Der Bajazz - 88 Jahre Schwarze Elf

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2015

Dumm gelaufen – Tragödie am Rande einer Sitzung des Ehrenrates der Schwarzen Elf Ort der Handlung: 19.00 Uhr - Gasthaus „Weißes Ross“ in Trechtingshausen In einem abgetrennten Raum steht eine festlich geschmückte Tafel, die Platz für die angekündigten 18 Personen bietet. Alles ist vorbereitet für die Gäste aus Bingen, den Ehrenrat der Karnevalsgesellschaft Schwarze Elf. Daneben steht noch ein Tisch, der sechs Personen Platz bietet. Der Raum ist leer, verbreitet eine festliche, aber doch auch heitere Atmosphäre. 19.15 Uhr Die wunderschöne Tafel steht immer noch in ihrer jungfräulichen Pracht und wartet auf die Binger Gäste. Noch sind die Teller blitzblank, die Bestecke glitzern edel im Lichte der an der Decke herunterhängenden Lüster, die frisch gestärkten Damast-Tischdecken weisen keine Falten auf; die Stühle stehen gerade wie an der Schnur gezogen und sind gespannt, wer und mit welchem Gewicht nachher auf ihnen sitzen wird. Die Blumen („Vergissmeinnicht“) stehen stramm in ihren verschlungenen, verspielten Väschen mit goldenem Rand. Apropos Vergissmeinnicht: Die haben sich besonders herausgeputzt, freuen sie sich doch auf einen Großmeister der Blumenkunst, auf den Kappenbruder Bernd Uihlein. Spannung liegt in der Luft. Die Luft flittert. (Später stellt sich allerdings heraus, dass das Flittern von einem alten Lamettastreifen kam, der sich bereits beim vorjährigen Weihnachtsfest in der Lüftungsanlage verheddert hatte.) 19.30 Uhr Eine Schmerzen verursachende Spannung liegt in der Luft. Der prachtvoll vorbereitete Gastraum verharrt in erwartungsvoller Erstarrung. Besonders sensible Menschen könnten aber auch eine ahnungsschwangere Ungewissheit spüren. Der schmale Grad zwischen Hoffen und Bangen ist erreicht. Die aufkommende Unruhe ist zum Greifen. Die vorher so strahlenden Lüster geben ihrem Licht einen Hauch von Traurigkeit mit in den Raum. Den Protagonisten schwant, dass sie sich eventuell umsonst so herausgeputzt haben. Die Damastdecken legen ihre Stirn in Falten, die Teller werden aschfahl, die Bestecke ärgern sich und laufen blau und grün an, die Gabeln kräuseln ihre Zinken, die Löffel machen zu und drehen sich aufs Gesicht und die Stühle sacken langsam in sich zusammen. Schließlich lassen auch die lieblichen Vergissmeinnicht die Köpfe hängen.

Von Wolfgang Peters

19.32 Uhr Aber da, kurz vor 19.33 Uhr, hört man auf einmal zielführende Schritte vor dem Eingang. Ist das der Ehrenrat der KG Schwarze Elf aus Bingen? Erwartungsvoll blicken die Stammgäste im Schankraum zur Tür. Die Schritte kommen immer näher. Schnell stehen im Festsaal die 18 Stühle wieder in Reih und Glied, bringt sich die lange Tafel wieder in Position, straffen sich die drei Damast-Tischdecken, bekommen die 18 Teller wieder Farbe und die 18 Besteckgarnituren wieder ihren Glanz. Dabei legen sich die Löffel erwartungsvoll auf den Rücken, die fünf Blumenväschen gehen in Stellung, und die fünf Vergissmeinnichtsträußchen stehen wieder wie eine eins, ebenfalls die Servietten, die zuvor von einer Kaltmamsell liebevoll zu kleinen Zelten aufgebauscht wurden. Atemlos schauen alle zum Eingang. Die Lüster schaukeln aufgeregt hin und her. Das schwankende Licht bricht sich an den Wänden. Die Räume der Weinstube erschaudern vor dem gewaltigen Wetterleuchten. Die Küche ist bestens gerüstet, der rote Teppich ausgelegt. Die Wirtsleute stehen vor Erwartung stramm. Ihr Herzklopfen erfüllt den Raum und stört die Andacht. Jeder im Raum spürt, jetzt passiert etwas Außergewöhnliches und „ich bin dabei“. Die Spannung hat ihren Siedepunkt erreicht. Es ist nicht mehr auszuhalten! Die anwesenden Gäste im Schankraum halten den Atem an. 19.33 Uhr Da, die Tür geht auf! Und herein kommt der Ehrenrat der Karnevalsgesellschaft Schwarze Elf Bingen unter Führung ihres wackeren Ehrenrats-Vorsitzenden Winfried Weis: Ehrenrat Nr. 1 (Winfried Weis) - Ehrenrat Nr. 2 -Ehrenrat Nr. 3 - Ehrenrat Nr. 4 - Ehrenrat Nr. ? - Ja, und weiter? Die Wirtsleute stöhnen ahnungsvoll. NIX MEHR !?! Glücklicherweise hat die Eingangstür ein Einsehen und schließt sich von selbst nach einer kurzen Verschnaufpause und nachdem das gefühlte fünfte Ehrenratsmitglied den Schankraum betritt. Die vier aufrechten Ehrenratsmitglieder steuern mit einem schmetternden „Gott Jokus, helf“ auf die Festtafel zu. Dort stellen sie aber fest, dass diese viel zu groß ist und setzen sich an den ebenfalls eingedeckten Nebentisch mit sechs Plätzen.

Jubiläumsausgabe 2015

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