finden die Mitgliedsstaaten und die Völker die Ruhe, sich über Europas Finalität zu verständigen.

Genug ist genug

SZ-ZEICHNUNG: WOLFGANG HORSCH

CDU-FÜHRUNG

Merkels Blässlinge VON ROBERT ROSSMANN

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un hat sie sich also entschieden. Seit Wochen war in der CDU spekuliert worden, ob Annette Schavan noch einmal als stellvertretende Parteichefin antreten wird. Jetzt hat die 57-Jährige ihrem Landesverband mitgeteilt, dass sie den Platz in der CDU-Spitze abgeben wird. Sie wolle damit den Weg für Jüngere frei machen, sagt Schavan. Nach langen 14 Jahren im Amt sei es an der Zeit zu gehen. Das ist zunächst einmal eine honorige Entscheidung. Nicht alle Parteigranden haben die Gabe, den richtigen Zeitpunkt zum Rückzug zu finden. Schavan hat ihn getroffen. Der Abgang der Stellvertreterin wirft nun aber ein Schlaglicht auf die desolate Personallage der CDU. Noch vor ein paar Jahren konnte sich die Partei beinahe eines halben Dutzends starker und bekannter Ministerpräsidenten rühmen. Und im Bund gab es Norbert Röttgen als Führungsreserve. Doch von all den Roland Kochs, Jürgen Rüttgers, Christian Wulffs, Ole von Beusts, Stefan Mappus und Peter Müllers ist nichts geblieben. Sie haben sich selbst demon-

NSU VOR GERICHT

Prozess-Risiko VON HANS LEYENDECKER

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ine Vielzahl von Sicherheitsbehörden hat im Fall der Terrorvereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erbärmlich versagt. Diverse Untersuchungsausschüsse versuchen derzeit, die Gründe für diese staatliche Katastrophe zu finden. Um ein unabänderliches Naturverhängnis handelte es sich nicht. Die Versager haben Anschrift, Namen und Gesicht. Einzig der Bundesanwaltschaft ist bislang kein ernst zu nehmender Vorwurf gemacht worden. Die Karlsruher Behörde hat den monströsen Fall erst übernehmen können als die NSU am Ende war. Heute umfassen die Erkenntnisse zu den Verbrechen bereits knapp 600 Aktenbän-

de, ein Team von Strafverfolgern sitzt an der Anklage gegen Beate Zschäpe. Ein einfaches Unterfangen wird diese Anklage nicht sein. Die angebliche Beteiligung der 37-Jährigen an den Morden und an den Raubzügen der Bande muss erst bewiesen werden. Die Rechtsextremistin war offenbar nicht bei den Morden dabei, und sie hat offenbar nicht geschossen, was auch einem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 12. August mit einer „Zusammenfassung sämtlicher Tatvorwürfe“ zu entnehmen ist. Ob die Ankläger am Ende die Beweislast schultern können? Zschäpe könnte zwar Kronzeugin sein, aber sie will ihre toten Kumpane offenbar weiterhin nicht belasten. Es ist ihr gutes Recht, zu schweigen. Für alle Beteiligten, auch für sie, steht viel auf dem Spiel.

SYRIEN UND BND

Geschäft auf Gegenseitigkeit VON PAUL-ANTON KRÜGER

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as Verteidigungsministerium bestätigt, dass ein Flottendienstboot der Marine in internationalen Gewässern im östlichen Mittelmeer kreuzt. Das Schiff hat moderne Fernmelde- und Aufklärungstechnik an Bord. Und von der Türkei aus belauscht der Bundesnachrichtendienst die Kommunikation des syrischen Regimes. Ob man das nun Aufklärung oder Spionage nennt, ist eine müßige Diskussion. Deutschland tut gut daran, sich eine eigene Einschätzung der Situation in dem Bürgerkriegsland zu verschaffen, militärische Informationen ebenso eingeschlossen wie solche, die Aufschluss geben über den Zustand des Regimes. Ein zutreffen-

des und detailliertes Lagebild ist die notwendige Grundlage, um Entscheidungen treffen zu können. Für diesen Zweck unterhalten Staaten Nachrichtendienste. Ebenso selbstverständlich ist es, dass zumindest ein Teil der so gewonnenen Erkenntnisse mit Verbündeten wie den USA und Großbritannien ausgetauscht wird. Das ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, von dem alle Seiten profitieren. Der Westen hat in Syrien gemeinsame Interessen und verfolgt gegenüber dem Regime eine weitgehend einheitliche Politik. Völlig auszuschließen ist es nicht, dass über diesen Umweg von Deutschen gewonnene Informationen am Ende bei den Rebellen landen. Zur Planung von Guerilla-Operationen oder Anschlägen dürften sie sich indes kaum eignen.

IRAN-SANKTIONEN

Die Spur der Deutschen Bank VON NIKOLAUS PIPER

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och sind es nur unbestätigte Berichte: Amerikanische Staatsanwälte ermitteln angeblich gegen die Deutsche Bank und drei weitere europäische Geldhäuser, weil sie gegen IranSanktionen verstoßen haben sollen. Die Berichte sind glaubhaft, nachdem die britische Standard Chartered Bank in den USA eine Verurteilung wegen Geldwäsche im Iran-Geschäft nur mit einer Rekordbuße von 350 Millionen Dollar abwenden konnte. Die USA meinen es ernst, wenn es um Iran-Sanktionen geht. Das Atomprogramm Irans ist derzeit die größte Gefahr für Frieden und Stabilität im Nahen Osten, und Sanktionen sind das einzige friedliche Mittel, das Europä-

er und Amerikaner in der Hand haben, um Druck auf das Regime in Teheran auszuüben. Die Sanktionen sind bei den Betroffenen nicht populär, manche Firmen, auch deutsche, haben lange gebraucht, um den Ernst der Lage in Iran zu erkennen. Deshalb ist Druck so wichtig. Besonders wirksam sind Sanktionen gegen das Geldwesen. Ohne Finanzierung lassen sich keine komplexen Geschäfte abschließen. Und in Sachen Geld haben die USA auch ein sehr effizientes Mittel, um andere Länder auf Linie zu bringen – die Behörden müssen nur mit dem Entzug der Banklizenz auf dem größten Finanzmarkt der Welt drohen. Wer jedenfalls an einer friedlichen Entwicklung im Nahen Osten interessiert ist, sollte sich über die Rigorosität der USA freuen.

tiert, lustlos aus dem Amt verabschiedet oder sind in die Wirtschaft gewechselt. Wer in den Bundesländern Ausschau nach hoffnungsweckenden Christdemokraten hält, muss inzwischen lange suchen – und findet am Ende nur noch drei: Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Julia Klöckner und Niedersachsens Ministerpräsidenten David McAllister. Selbst diese drei dürften jetzt – wenn es

Der Länderproporz taugt nicht – jetzt muss eine Frau ran nach dem üblichen Länderproporz geht – nicht zu stellvertretenden Parteichefs gewählt werden. Denn keiner von ihnen kommt aus einem der beiden stärksten Landesverbände, die bedient werden müssen. Die scheidenden Stellvertreter Röttgen und Schavan stammen aus NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg. Die beiden Länder stellen fast die Hälfte aller Parteitagsdelegierten. Und so wird voraussichtlich der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Armin Laschet trotz man-

cher Blässe Nachfolger Röttgens als Parteivize. Zu übermächtig ist sein Verband. Umso wichtiger wäre es, dass sich die CDU wenigstens bei der Schavan-Nachfolge vom Länderproporz frei macht. Eigentlich stünde der Posten Baden-Württembergs CDUChef Thomas Strobl zu. Doch dem fehlt noch bundespolitisches Format, Wahlerfolge hat er erst recht keine vorzuweisen. Die CDU sollte deshalb lieber Klöckner auf ihrem Weg in die Mainzer Staatskanzlei helfen. Die Frau ist erst 39, aber schon Landes- und Fraktionschefin. Beim letzten Wahlparteitag der CDU war sie Stimmenkönigin, bei der Landtagswahl 2011 hebelte sie beinahe den Dauerregenten Kurt Beck aus dem Amt. Die Partei würde mit einer Wahl Klöckners auch einen schweren Konflikt mit ihren Frauen vermeiden. Das schwache CDU-Quorum wäre zwar schon mit einer Frau unter den vier Stellvertretern erfüllt. Doch damit werden sich die weiblichen CDU-Delegierten nicht mehr abspeisen lassen. Auch weil ihnen mit dem Betreuungsgeld und der fehlenden Unterstützung ihrer Partei für eine feste gesetzliche Frauenquote schon so viel anderes zugemutet wird.

PROFIL Eine Gelegenheit wie diese lässt Julius Malema nicht aus. Er gefällt sich in der Rolle des Arbeiterführers, auch wenn er gar keiner ist. Und wo könnte er sich jetzt besser ins Licht rücken als draußen vor der Mine von Marikana, einem Ort, der nun als „Hügel des Grauens“ in aller Welt bekannt geworden ist. In Marikana erschossen Polizisten mit einem Trommelfeuer am Donnerstag 34 streikende und teils bewaffnete Kumpel, einen derart brutalen Einsatz der Sicherheitskräfte hat das Land seit Ende der Apartheid nicht erlebt. Die Nation kann es noch gar nicht fassen, wie es zu diesem Blutbad kommen konnte. Aber der frühere Chef der ANC-Jugendliga Malema hat schon alle Antworten gefunden – und die Schuldigen sowieso. In rot-blauer Trainingsjacke hat er am Samstag zu den Minenarbeitern gesprochen. Rabiat, hetzerisch, opportunistisch. So, wie er es immer tut, wenn er sich in Szene setzen will. Kein anderer als Staatschef Jacob Zuma persönlich sei für die Tötungen verantwortlich. „Ihr müsst von heute an sagen: Ich habe keinen Präsidenten mehr.“ Auch das Feindbild des Unternehmers durfte nicht fehlen. Also stürzte sich Malema auf den ANC-Politiker und Ge-

Die stacheldrahtumzäunten Areale in der russischen Einöde, die der Schriftsteller Alexander Solschenizyn zur Sowjetzeit so eindringlich beschrieb, sind vielfach noch in Benutzung. Dass die drei Frauen der russischen Punkband Pussy Riot in erster Instanz zu Haft in einem solchen Straflager verurteilt wurden, kommt nicht ganz überraschend: Das heutige russische Strafgesetz sieht für Männer viele verschiedene Formen von Gefängnis vor – für Frauen aber nur diese. Es gibt im Land etwa 50 Straflager für Frauen. Auf diese verteilen sich ungefähr 60 000 weibliche Gefangene. Die drei Pussy-Riot-Mitglieder sind zu „normaler“ Haft verurteilt worden. Sie können bei guter Führung in den „erleichterten“ oder zur Disziplinierung in den „strengen“ Vollzug verlegt werden. Schon die „normale“ Lagerhaft ist im Vergleich zu europäischen Standards ausnehmend hart: Sechs kurze Besuche (bis zu vier Stunden) und vier lange Besuche (bis zu drei Tage) pro Jahr – öfter als zehnmal im Jahr würden die beiden Bandmitglieder, die Mütter sind, ihre Kinder also nicht sehen. Die weiblichen Lagerhäftlinge tragen grüne Uniformen, auf denen ihr Name prangt. Einmal pro Monat dürfen die Frauen telefonieren, wobei das Gespräch auf 15 Minuten begrenzt ist. Und morgens um 6 Uhr müssen sie draußen zum Durchzählen antreten. Erst wenn die Temperaturen unter minus 30 Grad fallen, findet die Zählung drinnen statt. RST

BLICK IN DIE PRESSE

Die kremlkritische Zeitung zum Pussy-Riot-Urteil

„Das Urteil ist ein Teil des Dammes, der die Macht verteidigt – vor dem Hintergrund fallender Zustimmungswerte des ersten Mannes im Staat, des erwachenden politischen Bewusstseins der urbanen Mittelklasse, säkularer Medien und der Modernisierung des Bewusstseins. Den Boden dieses Dammes bilden bereits die Gesetze zur Versammlungsfreiheit und über ausländische Agenten sowie das künftige Gesetz über Freiwillige. Mit diesem Urteil beweist die Führung, dass sie die Repressionen fortsetzen wird, auch unter dem Banner der Religiosität.“

„Pravo“ aus Prag empört sich ebenfalls über das Urteil aus Moskau

FOTO: AP

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n diesem Sommer, in dem offensichtlich die Schlussrunde der Eurokrise eingeläutet wird, hat die deutsche Politik die Lust am Räsonieren über die Zukunft Europas gepackt. Sozialdemokraten und Grüne plädieren für eine europäische Schuldenunion samt Banken- und Fiskalunion. Kurz gesagt sind sie dafür, die staatliche Hoheit über den eigenen Haushalt an Brüssel abzugeben. Mancher Christdemokrat schlägt, wenn auch etwas vorsichtiger, in eine ähnliche Kerbe. Und außerdem weist die CDU gerne auf ihre Beschlusslage hin, Europa zu einer politischen Union zu entwickeln – was auch immer das im Einzelnen heißen mag. Und weil das alles tief ins Grundgesetz eingreifen würde, wird zugleich einer, wenn möglich raschen, Volksabstimmung das Wort geredet. Gemach, ist man da versucht zu sagen. Es ist ja wahr, dass die Europäische Union auf die Stürme der globalisierten Welt schlecht vorbereitet ist. In der großen Finanzkrise ist die Union in ihrer politischen Gesamtstruktur vermessen und für instabil befunden worden. Aber bevor der Kernbestand der nationalen Souveränität vorauseilend geopfert wird, wäre es ratsam zu ergründen, ob es überhaupt einen Altar gibt, auf dem irgendetwas zu opfern lohnte.

Julius Malema Populistischer Aufwiegler im südafrikanischen Minen-Drama schäftsmann Cyril Ramaphosa. Die Polizei habe nur deshalb auf die Kumpel geschossen, um dessen Interessen in der Mine zu schützen, behauptete er. Belege hat er dafür keine. Malema prangert an, schürt die Wut, wühlt den Schmerz auf. So verschafft er sich wieder Gehör. Der 31-Jährige aus der nördlichen Provinz Limpopo beherrscht es wie kein anderer, den Zorn der Unzufriedenen zu schüren. Damit ist er schon als Jugendführer im Afrikanischen Nationalkongresses ANC groß geworden. Später ist er

über seine großspurige Rhetorik aber dann auch tief gefallen: Die Partei schloss ihn aus, weil er den Bogen mächtig überspannt hatte. Lange sah es so aus, als könnte er sich von diesem Schlag politisch nur schwer erholen. Aber spätestens seit diesem Wochenende ist klar, dass mit Julius Malema noch zu rechnen ist. Er weiß, wie er sich die großen Ängste und Sorgen vieler Südafrikaner zunutze machen kann. Und er profitiert von der Schwäche einer politischen Elite, die sich immer weiter von ihrem Volk entfernt, ohne einen Weg zu finden, die wachsende Kluft zu überbrücken. In diesem Graben richten sich Scharfmacher wie Malema ein und warten auf ihre politische Chance. Nun scheint wieder einmal eine Gelegenheit gekommen. Dass er selbst in Korruptionsvorwürfe verwickelt ist, dubiose Geschäfte betreibt und großspurig lebt, ist bekannt. Aber dafür interessiert sich in diesem Moment niemand. Die Arbeiter lauschen der Stimme des Zorns. „Noch viele werden sterben in diesem Kampf um die ökonomische Freiheit“, ruft der Mann aus Limpopo. Und das nur wenige Stunden, nachdem Dutzende Kumpel im Kugelhagel in den Staub gestürzt sind. ARNE PERRAS

„Die Mehrheit (in Russland) setzt die Tradition der Zarenzeit und des Bolschewismus fort und besteht auf die Unberührbarkeit der Autoritäten. Nur eine Minderheit orientiert sich an anderen Werten. Die drei Frauen wären nie bekannt geworden, hätte der Staat nicht auf Methoden des Mittelalters zurückgegriffen. In Russland spitzt sich die gesellschaftliche Atmosphäre zu. Unter der Oberfläche schwelt ein kalter Bürgerkrieg.“

Die kremlfreundliche „Moscow Times“ lästert über den Westen und die Sängerin Madonna

„Die westlichen Medien sind in Wahrheit von Propaganda und Informations-Totalitarismus dominiert. Madonna ist eine typische PR-Sprecherin dieser Propaganda. Mehr noch, sie hat schon vor langer Zeit aufgehört, menschlich zu sein. Sie ist der sprichwörtliche Deus ex machina, der von oben auf die Bühne herabsteigt und die ’unwiderlegbare Wahrheit’ verbreitet. Dann verschwindet sie und ist vergessen, bis zur nächsten Show.“

HERAUSGEGEBEN VOM SÜDDEUTSCHEN VERLAG VERTRETEN DURCH DEN HERAUSGEBERRAT

U S - WA H L K A M P F

Der Mann mit der Maske VON NICOLAS RICHTER

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us den neunziger Jahren stammt der Film „The Mask“. Darin verwandelt sich ein verklemmter Bankangestellter dank einer Zaubermaske in einen Draufgänger. Im US-Wahlkampf wird das Drehbuch jetzt abgewandelt gezeigt: Um seine Unbeliebtheit endlich zu überwinden, setzt sich der Republikaner Mitt Romney die Maske des verwegenen Abgeordneten Paul Ryan auf. Genau genommen hat er Ryan nur zum Vize-Kandidaten bestimmt, aber es sieht so aus, als wolle er sich dessen Ausstrahlung und politisches Profil zu eigen machen, die Stärken eines Mannes, der sein Sohn sein könnte und der viel weiter rechts steht als er selbst. Das Land hat sich jetzt eine Woche lang mit Ryan beschäftigt; selbst seine Gegner staunen, wie niedlich er dabei aussehen kann, wenn er grausame Haushaltspläne vorstellt. Aber wofür steht eigentlich der Mann, der die Maske benutzt? Welchen Menschen und welches Programm wählen die Amerikaner, wenn sie im Herbst Mitt Romney wählen? Das Problem mit Romney ist, dass er immer eine Rolle zu spielen scheint. Der authentische Mensch ist nicht zu spüren; er ist seinen Landsleuten suspekt geblieben, obwohl er mit kaum noch bezifferbarem Aufwand um Zuneigung wirbt. Als Rom-

ney anfing, vom höchsten Amt zu träumen, nannten Berater seine größten Schwächen: Massachusetts (linker Bundesstaat), Mormone (Romneys Religion, die vielen Amerikanern suspekt ist) und Millionär. Romney verheimlicht seine Steuererklärungen, meidet Gespräche über Glauben und verleugnet seinen größten Erfolg als Gouverneur: Damals erfand er eine flächendeckende Krankenversicherung, für deren landesweite Kopie er Präsident Obama heute kritisieren muss, um den Populisten der Tea Party zu gefallen.

Mitt Romney gibt sich als Paul Ryan. Aber wird das reichen? Romney also fühlt sich unwohl mit Romney, die Amerikaner empfinden ebenso. Lieben werden sie ihn nie, vielleicht aber respektieren, hoffen die Strategen – als Manager, der Arbeitsplätze schafft und den Haushalt saniert. Der Parteitag der Republikaner soll das bevorstehende Jobwunder feiern. Romney selbst hatte nie eine andere Botschaft als jene, ein Manager zu sein. Das aber war er in der Vergangenheit. Über Amerikas Zukunft sagt das nichts. Plötzlich soll Ryan sein Programm sein. Der will die Staatsfinanzen sanieren, das ist, siehe Europa, ein wichtiges Thema. Ryan schlägt vor, viel weniger Geld auszugeben (außer für Verteidigung), und die

Steuern zu senken, also viel weniger einzunehmen. Das erinnert an den Republikaner Ronald Reagan, in dessen beiden Amtszeiten sich die Staatsschulden verdreifachten. Vervielfacht haben sie sich auch unter dem Republikaner George W. Bush, für dessen Geldverschwendung der Abgeordnete Ryan zuverlässig stimmte. Mitt Romney hat nicht erklärt, wie er, der Geld- und Zahlenmensch, diese Widersprüche aufheben würde. Hätte Ryan freie Hand? Wer müsste die Opfer bringen? Die Reichen, zu denen Romney gehört? Die Schwachen, die er als Gouverneur beschützte? Als George W. Bush Präsident werden wollte, hatte er – außer Steuersenkungen – zwar auch kein Programm, aber er nahm zumindest eine wohlklingende Philosophie für sich in Anspruch: ein mitfühlender Konservativer wollte er sein. Was oder für wen fühlt Romney? Gerade wird den Amerikanern im Wahlkampf eine ewige Abfolge von Beleidigung, Zuspitzung und Lüge zugemutet. Dass sich ein kühler Analytiker wie Romney in diesem Ausnahmezustand nicht wohlfühlt, mag für ihn sprechen, zumal Obamas Lager unerhörte Diffamierungen erfindet. Will sich Romney aber als Sanierer im Weißen Haus beweisen, muss er den Wählern mehr bieten als immer neue Masken. Herz und Überzeugungen zum Beispiel. Dafür könnte es aber zu spät sein.

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