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Reportage über das kriselnde Hamburger Mode-Start-Up „Recolution“ erschienen im Magazin Impulse Nr. 4/2014 Seite 1/7

Mehrwert Was Geld BrinGt

Foto: Boris KumiČak

Finanzen l Recht l Steuern l Management

Brennstoff Dieses T-Shirt von Recolution wurde für das Foto angezündet. Ein Lagerbrand verursachte für die Firma mehr als 60 000 Euro Schaden


Reportage über das kriselnde Hamburger Mode-Start-Up „Recolution“ erschienen im Magazin Impulse Nr. 4/2014 Seite 2/7

Abgebrannt katastrophe Ein Feuer vernichtet fast die gesamte Kollektion der Modefirma

Recolution. Für die Inhaber beginnt der Kampf um ihre Existenz – ein Lehrstück

Text: Sebastian Grundke


Reportage über das kriselnde Hamburger Mode-Start-Up „Recolution“ erschienen im Magazin Impulse Nr. 4/2014 Seite 3/7

Mehrwert KAtAStrophen

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ie Zitterpartie beginnt mit einer Eine Vorbereitung auf den Tag X kann das Kurznachricht. In der steht: „Da Überleben sichern. Dazu gehört vor allem der brennt eine Lagerhalle in Hamm. Ich Schutz gegen finanzielle Risiken mit Versichehoffe, es ist nicht eure.“ Geschickt rungen. Ebenso wichtig ist eine durchdachte hat die Nachricht die Freundin von Robert Kommunikationspolitik in der Krise. Das Wichtigste: präzise Information. Und Diekmann. Der 31-Jährige sitzt an diesem Abend gemeinsam mit Jan Thelen, 32, im Büro zwar schnell. Oft zählt nach einer Katastrophe ihrer Firma im Souterrain eines stattlichen jede Minute, weil sich Ereignisse über SocialHauses im feinen Hamburger Stadtteil Har- Media-Kanäle wie Twitter und Facebook rasend vestehude. Gemeinsam hatten sie 2009 die schnell verbreiten. Möglichst rasch müssen Modefirma Recolution gegründet, ein Label für Kunden, Lieferanten und Finanzierungspartner ökologisch hergestellte Mode. informiert werden, um die Verunsicherung zu Aus der Lagerhalle im Hamburger Stadtteil reduzieren. Und Mitarbeiter sollten von PresseHamm schlagen Flammen, im Hintergrund fragen nicht überrascht werden, sondern vorsteigen dicke Rauchwolken auf. Über 150 Feu- her alle Fakten zum Ereignis kennen. erwehrleute, schweres Gerät und ein Löschboot sind bei dem Großbrand im Einsatz. Noch Besteht noch Hoffnung? Stunden später sind Rauchsäulen vom anderen Für die Recolution-Gründer ist das gar nicht Ende der Stadt zu sehen. Die Unternehmer ent- einfach. Zunächst wollen sie selbst herausfindecken im Internet Fotos von den, was genau passiert ist – und dem Brand. Sofort erkennen sie: ob nicht doch noch die Hoffnung Hier In dem Backsteingebäude sind besteht, dass einige Kleidungsverbrennt ihre Lagerräume. stücke den Brand überstanden ein Großteil von haben. Das Lagerhaus ist weitVier Jahre hatten sie gekämpft, sich am Anfang kein Gehalt geläufig. Außer Diekmann und dem, was wir zahlt und waren auf finanzielle Thelen haben verschiedene anhaben Unterstützung ihrer Familien andere Geschäftsleute Lagerfläche Jan Thelen Mitgründer gewiesen. Am diesem 18. Noangemietet. Auf rund 600 Quadvon Recolution vember 2013 steht auf einmal alratmetern sind unter anderem les vor dem Aus. 4000 KleidungsAutoteile, Matratzen und Kühlstücke mit einem Einkaufswert schränke untergebracht. Mittenvon 60 000 Euro – die komplette drin, in einem nur 20 QuadratWinterkollektion und ein Großteil des Stan- meter großen Verschlag, lagert die Ökomode dardsortiments – gehen verloren. „Hier ver- von Recolution. brennt ein Großteil von dem, was wir haben“, Sie rufen ihren Vermieter an. Der aber weiß sagt Thelen später in eine Fernsehkamera. wenig mehr, als aus den Medien zu erfahren ist. Die Gründer stehen vor den Trümmern ihrer Von einer Fahrt zum Unglücksort rät er ab. Existenz. Dann telefonieren sie mit der Feuerwehr. Die Der Fall zeigt, wie plötzlich Unternehmen kann auch keine genaue Auskunft über die Ausdurch eine – unverschuldete – Katastrophe in breitung des Feuers geben. Schließlich finden die Krise geraten können. Feuer, Hochwasser, die beiden Unternehmer auf Youtube einen von Hagelschäden oder Stromausfall können dazu einem Amateur aufgenommenen Film, der das führen, dass nicht mehr gearbeitet werden brennende Gebäude von der Elbseite zeigt – kann. Der Betrieb steht still, aber Mitarbeiter und damit ihren Lagerraum. Den Gründern und Lieferanten warten auf ihre Bezahlung, die wird klar: Für ihre Ware gibt es keine Hoffnung. Kunden auf bestellte Ware. Dann geht es um die Als Erste erfahren es die Mitarbeiter: eine Existenz. Rechnungen müssen bezahlt werden, Praktikantin, die ihre Uni-Abschlussarbeit über obwohl der Umsatz einbricht. Je länger die Recolution schreibt, und einige freie MitarbeiKrise andauert, desto prekärer wird die Lage. ter für die Internetseite und das Modedesign.

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Aufwendiger ist da schon die Kommunikation mit den Medien. Der Brand ist das größte Feuer, das Hamburg in den vergangenen Jahren erlebt hat. Die Presse stürzt sich auf das Thema. Einen Pressesprecher hat Recolution nicht. Als im April 2013 eine Textilfabrik in Bangladesch zusammengestürzt war und die Medien die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Branche thematisierten, redete meist Thelen mit den Journalisten. Die nannten die Firma gern als Beispiel dafür, dass es auch anders geht – weil die Kleidung von Recolution Siegel trägt, die den nachhaltigen Anbau der verarbeiteten Rohstoffe und faire Arbeitsbedingungen zertifizieren. Also ist es auch in diesem Fall Thelen, der sich mit den Reportern verabredet und zur Brandruine fährt.

Fotos: Michael Arning; Fotolia

„Wir sind noch relativ sprachlos“ Bei RTL läuft noch am Abend eine Sendung mit ihm. In dem Beitrag wirkt er erstaunlich gefasst. Ein schlanker junger Mann mit dunklen Haaren und dunklem Teint ist da zu sehen, der nüchtern und nicht ohne Charme vor laufender Kamera feststellt, dass seine Firma im Prinzip vor der Pleite steht, weil alle Lagerbestände verbrannt sind und er laufende Aufträge nicht mehr erfüllen kann.

Auf ihrer Website veröffentlichen die Gründer einen Text, in dem sie sich an ihre Geschäftspartner wenden. Darin schildern sie kurz das Geschehen und bitten um Nachsicht: „Wir sind noch relativ sprachlos“, schreiben sie, „daher kann es leider zu kleineren Verzögerungen rund um den Mailverkehr und Bestellversand kommen.“ Neben dem Text veröffentlichen sie auch den Youtube-Film vom Unglück, der die brennende Lagerhalle zeigt. Ein Fehler, sagt Christian Hanne, Experte für Krisenkommunikation. Er berät Firmen und Politiker in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Zu seinen Kunden gehört der lange in Russland inhaftierte Ex-Ölmagnat Michail Chodorkowski. „Auf dem Video ist ein Martinshorn im Hintergrund zu hören, und die ganze Zeit sind brennende Gebäude zu sehen“, sagt er. Das Video wirke auch wegen der unprofessionellen Machart reißerisch. Und nirgends werde klargestellt, dass bei dem Unglück keine Menschen ernstlich verletzt worden seien. Auch vermisst er weitere Nachrichten über den Umgang der Firma mit der Krise. „Wenigstens ein weiterer Text darüber, dass das Feuer gelöscht ist und das Unternehmen an der Lösung der Probleme arbeite, muss sein“, sagt er. Tatsächlich folgt auf der Website von Recolution auf den Text

Inferno 150 Feuerwehrleute kämpfen im November 2013 gegen das Feuer im Ham­ burger Stadtteil Hamm. Die Lagerhalle brennt komplett aus. Ernstlich verletzt wurde niemand.

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Ruine Von der Halle ist nach dem Brand kaum noch etwas übrig. Die Ware von Recolution ist zwar nicht komplett verbrannt, aber verrußt – und daher unver­ käuflich

über das Unglück einer über eine Verkaufsveranstaltung. Über die Löscharbeiten oder den Zustand der Lagerhalle, die nun nur noch ein Gerippe aus verrußten Stahlträgern ist, verlieren die Gründer dort kein Wort mehr.

Der Umsatz bricht ein Dabei warten nicht nur die Medien auf aktuelle Informationen. Auch Kunden und Lieferanten wollen wissen, wie es mit Recolution weitergeht. Unzählige Nachrichten erreichen die beiden Gründer in den Tagen nach dem Brand. Viele wollen helfen. Einige Kunden wollen offene Rechnungen priorisieren. Manche Lieferanten stunden freiwillig ihre Rechnungen. Unter den Nachrichten ist auch eine aus der Türkei – von jenem Produzenten, der im Frühjahr die Sommerkollektion liefern soll. Es heißt darin nur: „Der Vorfall tut uns sehr leid. Wir wünschen alles Gute.“ Thelen bedankt sich für das Mitgefühl – sonst nichts. Kein Verhandeln um Stundung kommender Rechnungen oder dergleichen. Der türkische Produzent nimmt es als Signal, ebenfalls Ruhe zu bewahren – und arbeitet weiter an der Sommerkollektion. Wie sie neue Ware bezahlen sollen, wissen die Hamburger zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Lediglich rund ein Viertel des

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Honorars hat der Produzent im türkischen Izmir als Vorschuss bekommen. Der Rest wird bei Lieferung fällig. Für diese Rechnung hatten Diekmann und Thelen die Gewinne aus dem Verkauf der Winterkollektion und dem Weihnachtsgeschäft fest eingeplant. Von beiden bleibt nach dem Brand fast nichts übrig. Reserven haben die Gründer kaum. Dafür wirft das Geschäft zu wenig ab. Und dafür war es ihnen zu wichtig, langsam und aus eigener Kraft zu wachsen, um sich keinen Investor ins Haus holen zu müssen. Und so haben sie das branchentypische Problem: die Winterkollektion finanziert die Sommerkollektion, die die nächste Winterkollektion finanziert. Floppt eine Kollektion oder bringt sie aus anderen Gründen nicht den erwarteten Gewinn, bricht das Geschäftsmodell in sich zusammen. Genau das droht Recolution nach dem Lagerbrand. Das Unternehmen steht fast ohne Umsatz da. Nachschub haben die Gründer nicht. Was in dem kleinen, an ihr Büro angeschlossenen Vertriebslager noch an beliebten Modellen dem Feuer entgangen ist, ist längst über den Onlinehandel rausgegangen oder von einem Laden nachgeordert worden. Was in Hamburg-Hamm lagerte, ist entweder verbrannt oder völlig verrußt und stinkt.

Fotos: Unternehmen; Fotolia

Reportage über das kriselnde Hamburger Mode-Start-Up „Recolution“ erschienen im Magazin Impulse Nr. 4/2014 Seite 5/7


Reportage über das kriselnde Hamburger Mode-Start-Up „Recolution“ erschienen im Magazin Impulse Nr. 4/2014 Seite 6/7

KAtAStrophen Mehrwert

Es dauert teilweise

Kurz überlegen die beiden halb ist das Unternehmen auf über ein Jahr, bis Gründer, die nicht verbrannte ein Entgegenkommen von Schäden von der Ware waschen zu lassen, um Kunden und Lieferanten angeVersicherung wiesen. Einige Rechnungen so wenigstens einen Teil der reguliert sind Nachfrage befriedigen zu köndürfen sie später bezahlen, Dieter Freigang GFS nen. Aber eine chemische Reiund manche Kunden zahlen Schadenberatung nigung verstößt gegen die Rechnungen von Recolution sofort. Zusätzlich müssen sich ökologischen Grundsätze der die Gründer rund 20 000 Euro Firma. Sie entscheiden sich dagegen. leihen, Freunde und Familie Deshalb hängt die Zukunft springen ein. der Firma nun davon ab, ob und wann die Im März 2014 hoffen Diekmann und Thelen Versicherung für den Schaden aufkommt. Und darauf, dass auch die Betriebsunterbrechung daran gehen viele Firmen kaputt. möglichst schnell von der Versicherung kompensiert wird. Dafür müssen sie allerdings erst Die Schadensregulierung dauert ihre Betriebswirtschaftlichen Auswertun„Es dauert sehr oft viele Monate und teilweise über ein Jahr, bis Schäden reguliert sind“, sagt Dieter Freigang, Experte für Schadensregulierung aus dem hessischen Bernkastel-Kues. Voraussetzung sei meist, dass die Ermittlungen zur aBsichern für den taG X Brandursache abgeschlossen seien. Und das Um im Schadensfall nicht vor der Insolvenz zu stehen, sollten Unkönne dauern. Denn Versicherer würden oft ternehmer sich umfassend versichern. Die wichtigsten Policen einen externen Sachverständigen einschalten. „Dadurch verlängert sich der Zeitraum nicht unerheblich“, sagt Freigang. Recolution aber Deshalb genau in den privaten hausrats­ Betriebshat Glück; die Ermittlungen sind zügig beenversicherungen richtet Vertrag schauen. unterbrechung det; Brandstiftung wird ausgeschlossen. sich die Deckung nach einem Feuer, Gebäude Auch deshalb bekommen Diekmann und selten nach der Größe hochwasser oder an­ Thelen relativ schnell Geld von der Versicheder Fläche, stattdessen Die Versicherung ist deren Katastrophen rung. Sie hatten bei der Unternehmensnach den Kosten der bricht der Umsatz oft pflicht für jeden, der gründung ein Versicherungspaket für rund Wiederbeschaffung komplett ein. Die eigene Gebäude 2500 Euro pro Jahr abgeschlossen. Was das (der Ware, Büro­ meisten Kosten laufen besitzt. Sie zahlt bei aber genau umfasst, das wissen die Gründer einrichtung oder weiter, auch liefer­ Schäden an Wand und nach dem Brand nicht sofort. Sie beauftragen Werkstatt). verträge müssen ein­ Dach, etwa durch einen Anwalt, der sich den Vertrag ganz genau gehalten werden. Des­ Brand, Blitzschlag, elementarschäden anschaut. Und fündig wird. Die Waren und halb empfiehlt sich Sturm oder hagel. Büroeinrichtungen von Recolution sind durch eine Betriebsunterbre­ Viele Assekuranzen Vermitteln lassen eine Inhaltsversicherung abgesichert, die Umchungsversicherung, haben policen im pro­ satzausfälle durch eine Betriebsunterbredie einen teil der gramm, die zwar gegen Versicherungsmakler Umsatzeinbußen und chungsversicherung abgedeckt. Der Anwalt Vulkanausbrüche, und unabhängige Ver­ Kosten kompensiert. Überschalldruckwellen sicherungsberater hel­ schafft ihnen so den nötigen Freiraum, um mit oder erdbeben absi­ fen bei der Auswahl Kunden und Lieferanten zu verhandeln. inhalte chern. Ganz normale der police. im Scha­ Im ersten Schritt erhalten die Gründer zuFeuer­ oder Wasser­ inhaltsversicherungen densfall verhandeln sie mindest den Einkaufspreis der verbrannten schäden sind bei die­ schützen alle beweg­ mit den Versicherun­ Ware von ihrer Versicherung, rund 60 000 Eusen Versicherungen lichen teile im Unter­ gen. Zudem haften sie ro. Das reicht aber noch nicht, um laufende nehmen. Anders als bei aber nicht abgedeckt. bei Falschberatung. Rechnungen und die neue Sommerkollektion beim türkischen Lieferanten zu bezahlen. DesApril 2014

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gen einreichen, um die Umsatzverluste nachzuweisen. Die Versicherung vergleicht die Zahlen dann mit denen des Vorjahres, als der Betrieb ohne Unterbrechung lief. „Zwischen 100 000 und 150 000 Euro hat die Firma durch den Brand dennoch verloren – doch das werden wir verkraften“, sagt Thelen. 57 Tage nach dem Brand, Mitte Januar, sitzt er hinter einem kleinen weißen Tisch in einer Messehalle in Berlin-Mitte. Wenn Interessenten vorbeigeschlendert kommen, springt er auf. Dann muss alles andere warten, und er zieht Sweatshirt, T-Shirt und Kapuzenpullover aus der Garderobe seines Messestandes. Darin sind die Kleidungsstücke aufgereiht, die im kleinen Vertriebslager im Büro der Gründer den Brand überstanden haben.

Notlager Die Kleidungsstücke in den Regalen ihres Büros konnten die Recolution­Gründer Robert Diekmann (l.) und Jan Thelen noch verkaufen

„Ein bisschen wie Liebeskummer“

In der Krise zählt oft jede Minute, um größeren Schaden abzuwenden. Wer sollte wann mit wem reden? Ein Überblick Schnelle reaktion Unternehmen sollten sofort reagieren, damit Gerüchte gar nicht erst entstehen. Aller­ dings sollten vorher möglichst viele infor­ mationen eingeholt werden, um nicht un­ vorbereitet von Fragen überrannt zu werden. Chefsache Je größer die Krise, desto hochrangiger sollte der Ansprech­ partner für die Medien sein. Ausnahme: trifft die Firma möglicher­ weise eine Mitschuld, sollten sich die Chefs aus öffentlichen De­

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batten heraushalten. reihenfolge erst sollten die Mitar­ beiter, dann die Kun­ den und lieferanten, dann die Bank und am ende die Öffentlichkeit informiert werden. Diese reihenfolge mit allen neuen informati­ onen einhalten. nicht lügen Wer falsche informa­ tionen verbreitet oder die Wahrheit nur stückweise zugibt („Salamitaktik“), der schadet der Firma. Über soziale netzwer­

ke verbreiten sich lü­ gen rasend schnell und schädigen das image. Keine Übertreibung Katastrophen, pannen oder Fehlverhalten nicht schlimmer dar­ stellen, als sie sind! Das beschädigt das Anse­ hen der Firma. Wer nur indirekt betroffen ist oder sich mit über­ zogenen Vorwürfen konfrontiert sieht, kann auch einfach nichts sagen. Authentisch bleiben Beim Krisenmanage­ ment sollten Unter­ nehmen sich selbst

Unterrm strich Das kleine hamburger Mode­ label recolution verliert bei einem Brand das ge­ samte lager. ohne Darlehen von Freunden hätten die Gründer ihre Firma wohl verloren.

Fotos: Unternehmen

reden – aBer richtiG

Erstmals widmet die Branchenschau „Fashion Week“ in diesem Jahr der Ökomode zwei separate Hallen. Hunderte Aussteller zeigen Produkte, denen ähnliche Standards zugrunde liegen wie jenen von Thelen und Diekmann. Doch die meisten Angebote – vom veganen Schuh bis zur recycelbaren Treckingjacke – richten sich an Frauen. Nur wenige Firmen bieten auch Mode für Männer an, wie sie Recolution auch im Programm hat. Während der Gespräche lächelt Thelen viel, macht Scherze, lässt seinen Charme spielen. Er zeigt Fotos, sammelt Visitenkarten ein und verteilt eigene. Es läuft gut. Die Kunden bestellen wieder, die neue Kollektion wird bald geliefert. Jetzt brauchen sie noch neue Lagerräume. Die sind in Hamburg nicht billig, zumal sie gern auch einen repräsentativen Showroom hätten. Mit der Suche aber lassen sie sich Zeit; ihre Ware bringen sie erst einmal auch anders unter. Ganz verarbeitet haben sie die erste schwere Firmenkrise noch nicht. „Es ist“, sagt Diekmann, „ein bisschen wie Liebeskummer.“


Interview mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger erschienen in der Sächsischen Zeitung am 28. November 2013 sowie in voller Länge auf der Internetplattform Planet Interview unter http://www.planet-interview.de/interviews/peter-bofinger/42863/

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Keine Angst vor Mindestlohn

Ergo-Versicherung droht laut Gewerkschaft mit Schließung in Leipzig

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ist überzeugt, dass selbst Arbeitgeber davon profitieren können. Herr Bofinger, warum sind Sie bei den Wirtschaftsweisen eigentlich der einzige Befürworter des flächendeckenden Mindestlohns? Von deutschen Ökonomen wird gerne so getan, als sei der Mindestlohn ein unüberschaubares Abenteuer. Dabei ist er längst internationaler Standard. Sowohl in eher sozialdemokratischen Ländern wie Frankreich als auch in eher marktliberalen Ländern wie Großbritannien oder den USA. Österreich wiederum hat zwar keinen Mindestlohn, aber absolut allgemeinverbindliche Tariflöhne und auch eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit.

Dresden. Im Leben muss man mit allem rechnen – mit diesem Satz begrüßt die Ergo-Versicherungsgruppe ihre Kunden auf der Internet-Seite. Der einzige Ergo-Verwaltungsstandort Ostdeutschlands muss nun mit der Schließung rechnen, so will es die Gewerkschaft Verdi aus dem Aufsichtsrat erfahren haben. Die 150 Stellen in Leipzig seien in Gefahr. Verdi-Sekretär Stefan Wittmann hat deshalb für heute eine Kundgebung vor dem Büro am Goerdelerring im Leipziger Zentrum organisiert. Es gibt Stollen unter dem Motto: „Es darf nicht unser letztes gemeinsames Weihnachtsfest sein“. Laut Wittmann hat der Ergo-Vorstand versucht, den Betriebsrat der Versicherungsgruppe zu erpressen: Entweder der Standort Leipzig werde geschlossen, oder 300 Angestellte im Hamburg müssten in eine tariflose Firma wechseln. Heute berate der Personalausschuss des Aufsichtsrats im Rheinland darüber, nächste Woche der Aufsichtsrat. Das Unternehmen bestätigte auf SZ-Anfrage nur die Sitzung und sagte nichts zum Inhalt. Leipzig gehöre unter den sieben Ergo-Verwaltungsstandorten zu den drei kleineren. Laut Verdi wurde der Standort schon von 250 auf 150 Angestellte verkleinert, Sachbearbeiter wurden zu schlechter bezahlten Telefonisten. Zu Ergo gehören auch DKV und DAS. (SZ/mz)

Die Kritik am Mindestlohn kommt vor allem aus dem Arbeitgeberlager, ein Argument lautet: Die Einführung brächte eine höhere Arbeitslosigkeit mit sich. Das ist Panikmache. Denn die Studien über die Effekte von Mindestlöhnen zeigen das einfach nicht. Zudem existieren auch in Deutschland bereits Mindestlöhne in bestimmten Branchen. In keiner dieser Branchen ist es nach der Einführung zu Beschäftigungsverlusten gekommen. Auch Großbritannien hat schon lange einen flächendeckenden Mindestlohn – und auch dort gab es keine höhere Arbeitslosigkeit in der Konsequenz. Dasselbe gilt für die USA. Aber könnte es nicht tatsächlich sein, dass der Mindestlohn Entlassungen nach sich zieht und die verbleibenden Arbeitnehmer die Arbeit der Entlassenen einfach mit erledigen, weil sie in der Lage sind, in derselben Zeit mehr Leistung zu bringen? Es ist eher umgekehrt: Nämlich so, dass selbst eher leistungsschwache Leute, wenn sie besser bezahlt werden, plötzlich motivierter und produktiver sind. Sie werden dadurch von ihrem Arbeitgeber mehr geschätzt, weil sie einen Mehrwert bringen – und werden nicht so schnell entlassen. Das legen jedenfalls Studien über die Einführung des Mindestlohnes in den USA nahe. Warum dann eigentlich das ganze Theater um den Mindestlohn? Das ist ein deutsches Phänomen. Hierzulande tun alle so, als ginge es beim Thema Mindestlohn um die Frage „Freiheit oder Sozialismus“. Das ist mitnichten so. In den USA und in Großbritannien, beides marktliberale Länder, wurde der Mindestlohn dagegen wenig diskutiert. Etwas Ähnliches war beim Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) der Fall: In anderen Ländern wird daran gearbeitet, wie man das Ganze noch verbessern kann, bei uns wird das EEG als Planwirtschaft verteufelt und mit dem Quotenmodell ein völlig anderer Mechanismus gefordert, der das Ende der Energiewende einläuten könnte. Mindestlohn und EEG haben eines gemeinsam: Sie greifen in Märkte – den Arbeits- respektive den Energiemarkt – ein. Dagegen wehrt sich die Wirtschaft. Ja. Aber eben in Deutschland im Besonderen. Weil wir in Deutschland tatsächlich eine sehr ausgeprägte Marktgläubigkeit haben. Die im Übrigen nicht vom Himmel gefallen ist, sondern gezielt verbreitet wird: etwa von der Initiative Soziale Marktwirtschaft, die von der Industrie stark gefördert wird. Oder vom Kronberger Kreis, einem marktliberalen Thinktank, der ebenfalls von der Industrie massiv unterstützt wird. Die Kapitaleigentümer sind inzwischen sehr effizient darin, ihr Marktdenken über diese Institutionen immer wieder in die Debatte zu bringen.

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SÄCHSISCHE ZEITUNG

Forderung erfüllt: Union und SPD wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen. Doch es existieren auch Gegenpole wie das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsund Sozialwissenschaftliche Institut, das zur Hans-Böckler-Stiftung gehört. ... ein Leuchtturm im Meer der anderslautenden Stimmen. Dessen Zahlen zeigen: In den meisten Branchen in Deutschland werden längst Stundenlöhne über 8,50 Euro gezahlt. Mehr Geld in der Tasche als zuvor hätten demnach vor allem Floristen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern sowie ungelernte Arbeiter überall in Ostdeutschland. Ist die Einführung des Mindestlohns da nicht Makulatur? Nein. Auch in anderen Bereichen wie der Hotelbranche gibt es noch viele Arbeitnehmer, deren Löhne unter 8,50 Euro pro Stunde liegen. Insgesamt können durch die Einführung des Mindestlohnes mehrere Millionen Arbeitnehmer profitieren. Besonders profitieren aber vor allem gering- oder gar nicht qualifizierte Arbeitnehmer... Ja natürlich, das ist logisch.

Vergleich zu den Arbeitnehmern haben und deshalb zu niedrige Löhne durchsetzen können. Diese Macht ist auch durch die Hartz-IV-Gesetze massiv gestärkt worden. Denn wenn ein Empfänger von Arbeitslosengeld II zu mir kommt, muss der bei mir einen Job annehmen, selbst wenn der Lohn nicht für den Lebensunterhalt reicht. Wenn er die Arbeit nicht annimmt, kann ich als Unternehmer der Agentur für Arbeit sagen: Ich habe dem einen Job angeboten – und der wollte nicht. Und dann bekommt der Hartz-IV-Empfänger Ärger. Das nutzen viele Arbeitgeber aus. Der neue Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer betont, „wer 8,50 Euro für alle verspricht, sollte ehrlich sagen, dass Beschäftigungssicherung auf dem heutigen Niveau oder gar Vollbeschäftigung damit nicht zu erreichen ist.“ Kramer ist der Ansicht, dass Langzeitarbeitslose in vielen Branchen und Regionen für staatlich verordnete 8,50 Euro keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt finden. Richtig ist: Selbst bei völlig flexiblen Löhnen wird es immer eine ganze Reihe von

Fotos: dpa

Leuten geben, die keine Jobs bekommen: Das sind die Langzeitarbeitslosen, die den Kern des Problems des Arbeitsmarktes ausmachen. Die kommen zwar auch durch den Mindestlohn nicht unbedingt leichter an einen Job. Aber für die verschlechtert sich auch nichts. Die Debatte um den Mindestlohn hängt auch mit der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich zusammen. Wie stehen Sie zu einer gerechteren Verteilung des Vermögens in Deutschland? Ich finde, ein Spitzensteuersatz von fünfzig Prozent ist durchaus vertretbar. Wenn jemand zwei Millionen verdient, warum soll er dann nicht die Hälfte an den Staat zahlen? Dagegen gibt es eigentlich kein Argument. Eine weitere Möglichkeit ist die Reform der Erbschaftssteuer. Denn Erben haben einen massiven Finanzvorteil gegenüber denen, die nicht erben. Das ist eine viel größere Ungerechtigkeit als die enorm hohen Einkommen bei wenigen. Dieser Vorsprung ist durch Arbeit uneinholbar. Das Gespräch führte Sebastian Grundke.

Und die sind nicht so zahlreich. Wäre es da nicht besser, das Geld in deren Weiterbildung zu stecken? Viele von denen sind jetzt schon 50 oder sogar 60 Jahre alt und haben nur noch vergleichsweise wenige Jahre zu arbeiten. Eine Lohnerhöhung hilft denen mehr – was zudem nicht ausschließt, dass man zusätzlich auch mehr Geld in die Bildung steckt. Ihre Fürsprache für den Mindestlohn leitet sich auch aus Ihrem volkswirtschaftlichen Verständnis ab. Sie betonen gerne die Nachfrageseite. Vereinfacht gesagt heißt das: Durch höhere Löhne erhöhe sich Kaufkraft, damit die Nachfrage und schließlich die Umsätze der Unternehmen, was für Wirtschaftswachstum sorgt. Das ist ein Grund. Ein weiterer ist, dass die Arbeitgeber die stärkere Marktmacht im

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TÜV-Prüfer sorgen sich um Sicherheit von Fahrstühlen München. Die Sicherheit von Fahrstühlen sollen Betreiber künftig selbst überprüfen können. Ein unabhängiger Check soll wegfallen. Tüv Süd hat große Bedenken angesichts dieser Entwürfe des Arbeitsministeriums. 2012 sei nur jeder dritte geprüfte Aufzug ohne Fehler gewesen, bei zehn Prozent der Anlagen habe es Sicherheitsmängel gegeben. Ein Prozent oder rund 4 600 Aufzüge hätten schlicht stillgelegt werden müssen. (dpa)

Ex-Siemens-Chef Löscher bekommt 17 Millionen Euro München. Der frühere Siemens-Chef Peter Löscher erhält nach seinem vorzeitigen Abgang von der Konzernspitze eine horrende Abfindung: knapp 15 Millionen Euro. Hinzu kommt eine Sonderzahlung zur Altersversorgung von gut 2,2 Millionen Euro, wie aus dem Geschäftsbericht des Elektrokonzerns für 2012/13 hervorgeht. Löscher hatte Ende Juli seinen Posten nach zwei Gewinnwarnungen innerhalb von nicht einmal drei Monaten und einem Machtkampf geräumt. Sein Vertrag wäre eigentlich noch bis 2017 gelaufen. (dpa)

Jetzt auch im Raum Dresden: Streiks im Einzelhandel Dresden. Heute werden Beschäftigte im Einzelhandel in verschiedenen Teilen Sachsen-Anhalts, im Raum Dresden, Gera, Erfurt und Südthüringen ihre Arbeit niederlegen. Am Montag hatten bereits in Leipzig Mitarbeiter von Netto, Kaufland Real und Amazon gestreikt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert rückwirkend zum 1. Juni für die Beschäftigten im Handel eine Erhöhung der Gehälter um einen Euro pro Stunde. (SZ)

Peter Bofinger, 49, ist Professor für Volkswirtschaft an der Uni Würzburg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

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Interview mit dem Internetpionier Michael Rotert erschienen in der Berliner Zeitung Nr. 155 am 8. Juli 2013 sowie in voller Länge auf der Internetplattform Planet Interview unter http://www.planet-interview.de/interviews/michael-rotert/35806/

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Berliner Zeitung · Nummer 156 · Montag, 8. Juli 2013

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Feuilleton/Medien

Schrottreif in sechs Monaten

N A C H R I C H T E N ❖ ProSiebenSat.1 zu teuer für Medienkonzerne

ARD begleitet Bundeswehr bei „Rückkehr aus dem Krieg“

Der ProSiebenSat.1-Anteilseigner Permira sieht derzeit kaum noch Chancen für einen Verkauf der Gruppe an einen Medienkonzern. „Ein strategischer Käufer ist zurzeit nicht in Sicht“, sagte Permira-Manager Götz Mäuser dem Nachrichtenmagazin Spiegel. ProSiebenSat.1 sei ein „Opfer des eigenen Erfolges“. Der Medienkonzern sei gemessen am Aktienwert derzeit mehr als sieben Milliarden Euro wert. „Die müsste ein Käufer komplett finanzieren können, weil er zu einem Übernahmeangebot an alle Aktionäre verpflichtet ist, sobald er mehr als 30 Prozent der Aktien erwirbt. Ich sehe zurzeit kein deutsches Medienunternehmen, das dazu in der Lage wäre“, sagte Mäuser. Die Finanzinvestoren Permira und KKR loten den Verkauf ihrer Anteile schon länger aus. Nach dem Ausstieg könnte der Konzern ein Kandidat für den deutschen Aktienindex Dax werden, wird seit einigen Monaten spekuliert. (dpa)

V ON T ORSTEN W AHL

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in letztes Mal verschafft der nördlichste Vorposten der Bundeswehr in Afghanistan einem Einheimischen einen lukrativen Job: Ein Spediteur darf das verpackte Kriegsgerät der Deutschen zum Lager Richtung Süden fahren. Nicht nur in Afghanistan sorgt der Rückzug der Truppen für gute Geschäfte: Russische und ukrainische Antonow-Flugzeuge sind für viel Geld im Einsatz, auch der Hafen im türkischen Trabzon lässt sich den Umschlag des Kriegsgeräts teuer bezahlen. Sabine Rau und Christian Thiels vom ARD-Hauptstadtstudio geben erhellende Einblicke in die internationale Militär-Logistik: Der lange Weg eines Transportpanzers vom Typ Boxer vom Norden Afghanistans bis ins ostsächsische Zeithain zeigt, mit welcher Gründlichkeit dieser Rückzug vollzogen wird. Doch natürlich listet diese Doku aus der Reihe „Die Story im Ersten“ nicht nur die immensen Kosten von „Elf Jahren Bundeswehr in Afghanistan“ auf, sondern fragt vor allem nach den Resultaten dieser Mission – von Erfolgen spricht ja schon lange keiner mehr. Die Bilder dieser Reportage ziehen ein eher düsteres Fazit. Nur sechs Monate, nachdem afghanische Streitkräfte das deutsche Camp Faisabad übernommen hatten, ist die Technik schon komplett außer Betrieb. Ob Fahrzeuge, Stromaggregate, Feldküchen oder Toiletten – nichts funktioniert mehr. Nur der Beachvolleyballplatz wird noch eifrig genutzt. ARD-Korrespondent Jürgen Osterhage, der vieleWochen vor Ort unterwegs war, gebraucht bei der Vorstellung des Films in Berlin den drastischen Begriff vom „Versanden“. Der Tonfall der Reportage wirkt zwar mitunter etwas arrogant, wenn er beschreibt, wie „afghanische Alltagswirklichkeit“ auf „solide deutsche Ingenieurkunst“ trifft und dazu einen hochgerüsteten Jeep zeigt, der von einer Ziegenherde aufgehalten wird. Der Export eines Operationszentrums wird gar mit den Worten kommentiert: „Damit kann kein Afghane etwas anfangen.“ Dennoch bleibt das millionenteure ungenutzte Medizin-Zentrum ein Beispiel dafür, wie gut gemeinte Projekte unvereinbar blieben mit den Realitäten vor Ort. Neben Bauern, die mit Mohnanbau zu beachtlichem Wohlstand gekommen sind und einer Handvoll Taliban-Kämpfer, die vermummt mit der Kalaschnikow herumfuchteln und die baldige Machtübernahme androhen, hat Korrespondent Jürgen Osterhage aber auch ermutigende Aussagen gefunden. So wird die Wolle einer Ziegenherde dank deutscher Technik tatsächlich zu Kaschmir veredelt. Vor allem junge Menschen, die Bildung erhalten oder ein Geschäft aufgezogen haben, stehen für ein neueres Afghanistan jenseits des islamistischen Fundamentalismus. Der junge Mann allerdings, der in der Bar der deutschen Truppen arbeitet, weiß genau, was ihn nach einer Rückkehr der Taliban erwarten würde – der Tod. Im Grunde müsste sein Weg nach Deutschland genauso gründlich geplant werden wie der Rückzug der Transportpanzer vom Typ Boxer. Rückkehr aus dem Krieg – Elf Jahre Bundeswehr in Afghanistan, 22.45 Uhr, ARD

D P A/ M AUR IZIO G AM B AR IN I

Soldaten laden einen Helikopter aus.

OKA PI A KG

Mit Glasfaserkabeln lassen sich schnell hohe Datenraten übermitteln. Abhörsicher sind auch sie nicht.

„Ey, hast du meine E-Mail bekommen?“ Internetpionier Michael Rotert über elektronische Auslaufmodelle, Datenklau und Drosselkom

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ichael Rotert hat am 3. August 1984 als erster Deutscher eine E-Mail empfangen – sie kam von Wissenschaftlern aus den USA. Heute, sagt der Internetpionier, sei die elektronische Post vom Aussterben bedroht. Zehn Jahre gibt er dieser Kommunikationsform jetzt noch. Und dann? Dann fassen sich die Menschen hoffentlich wieder kürzer und setzen nicht mehr jeden ins CC. Herr Rotert, Sie haben 1984 die erste E-Mail empfangen, die in Deutschland über das Internet übermittelt wurde. Wie viele bekommen Sie heute pro Tag? Es gibt Tage, da kommen die schneller rein, als ich sie beantworten kann. Da muss ich die Ansicht auf hundert pro Seite stellen, um den Überblick zu behalten. Ist die E-Mail zu einer Art Hintergrundrauschen verkommen? Sie ist vor allem ein Auslaufmodell. Wir haben mit E-Mails nie einen richtigen Umgang gefunden, die Mail war immer so ein Mittelding zwischen Sprache und Schriftverkehr. Eine eigene E-Mail-Kultur hat sich nie entwickelt. Aber das Medium wird viel genutzt. Aber wie? Es gibt statt einer Kultur eigentlich nur Unkulturen: Erstens die, jede mögliche und unmögliche Person in Kopie und Blindkopie zu setzen, damit auch ja alle Bescheid wissen. Um dann eine Viertelstunde später anzurufen und zu fragen: „Ey, hast du meine E-Mail bekommen?“ Das hat dazu geführt, dass bei einigen Firmen in Frankreich interne E-Mails verboten sind und die Leute angehalten werden, wieder persönlich miteinander zu reden. Die andere Unkultur sind natürlich die Spams und die damit verbundenen Gefahren für Rechner. Wann ist die Zeit der E-Mails abgelaufen und was löst sie ab? Ich denke, wir reden hier über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren und dass Short-MessageSysteme wie WhatsApp früher oder dominieren werden. Die lösen nicht nur die E-Mail, sondern auch herkömmliche SMS ab, zumal sie wie die E-Mail kostenlos sind. Im Gegensatz zur Mail bedürfen sie keiner langen Anrede – die Zeichenzahl ist in der Regel begrenzt. Deshalb hat sich bei der SMS ja eine eigene Kultur der Abkürzungen herausgebildet, geprägt vor allem von der Jugend, die ohnehin eine Sprache der Symbole und Abkürzungen pflegt und gerne Sprachfragmente verwendet. Auch ist es unüblich, Leute bei Kurznachrichten in Kopie zu setzen, da verläuft die Kommunikation eher Eins-zu-Eins. Zudem verführen Kurznachrichten – im Gegensatz zu Chats – nicht so sehr dazu, allen möglichen Kram zu versenden. Verschlüsseln Sie eigentlich Ihre EMails? Nein, ich verschlüssele nicht. Wenn wir bei Eco intern mailen, arbeiten wir mit einem Zertifikat. So

lässt sich erkennen, wenn an einer Mail manipuliert wurde. Wir verschlüsseln Dokumente, die über das Netz verschickt werden, aber nicht die Mails an sich. Ich selbst maile jetzt schon seit 1984. Früher haben wir uns einen Spaß draus gemacht und mit einer einzeiligen Mail zwei Seiten Buzz-Words mitgeschickt – weil man wusste, dass das abgehört wird. Das klingt pragmatisch. Doch der Normalbürger geht vermutlich nicht davon aus, dass Geheimdienste wie der BND einfach so Internetkommunikation anzapfen können. Ich gehe eher davon aus, dass der BND bei allen deutschen Providern dabei ist, die über Auslandsleitungen verfügen. Wer sich dafür interessiert und in der Materie ist, kennt die G10-Gesetze (zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, 2001 neu gefasst, die Red.) und die Telekommunikationsüberwachungsverordnung TKÜ, das alles wurde auch in der Presse diskutiert. Auf richterliche Anordnung dürfen Auslandsleitungen überwacht werden. Wenn ein Provider so einen Bescheid kriegt, muss er dem nachkommen. Wenn jetzt allerdings berichtet wird, dass die NSA in Deutschland direkt an einen Knoten wie den Frankfurter DE-CIX rangehen könnte, muss ich sagen: Das ist mit Sicherheit nicht so. Ist die Aufregung also übertrieben? Das Problem ist, dass all das, was in Orwells „1984“ steht, fast schon überholt ist. Unter Partnern und befreundeten Nationen dürfte es so etwas gar nicht gehen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch Wirtschaftsspionage betrieben wird – das ist für mich ein absolutes Unding! Glauben Sie, dass angesichts der aktuellen Enthüllungen die E-MailVerschlüsselung zunehmen wird? Ich hoffe es. Hoffentlich wacht auch die Software-Industrie auf und vereinfacht das Verfahren, damit es standardmäßig genutzt werden kann, und zwar eine Ende-zu-EndeVerschlüsselung (Daten werden auf Senderseite verschlüsselt und tatsächlich erst beim Empfänger wieder entschlüsselt; die Red.). Alles andere hat keinen Wert. Ein Hindernis ist: Der Absender braucht den Schlüssel des Empfängers, um ihm eine Mail zu schicken. Ja, aber stellen Sie sich vor: Wenn alle verschlüsseln, hätte das den positiven Effekt, dass das Mailaufkommen drastisch sinkt, weil plötzlich die Sache mit Spam nicht mehr so gut funktioniert. Was bringt eine Verschlüsselung, wenn ein Geheimdienst über Budget und Technik verfügt, mit der er selbst Unterseekabel anzapfen kann? Wenn Sie eine Milliarde Mails haben und für jede 14 Tage brauchen, weil der Schlüssel aufwendig ist, dann überlegt man sich das. Viele Blogger und Netzaktivisten zeigen sich enttäuscht und desillusio-

Z U R

P E R S O N

DPA/ULI DECK

Michael Rotert ist einer der versiertesten Internetexperten Deutschlands. Anfang der 70er-Jahre studierte er Informatik an der Hochschule Karlsruhe, seit 1981 ist er dort Lehrbeauftragter. Seit 1999 ist er Honorarprofessor für Informatik. An der Universität Karlsruhe leitete Rotert zu Beginn der 80er-Jahre das Rechenzentrum und errichtete den Internet-Mailserver mit der Kennzeichnung „Germany“. 1984 erhielt Michael Rotert die erste EMail, die je nach beziehungsweise in Deutschland verschickt wurde. Im Betreff stand: Wilkommen in CSNET. Das CSNET war eine Einrichtung der US-Universität Cambridge. Als Vorstandsvorsitzender des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft Eco tritt Rotert seit 1999 auch für die Interessen der Branche ein. Eco vertritt rund 600 Mitgliedsunternehmen. niert von den aktuellen Entwicklungen. Schwindet neben dem Vertrauen in die Regierungen jetzt auch das Vertrauen in das Netz? Ich glaube nicht, dass generell das Vertrauen in das Netz verschwindet, dafür sehe ich bisher zu wenig Aufregung. Beim Acta, dem Anti-Produktpiraterie-Abkommen, war der Protest beispielsweise viel größer. Das Vertrauen in die Regierung dagegen schwindet. Ich erinnere mich, wie damals die rot-grüne Regierung zurVorratsdatenspeicherung sagte: „Das kommt für uns nicht infrage.“ Dann war Wahl, es gab die große Koalition, und es hieß plötzlich: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“ Schon da ging viel Vertrauen verloren. Und wenn man heute sieht, wie einige Politiker immer noch glauben, das Netz bevormunden zu können, dann denke ich, dass das Vertrauen in das Know-How der Parlamentarier noch weiter leiden wird. Auch das in die Wirtschaft ist gestört. Großen Protest löste zum Beispiel die Telekom aus, als sie ankündigte, denjenigen Nutzern, die große Mengen an Daten empfangen, den Anschluss zu drosseln. Was halten Sie von diesem Plan? Rein wirtschaftlich ist nichts dagegen einzuwenden. In Großbritannien ist es schon immer üblich gewesen, eine Obergrenze beim Datenverkehr für die Nutzer zu setzen. Nur gehen die dortigen Provider mit

dem Mehrverbrauch in der Regel anders um. Sie drosseln in so einem Fall nicht, sondern sagen: „Wir teilen dir erst einmal mit, dass du mehr verbrauchst. Wenn das anhält, sagen wir dir das im zweiten Monat noch mal. Und ab dem dritten Monat bieten wir dir einen Tarif an, der etwas mehr Volumen umfasst. Oder du musst das, was du mehr verbraucht hast, nachzahlen.“ Das ist ein Modell, das ich mir auch für Deutschland gut vorstellen könnte. Ist das auch die Position, die Ihr Verband Eco vertritt? Wir im Verband sind der Meinung: Wirtschaftlich gesehen mag es richtig sein, wenn die Telekom nur zögerlich, wenn überhaupt, in Infrastruktur investieren will. Wenn der Bereich der Internetanschlüsse nicht mehr genügend abwirft, wäre es außerdem zulässig, dass man am Preis dreht. Das machen alle anderen auch so – siehe Autoindustrie oder Energiebranche. Wir halten jedoch die Ausgestaltung mittels Drosselung für extrem ungünstig, weil es einen Unterschied macht, ob man Preise anhebt oder Vielnutzer bestraft. Zudem können wir einer Ungleichbehandlung von Datenverkehr nicht zustimmen. Sollte es dazu kommen, werden wir auch in der Öffentlichkeit dagegen vorgehen. Solange es aber nur um höhere Preise geht, eher weniger. Das Kartellamt ist aufgrund der Drosselung hellhörig geworden. Die Telekom hat noch einen Marktanteil von etwa 40 Prozent. Das heißt, die Kunden können problemlos zu einem anderen Provider gehen, wenn sie sich dieses Vorgehen nicht gefallen lassen wollen. Etwas anderes empfinde ich als ein viel größeres Problem: Nämlich dass die Telekom sagt, Google beziehungsweise Youtube solle sich aus der Drosselung freikaufen. Das finde ich sehr, sehr bedenklich. Warum? Es kehrt das Prinzip des Netzes um. Bisher war es im Wesentlichen so: Der Empfänger bezahlt. Sprich: Sie bezahlen für Ihren Internetanschluss, und dann können Sie das, was das Internet bietet, auch frei nutzen. Ansonsten darf sich das Ganze nicht mehr Internet nennen. Geht es nach der Telekom, bezahlt der Sender künftig zusätzlich. Das ist das, was sie und andere ehemaligen Monopolisten der Branche bei der Tagung der ITU (International Telecommunications Union, Anm. d. Red.) im vergangenen Jahr gefordert haben. Im Juni wurde nun sogar bekannt, dass es in den USA offenbar bereits Usus ist, dass Anbieter wie Google, Facebook oder Microsoft Internetprovider bezahlen, um schnellen Zugang zu ihren Internetdiensten zu gewährleisten. Ein Grund zur Sorge? Allerdings, denn genau dadurch wird ein Aufbau ein Mehrklassensystems im Internet beschleunigt. Das Gespräch führte Sebastian Grundke.

In Berlin erscheinen 200 fremdsprachige Zeitschriften Rund 200 nicht-deutschsprachige Zeitungen, Zeitschriften und Mitteilungsblätter erscheinen einer Studie zufolge regelmäßig in Berlin. Die meisten davon würden auf Englisch, Russisch und Türkisch veröffentlicht, teilte der Verband fremdsprachiger Medien in Deutschland, die Internationale Medienhilfe, in Berlin mit. Das Angebot reiche vom Arab-Forum über den Exberliner und Russkij Berlin bis hin zu Orient Berlin, heißt unter Hinweis auf eine neue Verbandsstudie über „Fremdsprachige Publikationen in Deutschland“. Berlin ist den Angaben zufolge damit neben Frankfurt am Main der Haupterscheinungsort fremdsprachiger Publikationen für Einwanderer, Minderheiten, Touristen sowie ausländische Geschäftsleute und Wissenschaftler (epd)

Ulrike Folkerts hadert ein wenig mit „Tatort“-Image

DPA / PA TR I CK S E E G E R

Die Rolle als „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal ist für Ulrike Folkerts Fluch und Segen zugleich. „‚Tatort‘ schränkt einen ein, denn man hat ein Image über die Figur“, sagte sie der Rhein-Zeitung. „Auf der anderen Seite ist es auch ein festes Standbein: Ich drehe zwei‚Tatorte‘ im Jahr und mache nebenher noch andere Sachen, etwa am Theater. Dass ich so lange dabeibleibe, hab’ ich vor 20 Jahren natürlich nicht geahnt.“ Folkerts und ihr Kollege Andreas Hoppe haben am Donnerstag ihren neuen „Tatort“ vorgestellt. Der Krimi „Freunde bis in den Tod“ wird am 6. Oktober gezeigt. (dpa)

Castingshow „Got to Dance“ bekommt zweite Staffel ProSieben und Sat.1 werden eine zweite Staffel der Castingshow „Got to Dance“ produzieren. Man suche dafür neue Tänzer aus ganz Deutschland, sagte Moderatorin Johanna Klum. Das „Got to Dance“Finale am Freitag verfolgten 1,9 Millionen Menschen. Gewonnen haben das Casting zwei Dreizehnjährige mit einer lateinamerikanischen Tanz-Performance. (dpa)

TOP 10 Sonnabend, 6. Juli 1. Stubbe ZDF 2. Tagesschau ARD 3. Komm. Stolberg ZDF 4. ran Boxen Sat.1 5. Das Duell ... Sat.1 6. heute-journal ZDF 7. Die lange Welle ... ARD 8. Der Berdoktor ZDF 9. heute ZDF 10. RTL Aktuell RTL

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21% 20% 15% 16% 12% 12% 12% 15% 18% 18%

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Trendstück über Energiegenossenschaften erschienen in einer Beilage zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 7. Juli 2013 | www.seiten.faz-archiv.de | siehe unten links

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n – Werte im Wandel / 7. Juli 2013Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Verlagsspezial / Genossenschaften – Werte im Wandel / 7. Juli 2013

Nur Mut, Genossen Viele mittelständische Unternehmer suchen händeringend einen Nachfolger. Auf eine naheliegende Lösung kommen sie oft nicht: den Betrieb in die Hände einer Mitarbeitergenossenschaft zu geben.

Vo n s a r a h s o m m e r

der Region einen familienfreundlichen Job und förderte regionale Lieferanten. Die Mitarbeiterinnen verwendeten Bio-Produkte aus der Region, backten alle Kuchen selbst. „Diese Philosophie sollte auf jeden Fall erhalten bleiben.“ Waldera-Kynast fällte deshalb eine mutige, weil unübliche Entscheidung: Nicht ein Nachfolger allein sollte das Unternehmen übernehmen. Sondern gleich die gesamte Belegschaft. Die Mitarbeiterinnen gründeten eine Genossenschaft – und wurden Eigentümerin ihres Betriebs. „Die Genossenschaft war für uns die ideale Lösung, um das Café als Team weiterzuführen“, sagt Walburga Rombach, langjährige Mitarbeiterin und heute Teil des Genossenschaftsvorstands. „Es muss nicht eine allein die Verantwortung tragen. Jede bringt sich so ein, wie es ihre Zeit zulässt.“ Auch Zulieferer und Kunden unterstützten das Café, indem sie Genossen wurden.

senschaften bisher nicht auf dem Schirm, kritisiert Theurl. „Dabei kann die Genossenschaft unter bestimmten Voraussetzungen ein gutes Modell für eine Nachfolge sein.“ Nämlich dann, wenn es Mitarbeiter gibt, die das nötige Knowhow und die Risikobereitschaft mitbringen, um in die Unternehmerrolle zu wechseln. „Es muss ja nicht zwangsläufig direkt die ganze Belegschaft als Eigentümer einsteigen“, erklärt Theurl. „Drei Mitglieder reichen für die Gründung aus. Man kann also ähnlich starten wie bei einem klassischen Management-Buyout.“ Mit der gesamten Belegschaft sei es allerdings einfacher, die Finanzierung zu stemmen – schließlich muss der Alteigentümer ja ausbezahlt werden. Je nach Unternehmensgröße geht es dabei schnell um größere Summen. Nach und nach können die Gründungsmitglieder dann zum Beispiel die gesamte Belegschaft beteiligen. Wie beim Café zur Goldenen Krone können auch Geschäftspartner oder Kunden in die Genossenschaft eintreten. Aber ein solcher Prozess brauche Zeit, sagt Theurl. „Als Notlösung innerhalb weniger Monate ist eine Genossenschaft bei größeren Betrieben nicht zu verwirklichen.“ Die Übergabe an die Belegschaft will gut geplant sein. Anders als bei der relativ spontanen Übernahme des Cafés Goldene Krone hat Christel Weller in Berlin fast sechs Jahre lang daran gearbeitet, dass eine Übernahme durch die Belegschaft gelingt. Als Geschäftsführerin leitete sie ein 30 Mitarbeiter starkes Planungsbüro in Berlin. Der Eigentümer kündigte im Jahr 2006 an, dass er sich 2010 aus dem Unternehmen zurückziehen wollte – und dass er gerne an einen Mitarbeiter verkaufen würde. Geschäftsführerin Weller suchte nach einer Lösung, denn sie selbst wollte nicht kaufen, jedenfalls nicht alleine. Schließlich erreicht Weller 2016 schon selbst das Rentenalter. „Zehn Jahre früher hätte ich das vielleicht gemacht, aber so war der Zeitpunkt einfach schlecht.“ In anderen Planungsbüros hatten die Berliner außerdem beob-

Beate Waldera-Kynast ist kein Mensch, der vor Herausforderungen zurückschreckt: Als das 250 Jahre alte Grandhotel in ihrem Heimatort St. Märgen vor dem Abriss stand, weil sich kein Pächter für einen Gastronomiebetrieb fand, gründete sie 2004 kurzerhand ein Café in dem ehemaligen Klostergebäude. Gemeinsam mit einem Team von Mitarbeiterinnen aus dem örtlichen Landfrauen-Verein führte sie das Café zur Goldenen Krone, rund 400 000 Euro Umsatz machte es schon nach wenigen Jahren. „Plötzlich war ich Unternehmerin mit 20 Mitarbeiterinnen“, sagt Waldera-Kynast. Sieben Jahre später stand dann allerdings ein Umzug mit ihrer Familie an. Damit war Waldera-Kynast mit einem Problem konfrontiert, das Unternehmer meist erst am Ende ihrer Karriere lösen müssen: Sie brauchte einen Nachfolger auf dem Chefsessel. Den zu finden ist oft nicht einfach. „Es muss nicht eine In den nächsten fünf Jahren suchen bis zu 110 000 kleine und mittelgroße allein die VerantworUnternehmen einen Kandidaten für die Nachfolge. Rund 39 Prozent der tung tragen. Jede betroffenen Firmen hätten 2011 keinen passenden Nachfolger gefunden, bringt sich so ein, wie meldete der Deutsche Industrie- und es ihre Zeit zulässt.“ Fotos: HEIKE ollErtZHandelskammertag Ende vergangenen Jahres in seinem Report zur UnternehWalburga Rombach, mensnachfolge. Das Hauptproblem ist men wenig zu tun, mehr mit dem laut der Studie: Unternehmer bereiten Vorstandsmitglied der -Klein zwischen der Stadt, der sich nicht rechtzeitig auf die Regelung LandFrauenWirtschaft eG icklungsgesellschaft Steg, den der Nachfolge vor. Viele Mittelständern und den Nutzern. Gut, dass ler können ihr Lebenswerk emotional hren Humor immer dabei hat. nicht loslassen, vor allem, wenn es – Die Mitarbeitergenossenschaft aus ihr Lachen. Ein Lachen, bei dem aus der Familie oder dem Betrieb – keidie Augenbraunen steil aufstel- nen internen Anwärter auf den Chef- dem Schwarzwald ist ein Ausnahmesie den Kopf auf die Hand stützt posten gibt. Die Inhaber fordern von fall. Das liege vor allem daran, dass sich zwei Sekunden Gemütlich- externen Käufern überhöhte Preise die meisten Unternehmer von diesem gönnt. „Wir stecken hier alle so oder finden schlicht keinen geeigneten Nachfolgemodell gar nichts wüssten, Herzblut hinein“, sagt sie und Kandidaten, der sie auszahlen kann. sagt Theresia Theurl, Professorin für t nicht nur ihre Vorstandskolle- Auch im Café Goldene Krone fand die Genossenschaftswesen an der UniverBei der Steuererklärung für die Gründerin Waldera-Kynast intern nie- sität Münster: „Wenn Mittelständler ssenschaft hilft ihr Gerda, eine manden, der die Verantwortung allein nach einem Nachfolger suchen, wenge Frau von 80 Jahren, die über übernehmen wollte. „Und an einen den sie sich in der Regel erst einmal an rojekte Bescheid weiß und den profitorientieren fremden Käufer woll- ihren Steuerberater und an ihre IHK en Tisch im Büro komplett mit ten wir das Café nicht übergeben“, sagt oder Handwerkskammer.“ Die hätten ularen ausgelegt hat. „Das musst sie. Ihr Unternehmen gab Frauen aus das Thema Übernahme durch Genosunterschreiben“, sagt sie und t Pigors, sich fünf Minuten neben u setzen. Denn im Raum nebenan en schon die „Zeitzeugen“ auf eine Gruppe ehemaliger Viertelhner, die hier einmal im Monat affee und Kuchen über alte Zeiklönt. Ist das Gängeviertel doch Wie eine unterfränkische Genossenschaft Sozialparadies? „Wir sind keine die Energiewende vorantreibt. eren Menschen“, sagt Claudia s. Und verschwindet für heute h den Bogeneingang in die Welt außen. Agrokraft GmbH berät Gemeinden 90/Die Grünen sieht aber nicht nur Vo n s e b a s t i a n G r u n d k e und Kommunen bei der Gründung von moralische Beweggründe: „AußerGenossenschaften für die Energieerzeu- dem wollen sie Arbeitsplätze in ihrer Vom Weltall aus sehen die Dächer gung. „In Großbardorf sind die Pläne Region schaffen. Und nicht zuletzt vieler Häuser von Großbardorf grau- für die Photovoltaik- und auch die auch ihr Geld rentabel anlegen.“ Der Boom der Energiegenossenkariert und etwas unscharf aus. So, Biogasanlagen einstimmig durch den als hätte jemand sehr sorgfältig hän- Gemeinderat gegangen“, sagt er. „Weil schaft kommt aber auch von Überläudeweise graue Filzrechtecke auf die es Gewerbesteuer für die Gemeinde und fern, die eine Alternative zu anderen Finanzierungsmodellen suchen: Seit Dachschindeln geklebt. Tatsächlich gute Renditen für die Beteiligten gibt.“ Allein im Jahr 2011 erzeugten die Kurzem sieht das neue Kapitalmarktsind es Solarzellen; auf Satelitenbildern des Kartendienstes der Suchma- hiesigen Solaranlagen 7,6 Millionen recht nämlich schärfere Kontrollen und schine Google sind sie nur etwas ver- Kilowattstunden an Strom und etwa Auflagen für jede Art von Finanzierung 2,8 Millionen Kilowattstunden an Ener- vor, für die vor allem Kleinanleger ihr schwommen zu erkennen. Das Ökofieber packte Großbardorf gie aus der ersten Biogasanlage. Damals Geld geben. Genossenschaften bleiben im Jahr 2006, während des deutsch- lag die staatliche Zulage noch bei rund davon aber ausgenommen. Nämlich, landweiten Photovoltaikbooms. Die 21 Cent pro Kilowattstunden Solarstrom laut Fell „alle Energiegemeinschaften, Menge an Solaranlagen in dem Bau- und rund 20 Cent pro Kilowattstunde die den operativen Betrieb der Windernweiler im bayerischen Unterfran- aus Biogas. Genug für durchschnittlich räder, Solarparks oder Biogasanlagen selbst übernehmen und das Geld dafür ken wuchs seither stetig. 2011 kam die 2100 Euro Gewinn pro Genosse. auch selber sammeln.“ erste von zwei Biogasanlagen hinzu. Doch die Sonderklausel für die Nun werden hier nicht nur Sonnenbürgernahen Soziotope könnte hinstrahlen in Strom, sondern auch Mais, Genossenschaften fällig werden, falls die Förderung Gülle, Mist und Gras in Wärme umgedurch das Erneuerbare Energien wandelt. Im vergangenen Herbst kürte sind ein wichtiger Gesetz wegfällt. „Tritt keine andere das Bundesumweltministerium den staatliche Förderung an ihre Stelle, Ort zum „Bioenergiedorf“. Das konserBaustein der Energiewären auch die Genossenschaften vative Großbardorf ist ein Musterschüvom neuen Gesetz betroffen“, sagt ler der Energiewende. wende: Denn die der Düsseldorfer Rechtsanwalt Mat„Wir sind Vorreiter in Deutschthias Gündel. Er ist Spezialist für land“, sagt Andreas Lampert stolz. Er Bürger verdienen Kapitalmarktrecht und berät mit seiist der Sprecher des Sportvereins „TSV ner Kanzlei Projektierer aus der ÖkoGroßbardorf“. Die Flächen auf dem Triam Ausbau der strombranche. Rentable Solar- oder bünendach des Clubs wurden erst vor Windparks bauen – das könnten sich rund zwei Jahren vermietet – als Platz Erneuerbaren. dann wahrscheinlich nur noch große für Solarzellen. Konzerne leisten, glaubt er. Der schnelle Ausbau geht ohne Dieses Szenario drohe jedoch frü„Es gibt keine Neiddiskussion“, sagt Widerstand voran. Denn die örtlichen Solar- und Biogasanlagen bringen den Distel über die Vorteile der Energie- hestens in einigen Jahren und sei Bürgern Gewinne: Sie werden von genossenschaft. Sie sind der neueste durchaus zu bewältigen, findet Fell. einer Genossenschaft betrieben, der Trend in Öko-Deutschland: Gab es 2007 „Die einfachste Möglichkeit dafür ist die Friedrich-Wilhelm Raiffeisen Energie bundesweit lediglich rund 100 Energie- Eigennutzung des erzeugten Stroms“, eG Großbardorf. Jeder vierte Haushalt genossenschaften, sind es aktuell schon sagt er. Das passiere schon jetzt, wenn er preiswerter als der Strom der groist daran beteiligt – und zwar mit Sum- gut 600. Und es werden immer mehr. „Die Menschen wollen von fossilen ßen Konzerne sei „Zugegebenermaßen men ab 2000 Euro aufwärts. Über eine Million Euro haben die Großbardorfer Energien unabhängig werden und so jedoch nur vereinzelt.“ In Großbardorf ist das Vertrauen in ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz insgesamt in Bioenergie investiert. In dem bäuerlich geprägten Ort sei und zum Atomausstieg leisten“, sagt die grüne Energieerzeugung weiterhin man genossenschaftliche Strukturen Hans-Josef Fell, der als Abgeordneter groß. Erst im Juni dieses Jahres gaben schon lange gewohnt, sagt Michael auch im Ausschuss des Bundestages die Großbardorfer ihrem Sportplatz Distel. Der diplomierte Agraringenieur für Umwelt und Reaktorsicherheit mit den Solarzellen auf dem Dach baute vor vier Jahren die Großbar- sitzt. Als energiepolitischer Sprecher einen neuen Namen: Er heißt jetzt dorfer Genossenschaft mit auf. Seine der Bundestagsfraktion von Bündnis Bioenergie-Arena.

Ein Dorf unter Strom

Quelle: planerGemeinschaft kohlbrenner eG

g.

Eine Person, eine Stimme – so funktioniert das Genossenschaftsprinzip auch bei mittelständischen Unternehmen.

Christel Weller (Dritte von links) und ihre Kollegen arbeiteten sechs Jahre lang daran, aus einem Berliner Planungsbüro eine mitarbeitergenossenschaft zu machen. achtet, dass eine Übernahme durch zwei oder drei bisherige Mitarbeiter oft zu Problemen führte. Der Grund: In Planungsbüros sind die Mitarbeiter typischerweise gleichberechtigt, die Hierarchien flach. Der Wechsel in die Chefrolle fällt da schwer. „Als Projektplaner sind wir es ja gewohnt, Probleme systematisch anzugehen. Wir stellten also eine ausführliche Analyse aller möglichen Lösungswege auf“, berichtet Weller. Als bestes Modell kristallisierte sich die Gründung einer Genossenschaft heraus. „In dieser Rechtsform konnten wir alle Gesellschafter werden und die

Finanzierung gemeinsam stemmen“, erklärt sie. Alle 17 festangestellten Mitarbeiter machten mit. Mindestens zwei Genossenschaftsanteile für je 1250 Euro mussten sie zeichnen. Mancher beteiligte sich sofort mit vier bis acht Anteilen. „Trotzdem haben in der jährlichen Gesellschafterversammlung alle gleich viel zu sagen.“ Eine Person, eine Stimme – so funktioniert das Genossenschaftsprinzip. Das neue demokratischen Prinzip sei beim Alteigentümer erst auf Skepsis gestoßen, erzählt Weller. „Das ist natürlich ungewohnt. Plötzlich darf jeder bei einer Entscheidung wie dem

Unternehmensverkauf mitreden, 17 Leute saßen an einem Tisch“, sagt Weller. Zwischenzeitlich musste sogar ein Mediator zwischen den Parteien vermitteln. Im April 2012 war es dann aber endlich so weit: Die Mitarbeitergenossenschaft übernahm das Unternehmen. Der ehemalige Eigentümer selbst ist ebenfalls mit Genossenschaftsanteilen beteiligt und arbeitet noch einige Jahre im Unternehmen mit. „Unterm Strich sind wir jetzt sehr zufrieden mit der Nachfolgeregelung“, sagt Weller. Drei neue Mitarbeiter sind seither zu dem Unternehmen gestoßen, bei der nächsten Gesellschafterversammlung

können auch sie die Mitgliedschaft in der Genossenschaft beantragen. „Auch Kunden und Geschäftspartner haben sehr positiv reagiert. Und wir bekommen inzwischen viele Anfragen von anderen Büros, die sich für unsere Nachfolgelösung interessieren.“ Weller ist froh, dass die Verantwortung für das Unternehmen nun auf mehrere Schultern verteilt ist. „Wir haben jetzt eine langfristig tragfähige Gesellschaftsform, die auch die Nachfolgefrage zukünftig erleichtert.“ Wenn sie selbst 2016 aus dem vierköpfigen Vorstand der Genossenschaft ausscheidet, wird das kein Problem mehr sein.


Feature über den Lübecker Mischkonzerns Possehl anlässlich dessen Übernahme von Teilen des Druckmaschinenherstellers Manroland erschienen in der Financial Times Deutschland am 31. Januar 2012

DIENSTAG, 31. JANUAR 2012

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

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Agenda

Verzettelt

Helmut Dietls Polit- und Mediensatire, die Donnerstag in die Kinos kommt, ist weit besser als ihr Ruf Seite 28

www.ftd.de/agenda

Einst handelte die Lübecker Possehl-Gruppe mit Kohle und Erz, heute kauft sie Pleitefirmen in Serie. Und saniert nicht nur die Unternehmen, sondern nebenbei auch ihre Heimatstadt. Zu Besuch bei Deutschlands ungewöhnlichstem Investor

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Sanierungsfabrik: Aus mehr als 140 Firmen und Beteiligungen hat Possehl ein unübersichtliches Konglomerat gemacht – das gutes Geld verdient

Sebastian Grundke, Lübeck

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Renate Menken hat den wahrscheinlich schönsten Job in ganz Lübeck. Die ehemalige Apothekerin darf Geld verteilen. Viel Geld. 10 Mio. Euro waren es im vergangenen Jahr. Mit den Millionen lässt sie marode Häuser in der Innenstadt herrichten oder Kunstrasen auf heruntergekommene Sportplätze legen, sie schreibt Stipendien aus. Oder gründet ein Forschungsinstitut. Man sieht sie auf den Fotos in den „Lübecker Nachrichten“, wie sie rote Bänder zerschneidet, Reden hält, Hände schüttelt. Und strahlt. Eine elegante ältere Dame, das dunkelblonde Haar trägt sie kinnlang, am Revers ihres Blazers haftet eine Perlenbrosche. „Arbeit an der Cocktailfront“ nennt sie scherzhaft ihre Repräsentationspflichten. Menken ist Vorsitzende der Possehl-Stiftung, deren einziger Zweck es ist, den Lübeckern Gutes zu tun. Das Geld, das die 68-Jährige verteilt, kommt

jedoch nicht von anonymen Wohltätern, sondern von einer mächtigen Firmengruppe, die außerhalb Lübecks kaum jemand kennt: Die L. Possehl & Co. mbH, 1847 als Handelsunternehmen für Eisen und Kohle in Lübeck gegründet, ist über die Jahre durch immer neue Zukäufe zu einem Giganten gewachsen – 1,7 Mrd. Euro Umsatz, mehr als 7000 Mitarbeiter, 60 Mio. Euro Jahresüberschuss. Dabei spielt der Rohstoffhandel, die einstige Keimzelle, kaum noch eine Rolle. Heute baut der Konzern Straßen, Kehrmaschinen und Kuvertieranlagen. Das Organigramm ist ein Sammelsurium aus 140 Tochterfirmen, verteilt auf neun Sparten in 30 Ländern. Die Lübecker haben aus der Not angeschlagener Unternehmen ein Geschäftsmodell gemacht: Sie kaufen Firmen auf, in die andere keinen Cent mehr investieren würden, bevorzugt Maschinenbauer in sterbenden Industrien. Alles, was unrentabel ist, schließen sie und konzentrieren sich auf diejenigen Unternehmensteile, die noch Geld einbringen. Das ist bei Maschinenbauern meist das

Wartungs- und Servicegeschäft. Denn Reparaturen und Kundendienst werden auch zehn oder 20 Jahre nach dem Verkauf noch gebraucht, wenn längst keine neuen Maschinen mehr gebaut werden. Gestern hat der Aufsichtsrat den wohl spektakulärsten Zukauf der Firmengeschichte abgesegnet: Possehl übernimmt die wesentlichen Teile von Manroland, einem der weltgrößten Druckmaschinenhersteller. Der Kauf des insolventen Riesen (Umsatz: knapp 1 Mrd. Euro) ist wieder so ein typischer Deal der verschwiegenen Lübecker Firmenjäger. Oder soll man sagen: Firmenretter? Das Interesse anderer Investoren hielt sich jedenfalls in Grenzen. Nur Uwe Lüders witterte eine Chance. Lüders, ein unauffälliger Mann mit grau melierten Haaren und Brille, ist seit 2004 Vorstandsvorsitzender der Possehl-Gruppe. Der ehemalige McKinsey-Berater ist der Kopf hinter der neuen Strategie – und er hat ein gutes Gespür dafür, was geht und was nicht. Manroland geht offenbar. Als Insolvenzverwalter Werner Schneider im Dezember vergan-

Gesammelte Werke

Böwe Systec stellt Maschinen für die Kuvertierung und Sortierung von Briefen her. Die Firma aus Augsburg wurde 2010 Teil der Possehl-Gruppe. Wie bei Manroland wurde der Deal vom Insolvenzverwalter Firma, Werner Schneider, vermittelt. Harburg-Freudenberger produziert Maschinen für die Herstellung von Autoreifen. 2005 kaufte Possehl die Hamburger Firma, die unter anderem Continental und Schaeffler beliefert. Damals befand sich die Autobranche in der Krise, und die Lübecker bekamen preiswert den Zuschlag für die Firma, die zuvor zu ThyssenKrupp gehört hatte. Hako baut Reinigungsmaschinen für Parks und Straßen. Die Firma aus Bad Oldesloe gehört seit 2007 ganz zu Possehl, bereits 2005 übernahmen die Lübecker die Mehrheit. Damals blieben die Aufträge von Kommunen und Städten aus, und der Mittelständler geriet ins Schlingern.

Possehl-Stiftung

Die Buddenbroker

genen Jahres anrief, überlegte er nicht lange. Der 59-Jährige ließ sich bei seiner Hausbank eine Kreditgarantie geben, um zu kaufen, was überlebensfähig ist: die Produktion von Rollendruckmaschinen in Augsburg und das sogenannte After-Sales-Geschäft, also die Wartung und Reparatur bereits ausgelieferter Anlagen. Lüders weiß genau, wie dieses Geschäft funktioniert: Der hessische Heizungsbauer Buderus erzielte unter seiner Führung zuletzt 80 Prozent des Umsatzes durch Austausch- und Ersatzaufträge. „Wenn die Überkapazitäten abgebaut sind und das Personal in Augsburg auf 1300 Mitarbeiter reduziert wurde“, sagt ein Possehl-Aufsichtsratsmitglied, „lässt sich mit Manroland sicher gutes Geld verdienen.“ Lüders, so glaubt er, habe sich ein Sahnestückchen gesichert. Wieder einmal. In den vergangenen sieben Jahren haben die Lübecker immer wieder trudelnde Firmen gekauft, um die selbst Private-Equity-Unternehmen einen Bogen machten. Den zahlungsunfähigen Kuvertiermaschinenhersteller Böwe Systec etwa, der wie Manroland in Augsburg sitzt. Auch hier übernahm Lüders nach einem Anruf von Schneider das Ruder. Auch hier ging es vor allem um das Geschäft mit der Wartung. Oder den Reinigungsmaschinenhersteller Hako: 2005 übernahm Possehl die Mehrheit an dem Produzenten von Kehrmaschinen aus Bad Oldesloe. Als zwei Jahre später mit Beginn der Finanzkrise die Aufträge von Kommunen und Städten ausblieben, kaufte er die angeschlagene Firma ganz. Seither ist die Produktion des Maschinenbauers um etwa 40 Prozent zurückgegangen. Service und Wartung jedoch wurden ausgebaut. Inzwischen ist das Unternehmen wieder hochprofitabel. 370 Mio. Euro Umsatz steuerte Hako 2010 zur Possehl-Bilanz bei. Ein Sahnestückchen. Und dann ist da der Hamburger Autoreifenmaschinenhersteller Harburg-Freudenberger, den die Lübecker 2005 günstig aus der Thyssen-Gruppe herauskauften, als beim Reifenhersteller Continental der Streit über die Schließung des Hannoveraner Werks tobte. Lüders sanierte den Laden. Heute hat Harburg-Freudenberger große Mühe, die vielen Aufträge abzuarbeiten. In Kroatien wird gerade eine neue Fabrik gebaut. Wie machen die das nur? Haben die Norddeutschen nur ein glückliches Händchen – oder steckt System dahinter? Sind sie die besseren Finanzinvestoren, die nur Gutes im Schilde führen – die nette Heuschrecke von nebenan? Etwas Entscheidendes macht Possehl anders als klassische Firmenjägern: Sie haben Geduld. Jagen nicht dem schnellen Geld hinterher. Die gekauften Unternehmen, sagt ein Aufsichtsrat, bekämen Zeit, sich aus dem Schlamassel herauszuwirtschaften. Natürlich wollen auch die Lübecker Geld verdienen. Im Jahr 2010 hat die Gruppe eine Kapitalrendite von gut neun Prozent erwirtschaftet. Aber ganz offensichtlich, das belegen die vielen erfolgreichen Sanierungsfälle, pressen die Buddenbroker die übernommenen Firmen nicht aus, sondern sichern im Gegenteil deren Überleben. Ein Indiz dafür ist, dass sich bei Manroland selbst die IG Metall für Possehl als neuen Eigentümer starkgemacht hat. Die Gewerkschafter hoffen auf ein langfristiges industrielles Interesse. Zudem werde der Chef höchstpersönlich die ManrolandSanierung in die Hand nehmen, heißt es aus dem Possehl-Umfeld. Und zwar direkt vor Ort. Renate Menken kann das nur recht sein. Je erfolgreicher Lüders ist, desto mehr Geld darf sie unter den Bürgern verteilen. Die Chefin der Stiftung ist die einzige Person, die für Possehl nach außen vertritt. Das Unternehmen selbst ist verschlossen wie kaum ein anderes, keine öffentlichen Auftritte, keine Interviews, nichts. Menken plaudert umso lieber. Sie sitzt in ihrem Büro im fünften Stock der Firmenzentrale, lichtdurchflutet, herrlicher Blick über die Lübecker Altstadt, und erzählt, wie sie sich um die Tradition des Hauses kümmert. Im Foyer ist auf ihre Initiative eine kleine Ausstellung zu sehen, eine Büste zeigt den Firmengründer Ludwig Possehl, auch sein alter Schreibtisch ist zu bewundern. Possehls Sohn Emil blieb kinderlos und vererbte die Firma der Stiftung. Wenn Menken aus dem Fenster schaut, blickt sie auf all die prächtigen Backsteinbauten, auf den mittelalterlichen Stadtkern, Weltkulturerbe. An einigen hübsch renovierten Häusern kleben Plaketten, die daran erinnern, wer das Geld für die Restaurierung gegeben hat. Das macht so manches einfacher. So hat Menken in ihrem Büro zwei zusätzliche Fenster einbauen lassen – um endlich einen Blick auf die berühmte Marienkirche zu haben. Das war durchaus mutig, denn Veränderungen an Hausfassaden sind in der Lübecker Altstadt heikel. „Sie wissen schon, wegen des Weltkulturerbes“, sagt Menken. Dabei seien die Einzigen, die die neuen Fenster überhaupt sehen könnten, die Touristen auf der Aussichtsplattform des gegenüberliegenden Kirchturms. Sie habe dann ein ernstes Wort mit der Stadtverwaltung gesprochen: „Also, wenn Ihnen die Touristen wichtiger sind als die Possehl-Stiftung …“ – sie macht eine kleine Pause, dann lächelt sie. Die Fenster sind immer noch da.

Vor einem Jahr gab Renate Menken ihre Arbeit als Apothekerin auf, um sich komplett der Possehl-Stiftung zu widmen – und das Gute und Schöne in der Hansestadt zu fördern


Reportage über eine Demonstration von Freunden und Gegnern des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg erschienen in der Tageszeitung Financial Times Deutschland am 7. März 2011

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10 Deutschland Merkel macht Druck bei Frauenförderung Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Wirtschaft vorgeworfen, ihre selbst gesteckten Ziele zur Frauenförderung verfehlt zu haben. „Deutschland gehört zu den Letzten in der Welt, wenn es um den Anteil von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft, insbesondere bei den großen Unternehmen geht“, sagte Merkel in ihrer am Samstag verbreiteten wöchentlichen Videoansprache. Die Selbstverpflichtung, die die Wirtschaft vor zehn Jahren abgegeben habe, sei unerfüllt geblieben. Deshalb werde die Bundesregierung Gespräche mit der Wirtschaft führen, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, kündigte Merkel an. In der Debatte um eine gesetzliche Festschreibung eines Frauenanteils in Führungspositionen hatte sich die Kanzlerin ablehnend zu einer Quote geäußert und sich damit gegen eine entsprechende Forderung von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gestellt. REUTERS

Kauder attackiert Bundestagspräsidenten

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

MONTAG, 7. MÄRZ 2011

De Maizière geht in Deckung Der neue Verteidigungsminister schweigt sich zur Zukunft der Wehrreform aus, entlässt aber Staatssekretär Walther Otremba Thomas Steinmann, Berlin

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An Forderungen, was der Neue jetzt tun soll, herrscht kein Mangel. Die Bundeswehrreform wie geplant durchziehen, etwas überarbeiten, komplett umkrempeln – viele sehen den Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums als willkommene Gelegenheit, das wichtigste Projekt von Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nur der Mann, auf den es ankommt, hält sich zurück: Guttenbergs Nachfolger Thomas de Maizière lässt sich noch nicht in die Karten schauen, was er bei der Bundeswehr genau vorhat. Seit Donnerstag hat der CDU-Politiker jetzt das Sagen im Bendlerblock, viel gehört hat man von außen noch nicht. Es gibt keine Interviews, auch externe Termine sind bislang nicht geplant. Veröffentlicht wurde am Freitag nur der erste Tagesbefehl des neuen Ministers, in dem er versicherte, er werde die Wehrreform „konsequent fortsetzen“ – zugleich aber auch ankündigte, sich trotz der Dringlichkeit Zeit für ein gründliches Lagebild zu nehmen. Ein Ministeriumssprecher ergänzte, de Maizière behalte sich „bestimmte Streckungen, Kürzungen oder leichte Richtungsänderungen“ vor. Laut Kabinettsbeschluss vom

Dezember soll die Zahl der Soldaten von mehr als 240 000 auf maximal 185 000 sinken. Bei den Zivilbeschäftigten hatte Guttenberg einen Abbau von etwa 75 000 auf 60 000 bis 65 000 angepeilt. Eine Personalentscheidung, die für die Bundeswehrreform von Bedeutung ist, hat de Maizière dagegen bereits getroffen. Den beamteten Staatssekretär Walther Otremba, Guttenbergs Architekt vor allem für den Umbau des Ministeriums, ließ er in den einstweiligen Ruhestand versetzen – ohne Angabe von Gründen, wie dies jederzeit möglich ist. Als Beleg für eine grundsätzliche Abkehr von den bisherigen Plänen ist die Personalie jedoch wohl nicht zu sehen. Vielmehr gilt das Verhältnis zwischen beiden schon länger als schwierig. Während der Großen Koalition gerieten der damalige Kanzleramtschef de Maizière und Otremba, der zu dieser Zeit Staatssekretär im Wirtschaftsressort unter Guttenberg war, in wichtigen Fragen aneinander, etwa bei den Staatshilfen für Opel. Ein Ministeriumssprecher sagte gestern, der Nachfolger werde „zeitnah“ ernannt. Auch wenn sich de Maizière erst in Ruhe einarbeiten will, wird es in der Finanzierungsfrage – dem Fundament für alle weiteren Entscheidungen wie der endgültigen Truppenstärke und dem angepeilten Attraktivitätsprogramm zur Freiwilligengewinnung –

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„Nur weil der Minister wechselt, ist doch die Reform nicht falsch“ HORST SEEHOFER, CSU-Chef

sofort ernst. Bis Mittwoch müssen die Ministerien beim Finanzministerium Einwände gegen die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2012 geltend machen, und bei den Finanzen droht de Maizière ein erster Konflikt. Die FDP hat bereits klargemacht, dass sie auf das ursprüngliche Sparziel für den Wehretat von 8,3 Mrd. Euro bis 2014 pocht und die von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Aussicht gestellte leichte Lockerung ablehnt, um nicht mit Sonderregeln für ein Ressort das Sparpaket der Regierung zu gefährden. Zugleich setzt sich aber auch in der Koalition zunehmend die Erkenntnis durch, dass die nach dem Ende der Wehrpflicht teurere Anwerbung von Rekruten und die bisherigen Sparziele kaum in Einklang zu bringen sind. Aus der Opposition war vergangene Woche wegen der vielen Unklarheiten der Ruf laut geworden, die Wehrreform aufzuschieben – was Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umgehend ablehnte. Am Wochenende sagte auch CSU-Chef Horst Seehofer, die Pläne dürften „weder verschoben noch verwässert“ werden. „Nur weil der Minister wechselt, ist doch die Reform nicht falsch“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Dagegen sprach sich der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, für eine „Option B“ aus, falls der bisherige Zeitplan nicht haltbar sei.

Unionsfraktionschef Volker Kauder hat das Vorgehen von Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) in der Plagiatsaffäre um Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg offen kritisiert. „Einige Wortmeldungen waren nicht nötig“, sagte Kauder der „Bild“-Zeitung mit Blick auf Äußerungen von Lammert und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). „Vor allem die Bemerkungen des Parlamentspräsidenten haben in der Union zu erheblichem Unmut geführt. Hilfreich waren diese sicher nicht.“ Den CSU-Vorwurf, die CDU habe Guttenberg in der Plagiatsaffäre zu früh fallen lassen, wies Kauder aber zurück. „Davon kann nicht die Rede sein! Pauschale Vorwürfe aus Bayern sind fehl am Platz. Wir haben uns klar und deutlich hinter den Verteidigungsminister gestellt – da gab es kein Wackeln“, sagte der Fraktionschef. Lammert soll von einem „Sargnagel“ für das Vertrauen in Demokratie gesprochen haben. DPA

Friedrich lockt Union in die Islamfalle Neuer Innenminister entfacht Integrationsdebatte Claudia Kade, Berlin

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Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner wird neue Vorsitzende der CSU Oberbayern. Bereits am 16. März übernimmt sie zunächst kommissarisch die Amtsgeschäfte des scheidenden Bezirkschefs Siegfried Schneider. Der Bezirksvorstand wählte sie am Wochenende in einer außerordentlichen Sitzung einstimmig. Am 23. Juli soll auf dem CSU-Bezirksparteitag endgültig abgestimmt werden. Schneider wird im Herbst Chef der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und zieht sich deswegen aus der Berufspolitik zurück. Unklar bleibt derweil, wer den Vorsitz des CSU-Bezirks Oberfranken übernimmt, der durch den Rücktritt von KarlTheodor zu Guttenberg frei wurde. Der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Hartmut Koschyk, brachte den neuen Innenminister Hans-Peter Friedrich ins Spiel. DPA

Embryonentest spaltet Ethikrat Der Deutsche Ethikrat wird sich in seiner Stellungnahme weder klar für noch gegen Embryonentests aussprechen. Vielmehr werde es ein gespaltenes Votum zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) geben, berichtet das „Hamburger Abendblatt“. Die Stellungnahme, die an diesem Dienstag erwartet wird, werde in ihrem Empfehlungsteil wie ein Streitgespräch aufgebaut sein, dabei aber die Mehrheitsverhältnisse zwischen PID-Gegnern und Befürwortern durchaus angeben. Da der Bundestag mit seinen Beratungen in der kommenden Woche beginnen wolle und dafür extra auf den Ethikrat gewartet habe, sei vor allem darauf Wert gelegt worden, alle denkbaren Argumente pro und kontra zu diskutieren, schreibt das Blatt. DPA

dapd/Michael Gottschalk

Aigner steigt in der CSU auf

Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen: Aktivisten machen sich vor dem Brandenburger Tor über den Kult um den Ex-Verteidigungsminister lustig

Keine gutten Freunde In Berlin wird eine von Guttenberg-Unterstützern geplante Demonstration von linken Aktivisten gekapert. Fernab der Hauptstadt spricht dessen Vater von einer „Menschenjagd“ Sebastian Grundke, Berlin

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„Ich persönlich würde ihm seine Doktorarbeit ja am liebsten noch mal neu schreiben!“, sagt Tatjana Popovic mit mütterlicher Fürsorge in der Stimme. Und bestätigt damit noch einmal ungewollt den Verdacht, über den KarlTheodor zu Guttenberg (CSU) am Ende gestürzt ist: Dass der Ex-Verteidigungsminister seine Doktorarbeit abgeschrieben oder gar komplett von jemand anders hat schreiben lassen. Dabei ist die 66-jährige Berlinerin an diesem kalten Samstagmittag an den Pariser Platz gekommen, um für die Rehabilitation des gestürzten Verteidigungsministers zu kämpfen, den sie als „Opfer einer gemeinen Mobbingkampagne“ sieht. Ihre Lippen hat sie strahlend rot angemalt, sie trägt einen eleganten Pelzmantel. Doch nun findet sich die ältere Dame plötzlich wieder unter lauter linken Aktivisten, die die geplante Pro-Guttenberg-Demonstration in einen Maskenball aus Hohn und Spott verwandelt haben. Ursprünglich waren es mehr als 500 000 Menschen, die sich über die Internetseite Facebook im Laufe der letzten Woche gefunden haben. In einem Diskussionsforum mit dem Titel „Wir wollen Guttenberg zurück“ hat-

ten sie ihren Ärger über den Abgang des Verteidigungsministers öffentlich gemacht und Demonstrationen in mehreren deutschen Städten angekündigt. Eine Art Zapfenstreich des Volkes zu Ehren des beliebten Politikers sollte es werden. Doch am Ende bleiben die meisten daheim. Lediglich im oberfränkischen Guttenberg, dem Heimatort des ExVerteidigungsministers, gehen 2000 Verehrer auf die Straße. Am Rande der Veranstaltung spricht Guttenbergs Vater, der Dirigent Enoch zu Guttenberg, von einer „Menschenjagd“, die auf seinen Sohn veranstaltet worden sei. In Hamburg versammeln sich etwa 350 Anhänger auf dem Gänsemarkt. In Berlin überlassen Guttenbergs Fans am Ende jenen das Feld, die mit Demonstrationen mehr Erfahrung haben – so wie ein 36-Jähriger, der sich „Felix Wilhelm Krull“ nennt. Etwa eine halbe Stunde nach dem offiziellen Beginn der Demonstration steht er plötzlich auf dem Pariser Platz. Hinter sich her zieht er einen Einkaufswagen, auf den ein großer Lautsprecher geschnallt ist. Im Korb des Wagens liegen Demonstrationsutensilien: Ein Megaphon sowie Plakate. „Lieber gut kopiert als schlecht frisiert!“ steht auf einem der Transparente, „Wir wollen die Monarchie zurück“ auf einem anderen.

Union leidet Umfragetief Der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kostet die Union Zustimmung bei den Wählern. Laut einer Umfrage der „Bild am Sonntag“ könnten CDU und CSU bei der nächsten Bundestagswahl nur noch mit 33 Prozent der Stimmen rechnen. Zwei Prozentpunkte weniger als zuvor. 74 Prozent der Deutschen sind der Erhebung zufolge der Meinung, dass die Regierungskoalition nach Guttenbergs Rücktritt schlechter dastehe als vorher. 61 Prozent erwarten darüber hinaus, dass der Abgang des CSU-Politikers der Union auch bei den anstehenden Landtagswahlen schaden wird. Stimmungsdämpfer Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) sieht seinen Wahlkampf durch die Guttenberg-Affäre belastet. „Die Sache hilft uns nicht, das ist klar“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“. Kurzfristig dämpfe so etwas natürlich die Stimmung. Er zeigte sich aber überzeugt, dass seine Partei bei der Landtagswahl am 27. März trotzdem keinen Schaden nehmen werde.

Bis etwa 14 Uhr hat Krull die Kundgebung zu Ehren Guttenbergs in eine Demonstration verwandelt, auf der Schilder mit ironischen Slogans geschwenkt werden. Einige der Demonstranten haben sich verkleidet: Manche sind als adelige GuttenbergFans zurechtgemacht, andere geben den Ex-Verteidigungsminister selbst und faseln Werbetexte für Haargel in die Mikrofone der Journalisten. „Wir sind genauso falsch wie der Doktortitel des Ministers!“, schreien manche. Um halb drei sind nach Einschätzungen der Polizei insgesamt etwa 100 Menschen vor dem Brandenburger Tor versammelt. Die GuttenbergFans sind klar in der Minderheit. „Die Mehrheit davon ist wohl der linken Szene zuzuordnen“, sagt eine Polizeisprecherin. Doch manche Maskerade ist täuschend echt. Tatjana Popovic, offenbar die einzig wahre Guttenberg-Verehrerin, kämpft hier auf verlorenem Posten. Konsterniert schaut sie auf den Haufen von Aktivisten, die in der Mitte des Pariser Platzes protestieren. Dann fixiert sie einen Guttenberg-Darsteller mit Plakat. Sie stürzt auf ihn zu und will ihm das Schild entreißen. Einige Schaulustige gehen dazwischen. Popovic, Puder auf dem Mantel und Lippenstift verschmiert, stampft wütend zur S-Bahn davon.

Der frisch ernannte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat die Union in einen neuen Streit über die Rolle des Islam getrieben. Mehrere CDU-Politiker warfen Friedrich am Wochenende vor, die Muslime hierzulande mit seiner Äußerung herabzuwürdigen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Vier Millionen Muslime müssten nun das Gefühl haben, ihre Religion sei in Deutschland nicht offiziell anerkannt, sagte der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz. Unterstützung erhielt der neue Innenminister dagegen von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU), der mitten im Landtagswahlkampf steht. Mappus sprach sich zwar für Religionsfreiheit aus. „Prägend für uns in Deutschland soll aber nach meiner Überzeugung stets das christliche Menschenbild sein, das auch eine Grundlage unserer Verfassung ist“, sagte Mappus der „Leipziger Volkszeitung“. Damit verstricken sich CDU und CSU wenige Wochen vor der wichtigen Landtagswahl im Südwesten abermals in eine Islamdebatte, die sie bereits im vorigen Herbst nach der Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum Jahrestag der deutschen Einheit und der Veröffentlichung islamkritischer Thesen des damaligen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin schwer belastet hatte. Wulff hatte im Oktober gesagt, der Islam sei Teil Deutschlands. Friedrich, damals noch Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, widersprach ihm prompt und wiederholte dies zu seinem Amtsantritt am Donnerstag. Mit der Neuauflage des Streits hofft der konservative Unionsflügel um Kauder, Mappus und Friedrich, die Stammwählerschaft zu mobilisieren. Modernisierer wie Polenz und der frühere NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) fürchten dagegen um den Zulauf neuer Wähler. „Ich warne davor, hier wieder in parteipolitische Schlachten zu verfallen“, sagte Laschet der FTD. „Der Islam ist Teil von Deutschland, da hat der Bundespräsident recht. Und der Islam hat die Geschichte und Kultur Deutschlands nicht geprägt, das waren Judentum und Christentum. Diese beiden Tatsachen können nebeneinanderstehen.“ Angesichts der Kritik auch aus den Muslimverbänden und aus der Opposition gab Friedrich sich am Wochenende versöhnlich. Er wolle den Dialog mit den Muslimen voranbringen, sagte er. Die Einladung für die Islamkonferenz am 29. März stehe.


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