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Aus- und Weiterbildung
Lernstoff Digitalisierung
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran – auch in der Grund- und Weiterbildung. Aktuell werden drei Projekte zu neuen Berufsbildern aufgegleist – mit unterschiedlichem Konkretisierungsgrad.
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Interview mit Ueli Stursberg, Erster Sekretär Handel Schweiz, Leitung Bildung
Wie wirkt sich die Digitalisierung des Handels auf die Berufsbildung aus?
Die Umwälzungen in der Branche machen sich in der Grundbildung je nach Lernort unterschiedlich bemerkbar. Im Lernort Betrieb werden die neuen digitalen Lösungen wie eine neue Software oder neue Prozesse unmittelbar erfahrbar. Die Lernorte Überbetrieblicher Kurs und Berufsfachschule sind nicht ganz so schnell. Die ÜKs haben den Auftrag, für alle Lernenden einen sinnvollen Unterricht zu bieten. Will zum Beispiel ein Lernender von einer neuen digitalen Lösung in der Firma berichten, so erhält er dafür den Platz im Unterricht. Das gilt dann natürlich auch für die anderen Teilnehmenden. Im Lernort Berufsfachschule herrschen noch einmal andere Bedingungen. Die Klassen sind grösser und die Vorgaben des schweizweit einheitlichen Lehrplanes strikter.
Wie weit ist die Digitalisierung in den Betrieben?
In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan. Doch die Bandbreite zwischen den Unternehmen ist immer noch enorm. In manchen bekommen die Lernenden am ersten Tag ihren Betriebslaptop in die Hand gedrückt. Das papierlose Büro wird mit Macht angestrebt. Andere sind noch sehr traditionell unterwegs.
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Unterricht aus?
Die Digitalisierung in den Firmen bekommen wir in den Überbetrieblichen Kursen unmittelbar zu spüren. Inzwischen bringen in jedem Kurs etwa 50% der Lernenden das Tablet oder den Laptop mit. Immer mehr Berufsfachschulen führen entsprechende Obligatorien ein. Im Zentrum steht jedoch der Transfer des Wissens. Das Gespräch steht im Vordergrund, nicht das digitale Gerät.
Wo eignen sich die Lernenden Software-Kenntnisse an?
In der Berufsfachschule werden die gängigen Software-Programme profund vermittelt. Viele Firmen verfügen inzwischen jedoch über Lösungen, bei denen die Arbeiten rechnerisch im Hintergrund erledigt werden. Lernende aus solchen Unternehmen kommen nur noch in der Schule mit den Grundlagen der Digitalisierung in Kontakt.
Wie machen sich diese Lernenden dann schlau?
In Unternehmen mit umfassender Software-Umgebung besteht für die Lernenden wie für die Ausbildner die Herausforderung, sich mit dem technischen Hintergrund zu befassen. Dieses Nach- und Mitdenken ist sehr kostbar. Solche Arbeitskräfte sind für den Arbeitsmarkt entsprechend wertvoll. Hier ist die Unterstützung durch die Unternehmen und die Aktivierung im Überbetrieblichen Kurs entscheidend. Auch die Berufsfachschulen arbeiten in Zukunft mehr in dieser Richtung.
Was heisst das für die Didaktik in der Ausbildung von Digital Natives?
Die jungen Leute werden digital anders sozialisiert als frühere Generationen. Insofern hat die Didaktik Änderungen erfahren. Am augenfälligsten sind die vielfältigen Möglichkeiten. Diese gilt es auszuprobieren. Durch die coronabedingten Umstellungen auf OnlineUnterricht haben wir in den vergangenen Monaten viele Instrumente intensiv ausprobiert. Die Bildungslandschaft hat in dieser Hinsicht sehr wertvolle Erfahrungen gesammelt. Andererseits zeigt sich jedoch auch, dass Präsenzunterricht ein sehr starkes didaktisches Format ist. Deshalb werden wir es in der Branche Handel weiter pflegen. Gewisse Teile des Unterrichts können jedoch sehr gut auch in anderen didaktischen Formaten abgehandelt werden. So lassen sich Effizienzsteigerungen und sehr gute Lernerfolge erreichen.
Entstehen mit der Digitalisierung im Handel auch neue Berufsfelder?
Es laufen Projekte mit unterschiedlichem Entwicklungsstand. Der Handel ist die Mutter aller kaufmännischen Branchen. Der Händler und der Kaufmann – das ist ein Synonym. Das zeigt, wie wichtig die Grundbildung für unsere Branche ist. Mit der Bildungsverordnung 2023 ist hier ein grosser Schritt geplant. Doch ein zentraler Teil der Ausbildung geschieht nach wie vor in den Firmen. Das ist das Kostbare an der dualen Ausbildung. Gleichzeitig werden Überlegungen angestellt, ob die wirtschaftliche Realität mit neuen Bildungsangeboten abzubilden wäre. Es gibt in der Grundbildung zwei Projekte: E-Commerce-Kaufmann und Digital Business EFZ. Hier wird aktuell der Bedarf seitens der Arbeitgeber geprüft. In der Schweiz besteht ein hoher Konsens, dass Grundbildungen möglichst generalistisch konzipiert sein sollen. Die jungen Leute mit KV-Abschluss sollen viele Möglichkeiten zur Weiterbildung haben. In diese Richtung geht ein Projekt, das auch Handel Schweiz sehr interessiert. Das ist die Weiterbildung zum E-Commerce-Spezialisten auf Ebene Berufsprüfung mit eidgenössischem Fachausweis.
Viele Betriebe mit E-Shops benötigen in dem spezifischen Bereich gut ausgebildete Mitarbeitende. Diese weisen zum Beispiel ein kaufmännisches EFZ wie auch Praxiserfahrung in einem Betrieb vor. Parallel holen sie sich in einem Bildungsinstitut das Know-how zu den verschiedenen Bereichen des E-Commerce und legen eine eidgenössische Prüfung ab. Das könnte für viele Betriebe ein Qualitätshinweis sein und somit die Attraktivität der Absolventen und Absolventinnen auf dem Stellenmarkt erhöhen.
In welchen Zeiträumen werden sich die drei Projekte konkretisieren?
Am weitesten fortgeschritten ist der E-Commerce-Spezialist mit der Berufsprüfung. Wir gehen davon aus, dass 2023 die ersten eidgenössischen Prüfungen organisiert werden. Der E-Commerce-Kaufmann EFZ und Digital Business EFZ stehen noch am Anfang des Weges. Der Bund ist zurückhaltend mit neuen Grundbildungen. Deshalb sind die Bedarfsabklärungen in den Betrieben zentral.
Bei der Berufsprüfung sieht es anders aus. E-Jobs gibt es seit Jahrzehnten. Diese Mitarbeitenden kommen aus verschiedenen Richtungen wie IT, KV, Detailhandel oder aus gewerblichen Berufen. Bis jetzt findet die Entwicklung oft über Learning by Doing statt. Diese Praktiker mit oft jahrelanger Erfahrung können sich nun in zwölf oder 18 Monaten die theoretischen Kenntnisse aneignen, um in gewissen Bereichen up-to-date zu sein.
KV-Reform ab 2023
Die Anhörung zur neuen kaufmännischen Bildungsverordnung wurde rege genutzt. Der Einführungszeitpunkt wurde auf 2023 festgelegt. Das SBFI führte bis April 2021 eine Anhörung zur neuen BiVo durch. Die Ergebnisse zeigen klar, dass die revidierte kaufmännische Grundbildung bei Kantonen und Dritten auf ein positives Echo stösst. Nach umfassenden Klärungen mit den Verbundpartnern und angesichts der erfolgreich angelaufenen Umsetzungsmassnahmen hat das SBFI entschieden, die Inkraftsetzung von Bildungsplan und Bildungsverordnung auf Lehrbeginn 2023 festzulegen. Mit diesem Vorgehen konnte die für alle Akteure der kaufmännischen Grundbildung erforderliche Planungssicherheit für eine erfolgreiche Umsetzung geschaffen werden.
Neue Aussenhandelsprüfungen ab 2023
Nach einem intensiven Entwicklungsprozess sind Prüfungsordnungen und Wegleitungen nun in «trockenen Tüchern». Die offizielle Vernehmlassung zu den neuen Prüfungsordnungen und -wegleitungen für die Aussenhandelsfachleute und -leiter hat zu keinerlei Einsprachen geführt. Sie werden vom SBFI plangemäss per 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt. Die Schulungsanbieter haben nun genügend Vorlaufzeit, ihre Lehrgänge auf die von der Wirtschaft formulierten Prüfungsanforderungen auszurichten: In der Berufsprüfung werden die Fachkenntnisse stärker gewichtet, in der höheren Fachprüfung sollen die Absolventen nicht nur Kenntnisse im Aussenhandel, sondern auch in Betriebswirtschaftslehre, Personalführung und ManagementKnow-how erwerben.