f e h l | v | e r s u c h e

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fehl|v|ersuche Dokumentation eines Experiments Hanna Priemetzhofer





Fehler entstehen, wenn etwas von einem Medium in ein anderes Medium transferiert wird: Von einer Sprache in eine andere Sprache, vom Gedanken zum verschriftlichten Wort, vom .mov zum .avi, vom Screen zum Gedruckten, vom Digitalen ins Analoge … Man kann das als Effekt (künstlerisch) nutzen, indem man den Fehler bewusst übertreibt – einen Satz von der einen in eine andere, in eine weitere, und wieder und wieder übersetzen (am allerbesten noch mit Translator-Tools wie Google Translator). Video-Artefakte nach zu viel Codierungen … Aber ist es dann noch ein Fehler? Das Deutsche Institut für Normung definiert Fehler als einen "Merkmalswert, der die vorgegebenen Forderungen nicht erfüllt" bzw. als "Nichterfüllung einer Anforderung". Wenn ich bewusst Fehler mache, dann ist das also eigentlich kein Fehler mehr?

Wenn mein Ziel der Fehler ist, so ist der Fehler meine Anforderung – da die Definition von Fehler aber die Nichterfüllung einer Anforderung ist, darf ich also keinen "Fehler" machen … Heißt das also, dass ich Fehler nicht bewusst erzeugen kann? Dass ich mich demnach auf die Suche nach bereits vorhandenen Fehlern machen muss?


Ich möchte mich auf die Suche nach Fehlern begeben und sie in einen anderen Kontext setzen. Mein Fokus hierbei liegt im Printbereich. Ich sammle alles, was Ausschussware ist, weil irgendetwas "falsch" ist. Eine Verschiebung der Druckplatten, Restfarbe, leere Tintenpatronen … Ich sammle also Produkte technischer Probleme, technischer Fehler. Durch meine Entkontextualisierung und Inszenierung versuche ich dem ursprünglichen Fehler eine neue Bedeutung zu geben. Mein aktiver Part in dieser Versuchsanordnung ist a) das Sammeln von gemachten Fehlern b) die Entkontextualisierung und Inszenierung der gesammelten Fehler. Ich verändere/bearbeite den "Fehler" nicht, versuche lediglich durch Skalierung, den gewählten Ausschnitt und die fehlende ursprüngliche Anforderung (bspw. makelloser Bilddruck in einem Hochglanzmagazin) den Wert des Gefundenen zu verändern und zu steigern.


Wenn ich einen Fehler aus dem Kontext hebe, ist es dann noch ein Fehler?

Wenn ich nicht weiĂ&#x;, was die Anforderung ist, sehe ich auch den Fehler nicht.



Kann ich einen Fehler zu etwas ganz Wertvollem machen?


17.04.2012 Telefonat mit Druckerei 01 (Hr. G.). Ich erkläre ihm kurz mein Projekt und bitte ihn mir Fehler, die im Druckalltag passieren aufzuheben. 23.04.2012 6,2 km Fahrrad Druckerei 01: ich hole mir die ersten Fehldrucke ab. Herr G. instruiert den Druckerei-Chefs bewusst Fehler zu produzieren & aufzuheben. Dieser meint: "Für was isn das? Für die Kunst? Ja, für die Kunst immer gerne!" Hr. G. & der Druckerei-Chef erklären mir, dass die Fehlerquote mittlerweile ziemlich niedrig ist, da die Maschinen immer besser werden. Bekomme Tipps von Hr. G. an welche Druckereien ich mich noch wenden könnte, wer ev. noch alte Drucker verwendet. danach: Uni -> scannen – hochauflösend, um Details groß aufskalieren zu können 24.04.2012 Iris vermittelt mich mit einer Freundin, die Probleme beim Plotten hat, diese sagt: "Des einen Freud, des andren Leid" Gut, das Projekt muss ins Laufen kommen! wie komme ich zu meinen Fehlern? Ich muss Druckerein anrufen / anschreiben!!


25.04.2012 "Bitte um Unterst端tzung bei Semesterprojekt" e-mail an: - Druckerei 02 - Textildruckerei - Druckerei 03 - Druckerei 04 - Druckerei 05 - Zeitungsdruck - Druckerei 06 - Druckerei 07 - Druckerei 08 - Druckerei 09 - Druckerei 10

> meldet sich > melden sich NO RESPONSE > melden sich > melden sich > meldet sich NO RESPONSE NO RESPONSE NO RESPONSE NO RESPONSE NO RESPONSE

telefonisch am 27.04. > Termin am 09.05. per mail am 02.05. per mail am 24.05. gleich -> Termin 10.05. am 11.05. -> hinterlegt Sammlung

Ich liebe es projektbedingt mit Menschen zu kommunizieren, die man ohne dieses Projekt nie kennelernen w端rde.

In meiner imagin辰ren Menschensammlung befinden sich bereits viele Drucker / Menschen in Druckereien. Einige dieser Connections kann ich f端r dieses Projekt gut gebrauchen. Durch dieses Projekt kommen aber auch neue Drucker in meine Sammlung.


9.5.2012 15:30 Druckerei 02 48 km Auto Franziska begleitet mich. Ich verfahre mich – wir brauchen länger (und fahren mehr Kilometer). Wir kommen "zu spät". Die Arbeiter verlassen die Druckerei, als wir ankommen. Der Chef ist noch da und durchsucht mit mir die Druckerei. Ist zwar nett, aber ich habe das Gefühl, ich hätte mehr Dinge bekommen können, wäre ich zur richtigen Zeit gekommen. 10.5.2012 14.00 Druckerei 04 – Druckerei 01 – Spontanbesuch Druckerei 11 – Uni 21,4 km Fahrrad Druckerei 04: ich habe die Strecke definitiv unterschätzt! nicht unbedingt fahrradtaugliche Strecke, Voestgelände, ich komme mir sehr klein vor und ich schwitze wie ein Schwein als ich ankomme. In der Druckerei hängen überall Motivationsschilder, so was find ich immer komisch. Mein Ansprechpartner lässt mich kurz warten, daher studiere ich die Schilder "Wenn ich einem Kollegen ein Projekt übergebe frage ich ihn geduldig und höflich nach seiner Aufmerksamkeit" oder so. Der Typ führt mich in den Druckerbereich, dort treffe ich auf den Drucker-Chef. Dieser hat schon ein paar Dinge für mich zur Seite gelegt. Fehler sind sehr minimal – wir müssen teilweise sehr genau suchen. Wir reden über Fehler. Ich bitte sie, ob sie mir nicht noch mehr Fehler aufheben können. Mal schaun. Druckerei 01: die bewusst produzierten Fehler sind geil – er hat mit einem Tuch über die Druckplatten gewischt. Schaut gut aus, leider ist das Ursprungsbild sehr unästhetisch – könnte man sicher als Effekt gut einsetzen. Ich habe mir in Summe etwas mehr erwartet. Ist auch nicht so schlimm, da es ja gegen mein Prinzip geht: bewusst produzierte Fehler sind ja eigentlich keine Fehler mehr. Druckerei 11: meinen, dass sie nichts haben. whatever. Uni -> Scannen, hochauflösend – ich steh total auf die verschobenen Farbstreifen, ganz groß reingezoomed …


14.5.2012 Zeitungsdruckerei ich hole mir die Drucke ab, die mir Hr. H. hinterlegt hat. Ich werfe einen kurzen Blick in die Box – der Inhalt sieht sehr vielversprechend aus. Ich habe meinen Lieblingsfehler gefunden! Ich rufe ihn an, um mich a) zu bedanken und b) in Erfahrung zu bringen, wie dieser "Fehler" zu Stande kommt. "Das passiert beim Andruck, wenn die Farbe noch nicht gut auf den Walzen verteilt ist". nice. 15.5.2012 Wir warten auf Tina. Ich zeige Anna & Somayeh meine Zeitungs-Funde. Im Gespräch klären sich für mich einige Dinge. Das sind Tageszeitungen, Tageszeitungen werden jeden Tag in einer sehr hohen Auflage gedruckt, d.h. jeden Tag entstehen Bilder, wie diese, die jeden Tag genau so weggeschmissen werden … Ich sollte mehrere Tageszeitungen anschreiben um von einem Tag die Andrucke zu bekommen, dann mach ich eine Ausstellung mit den Datum des Tages … Schnellebigkeit, Wegwerfprodukt, was sind Fehler …

"ich kuratiere Fehler"

Bin mir unsicher, was ich mit meinem Zeitungs-Fehlerfund nun machen soll. Daher beginne ich zu scannen. Das scheint mittlerweile ein gewisses Muster zu verfolgen – stecke fest in einem Prozess – also scanne ich … Scannen als eine Angst vorm Verlust. Bin zufrieden mit den Ergebnissen, verliebe mich in Details. Aber es macht noch keinen Sinn. Diese Fehlerfunde einzuscannen um sie dann wieder auszudrucken ist ein Weg zu viel. Sie wurden schon mal ausgedruckt – daher kommt auch der Fehler. Warum soll ich eine weiter Maschine benutzen, ich muss also etwas mit dem Original machen. Aber ich habe Angst, das Ding zu zerstören. Der "Fehler" ist für mich schon sehr wertvoll geworden. Ich nehme ihn jetzt auch mit nach Hause – bis jetzt war er im von mir eingerichteten Fehlerdepot an der Uni. Ich bin nicht paranoid, aber ja – jemand könnte das auch schön finden und mitnehmen.


Woher kommt nun dieser plötzliche Wert? Das Ding ist für mich ja schon lange kein Fehler mehr. Wie kann ich einen Fehler sichtbar machen? Eigentlich müsste ich, um das zu tun einen Moment einfrieren, den Moment des Fehlers konservieren. Will ich das? Oder will ich eigentlich doch den Mehrwert von Fehlern zeigen. Ich habe ein Image, das durch Maschinerie entstanden ist. Menschen haben keinen direkten Einfluss auf dieses Image. Es entsteht – es ist ein Prozess-Schritt im Arbeits-Ablauf. Wahrscheinlich arbeiten gerade Menschen an der Verbesserung dieser Maschinen, um diesen Prozess-Schritt wegzurationalisieren … Es tun sich gerade mehrere Gedankenstränge auf. Ich muss mich im Moment für einen entscheiden – und dann für den anderen.


Gedankenstrang 01: Massenmedium – visuelle Überflutung – Wegwerfprodukt Massenmedium – Maschinenfehler als Routine – wird jeden Tag produziert & weggeworfen (keine Aufmerksamkeit, andere Bewertung) – ZUFALL: Herr H. nimmt zufällig genau diesen Andruck – dieser wird für mich wertvoll!! ich habe Angst ihn zu verlieren / zu zerstören – daher Scan (Verlustangst) – daher Angst sie weiter zu verarbeiten. Wert durch Exklusivität! > würde ich jeden Tag diese Andrucke bekommen wären sie für mich wohl auch weniger wertvoll als diese wenigen Originale, die ich momentan besitze.

Gedankenstrang 02: Maschinenkunst – wegrationalisieren – Bilder retten Gedankenstrang 03: Maschine muss erst warm laufen – wie die Zeit nach dem Aufstehen beim Menschen


ich habe:

(MASSEN-) PRODUZENTin

= Ding, das permanent produziert

SCOUT

= Mensch, der von mir instruiert wurde mir "Fehler" zu sammeln. > pickt mehr oder weniger ZUFÄLLIG aus einer großen Masse einen Teil > macht mir eine auswahl zugänglich > UNIKATE!!

KURATORIN

= ich > ich reduziere die Auswahl auf Grund von ästhetischen Merkmalen auf wenige exemplare


Wenn ich eine Kuratorin bin, dann ist die Maschine die K端nstlerin.


Wert durch:

+ EXKLUSIVITÄT der Zugänglichkeit

+ UNIKAT

einer Maschine, deren Ziel es ist idente Kopien zu erzeugen > Maschine tut das Gegenteil ihrer eigentlichen Bestimmung …

+ Ästhetik


maschine, die für eine Massenproduktion gebaut ist. Ziel der Massenproduktion = möglichst idente Kopien zu erzeugen = diese Maschine produziert am Anfang des Arbeits-prozesses unikate fehlerhafte Anfangs-Phase des Arbeitsprozesses (weil die Maschine noch nicht eingear-beitet ist) = Produzent von Unikaten, die zufälligerweise einen ästhetischen Wert besitzen, den ICH inszeniere. unikat = einzigartig "Im Kunsthandwerk und in der Kunst allgemein sind fast alle von Menschen erstellten Anfertigungen einzigartig. Eine Einzigartigkeit entsteht oft schon alleine durch kleine Beeinflussungen in der Technik, die der Mensch nicht im selben Maß gleichförmig ausführen kann wie beispielsweise eine Maschine. Der Begriff Unikat betont gegenüber einer Massenware die Besonderheit und den gesteigerten Wert des Einzelnen, das durch Kunstfertigkeit oder Zufall entsteht." MASCHINE = arbeitet GLEICHFÖRMIG ANDRUCK = maschine arbeitet noch nicht 100% gleichförmig > dadurch entstehen "Fehler" = Unikate


Kontrapunkt massenmedium vs. unikat


30.05.2012 Ich schreibe mit 2 Druckereien. Habe einen Termin verschwitzt – ich dachte es war Donnerstag 16:00, doch es war Dienstag 16:00 – und heute ist Mittwoch. Versuche einen neuen Termin für morgen zu bekommen, das geht leider nicht > Montag 16:00 geht. Textildruckerei ist ab nächster Woche 3 Wochen auf Betriebsurlaub, davor haben sie keine Zeit für mich. Ich versuche sie zu überreden, sie kommen mir entgegen > sammeln Fehler für mich, die ich abholen kann. Werden morgen vormittag telefonieren. Was fehlt ist das Konzept. wie visualisiere ich den Prozess meines Experiments? Wie mache ich den Fehler und dessen Aufwertung sichtbar / begreifbar? Ohne dabei "didaktisch" oder plakativ zu sein. Ich will ja nicht "nur" den "schönen Fehler" inszenieren – ich will ja den Prozess zeigen. Oder eigentlich beides. Ich habe den Kontrapunkt Massenmedium vs. Unikat. Der Kontrapunkt erzeugt Spannung. Wie zeige ich das? note to myself: die Druckerein müssen anonym bleiben!


Ich mache selbst einen Zeitung! Ich würde am liebsten eine Zeitung drucken lassen – Inhalt der Zeitung ist die Geschichte meiner Fehl|v|ersuche = Andruck auf meiner Geschichte! = Andruck ist meine Geschichte = zeigt Fehler und Prozess in einem = vereint Produkt und Prozess. Ich zeige den Prozess-Schritt, der eigentlich immer ausgeblendet und entsorgt wird. PROBLEM: MONEY > SEHR TEUER . nur das Konzept präsentieren? oder Sponsor suchen? > Mail an Hr. H. – Frage ob ich bei Andruck dabei sein darf + Andruck mitnehmen + filmen – Frage nach billigster Zeitungsvariante Inszenierung der Andrucke als Zeitungstapel (ca. 1,4 m hoch) – ganz oben liegt der Andruck > Fokus auf Fehler. Stapel visualisiert Zeitung als Massenmedium. ist das nötig? Zeitung IST ein Massenmedium per se – muss ich das noch zusätzlich (durch den Stapel) zeigen? … ZEITUNG IST EIGENTLICH KEIN UNIKAT. ZEITUNG IST EIN MASSENMEDIUM. (kurze Überlegung: ein Unikat reproduzieren lassen?) > neue Andrucke sammeln / das dokumentieren

Inszenierung der Zeitung als Zeitung (auf einem alten Caféhauszeitungshalter) > man blättert durch die "falscheschöne" Zeitung. Die Aufwertung des Fehlers passiert durch das Einspannen in den Zeitungshalter … ABER: ich finde die Fehler verlieren in der Masse ein bisschen ihren Charme. > vielleicht doch lieber Stapel > zu plakativ? Ich finde, verschieden österreichische Tageszeitungen nach deren Andrucken zu fragen zwar spannend, aber für mein Experiment nicht wirklich hilfreich. Es geht ja nicht um die Erschaffung eines spannenden Kunstprojektes, sondern um meine Erfahrung dabei. Die Challenge ist die Visualisierung des Fehler-Aufwertungs-Prozesses.



Experiment = Erfahrung machen Fehler = Erfahrung machen

Fehler = Erfahrung machen = Erfahrung = Ver채nderung

Die Gesellschaft hat Angst vor Fehlern, > die Gesellschaft hat Angst vor Experimenten > die Gesellschaft hat Angst vor Erfahrungen, > die Gesellschaft hat Angst vor Ver채nderungen.


Experiment = Fehler oder Fehler = Experiment

Experiment


31.05.2012 vormittag – ich warte auf eine Antwort von der Zeitungsdruckerei. Ich telefoniere mit der Textildruckerei – machen uns einen Abholtermin für heute 16:00 aus. Ich checke ziemlich oft meine Mails, in der Hoffnung das sich Hr. H. vom der Zeitung bei mir meldet. öffentliche Verkehrsmittel – Bim & Öbb – 3,2 km Bim, 18 km Zug, 4km zu Fuss. Während ich im Zug sitze, ruft mich Hr. G. von der Textildruckerei an – sie müssen dringend weg, er hat mir ein Sackerl mit Fehlerbeispielen an den Zaun gehängt. Wir reden über Fehler – ihm gefällt mein Konzept, er bestätigt mich in meinem Denken, dass Fehler in einem Arbeitsprozess dazugehören, vor allem wenns um Handarbeit geht, sagt er. Ihm gefällt mein Ansatz, dass ich für mehr Akzeptant den "Fehlern" gegenüber bin, dass ich den "Fehler" aufwerten will. Ich wünsche ihm schönen Urlaub und er mir gutes Gelingen für mein Projekt. Ich spaziere zur Druckerei, "pflücke" das Sackerl vom Zaun und schlendere wieder zum Bahnhof. Muss 30min auf den Zug zurück warten. Schaue mir einstweilen die Druckbeispiele an. Hr. G. hat bei allen Beispielen mit Crepeband die Fehlerquelle gekennzeichnet. z.b. "zu viel Farbe" … Sehr süß! Allerdings sind die Fehler nicht so "reißerisch" wie die Zeitungsandrucke. Ich glaube so schnell kann das kein anderer Fehler toppen. Aber was mach ich nun damit. Das sind also Fehler, die jetzt wirklich nicht so leiwand ausschauen. Wie werte ich die auf? Der ästhetische Wert des Fehlers ist nicht sehr hoch, wie kann ich das fehlerhafte Produkt dennoch aufwerten? Aber – gehts mir überhaupt darum?

Ich muss doch nicht jeden Fehler retten …


Ich beschlieĂ&#x;e: ich bin keine Fehler-Retterin, ich bin eine Fehler-Kuratorin. Muss also eine Auswahl schaffen.


Was bedeutet Kuratorin eigentlich? > lat. curator = Pfleger,Vertreter,Vormund > lat. curare = Sorge tragen, sorgen um > lat. custos = W채chter

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Im Museumsbetrieb hat die Kuratorin die Verantwortung 체ber eine Sammlung, eine Ausstellung oder ein Projekt. Die Kuratorin (vom lateinischen curare = pflegen, sich sorgen um) oder Kustodin (vom lateinischen custos = W채chter) gestaltet Ausstellungen und/oder betreut Sammlungen in Institutionen, wie beispielsweise Museen.


Bin ich die Fehler-Pflegerin? Pflege ich Fehler? Pflege ich die Fehlerkultur? Ja, in gewisser Weise schon. Ich kümmere mich um die Fehler, die ich als schützenswert erachte und versuche diese zu retten und aufzuwerten! Ich betreue eine Sammlung – wieder bin ich Sammlerin, quelle surprise … Das liegt in meinen Genen. Aber ich pflege doch nicht alle Fehler. Ich kümmere mich nur um jene Fehler, die ich aus ästhetischen Gründen als pflegenswert erachte. Ich filtere also. Eine Wächterin entscheidet wer hineindarf und wer nicht – ich entscheide welche Fehler in meine Sammlung dürfen und welche nicht.


Ich bin


Sammlerin, W채chterin, Pflegerin von Fehlern. Kuratorin, Kustodin. Ein Filter.


01.06.2012 vormittag – Hr. H. ruft mich an wegen meines Mails. Ich könnte schon mal vorbeikommen um bei einem Andruck dabei zu sein. Er hat bedenken wegen des Filmens, da ich eigentlich nicht zu den Maschinen rein darf bzw. die Produktion auch nicht behindern darf. Ich versichere ihm, dass ich ohnehin mit wenig Equipment komme. Wir machen uns einen Termin für Dienstag 14:00 aus. Bezüglich meiner eigenen Zeitungsproduktion werden meine Vermutungen leider bestätigt: a) zu teuer (das ganze Maschinen einrichten und so kostet einfach wahnsinnig viel, selbst wenn die Auflage und die Seitenanzahl keine große ist – unter 1000€ werd ich das nicht bekommen) b) sie sind vollkommen ausgelastet (wegen der EM) und könnten meinen Auftrag, im Falle ich finde einen Sponsor ohnehin nicht drucken. Abend. Ich denke über mein Experiment, über mein Sammeln nach und was ich damit eigentlich will.

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Und genau das zeichnet den Zeitungsandruck aus – bei allen anderen gesammelten Beispiele sind die Fehler minimal. Sie werden spannend, in dem ich den Fokus auf den Fehler setze und ihn stark vergrößere. Das ist beim Zeitungsandruck alles nicht nötig – das was die Maschine hier in der "Aufwärmphase" produziert ist so weit weg von der Norm, dass es (für mich als Kuratorin von Fehlern) zu etwas eigenständigem wird.


Warum ist der Andruck der spannenste Fehler? Gut, der Kontrapunt, dass eine Maschine, die für die Massenproduktion von identen Expemplaren gedacht ist nun plötzlich UNIKATE produziert – dieser Kontrapunkt steigert die Span-

nung des Produkts. Das Ziel der Maschine ist idente Kopien zur Informationsvermittlung zu produzieren (= NORM) – dieses Ziel wird im Andruck nicht erreicht, der Druck ist unlesbar und daher wertlos.

Der "Fehler" wird umso spannender, je weiter weg er von der Norm ist – umso mehr Abweichung von der Norm umso weniger ästhetisierende Eingriffe (wie Skalierung) sind notwendig. Das Original ist wertvoll!


02.06.2012 da ich keine eigene Zeitung drucken kann, versuche ich die Zeitungen selbst nochmal zu bedrucken. Ich bemerke, dass der Andruck mit der meisten Farbe auf der Rückseite leer ist. Bietet sich also gut an, um das ganze nochmal zu bedrucken. Beschneide das Papier auf A4 und rede meinem Drucker gut zu. Es funktioniert. Ich mache ein Versuchsheft um für mich selbst herauszufinden, ob und wie das funktioniert. Das könnte also die Form meiner Dokumentation sein …

Ich bleibe im Medium. Das gefällt mir. 05.06.2012 Besprechung mit Tina. Ich zeige ihr das Heft und die Andrucke. Rede über meine Erkenntnisse, und über den steigenden Wert, den der ursprüngliche Fehler für mich bekommt. Das muss ich also irgendwie zeigen. Das Ding, das eigentlich in den Müll wandert so hochwertig wie nur möglich zu präsentieren. Ursprünglich wollte ich ja, das man den Andruck anfassen kann. Doch man darf Kunst nicht angreifen – zumindest meistens. Ich erinnere mich an einen Museumsbesuch aus meiner Kindheit, in dem ich diese Tatsache auch nicht ganz wahrhaben wollt und den Alarm ausgelöst habe. Ich muss also meine Funde "wegsperren" ? Auf einem Vitrinentisch präsentieren? … Ich will das Ding als Objekt präsentieren, soviel ist klar. Also kein Bild rahmen & das Medium so wenig wie möglich verändern. Was ich mache ist eigentlich Ausstellungsdesign.


14:00 in der Druckerei. Ich warte auf Herrn H., er kommt & wir gehen in den Bereich, indem alle blaue Arbeitslatzhosen tragen. Er stellt mich kurz dem Druckerchef vor – wir dürfen beim nächsten Andruck dabei sein, dauert ca. noch eine halbe Stunde bis alles fertig vorbereitet ist. Herr H. zeigt mir in der Zwischenzeit die verschiedenen Räumlichkeiten. Zeitungsdruck = Hochdruckverfahren, Platten werden belichtet. Im Keller befinden sich die Papierrollen – zufällig sind wir beim Wechsel einer Rolle dabei. Ziemlich komplex, das ganze – die Maschine muss schließlich durchrennen, ein Stop wäre fatal … Besonders gut gefällt mir die Halle, in der die Zeitungen hängend auf Schienen an der Decke durch den Raum transportiert werden – um zu trocknen und um dann weiter verarbeitet zu werden. Für den Andruck gibt es eine eigene "Leitung", sprich – die ersten Exemplare gehen einen anderen Weg (und zwar direkt in einen Papiermüll-Container) als der Rest der Produktion. Sobald die erste Zeitung korrekt gedruckt wird, wird die Weiche umgestellt und die richtigen Zeitungen werden weiterverarbeitet, verpackt, auf Paletten gepackt und verbreitet. Den Andruck wird nie jemand sehen … Der Drucker-Chef holt uns – es kann losgehen. Ich gehe mit den zwei Männern in die Halle, in der die Maschine steht. Unglaublich wie groß das Teil ist – 3 Stockwerke, Papierbahnen laufen kreuz & quer. Bin sehr beeindruckt, sogar ein bisschen nervös. Ich lerne also als Kuratorin gerade die Künstlerin kennen. Bin richtig aufgeregt. Vor allem weil ich Zeugin des

"Actual Acts" werde, weil ich sehe, wie das Werk entsteht! Die Walzen beginnen sich zu drehen – werden immer schneller – es wird immer lauter – jetzt kommt die erste Farbe – nach ein paar Sekunden hat sich die Farbe gut auf den Walzen verteilt und alles läuft wie es soll. Wir gehen an den Ort der Maschine, an dem die fertigen Zeitungen die Maschinerie verlassen und heben die ersten 20 Exemplare heraus. Wir retten also diese Unikate! Erstaunlich wie unterschiedlich gerade die ersten 5 Versionen aussehen … Ich frage den Druckerei-Chef ob sie mir in den nächsten Tagen immer wieder den Anfang der Produktion "retten" und aufheben können. Ich glaube, er findet mich lustig – jaja, das können sie schon machen. Ich verspreche ihm, mal mit einem Kuchen vorbei zu kommen. "Kuchen? hmmm …. a Leber-käs wär mir lieber!" Alles klar. Herr H. hilft mir die Kiste mit den Andrucken ins Auto zu tragen. Ich glaube, er freut sich, dass er mal das Haus verlassen kann – so schwer wäre die Kiste eigentlich nicht.


13.06.2012 Ich rufe Herrn H. an, ob ich mir die gesammelten Exemplare abholen kann. Er klärt schnell ab, ob die Männer tatsächlich für mich gesammelt haben – haben sie nicht. Ich bin etwas enttäuscht, die Zeit wird knapp … Herr H. meint er habe sie instruiert mir die nächsten Tage die Andrucke aufzuheben und er könne mir diese am kommenden Montag um 09:00 mit in die Stadt nehmen. "Aber ich habe Ihrem Kollegen einen Leberkäs versprochen …" – "Ach, das können Sie ja ein andernmal nachbringen." . Ich lasse ich überzeugen. 18.06.2012 Mittag – ich fahre mit dem Fahrrad in die Stadt um mir die Kiste mit den Andrucken abzuholen. Die Dame an der Rezeption meint, dass nichts für mich abgegeben wurde … Ich rufe Herrn H. an um nachzufragen – er hat vergessen die Kiste mitzunehmen. Ich ärgere mich & frage ob ich am Nachmittag vorbeikommen kann um sie mir abzuholen. Es ist irre heiß. Blöd. Auto organisieren. Ich bin gestresst. Kaufe Schoko-Pralinen im Xocolat. Das mit dem Leberkäse überfordert mich. 19.06.2012 Muss mir einen Plan für die Präsentation überlegen. Ich bin also die Kuratorin – wie werden die Exponate am besten inszeniert? Ich brauche Vitrinentische. Ich rufe im Schlossmuseum an, werde herumverbunden bis ich schließlich zu Herrn J. komme, der sich verantwortlich fühlt. Er bittet mich ihm ein e-mail zu schreiben. Das mache ich – nun warte ich auf eine Antwort. Ich will ihn auch nicht stressen, lasse blöd Zeit vergehen. 21.06.2012 Louis meint, dass sie eventuell in der Unit sowas haben. Das wär natürlich perfekt – müsst ich nicht aufwendig herumtransportieren. Oder im Fotolabor, in dem er arbeitet. Am Abend bekomme ich ein mail von Herrn J. – er habe recht ausführlich gesucht, sie haben keine Vitrinentische mehr. Das Ausstellungsdesign


habe sich geändert. Ich ärgere mich ziemlich, als ich erfahre, dass sie vor einem halben Jahr alle Tische verschenkt hat. Too late. Die Unit hat nichts für mich, das Fotolabor auch nicht. Ich bekomme ziemlichen Stress. Warum muss ich immer alles 5 vor 12 machen? Immer das selbe … 22.06.2012 Stehe bald auf und rufe in allen Museen und Galerien der Stadt an. Bin im Research-Telefonier-Modus. Ich mag das: mit Menschen reden, mit denen man eigentlich niemals ins Gespräch kommen würde. Werde verbunden, hänge in Warteschleifen, erkläre mein Anliegen. Das ist gar nicht so einfach. Die meisten großen Museen haben keine Vitrinentische mehr – Aber die Menschen, mit denen ich kommuniziere sind alle sehr hilfsbereit und freundlich. Fündig werde ich allerdings nicht. Im Nordico / Lentos ist die Ansprechperson nicht da – kommt erst am Dienstag (dem Tag der Präsenation) wieder. Bekomme die Handynummer des Restaurateurs und Werkstättenleiters. Den rufe ich über den Tag verteilt immer wieder an. Meldet sich nicht. Monday … Stifterhaus hat Vitrinentische, könnte ich mir am Montag anschauen. In der Landesbibliothek würden auch solche Tische stehen, die werde ich mir anschauen. Telefoniere, telefoniere, schmeiß mich aufs Fahrrad um mir die Tische in der Bibliothek anzuschauen. Sie sind zu klein. Fuck. What to do. Fahre zum alten Radhaus um im Museum Genesis zu fragen. Mittagspause. Ich warte. Um 14:00 frage ich nach, leider nix. "… Aber im Nordico!". Rufe abermals den Restaurateur an. Nix. Monday, monday .. Fahre auf die Uni um die Tische auszumessen. 80 x 160 – zur Not muss ich mir selber was zusammen basteln.


23.05.2012 Vorerst gebe ich mich meiner kuratorischen Tätigkeit hin. Ich breite die Exponate auf. Ursprünglich wollte ich die Doppelseiten zeigen, doch das erweist sich als gar nicht so gut, da beim Zeitungsdruck in der Mitte ja immer Einzelblätter liegen. Konzentriere mich also auf die Einzelseiten. Eigentlich auch wirklich besser so. Ich habe mittlerweile Serien von 5 Andrucken gesammelt. Ich beschließe nur eine Serie zu zeigen: die Serie vom 6.6.’12. Obwohl ich mich nicht aufgrund des Datums, sondern aus ästhetischen Gründen für diese Serie entscheide bin ich ziemlich glücklich über die Logik dieses Datums. Ich habe die Exemplare genau durch nummeriert – das ermöglich mir jetzt Exponate aus den ersten Exemplaren auszuwählen. Ich filtere, schaffe eine Auswahl, reduziere weiter – bis schließlich eine Auswahl von 8 Exponaten übrig bleibt: jeweils 2 Seiten der Exemplare 2 – 5. Die restlichen Exemplare staple ich übereinander – das ergibt einen schönen Verlauf. Vielleicht sollte ich den Rest der Serie als Stapel zeigen? Ich überlege mir einen leistbaren Plan B für die Tische. Lasse mich von Insektenvitrinen inspirieren – Vitrinen, in denen Raritäten aufgespießt & ausgestellt werden. Das passt doch gut! Was ich also brauche sind diese Rahmen und Nadeln, um die Exponate aufzuspießen. Obwohl ich am Anfang skeptisch war, beginnt mir diese Version der Präsentation immer besser zu gefallen.


24.06.2012 Ich layoute das Prozessbuch. Was noch fehlt sind die Beschreibungstexte, die neben den Exponaten liegen sollen. Durch sie soll mein Experiment und die daraus gewonnen Erkenntnisse verständlich gemacht werden. Dieses Buch dient nur der Dokumentation. Ich überlege wie ich die Präsentation gestalte. Soll ich die Ausstellung in der Rolle der Kuratorin eröffnen? Oder soll ich als Hanna mein Projekt vorstellen und über meine Rolle als Kuratorin erzählen? Bin mir darüber noch nicht ganz im Klaren. Außerdem zehrt es etwas an meinen Nerven, dass sich erst morgen herausstellen wird ob ich Vitrinentische bekomme (vom Nordico / Lentos) oder ob’s der Plan B wird. Präsentation ist übermorgen – ich sollte eigentlich zumindest mal das Prozessbuch drucken, doch das bringt mich in das Dilemma, dass ich dann den Prozess nicht mehr vollständig dokumentieren kann. Also muss das warten. 25.06.2012 08:35 – neuralgischer Zeitpunkt: ich versuche Hr. S. vom Nordico/Lentos zu erreichen. No Answer. So I have to deal with plan B. Auf zum Rahmenkauf!


Was sind nun meine Erkenntnisse, meine Erfahrungen? Was habe ich durch dieses Experiment "fehl|v|ersuche" gelernt? 1.

Ich habe meine Theorie durch mein Experiment best채tigt: ich kann Fehler durch Entkontextualisierung als etwas Wertvolles inszenieren. Ich habe im Laufe des Prozesses, auf Grund eines unerwarteten Fehlerfundes meine Regeln versch채rft: urspr체nglich habe ich es mir eingestanden, die Funde durch Skalierung zu ver채ndern. Nun arbeite ich mit dem Original.


2.

Ich habe herausgefunden, dass die Definition eines "Fehlers" auch das ist, was Fehler so interessant macht: es ist das Nichterfüllen einer Anforderung – das Abweichen von der Norm. Ich habe folgende Formel ausgearbeitet:

Je größer die Abweichung von der Norm, desto spannender der Fehler. Deshalb inszeniere ich nun den Fehlerfund, der sich am weitesten von der Norm entfernt hat: eine Maschine macht das Gegenteil ihrer Bestimmung – sie produziert unleserliche Unikate anstatt gut leserlicher Duplikate.

3.

Fixer Bestandteil meiner Versuchsanordnung war die Kooperation mit mehreren Druckereien, dies hat – wie erwartet – nur mehr oder weniger funktioniert: Menschen, zu denen bereits Kontakt bestand waren in Summe hilfsbereiter und furchtloser als Menschen, die ich erst im Zuge dieses Projektes kennenlernte. Trotzdem habe ich meine "Menschensammlung" um ein paar liebenswerte, hilfsbereite und auch ein paar kuriose Menschen erweitert.

4.

Bezüglich meiner kuratorischen Tätigkeit kann ich folgendes festhalten: ich habe erst lernen müssen, mich nicht zu viel "einzumischen" – anfangs wollte ich aus den gesammelten Fehlern etwas Neues schaffen; doch eigentlich geht es um die Inszenierung dessen, was da ist – und daraus wird letztendlich trotzdem etwas Neues.





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