Identität 2.0 - Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung: Unser Fazit

Page 1

Universität Passau Philosophische Fakultät Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik Dozent: Prof. Dr. Guido Pollak Hauptseminar: Im Leben bin ich Einer – Im Netz bin ich Viele – Identitätskonstruktion in sozialen Netzwerken Veranstaltung Nr. 40303, Wintersemester 2011 / 2012

Identität 2.0 Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung

Christina Mikulaschek

||

S. 10-14

Stefanie Balhorn

||

S. 7-10 + 18

Jennifer Thalacker

||

S. 14-17

Annabelle Winter

||

S. 4-7

Benjamin Hartwich

||

S. 1-4

BA Medien und Kommunikation Schwerpunktmodul: „Kulturell-ästhetische Medienbildung, Medienerziehung und Medienarbeit“ Prüfungsnummer: 381029


Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................................................ 1 2. Die Projektpräsentation .......................................................................................... 2 2.1 Der Blog ............................................................................................................ 2 2.2 Die Online-Umfrage .......................................................................................... 3 2.3 Der Videodreh ................................................................................................... 4 3. Empirische Untersuchungen................................................................................... 4 3.1 Online-Umfrage ................................................................................................. 5 3.2 Experteninterviews ............................................................................................ 6 4. Second Life............................................................................................................. 7 4.1 Feldzugang und erste Eindrücke ...................................................................... 7 4.2 Identitätsbildung in Second Life ...................................................................... 10 4.2.1 Die idealized virtual-identity Hypothese .................................................... 11 4.2.2 Die extended real-life Hypothese.............................................................. 12 4.3 Vom Medienhype zur Geisterstadt .................................................................. 14 5. Ende des Versteckspiels ...................................................................................... 16 6. Fazit ...................................................................................................................... 17 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 19 Bücher................................................................................................................... 19 Sammelbände ....................................................................................................... 19 Zeitschriften .......................................................................................................... 19 Internetquellen ...................................................................................................... 19 Anlage: Daten Online-Umfrage................................................................................. 21

I


1. Einleitung

1. Einleitung In den Tag hineingeworfen – so beschrieben die meisten frühen Dichter der griechischen Antike den Menschen. Er war den Naturgewalten, den Göttern und anderen Mächten ausgeliefert. Sein Leben war fremdbestimmt, er war ganz und gar in einem Feld zwischen verschiedenen Kräften und konnte dem nicht entrinnen, zumindest solange er an diese Kräfte glaubte und ihnen gehorchte. Mit dem Wandel vom „Mythos zum Logos“ – gemeinhin wird damit die erste Aufklärungsbewegung um das 4. / 5. Jahrhundert vor Christus umschrieben – geschah ein erster Schritt in Richtung Selbstbestimmung: Der Mensch begann über sich und seine Handlungen zu reflektieren, er gewann an Bewusstsein für Identität. Knapp 2500 Jahre später stehen wir vor einem ähnlichen Problem: Wir fragen uns, ob wir mit der Komplexität an technischen Prozessen noch selbst bestimmen können, was mir möchten und was nicht – wir sind noch in das Internet hineingeworfen. Die Möglichkeit der Anonymität und der Interaktion mit anderen Nutzern geben uns die einmalige Gelegenheit ein anderes Ich, ein anderes Leben aufzubauen, uns in Fantasiewelten auszuleben. Wenn heute der Spruch „Erkenne dich selbst“ noch über Torbögen stehen würde und wir hindurchschreiten würden, so wäre wahrscheinlich die erste Frage: Wo soll ich mich selbst erkennen? Im Internet, unter Freunden oder wenn ich alleine vor dem Spiegel stehe? Facebook, Weblogs und YouTube haben Einfluss auf unser Ich. Können wir diesen Einfluss steuern – das war die zentrale Frage, die hinter unserem Projekt und dieser Arbeit steht. Wir haben uns darauf aufbauend näher mit dem Problem beschäftigt, inwiefern nun die sozialen Anwendungen des Internets Auswirkungen auf die Integration in Gesellschaften (virtuell und real) haben. Beispielsweise: Ist man im realen Leben anders, nur weil man in Second Life ein Verkäufer für fliegende Regenschirme ist, um eine ganz abstruse Situation zu konterkarieren? Mit diesem Problem haben wir uns in einem Blog (www.identity2punkt0.de) beschäftigt, der auch gleichzeitig unsere Projektarbeit darstellt. Diese Arbeit soll nun in Kürze unsere Vorgehensweise und die wichtigsten Ergebnisse herausstellen. Dabei haben wir einerseits Interviews zu Gesellschaft und Integration mit Medienexperten geführt und eine Online-Umfrage zur Erfassung von Freund1


2. Die Projektpräsentation schaften virtuell und real durchgeführt. Andererseits haben wir uns in einem Selbstversuch mit Second Life beschäftigt.

2. Die Projektpräsentation Die Ergebnisse und die Art der Untersuchung wollten wir aufgrund der thematischen Breite mit einem besonderen medialen Instrument präsentieren: Einem Weblog. Damit hatten wir die Möglichkeit, schnell Arbeitsprozesse und Selbstversuche – bei Second Life – zu dokumentieren und medial durch Bilder, Videos oder Audios aufzubereiten. Außerdem diente der Blog als Nachschlaghilfe sowohl für uns als auch für alle anderen Gruppen, z.B. durch unser Literaturverzeichnis oder interessante Videos, die zu weiterem Arbeiten inspirieren konnten. Unser Blog war also unsere Projektpräsentation und diente auch gleichzeitig als Plattform für alle anderen Gruppen, die ihre Ergebnisse ebenso auf unseren Seiten einstellen konnten. Letztlich haben wir mit dieser Arbeitsweise auch etwas für die Öffentlichkeit getan, denn unser Blog wird bei Suchmaschinen gelistet und alle Artikel wurden auch über soziale Netzwerke kommuniziert. Die folgenden Seiten sollen den technischen Aspekt hinter unserem Projekt beleuchten und können für weitere Projekte in dem Rahmen als Hilfe und Anreiz zu diesem Präsentationsweg dienen.

2.1 Der Blog Die Software zum Betreiben des Weblogs gibt es kostenlos im Internet und nennt sich WordPress. Diese kann problemlos auf eigenen, virtuellen Servern, sowie auf Webhosting-Paketen installiert werden. Wenn keine der beiden genannten Ressourcen verfügbar ist, besteht die Möglichkeit, einen Blog mit derselben Software über WordPress.com kostenlos mit begrenzteren Optionen zu betreiben. Daneben existieren noch weitere Plattformen, die das mit ähnlicher Software anbieten. Darüber hinaus bietet das Rechenzentrum WordPress-Installationen in einer WordPress Multisite-Umgebung für universitäre Belange an. Wir haben uns für die Variante des Webhosting-Pakets bei Alfahosting entschieden, um volle Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, z.B. eine eigene Domain – unser Blog ist unter http://www.identity2punkt0.de/ erreichbar.

2


2. Die Projektpräsentation Die optische Gestaltung stand bewusst nicht im Vordergrund, um Besucher nicht durch ein aufwendiges Design vom Inhalt abzulenken, daher bot es sich an, ein vorgefertigtes „Theme“ zu nehmen und dieses leicht zu adaptieren, so dass eine übersichtliche Navigation, klar getrennte Inhaltsblöcke und interaktive Funktionen vorhanden waren. Besonderes Augenmerk lag auf den Zusatzfunktionen des Weblogs, die z.B. eine Galerie, Podcasts oder Videoeinbindungen möglich machen. Share-Buttons und Kommentarfunktion gehörten natürlich auch zu den Standardfunktionen. Durch mehrere Benutzerkonten war es jedem in der Gruppe möglich, eigenständig zu publizieren und jeder bekam per E-Mail eine Benachrichtigung, wenn ein Beitrag veröffentlicht wurde. Nach diesem Seminar wird der Blog weiterhin geführt und im Internet erreichbar sein.

2.2 Die Online-Umfrage Zu Beginn des Projektes wurde auf unserem Blog bereits eine kleine Umfrage geschaltet, die generell die Selbstbestimmtheit über das eigene Leben abklären sollte und weiterhin bestehen bleiben wird. Es gab genau eine Ankreuzmöglichkeit für die Vervollständigung des Satzes: „Ich bin… was das Leben aus mir gemacht hat“ oder „Ich bin… was ich aus meinem Leben mache“. Knapp 80% der Stimmen entfielen bisher auf die erste Variante. Eine ausführliche empirische Untersuchung folgt natürlich auch noch. Diese war komplett online durchgeführt worden und wurde mit dem freien Online-UmfrageSystem LimeSurvey erstellt, das eine komplexe Umgebung für derartige Untersuchungen bietet, z.B. Quotas (Bestimmung relevanter Quoten für das Ausfüllen des Fragebogens), Abhängigkeiten (Bestimmung von Regeln für die Anzeige von Fragen), eine Vielzahl an Fragetypen (Matrix, Optionsliste, Mehrfachauswahl, Kommentare) etc. Darüber hinaus bot uns dieses System mehrere Möglichkeiten der Ausgabe der Rohdaten, die bei kommerziellen Anbietern oder anderen freien Tools im Internet oft nicht gegeben sind. Zum Beispiel konnten alle Daten als Excel-Tabelle oder SPSS-Daten samt Syntax exportiert werden, was wissenschaftliches Arbeiten mit empirischen Daten wesentlich einfacher und hochwertiger macht. Auch dieses System wurde über unser Alfahosting-Paket betrieben.

3


3. Empirische Untersuchungen

2.3 Der Videodreh Ein Hauptteil unseres Projektes und der Arbeit mit dem Weblog war eine Videoreihe mit Dozenten der Universität Passau, die zu unserem Thema Stellung nehmen sollten. Als konzeptionelle Vorlage diente uns eine typische Interviewsituation, die aus Magazinsendungen und Dokumentation bekannt ist: Lediglich der Interviewte ist sichtbar. Der Interviewer ist im Rohschnitt als leise Stimme im „Off“ vorhanden. Wir hatten uns bereits im Vorfeld einen festen Fragenkatalog überlegt, so dass die Antworten vergleichbar werden und diesen bereits bei einem Telefoninterview mit dem Medienexperten Christian Jakubetz getestet. Für den Dreh verwendeten wir die Spiegelreflex-Kamera Canon EOS 600d, die aufgrund der Spiegel-Optik ein sehr gutes Bild in HD-Qualität liefert und mit Stativ sich besser als Filmkamera eignet als die vorhandenen Geräte des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft. Da das eingebaute Mikrophon der Spiegelreflexkamera nicht besonders gut ist, nahmen wir zusätzlich mit einem hochwertigen Aufnahmegerät (Zoom H2n) den Ton auf, das im Bild nicht sichtbar war. Das Material schnitten wir anschließend mit Adobe Audition für die Audiospur, um die Stimme etwas zu verfeinern und die Lautstärke anzupassen, und mit Adobe Premiere, um das Videomaterial zu schneiden und als Gesamtfilm zu exportieren.

3. Empirische Untersuchungen Um unsere allgemein gehaltene Fragestellung, inwiefern sich das Networking in den sozialen Anwendungen des Internets auf die Integration in Gesellschaften (virtuell vs. real) auswirkt, zu untermauern, sollten zwei Umfragen durchgeführt werden. Zunächst eine Online-Umfrage, die über Facebook einem eher jugendlichem Publikum zugeführt werden sollte. Auf dieser Umfrage basierend führten wir noch vier Experteninterviews durch. Die Spezialisten wurden so ausgewählt, dass eine ausgeglichene Mischung aus technischer Perspektive (Katrin Tonndorf, Cornelia Wolf, Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikation), journalistischer Sicht (Alexander Godulla, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaften) und Pädagogik (Andreas Spengler, Lehrstuhl für allgemeine Pädagogik) entstand.

4


3. Empirische Untersuchungen

3.1 Online-Umfrage An unserer Erhebung haben insgesamt 120 Personen teilgenommen, davon sind 74 weiblich. Die Altersverteilung bewegt sich zwischen 19 und 75 Jahren, der Großteil der Probanden ist zwischen 22 und 26 Jahren alt (kumuliert: 83%). Der gleiche Prozentsatz der Befragten befindet sich noch in der Ausbildung. Die gestellten Fragen bezogen sich zunächst auf die Nutzung verschiedener sozialer Netzwerke. Das Ergebnis unterstützt die gängige Meinung: Neue Netzwerke wie Diaspora oder Google+ werden (noch) kaum in Anspruch genommen. Freundeportale (Facebook, VZ-Gruppe) hingegen werden sehr intensiv genutzt. Businessportale, wie beispielsweise Xing, werden selten benutzt, was aber auch einleuchtet, da der Großteil der Befragten noch studiert bzw. zur Schule geht. Video- und Fotoportale (YouTube etc.) werden häufig genutzt, Musikportale, so zum Beispiel MySpace oder Last.fm, werden eher selten bis gar nicht besucht. Von den Befragten gar nicht verwendet werden Bewertungsportale und Flirtbörsen. Auf die Frage, was für sie das Internet sei, kreuzten fast alle Befragten an, es sei ein „Informationsportal“, dicht gefolgt von „[einem] Raum zum schnellen Austausch unter Gleichen“ (76%) und „eine[r] Chance für die Bereicherung meines Wissens“ (70%). Anschließend versuchten wir herauszufinden, wie wichtig den Befragten Gemeinschaft ist, durch Fragen wie: „Wie viel Wert legen Sie auf viele Freunde in sozialen Netzwerken/im richtigen Leben?“, sowie Fragen zur Pflege der Freundschaften und wie sehr man sich über welche Kontaktaufnahme (Treffen, Postkarten, PinnwandPost etc.) freue. Das Ergebnis: Die Anzahl der virtuellen Freunde spielt eine untergeordnete Rolle, es wird wenig (38 Personen) bis gar kein Wert (44 Personen) darauf gelegt. In der Realität hingegen ist es den Befragten sehr wichtig viele Freunde zu haben. Die meisten virtuellen Bekannten kennt man auch in der Realität in irgendeiner Weise. Kontaktpflege im virtuellen Raum ist ein wichtiges Thema, vor allem das Schreiben von Nachrichten, sowie Geburtstagsgratulationen. Über die Kontaktaufnahme durch andere, egal in welcher Form, freut sich ein Großteil nur „meistens“. Als reine Internetfreundschaft werden von den Probanden Personen bezeichnet, mit denen man „gemeinsame Interessen“ (43%) teilt. Unwichtig sind das Aussehen und die Vielfalt an Kontakten. 31 Personen glauben nicht an eine Internetfreundschaft.

5


3. Empirische Untersuchungen Auf unsere einzige offene Frage, was eine reale von einer virtuellen Freundschaft unterscheide, haben wir im Groben folgende Antworten erhalten: Einige der Befragten gaben an, es gäbe für sie keinen Unterschied, da sich die zwei Bereiche decken würden. Die weiteren, am meist genannten sind: die Oberflächlichkeit der virtuellen Freundschaften, die Unverbindlichkeit und die Kurzlebigkeit. Man erhalte nur einen „zensierten Einblick“ in das Leben des Anderen. Durch den Wegfall der paraverbalen Kommunikation falle es schwer, sein Gegenüber einzuschätzen. Internetfreundschaften basierten hauptsächlich auf einem gemeinsamen Interesse. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die reale Freundschaft positiver konnotiert ist, als die virtuelle. Von der virtuellen wird nicht so viel erwartet, es handelt sich eher um eine 'Interessenfreundschaft auf Zeit'. Für viele ist, wie oben schon erwähnt, die reale mit der virtuellen gleichzusetzen, was an einem Desinteresse an Internetbekanntschaften liegen könnte. Als Charakteristikum für Freundschaft gaben die meisten Teilnehmer „Hilfsbereitschaft/Toleranz“ an, ein „sympathischer Charakter“ und „gemeinsame Interessen“ sind ebenso wichtig. In eine Gemeinschaft integriert fühlt man sich eher im richtigen Leben. Der virtuelle Raum bietet Möglichkeiten, um mit schon vorhandenen Freunden in Kontakt zu bleiben, diese zu pflegen. Doch die Realität kann dadurch nicht abgelöst werden. Es handelt sich einfach um eine Erweiterung unseres Selbst bzw. um einen Teil von uns, der sich dort besser ausleben kann.

3.2 Experteninterviews Die Befragung der Spezialisten setzte sich wie folgt zusammen: Einleitend wollten wir eine allgemeine Definition von Gesellschaft wissen, um danach einen Schritt weiter gehen zu können mit der Frage, was dann eine virtuelle Gesellschaft sei bzw. was diese beiden Gemeinschaften voneinander unterscheide. Anschließend fragten wir nach gegenseitigen Einflüssen. Hierbei lassen sich Parallelen zur vorangegangenen Umfrage erkennen, bei der wir ein wenig präziser nach Freundschaft fragten. Unsere Experten wurden auch zu Vor- und Nachteilen der Integration in den beiden Gesellschaften befragt. Im Anschluss daran wollten wir wissen, ob man für eine Eingliederung in die Realität social networker sein müsse, oder ob man sonst den Anschluss an die jeweilige Gruppe verlieren würde. Vertieft wurde dies durch die Frage, ob man als Mitglied eines sozialen Netzwerkes Zustimmung bzw. Ablehnung anders erfahre. 6


4. Second Life Letztendlich haben wir ausgewählte Antworten in einem Videobeitrag zusammengefasst, welcher zeigt, wie wichtig in einer scheinbar so technisierten und virtualisierten Welt reale Freunde und Beziehungen sind. Reale und virtuelle Gesellschaft ermöglichen es, einen weiteren Horizont zu erleben, man kann mit Menschen kommunizieren, die man nicht kennt, oder die räumliche Distanz zu Bekannten überbrücken, es kommt zu einer Entgrenzung. Die Identität kann man als eine Patchworkidentität sehen, die über die beiden Gesellschaften entsteht und sich über sie erstreckt, da man sich seinen FacebookFreunden anders präsentiert, als seinen Arbeitskollegen oder der Familie. Das Internet kann zu einer schnelleren Integration führen, wenn man an der richtigen Stelle sucht. Bei gleichen Interessen ist es einfach, im Web 'Freunde im Geiste' zu finden, die ähnliche Ansichten haben. Doch sollten hier, wie auch in der realen Gesellschaft, bestimmte Normen und Werte nicht außer Acht gelassen werden. Es scheint zwar nicht ohne soziales Netzwerken zu funktionieren, doch ein Leben „offline“ bzw. die Integration in der realen Gesellschaft sind eine unerlässliche Basis hierfür.

4. Second Life 4.1 Feldzugang und erste Eindrücke Um unsere Hypothese, die Auswirkungen des Networkings in sozialen Anwendungen des Internets auf die Integration in der Gesellschaft (virtuell und real), welche bereits in Experteninterviews und in einer Online-Umfrage diskutiert wurde, zu untersuchen, wurde ein Selbstversuch am Beispiel von Second Life unternommen. Ausschlaggebend für unsere Entscheidung diesen in Second Life zu unternehmen, erfolgte aufgrund des Imagevideos von Second Life. In diesem wurden die Möglichkeiten die Second Life seinen Nutzern bietet vorgestellt. Unter anderem heißt es in diesem: „Was ist Second Life? […] Seien Sie anders, Seien Sie sich selbst. Befreien Sie sich. […] Ändern Sie Ihre Meinung. Ändern Sie Ihr Aussehen. […] Lieben Sie Ihr Leben.“ (vgl. SecondLife) 7


4. Second Life Die Aussage dieses Werbefilms bezieht sich auf die Andersartigkeit des virtuellen Ichs im Gegensatz zum realen Ich. Hervorgehobene Punkte wie das Aussehen, die eigene Meinung aber auch die Möglichkeit eines erfüllten und schönen Lebens zielen auf die Abgrenzung des „First Life“, des realen Lebens, zur „Second Life“. Die Frage, welche wir durch unseren Selbstversuch in Second Life zu beantworten versuchten war, inwieweit es Unterschiede bzw. Parallelen zwischen echtem und virtuellem Leben gibt. Dabei wollten wir zum einen das Aussehen und das Verhalten, aber auch die berufliche Tätigkeit in Second Life mit dem realen Leben vergleichen. Für den Feldzugang fertigten wir uns einen eigenen Second Life Avatar mit dem Namen Idem Duobus an. Aufgrund dessen, das die Projektgruppe hauptsächlich aus weiblichen Teilnehmern bestand, entschieden wir uns bewusst für einen männlichen Avatar. Hierdurch sollte das Einfließen unserer eigenen Charakterzüge in den Charakter von Idem Duobus unterbunden werden und sollte die neutrale Sichtweise auf Second Life sicherstellen. Der Name unseres Avatars setzt sich aus den lateinischen Worten „Idem“ (Identität) und „Duobus“ (zwei) zusammen. Dieser Name schien uns für die kollektive zweite Identität unserer Projektgruppe als treffend. Ebenso wollten wir anderen Avataren die Möglichkeit geben, uns als „falschen“ Nutzer zu identifizieren. Wir gaben nicht vor eine reale Person zu sein, wie es mit einem anderen gängigen Namen der Fall gewesen wäre. Beim ersten Anmelden in Second Life mit einem neuen Avatar durchläuft man zu Beginn mehrere Tutorials auf der Welcome Island. Diese wurde speziell für neue Bewohner entwickelt, um die unterschiedlichen Fortbewegungsarten und Interaktionsmöglichkeiten in Second Life kennenzulernen. Die Welcome Island umfasst sechs unterschiedliche Räume, in denen die Schwerpunkte verschieden gelagert sind. So lernt man im ersten Raum das Laufen, im zweiten das Zoomen mit der Kamera, im dritten Raum wie man mit anderen spricht, im vierten Raum das Hinsetzen und –legen und im fünften Raum wie man fliegt. Am Ende der Einführung betritt man den letzten und sechsten Raum, in welchem nur eine Wand mit der Second Life Weltkarte zu sehen ist. In diesem Raum wird auch der Unterschied zwischen Second Life und bekannten Onlinerollenspielen, auch MMORPGs genannt, deutlich. Unter MMORPGs sind Onli8


4. Second Life ne-Rollenspiele zu verstehen, in denen mehrere tausend Spieler zur gleichen Zeit Aufgaben lösen und Erfahrungspunkte sammeln können um innerhalb des Spiels auszusteigen. (vgl. Trippe 2009: 3) Das wohl bekannteste MMOPG ist World of Warcraft. In Second Life gibt es jedoch keine zu erfüllenden Aufgaben, Ziele und Handlungsmuster. Der Nutzer muss sich über seinen Avatar eigene Ziele suchen und hat dadurch die Möglichkeit sich neu zu erfinden, oder das reale Leben in der virtuellen Welt fortzuführen. Während Idem Duobus vor der Wand stand, betrat eine weitere Person diesen Raum und wir unterhielten uns. Auch dieser Avatar war sich unsicher, was er nun tun und wohin er gehen sollte. Irgendwann entschied er, sich in eine Stadt in den USA zu teleportieren, welche er aus dem realen Leben kannte. Unser erster Eindruck von Second Life war, dass diese Freiheit zu Entscheiden wohin man sich teleportieren lassen möchte, es Anfängern erschwert, sich in Second Life zu Recht zu finden und den Schritt zum virtuellen Identitätsaufbau zu wagen. Um erste Kontakte zu knüpfen ist man versucht, zuerst bekannte Orte aus der Realität in der virtuellen Welt aufzusuchen. Es lässt sich vermuten, dass hierdurch eine Orientierung an der realen Identität zum Aufbau der virtuellen Identität stattfindet und dadurch das ‚sich neu erfinden‘, wie im Werbefilm von Second Life postuliert wird, erschwert wird. Aufgrund der Tatsache, dass wir keine persönlichen Eigenschaften von uns auf Idem Duobus projizieren wollten, entschieden wir uns, unterschiedlichste und uns unbekannte Orte zu besuchen und erste Kontakte mit anderen Avataren zu knüpfen. Dabei gingen wir nach dem Zufallsprinzip vor und klickten uns durch mögliche Reiseziele. Schließlich landeten wir auf Bora Bora, einem Ort an welchem noch keiner von uns jemals zuvor war. Jedoch hatte die virtuelle Bora Bora mit der Realität wenig zu tun. Obwohl Bora Bora in der Realität die Hauptinsel des dazugehörigen Atoll ist und insgesamt knapp 38 Quadratkilometer groß ist, misst die Insel in der virtuellen Welt nur wenige Meter. Von anderen Inseln drum herum fehlte jede Spur. Auch die visuelle Umsetzung war ernüchternd. Scheinbar schwerelos schwebte ein Flugobjekt in der Luft mit welchem man problemlos Bora Bora aus der Luft erkunden konnte. Von einem Gestell oder ähnlichem, welches dieses Flugobjekt in der Luft hielt, fehlte jede Spur. Aber nicht nur in der Luft, auch im Wasser war die Fortbewegung mühelos. Ohne Atemprobleme oder dergleichen zu bekommen, machte Idem Duobus einen Spaziergang durch die animierte Unterwasserwelt. Nach unserer Erkundungstour 9


4. Second Life von Bora Bora aus der Luft und dem Wasser schauten wir uns ein bisschen auf der Insel um. Relativ schnell wurden Idem von einem anderen Avatar auf Englisch angechattet. Jedoch wurden über bloßen Small Talk hinweg, keine weiteren Informationen ausgetauscht. Auch der zweite Eindruck von Second Life konnte unsere erste Skepsis vom Ende des Tutorials nicht auflösen. Uns stellte sich von diesem Punkt an die Frage, aus was sich eine zweite Identität zusammensetzt. Zwar wird durch Second Life impliziert, dass man eine berufliche Tätigkeit ausüben und soziale Kontakte schließen kann. Jedoch stellt sich dies als durchaus kompliziert heraus, wenn man weder Wissen über die Interessen noch Vorlieben der anderen Person hat. Diese werden aufgrund der Skepsis, persönliche Informationen über seine reale Identität im Internet preiszugeben, vor anderen Avataren verheimlicht. Nach unserem Besuch auf Bora Bora teleportierten wir uns noch in weitere Städte und Inseln, zum Teil real existierende (Köln, Paris, Hawaii), aber auch fiktive (Marty’s Fantasy Forest, Torley Cyberpunk Islan, Virtual Mine). Dabei bemerkten wir die geringen Besuchszahlen, nicht nur in einem kleinen Teil der Orte, sondern in einem Großteil von Ihnen. Auch in München, wo wir uns einen Kontakt zur Second Life Schule erhofften, waren nur wenige Avatare unterwegs. Zwar waren sie hilfsbereit und führten uns zur Second Life Schule, aber auch von Ihnen wollte keiner über den bloßen Small Talk hinaus mit uns reden. Die Second Life Schule, von welcher wir uns interessante Gesprächspartner erhofft hatten, war gänzlich leer. Auch bei weiteren Besuchen waren keine Schüler anzutreffen. Aufgrund dieser Erkenntnisse änderten wir unsere Hypothese und versuchten nunmehr die Frage zu beantworten, ob die Avatare bewusst ein anderes Leben in Second Life führen als in der Realität und welche Beweggründe dahinter stehen. Hierfür verbrachten wir mehrere Abende auf dem virtuellen Münchner Marienplatz und befragten Personen über ihre persönlichen Beweggründe Second Life zu nutzen. Es ließen sich zwei Typen von Beweggründen herausfiltern, welche im Folgenden erläutert werden.

4.2 Identitätsbildung in Second Life Der Kontaktaufbau zu möglichen Gesprächspartnern war durch mehrere Faktoren erschwert. Zum einen waren die Städte in Second Life wie ausgestorben, zum anderen waren die wenigen Nutzer, die man zu Gesicht bekam, sehr misstrauisch und 10


4. Second Life unwillig, Informationen über ihr „reales Ich“ preiszugeben. Nach mehreren Versuchen gelang es uns mit einigen Avataren in Second Life zu sprechen.

4.2.1 Die idealized virtual-identity Hypothese Diese besagt, dass soziale Netzwerke im Internet dazu genutzt werden, um ein idealisiertes Bild von sich selbst zu erstellen. Dabei werden innerhalb der Profile Charakteristika präsentiert, die nicht der wirklichen Persönlichkeit des jeweiligen Nutzers entsprechen. Besucher des Profils lernen somit nicht die Person wie sie tatsächlich ist, sondern wie sie gerne wäre, kennen. (vgl. Mango, Graham, Greenfield, Salimkhan, 2008) Um an mögliche Gesprächspartner zu kommen, sind wir zunächst nach München teleportiert, wo wir jedoch niemanden angetroffen haben. Als wir eine Zeit lang durch die leeren Straßen von SL-München gewandert waren, trafen wir auf eine kleine Gruppe von Avataren auf dem virtuellen Marienplatz. Sie tanzten unter einer blinkenden Discokugel und wechselten regelmäßig ihr Aussehen. Oberflächlich waren alle sehr freundlich, haben uns begrüßt und erklärt wie wir mittanzen können. Als wir jedoch tiefgründiger mit ihnen über Identitätsbildung im Internet bzw. Second Life sprechen wollten, blockten sie ab und wirkten alle sehr distanziert. Sie sagten uns, wir müssten lange suchen um jemanden zu finden, der uns Details aus seinem realen Leben preisgeben würde. Schlussendlich entschied sich ein Nutzer Namens Markus (Name geändert), sich mit uns über seine Beweggründe Second Life zu nutzen, zu sprechen. Doch auch Markus ging vorsichtig mit realen persönlichen Daten um und gab nur das Nötigste über sich preis. Markus zweite Persönlichkeit unterscheidet sich von seiner realen Person hauptsächlich im Hinblick auf Alter und berufliche Tätigkeit. So wirkt er mit seiner virtuellen Persönlichkeit deutlich jünger, als er in Wirklichkeit ist. Das genaue Alter von Markus ist unbekannt. Selber bezeichnet er sich aber als “einen Mensch männlichen Geschlechts, gehobenen Alters”. Auch das berufliche Tätigkeitsfeld unterscheidet sich zwischen dem realen Leben und dem Leben in Second Life. Eigenen Angaben zu Folge erstellt Markus Psychogramme im klinischen Bereich einer Psychiatrie. In SL verdient er sein Geld mit dem designen und scripten eigener Gegenstände. Diese können andere Nutzer für Linden$ käuflich erwerben. Markus versucht, sein wahres Leben in der Realität und sein Leben innerhalb von SL strikt zu trennen: 11


4. Second Life [08:09] Markus: eben sagte jemand das sl nur ein 3D chattool ist, so sehe ich das auch nur kann man hier auch noch den raum selber gestalten das ist mein grund, warum ich noch immer hier bin [08:10] Idem Duobus: ok, interessant... [08:10] Markus: im rl ist das aber anders, da arbeite ich unter mit menschen und lebe so real wir möglich [08:10] Idem Duobus: ok das heißt du trennst das strikt? [08:11] Markus: das sollte man dringlichst tun, oder man wird abuse träume sollte man real verarbeiten, nicht sichtbar machen versuchen sonst gestaltest du bald deine träume nach bedarf und das ist nicht sinn des natürlichen. Markus Nutzung von SL verdeutlicht, dass SL, strikt getrennt vom realen Leben und der ersten Persönlichkeit, genutzt werden kann, um sich selbst neu zu erfinden und Dinge auszuprobieren. Jedoch verweist Markus zum Ende der Befragung darauf, dass er nicht versucht, Träume die im realen Leben unerfüllt bleiben, in SL „sichtbar“ zu machen und auszuleben. Er sieht hier drin eine Gefahr, dass ansonsten Träume nach Bedarf gestaltet werden und sich somit zum Künstlichen hin entwickeln. Ein weiteres Beispiel für diese Hypothese stellten wir selbst dar. Wir, Jennifer, Stefanie und Christina kreierten einen männlichen Avatar mit dem Namen Idem Duobus (lat. Identität zwei). Obwohl wir alle drei weiblichen Geschlechts sind, gaben wir uns im Second Life Netzwerk als jungen sportlichen Mann aus.

4.2.2 Die extended real-life Hypothese Im Unterschied zur idealized virtual-identity Hypothese, besagt die extended real-life Hypothese, dass soziale Netzwerke im Internet als erweitertes soziales Umfeld wahrgenommen werden, in welchem die Nutzer ihre realen Persönlichkeiten gegenüber anderen Nutzern offenlegen. Informationen, die zuvor im realen privaten Umfeld mitgeteilt wurden, werden auch innerhalb der sozialen Netzwerke kommuniziert. Dazu gehören private Gedanken, Bilder der eigenen Person und das soziale Interaktionsverhalten generell. Diese Theorie sieht die Motivation zur Nutzung sozialer Netzwerke darin, dass die reale Persönlichkeit kommuniziert wird (vgl. Ambady, Skowronski, 2008). 12


4. Second Life Nach dem wir in Second Life keinen Menschen getroffen haben, der uns ein Bild aus seinem realen Leben zeigt, haben wir uns auf das soziale Netzwerk facebook konzentriert und zwei Nutzerinnen, die sowohl Mitglieder von facebook, als auch von Second Life sind ausfindig gemacht: Annika und Christina (Namen geändert). Ohne mit ihnen befreundet zu sein, hat man Zugriff auf ihre Profile, Fotos und gelikte Seiten. Ihr Profilbild stellt jeweils ein Bild ihres jeweiligen Avatars aus Second Life dar.

Abb. 2: Annikas facebook Profilbilder Der Vergleich von Annikas Real Life und Second Life Bildern zeigt, dass ihr Avatar ihrem realen Aussehen ähnlich sieht. Annikas Avatar ist eine dunkelhäutige Frau mit mittellangen schwarzen Haaren und großen Brüsten. Sie wirkt sehr erotisch. Auf dem Bild, das ihre reale Person abbildet, präsentiert sich Annika ebenfalls sehr sexy. Sie ist nur mit einem Handtuch bekleidet und schaut lasziv in die Kamera. Zusätzlich bekommt der Betrachter den Eindruck, dass der Avatar Annikas reales Alter wiederspiegelt. Annika gibt des Weiteren private Dinge aus ihrem Leben bekannt. Ihrem facebook Profil ist zu entnehmen, dass sie seit dem 28.11.2011 in einer Beziehung mit einem Mann ist.

Abb.: Christinas facebook Profilbilder 13


4. Second Life Auch bei Christina ist eine große äußerliche Ähnlichkeit vorhanden. Dem facebook Bild zu urteilen ist Christina knapp 19 oder 20 Jahre alt, hat schwarze lange Haare und ist gepierct. Ihr Avatar ist, soweit man das anhand der Bilder beurteilen kann, im selben Alter. Außerdem hat auch der Avatar dunkle lange Haare und ist ähnlich gepierct und geschminkt wie Christina. Die Art und Weise wie Annika und Christina Second Life in Bezug auf ihr Äußeres nutzen, verdeutlicht, dass SL seinen Nutzern die Möglichkeiten zur Vertiefung ihres real geführten Lebens bereitstellt. Dies erfolgt nicht nur auf rein äußerlicher Ebene (Christinas ähnliches Piercing), sondern auch auf der Wirkung gegenüber anderen Personen (Annika wirkt in RL wie auch in SL sexy und erotisch).

4.3 Vom Medienhype zur Geisterstadt Schwungvolles Wirtschaftswachstum in beiden Welten war die Hoffnung von Unternehmen, die in der virtuellen Welt „Second Life“ (vgl. SPIEGEL 2007a) Filialen eröffneten. Viele reale Firmen wurden durch die mediale Aufmerksamkeit motiviert und überboten sich damals geradezu darin, ihre Präsenz bei „Second Life“ auszubauen (vgl. Amann/Martens 2008: 255). Unternehmen wie BMW, Beate Uhse AG oder Adidas sahen Second Life als innovatives Marketing-Tool, um neue Potenziale für ihre Produkte innerhalb der 3D-Welt zu ergründen (vgl. ebd.). BMW schaltete Werbung und Adidas verkaufte Schuhe (vgl. CHIP 2010). Aus gutem Grund: Marktforscher sagten „Second Life“ eine große Zukunft voraus und prognostizierten, bis Ende 2011 würden vier von fünf Internet-Nutzern ihr künstliches Abbild durch die Kunstwelten steuern. Doch macht eine Probefahrt in einem virtuellen BMW wirklich Spaß, wenn die Grafik miserabel ist? Viel ist von dem damaligen Hype im heutigen „Second Life“ nicht mehr zu sehen (vgl. FOCUS 2008b). Viele Firmen haben sich auf Grund stetig sinkender Nutzerzahlen wieder zurückgezogen und ihre Repräsentanzen einfach leer stehen gelassen (vgl. SPIE-GEL 2007a) - „Nische statt Massenmarkt“ (FOCUS 2009). PR-Analysten bestätigen, dass es sich um eine zu geringe Reichweite für Werbetreibende handelt (vgl. SPIEGEL 2007a). Bei einst neun Millionen registrierten Nutzern ist nur noch ein kleiner Teil online (vgl. Billhardt 2007). Diese Befunde wurden durch unseren Selbstversuch, als Avatar I14


4. Second Life dem Duobus die Welt von Second Life zu erkunden, nur bestätigt. Schnell entwickelte sich die Erkenntnis darüber, dass die enorme Zahl an registrierten Nutzern, nur sehr wenig über die Zahl der aktiven Nutzer der 3D-Welt aussagt (vgl. ebd.). Nach dem Einloggen erscheint die Anzahl der Nutzer, die zurzeit in Second Life und in den verschiedenen Städten online sind (vgl. Frickel 2007). Im Vergleich zu den angeblichen Registrierungen belaufen sich diese auf eine sehr geringe Anzahl. Der Focus (2007) bestätigte, dass viele Besucher nach ihrem ersten Besuch der 3D-Welt so enttäuscht waren, dass ein erneutes Ausprobieren und Erkunden nicht in Frage kam. Verwaiste Städte, leere Einkaufszentren und kaum ein aktiver Avatar, mit dem es möglich war in Kontakt zu treten waren die Folge. Weite Landstriche sind mittlerweile fast unbevölkert (vgl. Amann / Martens 2007: 263) und gleichen einer Geisterstadt. Doch nicht nur die Problematik leerer Städte innerhalb von Second Life, auch die vielen technischen Fehler und schlechte Grafik dämpfen den Spaß, die virtuelle Welt zu erkunden. Nicht nur der Selbstversuch, auch eine intensive Recherche durch diverse Foren von Second Life zeigt, dass der Client nicht fehlerfrei läuft und Serverabstürze nicht von Seltenheit sind. Ständige Fehlermeldungen, abgebrochene Verbindungen beim Teleportieren in andere Städte setzen dem Spiel, in dem einem eigentlich alle Möglichkeiten offen stehen, Grenzen. Frei schwebende Pixel, halbfertige Städte oder Häuser, die in der Luft stehen, wirken nur wenig attraktiv auf den User. Hochgerüstete Spiele auf dem Computer, auf der Xbox 360 oder der Play Station 3 stellen die pixelige Grafik von Second Life deutlich in den Schatten (vgl. Frickel 2007). Ein weiteres Problem ist die hohe Eintrittsschwelle zu Second Life und anderen Online-Welten, da hier gewisse Fertigkeiten erlernt werden müssen, um sich in diesen Welten zurechtzufinden (vgl. Amann / Martens 2007: 269). Dies ist auch bei Second Life ein immer wiederkehrender Faktor, da das Zurechtfinden in der virtuellen Welt und deren Handhabung zu Beginn eher kompliziert erscheint und somit abschreckend wirkt. Viele Nutzer haben kein Interesse daran, viel Aufwand zu betreiben, zu lernen und kreativ zu sein, um als anerkannter Nutzer zu gelten (vgl. Schleufe 2009). Auch der Versuch das dazugehörige Second Life Magazin im Markt zu etablieren, um weitere Nutzer ins Internet zu locken scheiterte nach wenigen Monaten. Es sollte als Schnittstelle zwischen der realen und der virtuellen Welt dienen (vgl. Second Life 2007) und sollte den User an die Hand nehmen und an die neue Welt heranführen. 15


5. Ende des Versteckspiels Doch wer, der noch nie in Second Life war, möchte ein Heft darüber kaufen? Nicht nur das fehlende Interesse der Leser, auch der Copypreis von 3,99 Euro war zu hoch. Somit bestätigte sich die Meinung vieler Kritiker, die dem Magazin nie eine große Zukunft zugesagt hatten (vgl. Voß 2008). „Der Hype um die virtuelle Welt ist vorbei – tot ist Second Life deshalb aber noch lange nicht. Second Life ist in der nüchternen Realität angekommen“ (Schleufe 2009). Der Avatar scheint zu einem Wegwerfprodukt zu werden (vgl. ebd.). Die Nutzerzahlen sinken stetig, während soziale Netzwerke wie Facebook & Co. prächtig florieren (FOCUS 2008a). So schnell „Second Life“ groß geworden ist, so zügig hat die Begeisterung der Besucher auch wieder nachgelassen. Stattdessen haben sich Hunderte Millionen Computerbesitzer den sozialen Netzen wie facebook zugewendet. „Second Life“ wird somit niemals das „First Life“ ersetzen. Schließlich können nicht alle menschlichen Bedürfnisse virtuell befriedigt werden.

5. Ende des Versteckspiels Jeder dritte Mensch weltweit besitzt mittlerweile einen Facebook-Account. Das soziale Netzwerk ermöglicht es Menschen auf der ganzen Welt schnell und einfach in Kontakt zu treten. Vergleicht man die Nutzerzahlen zischen Facebook und Second Life, wird schnell deutlich, dass Facebook mit ca. 845 Millionen aktiven Nutzern (vgl. stern 2012) die unangefochtene Spitze der Online-Communities ist. Jede Woche kommen ca. eine Millionen neuer Nutzer dazu (vgl. ebd.). Während die Welt von Second Life einen virtuellen Weltuntergang erlebt (vgl. Schleufe 2009), wächst die Facebook-Welt mit großem Andrang. Facebook hat die Kommunikation binnen weniger Jahre deutlich verändert (vgl. stern 2009). Mittlerweile nutzt jedes zweite Unternehmen das soziale Netzwerk als aktiven Kommunikationskanal nach außen, um sich zu präsentieren (vgl. Kroker 2010). Eine Studie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz kam zu dem Ergebnis, dass die Nutzer von sozialen Netzwerken ihren Profilen mehr Ausdruck der eigenen Persönlichkeit verleihen (vgl. sueddeutsche 2009), ohne eine künstliche Identität hinter einer Maske (vgl. Casati, Rebecca / Matussek, Matthias / Oehmke, Philipp / Uslar, Moritz 2007) zu schaffen (vgl. sueddeutsche 2009), wie es in Second Life der Fall ist. 16


6. Fazit Es geht somit nicht darum, ein Ideal der eigenen Person zu präsentieren und sich hinter einem Avatar zu verstecken, sondern durch eine Vielzahl an Informationen ein genaues Bild der Identität des Profilinhabers zu erhalten (vgl. ebd.). In Second Life hingegen ist auf den ersten Blick nicht klar zu bestimmen, mit welcher Art von Nutzer man gerade in Kontakt tritt, da es dort möglich ist, in jede Gestalt zu schlüpfen - egal ob männlich oder weiblich. Unser Selbstversuch bestätigt diese These, da auch wir in der realen Welt eine weibliche Identität besitzen, uns innerhalb von Second Life jedoch eine künstliche Identität als männlicher Nutzer unter einem Pseudonym geschaffen haben. Das öffentliche Präsentieren von Informationen auf Profilen sozialer Netzwerke fördert laut einer Studie das Vertrauen auch mit fremden Personen schnell in Kontakt zu treten, da sich der Nutzer schon vorab ein genaues Bild der Person durch dessen Profilinformationen machen kann (vgl. ebd.). Die Anonymität ist in Facebook weitaus geringer als in Second Life, da sich die meisten Nutzer dort mit ihrem richtigen Namen anmelden (vgl. sueddeutsche 2011). „Das Internet ist längst nicht mehr das ganz andere, sondern ein Teil der Realität. Die Leute wollen sich nicht verstecken, sie wollen gefunden werden. Und wer etwas gelten will, tritt wie im echten Leben mit Namen auf“ (vgl. Dworschak 2011). Identität bildet sich somit nicht nur in der Kindheit und Jugend aus, sondern ist als lebenslanger Prozess angelegt, der sich durch gesellschaftliche und subjektive Anforderungen immer wieder verändert und weiterentwickelt (vgl. Höfer/Straus 2008: 202). Auch wenn sich viele Identitäten von Second Life abgewandt haben, so bilden sie sich in anderen Netzwerken neu und entwickeln sich weiter.

6. Fazit Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass unsere Integration in einer Gesellschaft stärker in der realen Welt als in der virtuellen Welt ausgeprägt ist. Schuld daran ist die Anonymität des Internets: Internetnutzer haben die Möglichkeit, persönliche Informationen und sonstige private Details vor anderen Nutzer zu verheimlichen. Die Anonymität und Geheimhaltung führt dazu, dass der Kontakt zu anderen Internetnutzern oftmals nicht über bloßen Small-Talk hinaus geht und sich somit nur ober17


6. Fazit flächliche Freundschaften entwickeln. Lediglich auf „special-interest“ Seiten können andere Nutzer „Freunde im Geiste“ finden, die die gleichen Interessen haben. Aber auch hier muss gesehen werden, dass die gleichen Interessen nur im realen Leben existieren und lediglich über das Internet ausgetauscht werden. Es muss also eine gewisse Bereitschaft zur Weitergabe persönlicher Informationen aus dem realen Leben vorhanden sein, um im Internet Freundschaften zu knüpfen. Die Umfragen, Experteninterviews, sowie auch der Selbstversuch in Second Life bestätigten dies. So ist die virtuelle Identität immer an die reale gekoppelt und kann nicht losgelöst von dieser gesehen werden. Second Life, welches auf dieser Abkopplung des virtuellen Lebens vom realen Leben zielte, ist heute eine Geisterstadt mit nur wenigen aktiven Nutzern. Eine vielfältige Gemeinschaft sieht anders aus. Netzwerke wie facebook, die auf der Verbindung zwischen realer und virtueller Identität basieren, erleben einen Boom: Immer mehr Internetnutzer wollen keine gespaltenen Identitäten, sondern der Trend geht Richtung Patchwork Identität. Abschließend lässt sich sagen, dass virtuelle Gemeinschaften keinen Einfluss auf die Integration in reale Gesellschaften haben. Vielmehr sind sie als Kommunikationsmittel für die reale Gemeinschaft und als Erweiterung derer zu sehen.

18


Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis Bücher Trippe, Rebecca (2009): Virtuelle Gemeinschaften in Online-Rollenspielen. LIT, Berlin.

Sammelbände Straus, Florian / Höfer, Renate (2008): Identitätsentwicklung und soziale Netzwerke. In: Stegbauer, Christian/ Häußling, Roger (Hrsg.) (2008): Netzwerkanalyse und Netzwerk-Theorie. Wiesbaden.

Zeitschriften Amann, Rolf & Martens, Dirk (2008): Synthetische Welten: Ein neues Phänomen imWeb 2.0. Ergebnisse einer explorativen Grundlagenstudie am Beispiel von „Second Life“. Media Perspektiven, 5, S. 255-270. Ambady, N., & Skowronski, J. (Hrgs.). (2008): First impressions. New Guilford. In: Back, Mitja D., et a. (2009): Facebook Profiles Reflect Actual Personality, Not Self-Idealization. Zugriff am: 10.01.2012 von URL: http://www.simine.com/docs/ Back_et_al_PSYCHSCIENCE_2010.pdf. Manago, A.M., Graham, M.B., Greenfield, P.M., & Salimkhan, G. (2008): Selfpresentation and gender on MySpace. Journal of Applied Developmental Psychology, 29, 446– 458. In: Back, Mitja D., et a. (2009): Facebook Profiles Reflect Actual Personality, Not Self-Idealization. Zugriff am: 10.01.2012 von URL: http://www.simine.com/docs/ Back_et_al_PSYCHSCIENCE_2010.pdf.

Internetquellen Billhardt, Sonja (2007): „Second Life“. Philip Rosedale im Interview. Vom 03.07.2007 http://www.focus.de/digital/games/second_life/tid-6740/second-life_aid_65229.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. Casati, Rebecca / Matussek, Matthias / Oehmke, Philipp / Uslar, Moritz (2007) Virtuelle Welten. Alles im Wunderland. Vom 26.06.2007 http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-52058402.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. CHIP (2010): Second Life: Das Hype-Produkt liegt im Sterben. Vom 11.06.2010 http://www.chip.de/news/Second-Life-Das-Hype-Produkt-liegt-imSterben_43328714.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. Dworschak, Manfred (2011): Im Netz der Späher. Vom 10.01.2011 19


Literaturverzeichnis http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76229521.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. FOCUS (2007): Studie. Second Life enttäuscht die Spieler. Vom 31.05.2007 http://www.focus.de/digital/games/second_life/studie_aid_58858.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. FOCUS (2008a): Second Life. Ein Jahr nach dem Hype. Vom 29.01.2008 http://www.focus.de/digital/games/second_life/second-life_aid_235629.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. FOCUS (2008b): „Second Life“. Gescheitertes Marketing-Experiment. Vom 30.04.2008 http://www.focus.de/digital/games/second_life/second-life-gescheitertes-marketingexperiment_aid_298491.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. FOCUS (2009): Virtuelle 3-D-Welten. Zweite Chance für Second Life und Co. Vom 19.10.2009 http://www.focus.de/digital/games/second_life/virtuelle-3-d-welten-zweite-chancefuer-second-life-und-co-_aid_445979.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. Frickel, Claudia (2007): Second-Life-Hype. Zehn Irrtümer über die virtuelle Welt. Vom 24.07.2007 http://www.focus.de/digital/games/second_life/tid-5536/second-lifehype_aid_53676.html Letzter Zugriff: 10.04.2012. Kroker, Michael (2010): Soziale Netzwerke. Wie Unternehmen auf Facebook & Co. um Kunden buhlen. Vom 14.05.2010. http://www.wiwo.de/erfolg/trends/soziale-netzwerke-wie-unternehmen-auf-facebookund-co-um-kunden-buhlen/5154680.html Letzter Zugriff am 15.03.2012. Second Life Info (2007): Partner: SLM - Das Second Life Magazin - Erste Printausgabe über die zweite Welt. Vom 11.11.2007 http://www.second-life-info.de/sl/second-was-oder-das-abenteuer-ein-magazin-zumachen/ Letzter Zugriff: 10.04.2012. Second Life Image Video: Was ist Second Life? URL: http://secondlife.com/whatis/?lang=de-DE Letzter Zugriff am: 29.03.2012. SPIEGEL (2007a): Internet. Geizige Avatare. Vom 23.07.2007 http://www.spiegel.de/thema/second_life/ Letzter Zugriff: 10.04.2012. Schleufe, Markus (2009): Second Life Virtueller Weltuntergang. Vom 04.12.2009 20


Anlage: Daten Online-Umfrage http://www.zeit.de/digital/games/2009-12/second-life-untergang Letzter Zugriff: 10.04.2012. stern (2009): Social Media: Wie das Facebook-Prinzip ins Büro einzieht. Vom 09.04.2012 http://www.stern.de/digital/online/social-media-wie-das-facebook-prinzip-ins-bueroeinzieht-1672571.html Letzter Zugriff am 15.03.2012. stern (2012): Hintergrund. Facebook in Zahlen. Vom 02.02.2012. http://www.stern.de/news2/aktuell/facebook-in-zahlen-1781443.html Letzter Zugriff am 15.03.2012. Süddeutsche (2009): Identität in sozialen Netzwerken. Echte Menschen auf Facebook. Vom 19.11.2009. http://www.sueddeutsche.de/digital/identitaet-in-sozialen-netzwerken-echtemenschen-auf-facebook-1.126786 Letzter Zugriff: 10.04.2012. Süddeutsche (2011): Debatte über Online-Identität Das Netz muss Anonymität zulassen Vom 03.08.2011. http://www.sueddeutsche.de/digital/debatte-ueber-online-identitaet-anonymitaet-imnetz-darf-nicht-verschwinden-1.1127377 Letzter Zugriff: 10.04.2012. Voß, Jochen (2008): Insolvenz. "Second Life Magazin" vorerst eingestellt. Vom 08.07.2008 http://www.dwdl.de/nachrichten/16638/second_life_magazin_vorerst_eingestellt/ Letzter Zugriff: 10.04.2012.

Anlage: Daten Online-Umfrage Das komplette Datenblatt der Online-Umfrage mit allen Fragen und anonymisierten, zusammengefassten Ergebnissen kann unter http://www.identity2punkt0.de/wpcontent/uploads/2012/02/Umfrageergebnisse.pdf heruntergeladen werden.

21


Anlage: Daten Online-Umfrage Hiermit versichern wir, dass wir die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt haben. Die aus fremden Quellen wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken sind als solche gekennzeichnet. Diese Hausarbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.

-------------------------------------------------Ort, Datum

-----------------------------------------------------Unterschrift 22


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.