carpe noctem_2012-13_ballzeitung

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Die letzten Rennweg-Schafe Im fernen Jahre 2008 betraten wir die noch frischen Weiden des Humanistischen Gymnasiums „Beda Weber“ in Meran. Unsere Herde bestand aus 25 Schäfchen und wir alle waren voller Zuversicht, dass uns das Gras schmecken würde. Schon nach dem ersten Sommer, als wir von der Alm wieder zurückkehrten, kamen einige Veränderungen auf uns zu. Ein paar Schafe hatten ihre Meinung geändert und waren nun der Ansicht, das Gras sei auf anderen Wiesen eben doch schmackhafter. Bis zum dritten Jahr war dies ein Trend, denn es hatte den Anschein, als würden sich unsere Reihen mehr und mehr lichten. Dazu kam noch, dass wir, sehr zu unserem Unmut, auf eine andere Flur in der Galileistraße ziehen mussten. Im zweiten Jahr durfte ein Teil der Herde, nämlich alle griechischen Schafe, Richtung Süden nach Griechenland fahren. Unter der Leitung ihres Hirten Kollmann genossen sie eine Woche voller Sonne, Tempel und Tsatsiki, und noch immer erinnern sie sich gern an diese Reise. Die französischen und englischen Schafe dagegen entschieden sich ein Jahr später für den Norden, für Irland, das Land, in dem grüner die Gräser nie grünen. Ein Paradies für alle Schafe! Ihre Intensivsprachwoche war wahrlich intensiv. Auch sie kamen reicher an Erfahrung heim.

In unserem vierten Jahr auf humanistischem Boden war mehr los denn je. Vier Kameraden verließen uns. Auf der Suche nach Neuem in der Welt wollten sie weit, weit weg. Es trieb sie nach Amerika, nach Florenz und in die Karl-Wolf-Straße. Ihre Futterplätze blieben aber nicht leer: Drei vollwertige Mitschafe aus Bozen und aus der oben genannten, für Schafsohren gefährlich klingenden Straße wurden herzlich in die Herde aufgenommen. Allmählich schmeckte das Futter bitter, unsere Hirten schickten uns auf immer steilere Hänge, zum Glück gab es da auch wieder eine Alm. Nach einem kurzen, aber erholsamen Sommer kehrten wir ein letztes Mal, etwas früher als gewohnt, an den Rennweg zurück und vernahmen zu unserer Freude, dass die Weide nicht mehr, wie eigentlich geplant, gewechselt werden musste. Die 16 zähesten Schafe zittern dieses Jahr vor der bisher größten Prüfung ihres Lebens. Mit bulimieartigem Lernverhalten, aber trotzdem auf dem Gipfel unserer mentalen Stärke und unseres Glaubens an Erfolg wollen wir auch die letzte Hürde meistern, um dann endlich auf ausgedehnteren Weiden grasen zu können. Diese werden vielfältig und sehr verschieden sein, genauso wie wir und unsere Interessen es sind.

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