Wanderungen von Bozen Gries über die Mendel durchs Obere Nonstal-Johann Etzel (neu editiert)

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Wanderungen von

Bozen Gries über die Mendel

durchs Obere Nonstal

Von Johann Etzel Bozen 1905



Konzept

Die Aufgabe, durch welche es zu dieser Arbeit kam, war es, ein antikes Buch neu zu gestalten. Wir (Severin und Greta) haben uns für das Buch “Wanderungen durch das Obere Nonstal” des Johann Etzel von 1905 entschieden und beschlossen, die im Buch beschriebenen Route nachzugehen - beziehungsweise fahren.Also sind wir am 27. Mai um 10 Uhr in Bozen gestartet und haben uns auf die Spuren von Johann Etzel gemacht. Dabei hatten wir unsere Analogkamera, unser Notizbuch und gute Laune. Das Ziel war es, die Reise neu zu erleben und Unterschiede zwischen dem Jahr 1905 und heute in unseren Notizen und Fotos festzuhalten. Unsere Gedanken werden in dieser Auflage genau so wiedergegeben, wie wir sie am 27. Mai in unser Buch geschrieben haben. Um diesen Kontrast von Vergangenheit und Gegenwart auch in den Fotos wiederzugeben, haben wir die “neuen” beziehungsweise gegenwärtigen Motive von 2021 analog fotografiert und somit eine Synthese zur Vergangenheit aufgestellt. Aus diesen Gründen ist ein Buch entstanden, das mit neu und alt, Vergleichen und Zeit spielt.


Vorwort

zahlreichen Verbesserungen und Erfindungen auf allen Gebieten, im Zeichen des allseitigen Fortschrittes, immer mono­ toner und im allgemeinen mechanischer wird, ist das Bedürfnis, sich auf irgendeine Weise wenigstens für kurze Zeit eine Mannigfaltigkeit, eine Abwechselung, eine »varietas delectans« im Leben zu verschaffen, ungemein gewachsen. Der Mensch sucht, wenn er nur kann, die ihm lästig gewordene Umgebung zu verlassen, dem Rauchgewölke, dem unausstehlichen Staube und der unge­sunden Luft der Fabrikstadt, der Werkstätte und des Bureaus zu entweichen und in Gottes freie Natur hinaus zu wandern, wo die Luft noch ungetrübt und rein ist, wo es der erfinderische und meistens spekulativ ver­ anlagte Menschengeist noch nicht vermocht hat, den Reiz und die natürlichen Schönheiten zu vernichten, wo er vielmehr selbst staunend Halt gemacht und es nicht gewagt hat, seine unbarmherzige Hand anzulegen und seiner eigenen Mutter Natur entgegenzuarbeiten. Die


Welt der herrlichen Seen, der majestätischen Berge, mögen sie im goldigen Sonnenschein prangen, oder im matten Schnee schimmern, die Welt der an­mutigen Hügel und der jähen Schluchten und Runsen, sie zieht uns an, sie aufzusuchen und wieder, wenigstens für etliche Tage gehorsame und andächtige Kinder der Natur zu werden. Die von den Tagessorgen Geplagten, die Kranken, die Seelenleidenden, sie alle suchen die frische Luft der Berge auf; die ersteren, um ihre Kräfte herzustellen und neuen Mut zu gewinnen, die zweiten, um die teuere Gesundheit wieder zu finden, die letzteren, um freier aufatmen zu können; denn das fliegende Sprichwort »Auf den Bergen ist Freiheit« gilt heute mehr denn je. Nur so können wir uns die wachsende Reiselust der Menschheit ohne Unterschied der Nation und des Standes erklären. Zu den oben Erwähnten kommen noch in grosser Anzahl unsere strammen Touristen hinzu, welche den guten alten Brauch, in der freien frischen Luft die Glieder zu üben und die Körperkraft zu stählen, noch hoch in Ehren halten und die Mühen und Gefahren der Fusswanderungen der bequemen Fahrgelegenheit vorziehen. Alle diese strömen in unsere Alpenländer herein und erfreuen durch ihren Besuch auch die Bewohner der Orte, zu denen sie gelangen, indem diese über viele nützliche Dinge belehrt werden, ist doch der Menschenumgang immer ein wichtiges Mittel gewesen, die Bildung zu fördern. Allgemein hat man die kulturelle und auch ma­ terielle Bedeutung des Fremdenverkehres


6 erfasst und bietet nun alles auf, um den liebwerten Gästen den Aufenthalt möglichst angenehm und bequem zu machen. Praktische Verkehrsmittel wurden, beziehungsweise wer­ den mit grossem Aufwands hergestellt, Touristensteige auf die kühnsten Spitzen hinaufgebaut, Unterkunftshütten, Gasthöfe und Hotels errichtet, Fremdenbücher geschrieben und verbreitet. Die angenehmen Spaziergänge, die frische gesunde Luft, die geradezu originellen Schluchten und Wasser­fälle, die grossartigen Panoramas des oberen Nonstales, die auf uns gelegentlich eines längeren Aufenthaltes einen überwältigenden Eindruck ausgeübt haben, nicht minder uns gegenüber geäusserte Wünsche seitens des reisenden Publikums und der sehr zuvorkommenden Gasthotbesitzer Obernonstals und mehrerer Freunde dieses romantischen Tales haben uns veranlasst, das vorliegende Büchlein zu verfassen. Es ist zwar dieses Werkchen ein schüchterner Versuch des Verfassers auf dem Gebiete der Reise­literatur, gewiss mit vielen Mängeln behaftet, will es doch nur ein kleiner, einfacher Leitfaden sein, doch möge das P. T, Publikum den guten, aufrichtigen Willen für die Tat ansehen und über den jugendlichen Ver­fasser mit Nachsicht urteilen. Bei diesem Anlasse sei es dem Verfasser gestattet, aller jener in warmen Worten des Dankes zu erwähnen, die ihm bei seiner Arbeit bereitwillig an die Hand ge­ gangen sind und ihm in sehr zuvorkommender Weise alle möglichen Daten, Aufklärungen und Auskünfte erteilt haben, ohne deren werktätige Mithilfe es dem Autor in so knapp gemessener Zeit unmöglich gewesen wäre, das Büchlein fertigzustellen, so besonders der Direktor der Elektrizitätsgesellschaft »Officine elettricoindustriali dell‘alta Anaunia«, Herr Ing.


7 Dr. Lanzerotti, der ihm in zuvorkommendster Weise die erforderlichen Photographien zur freien Verfügung gestellt hat, der hochwürdige Herr Silvio Lorenzoni, Pfarrer in Brez, hochw. Herr Pet. Sallazzer, Pfarrer in Romeno, der ihm das Pfarrarchiv und die Bibliothek bereitwillig zur Verfügung gestellt, die Herren Alex Bertagnoli, Haus­besitzer und Kaufmann und Cirillus Graziadei, Hotelier und Postunternehmer in Fondo, sämtliche Angestellte der Elektrizitätsgesellschaft »Alta Anaunia«, sowie alle Gasthofbesitzer, viele Handelsleute und die freund­liche Bevölkerung des Tales. Im Bereiche seiner »Wanderungen« schien es dem Verfasser zweckmässig, auch Bozen mit seinen westlich gelegenen Gebieten einzubeziehen, wenn auch mehr oberflächlich, weil die meisten Besucher des Mendel­passes und des Nonstales mit seinen berühmten Bädern und Frischorten (Campiglio, Rabbi und Pejo) von Bozen aus kommen. Das obere Nonstal ist eigentlich ein konkaves Plateau, welches sich südwestlich vom


Allgemeines über

das Nonstal

und seine Bewohner


9 Mendelgebirge bis zum Noce hinunter sanft abfallend, von einigen Hügeln unterbrochen, ausbreitet. Auf den fremden Besucher macht dieses „Tal“ den Eindruck einer grossen Schüssel, deren Boden die Einmündung des Flusses Novella in den Noce darzustellen scheint. Der Novellafluss bildet durch das obere Nonstal zahllose wunderbare Wasserfälle und romantische Schluchten im harten Dolomitgestein, durch das er sich hat müssen mit Gewalt Bahn brechen. Sowohl die geologische Beschaffenheit dieses Beckens wie seine Flora sind sehr interessant. Den harten Untergrund bilden Eruptivgesteine und Dolomit. Es fehlen im Gestein auch Quarzund Spatgänge nicht, ein Umstand, aus dem man schliessen will, dass sich im Obernonstale auch Wertmetalle vorfinden. Ohne Zweifel deckt das Tal Eisenlager. Der harte Grund hat es bewirkt, dass die Flüsse es nicht vermochten, derart zerfressend zu wirken, dass die Talseiten steiler ge­worden wären. So ist Obernonstal eine Hochebene geblieben, die Talbildung kaum merklich, minimal. Sehr beachtenswert sind die Gletscherabrutschungen um Fondo und Brez. An den jähen Felsenseiten der roman­tischen Schlucht (Burone), welche der Novella bei Fond bildet, sieht man deutlich die Spuren und Abschleifungen des Gletscherstromes, der einstens, vom Gebiete der deutschen Gemeinden St. Felix und Frauenwald und der nördlichen Mendel kommend, sich hier herausdrängte. Abgelagert wurde ein Teil zwischen Fondo und Brez und durch solches vom Brezer Berge Herabgetriebenes ver­ mehrt. Unter den blutigroten Ruinen des Castell Vigna finden wir hart an der Strasse ein interessantes mächtiges Gebilde, aus verschiedenen Porphyrschichten bestehend. Weit und breit bekannt ist auch


10 die eigenartige Schlucht, in deren Mitte der berühmte Wallfahrtsort S. Romedio (bei Romeno) auf einem ganz isolierten Felsen steht. Die wuch­tige Kraft der Eismassen, die einstens von den Höhen der südlichen Teile des Mendelgebirges dem Novellaflusse und weiterhin dem Noce zuströmten, mussten den Felsen, auf dem das Heiligtum erbaut ist, in der Mitte liegen lassen und sich rechts und links durchzwängen, um dann wieder weiter drunten zusammenzukommen. Das gleiche Schicksal erfuhr wahrscheinlich das wan­ dernde Eis bei dem Hügel, der nächst S. Romedio in süd­östlicher Dichtung liegt, auf dem der Sitz des bekannten Naturforschers Canestrini steht. Die Flora des Nonstales ist nicht minder be­achtenswert als die geologisch-mineralogische Beschaffenheit. Sie ist sehr mannigfaltig. Es sind wohl alle Pflanzengattungen vertreten, die in unserer Alpenwelt in solcher Höhe wachsen, sogar die „Primola alpina“ kommt vor, und zwar haben wir sie hei Salter nächst Romeno angetroffen. Man kann mit Recht behaupten, dass die Pflanzenwelt des Nonstales der berühmten Flora der Schlern-Orte und der Seiser Alpe ebenbürtig an


11 die Seite gestellt werden kann. Auch die Weiden sind sehr gut, so dass die Nonstaler Milchpro­ dukte (Butter, Käse u. s. w.) bereits einen guten Ruf geniessen. Eine wohlgeordnete genossenschaftliche Organisation, wie sie im Tale besteht, erhöht noch den Wert der Milchprodukte. In den Frühlings- und Sommermonaten dünkt es dem fremden Besucher, der von der Mendel kommt und durch das Obernonstal wandert, mitten durch einen botanischen Kunst­garten zu lustwandeln. Am Südende des Plateaus finden wir die rankende Weinrebe und weiter unten den rosig blühenden Mandelbaum (Weingrenze Brez-Fondo-Dambel-Malgolo) und ausgezeichnete Obstarten. Auf den Höhen von Romeno, dem natürlichen Mittelpunkt der Fläche, gleicht die Gegend einer grossen grünen Wiese, die sich gegen Fondo und an die Waldungen des Mendelpasses und Dons heran erstreckt. Die gelben Ranunkulazäen geben der ganzen Fläche einen beson­deren Reiz. Die kleinen Waldungen, welche diese Wiese hie und da unterbrechen, gleichen sanften Ruheplätzen, künstlich angelegten Parkanlagen. Vergleichen wir die Gegend mit, einem grossen Garten, so stellen sie Edelgesträucher dar, die höher emporwachsen als die übrige Anpflanzung. Es fehlt auch, um das anmutige, malerische Bild vollständig zu machen, der erforderliche See nicht, der zwar klein, aber doch an einer Waldeslehne bei Salter zu finden ist. Die Bevölkerung des oberen Nonstales ist italienisch, der ständige Verkehr über den Mendelpass mit den Deutschen, der sich


12 schon seit einem Jahrtausend als bestehend nachweisen lässt, hat es aber bewirkt, dass hier die meisten Leute auch deutsch können. Hierfür dürften auch der Militärdienst und der Wandertrieb viel beitragen. Die Auswanderung nach den überseeischen Ländern hat es überdies noch mit sich gebracht, dass die Männer und auch viele Frauen, besonders die Geschäftsleute und die Gastwirte auch der englischen (und französischen) Sprache mächtig sind. Gewiss ein grosser Vor­zug, eine charakteristische Eigenschaft für die intelligente Bevölkerung dieses romantischen Tales. Wenn wir den Privathäusern einen Besuch abstatten, so finden wir darinnen sehr häufig praktischen Geschmack ver­treten. Die Winterzimmer und die Gaststuben sind getäfelt. Auch deutsche Bräuche sind hie und da vertreten, Dinge, welche die in deutsche Gegenden Auswandernden aus der Fremde zurück­bringen. Der Nonsberger ist nämlich sehr fremdenfreundlich und von Natur aus intelligent veranlagt, gutmütig und zuvor­ kommend. Woher die Nonstaler stammen, wissen wir ebensowenig genau, wie von der ganzen Bevölkerung Tirols, da dieses Land zu allen Zeiten ein Durchzugsland war. Alte Volksstämme wurden vernichtet, vertrieben oder geschwächt, neue traten an deren Stelle. Auch liessen die wandernden Völker ohne Zweifel Reste zurück, ebenso die zahlreichen Kriegsheere, die über den Brenner nach Italien und umgekehrt zogen. Die romanische Mundart der Bewohner Nonstals hat grosse Aehnlichkeit mit den Ampezzaner, Fassaner und Enneberger Dialekten (z. B. ciasa = casa), ein Zeichen, dass jene vaterländischen Historiker, die einen rhetoromanischen (ladinischen?) Gürtel durch das Mitteltirol und die angrenzende Schweiz als einstens bestehend


13 annehmen, nicht ganz im Un­ recht sind, gibt es doch heute noch auch im Engadin bedeu­ tende Ueberreste. Es dürften sich die Dialekte dort, wo sie am häufigsten mit dem Longobarden - Italienertum zusammengetroffen sind, im Verlaufe der Zeit diesem mehr akkommodiert haben. Die Sprachenverwandtschaft war ja vorhanden. Nun, wir wollenals Laie in der Geschichte keine Streitfragen aufrollen . . . Noch vor kurzer Zeit, stand das obere Nonstal auf einer tiefen materiellen Stufe. Ein Grossteil der herausgewachsenen Arbeitskräfte musste


14 das Vaterhaus verlassen und nach den überseeischen Ländern, nach Amerika auswandern. Durch­schnittlich machten sie beziehungsweise machen sie dort ihr Glück und kehren mit einem verhältnismässig bedeutenden Kapital zurück. In der Heimat verwerten sie das mühsam Erworbene für die heimische Scholle. Man richtet sich auf Grund des Gesehenen und Erlernten bequemer und praktischer ein als die primitiven Väter und beteiligt sich mit seinem Scherflein bereitwillig an volksfreundliche, gemeinnützige, hie und da auch reichlichen gewinnbringende Unternehmungen. Hiefür besitzen die Nonsberger einen weitgehenden sicheren Blick, sie sind die Engländer Tirols. Der in der Fremde wohlhabend gewordene Nonsberger macht es nicht wie viele andere, die sich in den bequemen, verlockenden Städten niederlassen und die alte schlichte gebirgige Heimat ganz und gar vergessen, sondern er kehrt in das väter­liche Haus zurück. Es ist sohin der Nonsberger ein sehr geeigneter Pionier für die Kultur und den modernen Fort­schritt in den Alpenländern. Wir können uns sohin leicht der Hoffnung hingeben, dass er seine herrliche Heimat zu einer Art Eldorado Südtirols ausgestalten wird. Die Voraussetzungen hiezu sind gegeben, gute Anfänge bereits gemacht worden. Der Fremde, welcher entweder vom Brenner oder dem sonnigen Italien kommt, über dessen Fluren der ewige Früh­ling lacht und die


Bozen

Mendel Gries


16 heissen Sonnenstrahlen vom immer heiteren Himmel herabbrennen, dem Lande der Kunst und Wissenschaft, des Sanges und der Dichtkunst, und unsere schönen Alpen­ länder mit ihrer starken erfrischenden Luft aufsucht, um die weltberühmten Dolomiten mit ihren majestätischen Zacken anzustaunen und zu besteigen, die reine gesunde Luft zu geniessen, oder in unseren zahlreichen Heilbädern, Kur- und Frischorten Erholung und Gesundheit zu finden, verlässt gewöhnlich die engen Räume des Coupés in der internationalen Station der Fremdenstadt Bozen. Hier in der Waltherstadt, wo ein sehr reges Leben herrscht, von wo aus die Touristen aufbrechen, um das Rittnerhorn, die Rosengartengruppe und die Fassaner Alpen oder den berühmten Mendelpass zu besuchen, ergötzt sich der Fremde an den markigen Gestalten unserer Gebirgsbewohner mit ihren malerischen Trachten, die dort auf dem Grünmarkte ihre Erzeugnisse feilbieten, oder durch die geräumigen Strassen wandeln, hie und da vor einem Schaufenster stehen bleiben, oder in ein Geschäft eintreten, um Einkäufe zu besorgen. Welch ein Gedränge herrscht auf dem Grünmarkte, ein förm­ liches Durcheinander. Dieser kauft Aepfel, jener Birnen, noch andere Trauben, wiederum andere besehen sich die ausgestellten Blumen. Lohndiener drängen sich geschäftig durch die Menge, alle möglichen Dinge vor sich hertragend, elegante Damen oder Herren folgen. Nachdem man den vielen Sehenswürdigkeiten der alten Handels- und Künstlerstadt die gehörige


17 Aufmerksamkeit gewidmet und die altbewährte Gastfreundschaft der Bozener genossen hat, begibt man sich zum Bahnhof und fährt mit der Ueberetecher Bahn (bis Siegmundskron kann man auch die Bozen-Meraner Bahn benützen) durch das wein- und edelobstreiche Bozener Flachland bis zur Haltestelle Ueberetsch. Dieser herrliche grosse Garten ist von vielen Burgen und Ruinen umgeben, die uns an eine geradezu ruhmvolle Ver­gangenheit des Landes erinnern. Sie sind uns wohl fast alle historisch bekannt; so das Schloss Siegmundskron, wo einstens M. Maultasch residierte, die Schlossruine Greifenstein bei Terlan, die Feste des trotzigen Adels, welche Herzog Friedrich mit der leeren Tasche erst nach langer, äusserst schwierigen Belagerung einnehmen konnte, im Volksmunde das „Sauschloss“ genannt, ferner Hocheppan, der einstige Sitz mächtiger Geschlechter, die ausgedehnte Besitzungen und viele Vorrechte besassen und zu den Ange­legenheiten des Landes ein schwerwiegendes Wort zu sprechen hatten. Im Hintergrund, nördlich von Bozen, starren uns die Ruinen von Rafenstein entgegen, aus dem Sarntale lugt das Schloss Runkelstein heraus, wo einstens das jetzt gänzlich verarmte Geschlecht der Vintler wohnte, wo von Wolken­ stein, einer der letzten Minnesänger, seine Weisen der Minne erklingen liess. Auf den Höhen bei Karneid erblickt man ein prächtiges, noch gut erhaltenes, neu restauriertes Schloss. Die Haltestelle Ueberetsch ist von besonderer Wichtig­keit für Touristen und Fremde, die über den Jaufen, das Timmljoch, durch das


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Vintschgau, vom Ortlergebiete her nach Meran kommen und von hier aus das Mendelgebiet erreichen wollen. Der Zug, welcher von Meran kommt, kann in der Station Siegmundskron verlassen werden und die Passagiere ge­langen leicht in fünf Minuten zur Haltestelle. Von hier aus rollt der Zug dem 400-500 Meter hohen Ueberetscher Plateau zu. Dieser Teil der Trasse bot bei der Erbauung ganz besondere Schwierigkeiten. Der Schienenweg musste aus dem harten Gestein herausgesprengt, kostspielige Uebersetzungen von Klüften und Runsen konstruiert werden. Dieser Teil der Bahnstrecke ist sehr sehenswert. An den anmutigen Ortschaften Frangart (prachtvolle Kirche mit Bild von Defregger), Girlan, Eppan (Gasthof „Eppaner Hof“), Planitzing vorbei, gelangt der Zug wohl bald nach Kaltern. Seit kurzem ist Kaltern mit elektrischer Beleuchtung eingerichtet. Das Elektrizitätswerk befindet sich bei St. Anton. Der Marktflecken Kaltern (4500 Einwohner) setzt sich aus fünf Ortschaften zusammen: Kaltern, St. Anton,


19 Pfus, Mitterdorf, St. Nikolaus, die alle voneinander getrennt liegen. Der Ort ist Sitz eines Bezirksgerichtes, eines f.-b. Dekanats, k. k. Post- und Telegraphenamtes, Lesekasinos mit einer­wertvollen Bibliothek; Aerzte und Apotheke im Orte. Em­ pfehlenswerte Gasthäuser: „Zum weissen Rössl“, „Stern“, „Alte Post“; Restaurationen: Herrenhofer und Bahnhofrestauration. Kaltern ist in letzterer Zeit von Bedeutung geworden. Von hier aus geht der Verkehr auf die Mendel und über diesen Pass durch das ganze Nonstal nach den berühmten Orten Campiglio, Rabbi und Pejo. Es führt auf den Mendelpass hinauf eine mit grossem Kostenaufwands erbaute Kunststrasse, deren Serpentinen sehr interessant sind; seit


20 neuestem Zeit auch eine Drahtseilbahn, welche zu den berühmtesten Europas gehört. Der Verkehr zwischen der Station Kaltern und dem Mendelpasse wird mittels einer elektrischen Bahn bewerk­ stelligt, und zwar mittels einer Adhäsionshbahn bis St. Anton und einer Seilbahn bis zur Passhöhe hinauf. Die erstere zweigt am Nordteile des Bahnhofes Kaltern als NormalspurAdhäsions­ bahn mit elektrischem Betrieb (1.435 Meter Spurweite) in südwestlicher Richtung ab, steigt, die Orte Kaltern und Mitter­dorf passierend, nach St. Anton an und hat eine Länge von 2.133 .km. Der hiefür notwendige Strom wird von der Umform­station auf der Mendel geliefert. Diese befindet sich im Maschinenhause der Drahtseilbahn und ist Eigentum der Elektrizitätsgenossenschaft „Officine elettricche-industriali dell’alta Anaunia“ mit dem Sitze in Romeno (Ober­ nonstal). Das Steigungsverhältnis dieses Teiles beträgt 62%. Die Drahtseilbahn überwindet einen Höhenunterschied von 852 Metern. Die Steigungsverhältnisse beginnen mit 16,5% und erreichen bei 64% das bisher erreichbarste Maximum. Die wirkliche Länge der Seilbahnstrecke beträgt 2370 Meter. Der sehr künstlich durchgeführte Bau ist derart den natürlichen Bodenverhältnissen angepasst, dass er die romantischen Schluchten und Erhebungen kaum merklich passiert und so die Naturschönheiten des Berges weder verunstaltet, noch irgendwie geschwächt werden. Durch diese Bahnverbindung wird der Verkehr über die Mendel ungemein erleichtert und demnach gesteigert. In kurzer Zeit kann der Tourist von Deutschland, von Innsbruck, von der PoEbene, von Mailand, Venedig, vom Gardasee herauf mitten in der Hochgebirgswelt stehen,


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aufatmend in der frischen Luft, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, hiefür bürgt uns am besten der unüberwindliche Eifer des Ingenieurs Dr. Lanzerotti von Romeno und seiner getreuen Nonsberger, wo man den Mendelpass mit seinen Schönheiten per Bahn auch von S. Michele, der zweiten bedeutenden Station der Süd­bahn, aus durch das malerische Nonstal wird erreichen können. Oben angelangt, bietet sich uns eine unvergleichlich schöne Fernsicht. Wir stehen hier mitten in der Alpenwelt, azurfrische Luft umspielt uns. Die ganze Strecke von Bozen an, die wir zurückgelegt, liegt vor unseren Augen, und der Schiern, der Rosengarten, der Latemar, das Weisshorn, die Cima Tossa, das Reiterjoch und viele andere Bergspitzen liegen uns in fast gleicher Höhe gegenüber; denn auch wir befinden uns 1360 Meter über dem Meere. Hotel an Hotel, Villa an Villa gereiht, stehen hier. (Grand Hotel Penegal von der Familie Schrott, gute Küche, Getränke, elegante


22 und billige Fremdenzimmer, gemütliches Touristenhaus, Bäder etc. Hotel Mendelhof, ebenfalls mit allem Komfort eingerichtet. „Kalterer Hof“, gut eingerichtet, besonders Herrschaften, mit gutbürgerlichen Ansprüchen wärmstens zu empfehlen. Villa Maria, schöner Garten und angenehme Spaziergänge im Walde. Bahnhofrestauration. Gasthof „Zum goldenen Adler“ etc.). Der Pass gleicht mehr einer schönen Sommerstadt mitten in einem grossartigen Naturparke, von mächtigen Felsentürmen umgeben. Von hier aus wird auch der berühmte Penegal (1738 m) bestiegen, und zwar erreicht man die Spitze in 1 1/4 Stunde. Welch überwältigendes Panorama geniesst man von hier aus! Den Anblick westwärts auf das pittoreske Nonstal mit seine herrlichen Gefilden, Wiesen und Wäldern, mit den zahllosen Dörfern und den hohen Bergen; Zur Brentagruppe, zu den Presanella- und Ortleralpen, gegen Osten hinab ins rebenund obstreiche Etschland mit seinen Burgen


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und Ruinen, oder hinauf zu jenen Bergriesen, dem ersehnten Reiseziele von vielen Tausenden wandernder Menschen aus allen Schichten und Ländern, welche Berge, steinernen Türmen gleich, sich an den Enden des Bozen-Grieser Beckens in die Höhe schieben; zwischen die Fluss- und Bachläufe der Etsch, Talfer, des Eisack, weiter über Gröden und Eggental, mit ihren berühmten goldigen Dolomitenspitzen und König Laurins sagenreichem Rosengarten, über das Fleims- und Cembratal bis in die Trientiner Gegend hinab! Ferner besuchen die Touristen den Gantkofel (1866 m), den Monte Roen (2115 m) und die Romeno-Alpe (1769 m). Zu diesen beiden letzteren kann man fast leichter den Aufstieg von Romeno, beziehungsweise Don im Obernonstale aus bewerkstelligen. In diesem Falle müsste Romeno als Uebernachtungsstation bezogen werden. Über den Mendelpass geht ein besonders starker Ver­ kehr von Bozen und Ueberetsch (Meran) nach dem oberen Nonstal. Die schöne


Obernonstal

Valle

Anaunia


25 Reichsstrasse führt vom Pass aus durch einen herrlichen Wald bis zum Gasthaus „Belvedere“. Dieses villen­förmige, zierliche Gebäude steht auf einem der schönsten Aus­ sichtspunkte des Tales. Vor uns breitet sich ein prachtvolles Panorama aus. Ueber 30 Dörfer mit den zierlichen Türmchen kann man sehen, im Hintergründe Revò. Etwa eine Viertelstunde nach Ronzone, der nächsten Ortschaft, teilt sich die Strasse. Eine Ader führt nach Fondo-Brez-Cloz-Revò-Cagnò, die andere über Cavareno-Romeno-Sanzeno-Dermullo nach Tajo und von hier nach S. Michele. Noch ehe man, von der Mendel kommend, die Reihe der Hotels verlassen hat, gleich neben dem Hotel „Mendelhof“ zweigt sich von der Hauptstrasse linker Hand (Markierung weiss-blau) durch den Garten ein Feldweg ab, der über Ruffrè-Amblar-Don nach dem Wallfahrtsorte S. Romedio führt. Wollen wir diese drei Haupttouren durch das obere Nonstal der Reihe nach verfolgen. Ronzone, 1084 Meter über dem Meere gelegen, zählt zirka 650 Einwohner, besitzt eine sehenswerte Kirche und ist auch in Fremdenkreisen


1. R out e Ronzone F on

do

Revò


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ob seiner schönen, einen weiten Ausblick gewährenden Lage bekannt. Während der Sommermonate halten sich mehrere bürgerliche deutsche und italienische Familien hier auf. Das Dorf ist elektrisch beleuchtet. Von Ronzone aus rechter Hand gelangen wir auf guter Strasse in einigen Minuten nach Sarnonico, welcher Ort 620 Einwohner zählt, Sitz einer Pfarrei ist und eine kleine Seidenfabrik besitzt, Sarnonico hat einen mehr altertümlichen Anstrich und ist ruhig; besonders sehens­ wert ist die alte Pfarrkirche. Ueber Malosco (660 Einwohner), altertümliches Schloss, wo jetzt das Gericht untergebracht ist, Gasthof Malosco (schöne Veranda, deutsch und italienisch, Besitzer Ciro Nessler; Steig auf den Penega], überall fleissig markiert), wahrscheinlich die Heimat des berühmten Bechtsgelehrten Petrus v. Malosco, der zur Zeit des Tridentiner Fürstbischofs Friedrich v. Wanga lebte, gelangen wir in etlichen Minuten nach Fondo. Der Marktflecken Fondo (2400 Einwohner) ist der Haupt­ ort Obernonstals. Er ist Sitz eines k. k. Bezirksgerichtes, k. k. Post- und


28 Telegraphenamtes, f.-b. Dekanats. (Apotheke und Arzt im Orte, Heil-und Wasserbäder; Gasthäuser: Hotel „Post“, Besitzer Graziadei, Fahrgelegenheiten nach allen Richtungen; Post- und Telegraphenamt im Hause, deutsche und italienische Küche, gute, aufmerksame Bedienung, billige Fremdenzimmer mit allem Komfort ausgestattet, elektrisch beleuchtet, prachtvoller, ganz modern eingerichteter Saal, schatti­ ger Garten. Hier sind auch die Schlüssel zur „Schlucht“ zu haben. — Gasthof „Zum weissen Kreuz“, gut bürgerlich, deutsche Wirt­ schaft, Besitzer Trafojer.) Der Ort ist im Hintergründe des Tales auf felsigem Grunde gelegen, mehr mittelalterlich gebaut. Auch hier prangt das elektrische Licht und werden manche Werkstätten mit elektrischer Kraft betrieben, welche das genossenschaftliche Elektrizitätswerk auf dem Novellaflusse bei Dambel liefert. In grossen Fremdenkreisen ist nebst dem schönen Glockengeläute des Markt­fleckens die sogenannte „Schlucht“ (burone) von Fondo be­kannt. Es ist dies der Weg, den sich ein Teil des Novellaflusses durch das Gestein erzwun­ gen hat, eine der merkwür­ digsten Klamms, die wir je gesehen haben. Der Verschönerungsverein des Markt­fleckens besorgt die Erhal­tung der­selben und hat sie mit grossem Kostenaufwande in einen Stand ge­ setzt, so dass sie allen (auch Damen und Kindern) leicht zugänglich ist. Der wilde Bach zwängt sich rauschend, weissen Schaum und zahlreiche Wasserfälle bildend, durch das enge, turmhohe Gestein. Hie und da sieht man an den Wänden eine natürliche Grotte, Epheuranken schlingen sich an mancher Felsenwand hinan, zierliche Bäumchen, auch anmutige Plätzchen fehlen nicht. Der wildromantische Reiz wird durch die zahlreichen Mühlen, die wir vor dem


29 Eingänge und unmittelbar nach dem Ende der Schlucht finden, die in einem mit grossem Effekt wirkenden Kontrast mit der prasselnden Höhle stehen, nur noch erhöht. Wir hören das bekannte Geklapper der Mühlen und schauen dem Räderspiele zu. Jeder Besucher verlässt diese Höhle befriedigt. Ein phantastisches feenhaftes Bild bietet sie besonders an den Sonntagsabenden während der Sommermonate, wo sie bengalisch beleuchtet wird und die brave Musikkapelle von Fondo dort ihre Weisen aufspielt. Wir wähnen, in eine Zauberwelt versetzt zu sein. Beachtens­ wert ist noch in Fondo das Gebäude, in dem die Gendarmerie untergebracht ist (in der Nähe der Post). Auf der Hauptfassade dieses Hauses sind Episoden aus dem trojanischen Kriege gemalt. Die Inschrift ist deutsch, aber nicht

mehr leserlich. Besonders möchten wir dem reisenden Publikum einen Spaziergang auf den St. Lucia-Hügel empfehlen. Man kann ihn in einigen Minuten vom Marktflecken aus er­ reichen. Der Verschönerungsverein unter seinem damaligen


30 rührigen Obmann Christanelli hat einen bequemen Weg hinauf gebaut und rechts und links schattenspendende Bäume eingepflanzt. Das Kirchlein, welches auf dem Hügel steht und der hl. Lucia geweiht ist, scheint sehr alt zu sein und besitzt wertvolle Wandmalereien, das Leben der hl. Lucia darstellend, die leider ganz zu Grunde zu gehen drohen. Die Kapelle wurde auf dem Platze erbaut, wo einstens ein Schloss stand. Das Glöcklein, welches das Türmlein ziert, soll damals als Schlossglocke gedient haben, sie ist im Schutte aufgefunden worden. Von diesem anmutigen Hügel aus kann man über 40 Dörfer sehen, bis Nano hinunter, CIes, Revò, über die Orte am linken Ufer des Novella, die Mendel, den Monte Roen, im Hintergründe die deutschen Gemeinden St. Felix und Frauenwald, die Laugenspitze und andere Berge der Ortlergruppe. Sehr interessant ist der Blick auf das Talgebilde. Hier bei Fondo befindet sich eigentlich das Schulterblatt, ein kleines Zentrum, von wo die Tälchen ausgehen, besser ausge­drückt, wo sie sich vereinigen und den eigentlichen Novella bilden. Von Fondo gelangen wir auf rot markiertem, Wege nach Castelfondo (1100 Einwohner, Sitz einer Pfarrei, einstiger Sitz einer Gerichtsamkeit, in der Kirche befindet sich ein wertvoller, barocker Altar; Schloss vom Grafen Thun-Hohen­ stein mit alten Gemälden) zur sogenannten „Hohen Brücke“ (ponte alto), welche der Justinabrücke bei Cles in Bezug auf die Tiefe des Abgrundes, den sie übersetzt, nicht um vieles nachsteht. Von Castelfondo gelangt man auf einem Waldsteig


31 über den Bergrücken nach Laurein und Proveis (berühmte herrliche Kirche, im gotischen Stile erbaut), dann über die Alm und den Ausserhof nach Mitterbad im Ultental und nacht Lana, eine zwar etwas anstrengende, aber­interessante Tour. Von Fondo aus kann man auch den Weg nach St. Felix, Frauenwald (Wallfahrtsort), sodann über den Gampenpass nach Tisens zur Meraner Bahn-Station Gargazon wählen. Wenn wir von Fondo aus gegen Süden unsere Tour auf der schönen ärarischen Kunststrasse fortsetzen, so gelangen wir dort, wo wir den Novella übersetzen, zu einer Naturschönheit. Der Fluss ist hier in eine trichterförmige Vertiefung eingetreten, welche von Riesenfelsen, die sich im Kreise herum in die Höhe stellen, gebildet wird und erzwingt sich mit Mühe einen „NotAusgang“. Mit einer geringen Arbeit kann man dem Wildbach den Ausweg erwehren, und wir hätten einen wunder­schönen See, nützlich zugleich für die Bewässerung der trockenen Felder des rechten Flussufers zwischen Brez und Romallo ... Von einem Hügel winkt uns die rote Ruine des Castell Vigna herunter, der auf dem Grundbesitz des Grafen Thun gelegen ist, dessen wir auch oben Erwähnung getan haben. Historischen Wert hat die Ruine keinen. Es war unmöglich, hier irgendetwas Bedeutendes zu entdecken. Wir setzen unseren Weg auf der Landstrasse fort und gelangen in einer knappen Stunde nach Brez (795 m ü. d. M.) Der Ort zählt mit seinen Weilern 2200 Einwohner, ist Sitz einer Pfarrei, eines Gemeinde-Arztes, besitzt eine


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Säge-mühle, mit elektrischem Betrieb eingerichtet, verschiedene gemeinnützige Kredit-, Konsum- und Produktionsvereine. Von den Gasthäusern sind besonders zu empfehlen: „Albergo Al­pino“, Besitzer Flor, deutsche und italienische Bedienung, gute Küche, billige, einfach und nett eingerichtete Fremdenzimmer und „Albergo Brez“, welches sehr gut bürgerlich eingerichtet ist. In Brez besteht jetzt auch eine Torfindustrie-Genossenschaft, welche sich zur Aufgabe gestellt hat, die Torfmassen (über zwei Hunderttausend Kubikmeter), welche sich auf den Bergen des Gemeindegebietes, auf den sogenannten Paludi, befin­den, in den Dienst des Volkes zu stellen. Zu diesem Zwecke ist eine gute Strasse von Brez auf den Berg hinauf geplant, um die Lieferung leichter und billiger zu gestalten. Hier in Brez: beginnt der Weinbau, der Ort besitzt mehrere gut gehende Sennereigenossenschaften, Die Obstarten dieser Gegend sind auch dem Handel bekannt. Von Brez aus führt die Strasse in einer Stunde Gehzeit nach Cloz (792 m ü. d. M.). Diese Ortschaft zählt 1400 Einwohner,


33 ist Sitz eines katholischen Volks- und Arbeitervereines, einer Raiffeisenkasse, einer genossenschaftlichen elektrischen Mühle und einer Milchverwertungsgenossenschaft. Die Industrie verspricht hier gute Erfolge; wir finden z.B. eine Zementfabrik, die sehr gute Dachplatten liefert. Sehenswert ist das Schloss Arsio, von dem der dortige Weiler den Namen hat, der Sitz eines alten berühmten Adelsgeschlechtes, dessen Nachkommen dasselbe noch bewohnen. Gasthäuser: „Croce bianca“, „Corona“, überall italienisch und deutsch, Romallo (950 Einwohner, 733 m ü. d. M.), die nächste Ortschaft, die wir auf unserer Wanderung finden, leistet in der Ziegelfabrikation Nennenswertes. Die Felder, welche sich zwischen Brez und Romallo ausdehnen, sind sehr fruchtbar. Es wachsen dort alle Arten von Getreide, Edelobst und Wein, die Leute bebauen ihre Felder sehr fleissig. In Trocken­heitsjahren, die hier leider oft wiederkehren, fällt aber die Ernte wohl traurig aus, es fehlt das Wasser, weil der Untergrund steinig ist. Trotzdem aber besitzt merkwürdigerweise die Ortschaft ausgezeichnetes Trinkwasser. Um eine regelmässige Be­ wässerung zu ermöglichen, plant man eine grossartig angelegte Wasserleitung von Castelfondo (siehe oben) über Brez etwa bis Romallo, eine Unternehmung, die wir im Interesse der Landwirtschaft und dieser fleissigen,


34 regen Bevölkerung nur aufs wärmste begrüssen möchten. Zugleich soll das Wasserreservoir der Fischzucht, der Kahnfahrt und dem Warenund Holztransport aus dem Gemeindegebiet von Castelfondo auf die Reichsstrasse dienen. Auch soll die Wasserkraft für die elektrische Zentrale bei Dambel durch Zufluss aus diesem See, welcher eine Länge von 1800 m und einen Wasserspiegel von 96000 qm erhalten soll, vermehrt und somit die Leistung des Werkes um ein Bedeutendes erhöht werden. Empfehlenswerte Gasthäuser: Albergo Rom und Corona, beide gut bürgerlich. Von Romallo gelangen wir in höchstens einer halben Stunde auf gut fahrbarer Strasse nach Revò (724 m hoch). Revô zählt über 1740 Einwohner, ist Sitz einer Pfarrei unter dem Dekanate von CIes. Es ist sehr bedeutend in der Obst- und Weinkultur. Der dortige Wein ist sehr mild und zugleich kräftig, ein guter Medizinalwein. Revò hat verschiedene Werkstätten, die mit elektrischer Kraft be­ trieben werden. Gasthäuser: „Albergo Revò“. Besitzer Felin, und ,,Locanda Martini“, beide recht gut; Post- und Tele­ graphenamt im Orte. Von Revò führt die Strasse einerseits über Cagnò nach Cles, andererseits nach Tajo (Dermullo, Kreuzungspunkt) und von hier aus talabwärts bis zur Station der Südbahn S. Michele im Etschtal. Die zweite Strasse, welche, von Ronzone ausgehend, das ganze obere Nonstal durchquert,


2. Route

Ronzone Romeno

Dermullo


36 führt über Cavareno-Romeno-Sanzeno nach Tajo. Sie ist die wichtigste, weil sie die eigentliche Verkehrslinie zwischen S. Michele, dem oberen Nonstal und Bozen über den Mendelpass bildet, lieber diese Strasse fahren die Wägen, welche von Bozen und der Mendel kommen, nach Cles, Campiglio, Rabbi und Pejo. Das erste Dorf, das man, von Ronzone kommend, an­trifft, ist Cavareno. Es zählt zirka 1200 Einwohner, ist 993 m hoch gelegen, besitzt ein k. k. Post- und Telegraphenamt und verschiedene gemeinnützige Vereine. Sehenswert ist das Bild des Hauptaltars, welches von der kunstfertigen Hand des Malers Lampi stammt. Cavareno besitzt seit neuerer Zeit eine grossartige Hochquelleitung und ist eine Fremdenstation

ersten Ranges. Gasthäuser: Albergo alle chiavi, Besitzer Larcher, deutsche und italienische Bedienung, billige Fremdenzimmer, elektrische Beleuchtung; Hotel Corona, Besitzer Zani, Fahr­gelegenheiten nach allen Richtungen, gute Speisen und Ge­ tränke, schattiger, elektrisch beleuchteter Garten, schöne nobel eingerichtete Veranda, Post in nächster Nähe, Elektrische Mühle, Hotel Roen. Von Cavareno gelangt man in guten 20 Minuten nach Romeno (962 m ü. d. M.). Auf


37 unserem Wege dahin wähnen wir im Sommer durch einen genial angelegten Kunstgarten zu wandern. Die zahl­reichen gelben Blumen aller Art, die wogenden Kornfelder, der murmelnde Bach, die kleinen Wäldchen, sie erinnern den Wanderer an die märchenhaften Gärten längst vergangener Zeiten. Noch ehe man in die Ortschaft selbst gelangt, finden wir fast gleich nach der Villa Endrizzi eine neue elektrische Automobilwerkstätte, gewiss ein Unikum in unseren idyllischen Alpentälern, ein Zeichen, dass die Zeit besonders hier fort­ schreitet. Romeno ist auf einem anmutigen großen Hügel gelegen, welcher von sporadischen Wäldchen umgeben ist. Es dominiert das ganze Tal hinauf bis zur Mendelkette mit ihren bekannten Spitzen Penegal und Soen, hinüber zur Laugenspitze, hinunter bis Revò und Cles und in das Sulztal hinein. Im Orte ist reges Leben, der Verkehr bedeutend, und steigert sich von Tag zu Tag. Das


38 bedingt nämlich der industrielle Auf­ schwung, den dieses Bauerndorf seit den jüngsten Jahren genommen hat. Hier haben wir mehrere humanitäre und Fortbildungsvereine und eine Milchproduktgenossenschaft. Romeno ist auch der Sitz einer Genossenschaft für die Holzindustrie, wobei schon jetzt zirka 40 Kunst - Tischler beschäftigt sind, der „Società offi­cine elettrico­-industriali dell‘alta Anaunia“ und der elek­trischen Auto­mobilgesell­ schaft, welche hier, wie oben schon erwähnt, ihre Werk­ stätte (officina-elettrotecnica) hat; ferner eines Konsum- und Raiffeisenkassenvereines. Es zählt über 1100 Einwohner, ist wohlhabend, besitzt eine f.-b. Pfarrei, der mehrere Kuratien unterstehen, so Don und Ambiar, die auch in anderen Beziehungen zu Romeno stehen, aber mit ihrer Pfarrei nicht gut verbunden sind, so dass man hier sagt: „A Don e Amblar no se va, si no se già da far“. (nach Don und Amblar geht man nicht, wenn man nicht gerade dort zu tun hat.) Leider besitzt die Ortschaft Romeno bis dato nur ein Postamt, obwohl eine telegraphische Station ein wahres Volksbedürfnis wäre. Die


39 Häuser sind sehr geräumig, mit einem gewissen Prunke ausgestattet. Die Bewohner können so ziemlich auch deutsch. Romeno ist auch, wie wir schon ange­deutet haben, für den Verkehr wichtig. Es ist eine Passier­station ersten Ranges, die Scheide zwischen S. Michele und MendelBozen. Die Gasthäuser sind praktisch eingerichtet und empfehlenswert. (Albergo Anaunia ältestes Gasthaus, gute Speisen und Getränke (Salzburger Sternbräubier), deutsche und italienische Bedienung, billige Fremdenzimmer, Stallung; Albergo Corona, neues, ganz modern eingerichtetes Haus mit angenehmem Garten, nette und billige Fremdenzimmer. Villa Nuova, vortreffliches Bier (Spatenbräu), gute Küche, aufmerk­same Bedienung, Fremdenzimmer mit schöner Aussicht. Die schöne Pfarrkirche mit wert­ vollem Altarbilde, welches der Hand des berühmten Malers Joh. Bapt. Lampi seine Entstehung

Sehens würdigkeiten

verdankt. Die einzelnen Figuren desselben sind so natürlich, dass sie uns redend, denkend, lebendig er­ scheinen. Ueber die Er­ habenheit und Schönheit desselben herrscht auch unter der Bevölkerung wahres, allgemeines Lob; sie ist auf dessen Besitz stolz. Ferner das Labo­ ratorium der Tischlereigenossenschaft (neben dem Hause des Herrn Ingenieurs Dr. Lanzerotti untergebracht), welches mit allen moder­ nen Maschinen eingerich­ tet ist, die mittels elek­ tromotorischer Kraft be­ trieben werden. Der Zutritt wird bereitwillig gestattet. Als Touristenstation ist Romeno vorzüglich geeignet. Von hier und von Don aus gelangt man am besten auf den Monte Roen,


40 auf die Romeno-Alpe und über Salter nach S. Romedio. Interessante Spaziergänge nach SejoVasio auf bequemem Weg nach Dambel zur Pozzenabrücke und zum genossenschaftlichen Elektrizitätswerk. Der Weg zu diesem letzteren von Romeno aus ist zwar etwas beschwerlich, aber lohnenswert. Drunten in einer tiefen Schlucht bei Dambel, deren obere Ränder von Reben und Bäumen umgeben sind, wo der Novella mehrere

Wasserfälle bildet, sich dann unterirdisch durch das Gestein zwängt, unterhalb der Pozzenabrücke, die einen tiefen Abgrund übersetzt, hören wir das Rasseln von Maschinen. Drei Turbinen sind hier aufgestellt in der Zentrale und erzeugen die elektrische Kraft bei Tag und bei Nacht. Diese Kraft wird in ganz Obernonstal zur Beleuchtung, zum Betriebe von Arbeitsmaschinen verwendet. Ja, sie wirkt auch auf der Mendel‘, und in Kaltern; der Pass wird von ihr beleuchtet und die Draht­ seilbahn Kaltern-Mendel in Bewegung gesetzt. Noch viel mehr Kraft als gegenwärtig könnte die Zentrale erzeugen. Romeno ist besonders


41 auch in der Geschichte bekannt. Rast durch das ganze Mittelalter war es Hauptort des oberen Nonstales. Wir haben Andenken aus dem Altertum (Saturnuskult, römische Kunde, soll doch Romeno aus einem römischen Kastell entstanden sein) und besonders viele aus dem Mittelalter. Bei Romeno steht ein einsames Haus, genannt „II maso“, gegenwärtig im Besitze der Familie Caliari, das mittelalterliche Hospiz S. Tomaso (S.Bortolomeo). Es ist allgemein bekannt, dass auch im frühen Mittelalter ein reger Verkehr über den Brenner durch das ganze Tirol nach Italien und umgekehrt herrschte. Die Institution der Gasthäuser kannte man damals noch nicht. Was für die Unterkunft der Reisenden in der Hinsicht geschehen ist, ver­ dankt man dem christlich-charitativen Sinne der Zeit, welche die Gastfreundschaft hoch in Ehren hielt. Unter den Wanderern nun, die durch unser Land mussten, vorzüglich zu den Zeiten der Kreuzzüge, Krieger, Kaufleute Pilger und Sänger, werden viele den Mendelpass, wo einst auch ein Hospiz stand, passiert haben, um über das Nonstal und Trient die Poebene zu erreichen. Romeno stand nun sozusagen in einem gewissen Mittelpunkt und bildete eine natürliche Rast- (Übernachtung-) Station. Wohl diesem Umstande wird es zu verdanken sein, dass die damalige Nächstenliebe hier ein Hospiz schuf. Zuerst hat das Gebäude als Gerichtstätte gedient, wo der Fürst­Bischof von Trient oder sein Stellvertreter zu Gericht sassen, Streitigkeiten entschieden oder schlichteten. Hierauf diente es als Hospiz, und zwar soll es vom mildtätig veranlagten Fürstbischof Friedrich von Wanga (1198) in ein solches umgewandelt worden sein. Den Dienst besorgten für längere Zeit Priester (Hospitaliter oder Augustiner) unter einem Prior und dann Laien.


42 In den folgenden Jahren kam das Institut empor, es wurden ihm Güter in Romeno und auch in Kaltern ge­ schenkt, ein Fingerzeig, dass schon damals ein gewisser Ver­kehr und geschäftliche Verbindungen zwischen Obernonstal und Überetsch bestanden. Viele Familien hatten bis in die neueste Zeit herauf in Kaltern und Umgebung Besitzungen. Wann S. Tomaso als Hospiz aufhörte, wissen wir nicht. Im 16. Jahrhundert wurde es ein bischöfliches Lehen und als solches an Geistliche und Laien vergeben. In dieser Zeit ist es recht herabgekommen. Im Jahre 1593 wurde es dann mit mehreren anderen vom Kardinal Bernhard von CIes dem f.-b. Seminar in Trient übergeben. Dieses verpachtete es an Laien; im Jahre 1677 (26. Mai) an die Gebrüder Üaliari in Romeno. Die Nach­kommen derselben fanden sich mit dem Seminar ab und be­sitzen den Hof nun als freies Eigentum. Das Gebäude ist oft umgebaut worden. Wahrscheinlich bat man hierbei die Form der Kapelle noch beibehalten, wie Professor Rosati behauptet. Schlagen wir den Weg zur elektrischen Zentrale ein (siehe oben), gehen wir über die Pozzenabrücke und verfolgen


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den felsigen Weg in südlicher Richtung, so gelangen wir in etlichen Minuten zu einem neuen zweiten Hospiz, welches auf dem soge­nannten Lazarushügel liegt und Ospizio di San Biagio heisst. Ein kleines Kirchlein mit zerfallenem Türmchen winkt uns so traurig und verlassen von dem insellörmigen Hügel herüber. Die Brücke, welche hin überführt, ist sehr interessant. Wer von hier ans auf die weissen Blasen des Novella schaut, der schaudert vor der gähnenden Tiefe förmlich zurück, un­ willkürlich sieht er sich um, ob er wohl auf sicherem Grund steht. Das Bett, welches sich an dieser Stelle der Fluss ge­schaffen hat, das ausgehöhlte Gestein, die Kräutlein und Bäumchen, die in angemessener Höhe wachsen, sie sind sehr originell. St. Blasius war ein Hospiz, aber nicht für Wanderer, sondern für Aussätzige. Diese schreckliche orientalische Krank­ heit


44 wurde wahrscheinlich zur Zeit der Kreuzzüge in Europa eingeschleppt. Die armen Opfer mussten vom Menschenverkehr abgeschlossen werden, aus der Gesellschaft hinaus gestossen. Für sie wurde von den Gemeinden Revò und Romallo das am Wasser liegende S.Blasius erbaut, besser gesagt, es wurde durch den wohltätigen Sinn für die Aussätzigen dieser Gemeinden gebaut. Als diese Krankheit wieder aus Europa schwand, wurde es ein Benefizium, Die dürftigen Felder bebau­ten Einsiedler. Jetzt ist es im Besitze von Dr. Lorenzoni in Cles. Das Haus ist mehr oder weniger verlassen. Die Kapelle wurde öfters renoviert; jetzt ist sie auch verwahrlost. Vom Hügel aus geniesst man eine lohnende Aussicht, besonders auf den Novella und die romantisch am Boden eines trichter­ förmigen Beckens gelegene elektrische Zentrale. Feldwege führen von hier nach Romallo und Revò... In der Geschichte der Malerei wird Romeno immer mit Ehrfurcht genannt werden. Es ist der Geburtsort des berühmten Malers Johann Baptist Lampi (Lamp): geboren am 31. De­zember 1751, hielt er sich eine Zeitlang in seiner Heimat auf, kam sodann nach Verona, Trient, Innsbruck, Kärnten, Wien, Krakau, Petersburg, Berlin; zuletzt Professor der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ehrenmitglied der Akademien von Petersburg, Stockholm und Wien, von den österreichischen Kaisern mit dem Rittertitel und ver­schiedenen anderen Ehrungen ausgezeichnet, gestorben in Wien am 11. Februar 1830. Lampi war einer der hervor­ ragendsten Maler seiner Zeit. Seiner Hand entstammen die Por­träts der Kaiser Josef II, Franz I., der Kaiserin Katharina II. von Russland, der Gemahlin Napoleons I.,


45 Erzherzogin Maria Louise, ferner des bekannten Staatsmannes Fürst Kaunitz, des vielgenannten Günstlinge Potemkin, von Männern und Frauen aus den berühmten noch jetzt blühenden Adelsge­schlechtern Österreichs, Polens und Russlands, Auch der Schwedenkönig Gustav Adolf IV. liess sich von Lampi malen, ferner Männer der Wissenschaft (Gerhard van Switen) und der Kunst (G. Gluck) und auch berühmte Heerführer (Fürst Schwarzenberg) u. a. Lampi hat aber auch seinem heimischen Tale viele wertvolle Bilder hinterlassen, so die Hauptaltarbilder von Cavareno, Romeno (siehe oben), Por­träts von Familienmitgliedern alter Familien (Gilli, Deromedis von Romeno, von denen aber die meisten von seinem Vater gemalt worden sein dürften, weil unser Lampi die Heimat ziemlich früh verlassen hat), Cavareno (de Zinis) etc. Das schönste und wertvollste Andenken überließ aber der alte Maler der prachtvollen Pfarrkirche seiner Heimatgemeinde, das Bild des Hauptplatzes, die Himmelfahrt Mariens darstellend. Wir verfolgen, von Romeno ausgehend, einen angenehmen Gang und gelangen sodann durch anmutige Wäldchen, wogende Kornfelder


46 und Bunte Wiesen nach Malgolo, Das etwas zer­streut gelegene Dörfchen zählt 300 Einwohner und hat eine schöne Lage, die den Ausblick bis CIes und in das Sulztal hinein gestattet. Eines Besuches wert ist das neu restaurierte Castel Malgolo. Der nächste Ort, den wir antreffen, ist Sanzeno. Sanzeno (1000 Einwohner, 641 m Seehöhe) ist reich an Wein- und Getreidegütern. Es besitzt eine weit und breitbeinige, schöne Kirche mit

wertvollem Altarbilde, das der kunstfertigen Hand Lampis entstammt. Als im Jahre 1472 ein alter Altar demoliert wurde, fand man darunter die Leiber der Heiligen Sisinius, Martyrius und Alexander, der Glaubensboten Nonsbergs, die von den noch heidnischen Bewohnern des Tales im 4. Jahrhundert den Martertod erlitten. Sie ruhen jetzt in einem eigenen Grab im Presbyterium rechts vom Hochaltar. Zu Hunderten wallfahren die Nonsberger hier her, um Trost zu finden und den unerschrockenen Helden für die christliche Kultur, die sie ihnen gebracht, zu danken. Empfehlenswerte Gasthäuser: Gasthof Rizzi, deutsch und italienisch, Fahr­gelegenheiten, Gasthof „Sanzeno“, Besitzer Bertagnoli, billige Fremdenzimmer, gute Küche. K. k. Postamt im Orte, Arzt in der nächsten Hahe(Casez). Von Sanzeno führt ein Weg nach Banco und Casez; von hier aus nach Dambei In östlicher Richtung taleinwarts zweigt ein fahrbarer Weg


47 nach S. Romedio ab. Südlich von Sanzeno, am Ende der steinernen Brücke führt ein Steig durch Waldungen den Berg hinan nach Coredo und Tavon (Geburtsort des hl. Romedius?). Die Reichstrasse zwängt sich weiter gegen Süden, von Sanzeno ausgehend, durch, die üppigsten Weingüter und Ge­treidefelder bis Dermullo, von wo die Strassen nach Cles-Malé und Revò ausgehen, von hier nach Tajo. Tajo (517 m hoch) ist Sitz eines f.-b. Dekanalamtes, k, k. Post- und Telegraphenamts, mehrerer gemeinnütziger Volks­ vereine. Bekannt ist der Ort in weiten Kreisen durch seine Peitschenstielindustrie. Die hier verfertigten Peitschenstiele werden in die grösseren Städte des In- und Auslandes versendet. Gasthäuser „Zur Post“, Besitzer Reich, Corona, Stern, alle gut. Tajo ist gegenwärtig von besonderer Bedeutung als Knotenpunkt für den Verkehr des oberen mit dem unteren Nonstal und S. Michele, des Sulztales mit der Mendel und mit Trient über Mezzolombardo. Eines Besuches ist das Kastell Thun (bei Tajo) wert, welches wertvolle Malereien be­sitzt. Nicht weit von Tajo finden wir auch die berühmte Justinabrücke, eine viel besuchte und angestaunte Sehens­ würdigkeit, die wohl in weiten Kreisen der Fremdenwelt be­kannt ist und schwerlich ihresgleichen findet. Durch den Garten des Hotels „Mendelhof“ auf der Mendel zeigt von der Reichsstraße ein Feldweg ab, der uns durch angenehmen


3. Route

Ruffré

Don

S. Romedio


49 Wald zunächst nach Ruffre hinunter führt. Ruffre (1000 Einwohner) ist sehr idyllisch auf einem grünen Hügel gelegen. Die fleissig bebauten Felder erhöhen den Reiz des angenehmen Bildes. Die Haupteinnahmequelle der Be­ wohner bilden der Wald, die Viehzucht und der Ackerbau. Seit der neuesten Zeit hat sich in den Sommermonaten auch die Fremden Industrie hinzugesellt. Ruffre ist nämlich beson­ ders für jene fremden Sommergäste geeignet, welche vom Lärm der täglichen Welt abgeschlossen leben wollen. Von Ruffre weg führt uns der Weg in das Tal hinunter und teilt sich dort, wo eine zerfallene Mühle steht. Der Zweig rechter Hand führt nach Cavareno, der linksseitige über den Bach durch duftigen Fichtenwald nach Amblar und

von hier nach Don. Es ist wirklich schade, dass diese beiden Orte mit einer praktikablen fahrbaren Strasse nicht verbunden sind. Ihre Lage ist sehr vorteilhaft, auf anmutigen Hügeln am Waldes­rande, am Fusse des bekannten Monte Roen. In Amblar haben wir ein kleines, aber reinliches Gasthaus. Don (971 m hoch), die Heimatgemeinde des gegenwärtigen Fürstbischofes von Trient, zählt 550 Einwohner, ist Sitz einer f.-b. Kuratie,


50 am Waldesrande anbei einer fast ebenen Fläche gelegen. Es eignet sich vorzüglich als Sommerfrischstation und als Aus­ gangspunkt für Touristen, welche die Romeno-Alpe und den Monte Roen aufsuchen wollen. Für Unterkunft ist in der Villa Maria des J. Asson gut vorgesorgt. Soeben hat auch Herr Leopold Endrici gebaut, so dass für den Aufenthalt jetzt noch besser vorgesorgt ist. Es sind auch die gegenwärtigen Gasthäuser nicht so übel. Das Bergdorf besitzt sehr gutes Trinkwasser. Besonders hervorzuheben sind die ausgezeichneten Milchprodukte. Der Käse, den die Sennereigenossenschaft bereitet, kommt den schweizerischen Arten fast gleich. Wandern wir weiter nach Süden, immer den Feldweg entlang, so gelangen wir in zirka 3/4 Stunden nach S. Ro­ medio. Der rechtseitige

Weg führt nach Salter. Der Felsenvorsprung, der sich hier bei Salter unmittelbar am Anfänge des jähen Steiges, der uns auch in die Romedioschlucht hinunter­führt, befindet, bietet ein schönes Panorama. Zu unseren Füssen, scheinbar fast durch einen Steinwurf erreichbar, liegt der Wallfahrtsort St. Romedius, vor unseren Augen breitet sich das ganze Nonstal und ein großer Teil des Sulztales mit ihren Bergen und Türmen, Wiesen und Wäldern, Getreide-, Obst- und Weinkulturen aus. Von Salter (287 Einwohner; „Albergo Alpine“, Besitzer M. Pellegrini) kann man in einer kurzen halben Stunde nach Romeno auf gutem


51 Weg gelangen. Benützen wir den jähen Steig am obengenannten Felsenvorsprung (der Abstieg hier ist nur gewandten Herren zu raten, andere und Damen gehen bis am Waldesrande vor und finden dort einen bequemeren Abstieg, der die Markierungsfarbe des Weges RomenoSt. Romedio trägt), so gelangen wir in kurzer Zeit nach S. Romedio (768 m über dem Meere gelegen). Die Lage des Kirchleins, aus fünf terrassenförmig über­einander gebauten Kapellen bestehend (768 Meter), samt Ökonomie- und Gasthaus Gebäude ist originell. Alles steht aufeinem hohen, schmalen Felsen, der kühn in die Luft ragt. Daneben rauscht der Bach, sonst lautlose Stille umgibt den elpsamen Wanderer in frühen Morgenstunden, bis der helle Ton des Aveglöckleins ihn mahnt, dass sich hier ein Ort der Andacht befindet, eine Einsiedelei, dass auch hier Menschen leben. Eine Gedenktafel an der Seitenwand dieses merkwürdigen Baues erinnert den andächtigen Besucher, dass im denkwürdigen Jahre 1809 auch der Tiroler Held Andreas Hofer mit 500 seiner treuen wackeren Schützen hier Trost gesucht und an dieser heiligen Stätte auch gefunden hat. Die Kirche besitzt wertvolle Motivtafeln und alte Wandmalereien, das Lehen des heiligen Einsiedlers und Glaubensboten, wie er hier gelebt und gewirkt hat, darstellend. Leider ist Gefahr vorhanden, dass mehrere, wirklich beachtenswerte Stücke da­ von zugründe gehen, wenn sich der Kunstsinn ihrer nicht besser annimmt. Jeden Sonntag ziehen viele Andächtige hier aus und ein, darunter auch gar mancher Tourist, der hier den Wander- mit dem Pilgerstab vertauscht hat. Auch er verlässt diese wildromantische Schlucht am rauschenden Bach, zwischen hohen Felsenwänden eingeklemmt, befriedigt. Einen Besuch


52 verdient auch der Friedhof des Wallfahrtsortes, auf dem mancher Priester und mancher Laie den sanften ewigen Schlaf schläft. Von St. Romedius führt ein leidlicher Fussweg in süd­östlicher Richtung zum Ansitze des Professors Canestrini, weiter nach Tavon und Coredo. Coredo ist 831 m hoch gelegen, hat eine anmutige, gesunde Lage und wird während der Sommermonate gerne als Frischort gewählt. Es ist Sitz einer Pfarrei und eines k. k. Post- und Telegraphenamtes und zählt über 1200 Ein­wohner (Gemeindearzt), die Ortschaft hat auch mehrere gut geführte Gasthäuser (Albergo al Pavone) und manche Sommer­ villa. Von hier aus führt ein Steig den Berg hinab nach Sanzeno (siehe oben) und eine sehr gute Straße nach Tajo, von wo aus nach allen Richtungen Stellwägen und Kutschen verkehren, gegen Cles-Male, gegen San Michele und Trient und gegen den Mendelpass und Bozen. Wenn jemand nun in der angenehmen Frühlingszeit oder in den warmen


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Sommertagen nach dem Alpengarten Tirols, in das Dolomitengebiet kommen will, die Mendelgruppe mit ihren zauberhaften Schönheiten aufsucht, so möge er es nicht versäumen, das Nonstal mit seinen pittoresken Situationen zu besuchen! Er wird für die paar Tage, die er dazu verwenden müsste, reichlich entschädigt. Die angenehmen Erinnerungen, welche sein verhältnismäßig kurzer Aufenthalt in dieser frischen gesunden Bergesluft, wo die Alpenrose glüht und die Anemone winkt, ihm hinterlassen hat die freundlichen guten Leute, die prachtvollen Aussichten möchte der Autor, den zahlreichen Bildern, die er sich als bescheidener Tourist in Tirol, der Schweiz, dem schönen lustigen Salzkammergut, wo alles sich bewegt, singt und tanzt, naiv wie die Mutter Natur seidher lebt, von den Naturschönheiten, der Originalität, und Urwüchsigkeit der biedern Bewohner, ihre ungekünstelte, vom Herzen kommende Freundlichkeit einge­ prägt hat, wohl ungern vermissen. Das Tal ist eines Besuches wert nicht nur seitens der vielen Freunde unserer Alpen weit, sondern auch der Bota­ niker,


54 Mineralogen und Philologen, wie man weiter oben aus meiner Beschreibung ersehen kann. Die Soziologen und die Oekonomen werden aber gewiss auch für sich etwas finden, und vielleicht hier mehr als anderswo. Von Obernonstal nämlich ist die volksorganisatorische Idee für Italienisch-Tirol ausgegangen. Hier finden wir ein wohlorganisiertes Genossenschaftswesen, welches bereits jetzt den Volksfreunden aller Länder und Nationen zum Muster dient, das die schönsten Früchte zeigt. Das, was im Nonstal geschaffen worden ist, Elektrizitätswerk, Tischlereien, denen bald Werkstätten von Mechanikern gefolgt sind, Landspar­kassen, Konsumvereine etc., kam auf Grund der Organisation des Volksvermögens zustande. Diese Idee ist also bereits an der Arbeit, das Leben des Tales im Sinne des Fortschrittes umzuändern, auch den idyllischen, primitiven Schein desselben wegzunehmen. Die Zeit dürfte, wie wir bereits oben gesagt haben, nicht mehr lehre sein, wo das allermodernste Verkehrsmittel, die elektrische Bahn, Nonstal von einem Ende zum anderen, von der Mendel bis Dermullo, von Male über ClesDermullo-S.Michele durchfährt und so die berühmten Frisch und Heilquellorte Mendel, Madonna di Campiglio, Rabbi und Pejo einander um ein Bedeutendes näher gebracht werden, wo die Räder bei Tag und Nacht klappern, die Ma­schinen nur so sausen und -rasseln und die elektromotorische Kraft, die moderne Betriebskraft, zum Wohle der Gesamt­heit auch hier wirkt. Ja, wir glaubten nicht fehl zu gehen, wenn wir annehmen, dass die Bahn wohl bald bis zum berühmten Penegal, dem Tiroler Rigi, hinauffahren wird. So wird unser Land Tirol mit der einträchtigen Hilfe aller, der kleinen wie der grossen, ebenbürtig an die


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Seite der Schweiz rücken, jenen Platz auch in Wirklichkeit ein­nehmen, den ihm die Natur bereits zugesichert hat, indem sie unser Land mit Schönheiten so überschwänglich bedacht hat. Das walte Gott!


120mm x 200mm Headline: Cy 14pt/17pt Body Text: Adobe Caslon Pro 10pt/12,25pt mit Unterstützung der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann



Unibz - Typography and Graphics

Sommersemester 2021

Professor Antonino Benincasa

editiert von Greta Pallhuber Severin Piller


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