Schönborn/Rothe, Brokatpapiere

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Die phantastische Welt der Brokatpapiere DI E SA M M LU NG A DE L H E I D SCHÖN BOR N



Die phantastische Welt der Brokatpapiere — Die Sammlung Adelheid Schönborn Herausgegeben von Adelheid Schönborn und Michael Rothe Mit Beiträgen von Julia Rinck und Matthias Hageböck

Haupt Verlag


Meinen Eltern, Karl und Marianne Schumm gewidmet


Inhaltsverzeichnis

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Einführung – oder kurze Geschichte der Sammlung Adelheid Schönborn

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Julia Rinck, «Papier von allerley Farben» – Buntpapiere im Wandel der Zeit

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Katalog Nr. 1–62

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Chinoiserie

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Katalog Nr. 63–67

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Matthias Hageböck, Vielfalt durch Puzzlen – ein Rationalisierungsverfahren aus der Frühzeit der Brokatpapierherstellung

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Katalog Nr. 68–70

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Brokatpapierverleger

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Glossar

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Literaturverzeichnis

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Autoren

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Dank

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Impressum


Abb. 1: Anonym, Draperie | Geometrische, floral verzierte Elemente über das Blatt verteilt. | Inv. Nr. 294 | Goldprägedruck positiv und negativ auf patroniertem Papier. Drap d’or | Fragment | 17,8 × 14 cm

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Adelheid Schönborn

Einführung – oder kurze Geschichte der Sammlung Adelheid Schönborn Im vorliegenden Buch werden Brokatpapiere aus meiner persönlichen Sammlung von Buntpapieren vorgestellt. Solche Papiere wurden von den Buchbindern als Vorsatzpapiere genutzt und trugen zur reizvollen Gestaltung eines Buches bei. Vorsatzpapiere sind die Papierbogen, die den Buchdeckel und den eigentlichen Buchblock zusammenhalten und das Buch stabilisieren. Im 18. Jahrhundert waren es bevorzugt Brokatpapiere, die als Vorsatz-, aber auch als Einbandpapiere für Bücher oder als Umschläge für Dissertationen, Leichenpredigten und Huldigungsschriften verwendet wurden. Auch Schatullen und Möbel wurden mit solchen Papieren ausgekleidet. Brokatpapiere sind Prägedrucke, die mithilfe einer relativ dicken, reliefierten Kupferplatte hergestellt und mit einer Walzenpresse gedruckt wurden. Der Grundstock meiner inzwischen umfangreich gewordenen Sammlung ist meinem Vater, Dr. H.c. Karl Schumm (1900–1976), zu verdanken. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er von einem befreundeten Antiquar zu einem Haufen aufgestapelter Papiere gerufen, die verbrannt werden sollten. Der Antiquar hatte darin außergewöhnlich reizvolle Papiere entdeckte. Mein Vater eilte zu dem inzwischen brennenden Papierstoß und zog so viele Bogen heraus, wie ihm möglich war. Auffallend schön gestaltete Papiere verschiedener Art hatte er so vor der Zerstörung gerettet – einordnen konnte er diese allerdings nicht. Für derartige

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Abb. 2: Anonym, Blumen auf Sternenteppich | Große, prächtige Blüten auf doppelläufigen Stengeln mit schwungvollen in sich verzierten Blättern. Dazwischen zahlreiche goldene Sternchen | Inv. Nr. 303 | Goldprägedruck positiv und negativ auf patroniertem Papier | Fragment | 18,6 × 11 cm

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Aktionen war er bekannt, und so kam es, dass er oft als Begutachter und Bewahrer geholt wurde. Da er historisch in jeder Richtung aufgeschlossen und in der Geschichte Hohenlohes sehr bewandert war, bekam er nach dem Krieg von den Fürsten Hohenlohe den Auftrag, das Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein aufzubauen. Diese Arbeit war aufwendig und wurde zum Lebenswerk meines Vaters. Bis 1970 leitete er das Hohenlohe-Zentralarchiv und er hat in diesen Jahren zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über kunsthistorische und volkskundliche Themen verfasst. Er erlangte den Status eines wissenschaftlich anerkannten Archivars auch über die Grenzen des Fürstentums Hohenlohe hinaus. Zeit seines Lebens war er vielseitig interessiert. Es war ihm ein Anliegen, kunsthistorisch und volkskundlich bedeutsame Objekte für die Nachwelt zu bewahren. Zumal man diese im Zuge des allgemeinen Erneuerungswahns, der sich nach dem zerstörerischen Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte, höchstwahrscheinlich vernichtet hätte. Die aus den Flammen gezogenen Papiere machten nur einen kleinen Anteil der geretteten Dinge in unserem Haushalt aus. Und so verschwanden sie zunächst in einer – ebenfalls vor dem Untergang bewahrten – bemalten Bauerntruhe. Zum Jubiläum des 150-jährigen Bestehens der Buntpapierfabrik AG Aschaffenburg wurde der Kunsthistoriker und Papierspezialist, Dr. Albert Haemmerle beauftragt, ein Buch über Buntpapier herzustellen – dies war zu Beginn der 1950er-Jahre. Im Rahmen seiner Nachforschungen fragte er auch im Hohenlohe-Zentralarchiv in Neuenstein nach, das von meinem Vater geleitet wurde. In diesem Zusammenhang kamen die geretteten Papiere zur Sprache. Albert Haemmerle besuchte uns zu Hause, sichtete die Papiere und fand einige, die für seine Veröffentlichung infrage kamen. Ich selbst war zu dieser Zeit noch Schülerin. Ich schaute dem damals schon bedeutenden Wissenschaftler bei der Arbeit über die Schulter. Sofort war ich fasziniert von der Schönheit und Vielfältigkeit dieser Meisterwerke des Kunsthandwerks. Ich wurde angesteckt von der Begeisterung und der

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Hingabe, mit der dieser Kenner die Papiere betrachtete und behandelte. Nachdem Albert Haemmerle seine Aufgabe erfüllt sah, verschwanden die Papiere wieder in der Truhe. Allerdings kannten wir nun ihren Zweck, und dass sie, zumindest aus kunsthistorischer Sicht, von Wert waren. Die eigentliche Herkunft der Papiere konnte nie ergründet werden. Wahrscheinlich stammten sie aus dem Bestand einer aufgelassenen Buchbinderei, der für die Nachkommen nur bedeutungsloses Altpapier war, das möglichst schnell beseitigt werden sollte. Das Buch von Albert Haemmerle mit dem Titel «Buntpapier» kam 1961 auf den Markt und wurde zu dem wichtigsten Standardwerk über die Geschichte des Buntpapiers. Mein Vater erhielt ein Exemplar, das jetzt in meinem Besitz ist. Ich habe es viel und gerne benutzt, und es dient mir bis heute als unverzichtbares Nachschlagewerk. Die Papiere aus meiner Sammlung finden sich darin unter der Bezeichnung: «Archivrat Schumm Neuenstein». Nach dem Tod meiner Eltern habe ich die Papiere übernommen. Ich begann, mich intensiv damit auseinanderzusetzen. Da mir als Medizinerin jedes Fachwissen fehlte, musste ich mich mühsam in die Materie einarbeiten. Ich bekam von vielen Seiten Hilfe und lernte viele Menschen kennen, die sich mit der Materie «Papier» beschäftigten und die mir meine zahlreichen Fragen gerne beantworteten. Die Papiere durchzusehen und nach ihren Zugehörigkeiten zu ordnen, war eine minutiöse und zeitaufwendige Arbeit. Es handelte sich nicht nur um Brokatpapiere, sondern auch um andere Arten, wie etwa Marmor-, Bronzefirnis-, Kleister- und Kattunpapiere. Diese werden im Beitrag von Julia Rinck besprochen. Ich erweiterte die Sammlung nach Kräften und erwarb Bücher, die mit einem besonderen Vorsatz versehen waren. Ich habe Ausstellungen veranstaltet und Vorträge gehalten, um den Beschauern und Zuhörern das Besondere solcher Papiere nahezubringen – dabei ist mir viel Erstaunen und Begeisterung begegnet. Durch die koreanische Papierkünstlerin Young-Ja Bang-Cho wurde ich 2004 nach Jeonju in Korea zu dem IAPMA-Kongress eingeladen, um die Papiere vorzustellen. Das Interesse dort war sehr groß.

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Dass in diesem Buch hauptsächlich Brokatpapiere gezeigt werden, liegt an der Einzigartigkeit dieser Papiere und daran, dass sie in ihrer ursprünglichen Art bis heute nicht mehr hergestellt werden können. Michael Rothe, Restaurator und Verleger in der Schweiz, der sich sehr für Brokatpapiere und deren Herstellung interessiert, hat dieses Buchprojekt angestoßen. Ich habe die Idee mit Freuden aufgenommen. Aus der Vielzahl meiner Brokatpapiere habe ich besonders schöne und verschiedenartig gestaltete ausgesucht; viele mit Signatur, sodass man weiß, aus welcher Werkstatt sie kommen. Zeitlich sind die meisten zwischen 1700 und 1780 entstanden – wenige auch später. Die beste Qualität stammt aus der Zeit vor 1760. Die Papierwerkstätten lagen damals vor allem im fränkischen Raum Deutschlands, so in Augsburg, Fürth und Nürnberg. Da die Brokatpapiere um 1700 in Augsburg zum ersten Mal hergestellt wurden, nennt man sie auch «Augsburger Papiere». Die konkrete Zuordnung erweist sich als schwierig, da in vielen Fällen die Signatur fehlt. Der Buchbinder hat bei der Verarbeitung die Papiere beschnitten und so die Signaturen entfernt, die, bis auf wenige Ausnahmen, am Rand angebracht waren. Der Sinn und Zweck dieses Buches liegt darin, dass auch Menschen, die nicht mit der Materie «Papier» befasst sind, sich an der Schönheit und Vielfältigkeit dieser Brokatpapiere erfreuen können. So soll für dieses ausgestorbene und nahezu vergessene Kunsthandwerk wieder ein Interesse geweckt werden.

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Abb. 3: Marmoriertes Papier, Schneckenmarmor. Sammlung Adelheid Schรถnborn

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Julia Rinck

«Papier von allerley Farben» – Buntpapiere im Wandel der Zeit Die Brokatpapiere, die in diesem Buch anhand der außergewöhnlichen Sammlung von Dr. Adelheid Schönborn dargestellt werden, zählen zu den prächtigsten und kostbarsten Blättern angewandter Grafik. Und zugleich sind sie auch ein Höhepunkt in der Geschichte des Buntpapiers. Vermutlich weckt das Wort «Buntpapier» bei vielen zunächst die Erinnerung an Hefte mit verschiedenfarbigen, rückseitig gummierten Papieren – im Papierhandel erhältlich und vor allem von Kindern zum kreativen Gestalten verwendet. Blickt man jedoch auf die Papiergeschichte und lässt den Blick bis zu ihren Anfängen schweifen, zeigt sich dieser Begriff in einer völlig neuen Vielfalt. Seit seiner Erfindung dient Papier nicht nur als Beschreibstoff für Urkunden, Briefe oder Traktate, sondern stets auch als Trägermaterial, das eingefärbt, bemalt oder bedruckt wird. Als Buntpapier werden all jene Papiere bezeichnet, die nach dem Prozess des Schöpfens und Trocknens der Papierbogen – z. B. durch Färben, Drucken, Prägen oder andere dekorative Verfahren – nachträglich veredelt werden. Im Gegensatz zur bildhaften Grafik oder Malerei sind Buntpapiere in der Regel als Flächendekor gestaltet: ornamental, mit Mustern, Streudekoren oder – ganz schlicht – einer einfarbigen Oberfläche. Die erste Papiermühle in Deutschland wurde um 1390 in Betrieb genommen; das früheste in Europa bekannte Buntpapier, ein einfarbig gestrichenes Papier als Rückseite einer Spielkarte, kann auf 1430 datiert werden. Das um 1470 entstandene Rezeptbüchlein des Katharinenklosters in

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Abb. 4: Bronzefirnispapier, Bronzefirnisdruck auf Kleisterfarbendruck, um 1695–1820, Jagdszenerie. Sammlung Adelheid Schönborn

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Nürnberg, eines der ältesten Dokumente der europäischen Buntpapiergeschichte, enthält detaillierte Anweisungen und Rezepturen zur Herstellung solcher farbig gestrichenen Papiere und anderer Techniken, wie etwa die zum Veloutieren (Beflocken) von Papier. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts konnten, dank Gutenbergs Einführung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, Ideen und Informationen weitaus schneller als zuvor verbreitet werden – dies war die Voraussetzung für die massenhafte Entstehung von Büchern und Schriften in Europa. Um diese Publikationen auch für eine breite Käuferschaft bezahlbar zu machen, erhielten die Texte statt Leder- oder Pergamenteinbänden oft eine preiswertere Hülle aus Papier: Buntpapiere wie Sprenkel- oder Kleisterpapiere wurden als Vorsatz- und Einbandpapiere von Büchern, aber auch als Umschläge für Broschuren genutzt. Eine der bekanntesten Buntpapiertechniken, das Marmorieren, kam aus Asien über den arabischen Raum nach Europa. Aus den japanischen Suminagashi-Papieren, die zarte, fließende Strukturen haben, entwickelte sich im Iran und der Türkei die Kunst des «Ebru» mit reichen ornamentalen Formen. Orientreisende brachten im ausgehenden 16. Jahrhundert die marmorierten Blätter in ihren Reisetagebüchern oder Freundschaftsalben nach Europa, wo sie als «Türkisch Papier» mit ihrer ungewöhnlichen Formensprache und dem bisher unbekannten Herstellungsprozess selbst Gelehrte faszinierten. Beim marmorierten Papier werden die Farben auf eine viskose Trägerflüssigkeit aufgetropft, mit Stäbchen oder Kämmen zum gewünschten Dekor verzogen, das dann mit einem Papierbogen abgenommen wird. Die Kunst des Marmorierens wurde in Europa über Vorträge und Publikationen wie Athanasius Kirchers «Ars magna lucis et umbrae» verbreitet und fand bald ihre eigene europäische Ausprägung (Abb. 3). Spätestens ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war das Buntpapier ein unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Kultur geworden: Weil die Buntpapiermacherei kein «zünftiges Handwerk» war, wurden die Papiere von verschiedenen Gewerken hergestellt; nicht nur Buchbinder, sondern auch Drucker fertigten Buntpapiere; Futteral- und Schachtelmacher

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Abb. 5: Kleisterpapier, mehrfarbig geädert, darauf Blinddruck eines Models, wohl 18. Jahrhundert. Sammlung Adelheid SchÜnborn

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oder Möbelbauer nutzten die Blätter für ihre Zwecke. Auch die Vorläufer der Papiertapete waren Buntpapiere, aneinandergeklebt und als schmückende Elemente an Wänden oder Decken aufgebracht. Aus den Modeldruckpapieren, die aus dem Umfeld der Kattundruckereien hervorgingen, entwickelten sich um 1690 die mit gold- oder silbernen Mustern bedruckten Bronzefirnispapiere (Abb. 4). Etwa zeitgleich entstanden in Augsburg erste Gold- und Silberpapiere, die vollflächig mit Blattmetallfolien bedeckt wurden. Auch die Technik der Brokatpapiere – zeitweilig als «Augsburger Papier» bezeichnet – wurde hier erfunden: Dabei handelt es sich um ein Prägedruckverfahren, bei dem in der Kupferdruckpresse mit erhitzten, gravierten Metallplatten auf mit Blattmetallfolien bedecktes Papier gedruckt wurde. In seinen Lebenserinnerungen «Dichtung und Wahrheit» beschreibt Johann Wolfgang von Goethe, er habe als Kind «farbige, mit goldenen Tieren bedruckte Bogen» gekauft – ein typisches Dekor der Brokatpapiere (siehe Kat. Nr. 54, S. 126). Die besondere Vielfalt der Brokatpapiere entstand nicht nur durch die üppigen gold- oder silbergeprägten Dekore, sondern durch die Verwendung verschiedenster Trägerpapiere, so u. a. einfarbig gestrichene oder Modeldruckpapiere. Bisweilen wurden die Papiere auch schabloniert oder nachträglich handkoloriert. Im «papiernen Zeitalter» zwischen 1750 und 1850 erreichte die Entwicklung des Buntpapiers ihren Höhepunkt: Vielfältige Gestaltungstechniken hatten sich ausgebildet, die handwerklichen Fertigkeiten befanden sich auf einem hohen Niveau (Abb. 5). Neben den bereits erwähnten Verfahren wurden in dieser Zeit auch die eindrucksvollen Herrnhuter Kleisterpapiere hergestellt und über die Missionstätigkeit der Herrnhuter Brüdergemeinde weltweit exportiert. Das 18. und frühe 19. Jahrhundert war auch eine Blütezeit der Modeldruckpapiere, die vor allem in Süddeutschland, Italien und Frankreich im Handdruckverfahren mit reicher Farbigkeit und vielfältigen Mustern hergestellt wurden (Abb. 6). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand im Zuge der Industrialisierung ein Bruch in der Buntpapierproduktion: Die Handarbeit wurde zunächst durch manufakturelle Herstellung, später durch die industrielle Produk-

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Abb. 6: Modeldruckpapier, mehrfarbiger Druck, orales Dekor mit Putto, 18. Jahrhundert. Sammlung Adelheid SchÜnborn

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tion abgelöst, ausgeklügelte Maschinen kamen dabei zum Einsatz. Durch die Erfindung neuer Drucktechniken wie Lithografie oder Walzendruck wurde die Produktivität vervielfacht; die Qualität der Gestaltung hielt jedoch kaum noch Schritt. Die Entwürfe und Vorlagen verloren sich zunehmend in Beliebigkeit, das Buntpapier verkam zur Massenware. Zu einer typischen Erscheinungsform dieser Zeit wurden die Imitationspapiere: Schlangen- und Krokodilleder, Felle und Textilien, bemaltes Porzellan – alle diese Stoffe wurden durch Buntpapiere imitiert. Um 1900 gab es – neben einer Rückbesinnung auf handwerkliche Traditionen – eine gestalterische Neubelebung des Buntpapiers. Hier beginnt zugleich sein Übergang in die Moderne. Inspiriert von der englischen «Arts and Crafts»-Bewegung setzten sich zahlreiche namhafte Künstler mit dem Buntpapier als Teil der angewandten Kunst auseinander. Sie taten das im Spannungsfeld von Kunsthandwerk, künstlerischer Gestaltung und moderner Produktion. Dem Ideal der künstlerischen Belebung aller Lebensbereiche folgend, entwickelten sie das Buntpapier zu einem zentralen Gestaltungsmittel künstlerischer Flächendekoration. So experimentierten Josef Hoffmann, Kolo Moser oder Bernhard Pankok mit der Technik des Marmorierens – bis hin zu bildhaft-figurativen Kreationen. Zahlreiche renommierte Grafiker und Maler entwarfen Vorlagen für lithografierte Papiere, die in lithografischen Anstalten in großen Auflagen gedruckt wurden (Abb. 7). Gestalterinnen wie Lilli Behrens entdeckten die Kleisterpapiertechnik neu und kreierten Blätter von malerischer Virtuosität. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor das handgefertigte Buntpapier, vor allem wegen der Konkurrenz aus der industriellen Massenproduktion, zunehmend an Bedeutung. Einzelne Handwerker bewahrten traditionelle Techniken, viele Verfahren jedoch gerieten in Vergessenheit. Doch gerade heute – im sogenannten digitalen Zeitalter – gibt es wieder eine Rückbesinnung auf Materialität und Haptik, Handwerk und Design. Der nahezu ausgestorbene Beruf des Buntpapiermachers findet wieder Zuspruch, Buchbinder fertigen und verarbeiten eigene Buntpapiere, Gestalter entdecken handwerkliche Techniken neu und experimentieren mit

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Abb. 7: Lithografiertes Papier, Vorsatzpapier zu: «Peregrina’s Sommerabende. Lieder für eine Dämmerstunde», entworfen von Heinrich Vogeler. Sammlung Adelheid Schönborn

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modernen Veredelungsverfahren. Auch die faszinierende Pracht der historischen Brokatpapiere ist für zeitgenössische Handwerker und Gestalter eine Inspirationsquelle, um das bisher nicht vollständig erschlossene Prägedruckverfahren zu rekonstruieren. Gerade für ein solches Vorhaben ist eine Kollektion wie die in diesem Buch vorgestellte Sammlung Adelheid Schönborns zugleich kulturhistorische Quelle wie Forschungs- und Materialgrundlage. Und nicht zuletzt stellt sie außerdem eine überaus reiche ornamentale Mustersammlung dar.

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F. C. Ackermann Blumen und Schmetterlinge

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Über das ganze Blatt asymmetrisch verteilt lange zarte Ranken, endend in verschiedenartigen großen und kleinen Blüten (Nelken, Rosen, kleine Glocken- und Sternblumen). Auf der rechten Hälfte ein fliegender, auf der linken ein eben landender Schmetterling. Auf dem seitlich angeklebten Streifen ein Zweig mit fünf glockenförmigen Früchten und ein weiterer Schmetterling. | Inv. Nr. 0 | Goldprägedruck negativ auf grün gestrichenem Papier, gepunzter Goldgrund | Zwei Fragmente desselben Bogens zusammengeklebt | 35,0 × 43,5 cm | Signatur: F. C. Ackermann

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Goldschläger Kleine Blüten und Früchte

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Architektonisch aufgebautes, in sich gestricheltes Bandelwerk, durchsetzt mit verschiedenen kleinen Blüten und Früchten. | Inv. Nr. 217 und 4 | Goldprägedruck negativ auf karminrot gestrichenem Papier. Gold nur noch in Spuren erkennbar | Auf dem Blatt rechts ein handschriftlicher Vermerk «Vermählung 1735» |Fragmente | 2 Blatthälften, je 33,2 × 20,6 cm | Signatur: GOLDSCHLÄGER NORTLINGEN

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Autoren Matthias Hageböck (1965): Nach einer Buchbinderlehre in Dortmund und dem Besuch der Fachschule für Buchrestaurierung in Ascona, ist er seit 1992 als Buchrestaurator in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar tätig. Dort ist er unter anderem mit der Erschließung von historischen Bucheinbänden und Buntpapieren, insbesondere Bronzefirnis- und Brokatpapieren, beschäftigt. Regelmäßige Publikationen zu den Erschließungsergebnissen in verschiedenen Fachzeitschriften, darunter Beiträge zu Rationalisierungsverfahren beim Prägedruck auf Bucheinbänden und bei der Herstellung von Brokatpapieren. Gründungsmitglied des Arbeitskreises Buntpapier und Mitglied der Geschäftsführung des Arbeitskreises zur Erfassung, Erschließung und Erhaltung historischer Bucheinbände (AEB).

Michael Rothe (1956): Nach einer Ausbildung zum Buchbinder und Papierrestaurator Arbeit an der Staatsbibliothek und danach im Büro für architekturbezogene Kunst in Berlin. Seit 1992 Leitung des eigenen Ateliers für Grafik-, Fotound Schriftgutrestaurierung in Bern. Gründer des Verlags Rothe Drucke, in welchem zahlreiche Künstlerbücher und Grafikeditionen entstanden sind. Adelheid Schönborn (1936): Geboren in Schwäbisch Hall/Baden-Württemberg. Studium der Medizin in München und Tübingen. Promoviert zum Dr. med. mit einer Arbeit über ein medizinhistorisches Thema. Verheiratet, sechs Kinder. Ärztliche Tätigkeit an Kliniken und in einer Praxis mit Schwerpunkt Pädiatrie. Lehrtätigkeit in der Kranken- und Altenpflege. Nach dem Tod der Eltern Übernahme der Papiersammlung. Seitdem intensive Beschäftigung mit Papier. Es war stets und ist ihr bis heute ein Bedürfnis, Dinge, mit denen sie sich befasst, weiterzuvermitteln und andere daran teilhaben zu lassen.

Julia Rinck (1970): In Dohna (Sachsen) geboren, studierte in Leipzig Germanistik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft mit dem Abschluss M.A. Als Kunsthistorikerin spezialisierte sie sich auf die Themenfelder historischer Buntpapiertechniken und moderner Papierveredelung, ihr Wissen vermittelt sie in Lehrveranstaltungen an Universitäten und Fachhochschulen sowie durch Vorträge und Publikationen. Sie bearbeitete verschiedene Buntpapiersammlungen, u. a. die umfangreiche Sammlung Felix Hübel im Archiv des Deutschen Museums München. Julia Rinck ist Kuratorin der Grafischen Sammlung/Buntpapiersammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Sie ist Gründungsmitglied des internationalen Arbeitskreises Buntpapier und Initiatorin der Website www.buntpapier.org.

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Die phantastische Welt der Brokatpapiere – Die Sammlung Adelheid Schönborn Herausgeber: Adelheid Schönborn, Michael Rothe Konzept: Michael Rothe, Marco Schibig, Adelheid Schönborn Vorbereitende Recherchen bei Adelheid Schönborn in Zetel: Michael Rothe, Nicolas Rothe, Adelheid Schönborn Redaktion: Michael Rothe, Nicolas Rothe, Marco Schibig Texte: Matthias Hageböck, Julia Rinck, Adelheid Schönborn Korrektorat: Melanie Schölzke Gestaltung und Satz: Franziska Schott & Marco Schibig Lithografie: Für das Bild, Fred Braune Gesetzt in Adobe Garamond, gedruckt auf Arctic Volume Druck / Buchbindung: Passavia Druckservice GmbH & Co. KG, Passau

Abbildungsnachweis: David Aebi, Bern, S. 24, 25 Fred Braune, Bern, S. 8, 90, 91, 92, 93, 98, 99, 104, 105, 116, 117, 118, 119, 124, 125, 154, 155 Michael Rothe, Nicolas Rothe, Bern, S. 26, 27, 28, 29, 34, 35, 40, 41, 42, 43, 54, 55, 62, 63, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 78, 79, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 100, 101, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 126, 127, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 166, 172, 173 Marco Schibig, Gampelen, S. 2, 6, 36, 37, 138, 139, 146, 147 Alle anderen Abbildungen: Jordis Schlösser, Berlin

1. Auflage 2020 Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet. Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb.dnb.de ISBN 978-3-258-08208-0 Alle Rechte vorbehalten © 2020 bei den Herausgebern und dem Haupt Verlag, Bern © für die Texte bei den Autorinnen und dem Autor © für die Scans und Fotografien siehe Abbildungsnachweis Gedruckt in Deutschland www.haupt.ch


Die Brokatpapiere mit ihren vielfältigen silber- und goldgeprägten Dekoren entstanden im Kontext des Buntpapierdrucks erstmals um 1690 in Augsburg. Die farbigen Bögen, deren anziehende Aufmachung auch einem jungen Johann Wolfgang von Goethe ins Auge fiel, gelten als die begehrtesten Vorsatz- und Einbandpapiere des 18. Jahrhunderts. Adelheid Schönborn stellt in diesem Buch eine Auswahl ihrer persönlichen Sammlung von Brokatpapieren vor. Sinn und Zweck dieses Werkes ist, die reizvolle Gestaltung der Papiere mit dem Betrachter zu teilen und Interesse an einem Handwerk zu wecken, das im Laufe der Industrialisierung nahezu in Vergessenheit geraten ist. 70 Brokatpapiere werden ganzseitig abgebildet, ihr Dekor sowie technische Details der Herstellung werden in den begleitenden Texten ausführlich beschrieben. Mit einem Essay von Julia Rinck zur Geschichte der Buntpapiere und einem Essay von Matthias Hageböck über Puzzeln – ein Rationalisierungsverfahren aus der Frühzeit der Brokatpapierherstellung. Mit Glossar, Liste der Verleger und Literaturverzeichnis.

ISBN 978-3-258-08208-0


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