Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

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Projekt Goethequartier



...wie ein Bremerhavener Altbauviertel wieder ins Positive kippen kรถnnte.



Projekt Goethequartier ...wie ein Bremerhavener Altbauviertel wieder ins Positive kippen könnte.

P3-Bericht Studiengang Bachelor Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg Sommersemester 2011

Ralf Angermann Michael Burij Larissa Guschl Ludger Hellweg Immo Hüls Melanie Johns David Rademacher Stephan Strittmatter

Betreuer: Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Dipl.-Ing. Mario Abel



Inhaltsverzeichnis

Vorwort 8 1. Einführung

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1.1 Problemstellung

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1.2 Zielsetzung

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1.3 Arbeitsprozess und -methodik

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1.4 Aufbau des Projektberichts

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2. Analyse

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2.1 Bremerhaven 2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität 2.1.2 Geschichtlicher Überblick 2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur 2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt

27 27 28 34 36 40

2.2 Ortsteil Goethestraße 2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung 2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand 2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur 2.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen Exkurs: Schrottimmobilien

43 43 43 47 48 50 53

2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme

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2.4 Akteursanalyse

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2.5 Experteninterviews 2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven 2.5.2 BIS Bremerhaven 2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH 2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“ 2.5.6 Designlabor Bremerhaven

67 67 68 70 72 76 80


2.6 Zwischenfazit: Zentrale Erkenntnisse der Analyse

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2.7 Potentialkarten

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3. Konzept

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3.1 Zentrale Projektfragen

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3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“

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3.3 Toolbox 1) Möglichkeitsräume 2) Kümmererkonzepte

103 vier neun

3) Lokale Ökonomien zehn 4) Marketinginstrumente elf Katalog dreizehn vierzehn Nutzungshinweise fünfzehn Kurzübersichten #01: NEIGHBOURHOOD BRANDING dreißig #02: LEERSTANDS- UND BAULÜCKENINFORMATIONSSYSTEM siebenundreißig #03: TEMPORÄRE STADT zweiundvierzig #04: BAUSPIELPLATZ achtundvierzig #05: NACHBARSCHAFTSGÄRTEN/INTERKULTURELLE GÄRTEN vierundfünfzig #06: LADEN ZU VERSCHENKEN einundsechzig #07: PROBEWOHNEN siebenundsechzig #08: WÄCHTERHÄUSER einundsiebzig #09: MODE AUS DEM QUARTIER siebenundsiebzig #10: ÖFFENTLICHE HOTSPOTS zweiundachzig #11: COWORKING neunzig #12: GASTRONOMISCHE ZWISCHENNUTZUNG fünfundneunzig #13: ZEN-GARTEN hunderteins #14: ALTENGERECHTES WOHNEN hundertsieben #15: BALKONE IN BAULÜCKEN hundertzwölf


4. Interventionen

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4.1 Kinder-Fotosafari

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4.2 Ausstellung

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4.3 Ă–ffentlichkeitsarbeit

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5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025

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6. Fazit

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Abbildungsverzeichnis 136 Literaturverzeichnis 144 Quellenverzeichnis 146

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Abbildung 1: Die Projektgruppe

Vorwort Von den „Baulücken in Bremerhaven“ zum „Projekt Goethequartier“

Zu den wohl spannendsten Momenten in einem Projekt gehört der, in dem man zum ersten Mal das neue, noch unbekannte Projektgebiet „begeht“: Neugier mischt sich da eventuell mit Ratlosigkeit, erste Eindrücke führen zu ersten Ideen, man vergleicht mit Bekanntem, sucht nach offensichtlichen Missständen und Potentialen, fühlt sich spontan angezogen oder – trotz allem Bemühen um „professionelle“ stadtplanerische Objektivität – eher abgestoßen. Und sofern Thema und Untersuchungsgebiet selbst gewählt wurden, steht über allem die Frage: Haben wir uns richtig entschieden?


Um ehrlich zu sein, der Bremerhavener Ortsteil Lehe-Goethestraße hat es uns da anfangs nicht so ganz leichtgemacht: Zu vieles passte nicht zusammen, unterlief unsere Erwartungen, überforderte unser bis dahin erworbenes stadtplanerisches Wissen und – ja, stieß uns eher ab. Gerne hätte daher der eine oder die andere von uns das Projektgebiet eingetauscht gegen eines, das man „versteht“, auch ohne von dort zu stammen, das man mag, auch ohne dort bzw. in der Nachbarschaft aufgewachsen zu sein, wie der Initiator unseres Projekts. Glücklicherweise allerdings haben wir diesen Tausch dann doch nicht gewagt, denn natürlich haben wir den Ortsteil Goethestraße nach und nach zu verstehen gelernt – und irgendwann mochten wir ihn dann sogar richtig gerne. (Folgerichtig wurde aus dem sachlich-distanzierten Titel „Baulücken in Bremerhaven“ im Laufe der Zeit auch etwas viel Emotionaleres: das „Projekt Goethequartier“.) Beides, das Verstehen und das Mögen, hängt übrigens vor allem mit den Menschen zusammen, die wir dort kennenlernen durften. Zahlreiche Gespräche haben uns nicht nur die Analyse sehr erleichtert, sondern uns auch mehr als einmal auf neue Ideen gebracht und somit ganz wesentlich zum Erfolg des Projekts beigetragen. Wobei, ein wirklicher Erfolg wäre es natürlich erst, wenn einige der von uns für das Goethequartier vorgeschlagenen „Tools“, der stadtplanerischen Werkzeuge, irgendwann einmal tatsächlich dort eingesetzt würden. Auf dass sich das Viertel so entwickelt, wie wir uns das erhoffen… Danken möchten wir neben unseren Gesprächs- und Interviewpartnern in Bremerhaven sowie allen an der Kinder-Fotosafari und der Ausstellung Beteiligten nicht zuletzt auch unseren Projektbetreuern Herrn Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Herrn Dipl.-Ing. Mario Abel, die uns mit konstruktiver Kritik und vielen hilfreichen Hinweisen bei unserer Arbeit unterstützt haben.

Hamburg im Juli 2011

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1. Einf端hrung


Abbildung 2: Eine Baul端cke im Quartier

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1.1 Problemstellung

Während in Hamburg, München oder Berlin – ebenso wie in anderen, kleineren Städten in Deutschland – darüber diskutiert wird, wie die „Gentrifizierung“ innenstadtnaher Altbauquartiere aufgehalten werden kann, sieht sich der gründerzeitliche Bremerhavener Ortsteil Lehe-Goethestraße seit Jahren mit dem umgekehrten Problem konfrontiert: Hier ist eine Abwärtsspirale in Gang gekommen, die sich zusammensetzt aus diversen regionalen Wirtschaftsstrukturkrisen, dem Schrumpfen der gesamtstädtischen Einwohnerzahl, dem Prozess der Suburbanisierung und dem Wegzug gutsituierter Bevölkerungsschichten, einem schleichenden Imageverlust des Viertels, Mietpreisverfall und Fehlspekulationen, dem Ausbleiben von Investitionen, Verwahrlosung und Verfall etc. Die Folgen sind inzwischen unübersehbar: Die Substanz vieler Gebäude ist in einem besorgniserregenden Zustand, Balkone und Erker müssen gestützt werden, Fassaden bröckeln, Hunderte von Wohnungen und zahlreiche Ladenlokale stehen leer, um die verlassenen Häuser vor Vandalismus zu schützen, wurden Fenster vernagelt, und in der Blockrandbebauung entstehen durch Abriss bereits erste Lücken. In dieser Situation hätte sicherlich niemand etwas einzuwenden gegen ein wenig Gentrifizierung, gegen einen Aufwertungsprozess also, der verbunden ist mit dem Zuzug neuer, finanzkräftiger Mieter und potentieller Eigentümer, mit steigenden Mieten, einer schrittweisen Verbesserung der Bausubstanz sowie der Ansiedelung neuer Nutzungen. Doch im Gegensatz zu eingangs erwähnten Metropolen verfügt Bremerhaven als traditionelle Arbeiterstadt weder über ein vergleichbares Milieu aus Künstlern und Studenten, das ein Quartier belebt und für andere Nutzer attraktiv macht, noch über eine stetig wachsende, gut ausgebildete und gut verdienende Schicht junger Angestellter, die auf der Suche ist nach zentralem, urbanem Wohnraum. Darauf, dass ein Altbauquartier wie der Ortsteil Goethestraße früher oder später „automatisch“ wieder begehrt wird und den Prozess der Aufwertung durchläuft, kann sich die Stadt folglich nicht verlassen. Im Gegenteil: Viel eher ist damit zu rechnen, dass Bremerhaven im Zuge des demographischen Wandels, der hier wie in ganz Deutschland abläuft, weiter an Einwohnern verliert, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter abnimmt – und damit auch der Anreiz, in ein Viertel zu ziehen, das primär assoziiert wird mit sozialen Problemen und einer schlechten

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Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße

Bausubstanz, dessen städtebauliches Erscheinungsbild in vielen Teilen also ebenso schlecht ist wie sein Image. Andererseits: Dass Städte nicht nur wachsen, sondern von Zeit zu Zeit durchaus auch mal schrumpfen können, ist historisch betrachtet wie auch im weltweiten Maßstab keineswegs außergewöhnlich. Nach Jahrzehnten des Wachstums jedoch fällt es, vor allem in Deutschland, vielen nach wie vor schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass die Zahl der Einwohner (wie auch die Wirtschaftskraft) im Laufe der Zeit nicht überall weiter zunehmen oder zumindest konstant bleiben wird. Dabei lässt sich das Phänomen des Schrumpfens in einigen Städten bzw. Regionen des Landes bereits seit den 1970er Jahren beobachten, seit einer Zeit also, in der aufgrund der Strukturkrise traditioneller Industrien ganze Beschäftigungszweige wegbrachen und Menschen massenhaft arbeitslos wurden. Diverse finanzielle Ausgleichsmechanismen, vom Länderfinanzausgleich über eine Vielzahl unterschiedlicher Subventionen bis hin zu sonstigen staatlichen Zuwendungen wie der Städtebauförderung, haben es vielen der von Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffenen Gemeinden trotz schrumpfender Bevölkerung und erodierender Steuereinnahmen noch eine ganze Weile ermöglicht, den gewohnten Standard einigermaßen aufrechtzuerhalten.

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Folglich waren es auch nicht die Standorte der einst boomenden Branchen Bergbau, Stahlerzeugung oder Schiffbau – überwiegend im Westen und Nordwesten Deutschlands gelegen –, die sich als erstes gezwungen sahen, sich offensiv mit dem Thema „Schrumpfung“ auseinanderzusetzen, sondern vielmehr die Städte in den Neuen Bundesländern: Dessau, Magdeburg oder Leipzig beispielsweise wurden somit zu „Pionierstädten“ des demographischen Wandels. Inzwischen müssen sich jedoch längst auch Kommunen im alten Westen des Landes, etwa Bochum oder eben Bremerhaven, Gedanken darüber machen, wie bei abnehmender Bevölkerungszahl städtisches Leben organisiert werden kann – zumal in Zeiten leerer öffentlicher Kassen. In diesem Zusammenhang beginnt sich immer häufiger die Erkenntnis durchzusetzen, dass viele der konventionellen Instrumente, die vor allem auf finanzieller Förderung beruhen, in der Vergangenheit nicht immer den erwünschten Erfolg gebracht haben. Hinzu kommt, dass aufgrund der sich rasch wandelnden Verhältnisse provisorische, temporäre Strategien ganz offenbar gegenüber langfristigen, auf Dauer angelegten Lösungen zu bevorzugen sind. Damit rückt in den letzten Jahren vermehrt der Aspekt der Zwischennutzung, der temporären Stadt, der urbanen Intervention in den Vordergrund – alles Maßnahmen also, die die gebaute Stadt ergänzen und, im Idealfall, wieder attraktiver machen können.

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1.2 Zielsetzung

Ziel des zweisemestrigen Projekts war es, eine Strategie zu entwickeln, wie die oben beschriebene Abwärtsspirale, in der sich der Ortsteil Goethestraße befindet, gestoppt werden kann. Darüber hinaus bestand der Anspruch der Projektgruppe darin, eine langfristige Vision für das zentral gelegene Gründerzeitviertel zu entwerfen und mögliche Schritte aufzuzeigen, mit deren Hilfe sich diese realisieren lässt. Im Fokus stand dabei die Nutzung der Baulücken und Leerstände, da sie aktuell das prägende Charakteristikum des Altbauquartiers darstellen. Einen Hinweis darauf, dass es in diesem Zusammenhang nicht primär um das Entwerfen neuer Gebäude bzw. sonstiger Bauwerke gehen würde, lieferte bereits die erste Ortsbegehung, deren Eindrücke im Folgenden auch durch die Analyse bestätigt wurden. Als konkrete Zielsetzung kristallisierte sich stattdessen die Entwicklung eines Katalogs von unabhängig voneinander anwendbaren Werkzeugen, sogenannten „Tools“, heraus, die sich zu einem Werkzeugkasten, einer „Toolbox“, bündeln lassen. Zum Teil entstammen sie dem weiten Feld der Zwischennutzung sowie der urbanen Intervention, zum Teil sind sie jedoch auch längerfristig angelegt, so dass es sinnvoll erschien, sie in eine zeitliche Ordnung zu bringen. Als weiteres Ziel kam im Laufe des Projekts hinzu, selbst einen kleinen Impuls zur Aufwertung des Ortsteils Goethestraße zu setzen bzw. die zahlreichen Initiativen, die dort bereits stattfinden, durch einen eigenen Beitrag zu unterstützen. Dies sollte in Form einer öffentlichkeitswirksamen und innovativen Aktion geschehen, mit der die Projektgruppe zwei Absichten verfolgte: Zu einen ging es darum, innerhalb des Projektgebiets sowie der Stadt Bremerhaven wahrgenommen zu werden und damit den Dialog über die eigenen Arbeit anzuregen. Zum anderen war beabsichtigt, das anzuwendende Instrument aus einem der Tools abzuleiten, um so dessen Tauglichkeit in der Praxis erproben zu können.

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1.3 Arbeitsprozess und -methodik

Das in diesem Bericht dokumentierte Projekt erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei Semestern bzw. rund neun Monaten. Es fand statt zwischen Oktober 2010 und Juli 2011 und wurde von insgesamt acht Studenten des Bachelorstudiengangs Stadtplanung im abschließenden Studienjahr durchgeführt. Das Thema konnte vollkommen frei gewählt werden, ebenso wie die betreuenden Dozenten. Ersteres – anfänglich „Baulücken in Bremerhaven“ – geht zurück auf den Vorschlag eines Kommilitonen, der aus Bremerhaven stammt und dort aufgewachsen ist. Um eine Kerngruppe, die das Projekt konzipiert und organisatorisch vorbereitet hatte, sammelten sich Anfang Oktober 2010 die weiteren Mitglieder, zwei weibliche und sechs männliche, die in dieser Konstellation zuvor noch nie zusammengearbeitet hatten. Für die beiden Dozenten entschied sich die Projektgruppe aus verschiedenen Gründen: Persönliche Erfahrungen aus vorangegangenen Projekten bzw. dem Städtebaulichen Entwurf spielten dabei ebenso eine Rolle wie die Überlegung, dass die Herkunft aus unterschiedlichen Fachbereichen dem Projekt förderlich sein könnte. Während der eine Betreuer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Projektentwicklung und Projektmanagement in der Stadtplanung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger tätig ist, arbeitet der andere ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsbereich Urban Design unter Prof. Dipl.-Ing. Bernd Kniess. Auf diese Weise konnte eine breite Spannbreite an unterschiedlichen Erfahrungen und Wissensgebieten abgedeckt werden, die in Form von fachlichen Anregungen, Hinweisen sowie konstruktiver Kritik in die Arbeit der Projektgruppe einfloss. Allerdings war die Betreuungsintensität, wie es der Intention des P3 entspricht, eher gering, der direkte Kontakt beschränkte sich auf etwa ein Treffen pro Monat, das jeweils zwischen einer und maximal drei Stunden dauerte. Die Projektgruppe selbst traf sich über die gesamten neun Monate praktisch jede Woche einmal, bei Bedarf auch zusätzlich an einem weiteren Tag, zu einer Plenumssitzung, die je nach Anzahl der Tagesordnungspunkte unterschiedlich lange dauerte. In diesem Forum wurden die Rechercheergebnisse aus Kleingruppenarbeit sowie individuelle Beiträge präsentiert und zentrale Fragen, Projektziele und weitere Arbeitsschritte diskutiert. Breiten Raum nahmen daneben

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Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung

organisatorische Aspekte ein, die bei einer Gruppengröße von acht Personen natürlich eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. Auch gelegentliche persönliche Spannungen und individuelle Kontroversen zwischen einzelnen Projektmitgliedern mussten teilweise auf der Ebene der Gesamtgruppe geklärt werden. Die Frage nach der Notwendigkeit einer Diskussionsleitung wurde während des Projektverlaufs mehrmals gemeinsam erörtert, durch Mehrheitsentscheidung fiel dabei die Entscheidung zugunsten einer flexiblen Handhabung: Im Regelfall verlief die Diskussion frei, bei Bedarf – etwa wenn Vorschläge und Ideen gesammelt und diskutiert oder Ergebnisse visuell strukturiert werden sollten – übernahm ein Gruppenmitglied spontan die Leitung. Im Übrigen wurden nahezu alle Projektsitzungen protokolliert. In sämtlichen Phasen des Projekts – von der Analyse über die Konzepterarbeitung bis hin zur praktischen Anwendung des Konzepts in Form von Interventionen – fanden in unregelmäßigen Abständen mehrere Exkursionen nach Bremerhaven, speziell natürlich in den Ortsteil Goethestraße, statt. Neben der Bestandsaufnahme und Kartierung lag der Schwerpunkt der Arbeit dabei auf dem Gespräch mit diversen Akteuren, die zum Teil auch außerhalb des unmittelbaren Projektgebiets angesiedelt waren. Insbesondere im Zuge der Interventionen konzentrierte sich die Projektarbeit dann verständlicherweise stark auf das „Goethequartier“ selbst.

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Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte und -methoden noch einmal detailliert beschrieben, um so den Projektverlauf nachvollziehbar zu machen (vgl. dazu Abb. 5). Grob gliedert sich das Projekt in drei Phasen: Analyse, Konzept und Intervention. Zunächst verbrachte


Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs

die Gruppe einige Wochen damit, sämtliches relevantes Datenmaterial sowie verfügbare Studien zu sichten und auszuwerten, um so einen Überblick über das Thema, das Projektgebiet und den städtischen Kontext zu erhalten. Dass dabei der Kreis anfangs bewusst weiter gezogen wurde, als in diesem Bericht erkennbar wird – das heißt in manchen Fällen natürlich auch zu weit –, versteht sich von selbst. Zumal, da das Projektziel zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht klar definiert werden konnte. Diese Eingrenzung fand erst im weiteren Projektverlauf statt und ergab sich zum Teil aus den Experteninterviews, die nach Abschluss der ersten, weitgehend theoretischen Analyse geführt wurden. Zuvor galt es jedoch, die zentralen Akteure zunächst einmal zu identifizieren; daneben bemühte sich die Gruppe darum, sich bei Ortsbegehungen ein genaueres Bild des konkreten Raums zu verschaffen, wozu der Bestand nach Kriterien wie Nutzung, Leerstand, Gebäudezustand etc. kartiert wurde. Gegen Ende der Analysephase, als sich abzeichnete, dass der enorme Leerstand im Ortsteil Goethestraße ein mindestens ebenso große Herausforderung darstellt wie die Baulücken (und dass beide Probleme natürlich untrennbar zusammenhängen), begann die Gruppe mit der Formulierung der Projektziele. Diese ergaben sich logisch aus den zentralen Projektfragen, die wiederum aus den wichtigsten Ergebnissen der Analyse resultierten. Damit trat das Projekt in die eigentliche Konzeptphase ein. Aus Gründen, die in diesem Bericht noch näher argelegt werden, entschied die Gruppe sich für die Erarbeitung einer „Toolbox“, eines stadtplanerischen Werkzeugkastens also, dessen Einzelteile sich innerhalb des Projektgebiets auch separat implementieren lassen. Der konkrete Aufbau dieser Toolbox, d. h. die

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methodische Gestaltung wie auch ihre semantische Struktur, wurde dabei intensiv diskutiert. Mitte Februar 2011 bot eine universitätsinterne Zwischenpräsentation vor Kommilitonen und Lehrenden die Möglichkeit, die bis dahin erreichten Ergebnisse vorzustellen sowie die ersten, noch nicht voll ausgereiften Konzeptansätze zu diskutieren. Um die diversen Tools räumlich besser im „Goethequartier“, wie das Plangebiet nun projektintern hieß, verorten zu können, wurde nach Abschluss der eigentlichen Analysephase noch einmal ein weiterer, letzter Analyseschritt eingeschoben: Mithilfe von Potentialkarten, die bei einer erneuten Ortsbegehung entstanden waren, ließen sich Orte innerhalb des Viertels bestimmen, die nach Ansicht der Projektgruppe geeignet sind, bei einer möglichen Umsetzung des Toolbox-Konzepts als „Keimzellen“ für eine weitere Entwicklung bzw. Aufwertung zu fungieren. Die Erarbeitung der konkreten Tools inklusive ihrer Oberkategorien nahm dann ungefähr vier Monate, von März bis Juni 2011, in Anspruch. Parallel dazu begann ab der zweiten Aprilhälfte die Planung und Vorbereitung der Interventionen, die zugleich die abschließende Projektphase bildeten. Durchgeführt wurden die beiden Aktionen, Kinder-Fotosafari und Ausstellung, im Mai und Juni, wobei vor allem die Ausstellung über einen Zeitraum von knapp zwei Wochen einen täglichen Einsatz einiger Projektmitglieder erforderte. Ebenfalls täglich traf sich die Gruppe in den beiden Projektwochen im Dezember und Mai, in denen keine sonstigen Uni-Termine anstanden. Den Abschluss des Projekts bildete universitätsintern eine Endpräsentation Mitte Juni, die Vorstellung der Ergebnisse in Bremerhaven ist für Ende Juli geplant, steht zum Zeitpunkt des Drucks dieses Berichts also noch aus. Verfasst und zusammengestellt wurde der Bericht ungefähr seit Februar 2011, d.h. etwa seit Mitte des Projekts, für die redaktionelle Arbeit im engeren Sinne stand die Zeit nach der Endpräsentation zur Verfügung.

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1.4 Aufbau des Projektberichts

Der Aufbau dieses Berichts folgt im Wesentlichen dem Projektverlauf, er gliedert sich folglich in einen analytischen und einen konzeptionellen Teil. Darüber hinaus wird den Interventionen in eigenes Kapitel gewidmet, da sie zwar eine Anwendung eines der Tools darstellen und damit strukturell dem Konzept zuzurechnen sind, aber faktisch betrachtet einen davon unabhängigen, praktischen Arbeitsschritt repräsentieren. Im Analyseteil soll zunächst der gesamtstädtische Kontext des eigentlichen Projektgebiets in seinen wesentlichen Zügen umrissen werden: Neben Lage und Verkehrsanbindung, Geschichte, Bevölkerungsstruktur und ‑entwicklung sowie wirtschaftlicher Situation wird dabei auch auf den Bremerhavener Wohnungsbestand und Immobilienmarkt eingegangen. Anschließend fokussiert sich die Analyse auf die Mikroperspektive, also den Ortsteil Goethestraße. Einer stadträumlichen Verortung und Abgrenzung des Gebiets folgt die Darstellung von Bevölkerungsstruktur und -entwicklung, städtebaulicher Struktur inklusive Gebäudezustand, Infra- und Nutzungsstruktur sowie Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen. In einem Exkurs wird dabei gesondert die Problematik der Schrottimmobilien näher beleuchtet. Im Folgenden werden die diversen Stadtumbauprojekte und Förderprogramme beschrieben und diskutiert, sofern sie für den Ortsteil Goethestraße von Belang waren bzw. sind. Hieran schließt sich die Analyse der für den Ortsteil Goethestraße relevanten Akteure an, gefolgt von der Dokumentation der Interviews, die im Projektverlauf mit Vertretern wichtiger Institutionen in und außerhalb des Plangebiets geführt wurden. Dabei werden zum Teil auch die jeweiligen Einrichtungen selbst ausführlich vorgestellt. Den letzten analytischen Schritt bilden einige selbst erstellte Karten, die aufzeigen sollen, welche Orte innerhalb des Quartiers offenbar besonderes Potential im Hinblick auf die Umsetzung des Konzepts besitzen. In einem Zwischenfazit werden die zentralen Erkenntnisse der Analyse zusammengefasst.

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Für den Konzeptteil dieses Berichts ergeben sich daraus die zentralen Projektfragen, die weitere Zielsetzung erfolgt in Form einer Vision, die den erhofften Endzustand des Ortsteils Goethestraße skizziert. Wesentlicher Bestandteil sowohl des Projekts als auch der vorliegenden Arbeit


ist die sogenannte Toolbox, die als separates Element innerhalb des Gesamtberichts angelegt ist, da sie auch extern, d. h. an „Kümmerer“ in Bremerhaven sowie andere Interessierte, verteilt werden soll. Sie besitzt aus diesem Grund auch eine eigene, vom restlichen Bericht unabhängige Seiten- und Abbildungsnummerierung. In diesem Kapitel, 3.3, werden zunächst die vier Oberkategorien vorgestellt, denen die Tools zugeordnet werden können, daran schließt sich der Katalog aller 15 Tools an. Um eine bessere Übersicht zu gewährleisten, werden dabei zunächst sämtliche dieser Werkzeuge bzw. Beispielprojekte anhand einer steckbriefartigen Zusammenfassung vorgestellt, eine ausführliche Darstellung folgt im Anschluss. Die praktische Implementierung eines der Tools in Form zweier Interventionen soll in Kapitel 4 dokumentiert werden, dabei wird auch auf die Öffentlichkeitsarbeit dieses P3-Projekts eingegangen. Anhand eines Ausblicks, der das „Goethequartier“ im Jahr 2025 beschreibt, wird danach aufzuzeigen versucht, welchen Beitrag zur Aufwertung des Viertels die vorgeschlagenen Tools leisten könnten. In einem abschließenden Fazit wird das gesamte Projekt noch einmal reflektiert, wobei insbesondere das planerische Selbstverständnis, das dem „Projekt Goethequartier“ zueigen ist, kritisch hinterfragt werden soll. Diese Bewertung steht natürlich in engem Zusammenhang mit der Frage, ob die selbst gesteckten Projektziele erreicht wurden.

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2. Analyse


Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier


Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven

2.1 Bremerhaven

2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität Bremerhaven liegt am östlichen Ufer der Weser, unmittelbar an deren Mündung in die Nordsee. Mit ihren rund 114.000 Einwohnern ist die Stadt die mit Abstand größte an der deutschen Nordseeküste und die einzige Großstadt dort. Bremerhaven bildet zusammen mit Bremen den Zwei-Städte-Staat „Freie Hansestadt Bremen“ und gliedert sich administrativ in neun Stadt- und 23 Ortsteile. Das Stadtgebiet umfasst eine Fläche von knapp 79 km², die Einwohnerdichte beträgt etwa 1.480 Einwohner/km².

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Innerhalb Deutschlands nimmt Bremerhaven zwar eine relativ periphere Lage ein, ist aber infrastrukturell vergleichsweise gut angeschlossen: Die Verbindung zum Fernstraßennetz stellen drei Bundesstraßen (B 6, B 71 und B 212) sowie die BAB 27 her, die in Richtung Süden, zum Verkehrsknotenpunkt Bremen führt. Ein Defizit bei der Anbindung an das Autobahnnetz besteht bislang noch in Ost-West-Richtung, allerdings befindet sich die BAB 22 in Planung, die parallel zur Küstenlinie eine neue Verkehrsachse schaffen soll. Über die Schiene lässt sich der etwa 70 km entfernte ICE-Haltepunkt Bremen mindestens stündlich in einer guten halben Stunde erreichen, zudem wird die Bahnverbindung aufgrund des Hafenbetriebs sehr stark von Güterzügen frequentiert. Dank seiner verkehrsgeographisch günstigen Lage an der Wesermündung besitzt Bremerhaven einen direkten Zugang zu den internationalen Hochseegewässern sowie eine Anbindung an die deutschen Binnenschifffahrtswege. Nur geringe Bedeutung besitzt der örtliche Regionalflughafen „Luneort“, die internationalen Flughäfen Bremen, Hamburg und Hannover liegen zwischen 60 und 150 km entfernt. Entscheidend verbessert hat sich die Erreichbarkeit Bremerhavens durch den 2004 fertiggestellten Wesertunnel, der der Stadt ein deutlich größeres Einzugsgebiet erschließt. Der ÖPNV besteht aus 14 innerstädtischen Buslinien sowie 13 Regionalbuslinien, die Straßenbahn wurde hingegen 1982 abgeschafft. Bremerhaven besitzt als regionales Oberzentrum eine hohe überörtliche Zentralität. Der städtische Einzelhandel zieht aus den niedersächsischen Umlandgemeinden erhebliche Kaufkraft ab, wodurch die eigene geringe Kaufkraft zumindest teilweise kompensiert wird. Trotz der außergewöhnlich hohen Einzelhandelszentralität von 1,4 verfügt Bremerhaven jedoch nur über eine Kaufkraftkennziffer von 87,5 Prozent (GEWOS 2004).

2.1.2 Geschichtlicher Überblick

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Bremerhaven ist zwar eine vergleichsweise junge Stadt, hat jedoch eine lange Geschichte, die sich bis heute in Form einzelner ehemals unabhängiger Wachstumspole in der Stadtstruktur widerspiegelt. Ausgrabungen um die heutige „Lange Straße“ herum belegen, dass es bereits vor etwa 4.000 Jahren erste Besiedelungen des heutigen Stadt-


gebietes gegeben haben muss. Die umliegenden Geesteinseln wurden sogar schon vor rund 10.000 Jahren besiedelt. Die Dörfer Geestendorf und Wulsdorf schließlich, die heute zu Bremerhaven gehören, wurden erstmals 1139 urkundlich erwähnt, der Ort Lehe tritt als Marktstandort und Amtssitz im Jahr 1290 erstmalig in Erscheinung (Scheper 1977). Seine Lage nördlich der Geeste prädestinierte den Ort als Handelsstadt – ein Vorteil, den auch die rivalisierenden Mächte Dänemark und Schweden erkannten. Nachdem zunächst Dänemark versucht hatte, an der Unterweser eine Stadt zu gründen, was durch Eingreifen des Bremischen Rats unterbunden wurde, gelang es den Schweden, das Gebiet für sich zu erobern. Im Jahre 1672 errichteten sie die Festung Carlsburg, die jedoch bereits 1676 aufgrund mangelnder Ressourcen wieder aufgegeben wurde (Scheper 1977). Als Handelsstandort war das Gebiet um die Geestemündung aufgrund der guten Wasserlage jedoch auch in der Folgezeit allseits begehrt. Nachdem die Ländereien aus dänischer Besetzung 1719 auf das Kurfürstentum (später Königreich) Hannover übergegangen waren, kam es im 19. Jahrhundert zu einer doppelten Hafengründung : Da der Oberlauf der Weser zu jener Zeit zu versanden drohte, musste Bremen mit Einbußen im Schiffsverkehr rechnen. In dieser Situation gelang es der Stadt, nach Verhandlungen des Bremer Senats unter Bürgermeister Johann Smidt mit dem Königreich Hannover, ein Areal an der Wesermündung zu erwerben. Am 11. Januar 1827 schließlich kam es zur offiziellen Übergabe des Landstücks an die Freie und Hansestadt Bremen: Damit war Bremerhaven gegründet und Bremen verfügte über einen direkten Zugang zur Nordsee. Ein künstliches Hafenbecken wurde angelegt und 1830 fertiggestellt. Zur gleichen Zeit wurde das Bremische Amtshaus, das erste Gebäude aus Stein, errichtet; es folgte die Einführung einer vorläufigen Gemeindeordnung für Bremerhaven im Jahr 1837. Durch den Handel mit Amerika und die um 1830 einsetzenden Massenauswanderungen erfuhr Bremerhaven in der Folgezeit einen massiven Aufschwung. Es entstand eine städtische Ansiedlung, und 1851 erhielt Bremerhaven „stadtähnliche Rechte“ (Scheper 1977).

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Um Bremerhaven bzw. der Freien und Hansestadt Bremen Konkurrenz bieten zu können, gründete das Königreich Hannover 1845 den Hafenort Geestemünde. Am südlichen Geeste-Ufer baute man, als Erweiterung des bereits 1819 geschaffenen hannoverschen Nothafens, bis zum Jahr 1863 moderne Dock- und Hafenanlagen und einen




Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geestemünde, um 1910

direkten Eisenbahnanschluss. Aufgrund dieser Infrastruktur entwickelte sich Geestemünde zu einem wichtigen industriellen Zentrum und einem zentralen Umschlagplatz für Holz, Reis und Petroleum (Scheper 1977). Zeitgleich erlebte auch Bremerhaven durch den zunehmenden transatlantischen Passagierverkehr weiteres Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, so dass die Geestemündung insgesamt zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort wurde. An den Ufern der Geeste entstanden zahlreiche Werften mit Maschinenfabriken und anderen Zuliefererbetrieben, neben Schiffbau und Handel entwickelte sich ab etwa 1880 zudem die Hochseefischerei zu einem weiteren entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nahm auch der Flächenbedarf beider Städte kontinuierlich zu: Sowohl die Gewerbeflächen als auch der Siedlungsraum vergrößerten sich zusehends, so dass sich die beiden Städte einander immer mehr annäherten. Es entstand ein städtisches Geflecht, welches bald über die Landesgrenzen Bremens und des Königreichs Hannover hinausreichte. 1880 wurde Bremerhaven zu einer selbstständigen Gemeinde innerhalb des Landes Bremen ernannt. Die nördlich von Bremerhaven gelegene Gemeinde Lehe erhielt stadtähnliche Rechte und wurde 1920 zur kreisfreien Stadt. Im Jahre 1924 schließlich erfolgte der Zusammenschluss der Städte Lehe und Geestemünde zur Stadt Wesermünde. Wenige Jahre später wurden die Gemeinden Weddewarden, Schiffdorferdamm und Speckenbüttel eingemeindet (Scheper 1977). Im Zuge der politischen Entwicklungen wurde der Bremerhavener Hafen 1938 der Stadt Bremen angeschlossen, während im folgenden Jahr die Städte Wesermünde und Bremerhaven zur Großstadt Wesermünde zusammengefügt wurden und fortan zur preußischen Provinz Hannover gehörten.

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Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen und verlor einen Großteil ihrer Bevölkerung. Besonders stark war der Innenstadtbereich mit den Stadtteilen Mitte und Geestemünde betroffen, der dortige Wohnungsbestand hatte sich um nahezu 40


Prozent reduziert (Scheper 1977). Nach Kriegsende wählten die Amerikaner Wesermünde als ihren deutschen Nachschubhafen, wodurch die Stadt zur amerikanischen Enklave innerhalb der britischen Besatzungszone wurde. (Unter anderem betrat hier in den 1950er Jahren Elvis Presley erstmals europäischen Boden.) Im Jahre 1947 erklärte die amerikanische Militärregierung das Stadt- und Landgebiet Bremens sowie den Stadtkreis Wesermünde, einschließlich Bremerhaven, zu einem einzigen Verwaltungsgebiet. Im März desselben Jahres wurde Wesermünde durch den Bremer Senat in Bremerhaven umbenannt, zudem wurde die Stadt Teil des Bundeslandes Bremen. Dank einer eigenen kommunalen Verfassung verfügt die Stadt Bremerhaven seither über eine große Eigenständigkeit. In den 50er und 60er Jahren, in der Zeit des Wiederaufbaus, entstand eine neue Innenstadt. Der Stadtplaner und Architekt Ernst May wurde beauftragt, auf Grundlage des Wirtschaftsplans Bremerhaven von 1958, einen neuen Flächennutzungsplan für das Innenstadtgebiet zu erstellen, das durch den Krieg fast komplett zerstört worden war. Um die große Zahl von obdachlos gewordenen Menschen, Flüchtlingen und Vertriebenen unterbringen zu können, entstanden gleichzeitig am Stadtrand Mehrfamilienhaussiedlungen (z. B. Grünhöfe) wie auch Einund Zweifamilienhausgebiete. Durch den Bau der Großwohnsiedlungen Leherheide West und Bürgerpark erweiterte sich das Angebot in den 1960er und 70er Jahren zusätzlich um mehrere Tausend Wohnungen. Hafenumschlag, Schiffbau und Fischerei wurden nach dem Krieg erneut tragende Wirtschaftszweige der Stadt, doch hielt der Aufschwung nicht lange an. Zuerst und am stärksten betroffen war vom Strukturwandel die Hafenwirtschaft: Bereits in den 1960er Jahren gingen die Passagierzahlen im Schiffsverkehr zurück, in den 1980er Jahren führte die Schiffsbaukrise zunächst zur Schließung der Rickmers-Werft, weitere Werften folgten. Auch die Hochseefischerei und die Fischverarbeitung im ehemals größten Fischereihafen Europas waren nicht mehr wirtschaftlich. Der Verlust an Arbeitsplätzen in diesem Bereich konnte allerdings durch den Ausbau der allgemeinen Lebensmittelverarbeitung zumindest ansatzweise kompensiert werden.

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Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens

2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung Die zahlreichen Krisen, von denen die Wirtschaft Bremerhavens betroffen war (s. Kapitel 2.1.1 und 2.1.4), haben sich unverkennbar auch in der Bevölkerungsentwicklung niedergeschlagen. Dieser Trend ist bereits seit den 1970er Jahren zu beobachten, einer Zeit also, in der die meisten deutschen Großstädte noch Wachstum oder zumindest konstante Einwohnerzahlen verzeichnen konnten. Hatte die Stadt Bremerhaven 1960 noch gut 141.000 Einwohner, waren es 2010 nur noch 113.840. Dies bedeutet einen Bevölkerungsrückgang von knapp 20 Prozent oder rund 27.000 Menschen innerhalb der vergangenen 50 Jahre. Besonders dramatisch stellt sich die Situation – nach einem kurzen Zwischenhoch Anfang der 1990er Jahre aufgrund verstärkter Zuwanderung durch Spätaussiedler – in den letzten 15 Jahren dar: Zwischen 1996 und 2010 nahm die ursprüngliche Einwohnerzahl von 128.944 Einwohner um durchschnittlich

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mehr als 1.000 Personen pro Jahr ab. Somit hat Bremerhaven allein innerhalb dieses kurzen Betrachtungszeitraums 15.104 Menschen oder 12 Prozent seiner Einwohner verloren (Statistisches Landesamt Bremen 2010). Allerdings hat sich die Höhe der jährlichen Einwohnerverluste in den vergangenen Jahren deutlich verringert, der Schrumpfungsprozess scheint (vorübergehend) zum Stillstand gekommen zu sein (vgl. auch Abb. 14). Die Arbeitslosenquote in Bremerhaven beträgt 16,4 Prozent (Statistisches Landesamt Bremen, 2010) und liegt damit weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 7,4 Prozent für das Jahr 2009 (destatis). Ausländer haben einen Anteil von 10,6 Prozent an der Bremerhavener Bevölkerung im Vergleich zu 8,8 Prozent an der Bevölkerung Deutschlands, allerdings ist die Quote rückläufig. Leicht überrepräsentiert sind aktuell mit rund 22 Prozent zudem die über 65-Jährigen – eine Folge der Abwanderung von Menschen im Erwerbsalter. Verstärkend kommt hierbei der Prozess der Suburbanisierung hinzu: Während die Bevölkerungszahlen in Bremerhaven kontinuierlich sinken, steigen sie in den niedersächsischen Umlandgemeinden, wo eine verstärkte Neubautätigkeit im Einfamilienhaussektor zu beobachten ist. Der Rückgang der Einwohnerzahl korrespondiert – anders als im Bundesvergleich – mit einer Abnahme der Zahl der Haushalte. Im Jahr 2000 gab es in Bremerhaven rund 59.000 Haushalte mit einer mittleren Größe von 2,07 Personen gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 2,19 Personen pro Haushalt. Im Jahr 1998 lag der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte bei circa 75 Prozent (GEWOS 2004).

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Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven

2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur Wie bereits im Rahmen des geschichtlichen Überblicks (Kapitel 2.1.2) angedeutet, war die wirtschaftliche Entwicklung Bremerhavens in den vergangenen Jahrzehnten bestimmt von zahlreichen Krisen, die die Stadt allesamt hart getroffen haben. So setzte bereits in den 70er Jahren der Niedergang der großen Werften ein, die gegenüber der ausländischen Konkurrenz, vor allem aus Asien, zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Der Insolvenz und darauffolgenden Schließung der traditionsreichen Rickmers-Werft 1986 folgten weitere Unternehmenspleiten in diesem Sektor, auch in der Zuliefererindustrie. Im Zuge dessen gingen bis in die 90er Jahre hinein zahlreiche Arbeitsplätze verloren. In den 1980er Jahren traf Bremerhaven zudem die Krise der Hochseefischerei: Durch die Öffnung der internationalen Gewässer wuchs die Konkurrenz aus dem Ausland, so dass sich die Fischfangquoten der in Bremerhaven ansässigen Flotte verringerten, was zur Folge hatte, dass diesem einst bedeutenden Wirtschaftszweig die ökonomische Grundlage entzogen wurde. Anfang der 1990er Jahre schließlich zogen dann die Amerikanischen Streitkräfte aus Bremerhaven ab. Diese waren dort seit Ende des Zweiten Weltkriegs stationiert gewesen und stellten einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor in der Stadt dar. Mit dem Abzug ging neben dem Einkommen der GIs, das bis dahin natürlich zu Teilen in die lokalen Ökononomien geflossen war, auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ziviler Beschäftigter verloren.

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Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerhaven

Vor einigen Jahren betrug die Arbeitslosigkeit in Bremerhaven zeitweise weit über 20 Prozent, aktuell liegt sie immer noch bei über 16 Prozent, was einen Spitzenwert unter den ehemals Westdeutschen Bundesländern darstellt (vgl. destatis, 2010). Nach dem Wegfall vieler Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe liegt der Beschäftigungsanteil im tertiären Sektor aktuell mit gut 76 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt von rund 66 Prozent (Statistisches Landesamt, 2010). Trotz der oben angeführten Krise traditioneller maritim geprägter Wirtschaftszweige, zählt dieser Sektor bis heute zu den wichtigsten der Stadt und stellt nach wie vor einen wesentlichen Teil der Arbeitsplätze bereit. So ist der Bremerhavener Containerhafen mit einer Umschlagskapazität von 6 Mio. Standardcontainern pro Jahr einer der bedeutendsten in Europa und zudem Deutschlands größter Umschlagplatz für Autos. Zu den größten Unternehmen in dieser Sparte zählen die Logistikanbieter „BLG Logistics Group“ und „Eurogate“. Erhalten geblieben ist der Stadt auch nach dem Ende der Hochseefischerei die fischverarbeitende Industrie, die sukzessive zur modernen Lebensmittelindustrie ausgebaut wurde; Unternehmen wie „Frosta“, „Deutsche See“ und „Nordsee“ haben in Bremerhaven ihren Sitz. Der Schiffbau hingegen spielt inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle und konzentriert sich auf spezialisierte Nischenbereiche.

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Entsprechend der in der Stadt vertretenen ökonomischen Sektoren hat die 1975 gegründete Hochschule Bremerhaven ihre Schwerpunkte in den Bereichen Lebensmittelwirtschaft und -technologien, Logistik sowie maritime Technologien. Das Alfred-Wegener-Institut für



Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven

Polar- und Meeresforschung (AWI) konzentriert sich neben der Grundlagenarbeit in der Polar-, Meeres- und Klimaforschung verstärkt auf die Entwicklung der sogenannten „Blauen Biotechnologien“ und die Nutzung von Offshore-Ressourcen. Zudem konnte sich Bremerhaven, auch aufgrund der vorhandenen Kompetenzen im Schiffbau, in den vergangenen Jahren als Standort für den Bau von Windkraftanlagen profilieren. Von Vorteil erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Lage direkt am Meer, die den Transport von Offshore-Windkraftanlagen erleichtert. Um den technologieorientierten Strukturwandel weiter voranzutreiben, wurden zudem das Bremerhavener Innovations- und Technologiezentrum (BRIG) sowie der T.I.M.E-Port Bremerhaven als Standort für junge Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologiebranchen gegründet. Nicht zuletzt setzt Bremerhaven die Fördergelder aus Bund-, Länderund EU-Programmen sowie eigene Mittel dafür ein, den Tourismus, vor allem den Tagestourismus, weiter zu steigern. Dazu wurden im Zentrum der Stadt einige Leuchtturmprojekte geschaffen, die wegen ihrer zum Teil futuristisch anmutenden Architektur Bremerhaven bereits den leicht ironischen Titel „Dubai an der Waterkant“ eingebracht haben (s. z. B. Merian). Kernprojekt ist mit einer Investitionssumme von 250 Mio. Euro die Umgestaltung des Alten/Neuen Hafens, hinzu kommen als touristische Hauptattraktionen das Klimahaus Bremerhaven, der „Zoo am Meer“, die „Erlebniswelt Auswanderung“ sowie das Schifffahrtsmuseum. Ergänzt wird dieses Angebot durch ein Tagungshotel, eine Marina und ein Einkaufszentrum im mediterranen Stil. Dass die Stadt mit ihrer Strategie der Tourismusförderung offensichtlich Erfolg hat, zeigt die Jahr für Jahr wachsende Zahl von Besuchern, Aktuell sind es rund 1,2 Mio. pro Jahr. Wie Abbildung 12 zeigt, konzentrieren sich die touristischen Anziehungspunkte im Zentrum, westlich der Innenstadt. Südlich von dieser befinden sich mehrere Forschungseinrichtungen sowie die Hochschule Bremerhaven. In der nördlichen und südlichen Peripherie der Stadt liegen zum einen der Überseehafen mit den Containerterminals, zum anderen, in entgegengesetzter, südlicher Richtung, der Fischereihafen samt lebensmittelverarbeitender Industrie. Gewerbebetriebe haben sich vor allem im Norden, in Nachbarschaft zum Containerhafen angesiedelt, da viele von ihnen einen Bezug zur Hafenwirtschaft besitzen.

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Die örtlichen Wirtschaftsförderer sehen nach den zahlreichen Krisen der vergangenen Jahrzehnte inzwischen wieder eine positive Tendenz. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt laut ihrer Aussage langsam wieder an, zudem sei die Gewerbeflächennachfrage konstant hoch (persönliches Interview BIS 15. Dezemder 2010).

2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt Bremerhaven verfügt aktuell über einen Bestand von rund 65.000 marktrelevanten Wohneinheiten (WE), d. h. Mietwohneinheiten, von denen etwa drei Viertel, also 40.000 WE, auf das Segment der Mehrfamilienhäuser entfallen (persönliche Information aus dem Interview mit der Stäwog). Rund die Hälfte davon befindet sich im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die andere Hälfte in der Hand von privaten Unternehmen und Privatpersonen. Ca. 5.000 Mietwohneinheiten stehen zurzeit leer, das sind in etwa 8 Prozent. Ein gesunder Wohnungsmarkt weist demgegenüber eine Leerstandquote von rund 3 Prozent auf. Für eine Gesundung des Wohnungsmarktes ist also ganz offensichtlich der Abriss von Mietwohnungen erforderlich. Die stadträumlich Verteilung der Wohnformen stellt sich wie folgt dar: In den innerstädtischen Quartieren Bremerhavens finden sich vorwiegend Gebiete mit Mehrfamilienhäusern, im Außenbereich der Stadt primär Einfamilienhausquartiere. An der städtischen Peripherie existieren zudem einige Großwohnsiedlungen (GEWOS 2004). Während lediglich 25 Prozent des Immobilienbestands in Bremerhaven vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, entstanden 64 Prozent der Wohneinheiten in den Jahren zwischen 1949 und 1978. Dies ist darauf zurückzuführen, dass im Zuge des heftigen Bombardements im Zweiten Weltkrieg viele Gebäude zerstört wurden und in der Nachkriegszeit ein entsprechender Bauboom einsetzte, um genügend neuen Wohnraum für die Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können. 65 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes bestehen aus 2- oder 3- Zimmerwohnungen, was wiederum die bescheidenen Ansprüche während der Jahre des Wiederaufbaus widerspiegelt. Heute allerdings erscheint diese Wohnungsgröße geeignet für die zunehmende Zahl von Singlehaushalten.

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Ab 1979 wurde nur noch wenig gebaut, da die wirtschaftlichen Krisen und der damit einhergehende Rückgang der Bevölkerung dies nicht mehr erforderten. Somit stammen aktuell lediglich 7,2 Prozent der Bestandimmobilien aus der Zeit nach 1979. Der überwiegende Teil davon entfällt auf Einfamilienhäuser, für die seit den 90er Jahren bis in die Gegenwart, ein gewisser Bauboom zu verzeichnen ist. Zuvor hatte Bremerhaven verhältnismäßig viele Einwohner an das Umland verloren, so dass man sich in Bremerhaven dazu entschloss, durch die Ausweisung entsprechender Flächen diesem Trend zur Suburbanisierung entgegenzuwirken. Zwar wurden und werden diese Angebote stark nachgefragt, doch können auch sie den Bevölkerungsrückgang nicht vollständig aufhalten. Die Wohnungsmarktprognose für Bremerhaven geht davon aus, dass es vor allem im Bereich der Mietwohnungsbestände mittlerer Wohnungsgrößen einen deutlichen Angebotsüberhang geben wird. Bei kleineren Wohnungsgrößen wird dagegen nur ein geringer Angebotsüberhang prognostiziert und große Wohnungen werden laut Prognose weiterhin stark genug nachgefragt, so dass kein Angebotsüberhang zu erwarten ist (GEWOS 2004). Von allen innerstädtischen Quartieren ist der Ortsteil Goethestraße vom Bevölkerungsrückgang am stärksten betroffen. Ein ausschlaggebender Grund hierfür ist der Umzug vieler ehemaliger Bewohner in Richtung der EFH-Gebiete. Zudem wurde das Viertel aufgrund von Spekulationen substanziell stark in Mitleidenschaft gezogen (GEWOS 2004; s. dazu auch Kapitel 2.2.2). Dennoch sehen viele Akteure im Ortsteil Goethestraße durchaus Potential: Die zentrale stadträumliche Lage etwa gewinnt gerade bei älteren Menschen aufgrund der guten Versorgungssituation zunehmend an Attraktivität. Zudem handelt es sich bei dem Areal rund um die Goethestraße um eines der wenigen Gründerzeitviertel der Stadt. Aus der Tatsache, dass andernorts eine solche historische Bausubstanz eine sehr starke Nachfrage erfährt, wird die Erwartung abgeleitet, dass der Ortsteil nach Lösung seines Imageproblems sowie der Beseitigung substantieller baulicher Mängel ebenfalls wieder stärker nachgefragt wird (s. auch das Experteninterview mit der Stäwog, Kapitel 2.5.3).

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Der Bremerhavener Mietspiegel 2011/12 weist für unmodernisierte Wohnungen, die vor 1969 gebaut wurden, einen mittlere Nettokaltmiete von zwei bis drei Euro/m2 aus, für teilmodernisierte Wohnungen liegen die Kosten zwischen durchschnittlich drei Euro in einfachen und 3,60 bis 4,60 Euro in guten Wohnlagen, und selbst im Segment der vollmodernisierten Wohnungen beträgt der Mietpreis maximal fünf Euro/m2. Nur unwesentlich darüber liegen die Werte für Wohnungen, deren Baujahr zwischen 1970 und 1984 liegt, die Spitzenmieten belaufen sich auf 7,50 bis 10 Euro für Wohnungen in guten Lagen, die ab 2007 bezugsfertig waren (Mieterverein Bremerhaven). Der durchschnittliche Kaufpreis für gebrauchte Eigentumswohnungen in Bremerhaven lag 2006, dem letzten Jahr, aus dem Zahlen verfügbar sind, bei 747 Euro/m2, wesentlich niedriger fielen die Preise in Lehe aus, wo Käufer lediglich 618 Euro/m2 für ihre Immobilie ausgeben mussten. Im Vergleich zum Vorjahr, 2005, ist ein deutlicher Preisverfall von rund zehn Prozent zu verzeichnen, die Differenz zum Durchschnittspreis von 2000 beträgt über 26 Prozent (vgl. LBS-Immobilienmarktatlas).

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2.2 Ortsteil Goethestraße

2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung Nachdem in den bisherigen Kapiteln die gesamtstädtische Situation dargestellt wurde, soll im Folgenden nun das eigentliche Projektgebiet, der Leher Ortsteil Goethestraße, näher beleuchtet werden. Der Stadtteil Lehe, dessen Name sich vermutlich von „Hohe Lieth“, dem Geestrücken, auf dem diese Siedlung angelegt wurde, ableitet, ist sowohl von der Fläche (rund 16 km2) als auch der Einwohnerzahl (ca. 36.700) der größte Bremerhavens. Er gliedert sich in insgesamt sieben administrative Einheiten, die Ortsteile, unter denen die „Goethestraße“ mit 0,55 km2 der kleinste ist. Benachbart liegen die Ortsteile MitteNord im Westen, Twischkamp im Norden sowie Klushof im Osten und Süden. Eingegrenzt wird das Gebiet durch die nördlich davon verlaufende Rickmersstraße, die Pestalozzistraße auf der westlichen Seite und die Hafenstraße im Osten. Diese ist zugleich die zentrale Einkaufs- und Nahversorgungsachse nicht nur für das Projektgebiet, sondern für den gesamten Stadtteil. Durch den Straßenverlauf ergibt sich ein charakteristisches Dreieck, weshalb der Ortsteil Goethestraße gelegentlich scherzhaft auch als „Bermudadreieck“ bezeichnet wird. Seinen offiziellen Namen verdankt das Viertel der Goethestraße, die die zentrale Nord-Süd-Achse darstellt. Vom südlichen Ende des Ortsteils aus beträgt die Entfernung zur Innenstadt gut einen Kilometer, die Wasserkante im Westen erreicht man zu Fuß in rund sieben Minuten.

2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung Wie bereits gezeigt wurde (vgl. Kapitel 2.1.3), ist Bremerhaven als Gesamtstadt von einem durchaus signifikanten Bevölkerungsrückgang betroffen. Im Ortsteil Goethestraße allerdings stellt sich die Situation ungleich dramatischer dar: Während dort im Jahr 1996 noch 9083 Menschen lebten, waren es 2010 nur noch 6812 (Statistisches Landesamt Bremen). Damit verließen in diesem Zeitraum rund 25 Prozent aller Einwohner das Gebiet, ein absoluter Rückgang von 2271 Personen, das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Wanderungssaldo von -162.

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Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße

Der Anteil der unter 18-Jährigen hat in den vergangenen Jahren, wie auch in der Gesamtstadt, abgenommen, liegt aber mit knapp 18 Prozent immer noch deutlich über dem Bremerhavener Durchschnitt von 16 Prozent. Unterrepräsentiert sind hingegen die über 65-Jährigen, die seit Jahren lediglich gut 14 Prozent der Bevölkerung im Ortsteil Goethestraße ausmachen, während der entsprechende Prozentsatz in Bremerhaven auf mittlerweile fast 22 Prozent gestiegen ist (Bremerhavener Strukturdatenatlas, 2010). Dies hängt unter anderem ganz offensichtlich mit den in diesem Gebiet herrschenden sozialen Problemen und der vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate (vgl. Polizeiliche Kriminalitätsstatistik des Landes Bremen, 2009) zusammen. Die Arbeitslosenquote im Ortsteil Goethestraße liegt mit 33 Prozent fast exakt doppelt so hoch wie in Bremerhaven insgesamt (Statistisches Landesamt Bremen, 2010), gleiches gilt für den Anteil der Ausländer (10,6 zu 21,3 Prozent; Statistisches Landesamt Bremen, 2010). Es ist anzunehmen, dass zwischen diesen Werten ein gewisser Zusammenhang besteht, da Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland im Schnitt doppelt so häufig erwerbslos sind wie Deutsche (Spiegel Online). Betrachtet man die vertretenen Nationalitäten, so fällt auf, dass auf die Gruppe der Türken zahlenmäßig Migranten aus Portugal folgen. Dies erklärt sich eventuell durch die Tatsache, dass es sich bei Bremerhaven um eine Hafenstadt handelt, wo häufig überdurchschnittlich viele Portugiesen beheimatet sind. Neben der hohen Zahl von Arbeitslosen finden sich in der Statistik einige weitere Indizien, die dafür sprechen, dass sich im Ortsteil Goethestraße viele Menschen in vergleichsweise prekären Verhältnissen befinden: Der Anteil der Haushalte, in denen geschiedene Personen leben, ist beispielsweise mehr als doppelt so hoch als in der Gesamtstadt (Bremerhavener Strukturdatenatlas, 2010). Statistisch betrachtet hat diese Gruppe von Menschen überproportional häufig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Zahl der Pkw-Besitzer pro 1.000 Einwohner ist dagegen in Bremerhaven weitaus höher als im Ortsteil Goethestraße (382 zu 216) – was theoretisch natürlich auch mit einem dort deutlich ausgeprägteren ökologischen Bewusstsein in Zusammenhang stehen könnte. Betrachtet man zuletzt noch das Wahlverhalten, so zeigt sich, dass der Stimmenanteil der Grünen

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Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße

tatsächlich bei allen Wahlen deutlich über dem Bremerhavener Gesamtergebnis liegt. Daneben fallen relativ hohe Werte für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien sowie für Die Linke ins Auge. Dabei dürfte es sich zu einem guten Teil um klassische Protestwähler handeln.

2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand Städtebaulich betrachtet handelt es sich beim Quartier östlich und westlich der Goethestraße um ein klassisches Gründerzeitviertel, dessen Struktur sich bis in die Gegenwart weitgehend erhalten hat. Lediglich im Nordwesten des Gebiets, wo während der ursprünglichen Bebauungsphase große Areale weitgehend frei blieben, prägen Zeilenbauten und Reihenhäuser aus den 1950er Jahren das Bild (vgl. Schwarzplan, Abb. 15). Auch im Bereich südlich davon, d. h. der gesamte Teil westlich der Körnerstraße, sucht man die ansonsten vorherrschende Bautypologie vergeblich. Stattdessen finden sich hier ein großer Sportplatz sowie Backsteinhallen, die Relikte des ehemaligen Zollinland-Bahnhofs darstellen. Untypisch erscheint schließlich auch der nordöstliche Teil des Ortsteils Goethestraße, jenseits der Frenssenstraße, der ebenfalls überwiegend erst in der Nachkriegszeit bebaut wurde und heute einen hohen Anteil an Gewerbebetrieben aufweist. Diese Heterogenität veranlasste die Gruppe dazu, sich im Verlauf des Projekts primär auf das gründerzeitliche Kerngebiet zu konzentrieren, also die Straßenzüge südlich der Frenssen- und östlich der Körnerstraße, wo etwa die Hälfte aller Gebäude aus der Zeit vor 1918 stammt. In diesem Teil des Quartiers bestimmt eine weitgehend geschlossene Blockrandbebauung mit großzügigen Innenhofbereichen das Erscheinungsbild, die Höhe der Gebäude variiert: in manchen Straßen beträgt sie lediglich drei Stockwerke, in anderen fünf bis sechs. Aus den vergleichsweise breiten Straßen resultiert eine relativ geringe Dichte, die für ein Gründerzeitviertel eher untypisch ist. Bis auf die Goetheund die Uhlandstraße verfügen die Straßenzüge nur über geringen Baumbestand.

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Zwar weist die Blockrandstruktur bislang nur wenige Lücken auf, doch lässt der Zustand einer Reihe von Gebäuden befürchten, dass ein Abriss in vielen Fällen unvermeidlich ist (vgl. Abb. 17). Eine akute Gefahr stellen einige komplett marode Häuser dar, deren Erker und Balkone zum Teil gestützt werden müssen. Damit fallen diese Immobilien in der Regel unter das Vorkaufsortsgesetz (s. Exkurs: Schrottimmobilien). Eine detaillierte Kartierung ergab zudem, dass vor allem im Nordosten des Gebiets bei zahlreichen Gebäuden Handlungsbedarf besteht. Vielfach beschränkt sich dieser auf die Notwendigkeit einer baldigen Fassadenrenovierung, Andernorts jedoch könnte mittelfristig ebenfalls die Substanz gefährdet sein. Zum beschleunigten Verfall führt insbesondere langjähriger Leerstand ganzer Gebäude, was im Ortsteil Goethestraße keine Seltenheit ist. Ein Problem besteht hierbei auch darin, dass „kranke“ Gebäude „gesunde“ gewissermaßen „infizieren“ können.

2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur Infrastrukturell ist der Ortsteil Goethestraße, der im Flächennutzungsplan überwiegend als Wohngebiet klassifiziert ist, insgesamt gut erschlossen: Die Hafenstraße fungiert dabei als zentrale Nahversorgungsachse, die auch von den umliegenden Ortsteilen frequentiert wird. Daneben finden sich innerhalb des Viertels bzw. in unmittelbarer Umgebung mehrere Kindertagesstätten, Arztpraxen, gastronomische Einrichtungen, diverse Kirchen sowie alle Schulformen. Die Schließung zweier Grundschulen aufgrund des Bevölkerungsrückgangs hat die Versorgungslage in diesem Bereich nicht beeinträchtigt. Das nächstgelegene Krankenhaus befindet sich zwar außerhalb des Ortsteils, die Distanz dorthin beträgt jedoch nur etwa 500 m. An Spiel- und Sportplätzen herrscht im Viertel kein Mangel, andere Naherholungsmöglichkeiten und Sporteinrichtungen existieren hingegen eher wenig. Buslinien entlang der Hafenstraße und der Rickmersstraße sorgen für eine gute ÖPNV-Anbindung an die Innenstadt, der Bahnhof Lehe ist fußläufig erreichbar und der Bremerhavener Hauptbahnhof ebenfalls nur rund drei Kilometer entfernt. Zudem gelangt man über die Bundesstraße 212 rasch zur Autobahnzufahrt Bremerhaven-Mitte.

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Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße

Abgesehen von der Hafenstraße, wo sich der Einzelhandel konzentriert, finden sich Ladenlokale innerhalb des Projektgebiets lediglich im mittleren Abschnitt der Goethestraße sowie in einigen Eckgebäuden an Straßenkreuzungen. Ansonsten dominiert die Wohnnutzung, auch wenn die ehemalige Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten noch vielfach erkennbar ist.

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Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße

2.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen

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Der Bestand an Wohngebäuden betrug zum Stichtag 31.12.2009 794, davon 642 mit drei oder mehr Wohnungen. Gebäude mit nur einer (98) oder zwei Wohnungen (54) bilden dagegen die Ausnahme. Die Anzahl der Wohnungen im Ortsteil Goethestraße beträgt insgesamt 5.164, darunter sind knapp 44 Prozent 4-Zimmerwohnungen und etwa 35


Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße

Prozent 3-Zimmerwohnungen, 1- und 2-Zimmerwohnungen machen gerade einmal gut 5 Prozent des Wohnungsbestandes aus, der Rest entfällt auf größere Wohnungen (Bremerhavener Strukturdatenatlas, 2010).

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Bedingt durch den Bevölkerungsrückgang (vgl. Kapitel 2.2.2) steigen im Ortsteil Goethestraße die Leerstände. 2008, dem letzten Jahr aus


Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917

dem Zahlen zur Verfügung stehen, lag die Zahl der nicht belegten Wohnungen bei 850, was einer Leerstandsquote von über 16 Prozent entspricht. Zum Vergleich, in der Gesamtstadt ist diese halb so hoch. Abbildung 22 zeigt eine Gegenüberstellung der Referenzjahre 2001 und 2008: Alleine in diesem Zeitraum hat sich der Leerstand um 369 Wohneinheiten erhöht. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend – zumal angesichts der negativen Bevölkerungsentwicklung – weiter fortsetzt, sofern keine Interventionen erfolgen. Die innerstädtische Mobilität ist im Ortsteil Goethestraße mit 22 Prozent fast doppelt so hoch wie in der Gesamtstadt. So wurden während des einjährigen Betrachtungszeitraums 600 Umzüge innerhalb des Ortsteils registriert. 1.200 Personen haben in dieser Zeit das Gebiet verlassen, 1.100 zogen neu hinzu, das Wanderungssaldo ist somit negativ. In Abb. 19 sind die markantesten Wanderungsbewegungen bezogen auf den Ortsteil Goethestraße dargestellt. Hierbei fällt auf, dass vor allem mit den benachbarten Stadt- bzw. Ortsteilen ausgeprägte Wechselbeziehungen bestehen. Gesondert hervorzuheben ist der Austausch zwischen den Ortsteilen Goethestraße, Leherheide West und Geestendorf, da hier die größten Wanderungsbewegungen zu

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Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen

verzeichnen sind. Offenbar wird hier unter anderem „Wohnungstourismus“ von „jungen Arbeitslosen bzw. Leistungsempfängern“ betrieben, die aufgrund der entspannten Marktlage und begünstigt durch ihre hohe Mobilität auf der Suche nach immer besseren Angebotskonditionen sind (GEWOS 2004).

Exkurs: Schrottimmobilien Als „Schrottimmobilien“ werden Objekte bezeichnet, die dem Erwerber unter Vorspiegelung falscher Tatsachen weit über dem tatsächlichen Marktwert verkauft wurden. Dabei müssen die Immobilien nicht unbedingt verwahrlost sein, oftmals sind sie es jedoch. Der Zustand der gekauften Immobilie ist dem Anleger in der Regel allerdings nicht bekannt. Die Rückabwicklung solcher Käufe ist praktisch nicht möglich, denn die Beweispflicht der Täuschung liegt in solch einem Fall beim Anleger. Zudem sind die Vermittler im Nachhinein oft nicht mehr auffindbar und das Widerrufsrecht gilt für Verbraucher auf Kreditverträge nur sehr eingeschränkt. Die Folge solcher Geschäfte sind – neben gravierenden finanziellen Problemen auf Seiten der Anleger – Leerstände in den entsprechenden Wohngebäuden und damit negative städtebauliche Auswirkungen im Umfeld. Wegen der Belastungen durch den überhöhten Kaufpreis für die Immobilie sowie die fehlenden Mieteinnahmen, sind die Neueigentümer in aller Regel auch nicht mehr

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Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße

in der Lage, die Kosten für eine notwendige Sanierung aufzuwenden. Für die Kommunen gestaltet sich der Umgang mit „Schrottimmobilien“ aus rechtlichen Gründen außerordentlich schwierig und belastet zudem die Gemeindekasse. Im Weiteren soll die Problematik näher erläutert werden, wobei auch das innovative rechtliche Instrumentarium, das in Bremerhaven bereits zur Anwendung gekommen ist, kurz beleuchtet wird (vgl. Zeit Online).

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Abbildung 21: Wohnungsleerstand

Im Ortsteil Goethestraße sind gleich eine ganze Reihe der Immobilien von eben beschriebenen Spekulationsgeschäften betroffen und zum Teil bereits extrem verwahrlost. Im bundesweiten Vergleich handelt es dabei um einen besonders problematischen Fall, da hier gleich mehrere erschwerende Aspekte zusammenkommen: Zum einen ist das die durch den Strukturwandel bedingte rückläufige Bevölkerungszahl und die damit einhergehende Veränderung der sozialen Mischung, zum anderen vor allem die Handlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Eigentümer. Meist befinden sich die jeweiligen Gebäude zudem im Besitz mehrerer Eigentümer, was die Situation zusätzlich erschwert, da an den betroffenen Objekten bauliche Maßnahmen nur durchgeführt werden können, wenn zuvor ein (Zwischen-)Erwerb durch die Kommune stattgefunden hat. In einigen Fällen gelingt es dabei trotz erheblichen Aufwands nicht, einen oder gar sämtliche Eigentümer zu ermitteln (BMVBS 2009).

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Grundstücke, für die keine nachhaltige Nutzungsperspektive existiert, können für die jeweiligen Eigentümer grundsätzlich zu einer so hohen


Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Belastung werden, dass sie die öffentlich-rechtlichen Lasten, die mit diesem Eigentum verbunden sind, nicht mehr begleichen können. In solchen Fällen leiten die Gemeinden üblicherweise ein Vollstreckungsverfahren bis hin zur Zwangsversteigerung ein. Dieses Instrument wurde auch in Bremerhaven mehrfach eingesetzt, wobei es jedoch bei zahlreichen Zwangsversteigerungen erneut zu offensichtlichen Speku-

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Abbildung 23: Leerstandsentwicklung

lationskäufen kam. Helfen könnte der Gemeinde in solchen Fällen lediglich ein Vorkaufsrecht. Die bestehenden rechtlichen Regelungen zum Vorkaufsrecht nach § 24 ff. BauGB sind jedoch im Zwangsversteigerungsverfahren nicht anwendbar. Das Land Bremen und die Stadt Bremerhaven hatten daher den Versuch unternommen ein gesetzliches Vorkaufsrecht im Zwangsversteigerungsverfahren einzuführen. Hierzu entwickelte die Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz im April 2009 ein Sondergutachten, woraus allerdings hervorgeht, dass nach der geltenden Rechtslage (§ 471 BGB, § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB) solch eine Gesetzesänderung ausgeschlossen ist (BMVBS 2009, Zeit Online). Allerdings wurde von der Stadt Bremerhaven ein „Schrottimmobilienkataster“ erstellt, in dem die verwahrlosten Immobilien erfasst sind, zudem kam im Einzelfall die sogenannte Ersatzvornahme zwecks Gefahrenabwehr zum Einsatz. Eine Arbeitsgruppe mit den Vertretern verschiedener Dezernate (Bauordnungsamt, Stadtkasse, Rechtsamt, Stadtplanungsamt sowie ein externer Moderator) wurde eingerichtet. Diese setzt sich gegenwärtigen mit der Immobiliensituation auseinander (BMVBS 2009, Zeit Online).

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Eine vollkommen neue Entwicklung auf diesem Gebiet ist seit Juni 2009 zu beobachten: Nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung besitzt die Stadt nun mit dem „Vorkaufsortsgesetz“ das Vorkaufsrechte auf 16 genau bestimmte Gebäude, für die ein dringender Handlungsbedarf im Sinne der Bauordnung besteht (Bremerhaven Online). Zehn dieser Gebäude sind mithilfe dieses experimentellen Gesetzes bereits in den Besitz der Stadt gelangt, zwei davon konnten schon abgerissen werden. Am 14. April 2011 beschloss der Bauausschuss einstimmig, das Gesetz auf zwölf weitere Häuser auszudehnen. Nach dem Bremerhavener Beispiel wird inzwischen auch in Gelsenkirchen, wo ähnliche Probleme mit verwahrlosten Immobilien zutage treten, an einem Vorkaufsortsgesetz gearbeitet (Zeit Online, Nordseezeitung-Zeitung).

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2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme

Im Folgenden sollen einige der im Rahmen des „Stadtumbaus West“ sowie des Programms „Urban II“ getroffenen Maßnahmen dargestellt werden, sofern sie für Lehe und den Ortsteil Goethestraße von Belang sind. Abschließend lässt sich beurteilen, inwiefern dadurch eine Verbesserung der Situation im Untersuchungsgebiet herbeigeführt werden konnte. Angesichts einer rückläufigen demografischen Entwicklung sowie den negativen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels wurde 2002 vom Bund nach dem Vorbild des „Stadtumbaus Ost“ der „Stadtumbau West“ ins Leben gerufen, für den insgesamt 30 Mio. Euro bereitgestellt wurden. Eine der 16 Pilotstädte, die im Rahmen des Forschungsprogramms ExWoSt (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau) mithilfe der Bundesförderung sowie ergänzender Landesmittel und kommunaler Gelder neue Strategien des Stadtumbaus erproben konnten war Bremerhaven. Die Zielsetzung lautete hier, gemeinsam mit den Akteuren der Wohnungswirtschaft einen Rückbau von Wohnungsbestand bei gleichzeitiger Modernisierung des zu erhaltenden Bestandes zu organisieren. Zu diesem Zweck initiierte die Stadt mehrere Impulsprojekte, deren Fokus unter anderem auf dem Ortsteil Goethestraße lag. Beispielsweise wurde – erstmalig in einer der beteiligten Pilotstädten – auf der Basis von Stromzählerdaten eine gesamtstädtische Leerstandsanalyse vorgenommen, die im Laufe des Programms jährlich aktualisiert wurde. Eine weitere Maßnahme im Rahmen des „Stadtumbaus West“ war die Verlegung des Suchtzentrum in die Rickmerstraße im Jahr 2007, um dadurch die örtliche Drogenszene, die für den Fortzug vieler Familien aus dem Ortsteil-Goethestraße verantwortlicht gemacht wurde, zu verlagern (vgl. Stadtumbau West 2008). Dem Problem sinkender Schülerzahlen versuchte man durch Schließung der Deichschule und der Theodor-Storm-Schule zu begegnen. Nach Abriss der ersteren entstand an dieser Stelle eine öffentlich Freifläche, eine Art Quartiersplatz, der allerdings aufgrund seiner unzureichenden Intetration in sein städtebauliches Umfeld sowie seiner Freiraumgestaltung umstritten ist. Das Gebäude der Theodor-Storm-Schule hingegen wurde erfolgreich umgenutzt und beherbergt nun „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“

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(Näheres dazu in Kapitel 2.5.5). Zwei weitere Schulen wurden zudem zusammengelegt und durch einen Neubau ergänzt. Für den allgemeinen Rückbau des Wohnungsbestandes richtete die Stadt zudem einen Strukturfond „für den vereinfachten Erwerb von ungenutzten bzw. verfallenen Gebäuden“ ein (vgl. Stadtumbau West 2008). Ebenfalls Auswirkungen auf den Ortsteil Lehe-Goethestraße hatte das europäische Förderprogramm Urban II, das in den Jahren 2001 bis 2006 für Maßnahmen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Stadtentwicklung aufgelegt worden war. In Bremerhaven bezog es sich auf ein Gebiet, in dem rund 23.000 Einwohner leben, insbesondere den Stadtteil Lehe, aber auch auf angrenzende Ortsteile (Europäische Union 2010). Ebenfalls umfasste war der Ortsteil Goethestraße. Im Rahmen des Programms wurde eine allgemeine Strategie entwickelt, die vorsah, grundsätzlich die im Gebiet vorhandenen Potentiale zu nutzen und langfristig durch Impulse von außen zu ergänzen. Dabei fand eine Aufteilung in vier verschiedene Teilbereiche statt: Technologie und Innovation, Qualifikation der Bewohner, Dienstleistung und Handel sowie die Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität. Innerhalb des ersten Teilbereichs war es das Ziel, aus den Erfahrungen des Bremerhavener Innovations- und Gründerzentrums zu lernen, um so einen speziellen Technologie-Park zu entwickeln, der an die lokalen Bedürfnisse angepasst ist. Betrachtet man das eigentliche Projektgebiet, den Ortsteil Goethestraße, so stand dort die Qualifizierung der Bewohner im Mittelpunkt der Bemühungen, um so die nötigen Voraussetzungen für das Entstehen neuer Arbeitsplätze zu schaffen. Mithilfe dieser Maßnahme wird angestrebt, die Chancengleichheit zu erhöhen, der Ausgrenzung benachteiligter Gruppen entgegenzuwirken und neue wirtschaftliche und soziale Perspektiven zu schaffen (vgl. Europäische Union 2010). Als übergeordnete Ziele werden zudem eine Stabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die (Wieder-)Herstellung der Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Standorten im Stadtumland genannt (Europäische Union 2010). Ausgehend vom diesem Zielkatalog werden konkrete operative Handlungsschwerpunkte formuliert: Dazu gehört unter anderem die Technologieförderung in Form des „Leuchtturmprojekts“ „Technologie-Park“, der auf einem Areal am Neuen Hafen entstehen soll, welches zwar nicht innerhalb des eigenen Projektgebiets liegt, durch seine unmittelbare Nähe jedoch

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Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremerhaven

die Arbeitsplatzsituation und Sozialstruktur im Gebiet beeinflussen kann. Zur ökonomischen Belebung des Gebiets wurde darüber hinaus ein Stadtteilmanagement ins Leben gerufen, welches kleinere und mittlere Unternehmen bei der Identifizierung, Formulierung und Lösung quartiersbezogener Probleme unterstützt. Zudem soll es das Image nach innen und außen verbessern helfen sowie der Verwahrlosung durch Aufwertungsmaßnahmen entgegenwirken. Dieses Projekt wird mit einer Million Euro unterstützt (Europäische Union 2010). Im Bereich Arbeitsmarkt und Soziales wurde zur Förderung von Qualifizierung und Existenzgründung eine neue Organisationsstruktur gebildet, die die Vernetzung und Optimierung von Aktivitäten innerhalb des Programmgebiets zum Ziel hat. Dazu schuf man das „Activity-Center-Lehe“, das in Verbindung mit dem Stadtteilmanagement angesiedelt wurde und mit einem Volumen von drei Millionen Euro gefördert wird. Zu den sozialen Maßnahmen gehören zum Beispiel der Ausbau vorhandener Betreuungskapazitäten, sowie die Verbesserung der Kinder- und Jugendsozialarbeit, wie auch der Drogenarbeit

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Zum Thema städtebauliche Erneuerung und Ökologie wird die Absicht formuliert, einkommensstärkere Käuferschichten wieder vermehrt für Lehe zu gewinnen und dem dortigen Einzelhandel neuen Schwung zu verleihen. Dazu soll aus Mitteln eines Investitionsprogramms der öffent-


liche Raum im Leher Stadtteilzentrum aufgewertet werden. Neben der Betonung städtebaulicher Alleinstellungsmerkmale (z. B. ortsprägende Gebäude, Platzanlagen, Parks und Eingangssituationen) gehört dazu auch die Verbesserung funktionaler Aspekte, beispielsweise der Parkplatzsituation oder eine gute Erreichbarkeit für den Langsamverkehr (Fahrrad und Fuß). Des Weiteren wurden Industriebrachen am Geeste-Ufer im Westen des Urban II-Projektgebiets ökologisch nachhaltig saniert und durch Öffnung eines Freiraumzugs zum Landschaftsraum Geeste-Niederung für eine zukünftige Freizeitnutzung erschlossen. Außerdem stehen die Industriebrachen als mögliche Konversionsflächen für neue gewerbliche Nutzungen im Technologiebereich zur Verfügung. Neben den hier dargestellten „Stadtumbau West“ und „Urban II“ existiert noch eine Vielzahl weiterer Programme, die in den vergangenen 20 Jahren (z. T. auch noch länger) in Bremerhaven durchgeführt worden sind. Abgesehen von den in den 1970er Jahren erfolgten städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen hatten diese jedoch keinen direkten physischen Einfluss auf den Ortsteil Goethestraße bzw. betrafen nicht speziell dieses Gebiet, sondern die Gesamtstadt. In der Regel lag der Fokus dabei auf ökonomischen Maßnahmen, die das Projektgebiet allenfalls durch ihre sozialen und ökonomischen Auswirkungen tangiert haben. Zu diesen Förderprogrammen zählen beispielweise das Soziale Stadt-Programm des Bundes, das Ziel2-Programm, die Gemeinschaftsinitiativen KONVER und RESIDER sowie das aktuelle EFRE-Bremen der Europäischen Union. Die im Rahmen des „URBAN II“ sowie des „Stadtumbaus West“ durchgeführten Maßnahmen haben zweifellos zur Aufwertung des physischen, d. h. gebauten öffentlichen Raums in Lehe beigetragen. Außerdem haben sie offensichtlich geholfen die Situation sozial benachteiligter Menschen zu verbessern, etwa indem Arbeitslosen eine neue berufliche Perspektive geboten oder eine Anlaufstelle für Familien, junge Erwachsene und Drogenabhängige geschaffen wurde. Auch der Rückbau von Wohnungen hat in einigen Fällen durchaus funktioniert. Angesichts der langen Dauer dieser Programme und der Summe öffentlicher Gelder, die hier investiert wurden, erscheint das Ausmaß der städtebaulichen Missstände wie auch der sozialen Spannungen dafür zu sprechen, dass diese Probleme nicht allein mit finanziellen Mitteln zu lösen sind.

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Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“

2.4 Akteursanalyse

Abbildung 26 zeigt die Akteurslandschaft bezogen auf das Untersuchungsgebiet, wie sie im Verlauf der Projektarbeit von der Gruppe eingeschätzt wurde. Diese Einschätzung leitet sich vor allem aus den von uns durchgeführten Experteninterviews mit den Vertretern der jeweiligen Institutionen ab. Die Nähe zur Mitte – das dortige Symbol steht für den Ortsteil Goethestraße – deutet an, welche Relevanz dem jeweiligen Akteur für das Gebiet beigemessen wird. Somit befinden sich im innersten Kreis die Schlüsselakteure, also diejenigen, die von uns als zentral für die Entwicklung der Goethestraße betrachtet werden: das Arbeitsförderungs-Zentrum im Lande Bremen GmbH (AFZ), „die theo“ (das Zentrum für Arbeit, Familie und Kultur) und die Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH (Stäwog). Im mittleren Kreis sind die Primärakteure versammelt, die ebenfalls eine herausgehobene Rolle spielen bzw. spielen können: das Stadtplanungsamt Bremerhaven

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Abbildung 26: Akteurslandschaft

und die Astrid-Lindgren-Schule. Im äußeren Kreis schließlich befinden sich die Sekundärakteure, die wir als zum Teil interessante, aber für das Gesamtgebiet nicht wesentliche Handelnde identifiziert haben: die Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe (ESG Lehe), die Bewohner des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43, das Designlabor Bremerhaven, das Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), die Stadtteilkonferenz, die Behörde für Denkmalpflege und das Bauordnungsamt, sowie die Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS).

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Desweiteren sind in der Grafik die Akteure den drei Polen Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft oder Staat zugeordnet. Je nach Ausrichtung und Trägerform lässt sich der jeweilige Akteur entweder klar an einem


Abbildung 27: Bewertung der Akteure

der Pole verorten oder steht zwischen zweien der drei Kategorien. Beispielsweise ist die Stäwog zwar eine Kapitalgesellschaft und lässt sich somit der Privatwirtschaft zuordnen, allerdings ist sie vollständig im Besitz der Stadt Bremerhaven und somit gleichzeitig ein staatlicher Akteur mit großem Einfluss auf die Stadtentwicklungspolitik. Deutlich wird zudem, dass im Bereich der Privatwirtschaft eindeutig Defizite bestehen, da hier kein starker Akteur vorhanden ist – eine Erkenntnis, die die Ergebnisse der bisherigen Analyse bestätigt. Im Übrigen muss betont werden, dass diese Auflistung keinesfalls eine vollständige Übersicht sämtlicher relevanter Akteure sein soll, sondern vielmehr eine Momentaufnahme darstellt, die die entsprechende Arbeitsphase des Projekts widerspiegelt. Im weiteren Projektverlauf sind zu dieser Liste zusätzliche Akteure hinzugekommen, andere erwiesen sich als weitgehend irrelevant. Im Hinblick auf die Schlüsselund Primärakteure allerdings gab es keine Veränderungen, so dass wir uns dazu entschieden haben, die Grafik unverändert zu lassen, um den Prozesscharakter der Arbeit zu betonen. Auf diese Weise wird deutlich, dass im Verlauf eines Projekts gelegentlich auch Um- bzw. Holzwege beschritten werden. In Abbildung 27 werden die bereits bekannten Akteure nochmals aufgelistet und in Bezug auf ihre Legitimität, ihre jeweiligen Ressourcen sowie ihre Vernetzung innerhalb der Stadt und des Ortsteils bewertet. Legitimität meint dabei die institutionelle Stellung, also „zugeschriebene oder erworbene Rechte, die beispielsweise durch das Gesetz, den Auftrag und die öffentliche Zustimmung abgesichert sind“ (gtz). Unter Ressourcen können sowohl Wissen, Sachverstand und Fähigkeiten als auch materielle und finanzielle Mittel verstanden werden, die es

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dem Akteur erlauben, „gestaltenden Einfluss auf Thema und Veränderungsziel auszuüben“ (gtz). Der Punkt Vernetzung schließlich bezieht sich auf „die Anzahl und Festigkeit der Beziehungen zu anderen Akteuren“ (gtz). Für jedes dieser Attribute werden in der Tabelle drei Werte unterschieden: Ein „+“ in der Spalte „Vernetzung“ beispielsweise steht für „gut vernetzt“, ein „-“ für „wenig vernetzt“ und ein schwarzer Kreis repräsentiert einen mittlere Stufe der Vernetzung. Wie bereits erwähnt, wurden im Laufe der Projektarbeit zahlreiche Experteninterviews mit den meisten der hier dargestellten Akteure geführt. In diesen wurden nähere Informationen über die jeweilige Institution und deren Projekte, ihren spezifischen Beitrag zur Stadtteilarbeit, die Wahrnehmung von Zusammenhängen innerhalb des Ortsteils etc. ermittelt. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden im folgenden Kapitel ausführlich dargestellt.

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2.5 Experteninterviews

2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven Eines der ersten Experteninterviews wurde am 15. Dezember 2010, also relativ früh im Projektverlauf, jedoch bereits nach Abschluss der ersten Analysephase, mit dem Leiter des Bremerhavener Stadtplanungsamtes Herrn Norbert Friedrich sowie einer weiteren Mitarbeiterin, Frau Sandra Levknecht, geführt. Schon vor Beginn des Projekts hatte zu diesen beiden Personen Kontakt bestanden, so dass die Unterstützung durch Kartenmaterial u. Ä. bereits im Vorfeld gesichert war. Außerdem wurde der Gruppe verdeutlicht, dass an den Ergebnissen des Projekts durchaus Interesse bestünde, da die Stadt noch über kein fertiges Konzept verfüge, wie mit den Baulücken zukünftig umgegangen werden soll. Betont wurde allerdings auch, dass von Seiten der Stadt bzw. der Stadtplanung kein „Grünzug“ gewünscht sei, weswegen rein freiraumplanerische Lösungen nicht in Betracht kämen. Stattdessen wurde deutlich, dass im Ortsteil Goethestraße auch zukünftig am Ideal der geschlossenen gründerzeitlichen Blockrandbebauung festgehalten wird und es ganz klar das Ziel ist, den Bevölkerungsfortzug zu stoppen sowie den Prozess mittelfristig wieder umzukehren. „Mehr Platz zum Leben“, so das Motto, das sich Bremerhaven für seinen Stadtumbauprozess gegeben hat (der im Rahmen des Stadtumbaus West stattfindet und sich intensiv mit dem Thema demographischer Wandel bzw. schrumpfende Bevölkerung auseinandersetzt), gilt für das Viertel um die Goethestraße also nur sehr bedingt. Ein Projekt der vergangenen Jahre, das uns in diesem Zusammenhang vorgestellt wurde, ist der Abriss der Deichschule, auf deren Grundstück unter starker Beteiligung der Öffentlichkeit in der Folge ein neuer Quartiersplatz entstand. Nach Einschätzung von Herrn Friedrich verlief dieser Prozess recht erfolgreich, demgegenüber stehen allerdings auch Aussagen von Anwohnen, die neben dem Ablauf des Verfahrens insbesondere das Ergebnis kritisieren. Darauf angesprochen, dass es bezüglich der Gestaltung äußerst kontroverse Ansichten gegeben habe – bemängelt wurde von Beteiligten beispielsweise, dass wesentliche Wünsche der Bevölkerung, etwa nach mehr Grün, nicht berücksichtigt worden seien –, verwies Herr Friedrich unter anderem auf die hohen Kosten, die mit der Pflege eines solchen Freiraums verbunden sind. Erstmals nähergebracht wurde uns bei diesem Gespräch auch die

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Problematik der Schrottimmobilien, welche die Stadtplanung vor große Herausforderungen stellt (vgl. Kapitel 2.2.5). Als vollkommen neuartigen Lösungsansatz beschrieb man uns das Vorkaufsortsgesetz, das zu jenem Zeitpunkt allerdings noch nicht verabschiedet war, also noch nicht angewandt werden konnte. Weitere Erkenntnisse und Informationen, die in dem etwa einstündigen Experteninterview gewonnen wurden, finden sich bereits in anderen Kapiteln dieses Berichts, so dass an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet werden kann. Das Thema Zwischennutzung kam zwar am Rande zur Sprache, bislang jedoch setzt die Stadt primär darauf, dass die bereits bestehenden wie auch die zukünftigen Lücken in der Blockrandbebauung dank mittelfristig steigender Einwohnerzahlen im Ortsteil Goethestraße rasch durch neue Gebäude geschlossen werden. Hierzu gab es auch schon mehrere Ideenwettbewerbe, darunter das Projekt „15räume“, bei dem das Stadtplanungsamt als Mitveranstalter auftrat. Vorgeschlagen wurden dabei ausschließlich moderne, zum Teil architektonisch sehr ansprechend gestaltete Wohnhäuser, deren Verwirklichung angesichts des Leerstands und der damit verbundenen sozialen Problemen im Ortsteil in absehbarer Zeit allerdings wenig aussichtsreich erscheint. Im Übrigen bleibt anzumerken, dass die an diesem Gespräch neben Herrn Friedrich beteiligte Frau Levknecht das Stadtplanungsamt Bremerhaven in der Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe e. V. vertritt, so dass auch deren Perspektive berücksichtigt wurde.

2.5.2 BIS Bremerhaven Bei der BIS (Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH) handelt es sich um ein halbstaat-liches Unternehmen, das von der Stadt Bremerhaven ins Leben gerufen wurde, um Wirtschaftsförderung im Immobilien-, Infrastruktur- und Tourismussektor zu betreiben. Matthias Pautzke, mit dem am 13.12.2010 ein etwa einstündiges Experteninterview geführt wurde, ist ein langjähriger Mitarbeiter dieser Einrichtung.

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Er nimmt in Bremerhaven verschiedene Potentiale wahr: Dazu gehören für ihn der Tourismus, welcher steigende Einnahmen generiert sowie


nach wie vor der Fischereihafen. Darüber hinaus hat sich Bremerhaven seiner Ansicht nach in den vergangenen Jahren als Standort für nachhaltige Energien und hier im Speziellen im Bereich der Windkraftanlagen profiliert. Namhafte Hersteller wie Areva produzieren ihre Anlagen in der Stadt. Daher ist geplant, eigens einen Hafen anzulegen, von dem aus großdimensionierte Offshore-Windkraftanlagen auf das offene Meer verschifft werden können. Zudem soll der Bereich Bildung und Forschung gestärkt werden. So befindet sich in Bremerhaven eine Niederlassung des Fraunhofer Instituts, dessen weiterer Ausbau bereits geplant ist. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat in Bremerhaven einen Standort, überdies besitzt die Stadt eine Hochschule, die sich auf den maritimen Forschungsbereich konzentriert. Positiv zu vermerken ist, so Pautzke, nicht zuletzt die konstante Nachfrage nach Gewerbefläche in der städtischen Peripherie. Im Zentrum von Bremerhaven wurden in der jüngeren Vergangenheit städtebauliche Leuchtturmprojekte umgesetzt, um der städtischen Wirtschaft neue Impulse zu geben. Unter anderem wurde dazu der sogenannte T.I.M.E-Port geschaffen, Räume und Infrastrukturen, die auf Gründer im IT-Bereich zugeschnitten sind. Bei der Akquise von Fördermitteln wurde hierbei auch Lehe mit einbezogen. Der Stadtteil Lehe hat aus Pautzkes Sicht vor allem ein Imageproblem, ähnlich wie Bremerhaven aus gesamtdeutscher Sicht. Von Seiten der BIS wurden zur Vermarktung des Wirtschaftsstandorts Bremerhaven schon diverse Marketingstrategien umgesetzt, allerdings sieht Pautzke die negative Presse immer wieder dafür verantwortlich, dass alle Anstrengungen eines „Imagewechsels“ bislang eher erfolglos geblieben seien. In Lehe erkennt er Potential nördlich der Grimsbruchstraße im Kisterquartier: Auf dem ungenutzten Areal könne gewerbliche Nutzung umgesetzt werden. Für den Ortsteil Goethestraße sind von Seiten der BIS aktuell keine Maßnahmen geplant, allerdings glaubt Pautzke, dass am ehesten eine Identifikationsfigur, die sich der Probleme annimmt, die Situation verbessern könnte. Bei neuen Projekten müsse in Zukunft zudem grundsätzlich darauf geachtet werden, ein neues Aktionsschema zu entwickeln. Bisher, so Pautzke, werde zu häufig als erstes nach Fördermitteln verlangt.

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2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH Interviewpartner bei der Stäwog, der Städtischen Wohnungsgesellschaft Bremerhaven, war am 13.12.2010 ihr Geschäftsführer Christian Bruns. Vor seiner Tätigkeit bei dem Unternehmen war Herr Bruns 16 Jahre lang bei der GEWOBA beschäftigt, einem überwiegend im Land Bremen tätigen Wohnungsunternehmen und Immobilien-Dienstleister, dessen Hauptaktionär die Stadt Bremen ist. In dieser Stellung hat er die Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten im Ortsteil LeheGoethestraße in den 1990er Jahren aus nächster Nähe miterlebt bzw. aktiv daran mitgewirkt. Aufgrund dieser Tatsache und weil Herr Bruns in Bremerhaven aufgewachsen ist, besitzt er einen äußerst engen persönlichen Bezug zu dem Viertel rund um die Goethestraße, was ihn nach Meinung der Projektgruppe zu einem entscheidenden Akteur dort macht. Wie er selbst darlegte, gehen auf sein individuelles Engagement auch einige Entscheidungen zurück, die unter rein ökonomischen Gesichtspunkten keinen unmittelbaren Sinn ergeben. Beispielsweise erwarb die Gesellschaft vor einigen Jahren entgeltfrei eine Immobilie im OrtsteilGoethestraße, in der Schleusenstraße 33, da die Eigentümerin, eine Rentnerin, den Gründerzeitbau finanziell nicht mehr tragen konnte. 40 Jahre lang waren an und in diesem Gebäude eigentlich notwendige Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen vernachlässigt worden, so dass sich die Kosten für die Sanierung schließlich auf 2.400 Euro/ m2 summierten. Wirtschaftlich vernünftiger wäre in solch einem Fall natürlich ein Abriss (und eventueller Neubau) des Wohnhauses gewesen, doch für Herrn Bruns stand der Aspekt des Denkmalschutzes in diesem Fall im Vordergrund. Die Stäwog, 1941 als „Wesermünder Wohnungsgesellschaft mbH“ mit 463 Wohnungen und drei Mitarbeitern gegründet, ist eine hundertprozentige Tochter der Stadt Bremerhaven. Heute beschäftigt das Unternehmen 61 Mitarbeiter und verwaltet Wohnraum für rund 13.000 Mieter, womit es zu den wichtigsten Anbietern von Wohnungen und Einzelhandelsgeschäften in der Stadt gehört. Von den rund 65.000 Mietwohnungen in Bremerhaven gehören etwa 5.000 der Stäwog (zum Vergleich, die GEWOBA besitzt ca. 1.000), hinzu kommen 227 gewerbliche Objekte. Des Weiteren übernimmt die Stäwog die Hausverwaltungen für Eigentümergemeinschaften, beispielsweise bei einem Personalwohnhaus für

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das Zentralkrankenhaus, einem behindertenfreundliches Mietshaus für die Arbeiterwohlfahrt sowie bei mehreren Geschäftsgebäuden für die BIS Bremerhaven. Im Jahr 2009 betrugen die Umsatzerlöse der Gesellschaft 27 Mio. Euro, ihre Bilanzsumme lag bei über 164 Mio. Euro. Hinzu kommt, dass die Stäwog auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Handwerk in Bremerhaven ist: Sie nimmt regelmäßig die Dienste von etwa 150 Handwerksunternehmen für Instandsetzung, Instandhaltung, Modernisierung und Sanierung von Immobilien in Anspruch. 2009 betrug das Gesamtvolumen dieser Aufträge 11,7 Mio. Euro. In einem knapp einstündigen Gespräch ging Herr Bruns ausführlich auf die Probleme des Ortsteils Lehe-Goethestraße ein und legte dar, welche Rolle die Stäwog in diesem Viertel spielt bzw. zukünftig zu spielen gedenkt. Zunächst stellte er dar, welche Faktoren aus seiner Sicht für den privaten Leerstand im Ortsteil Lehe-Goethestraße verantwortlich sind. Am Beginn dieses Prozesses stand für Herrn Bruns die Werftenund Fischereikrise, entscheidend dazu bei trug seiner Ansicht nach darüber hinaus der Abzug der amerikanischen Streitkräfte im Jahr 1993, wodurch sich in Bremerhaven der Wohnungsleerstand alleine um rund 1.000 WE vergrößerte. Im Anschluss erläuterte Herr Bruns, wie in den Folgejahren ahnungslose Privatanleger die zum Teil bereits maroden Gebäude im Ortsteil Goethestraße gekauft hatten und sich anschließend mit der notwendigen Sanierung finanziell überfordert sahen (vgl. Exkurs Schrottimmobilien). Da solche Immobilien nicht selten bis zu acht Eigentümer haben, bedeutet es zudem für die Stäwog, die an einigen dieser Grundstücke Interesse zeigt, einen enorm hohen Verwaltungsaufwand, alle Parteien eines Gebäudes ausfindig zu machen. Um die Kooperation mit den verschuldeten Eigentümern zu verbessern, arbeitet die Stäwog nach Herrn Bruns Angaben daran, einen professionellen Schuldenberater einzusetzen, der als Kommunikator und Mediator zwischen den betroffenen Banken und Schuldnern agieren soll. Als weiterer Lösungsansatz böte sich an, Immobilien, die erhaltenswert und noch nicht abbruchreif sind, unter Denkmalschutz zu stellen, wodurch die steuerlichen Kosten zu neun Prozent abgeschrieben werden könnten.

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Schließlich widersprach Herr Bruns der Ansicht, die zum Beispiel auch der Gesprächspartner bei der BIS vertreten hatte, dass in Zukunft weniger auf Fördertöpfe als auf private Initiative gesetzt werden solle. Seiner Meinung nach geht es nur mit öffentlichen Mitteln, die Städtebauförderung sollte daher keinesfalls gekürzt, sondern im Gegenteil weiter ausgebaut werden. Zumal sich, so Herr Bruns, der Einsatz öffentlicher Gelder, über die Jahre betrachtet auch wirtschaftlich rechne, da es durch die ausgelösten Aufwertungseffekte zu einer Verfünffachung der ursprünglichen Mittel komme. Bedauert wurde, dass EFRE-Fördergelder bislang nur für touristische Projekte eingesetzt werden konnten. Zuletzt legte der Geschäftsführer der Stäwog noch seine Vision für den Ortsteil Goethestraße dar: Gefragt seien in Zukunft verstärkt Pioniere wie das Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43 – ein Projekt, das die Stäwog durch den Einbau eines neuen, extern angebrachten Aufzugs gefördert hat, obwohl diese Maßnahme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen Sinn ergibt, da sich die Kosten angesichts der niedrigen Mieten kaum jemals amortisieren werden. Allerdings könnten, so Herr Bruns, bereits zehn solcher „Leuchtturmprojekte“ das Image der Goethestraße dauerhaft wandeln und somit das Quartier mittelfristig zum Kippen bringen.

2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 Ebenfalls am 15. Dezember 2010 war die Projektgruppe eingeladen zu einem Gespräch mit einigen Bewohnern des Projekts „Lebens(t)raum – Gemeinschaftliches Wohnen in der Goethestraße/Bremerhaven“. Zum einen erhielten wir dabei eine allgemeine Einschätzung des Ortsteils Goethestraße aus der Perspektive überwiegend älterer Menschen, zum anderen gewannen wir interessante Einblicke in die innovative Wohnform des Mehrgenerationenhauses. Da uns dieses Modell aus verschiedenen Gründen geeignet erscheint, den Aufwertungsprozess im Ortsteil Goethestraße zu befördern, stand zudem vor allem die Frage der konkreten Umsetzung eines solchen Projekts im Vordergrund.

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Die Idee dazu entstand im Herbst 2002 innerhalb eines Freundeskreises aus acht Frauen und Männern im Seniorenalter, die sich bereits seit Längerem damit beschäftigt hatten, wie sie im Alter wohnen wollen. Der Grundgedanke, den alle teilten, war ein gemeinsames Wohnkonzept, das einerseits individuell und selbstbestimmt sein sollte, andererseits aber auch den Aspekt der gegenseitigen Unterstützung sowie die Möglichkeit gemeinsamer Freizeit- bzw. Alltagsgestaltung zu berücksichtigen hatte. Die angestrebte Wohnform ähnelte damit einer Wohngemeinschaft, mit der Ausnahme, dass sie sich auf ein gesamtes Wohnhaus bezog. Das Konzept, das dafür entwickelt wurde, sieht einzelne Wohnungen als privaten Rückzugsraum vor, wie man das von der klassischen Wohnform des Mehrparteien-Hauses kennt, hinzu kommen Gemeinschaftsräume, die den sozialen Austausch ermöglichen. Dadurch soll der Vereinsamung und möglichen Einschränkungen im Alter entgegengewirkt werden. Erst während der Realisierungsphase des Konzeptes entwickelte sich die Grundidee des Wohnens im Alter schließlich zum Mehrgenerationswohnen weiter. In einem weiteren Schritt musste für die Umsetzung des Konzepts eine passende Immobilie gefunden werden, wobei zunächst völlig offen war, in welchem Stadtteil diese liegen sollte. Um Unterstützer zu gewinnen und auszuloten, ob ein solches Projekt breiteres Interesse weckt, arbeiteten die Initiatoren ihre Vorstellungen schriftlich aus und verschickten sie an verschiedene Organisationen in Bremerhaven, darunter die Wohnungsgesellschaften Stäwog und GeWoBa, die Volkshochschule (VHS) sowie das Bauamt. Die Stäwog und das Bauamt nahmen sich der Idee bereitwillig an, zudem unterstützte die VHS Bremerhaven die Gruppe intensiv in der Realisierungsphase. 2003 etwa organisierte man Seminare und stellte Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen die Initiatoren tagen und die zukünftige Wohngruppe zusammenstellen konnten. Darüber hinaus agierte die VHS als Mediator und Kommunikator für die Gruppe und akquirierte externe Berater, um das Wissen über gemeinschaftliche Wohnformen zu vertiefen. Schließlich nahm sie sich des Themas „Alternative Wohnformen im Alter“ im Rahmen einer Ausstellung an, die bereits realisierte Projekte in Deutschland zeigte. Außerdem besuchte der erweiterte Teilnehmerkreis dieser Aktionsreihe bestehende Wohnprojekte in Hamburg (Lärchenhaus), Bremen (Beginenhof), Hannover und Bleckede.

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Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43

Im Zuge der konkreten Realisierung fand dann ein partieller Austausch der potentiellen Interessenten bzw. Bewerber statt. Dies hatte zwei Gründe: Zum einen schreckten speziell junge Familien davor zurück, nach Lehe zu ziehen, den Stadtteil also, für den sich die Mehrheit der Beteiligten entschieden hatte, da sie die Sicherheit ihrer Kinder im öffentlichen Raum gefährdet sahen. Zum anderen nahm die Umsetzung des Projekts so viel Zeit und Energie in Anspruch, dass Bewerber mit akutem Wohnbedarf nicht länger mitziehen konnten. Und schließlich gab es potentielle Bewohner, die statt der innenstadtnahen Lage einen Standort am Stadtrand präferierten, da sie auf einen großen Garten wertlegten. Unsere Gesprächspartner hingegen bevorzugten die Urbanität eines geschlossenen, innenstadtnahen Altbauquartiers und waren froh, keine Gartenarbeit verrichten zu müssen, auch wenn einzelne durchaus bedauerten, dass es in ihrer jetzigen Nachbarschaft nur wenig Grün gibt. Nachdem die Entscheidung für den Stadtteil Lehe bzw. den Ortsteil Goethestraße gefallen war, bot die Stäwog den Initiatoren mehrere Objekte im Quartier an. Darunter stellte sich der Gründerzeitbau in der Goethestraße 43 als am geeignetsten heraus, da dort genügend Raum für gemeinschaftliche Nutzungen zur Verfügung stand und sich zudem im Innenhof ein Aufzug einbauen ließ, der für altengerechtes Wohnen unabdingbar war. Die Umbaumaßnahmen führte die Stäwog

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in enger Absprache mit den künftigen Mietern durch. Dabei wurde das Treppenhaus saniert und der erwähnte Fahrstuhl installiert, die historischen aber zu kleinen Balkone wurden durch größere ersetzt und die Gemeinschaftsräume ausgebaut oder erweitert. Weitere Sonderwünsche der zukünftigen Mieter kalkulierten und finanzierten diese selbst. Die Kosten für den Umbau in Höhe von rund 1 Mio. Euro trug größtenteils die Stäwog, im Gegenzug bekam sie Mieteinnahmen über einen Zeitraum von zehn Jahren vertraglich zugesicherte, die Unterzeichnung der Verträge fand vor Baubeginn statt. Bei einer Führung durch das Haus, das 1903 erbaut wurde und unter Denkmalschutz steht, bekamen wir einen Eindruck vom Inneren dieses Wohnprojekts. In zehn Wohneinheiten, die jeweils zwei bis vier Zimmer haben, leben drei Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie, das jüngste Mitglied der Hausgemeinschaft ist fünf, das älteste 77 Jahre alt. Die Wohnung im Parterre wird gemeinschaftlich genutzt, neben einem Gemeinschaftsraum, der regelmäßig auch von externen Gruppen und kleineren Vereinen angemietet wird, finden sich dort Bad und Küche, ein Atelier, eine Werkstatt sowie eine Saune, die nach Fertigstellung des Hauses eingebaut wurde. Im Innenhof gibt es einen gemeinsamen Garten, der Dachboden wurde zum Freizeitraum umfunktioniert und mit Fitness-Geräten und einem Billardtisch ausgestattet. Einmal im Monat finden sich alle Bewohner zusammen, um über sämtliche Belange des gemeinschaftlichen Lebens zu diskutieren, Kosten zu kalkulieren und Beschlüsse zu fassen. Zugleich soll damit das nachbarschaftliche Verhältnis und die Vernetzung gefördert werden. Gemeinsam genutzte Räume wie Werkstatt, Atelier oder Dachboden verwalten die jeweiligen Hauptnutzer, da diese erfahrungsgemäß bereitwilliger die Verantwortung tragen. Seit 2006 verfügt das „Haus 43“, wie es in diesem Bericht auch gelegentlich genannt wird, über einen Internetauftritt (www.wohnprojekt-bremerhaven.de), auf dem über die Konzept, Entstehung und Umsetzung des Wohnprojekts informiert wird.

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Währen des Gesprächs wurde nicht zuletzt auch thematisiert, welche Auswirkungen das Mehrgenerationenhaus auf den Ortsteil Goethestraße hat. Die Bewohner meinten, einen deutlichen Aufwertungseffekt für die nähere Umgebung ausmachen zu können und sahen positive Folgen für das Image des Gebiets auch über die Grenzen Bremer-


havens hinaus. Seit Bestehen der Gemeinschaft reagiert offensichtlich nach und nach die Nachbarschaft auf das gepflegte Erscheinungsbild des Hauses, indem beispielsweise Fensterscheiben regelmäßiger geputzt, Gardinen erneuert oder Hauseingänge instandgesetzt werden. Jährlich veranstalten die Bewohner einen Tag der offenen Tür sowie mehrere Grillabende, als weiteres Engagement kommt die Beratung von an ähnlichen Wohnprojekten Interessierten aus anderen Städten hinzu. Das Wohnprojekt „Lebens(t)raum“ ist zwar nicht das einzige im Ortsteil Goethestraße (daneben existiert ein weiteres dieser Art), aber fraglos das mit Abstand erfolgreichste, und stellt als solches einen wichtigen Akteur dar. Zu verdanken ist es dem Einsatz und Durchhaltevermögen einiger weniger Personen, darüber hinaus erscheint die Unterstützung durch bestimmte Institutionen, insbesondere einer Wohnungsgesellschaften unabdingbar.

2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“ Durch Umnutzung eines ehemaligen Schulgebäudes, der TheodorStorm-Grundschule, entstand 2006 im Ortsteil Goethestraße „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“. Geboren wurde das Projekt aus der Überlegung heraus, dass nach Schließung der Schule – bedingt durch Wegzug und demografischen Wandel – eine weitere Brache unbedingt vermieden werden sollte. Daher wurde nach einer neuen Funktion für das schöne alte Gebäude gesucht. Initiator war das Arbeitsförderungszentrum Bremerhaven (AFZ), das das Ziel verfolgte, durch Zusammenführung und Vernetzung von arbeitsmarktpolitischen, familienorientierten, sozialen und kulturellen Aktivitäten in einem Haus den Stadtteil Lehe aufzuwerten und sein Image zu verbessern. Das Konzept beinhaltet drei Schwerpunkte: Arbeit, Familie und Kultur. Im Vordergrund steht zwar die Arbeitsvermittlung und Existenzsicherung, doch wussten die Verantwortlichen, dass die gesamte Situation eines Menschen in Not betrachtet werden muss, um sinnvoll helfen zu können.

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Am Beginn des Projekts fand sich eine große Runde möglicher Kooperationspartnern zusammen, die vom AFZ eingeladen worden waren.


Dabei wurden Ideen für mögliche Nutzungen gesammelt, die nach und nach verpflichtend wurden: Für jeden Vorschlag sollte es einen tatsächlich Verantwortlichen geben, der in der Lage ist, diesen auch umzusetzen. Aus diesem Grund wurde nicht jede Idee automatisch akzeptiert, sondern die Leitung des Projekts behielt im gesamten Planungsprozess die Federführung. So wurde die Runde sukzessive immer kleiner, bis sie nur noch aus zukünftigen Mietern bestand. Noch vor dem Umbau waren 80 Prozent der geplanten Geschossfläche vermietet. Über die eigentliche Arbeit, die im Haus selbst geleistet wird, hinaus sollte das Projekt auch durch seine Ausstrahlwirkung zur Aufwertung der Umgebung beitragen helfen. Insgesamt wurden für den Umbau der ehemaligen TheodorStorm-Schule zum „Haus für Arbeit, Familie und Kultur“ 2,6 Mio. Euro benötigt, die aus Mitteln der europäischen Union (URBAN 2), verschiedenen Strukturfonds des Bundes und des Landes (EFRE und ESF), dem Stadtumbau West-Programm sowie kommunalen Arbeitsmarktfördertöpfen stammten. Bemerkenswert ist, dass die im Voraus eingeplante Summe nicht überschritten wurde. Am Umbauprozess beteiligt waren neben Seestadt Immobilien, einem Eigenbetrieb der Stadt Bremerhaven, der alle städtischen und städtisch genutzten Immobilien verwaltet, zahlreiche Handwerksbetriebe sowie Erwerbslose. Der Eigentümer des Gebäudes ist weiterhin die Stadt Bremerhaven, verwaltet wird es durch Seestadt Immobilien. „Die theo“ wurde als innovatives und soziales Projekt vielfach ausgezeichnet und trägt sich dank einer hohen Auslastung der zur Verfügung stehenden Räume von Anfang an selbst. Vielfältige Nutzungen sind hier unter einem Dach vereint: Neben der Agentur für Arbeit gehören unter anderem eine Schuldnerberatung, eine Kinderkrippe, ein Kulturbüro und eine Filmdokumentationsfirma zu den festen Mietern, darüber hinaus gibt es eine Existenzgründeretage mit einem flexiblen Raumangebot, für die eine lange Warteliste existiert. Desweiteren befindet sich ein Restaurant in der ehemaligen Turnhalle der Schule. Die vielfältigen kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen werden sehr gut angenommen, Angebote für Jugendliche stehen allerdings nur sehr begrenzt zur Verfügung. Dies ist jedoch eine bewusste Entscheidung, da sich in der unmittelbaren Nachbarschaft der Lehe-treff, eine Jugendfreizeiteinrichtung, befindet, mit der „die theo“ nicht in Konkurrenz treten soll. Nicht zuletzt finden in den Räumlichkeiten auch Feiern, Veranstaltungen, Konferenzen und

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Tagungen statt, eine schöne Jugendstil-Aula sowie modern ausgestattete Konferenzräume können auch von Externen für Veranstaltung angemietet werden. Zweimal im Jahr findet ein Mietertreffen statt, auf denen die dringendsten Anliegen diskutiert sowie mögliche kleinere Projekte, welche gemeinschaftlich durchgeführt werden sollen, organisiert werden. Dazu gehören zum Beispiel einmal pro Jahr ein Tag der offenen Tür oder die Lange Nacht der Kultur, bei der das Angebot der „theo“ einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Mieter besitzen dabei eine große Verantwortung und müssen Ideen selbständig organisieren und umsetzen, da kein Hausmanagement vorhanden ist. Ein wichtiger Bestandteil des Hauses ist die sogenannte Existenzgründeretage, auf der Selbstständige aus unterschiedlichen Branchen bezahlbaren Büroraum finden. Ab 100 Euro monatlich inklusive Nebenkosten kann man hier einen Büroplatz mieten, der mit Tisch, Stuhl und Schränken ausgestattet ist, neben Einzelbüros existieren auch solche für bis zu vier Personen. Nach Bedarf kann ein Internetanschluss eingerichtet werden, um den sich die Mieter allerdings selbst kümmern müssen. Derzeitige Mieter sind Programmierer, Handwerker, Sicherheitsdienste, eine Versicherung, eine Unternehmensberatung, ein Veranstalter von Kindergeburtstagen sowie eine Maklerin. Insgesamt gibt es 16 Plätze, von denen zwei derzeit nicht belegt sind. Die Verträge sind begrenzt auf jeweils drei Jahre, einmalig können sie für zwei Jahre verlängert werden. Die Existenzgründer werden nach Möglichkeit unterstützt, etwa, indem eine Einschätzung der Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts vorgenommen wird. Darüber hinaus werden regelmäßig Workshops für Gewerbetreibende veranstaltet. In erster Linie allerdings ist es das Ziel der Verantwortlichen, Eigenengagement zu fördern. Öffentlichkeitsarbeit wir von der theo aufgrund der knappen Finanzlage nur sehr begrenzt betrieben. Es existiert jedoch eine Internetseite (www.die-theo.de ), die von den festen Mietern mitgestaltet wird, außerdem beteiligt sich „die theo“ an Veranstaltungen im Quartier und erstellt gelegentlich Flyer.

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Das inklusive Hausführung rund anderthalbstündige Informationsgespräch wurde im Januar 2011 mit den beiden Vertreterinnen des AFZ, Frau Anja Mengel und Frau Annabell Hänchen, geführt. Einige der


Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“

wesentlichen Überlegungen und Vorschläge, die dabei zur Sprache kamen, sollen an dieser Stelle kurz wiedergegeben werden. Für die Konzeption unseres eigenen Projekts relevant ist beispielsweise die Tatsache, dass die Leitung der „theo“ an der Brachfläche, die vor kurzem durch den Abriss einer Schrottimmobilie direkt gegenüber des Gebäudes entstanden ist, großes Interesse hat: Vor allem bei größeren Veranstaltungen fehlt es der Einrichtung an Parkplätzen. Bedauert wurde, dass momentan kein Konzept existiert, wie mit den Baulücken umgegangen werden soll. Die vermüllten oder mit Brettern vernagelten leerstehenden Grundstücke jedoch haben nach Ansicht unserer Gesprächspartnerinnen auf jeden Fall negative Auswirkungen auf das Gebiet und tragen zum weiteren Verfall bei. Grünflächen in den Brachen wurden tendenziell befürwortet, allerdings wurde auch zu bedenken gegeben, dass sich darum jemand kümmern muss. Als Lösung für dieses Problem schlug Frau Mengel vor, die Parzellen an die anliegenden Häuser anzubinden und zu privaten Schrebergärten umzufunktionieren. Eine weitere sinnvolle Nutzungsidee könnte ihrer Meinung nach eine Hundewiese sein, da es im Ortsteil Goethestraße viele Hundehalter gibt, jedoch keine Plätze, wo die Tiere ihr Geschäft verrichten können. Die Gehwege im Viertel sind folglich stark mit Hundekot verunreinigt, wie auch uns immer wieder auffiel, zumal es vielen Bewohnern, so Frau Mengel, offensichtlich an Verantwortungsbewusstsein fehlt.

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Auch für ähnliche Konzepte wie „die theo“ gäbe es nach Ansicht der beiden AFZ-Mitarbeiterinnen noch Bedarf. Als vielversprechend betrachten sie zum Beispiel ein Haus für Existenzgründer, welches sich einem bestimmten Thema bzw. einer Branche widmet, etwa der Gesundheit oder der Schönheitspflege. Nach Einschätzung unserer Gesprächspartnerinnen ließen sich mit einer solchen Idee auch leichter Fördergelder finden. Allgemein wurde angemerkt, dass bei allen geplanten Maßnahmen mögliche Multiplikationseffekte berücksichtigt werden müssten, um bereits im Vorfeld beurteilen zu können, wie viel ein angestrebtes Projekt tatsächlich zur Aufwertung des Quartiers beiträgt. Das ursprüngliche Ziel, mithilfe der „theo“ die Aufwertung im Quartier zu forcieren, gelang in dieser Hinsicht wohl nur zum Teil: Einige Häuser in der Nähe wurden saniert, allerdings scheint die Ausstrahlungswirkung der Institution noch nicht allzu weit zu reichen, da jenseits der unmittelbaren Umgebung keine Verbesserungen zu beobachten sind. Dennoch stellt diese Einrichtung nach drei Jahren des Bestehens auf jeden Fall einen äußerst aktiven Akteur im Quartier dar.

2.5.6 Designlabor Bremerhaven Am Geestehafen, wo historische Backsteinspeicher und schicke Loftwohnungen an der Wasserkante ein wenig an die Hamburger HafenCity erinnern, befindet sich in einem unscheinbaren grauen Gebäude, welches ehemals als Fährhaus diente, das Designlabor Bremerhaven. Innen überrascht es mit einem riesigen lichtdurchfluteten Dachgeschoss mit Designermöbeln und englischsprachigen Zitaten an den Wänden. Mit der seit 1995 bestehenden Einrichtung hat sich Bremerhaven zum Ziel gesetzt, als in hohem Maße vom Strukturwandel betroffene Stadt vom Boom der „Creative Industries“ zu profitieren. Erforscht werden sollen hier die Möglichkeiten interdisziplinärer Gestaltung für die Zukunft. So erarbeiten die Teams des Designlabors Konzepte für Wirtschaft und Wissenschaft, fördern den Austausch von Ideen sowie die Entwicklung neuartiger Konzepte für den Markt und dienen somit als Impulsgeber für Innovationen in der Region. Initiiert wurde das Projekt von der Wirtschaftsförderung Bremen, außerdem erhält es

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Mittel von der Europäischen Union. Das Institut gehört zur Einrichtung der Bremer Design GmbH, und die Freie Hansestadt Bremen vergibt regelmäßig Stipendien an junge Diplomdesigner aus dem europäischen Raum, die im Designlabor Bremerhaven ein Team auf Zeit bilden. 2008 beispielsweise trafen dort mehr als 70 Bewerbungen von Nachwuchsgestaltern aus 15 europäischen Ländern ein. Als Projektleiter stehen international renommierte Designspezialisten zur Verfügung, neben den sechsmonatigen Projekten sind Beratung, Workshops und Ausstellungen weitere wichtige Bestandteile der Arbeit des Labors. Unser Gesprächspartner am 6. April 2011 war Holger Kattert, der Projektmanager dieser Einrichtung. Er stellte uns zwei interessante Projekte der vergangenen Jahre vor, von denen das erste den Titel trug: „Verlorene Orte im Stadtraum – neue Perspektiven für den Ladenleerstand“. Auftraggeber dieses Projekts war das Stadtplanungsamt Bremerhaven, das sich davon neue, konzeptorientierte Ideen aus einer innovativen Perspektive erhoffte. Von besonderer Relevanz für unser P3-Projekt war die Tatsache, dass das Projekt des Designlabors in der Hafenstraße umgesetzt wurde, die ja zugleich Teil des eigenen Projektgebiets ist und als ehemals florierende Einkaufsstraße seit geraumer Zeit eine hohe Leerstandsquote aufweist. Eines der leerstehenden Ladenlokale wurde vom Designlabor angemietet und von den Stipendiaten mit einfachen Mitteln in Selbstarbeit renoviert und gestaltet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es trotz der offensichtlichen Verfügbarkeit geeigneter Läden schwierig war, einen zu finden, der überhaupt zur Vermietung stand. Zum einen fürchten sich viele Vermieter vor Mietnomaden, welche nicht nur keine Miete bezahlen, sondern nach dem Auszug auch ein totales Chaos hinterlassen, zum anderen scheinen viele Vermieter bereits resigniert zu haben, so dass sie weder postalisch noch telefonisch zu erreichen sind. Ihre Läden sind oft schmutzig und vollgestellt mit alten Kisten, enthalten jedoch keinerlei Informationen für potentielle Mieter. Mit ein wenig frischer Farbe und einem seriösen Schild, so Herr Kattert, wären dagegen rasch eventuelle Interessenten gefunden. Schließlich gibt es drittens auch einige Optimisten unter den Vermietern, die auf bessere Zeiten hoffen und ihren Laden nicht zum derzeitigen Marktpreis anbieten wollen.

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Nach längerer Suche konnte jedoch ein ehemaliger Schuhladen für eine geringe Miete übernommen werden. Dort bot sich den Stipendiaten


des Designlabors die Möglichkeit, unterschiedliche Nutzungen für leerstehende Geschäfte zu testen. In der Renovierungsphase, welche bereits viel Aufmerksamkeit innerhalb des Viertel erzeugte, erhielt der Laden durch einfache, aber konsequent umgesetzte Designelemente, wie beispielsweise ein wiederkehrendes Logo, die Farbe Grün und Einrichtungsgegenstände aus recycelten Materialien, eine ungewöhnliche Gestaltung. Im Folgenden sah das Konzept eine zweimonatige Projektlaufzeit vor, welche sich in drei aufeinanderfolgende Phasen aus Galerie, Mediencafé und Verkaufslokal für Designprodukte gliederte. Die Eröffnung des neuen Ladenlokals in der Hafenstraße 73 unter dem Namen „vorübergehend* geöffnet“ erfolgte mit einer Fotoausstellung der Stipendiaten, welche den Blick von außen auf Bremerhaven einfangen sollte. Bei dieser Gelegenheit wurden Einwegkameras an die Besucher verteilt, mit denen diese selbst zum Thema „Heimatliebe“ Fotos ihrer jeweiligen Lieblingsorte in Bremerhaven schießen konnten, um damit an einem Wettbewerb teilzunehmen. Die Rücklaufquote der Kameras lag bis zur zweiten Vernissage, bei welcher die Gewinner dieses Wettbewerbs prämiert werden sollten, bei rund 90 Prozent. Die zahlreichen Teilnehmer wie auch die Galeriebesucher der ersten Ausstellung konnten somit ein weiteres Mal in die Hafenstraße geladen werden, zudem schmückten die Siegerfotos in der Folgezeit das Café, welches der Galerienutzung folgte. In dieser zweiten Konzeptphase, dem Mediencafé, richteten die Stipendiaten des Designlabors einen kleinen Cafébetrieb ein und installierten ein großes Regal, in welches die Besucher Bücher einstellen sollten, die dann von anderen im Café gelesen bzw. angesehen oder aber mitgenommen werden konnten. Während der dritten Phase schließlich wurden Designgegenständen von befreundeten Künstlern verkauft, hinzu kamen eine kleine eigene Kollektion sowie das selbst entworfene Mobiliar aus dem Café, welches sich als besonders begehrt erwies. Die Besucherzahlen des Ladens waren sehr unterschiedlich, Spitzenwerte wurden jeweils zur Eröffnung einer neuen Phase und an Wochenenden registriert. Die meisten Besucher, so Herr Kattert, waren „die üblichen Verdächtigen“, also kunst- und designaffine Personen, daneben nahmen aber auch Anwohner aus Lehe das Angebot wahr. Offensichtlich bestanden jedoch bei manchen auch Barrieren: Bestimmte Personen saßen zwar jeden Tag auf den Sitzgelegenheiten vor dem Café, betraten dieses aber nie. Die Wunschvorstellung

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der Veranstalter war es gewesen, das Konzept einem Nachfolger an die Hand zu geben, um so „vorübergehend*geöffnet“ zu einer festen Institution in der Hafenstraße zu machen, was allerdings an mangelndem Interesse scheiterte. Ein nachfolgendes Projekt mit dem Titel „Projekt Brache – Verlorene Orte 2“, das uns Herr Kattert ebenfalls vorstellte, beschäftigte sich mit dem kreativen Umgang mit Freiräumen in schrumpfenden Städten. Im Fokus stand dabei die Erschließung einer Brachfläche für die öffentliche Nutzung in Bremerhaven-Geestemünde. Städtebauliche und gestalterische Interventionen für die konkrete Umsetzung in der Brache wurden zunächst angeleitet und werden nun, nach Projektende, von Stadtteilbewohnern weitergeführt. Aus Fehlern beim vorangegangenen Ladenleerstandsprojekt wurden die Lehren gezogen, dass eine aktive Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch die Berichterstattung in der Nordeezeitung, notwendig ist und dass die Anwohner integriert werden müssen: „Die Erfahrung aus Vorgängerprojekten zeigt, dass Revitalisierung möglich ist, wenn gestalterische Interventionen von den Bürgern als Chance begriffen werden, ein Stück neue Lebensqualität in ihrem Umfeld zu entwickeln. Das Designlabor wird daher die Akteure aus der Stadt in die aktive Mitgestaltung einbeziehen. Zu diesem Zweck wurde eigens ein Laden an der Georgstraße in Bremerhaven angemietet, um vor Ort mit den Bürgern gemeinsam Ideen zur kreativen Rückeroberung von Freiräumen zu entwickeln. In einem Workshop wurde zum Beispiel aus alten Ästen von der Brachfläche Hocker gebaut oder es wurde gemeinsam mit dem Kindergarten zu Weihnachten die Bäume geschmückt“ (Designlabor Bremerhaven). Viel Wert legte Herr Kattert schließlich auf die Feststellung, dass es in Bremerhaven genügend Projekte unter dem sozialen Mantel gebe. Worauf es in Zukunft dagegen vermehrt ankäme, sei eine aktive Förderung der Bewohner, um sie dazu zu animieren, eigene Ideen umzusetzen. Oft fehle allerdings auch schlichtweg das Wissen, wie man ein Problem angeht, wie auch das Beispiel der Brachflächen in Lehe zeige. Zudem herrsche vielfach Unklarheit über die Besitzverhältnisse und damit die Furcht, sich eine Brachfläche anzueignen. Nach Meinung Herrn Katterts ist bei neuen Projekten das Entscheidende ein hoher Innovationsgehalt, es sollte also nach Möglichkeit etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes ins Viertel getragen werden,

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das zudem durch gutes Design mit großem Wiedererkennungswert besticht. Andererseits sollte man dabei die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen, so Kattert, da es in kleineren Städten wie Bremerhaven an der kreativen, künstlerischen und studentischen Szene fehlt, die für Stadterneuerungsprozesse bzw. die Initiierung von alternativen Stadtgestaltungen so wichtig ist, wie man beispielsweise an Berlin sehen kann. Zweifellos stellt das Designlabor Bremerhaven ein großes Potential auch für den Ortsteil Goethestraße dar. Fruchtbar könnte unter Umständen eine Kooperation der Institution mit der „theo“ sein, da einerseits das Designlabor das nötige Know-how im Bereich Design, Produktgestaltung und kreativer Ideenfindung besitzt, während die Theo durch ihre Stadtteilarbeit viel mit den Menschen im Quartier in Kontakt kommt, Räumlichkeiten zur Verfügung stellen kann sowie viel Kompetenz im sozialen und wirtschaftlichen Bereich mitbringt.

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2.6 Zwischenfazit: Zentrale Erkenntnisse der Analyse

In einem Zwischenfazit sollen die wichtigsten Erkenntnisse aus der Analyse hier noch einmal kurz zusammengefasst werden. Der Fokus liegt dabei auf jenen Punkten, die sich für das Konzept als besonders relevant erwiesen haben, aus denen also Handlungsfelder und Zielsetzungen für die weitere Arbeit abgeleitet wurden: 1. Der Leerstand im Quartier, bedingt durch starke Abwanderungstendenzen, schreitet voran und stellt ein enormes Problem dar. Dabei verteilen sich allerdings Leerstände wie auch Lücken nicht gleichmäßig über den gesamten Ortsteil, sondern konzentrieren sich an bestimmten Stellen. Ein Abriss maroder Gebäude ist in vielen Fällen mittlerweile kaum noch zu vermeiden, es werden folglich weitere Baulücken hinzukommen. 2. Die klassischen Instrumente der Stadtplanung alleine scheinen ganz offenbar nicht auszureichen, um das Viertel nachhaltig zu stabilisieren, geschweige denn aufzuwerten. Durch diverse Stadtumbauprojekte und Förderprogramme wurden zwar an einzelnen Stellen bauliche Verbesserungen erreicht – die wie „die theo“ auch die soziale Infrastruktur stärken – diese können aber die Abwärtsspirale, in dem sich der Ortsteil Goethestraße befindet, bislang nicht aufhalten. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist zweifellos die starke Abhängigkeit von öffentlichen Geldern (die in Zeiten leerer Gemiendekassen zukünftig zudem eher spärlicher als bisher fließen dürften). Neben den finanziellen Mitteln sind auch die personellen Ressourcen der Stadtplanung in Bremerhaven beschränkt. Andererseits finden sich in- und außerhalb des Ortsteils zahlreiche engagierte Akteure, sowohl aus dem zivilgesellschaftlichen als auch aus dem institutionellen Bereich. 3. Die Bremerhavener Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten von mehreren Strukturkrisen hart getroffen, unzählige Arbeitsplätze in hafenabhängigen Betrieben gingen dabei verloren. Hinzu kam der Abzug der amerikansichen Streitkräfte, der auf Kaufkraft wie Arbeitsmarkt ebenfalls nachteilige Effekte hatte. Mittlerweile setzt die Stadt recht erfolgreich auf die Förderung und Neuansiedlung von Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, der Logistik sowie der Nahrungsmitteltechnologie, daneben existieren diverse Forschungs- und Hochschuleinrichtungen, deren Beschäftigtenzahl

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aller Voraussicht nach weiter zunehmen wird. Allerdings bietet der tertiäre, größtenteils stark wissensbasierte Sektor so gut wie keine Arbeitsplätze für jene gering Qualifizierten, die zuvor im primären (Fischfang) und sekundären (v. a. Schiffbau) Sektor tätig waren. Die Arbeitslosigkeit in der Gesamtstadt ist hoch, wird allerdings noch weit übertroffen von der Quote, die der Ortsteil Goethestraße zu verzeichen hat. Andererseits scheint es dort sehr viele potentielle Existenzgründer zu geben, wie etwa die lange Warteliste der „theo“ belegt. Zugleich zeigt sich, dass trotz des Leerstands vielfach geeignete Räume fehlen. 4. Der Ortsteil Goethestraße verfügt aufgrund der baulichen Mängel wie der sozialen Probleme über ein extem schlechtes Image in Bremerhaven. Allerdings ist er weder bei den Bewohnern noch in der Gesamtbevölkerung als „Quartier“ im Bewusstsein, sondern wird dem Stadtteil, zu dem er gehört, d. h. Lehe, zugerechnet. Potentiell attraktiv ist er als Wohnstandort aufgrund seiner sehr zentralen Lage, zudem hebt er sich wegen der besonderen städtebaulichen Struktur und des hohen Altbaubestands deutlich von anderen Bremerhavener Vierteln ab, er besitz damit gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Stadt.

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2.7 Potentialkarten

Methodisch wie inhaltlich (sowie auch im Hinblick auf den Projektverlauf) sind die Potentialkarten zwischen Analyse und Konzept angesiedelt. Sie wurden zu einem Zeitpunkt erstellt, als die Analyse bereits abgeschlossen und das Konzept, die Toolbox, in Grundzügen entwickelt war. Die Notwendigkeit, einer solchen Karte zeigte sich, als bei der Erarbeitung der ersten Tools die Frage auftauchte, wo diese im Projektgebiet konkret zu verorten seien. Erst wenn dies geklärt ist, lässt sich nämlich mit einiger Gewissheit beurteilen, ob und wie die vorgeschlagenen Projekte, die in anderen Städten bereits funktionieren, auf das Quartier übertragbar sind. Bei einer weiteren Ortsbegehung wurden daher also die räumlichen Potentiale noch einmal gesondert untersucht und in drei Karten dargestellt, die die Bestandskarten zu Gebäudezustand, Leerstand und Nutzungsstruktur ergänzen. Auf der Übersichtskarte (Abb. 30) lässt sich zunächst einmal ablesen, welche Bedeutung die Hafenstraße für die Nahversorgung besitzt: Praktisch alle Geschäfte im Untersuchungsgebiet konzentrieren sich entlang dieser Achse, die trotz vereinzeltem Ladenleerstand im Großen und Ganzen „funktioniert“. Einige wenige Nahversorgungseinrichtungen befinden sich darüber hinaus in der zentral gelegenen Goethestraße, die im Norden zudem einen kleinen, beinahe trichterförmigen Platz besitzt, der wie eine Art Quartierseingang wirkt bzw. als solcher fungieren könnte. Desweiteren dargestellt ist die fußläufige Entfernung zum Wasser, d. h. zum Hafen in der Wesermündung, sowie zur Innenstadt. Die vom Vorkaufsortsgesetz betroffenen Häuser dürfen insofern als Potentiale gelten, da sie – im Gegensatz zu anderen Schrottimmobilien, die unter Umständen noch über Jahre hinweg ihre negative Wirkung verbreiten – in Kürze abgerissen werden, so dass die Grundstücke für eine neue Nutzung zur Verfügung stehen. Schließlich finden sich in der Karte zwei horizontale Zäsuren, von denen die erste auf Höhe der Kistnerstraße eine Änderung der Nutzungsstruktur der Goethestraße markiert: Während im nördlichen Teil noch Ladenlokale zu finden sind, existieren solche im südlichen Abschnitt der Straße nicht mehr. Die Zollinlandstraße, eine Parallelstraße weiter südlich, stellt zum einen eine Zäsur im Hinblick auf den Charakter der Goethestraße dar, die sich ab hier verengt und von einer zentralen Erschließungsstraße zu einer reinen Anliegerstraße wird. Zum anderen verändert sich südlich davon auch die städtebauliche Struktur, da dort zahlreiche Nachkriegs-

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gebäude die gründerzeitlichen Blöcke ergänzen bzw. schließen und zudem die Geschosshöhe tendenziell abnimmt, in einigen Straßen auf nur noch zwei bis drei Stockwerke. Bereits vermerkt sind auf der Übersichtskarte auch die beiden im Zuge der Kartierung definierten „Keimzellen“, die im Folgenden jeweils separat im Detail dargestellt werden (Abb. 31 und 32). Keimzelle 1 liegt im Nordosten des Gebiets, das im Vergleich zu den vorherigen Kartendarstellungen bereits an der Frenssenstraße endet, da sich im Zuge der Analyse ein Kerngebiet herausgebildet hat, das das nördlich davon gelegenen Areal nicht miteinschließt (vgl. Kapitel 2.2.1). Das „Schlüsselgebäude“ ist hier ganz eindeutig „die theo“, da sie aufgrund ihres hervorragenden baulichen Zustands wie auch ihrer Nutzung eine positive Wirkung oder zumindest Ausstrahlung auf ihre Umgebung besitzt. Eventuell kann auch dem Leher Jugendtreff eine solche Funktion zukommen. In der Umgebung der „theo“ finden sich einige weitere Gebäude, die dank ihres guten Erhaltungszustands und ihrer optischen Anmutung als „besonders schöne Häuser“ klassifiziert wurden. Weshalb auch sie ein Potential darstellen, wird deutlich, wenn man die Aussagen von Akteuren wie den Bewohnern des Mehrgenerationenhauses oder dem Geschäftsführer der Stäwog berücksichtigt, dass gepflegte Gebäude die Nachbarschaft aufwerten (während umgekehrt marode Häuser benachbarte „anstecken“ können). Gastronomische Einrichtungen, Spielplätze, besonders schöne begrünte Innenhöfe sowie ein erhöhtes Passantenaufkommen zählen aus jeweils nachvollziehbaren Gründen ebenfalls zu den Potentialen, zu denen nicht zuletzt auch die Brachflächen zu zählen sind, auch wenn sie momentan zum Teil noch durch physische Barrieren, d. h. Zäune, abgetrennt sind. Die zweite Keimzelle liegt sehr zentral im Zentrum des Quartiers, ihr Kern befindet sich in der Goethestraße etwa auf Höhe der Adolfstraße. Dieser Abschnitt der von Nord nach Süd verlaufenden Mittelachse, die dem Ortsteil ihren Namen gibt, weist eindeutig den stärksten Passantenverkehr auf, außerdem spielen hier zahlreiche Kinder auf der verkehrsberuhigten Straße und den breiten Gehwegen. Neben baumbestandenen Innenhöfen fallen die zum Teil liebevoll gepflegten und bepflanzten kleinen Vorgärten vor allem auf der westlichen Seite der Goethestraße auf. Nahversorgungseinrichtungen, Gastronomie und ein Friseur finden sich hier ebenso wie soziale Einrichtungen, etwa die Kindernachmittagsbetreuung Rückenwind e. V. (s. dazu auch Kapitel

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Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1 Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2

4.1), hinzu kommt als eines der Schlüsselgebäude das Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43. Als potentielles Schlüsselgebäude wurde zudem ein Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße ausgemacht, das momentan leersteht, aber dank seiner exponierten Lage für vielfältige Nutzungen infrage kommt. Unbesetzte Räume stellen daneben zwei kleinere Brachflächen in Baulücken dar.

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3. Konzept


Abbildung 33: Eines der pr채mierten Bilder der Kinder-Fotosafari

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3.1 Zentrale Projektfragen

Auf Grundlage der wichtigsten Analyseerkenntnisse formulierte die Gruppe im weiteren Projektverlauf eine Reihe von Fragen, aus denen wiederum die Leitgedanken und zentralen Kategorien des Konzepts abgeleitet wurden. Um diesen Prozess auch im Rahmen dieses Berichts anschaulich und nachvollziehbar zu machen, entspricht dabei je eine Frage einem der unter Kapitel 2.7 aufgeführten Punkte, die ebenfalls bereits vier Oberthemen zugeordnet sind. 1. Zweifellos stellt die hohe Leerstandquote im Ortsteil Goethestraße ein großes Problem dar. Der Verfall vieler davon betroffener Gebäude schreitet voran, was sich wiederum negativ auf die noch intakten Gebäude, auf die Lebensumstände der Bewohner sowie nicht zuletzt auch auf das Image des Viertels auswirkt. Einen ähnlichen Effekt haben momentan die Baulücken, da durch sie die nach wie vor prägende Blockrandstruktur zerstört wird. Ohne Nachnutzung bleiben Brachflächen zurück, die das Stadtbild nicht nur optisch beeinträchtigen, sondern auch auf symbolischer Ebene den Niedergang verkörpern. Andererseits ließe sich die Frage stellen, ob und inwiefern Leerstand, Lücken und Brachen nicht auch als Chance begriffen werden können, d. h., ob und wie sie sich eventuell für eine zukünftige Aufwertung dieses dichten, innenstadtnahen Wohnviertels nutzen lassen. Also: Leerstand und Baulücken als Potential? 2. Die bisherigen Bemühungen und Maßnahmen der Stadtplanung zur Aufwertung des Ortsteils Goethestraße werden durchaus anerkannt. Da sie aber offensichtlich alleine nicht ausreichen, das Viertel zum Kippen zu bringen, müssen weitere Akteure gefunden werden, die hier einen positiven Einfluss ausüben. Die im Projektverlauf interviewten Personen sowie die durch sie vertretenen Einrichtungen, zählen bereits jetzt dazu. Daneben gilt es jedoch, weitere potentielle „Kümmerer“ auf allen Ebenen zu identifizieren und nach Möglichkeiten zu suchen, wie diese besser eingebunden bzw. selbst in die Lage versetzt werden können, ihre Ideen zu verwirklichen. Kurz: Wer sind die Kümmerer und wie können sie aktiviert werden?

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3. Der Fokus städtischer Wirtschaftsförderung liegt meist auf Großbetrieben einerseits und andererseits auf dem breiten Spektrum an wissensbasierten Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung,


Informations- und Hochtechnologie etc. Auf diesen Feldern hat auch Bremerhaven in den vergangenen Jahren einigen Erfolg vorzuweisen, vorbildlich ist zudem die Unterstützung für junge Startup-Unternehmen insbesondere aus der IT-Branche. Potentielle Existenzgründer finden sich allerdings nicht nur in den genannten Sparten, sondern auch in weniger prestigeträchtigen und medienwirksamen Beschäftigungsfeldern, etwa dem Handwerk, der Beratung, den sozialen Dienstleistungen sowie dem sonstigen Servicebereich. Mit der „theo“ steht eine erste Anlaufstelle für Menschen zur Verfügung, die sich trotz geringer finanzieller Mittel selbständig machen wollen. Hier stellt sich die Frage: Wie können diese lokalen Ökonomien unterstützt werden? 4. Hinlänglich beschrieben wurde bereits das Imageproblem, unter dem der Ortsteil Goethestraße seit mittlerweile vielen Jahren leidet. Zu den tatsächlichen Mängeln und Nachteilen treten dabei verstärkend zahlreiche Vorurteile sowie verzerrte bzw. übertriebene Darstellungen hinzu, die die öffentliche Wahrnehmung zusätzlich negativ beeinflussen. Von den Bewohnern selbst wird die Situation zwar ebenfalls als problematisch wahrgenommen, ihr Bild entspricht jedoch nicht annähernd dem der Bremerhavener Gesamtbevölkerung. Dass sich das Image eines Viertels im Laufe der Zeit wandelt, mal zum Positiven, mal zum Negativen, stellt im Übrigen keine Ausnahme, sondern vielmehr den Normalfall dar. Allerdings ist dies kein unabänderliches Schicksal, da dieser Prozess gezielt beeinflusst werden kann, zumal wenn objektive Potentiale vorhanden sind. Deshalb zuletzt die Frage: Wie lässt sich das Image des Ortsteils Goethestraße verbessern?

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3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“

Im Rahmen der Konzeptentwicklung entwarf die Projektgruppe für den Ortsteil Goethestraße eine Vision, die als (vorläufiges) Leitbild dienen sollte, an dem sich die einzelnen Bestandteile des Konzepts ausrichten. Hierbei wurde versucht, sämtliche der oben dargestellten Themenfelder und zentralen Projektfragen zu integrieren und auf ein prägnantes Bild zu verdichten. Es lautet: „Unter Nutzung der Möglichkeitsräume entsteht eine „Bürgerstadt‘ Goethequartier“. Der Begriff „Möglichkeitsräume“ greift dabei die unter Kapitel 3.1 ausgeführte Überlegung auf, dass Leerstand und Baulücken derzeit zwar vor allem als Mangel wahrgenommen werden, prinzipiell jedoch auch ein Potential darstellen, da sie vielfältige neue Nutzungen ermöglichen. Welche Räume genau darunter zu verstehen sind, wird unter 3.3.1 näher ausgeführt und visuell anhand einer „Typologie der Möglichkeitsräume“ verdeutlicht. Als Nutzer der leerstehenden Wohnungen und Ladenlokale, aber auch der Baulücken kommen unter anderem natürlich Existenzgründer, also Vertreter der lokalen Ökonomien, infrage, weshalb gerade für sie solche freien (und vergleichsweise günstigen!) Flächen eine große Chance darstellen. Die „Bürgerstadt“ leitet sich ab aus der Erkenntnis, dass neben den klassischen, d. h. institutionell verankerten, Akteuren der Stadtplanung viele weitere vorhanden sind, die der zivilgesellschaftlichen Sphäre entstammen und sich freiwillig bzw. ehrenamtlich für die Gesellschaft einsetzen. Ein Beispiel ist der Rückenwind e. V., der für sozial benachteiligte Kinder aus dem Ortsteil Goethestraße eine kostenlose Nachmittagsbetreuung inklusive Abendessen anbietet. Andere, wie die Bewohner des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43, haben zwar primär ihre eigenen Interessen im Blick, interagieren darüber hinaus aber in vielfältiger Weise mit ihrer Umgebung und wirken nicht zuletzt auch indirekt positiv auf ihr Lebensumfeld ein, etwa durch die Vorbildfunktion, die sie ausüben. Wiederum andere engagieren sich – zum Teil jenseits ihres eigentlichen Auftrags bzw. aus persönlicher Betroffenheit stärker als gewöhnlich – im Rahmen ihrer beruflichen Funktion, so etwa der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Stäwog. Weitere tatsächliche und potentielle „Kümmerer“ traten zum Beispiel bei den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 in Erscheinung (s. dazu Kapitel 4.2), etwa der Vorsitzende der ESG Lehe als Mitinitiator

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oder die Organisatoren und Helfer dieser Veranstaltung, die größtenteils unbezahlt ihren Dienst versahen. Solches und ähnliches bürgerschaftliches Engagement wird in Zukunft ohne Zweifel verstärkt notwendig sein, wenn heute selbstverständliche kommunale Leistungen (etwa im Bereich Bildung, Soziales und Kultur, aber auch bei der Gestaltung und Pflege des öffentlichen Raumes) auch zukünftig gewährleistet sein sollen. Kritiker mögen hier – durchaus zurecht – den Rückzug des Staates aus seiner bisherigen Verantwortung beklagen, doch angesichts der finanziellen Schieflage vieler Kommunen sowie anhaltender wirtschaftlicher Schwäche, hoher Arbeitslosigkeit, Abwanderung und demografischem Wandel bleibt ihm vielerorts vermutlich gar keine andere Wahl mehr, als immer mehr Aufgaben von der staatlichen auf die zivilgesellschaftliche Ebene zu verlagern. Andererseits hat sich der Staat in der Vergangenheit nicht immer als effizienter und erfolgreicher Problemlöser erwiesen, weshalb verstärkte Bürgerbeteiligung und Selbstorganisation – nicht nur in der Planung, sondern auch der Umsetzung – nicht nur als Notlösung, sondern vor allem als Chance betrachtet werden sollten. Das Konzept der „Bürgerstadt“ bzw. der „Bürgergesellschaft“, dessen profilierteste Vertreter die Soziologen Ulrich Beck und Amitai Etzioni sind, wird im Rahmen dieses Projekts keinesfalls so verstanden, dass sich der lokale Staat als Akteur der Stadtentwicklung, d. h. hier der Aufwertung des Ortsteils Goethestraße, zurückziehen und das Feld den Bürgerinnen und Bürgern überlassen sollte. Vielmehr geht es darum, dass Stadt und Stadtplanung sich zukünftig verstärkt darum bemühen, interessierte Bewohner organisatorisch und rechtlich zu unterstützen sowie eventuell zu qualifizieren, um sie damit in die Lage zu versetzen, ihre Projekte eigenständig zu verwirklichen. Das Ideal ist somit der „aktivierende und befähigende Staat“, wie er beispielsweise von Anthony Giddens propagiert wird. Seine theoretischen Wurzeln hat dieses Konzept in der angloamerikanischen Tradition der handlungsorientierten Philosophie des Kommunitarismus, der – anders als in den stark sozialstaatlich geprägten Ländern Mitteleuropas oft behauptet – durchaus an den gesellschaftlichen Zielen des sozialen Ausgleichs und der sozialen Emanzipation festhält, diese jedoch in eine Balance zu bringen versucht mit dem Anspruch größtmöglicher Freiheit und Eigenverantwortung des Individuums. Konkret setzt dieses Konzept dabei vor allem auf die Stärkung von Nachbarschaftsbeziehungen und der Förderung gemeinsamer Kommunikation.

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Das Grundproblem, das sich in diesem Zusammenhang allerdings stellt, ist, dass Menschen mit höherer Bildung, die sich in gesicherten Verhältnissen befinden, weitaus eher bereit sind, sich bürgerschaftlich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen als jene, deren Lebenssituation prekär ist. Dass jedoch auch solche Personen aktiviert werden können, zeigt wiederum das Beispiel des Rückenwind e. V., wo zumindest einige der Betreuerinnen ganz offenbar selbst aus schwierigen sozialen und ökonomischen Verhältnissen stammen. Der Schlüssel scheint hierbei die direkte persönliche Betroffenheit der Frauen zu sein, deren Kinder zumeist ebenfalls die Nachmittagsbetreuung besuchen. Die Initiative für ein Projekt allerdings wird in den allermeisten Fällen von Menschen ausgehen müssen, die aufgrund ihrer (früheren) beruflichen Tätigkeit, ihrer sonstigen Qualifikationen und Fähigkeiten, ihrer Vernetzung etc. für die Rolle des „Kümmerers“ prädestiniert sind. Dies gilt es auch bei der Beurteilung der folgenden konzeptionellen Vorschläge im Auge zu behalten. Der Begriff „Quartier“, das letzte Element der Vision, schließlich soll betonen, dass es von der Projektgruppe als wünschenswert erachtet wird, dass der Ortsteil Goethestraße innerhalb wie außerhalb dieses Gebiets künftig weitaus stärker als Einheit wahrgenommen wird. Statt der bisherigen administrativen Bezeichnung wurde mit „Goethequartier“ ein wesentlich prägnanterer Name gewählt, der zugleich eine gewisse emotionale Verhaftung mit diesem Raum ausdrückt. Sowieso sprechen die meisten Menschen bislang meist nur von „Lehe“ – und assoziieren damit eher Negatives, während das „Goethequartier“ noch unbelastet ist, so dass im Idealfall ein vollkommen neues Image geprägt werden kann. Im Gegensatz zu unzähligen Investoren-Architekturträumen, denen das „Quartier“ als komplett beliebiges und artifizielles Etikett „aufgeklebt“ wird, um so die Immobilien besser vermarkten zu können, handelt es sich beim Goethequartier in großen Teilen um ein historisch gewachsenes Viertel, das sich durch seine relativ homogene, in Bremerhaven einzigartige Bausubstanz auszeichnet. Zudem lässt es sich vergleichsweise leicht von seiner Umgebung abgrenzen und erscheint auf einer Kartendarstellung als markantes Dreieck.

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„Möglichkeitsräume“, deren vielfältige, zumindest partiell lokalökonomische, neue Nutzungen zu einer Aufwertung ihrer Umgebung beitragen, eine aktive Bürgergesellschaft, die (unterstützt durch einen ermöglichenden kommunalen Staat) viele ihrer Belange selbst in die Hand nimmt und ein klar wahrnehmbares Quartier, das ein positives


Image besitzt – so lautet also die Vision, an der sich die nun folgenden Konzeptvorschläge orientieren. Im Anschluss soll das hier entworfene Szenario noch einmal anhand der einzelnen Konzeptbausteine konkretisiert und auf seinen Wahrscheinlichkeitsgehalt hin überprüft werden.


3.3 Toolbox


zwei

Das Konzept, das wir, das „Projekt Goethequartier“, für den Ortsteil Goethestraße vorschlagen, besteht nicht aus einer fertigen, in sich geschlossenen Strategie, sondern besitzt die Form einer sogenannten „Toolbox“ (was auf Deutsch nichts anderes heißt als Werkzeugkasten). Dies bedeutet, dass die einzelnen Maßnahmen, die Tools oder Werkzeuge, vollkommen unabhängig voneinander funktionieren und somit jederzeit auch einzeln angewandt werden können. Warum das so sein soll, wird verständlich, wenn man einmal betrachtet, an wen sich dieser Maßnahmenkatalog in erster Linie richtet: Nicht an „die Stadt“ oder das Stadtplanungsamt, sondern an einzelne Personen oder kleine Gruppen, die in ihrem Viertel selbst etwas bewegen wollen. Und anders als die eben genannten Institutionen, sind solche Akteure normalerweise natürlich nicht in der Lage, langfristige, koordinierte Strategien umzusetzen und große Projekte zu stemmen, wie sie in stadtplanerischen Konzepten ansonsten häufig vorgeschlagen werden. Dazu fehlen neben den finanziellen Mitteln meist auch die personellen Ressourcen, ganz zu schweigen von der demokratischen Legitimation, die man braucht, um im Großen etwas zu verändern. Kleine Projekte hingegen benötigen oft nicht mehr als drei, vier engagierte Menschen mit viel Tatkraft und Enthusiasmus, eine überschaubare Summe an Geld und von Fall zu Fall vielleicht noch ein wenig guten Willen und Kooperationsbereitschaft seitens der Behörden, die das Ganze genehmigen müssen. Welche Kosten jedes der von uns vorgeschlagenen Tools mit sich bringt, wie lange die Umsetzung dauert, welche Rechtsform sich dafür anbietet, wo eventuelle Hürden und Hemmnisse liegen, an welchem Ort es möglicherweise verwirklicht werden könnte und vor allem, wo das jeweilige Projekt bereits erfolgreich funktioniert (hat) – all das soll in dem nun folgenden Katalog beantwortet werden. Dieser setzt sich zusammen aus einer steckbriefartigen Zusammenfassung aller 15 Tools, die anschließend dann ausführlich beschrieben werden. Zuvor allerdings möchten wir noch kurz jene vier Handlungsfelder vorstellen, denen sich die Maßnahmen und Projekte jeweils zuordnen lassen. Sie haben sich ergeben aus einer umfangreichen Analyse, die wir, eine Gruppe von Stadtplanungsstudenten der HafenCity Universität Hamburg, über Monate hinweg im Ortsteil Goethestraße durchgeführt haben. Trotzdem sind natürlich Sie, die Leser (und hoffentlich irgendwann auch Nutzer!) unseres Konzepts, der Toolbox, die eigentlichen Experten. Jedenfalls sofern Sie in Bremerhaven und vielleicht


sogar im „Goethequartier“ leben. Deshalb sind wir interessiert an allen Ideen und Vorschlägen Ihrerseits – spontanen, noch unausgegorene wie auch konkreten – und freuen uns darüber, wenn Sie uns diese mitteilen wollen. (Sie erreichen uns übrigens unter: goethequartier@ googlemail.com und finden uns auch auf Facebook). Schließlich ist es ja gerade das Prinzip der Toolbox, dass sie jederzeit erweitert werden kann – während andere Tools, die sich als unbrauchbar erweisen, daraus möglicherweise irgendwann auch wieder verschwinden.

drei


vier

1) Möglichkeitsräume

Unter „Möglichkeitsräumen“ verstehen wir sämtliche Räume, ob in geschlossenen Gebäuden oder im Freien, die momentan nicht oder nicht ausreichend genutzt werden, aber in Zukunft für eine neue, zum Teil dauerhafte, zum Teil auch nur temporäre Nutzung infrage kommen. Da sie zumeist noch in keiner Weise festgelegt sind, stehen sie für alle Möglichkeiten offen, sie bieten Raum für verrückte Fantasien und wilde Träumereien, ebenso wie für sehr konkrete Planungen. Da sich andererseits jedoch nicht jede Idee an jedem Ort verwirklichen lässt und manche Räume für bestimmte Nutzungen besser geeignet sind als andere, haben wir eine kleine „Typologie der Möglichkeitsräume“ erstellt: Mit Hilfe von Piktogrammen, also kleinen symbolischen Bildern, wird die jeweilige Raumsituation dargestellt und durch jeweils ein beispielhaftes Foto illustriert. Und so betrachtet wird eine Baulücke vielleicht auf einmal zu einem „Möglichkeitsraum“ für eine abendliche Filmvorführung, ein leerstehendes Ladenlokal bietet Potential für ein neues, innovatives Geschäftskonzept, und wo heute noch ein abbruchreifes Gebäude steht, kann schon morgen ein Garten auf Zeit entstehen. Zum ersten ist da natürlich die klassische Baulücke, also eine Brachfläche, die entstanden ist, nachdem ein Gebäude aus einem Block herausgerissen wurde. Stand dieses Gebäude an einer Ecke, so hinterlässt sein Abriss eine „Ecklücke“, also eine Brachfläche, die zumeist deutlich größer ist und sich in exponierterer Lage befindet als eine Lücke innerhalb eines Blocks. Einzelne Flächen liegen auch bereits seit vielen Jahren brach und sind inzwischen mit hohen Bäumen bewachsen, was manche Nutzungen ausschließt. An anderen Stellen lassen sich möglicherweise der Blockinnenhof hinter der Lücke (oder zumindest Teile davon) in eine neue Nutzung mit einbeziehen. Schließlich gibt es das verlassene Ladenlokal und die leerstehende


Wohnung sowie nicht zuletzt die zukünftige bzw. entstehende Baulücke, das heißt Häuser, die in absehbarere Zeit abgerissen und dadurch schon heute vom „Schandfleck“ zum „Möglichkeitsraum“ werden.

Abbildung (1): Klassische Baulücke

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Abbildung (2): „Ecklücke“

Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum


Abbildung (4): Baul端cke inklusive Blockinnenhof

Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss

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Abbildung (7): Leerstehende Wohnung

Abbildung (6): Zuk端nftige bzw. entstehende Baul端cke


2) Kümmererkonzepte

Ein „Kümmerer“ ist ganz allgemein gesprochen ein Mensch, der sich für ein Projekt oder für seine Mitmenschen engagiert, der sich nicht mit den Gegebenheiten abfindet, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas bewegen will, der Ideen hat, wie man die eigene Nachbarschaft, das eigene Viertel zum Positiven verändern kann, und diese dann auch umzusetzen versucht. Dazu wird er als Veranstalter und Organisator tätig, ist Ansprechpartner für andere Interessierte und animiert diese dazu, sich für seine Sache – die damit zur gemeinsamen Sache wird – einzusetzen. Neben Organisationstalent verfügt er zumeist über gute Kontakte zu verschiedenen Akteuren (oder ist in der Lage, diese rasch aufzubauen), er ist kommunikativ und hat, sofern bei dem Projekt Geld im Spiel ist, ein gewisses Grundverständnis in wirtschaftlichen und finanziellen Fragen. Dabei kann fast jeder ein Kümmerer sein, ob er nun im Rahmen seiner bezahlten Arbeit außergewöhnlich stark für ein bestimmtes Anliegen eintritt oder ob er ehrenamtlich, neben oder nach seinem Berufsleben aktiv wird. Und manchmal kann aus einer Tätigkeit als Kümmerer mit der Zeit sogar ein Beruf werden… Im Goethequartier und in Bremerhaven haben wir bei unserem Projekt eine ganze Reihe von Kümmerern kennengelernt: die Verantwortlichen der „theo“ beispielsweise, den Geschäftsführer der Stäwog, die Initiatoren des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 und nicht zuletzt auch die außerordentlich engagierten Ehrenamtlichen und zu geringen Bezügen Angestellten des Rückenwind e. V., mit denen zusammen wir eine Kinder-Fotosafari veranstalten durften. Auch bei den Leher Sommer-Kulturwochen 2011, bei denen wir die Fotos der Kinder in der Kulturwohnung ausgestellt haben, sind uns solche Menschen begegnet, nicht zuletzt die Organisatoren dieser tollen Veranstaltungsreihe selbst. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass es viele weitere potentielle Kümmerer gibt, die Lust haben, ihren eigenen

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Beitrag zu leisten, dass ihre Nachbarschaft, ihr Quartier vorankommt. Ihnen wollen wir mit dieser Toolbox eine erste kleine Hilfestellung geben.

3) Lokale Ökonomien

Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die es sich weder zeitlich noch finanziell leisten können, sich als Kümmerer zu engagieren, die sich um ihr eigenes berufliches Fortkommen sorgen müssen und daher voll auf ihre Arbeit konzentriert sind. Andererseits ist die Zahl derer, die keine Arbeit haben, im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremerhaven insgesamt enorm hoch, viele Jobsuchende hier hoffen zum Teil schon lange vergeblich darauf, in dieser Stadt eine Stelle zu finden. Dabei ist es gar nicht mal unbedingt so, dass diese Menschen nicht können. Im Gegenteil, viele von ihnen haben mal einen Beruf erlernt und würden gerne wieder darin arbeiten. Oder haben eine tolle Geschäftsidee, die sie unbedingt in die Tat umsetzen wollen. Um solchen Leuten den (Wieder-)Einstieg in den Job zu erleichtern, bietet „die theo“ auf einer ganzen Etage Räume für Existenzgründer an, wo diese zu sehr geringen Mieten ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen, inklusive zwanglosem Kontakt zu anderen Selbstständigen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, etwa beim wöchentlichen gemeinsamen Frühstück. Dieses Konzept hat uns beeindruckt. Allerdings reichen die Kapazitäten der „theo“ bei weitem nicht aus, um allen, die sich darum bewerben, auch tatsächlich einen Raum anzubieten. Viele der potentielle Gründer müssen stattdessen mit der Warteliste vorliebnehmen und bekommen ihre Chance somit eventuell erst in einigen Jahren. Und damit bleibt


eine gute Idee für weitere Jahre in der Schublade, ein weiterer Mensch bleibt ohne bezahlte Arbeit und andere, denen er vielleicht irgendwann eine Stelle geboten hätte, müssen ebenfalls weiter warten. Neben Tools, die auf Kümmererkonzepten basieren enthält die Toolbox daher auch eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, die lokalen Ökonomien, d. h. vor allem Existenzgründer und Selbständige, zu stärken – damit das Goethequartier irgendwann sein eigenes kleines „Wirtschaftswunder“ erlebt.

4) MarketingINSTRUMENTE

„Marketing? Das ist doch viel heiße Luft mit nichts dahinter!“ – so denken viele unwillkürlich, wenn sie diesen Begriff hören. Zumal, wenn es dabei um Städte geht. Denn eine Stadt ist doch nun einmal, was sie ist, ebenso wie auch ein Stadt- bzw. Ortsteil immer der gleiche bleibt, ob nun mit Marketing oder ohne. Oder etwa nicht? Wir sagen ganz klar, „Nein“, denn wir sind davon überzeugt, dass sich durch Marketing viel verändern lässt, weshalb dieses Instrument unserer Auffassung nach auch zu jedem guten Konzept dazugehört. Denn zum einen ist Marketing viel mehr als „Werbung“, auch wenn es damit umgangssprachlich häufig gleichgesetzt wird, zum anderen sehen wir, dass man beim Ortsteil Goethestraße gar keine „heiße Luft“ produzieren muss, denn dort ist bereits jede Menge vorhanden, auf das man aufbauen kann. Doch zunächst zur Frage, was Marketing – das ja ursprünglich aus der Welt der Unternehmen stammt – im Zusammenhang mit Städten oder Quartieren überhaupt bedeutet. Um an dieser Stelle nicht zu viel zu verraten (da gleich das erste Tool, Neighbourhood Branding, auf diesen Aspekt ausführlich eingeht), hier nur ein paar zentrale Gedanken: Wie wir alle wissen, besitzt jeder Stadtteil, jedes Quartier

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sein eigenes Image, seinen estimmten Ruf. Im Falle des Ortsteils Goethestraße ist es darum im Moment leider nicht zum Besten bestellt. Was zum Teil natürlich an den tatsächlich vorhandenen Problemen liegt, zum Teil aber auch an den Dingen, die andere Bremerhavener, von denen manche noch nie hier waren, über das Viertel erzählen. Die Menschen, die selbst hier leben, sehen einiges davon möglicherweise ganz anders, und mögen, trotz aller Schwierigkeiten, ihre Nachbarschaft alles in allem ganz gerne. Auch wir glauben, dass es sich rund um die Goethestraße im Grunde ziemlich gut wohnen lässt, dass dieses Viertel auf jeden Fall etwas Besonderes ist und deshalb eines Tages wieder richtig attraktiv sein kann, für junge Familien mit Kindern ebenso wie für Senioren, kurz, dass es unglaublich viel Potential besitzt. Und damit dies alle erfahren, damit auch die Menschen von Außerhalb in Zukunft wieder das Positive erkennen, dazu braucht es Marketing. Zum einen sind das natürlich die klassischen Werbemaßnahmen, zum anderen aber eben auch tolle Projekte und interessante Veranstaltungen – so wie etwa die Leher Sommer-Kulturwochen 2011.

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Katalog

Abbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien

Katalog #01: Neighbourhood Branding #02: Leerstands- und Baulückeninformationssystemsystem #03: Temporäre Stadt #04: Bauspielplatz #05: Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten #06: Laden zu verschenken #07: Probewohnen #08: Wächterhäuser #09: Mode aus dem Quartier #10: Öffentliche Hotspots #11: Coworking #12: Gastronomie #13: Zen-Garten #14: Altengerechtes Wohnen #15: Balkone in Baulücken

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Nutzungshinweise Die untenstehenden Symbole dienen der Orientierung innerhalb dieses Katalogs und sollen das Auffinden von Informationen erleichtern. Ihre jeweilige Bedeutung wird im Folgenden kurz erläutert. Neben diesem Symbol sind die jeweiligen Referenzbeispiele beschrieben. Es handelt sich hierbei um erfolgreiche Projekte, Maßnahmen oder Instrumente, deren Anwendung auch im Ortsteil Goethestraße in Frage kommt. Weshalb die Referenzbeispiele auf das Goethequartier übertragbar sind und wie sie sich dort umsetzen lassen, wird neben diesem Symbol erklärt. Die Euro-Symbole zeigen an, wie viel die Umsetzung des jeweiligen Tools voraussichtlich kostet. Je mehr davon markiert sind, desto höher die Kosten. Auch die Frage, ob eventuell Einnahmen zu erwarten sind, wird hier beantwortet. Welche Akteure das Tool umsetzen könnten und wer auf jeden Fall zu beteiligen ist, lässt sich unter diesem Punkt nachlesen. Hier finden sich Angaben zu Umsetzungszeitpunkt und -zeitraum. Eine Uhr symbolisiert, dass sich das Tool rasch umsetzen lässt, drei Uhren stehen für eine relativ lange Planungs- und Realisierungsphase. Neben diesem Symbol ist ein Vorschlag notiert, welche Rechtsform sich für das jeweilige Tool anbietet. Eventuelle Konflikte oder Hemmnisse, die der Umsetzung des Tools im Wege stehen könnten, sind hier aufgeführt. Außerdem gibt es Hinweise, wie damit umgegangen werden kann. Abschließend wird jedes Tools einer oder mehrerer der Oberkategorien zugeordnet, die oben beschrieben wurden. Also: Werden Möglichkeitsräume genutzt? Lässt sich das Tool für Marketingzwecke verwenden? Dient es der Förderung lokaler Ökonomien? Beinhaltet es Kümmererkonzepte? Der nun folgende Katalog enthält insgesamt 15 Tools. Zunächst werden diese jeweils auf einer Seite in Form eines kurzen Steckbriefs vorgestellt. Anschließend folgt eine ausführliche Beschreibung jedes einzelnen Tools.


Kurzübersichten #01: NEIGHBOURHOOD BRANDING Referenz: Beteiligungsverfahren in der niederländischen Gemeinde Hoogvliet, einer rund 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die unter einem schlechten Ruf litt. Ergebnis des Prozesses war eine signifikante Imageverbesserung. Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße besitzt ebenfalls ein negatives Image. Daher bietet sich die Durchführung eines ähnlichen Verfahrens an, wie es im Rahmen von INTERREG IIIB entwickelt wurde. Die Marke „Goethequartier“ könnte hierbei ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einem neuen Image sein. Finanzierung: Kosten fallen lediglich für Personal (Moderatoren), Veranstaltungsräume und Medienkommunikation an. Akteure: Erwünscht ist ein möglichst großer Teilnehmerkreis, bestehend aus Bewohnern des Viertels, Haus- und Grundstückseigentümern, Wohnungsgesellschaften, Einzelhändlern etc. Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühe Umsetzung wird empfohlen, die Durchführung dauert nur wenige Tage. Rechtsraum: Informelles Beteiligungsverfahren, das keine spezielle Rechtsform benötigt. Konflikte/Hemmnisse: Problematisch ist die heterogene Eigentümerstruktur im Viertel; in anderen Fällen litt die Moderation z. T. unter mangelnder Akzeptanz.

Übergeordnete Kategorie(n): Marketinginstrumente

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#02: Leerstands- und Baulückeninformationssystem Referenz: Elektronisches Baulückeninformationssystem in Berlin, Leerstandsmelder in Hamburg Übertragbarkeit und Implementierung: Direkte Übertragung des Berliner Beispiels möglich, Leerstandsmelder muss den Verhältnissen im Goethequartier angepasst werden. Baulückenkataster und freiwillige Angaben von Haus- und Wohnungseigentümern werden im Internet veröffentlicht. Hauptadressaten des Tools sind Zwischennnutzer. Finanzierung: Im günstigsten Fall (d. h. der Verwendung von Google Maps wie beim Hamburger Leerstandmelder) liegen die Kosten für die Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei maximal 1.000 Euro, der Betrieb ist ebenfalls sehr günstig. Akteure: Stadtplanungsamt, Grundstücks- und Immobilieneigentümer, ESG Lehe Zeitpunkt und Dauer: Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, kann ein solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Rechtsraum: Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine besondere Rechtsform notwendig. Konflikte/Hemmnisse: Aufgrund der extrem heterogenen Eigentümerstruktur im Viertel ist die freiwillige Beteiligung eventuell gering. Fraglich ist zudem die Finanzierung.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien


#03: TEMPORÄRE STADT Referenz: Provisorische Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum (Pécs), befristeter Shared Space (Duisburg), temporäre Brücken (Istanbul), provisorische Grillplätze (Basel), Open Air-Kino (Hamburg) Übertragbarkeit und Implementierung: Denkbar sind von den Anwohner organisierte Filmvorführungen, Märkte, Feste, Ausstellungen, Musikfestivals etc. Ein Beispiel war auch die Einrichtung der „Kulturwohnung“ während den Leher Sommer-Kulturwochen (mit Fotoausstellung des „Projekts Goethequartier“). Finanzierung: Kosten variieren stark, je nach Veranstaltung. Von NullEuro-Projekten bis hin zu kostenintensiveren Events ist alles möglich. Finanzielle Einnahmen, die die Ausgaben decken, sind in Einzelfällen zu erwarten. Akteure: Veranstalter sind in erster Linie Vereine und Bewohnergruppen. Zeitpunkt und Dauer: Sehr kurzfristige Umsetzung möglich, zum Teil auch längere Planung notwendig. Charakteristisch für dieses Tool ist die begrenzte zeitliche Dauer aller Aktionen. Rechtsraum: Normalerweise keine Rechtsform notwendig, z. T. empfiehlt sich jedoch die Gründung eines eingetragenen Vereins oder einer BGR. Eine Genehmigung ist im Regelfall obligatorisch. Konflikte/Hemmnisse: Ordnungsrechtliche Vorschriften wie Brandschutz, sanitäre Anlagen etc. können ein Problem darstellen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#04: Bauspielplatz Referenz: Die Idee der „Gerümpelspielplätze“ stammt ursprünglich aus Dänemark. Beispiele für Bauspielplätze in Deutschland sind der „RaBauKi“ in Siegen oder der „Kolle 37“ in Berlin. Übertragbarkeit und Implementierung: Im Ortsteil Goethestraße existieren viele konventionelle Spielplätze, diese werden aber vor allem von den älteren Kindern kaum genutzt. Die Zahl der Kinder ist überproportional hoch, viele stammen zudem aus sozial schwierigen Verhältnissen. Bauspielplätze ermöglichen die Gestaltung der eigenen Spielumgebung und verbinden dies mit pädagogischen Konzepten. Ein Grundtsück hierfür steht im Goethequartier zur Verfügung. Finanzierung: Die Kosten für die Realisierung sind nicht allzu hoch, der Betrieb kann jedoch nur auf ehrenamtlicher Basis organisiert werden.Hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Akteure: Optimale Kooperationspartner wären etwa der Rückenwind e.V. und das Jugendzentrum Lehe-Treff. Zeitpunkt und Dauer: Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein passendes Grundstück vorhanden ist und für den Anfang nur wenig Material benötigt wird. Rechtsraum: Betrieben werden Bauspielplätze in aller Regel von einem eingetragener Verein. Konflikte/Hemmnisse: Eventuelle Konflikte mit Anwohnern aufgrund von Lärm sind nicht auszuschließen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, Kümmererkonzepte


#05: Nachbarschaftsgärten/ Interkulturelle Gärten Referenz: Die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße (Leipzig) und der „Prinzessinnengarten“ in Berlin sowie diverse interkulturelle Gärten. Übertragbarkeit und Implementierung: Wünschenswert wäre dieses Tool wegen des geringen Grünanteils im Quartier. Für die zahlreichen Migranten im Ortsteil Goethestraße könnten interkulturelle Gärten die Möglichkeit für eine bessere Integration bieten. Geeignete Brachflächen in Baulücken stehen zur Verfügung. Finanzierung: Die Anfangsinvestitionen belaufen sich auf rund 5.000 Euro für Geräte und Material. Weitere Kosten können durch Eigenleistung von Freiwilligen aufgefangen werden. Akteure: Eigenorganisation durch die Bewohner ist realistisch. Die jeweiligen Grundstücke müssen durch die jeweiligen Eigentümer (befristet) bereitgestellt werden; idealerweise hat die Stadt die Fläche zuvor erworben. Zeitpunkt und Dauer: Eine Umsetzung innerhalb weniger Wochen ist möglich, insbesondere, wenn nicht direkt in die Erde gepflanzt werden soll. Beste Zeitpunkt für den Beginn ist der Frühling. Rechtsraum: Die Pachtung des Grundstücks und die Vermietung der Parzellen an die einzelnen Nutzer wird meist von einem eingetragenen Verein übernommen. Konflikte/Hemmnisse: Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu minimieren, sollte die Gartennutzung zeitlich befristet sein. Bei der Nutzung kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren Anwohner nicht ausgeschlossen werden.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#06: LADEN ZU VERSCHENKEN Referenz: Wettbewerb „Laden zu verschenken“ in der Langen Straße in Rostock. Gesucht wurde das innovativste Geschäftkonzept, der Gewinner erhielt ein Ladenlokal mietfrei für ein Jahr. Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße ist von hohem Ladenleerstand betroffen. Für eine Umsetzung des Konzepts eignet sich etwa ein leersteendes Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße. Finanzierung: Beim Rostocker Referenzbeispiel fielen Kosten von ca. 18.000 Euro an, hauptsächlich für die Miete des Objekts. Angesichts der niedrigen Gewerbemieten in Bremerhaven kann diese Summe auch geringer ausfallen. Akteure: Veranstalter in Rostock war die Lokalzeitung, die ausführlich über den Wettbewerb berichtete. In Bremerhaven kommt daher die Nordsee-Zeitung infrage. Gewonnen werden muss auch ein Eigentümer, der Interesse hat, seine Immobilie für das Projekt zur Verfügung zu stellen. Zeitpunkt und Dauer: Realistisch sind ungefähr drei Monate von der Idee bis zum Ende des Wettbewerbs. Eine Umsetzung des Tools ist jederzeit möglich, sobald ein Ladenlokal gefunden ist. Rechtsraum: Abgeschlossen wird ein Pachtvertrag; die Teilnehmer des Wettbewerbs erkären ihr Einverständnis zur Medienarbeit. Konflikte/Hemmnisse: Erschwerende Faktoren sind unklare Besitzverhältnisse und eventuell mangelnde Bereitschaft seitens der Eigentümer.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien


#07: PROBEWOHNEN Referenz: Probewohnen in der Innenstadt von Görlitz. Zur Verfügung gestellt wurde dabei eine voll eingerichtete Altbauwohnung, die eine Woche lang kostenfrei genutzt werden konnte. Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der innenstadtnahen Lage in einem historischen Altbauviertel, würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Mögliche Wohnungen sind zu Genüge vorhanden, müssten zuvor jedoch vermutlich renoviert werden. Finanzierung: Renovierung und Einrichtung verursachen gewisse Kosten, darüber hinaus muss die Miete getragen werden. Akteure: Die Wohnung könnte von der Stäwog bereitgestellt werden, das Stadtplanungsamt und das Designlabor kommen als Partner infrage, die das Projekt – ähnlich wie im Referenzfall – forschend begleiten. Zeitpunkt und Dauer: Probewohnen lässt sich zu jedem Zeitpunkt mit geringem Aufwand realisieren, die Dauer kann auf zunächst ein Jahr begrenzt werden. Rechtsraum: Die Rechtsform ergibt sich aufgrund des Veranstalters, etwa der Wohnungsgesellschaft Stäwog. Konflikte/Hemmnisse: Die individuelle Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen, zudem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da andernfalls Probleme mit „Mietnomaden“ auftreten können, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.

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#08: wächterhäuser Referenz: Das Referenzprojekt sind die „Wächterhäuser“ in Leipzig. Dort bekommen Nutzer leerstehender Altbauten den Mietpreis erlassen und bezahlen nur die Verbrauchskosten. Im Gegenzug kümmern sie sich um die Renovierung der Gebäude und verhindern Vandalismus. Der Gundsatz lautet also: „Erhalt durch Nutzung“. Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der ähnlichen Problematik im Ortsteil Goethestraße ist das Projekt für eine Implementierung bestens geeignet. Der Erfinder der „Wächterhäuser“, HausHalten e.V. in Leipzig, lädt zudem ausdrücklich dazu ein, das Konzept zu kopieren und stellt sämtliche Informationen zur Verfügung. Finanzierung: Die Anfangsinvestition für die Einrichtung der „Wächterhäuser“ sind recht hoch, durch ehrenamtliche Arbeit können aber zumindest die Betriebskosten beinahe auf Null reduziert werden. Akteure: Kooperationspartner können die Stadt Bremerhaven und die Stäwog sein, potentielle Nutzer wären die Bewohner. Zeitpunkt und Dauer: Planung und Umsetzung können einige Monate bis über ein Jahr in Anspruch nehmen. Rechtsraum: Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat. Konflikte/Hemmnisse: Wiederum ist die heterogene Eigentümerstruktur ein Problem, auch ist die Bereitschaft seitens der Eigentümer, sich an Projekten wie diesen zu beteiligen, schwer einschätzbar. Von den Vereinsgründern erfordert das Tool viel Eigeninitiative und bedeutet einen hohen Zeitaufwand.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#09: mode aus dem quartier Referenz: „Made auf Veddel“ in Hamburg. Migrantinnen aus einem sozial benachteiligten Stadtteil, die traditionelle Handarbeitstechniken beherrschen, fertigen in Zusammenarbeit mit einer Modemacherin Haute Couture. Übertragbarkeit und Implementierung: Auch im Goethequartier lassen sich, insbeondere unter den zahlreichen Bewohnern nicht-deutscher Herkunft, mit Sicherheit Personen finden, die über besondere Fähigkeiten im Handarbeitsbereich verfügen. Finanzierung: Keine großen Anfangsinvestitionen notwendig, da Arbeitsgeräte meist schon vorhanden sind. Im Idealfall lassen sich mit diesem Projekt Gewinne erzielen. Akteure: Bewohnerinnen des Quartiers mit besonderen Fähigkeiten in Handarbeitstechniken Zeitrpunkt und Dauer: Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, es könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen. Rechtsraum: Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann jedoch ein Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsgesellschaft (OHG). Konflikte/Hemmnisse: Eventuell sind Sprachbarrieren und kulturelle Differenzen zu überwinden, auch die Suche nach interessierten Personen gestaltet sich möglicherweise schwierig.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#10: Öffentliche hotspots Referenz: Flächendeckende öffentliche WLAN-Netze an vielen Orten der Welt, z. B. in Estland. Darüber ist der kostenlose Zugang ins Internet möglich. Übertragbarkeit und Implementierung: Eine direkte Übertragbarkeit dieses Konzepts auf das Goethequartier ist jederzeit möglich, dabei stehen verschiedene technische Varianten zur Auswahl. Finanzierung: Je nach Variante entstehen kaum Kosten, angesichts der großen Vorteile erscheinen die Einrichtungskosten allemal gering. Akteure: Zwei Modelle sind denkbar: Entweder können Bewohner ihre privaten WLAN-Zugangspunkte zu einem „BürgerInnennetz“ verknüpfen oder die Stadt richtet (eventuell in Kooperation mit einem Unternehmen) im gesamten Viertel ein öffentliches Netz ein. Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühzeitge Umsetzung wird empfohlen, Planung und Realisierung benötigen nur sehr wenig Zeit. Rechtsraum: Die Umsetzung kann entweder als kommunales Projekt oder in Form einer GmbH erfolgen. Für BürgerInnennetze sind laut Gesetz sogenannte „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenweiterleitung erforderlich. Konflikte/Hemmnisse: Bei den BürgerInnennetzen stellen juristische Fallstricke und technische Schwierigkeiten gewisse Hürden dar.

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#11: coworking Referenz: Gute Beispiele mit jeweils leicht unterschiedlichen Konzepten sind das betahaus in Hamburg oder das Rockzipfel Eltern-Kind-Büro in Leipzig. Coworking bedeutet das Teilen von Arbeitsräumen und dazugehöriger Infrastruktur durch Selbständige und Freiberufler, die keine eigenes Büro benötigen. Übertragbarkeit und Implementierung: Im Goethequartier sind offenbar viele potentielle Existenzgründer vorhanden, denen jedoch die geeigneten Räume fehlen. Viele leerstehende Häuser oder einzelne ungenutzte Räume bieten sich als mögliche Coworking Spaces an. Finanzierung: Eine kostendeckende Bewirtschaftung ist möglich, allerdings fallen anfangs Kosten für Renovierung und Einrichtung an, damit die Räume überhaupt als Büro genutzt werden können. Akteure: Potentielle Existenzgründer können das Tool in Eigenregie nutzen, Institutionen wie die BIS oder „die theo“ sollten jedoch ihre Unterstützung anbieten. Zeitpunkt und Dauer: Da viele Existenzgründer dringend einen Raum suchen, sollte ein solches Projekt bald umgesetzt werden. Die Umsetzungsdauer beträgt rund ein Jahr. Rechtsraum: Als Rechtsformen infrage kommen eine GmbH oder ein eingetragener Verein. Konflikte/Hemmnisse: Im Moment stellt der Ortsteil Goethestraße sicherlich keine allzu prestigeträchtige Adresse dar. Die Anwesenheit heterogene Nutzergruppen in einem Raum kann zu Konflikten führen.

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#12: gastronomische Zwischennutzung Referenz: Die „Ponybar“ in Berlin. Welch zentrale Rolle gastronomischen Zwischennutzungen auf Brachflächen bei der Aufwertung von Stadträumen zukommt, lässt sich mittlerweile an vielen Orten beobachten. Sehr häufig sind „Raumpioniere“ die Auslöser für weitere innovative Nutzungen. Übertragbarkeit und Implementierung: Freiräume sind im Goethequartier reichlich vorhanden, andererseits fehlt es an Gastronomiebetrieben, die auch eine jüngere Klientel ansprechen. Um zudem Personen von außerhalb anzuziehen, sind solche Einrichtungen in hohem Maße geeignet. Finanzierung: Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb einer Zwischennutzung finanzieren lässt. Akteure: Die wesentlichen Akteure neben den Betreibern sind die Eigentümer der Brachflächen, die sich zu einer solchen Zwischennutzungslösung bereit erklären müssen. Zeitpunkt und Dauer: Eine kurzfristige Umsetzung ist jederzeit möglich. Allerdings kann das Genehmigungsverfahren einige Zeit in Anspruch nehmen. Rechtsraum: Auf jeden Fall ist eine Gaststättenerlaubnis einzuholen, die Betriebsformen der gastronomischen Einrichtungen sind variabel. Konflikte/Hemmnisse: Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten Wohngebiet wie dem Goethequartier nicht auszuschließen.

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#13: zen-garten Referenz: Zen-Garten in Gelsenkirchen, „Japanischer Garten Kaiserslautern e. V.“, Japanischer Garten im Erholungspark Marzahn in Berlin. Zen-Gärten stellen eine besondere Form der Gartengestaltung dar, die nicht auf die herkömmlichen Elemente setzt, sondern als Materialien Kies, Steine und Moos verwendet. Übertragbarkeit und Implementierung: Ein japanischer Steingarten in einer Baulücke würde einen überraschenden Akzent im Goethequartier setzen. Die Referenzbeispiele zeigen, dass sich für eine solches Projekt nicht nur exklusive, sondern auch ganz gewöhnliche Orte eignen. Finanzierung: Ein Zen-Garten ist im Unterhalt sehr günstig, da er nach dem Anlegen kaum Pflege benötigt. Für das Material müssen ebenfalls nur sehr geringe Kosten veranschlagt werden, bei den Referenzbesipielen betrugen sie maximal 5.000 Euro. Akteure: Einrichten könnte einen solchen Garten entweder die Stadt oder ein noch zu gründender Verein. Als Kooperationspartner kommt eventuell auch die Astrid-Lindgren-Schule in Betracht. Zeitpunkt und Dauer: Eine Realsierung dieses Tools ist jederzeit möglich und nimmt verlgleichsweise wenig Zeit in Anspruch. Rechtsraum: Dank des geringen Aufwands für die Einrichtung handelt es sich bei diesem Tool um eine potentielle Zwischennutzung. Dafür sind eine Nutzungsvereinbarung bzw. ein Pachtvertrag notwendig. Konflikte/Hemmnisse: Mit möglichen Nutzungskonflikten wie Zweckentfremdung und Vandalismus ist zu rechnen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, Kümmererkonzepte

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#14: ALTENGERECHTES WOHNEN Referenz: Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße 43, ein Wohnprojekt in einem altengerecht sanierten Gründerzeitbau. Die überwiegend älteren Bewohner waren von Anfang an in die Planung einbezogen und entschieden sich bewusst für den innenstadtnahen und urbanen Standort. Übertragbarkeit und Implementierung: Das Modell des altersgerechten Wohnens stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar. Dies hätte positive Effekte auf das gesamte Viertel. Finanzierung: Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten verbunden, eine Refinanzierung über höhere Mieten ist im Moment nur zum Teil möglich. Akteure: Neben älteren Menschen, die ein solches Wohnprojekt offensiv verfolgen, braucht es für die Umsetzung das Engagement einer Wohnungsgesellschaft, etwa der Stäwog Zeitpunkt und Dauer: Die Durchführung von Projekten dieser Art würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen. Rechtsraum: Eine bestimmte Rechtsform ist nicht notwendig: Während manche Wohnprojekte als e. V. oder GbR organisiert sind, verzichten andere auf eine rechtliche Absicherung und schließen ihre Mietvertrag direkt mit dem Vermieter ab. Konflikte/Hemmnisse: Das Imageproblem des Quartiers stellt im Moment noch eine recht hohe Hürde dar. Zudem ist die Finanzierung nur mit wohwollender Unterstützung einer Wohnungsgesellschaft möglich.

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#15: BALKONE IN LÜCKEN Referenz: Vorbild für dieses Tool sind Architekturbeispiele aus LeipzigConnewitz und München. Diese innovativen Projekte zeigen, welche Qualitäten Balkonbrücken entwickeln können, zumal, wenn sie mit Kletterpflanzen dicht bewachsen sind. Übertragbarkeit und Implementierung: Die vorhandenen und zukünftig entstehenden Baulücken stellen einerseits ein Problem dar, andererseits können sie auch genutzt werden, um die Wohnungen in den benachbarten Gebäuden deutlich auzuwerten, damit diese für neue Mieter- bzw. Käuferschichten interessant werden. Finanzierung: Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist dieses Tool jedem Fall als relativ teuer einzuschätzen. Die Kosten müssen vom Eigentümer getragen werden. Akteure: Verantwortlich für dieses Projekt sind die Eigentümer selbst, Unterstützung könnte eventuell die ESG Lehe bieten. Zeitpunkt und Dauer: Die Einrichtung von Balkonen in Lücken ist erst zu einem Zeitpunkt denkbar, wenn sich der Immobilienmarkt im Quartier einigermaßen stabilisiert hat. Rechtsraum: Für ein solches Projekt ist lediglich eine Baugenehmigung erforderlich. Konflikte/Hemmnisse: Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und zeitliche Aufwand dar.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien

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#01: NEIGHBOURHOOD BRANDING

Jeder Teilraum einer Stadt hat einen gewissen Ruf, ein Image. Dieses kann positiv oder negativ sein. Gilt ein Raum als „stigmatisiert“, leiden darunter seine Bewohner ganz erheblich: So entscheidet der Ruf eines Quartiers oftmals darüber, welche Chancen seine Bewohner erhalten und vor allem, welche nicht. Eine bestimmte Adresse kann die Verweigerung eines angestrebten Arbeitsplatzes oder die Exklusion aus einem sozialen Netzwerk bedeuten. Interessant dabei ist, dass sich häufig der Ruf eines Gebiets, also das Fremdbild, entscheidend von dem Bild unterscheidet, das die Bewohner dieses Gebiets selbst wahrnehmen (Selbstbild, Identität). Da das Image eines Quartiers oftmals durch die mediale Berichterstattung und Gerüchte bestimmt wird, kann ersteres deutlich negativer ausfallen, als das Selbstbild der Einwohnerschaft (vgl. Jung 2010). Aus der Sicht der Wohnungswirtschaft führen große Veränderungen, wie die wachsende Bedeutung von Wohnungsbestand, sich ändernde Präferenzen einer neuen Generation von Mietern sowie der Wandel vom Vermieter- zum Mietermarkt dazu, dass die Images von Quartieren für die erfolgreiche Stadtentwicklung immer relevanter werden. Besonders in den schrumpfenden Regionen (aber nicht nur dort) besteht die Aufgabe der Wohnungspolitik inzwischen nicht mehr in der quantitativen Bedarfsdeckung mit Wohnraum, sondern vielmehr in der Anpassung des Bestandes an die Bedürfnisse unterschiedlicher Mietergruppen. Ähnlich wie Menschen durch den Kauf bestimmter Produkte (Autos, Zeitschriften, elektronischer Geräte) ihren Lebensstil ausdrücken wollen, wählen sie Quartiere mit einem zu ihnen passenden Image aus. Bei der Vermarktung kann es daher keine Standardlösungen für alle Quartiere geben: Bestimmte Konsumentenmillieus suchen eher Sicherheit, Ordnung und Ruhe, andere wiederum Diversität und Erlebnissreichtum (PNDonline). Neighbourhood Branding ist eine Technik, die sich an der Markenbildung im Konsumbereich orientiert, die Marke wird allerdings nicht für ein Produkt, sondern für einen bestimmten urbanen Raum entwickelt. Im Brandingprozess erhält die Marke eine Leitbildfunktion, da sie grundsätzlich für alle baulichen und nicht-baulichen, sowie physischen


Abbildung (9): Impression von Hoogvliet

und nicht-physischen Aktivitäten in diesem Raum verwendet werden kann. Kern des Neighbourhood Branding ist dabei die Arbeit am Image des jeweiligen Raums. Mithilfe bestimmter Kommunikationsstrategien wird der Versuch unternommen, Einfluss auf Identität (Innensicht) wie Image (Außensicht) zu nehmen. Ziel ist die Steigerung der Sympathien für ein Quartier, wobei die Stärken und einzigartigen Merkmale hervorgehoben werden, so dass sich der entsprechende Ort nachhaltig zu einer Marke entwickeln kann (vgl. Jung 2010, Prediger 2011). Insbesondere werden dabei auch nachbarschaftsorientierte Strukturen unterstützt, was den Bewohnern ermöglicht, sich mit „ihrem“ jeweiligen Ort zu identifizieren. Darüber hinaus ist Neighbourhood Branding allerdings mehr als ein Marketing-Tool, da im Zuge dieses Prozesses zugleich ein Bild erarbeitet und kommuniziert wird, das von den Menschen im Quartier als gehaltvoll und richtig angesehen wird. Konkret demonstrieren lässt sich dieses Phänomen an der Gemeinde Hoogvliet, einer etwa 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren errichtet wurde und derzeit ca. 40.000 Einwohner zählt. Etwa ein Drittel des ursprünglichen Gebäudebestandes wurde bereits abgerissen und durch Neubauten ersetzt, nachdem die hier tätige Wohnungsbaugesellschaft Woonbron festgestellt hatte, dass für Hoogvliet eine Anpassung

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an die sich verändernden Wohnbedürfnisse notwendig ist, um die Konkurrenzfähigkeit des dortigen Wohnungsmarktes zu erhalten (Stadtentwicklung Zürich 2006). Zudem mussten in Hoogvliet jedoch auch emotionale Aspekte in die Planung miteinbezogen werden. Denn wie eine Umfrage im Vorfeld gezeigt hatte, resultierte die Unzufriedenheit der Bewohner im Normalfall nicht aus dem Zustand ihrer jeweiligen Wohnung, sondern vor allem aus dem negativen Image der Siedlung. Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Plattenbauten mit kleinen grauen Wohnungen – das sind die Schlagworte, mit denen Hoogvliet im nahen Rotterdam assoziiert wurde. In deutlichem Kontrast dazu stand das Bild, das die Anwohner von ihrem Quartier zeichneten: ruhig, grün, fahrradfreundlich, mit stark ausgeprägten sozialen Netzwerken etc. Während des Branding-Prozesses führte man daher zum einen SWOT-Analysen sowie historische Gebietsanalysen durch, zum anderen ermittelte man darüber hinaus in einem Beteiligungsprozess (drei ganztägige Termine mit 70 Bewohnern) identitätsstiftende Kernbegriffe wie Selbstbewusstsein, Entschlossenheit, Gemeinschaft und Abenteuer, die in einem „Brandbook“ mit 200 atmosphärischen Fotos aus der Stadt illustriert wurden. Zudem entwickelten die Bewohner ein Logo und einen Slogan. Wie die Evaluation des Projekts gezeigt hat, verbesserte sich das Image der Großwohnsiedlung durch diese Maßnahmen ganz erheblich, wovon sowohl die Bewohner als auch die Investoren profitieren konnten. Besonders erfolgreich wurde das Verfahren im ebenfalls von Imageproblemen geprägten Quartier Schwamendingen in Zürich angewandt, und auch in Deutschland wird Neighbourhood Branding inzwischen als Planungsinstrument eingesetzt (Stadtentwicklung Zürich 2006). Die Erfahrung mit Neighbourhood Branding zeigt, dass dieses Tool ganz maßgeblich dazu beiträgt, neue Erkentnisse über ein Gebiet zu gewinnen. Selbst Spezialisten, die bereits jahrelang in einem Quartier gearbeitet hatten und es zu kennen glaubten, konnten nach dem Einsatz dieses Werkzeugs entscheidende Durchbrüche erzielen (PNDonline). Schließlich trägt Neighbourhood Branding auch dem ökonomischen Verwertungsgedanken Rechnung: Ebenso wie mit Hilfe von Marketingmaßnahmen in der Industrieproduktion die Nachfrage aktiviert wird, so wird hier durch Bildung einer Marke die Nachfrage für ein

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Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet

spezifisches Wohnprodukt gefördert. Um Leerstände und andere negative Effekte auf dem Wohnungsmarkt zu minimieren, müssen sich die Anbieter von Wohnungen sowie die Verantwortlichen in der Stadtentwicklung differenziert mit den Wünschen der Mieter und Käufer sowie denen der ansässigen und potentiellen Bewohner außeinandersetzen. Die dabei entwickelte Marke spricht zwar nicht jeden an, bei den Bewohnern eines Quartiers jedoch führt sie zu mehr Zufriedenheit, der Branding-Prozess kann Partizipation fördern und reduziert die Planungsunsicherheit (PNDonline; Jung 2010). Die Erfahrung aus Holland, wo das Werkzeug bereits seit 2000 erfolgreich praktiziert wird, zeigt, dass sich Neighbourhood Branding vor allem finanziell lohnt. So kam das niederländische Planungsbüro Ruimtelijk in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Wert eines bebauten Grundstücks ungefähr zur Hälfte vom Image des Quartiers abhängt, in dem sich dieses befindet. Zudem stellte sich heraus, dass nach dem Einsatz des Tools in als schwierig geltenden Gebieten in vielen Fällen neue Bewohnerschichten angesiedelt werden konnten, die das Gebiet stabilisierten (PNDonline). Die Analyse der Projektgruppe zeigte, dass das negative Image neben der Spekulation mit Schrottimmobilien und dem Bevölkerungsrückgang in Bremerhaven die wichtigsten Ursache für die Probleme des Immobilienmarktes im Goethequartier ist. Die Experteninterviews brachten zudem die Erkenntnis, dass das Image des Quartiers deutlich schlechter ist als das Bild, das die Bewohner von ihm haben. Ein deutlicher Hinweis auf die negative Wirkung des Quartiers-Images ist die Tatsache, dass das Gebiet trotz seines Alleinstellungsmerkmals

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in Bremerhaven (gründerzeitliche Blockrandbebauung) sowie bedeutender tandortvorteile (Nähe zum Stadtzentrum und Wasser) – Faktoren, die in Städten wie Hamburg oder Berlin zu hohen Immobilienpreisen führen würden – unter Bremerhavenern als Wohnort eher unbeliebt bleibt. Die Leerstandsquote hier ist deutlich höher als in der übrigen Stadt und Investitionen für die Sanierungen bleiben weitgehend aus. Die Image-Verbesserung des Goethequartiers scheint vor diesem Hintergrund ein Schlüsselelement der behutsamen Aufwertung und Erneuerung dieses Gebiets zu sein (vgl. Jung 2010). Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaftsinitiative INTERREG III B wurde, angelehnt an die Praktiken in Holland, anhand von fünf Großwohnsiedlungen eine praktikable Vorgehensweise für Neighbourhood Branding-Verfahren im deutschen Kontext entwickelt. In einem ersten Schritt werden die relevanten Akteure über das Verfahren informiert. In der zweiten Phase untersuchen die Teilnehmer die historische Entwicklung des Gebiets sowie die aktuell herrschende Stimmung. Parallel werden SWOT-Analysen erstellt und Interviews mit Interessensgruppen geführt. Schlüsselthemen werden identifiziert, Stärken und Schwächen des Gebiets, Hoffnungen und Frustrationen werden in Form von Kollagen und Cartoons festgehalten. In der dritten Phase erfolgt dann das eigentliche Branding: Ohne den Einfluss von Profis wird in moderierten Sitzungen die Identität des Raums erarbeitet und in Form von Bildern und Texten festgehalten. Sobald sich ein umfassendes Bild von den Stärken und Potentialen des Quartiers ergeben hat, kann dieses anhand der Kernwerte analysiert werden. Im letzten Schritt erfolgt die Implementierung: die Ergebnisse des Prozesses werden in die übrigen Maßnahmen integriert. Da die Marke fortan die Vision des Quartiers bildet, an deren Realisierung alle Akteure arbeiten können, muss sie diesen zunächst bekannt gemacht. Ab diesem Zeitpunkt wird „eine Markenkultur entwickelt, die sich wie eine Corporate Identity durch alle Handlungsfelder zieht“ (Jung 2010, S. 188). Zumindest einer der erwähnten Schritte, nämlich die AkteursInterviews, wurde bereits in der vorliegenden Arbeit durchgeführt und dokumentiert. Von der Projektgruppe werden zudem eine sinnvolle Abgrenzung des Gebiets, die der administrativen Einheit des Ortsteils Goethestraße entspricht, sowie ein neuer, medienwirksamer Name („Goethequartier“) vorgeschlagen. Der vorliegende Projektbericht kann

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somit als erste Hilfestellung oder Anregung bzw. als Ideenpool sowie als Grundlage bei der Umsetzung von Neighbourhood Branding im Goethequartier dienen. Ein weiterer Schritt könnte in diesem Zusammenhang zudem im Rahmen des Verfahrens gemacht werden: Den Bewohner bliebe es überlassen zu entscheiden, welche der anderen Tools im vorliegenden Katalog sie für ihr Quartier als geeignet erachten, welche sich mit ihrer Zukunftsvision nicht decken und welche weiterentwickelt werden müssen. Die Umsetzungskosten dieses Tools sind sehr niedrig einzuschätzen. Da es sich zunächst um ein Bürgerbeteiligungsverfahren handelt, müssen vorerst keine baulichen Maßnahmen durchgeführt werden. Lediglich die Personalkosten für Vorbereitung, Moderation und Dokumentation, die Kosten für PR und Werbung (vor dem Verfahren und danach) sowie die Räumlichkeiten, in denen das Verfahren durchgeführt wird, müssen berücksichtigt werden. Durch ehrenamtliches Engagement und die Nutzung der vorhandenen Ressourcen in der Verwaltung und der beteiligten Wohnungsgesellschaft (z. B. Moderation, Bereitstellung von Räumen etc.) können auch diese Kosten praktisch auf Null reduziert werden. Die Teilnahme (oder zumindest das Interesse) wichtiger Akteure (Anwohner, Grundstückseigentümer, Wohnungsbaugesellschaften, Investoren und Einzelhändler) ist für Neighbourhood Branding von entscheidender Bedeutung. Hierbei gilt: Je mehr Akteure bei der Umsetzung Engagement zeigen, desto größer ist die Wirkung, die die Maßnahme entfaltet (Prediger 2011). Zu empfehlen ist eine möglichst frühzeitige Durchführung der Maßnahme. Dadurch kann sich – nachdem eine Marke und eine Vision entwickelt wurden – die weitere Entwicklung des Quartiers an diesen zwei Säulen orientieren. Kostspielige Eingriffe in das Gebiet, die von den Bewohnern und anderen Akteuren gar nicht erwünscht sind und deswegen ihre Wirkung verfehlen, werden damit im Vorhinein vermieden, die weitere Entwicklung verläuft zielgerichteter und effizienter. Die Umsetzung selbst kann ebenfalls in einem sehr kurzen Zeitraum durchgeführt werden. Für Information und Koordination der beteiligten

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Akteure werden eventuell einige Wochen benötigt, das Verfahren selbst dauert den Referenzbeispielen zufolge nur wenige Tage. Bei Neighbourhood Branding handelt es sich um ein informelles Bürgerbeteiligungsverfahren. Eine besondere Rechtsform ist hierfür nicht vorgesehen und auch nicht notwendig. Bei den meisten Quartieren, in denen das Verfahren in der Vergangenheit durchgeführt worden ist, handelt es sich um Plattenbau- und Großwohnsiedlungen. Die Immobilien waren in der Regel im Eigentum einer einzigen oder einiger weniger Wohnungsgesellschaften. Dagegen könnte die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Goethequartier womöglich ein Hindernis darstellen. Andererseits existieren keine Belege dafür, dass Neighbourhood Branding in Altbauquartieren, die ja in keinem Fall völlig homogene Eigentumsverhältnisse aufweisen, grundsätzlich nicht funktioniert. Vielmehr kann gerade dieses Merkmal in Verbindung mit der historischen Bedeutung des Ortes bei der Entwicklung einer erfolgreichen Marke eine entscheidende Rolle spielen. Wie in Gesprächen mit Teilnehmern einer früheren Beteiligungsveranstaltung in Lehe durchklang, hat der Einsatz einer externen Moderation dort bei vielen Bewohnern zu Ablehnung geführt. Um dies zu vermeiden empfiehlt es sich eventuell, mit der Moderation eine Person aus dem Gebiet zu betrauen. Neighbourhood Branding ist in erster Linie ein Marketingwerkzeug, das darauf abzielt, einen in einem schlechten Zustand befindlichen Wohnungsmarkt zu stabilisieren. Die Bedeutung, die weiche Standortfaktoren wie das Image eines Quartiers für die Wohnungswirtschaft besitzen, darf keineswegs unterschätzt werden. Andererseits allerdings darf es nicht beim reinen Marketing bleiben, vielmehr muss Neighbourhood Branding in Verbindung mit anderen Werkzeugen, klassischen wie innovativen, sinnvoll eingesetzt werden.

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#02: LEERSTANDS- und BAULÜCKen- INFORMATIONSSYSTEM

Vorbild für dieses Tool ist unter anderem das elektronische Baulückeninformationssystem in Berlin, das das Kataster aller in der Stadt bestehenden Baulücken und „mindergenutzten Flächen“ im Internet zugänglich macht und mithilfe von interaktiven Karten grafisch abbildet (vgl.: http://fbinter.stadt-berlin.de/blm). Neben der Lage sind sämtliche relevante Daten wie Flurstückgröße und Größe der bebaubaren Fläche angegeben, außerdem erhält der Interessent anhand von Fotos einen ersten Eindruck vom Grundstück und seiner Umgebung. Weitere Informationen betreffen die Eigentumsverhältnisse (im Eigentum der Stadt oder in privatem Eigentum?), die mögliche Nutzung, die Eignung für Baugemeinschaften/Baugruppen, die Nähe zum Wasser, zu Grünräumen und zu U- und S-Bahn sowie die planungsrechtliche Situation (Bebauungsplan vorhanden?, Sanierungs- oder Erhaltungsgebiet?, Denkmalschutz?). Zudem haben die Eigentümer die Möglichkeit, ihre (E-Mail-)Adresse anzugeben oder auf ihre Homepage hinzuweisen. Ein Link zur Bauberatung und zur Vermessungsbehörde ermöglicht den Nutzern die direkte Kontaktaufnahme mit der jeweils zuständigen Stelle auf Bezirks- oder Stadtebene. Außer über die Kartenfunktion können potentielle Investoren sowie Architekten und Bauherren auch mithilfe eines detaillierten Suchrasters nach Flächen mit bestimmten Standortfaktoren recherchieren. Neben den genannten Personengruppen wird das System auch von den Sachbearbeitern in den bezirklichen Stadtplanungsämtern als Instrument zur effizienten Verwaltung der Bauflächen genutzt. Die Zugriffszahlen auf die Internetseite lagen im ersten Jahr, 2002, bei durchschnittlich ca. 7.500 im Monat, Ende 2009 waren es bereits knapp 17.000 Nutzer. In dieser Zeit hat sich zudem der im System registrierte Grundstücksbestand deutlich reduziert, 260 Flächen mit insgesamt 110 ha konnten aktiviert werden (werkstatt-stadt.de). Ein weiteres Referenzprojekt ist der sogenannte Leerstandsmelder in Hamburg (www.leerstandsmelder.de), bei dem es sich im Gegensatz zum Baulückenmanagement in Berlin um eine private Initiative einer Gruppe von Künstlern und Stadtplanern handelt (zum jeweiligen rechtlichen Hintergrund, s. u.). Hierbei sind die Nutzer dazu aufge-

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rufen, Wohnungs- und Gewerbeleerstand mithilfe einer Checkliste zu registrieren und anschließend auf der Internet-Plattform des Projekts einzutragen. Die entsprechenden Orte werden dann jeweils auf einer Karte markiert, die einen interaktiven Zugang zu den steckbriefartig aufgelisteten Daten ermöglicht, also Lage, vorherige Nutzung (Wohnen, Büro, Gewerbe), Umfang und Dauer des Leerstands, Eigentümer (öffentlich/privat) etc. Ergänzt werden diese Informationen durch Fotos der jeweiligen Gebäude. Beide der vorgestellten Internetprojekte lassen sich – in unterschiedlicher Weise, doch nach Möglichkeit kombiniert – auf das Goethequartier bzw. Bremerhaven als Gesamtstadt übertragen. Ein Baulückenkataster liegt beim Stadtplanungsamt vor, ist aber momentan nicht öffentlich zugänglich. Die rechtliche Grundlage für eine Veröffentlichung auch im Internet bildet das Baugesetzbuch (BauGB), in dem es unter § 200 Abs. 3 heißt: „Die Gemeinde kann sofort oder in absehbarer Zeit bebaubare Flächen in Karten oder Listen auf der Grundlage eines Lageplans erfassen, der Flur- und Flurstücksnummern, Straßennamen und Angaben zur Grundstücksgröße enthält (Baulandkataster). Sie kann die Flächen in Karten oder Listen veröffentlichen, soweit der Grundstückseigentümer nicht widersprochen hat. Die Gemeinde hat ihre Absicht zur Veröffentlichung einen Monat vorher öffentlich bekanntzugeben und dabei auf das Widerspruchsrecht der Grundstückseigentümer hinzuweisen“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin). In Berlin hat die Erfahrung gezeigt, dass nur wenige Eigentümer von diesem Recht Gebrauch machen. Umgekehrt haben aber einige die Möglichkeit genutzt, ihre Adresse bzw. einen E-Mail-Kontakt anzugeben, um so für potentielle Interessenten unmittelbar erreichbar zu sein. Auch der direkte Link zu den Planungs- und Genehmigungsbehörden darf als vorbildlich gelten, da dies eine zeitaufwendige Suche nach den jeweils zuständigen Stellen erspart. Im Gegensatz zu Berlin, das in den vergangenen Jahren ein konstantes, wenn auch moderates Bevölkerungswachstum vorzuweisen hat, sollte der Hauptfokus des Bremerhavener Baulückenmanagementsystems momentan (!) nicht auf einer möglichen Bebauung der verzeichneten Brachengrundstücke liegen, sondern auf deren temporärer Nutzung. Adressaten wären also nicht primär potentielle Investoren und Bauherren, sondern Zwischennutzer, weshalb auch die Kategorien des Berliner Vorbilds dahingehend angepasst werden müssten (d. h. zum Beispiel Art der möglichen

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Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder

Zwischennutzung, eventuelle Konflikte, Ansprechpartner bei den Behörden etc.). Idealerweise müsste das Baulückenkataster mit dem ebenfalls vorhandenen – wenn auch nicht mehr gleichermaßen intensiv gepflegten – Leerstandskataster der Stadt Bremerhaven verknüpft werden. Dazu bietet allerdings das Baugesetzbuch keine rechtliche Grundlage, da eine Veröffentlichung solcher Daten einen zu starken Eingriff in die Privatsphäre der Eigentümer darstellen würde. Das Hamburger Beispiel basiert, wie oben dargestellt, daher auch nicht auf offiziellen Daten, sondern auf Informationen aus der interessierten Öffentlichkeit. Angesichts der völlig unterschiedlichen Situation – in Hamburg erklärt sich das große Interesse an der Leerstandsthematik aus dem enormen Nachfragedruck, der auf dem Wohnungsmarkt lastet – ist mit einer ähnlichen Beteiligung der Bevölkerung im Goethequartier kaum zu rechnen. Erfolgversprechender erscheint daher ein System, das auf den freiwilligen Angaben der Eigentümer basiert, wie das etwa beim Einzelhandels-Informations-System (EIS) der Stadt Aachen der Fall ist (Stadt Aachen), und das sich eventuell zunächst auf die Erfassung von leerstehenden Ladenlokalen und anderen gewerblich nutzbaren Flächen beschränkt. In einem weiteren Schritt kann eine solche Online-Plattform um Wohnungsleerstände erweitert werden, die von

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Eigentümern, die noch nicht resigniert haben, selbst gemeldet werden. Dieses System sollte ebenfalls primär Informationen zu einer möglichen Zwischennutzung enthalten. Die Kombination der beiden Instrumente Brachflächenkataster und (freiwilliges) Leerstandskataster ergäbe dann ein umfassendes interaktives Datenbanksystem aller temporär nutzbaren „Möglichkeitsräume“ – wodurch eine spätere reguläre, also dauerhafte Nutzung natürlich keineswegs ausgeschlossen wäre, sondern im Gegenteil sogar befördert würde. Da dieses Tool zumindest teilweise im Baugesetzbuch rechtlich verankert ist, kommt für die Finanzierung in erster Linie natürlich die Stadt Bremerhaven infrage, die dazu eventuell auf finanzielle Mittel aus dem EFRE-Programm 2007-2013 zurückgreifen könnte. Dafür sind „ökonomische[...], soziale[...] und ökologische[...] Kriterien“ (Land Bremen 2011) ausschlaggebend, die in diesem Fall erfüllt wären. Da von der Maßnahme auch die Eigentümer im Goethequartier (bzw. in der Gesamtstadt) profitieren würden, erscheint eine Beteiligung von dieser Seite nicht ausgeschlossen, allerdings sind viele dieser Personen finanziell dazu wohl nicht (mehr) in der Lage. Im günstigsten Fall, also der Verwendung von Google Maps wie beim Hamburger Leerstandsmelder, liegen die Kosten für die Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei rund 1.000 Euro, hinzu kommen Host-Kosten, die zwischen 5 Euro pro Jahr und maximal 50 Euro im Monat liegen, je nach Anbieter und zur Verfügung stehender Leistung. Die gelegentlichen Kosten für die Wartung der Website durch einen Programmierer sind ebenfalls eher zu vernachlässigen, falls diese Kompetenz nicht beim Stadtplanungsamt vorhanden ist, könnte eventuell auch eine freiwillige Person diese Aufgabe unentgeltlich übernehmen. Dieses Tool ist das einzige innerhalb des Katalogs, bei dem die Initiative nur vom Stadtplanungsamt ausgehen kann. Für die konkrete Umsetzung fehlen eventuell die personellen Ressourcen, daher müsste diese Aufgabe gegebenenfalls extern, also an ein privates Büro oder einen sonstigen Dienstleister vergeben werden. Die Mitwirkung der Grundstücks- und Immobilieneigentümer ist wünschenswert, Interesse an einer engen Zusammenarbeit hätte aus nachvollziehbaren Gründen auf jeden Fall die Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe.


Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, d. h. wie aufwendig sich die technische Umsetzung gestaltet, kann ein solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Im Folgenden ist eine regelmäßige Aktualisierung und Erweiterung notwendig, die im einfachsten Fall jedoch keinerlei technologischer Sachverstand erfordert. Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine besondere Rechtsform notwendig. Das Hauptproblem bei diesem Tool dürften eventuelle Finanzierungsprobleme sein, außerdem erscheint fraglich, ob bei der Stadt Bremerhaven und dem Stadtplanungsamt der nötige (politische) Wille für ein solches Projekt vorhanden ist. Ein weiteres Hindernis stellt zudem die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Quartier dar. Als rein virtuelles Tool, nutzt ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem zwar keine Möglichkeitsräume, schafft aber eine wichtige Grundlage für andere Tools, d. h. Projekte, aus dieser Kategorie und beschleunigt deren Realisierung. Zudem ist ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem in höchstem Maße dazu geeignet, lokale Ökonomien zu fördern, indem es die Suche nach gewerblich nutzbaren Räumen stark vereinfacht. Durch eine entsprechende Gestaltung der Online-Plattform können schließlich auch Marketingeffekte erzielt werden.

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#03: TEMPORÄRE STADT

Der Begriff „temporäre Stadt“ wird in der aktuellen Stadtplanungsdebatte häufig verwendet. Er beschreibt zeitlich begrenzte Veranstaltungen oder Installationen, die sich über einen klar definierten Zeitraum an einem bestimmten Ort im städtischen Raum befinden. Der planerische Hintergrund dieses Konzepts lässt sich wie folgt beschreiben:„Die Aufgabe der Architektur und Stadtplanung besteht heute nicht mehr allein darin, neue Räume für geforderte Nutzungen zu schaffen, sondern parallel dazu Strategien zur Aktvierung existierender Stadträume zu entwickeln. Urbanistische Projekte bedeuten hier nicht die Implementierung einer dauerhaften Struktur, sondern das Initiieren und Auslösen nachhaltiger räumlicher Aneignungsprozesse“ (P2 Temporäre Stadt, HafenCity Universität Hamburg). Somit ist die „temporäre Stadt“ ein Instrument, um beispielsweise vernachlässigte oder „vergessene“ Stadträume wieder zu aktivieren. Im Jahr 2010 wurden in den drei damaligen europäischen Kulturhauptstädten Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet in einem Studentenwettbewerb innovative Lösungen zu diesem Thema befördert. Primär ging es dabei darum, Stadträume durch temporäre Installationen oder sonstige Ideen miteinander zu verbinden und erlebbar zu machen. In Pécs, der fünftgrößten Stadt Ungarns, etwa versuchte man, mithilfe von Hockern, die im öffentlichen Raum aufgestellt wurden, eine Verbindung zwischen zwei städtebaulich getrennten Teilen der Stadt herzustellen. Die Anwohner und Besucher konnten die Sitzgelegenheiten selbst platzieren und nach Belieben nutzen, wodurch das Ziel, die räumliche Barriere zu überwinden, erreicht wurde. Im Ruhrgebiet wollte man den Duisburger Innenhafen an die Innenstadt anbinden, von der er normalerweise durch eine stark frequentierte Verkehrstrasse abgeschnitten ist. Im Zuge des Kulturhauptstadtjahrs entstand auf dieser Straße ein „Shared Space“, also ein Verkehrsraum, in dem alle Teilnehmer gleichberechtigt und daher gezwungen sind, einander zu respektieren. Zwar wurden die Autofahrer durch die neuen Nutzer, das heißt Fußgänger und Radfahrer, die sich auf ihrer angestammten Straße bewegen, etwas ausgebremst, doch durch die vereinfachte räumliche Zugänglichkeit der Innenstadt konnte

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Abbildung (12): Open Air-Kino

tatsächlich eine städtebauliche Brücke zwischen dieser und dem Innenhafen geschaffen werden. In Istanbul schließlich sollte ein altes Hafenareal belebt werden, in dem Stadtplaner viel Potential sahen. Dazu wurden schwimmende Flöße ins Hafenbecken eingelassen, die viele Besucher anzogen, wodurch das Areal in den Mittelpunkt der städtischen Wahrnehmung rückte und den Bürgern somit nachhaltig ins Gedächtnis gerufen wurde (P2 Temporäre Stadt). Neben diesen neuartigen, relativ spektakulären Ideen, die in universitären Wettbewerben erdacht wurden und teilweise erhebliche Kosten verursachten, funktioniert die „temporäre Stadt“ aber auch auf einer niederschwelligeren Ebene: So lassen sich zum Beispiel jegliche Feste, Ausstellungen, Märkte und Festivals diesem Instrument zuordnen. Besonders populär sind in den vergangenen Jahren zudem sommerliche Open Air-Filmvorführungen geworden. In Hamburg etwa wird an manchen Abenden der Rathausmarkt, also ein Ort, der sich natürlich bereits voll im städtischen Bewusstsein befindet, zum Freiluftkino. Ähnliches geschieht jedoch auch in Wilhelmburg, einem sozial eher benachteiligten Stadtteil, wo ebenfalls ein temporäres Kino existiert, das dazu beitragen soll, der Öffentlichkeit die räumlichen Potentiale des Stadtteils zu vermitteln. An anderen Orten, etwa in Basel, haben

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sich beispielsweise Grillplätze auf Zeit als sehr erfolgreich erwiesen, auch Lesungen und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten sind beliebte Projekte im Kontext der „temporären Stadt“. Grundsätzlich sind der Kreativität bei diesem Tool kaum Grenzen gesetzt; eventuelle Konflikte werden alleine schon dadurch entschärft, dass es sich jeweils nur um eine zeitweilige Aktion handelt, ein Experiment, das nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten wieder endet und auch vorher jederzeit abgebrochen bzw. gegebenenfalls modifiziert werden kann. Sehr häufig nutzen Events aus dem Bereich der „temporären Stadt“ natürlich Brachflächen, da hier meist geringere Konflikte mit anderen, regulären Nutzungen auftreten als im öffentlichen Raum. Auch für die Eigentümer einer solchen Fläche kann eine Zwischennutzungslösung vielfach von Vorteil sein, und das gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen müssen sie nicht fürchten – wie das bei einer dauerhaften, doch finanziell ebenfalls wenig attraktiven Nutzung der Fall wäre –, dass sie bei einem lukrativeren Angebot für ihr Grundstück die Zwischennutzer nur schwer wieder loswerden. Zum anderen rückt damit ihre Brachfläche wieder verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – und damit auch von Personen, die eventuell an einer dauerhaften und wirtschaftlichen tragfähigen Nutzung interessiert sind. Veranstaltungen von einer ähnlichen Dimension wie in den Kulturhauptstädten (die als Referenz für die „temporäre Stadt“ vor allem deshalb gewählt wurden, weil der Begriff in diesem Zusammenhang geprägt wurde), sind im Goethequartier eher unwahrscheinlich und nach unserer Einschätzung auch gar nicht nötig. Denn während es in Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet um großräumliche Problemlösungen ging, stellt sich die Situation rund um die Goethestraße herum vollkommen anders dar: Baulücken und Leerstand sind zwar ebenfalls eine städtebauliche Herausforderung, verlangen aber eher nach kleinmaßstäblicheren Lösungsansätzen. Überschaubare Projekte wie Filmvorführungen, Feste, Kunstausstellungen und Musikfestivals lassen sich zudem von den Anwohnern selbst organisieren und umsetzen. Der Austausch der Bürger untereinander wird gefördert, und auch sonst eher inaktive Personen werden eventuell zum Mitmachen animiert. Andererseits erfordert „temporäre Stadt“ aber eben auch Kreativität, Engagement und Einsatz, ein fertiges Konzept für das Was, Wo und Wie der Umsetzung gibt es meist nicht. Einen kleinen Beitrag im Sinne der „temporären Stadt“ haben wir, das „Projekt Goethequartier“, im Rahmen unserer Projektarbeit im Ortsteil

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Goethestraße übrigens selbst geleistet: In Kooperation mit der Aktion Rückenwind e. V., einer Nachmittagsbetreuungseinrichtung für Kinder aus dem Stadtteil, wurde eine Fotosafari veranstaltet, bei der die Kinder mit Einwegkameras besonders schöne und besonders hässliche Orte im Quartier fotografieren sollten. Anschließend wurden die Ergebnisse aufbereitet und im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen in der „Kulturwohnung“ präsentiert. Ein temporäres Projekt aus dem Bereich Kunst und Kultur also, das gleich auf doppelte Weise einen vernachlässigten Raum ins Rampenlicht zu rücken hilft: Einerseits durch Zwischennutzung einer zuvor leerstehenden Wohnung, andererseits aber auch durch die neuen, zum Teil überraschenden Blickwinkel auf das Viertel, die den Besuchern beim Betrachten der Kinderfotos vermittelt wurden. Angaben über die zu erwartenden Kosten lassen sich an dieser Stelle kaum machen, da diese immer abhängig sind von Art und Größe des Projekts. Um das Beispiel Open Air-Kino zu nehmen: Bereits mit einem Beamer und einem Bettlaken lässt sich praktisch kostenlos eine kleine Filmvorführung organisieren. Wenn jedoch finanzielle Mittel bereit stehen, können dazu auch eine Leinwand, ein Filmprojektor und eine Bühne aufgebaut werden. In solch einem Fall lassen sich gegebenenfalls natürlich auch Einnahmen erzielen, die zumindest die entstandenen Kosten decken. Auch der unbezahlte Einsatz freiwilliger Helfer kann bei vielen Projekten dazu beitragen, die Ausgaben zu minimieren. Wie schon bei der Frage nach den Kosten sind angesichts der Fülle möglicher Projekte Angaben hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure ebenfalls nur schwer möglich. Generell bietet sich für kulturelle Events natürlich das Kulturbüro Lehe als Kooperationspartner und eventueller Mitorganisator an, darüber hinaus besteht von Fall zu Fall sicherlich auch Interesse seitens des Stadtplanungsamtes. Als eine der Institutionen, die eventuell Räume zur Verfügung stellen können (u. a. auch einen großen Saal mit Bühne), kommt im Goethequartier grundsätzlich „die theo“ in Betracht. Bei Freiluftveranstaltungen müssen selbstverständlich die Eigentümer des betreffenden Grundstücks einwilligen. Ist eine sonstige öffentliche Genehmigung erforderlich, sind zusätzlich die entsprechenden Ämter und Behörden zu kontaktieren. Veranstaltungen, die Lärm erwarten lassen, sollten darüber hinaus unbedingt mit den Anwohnern abgestimmt werden.

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Auch hier gilt das Gleiche wie für Kosten und Akteure. „Temporäre Stadt“ impliziert allerdings bereits, dass das Entsprechende Projekt zeitlich begrenzt ist, dauerhafte Einrichtungen zählen daher nicht zu diesem Tool. Veranstaltungen unter freiem Himmel werden vorwiegend im Sommerhalbjahr stattfinden, da sie meist stark witterungsabhängig sind. Für Privatpersonen gilt, dass Veranstaltungen grundsätzlich organisiert werden dürfen, solange keine Gewinnabsicht besteht, lediglich eine Aufwandsentschädigung kann erhoben werden. Einem eingetragener Verein ist es zudem erlaubt, kostendeckend zu arbeiten. Falls Gewinnabsichten bestehen, kann ein Unternehmen mit Rechtsform gegründet werden, etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die keine Einlagen notwendig sind. Die „Möglichkeitsräume“, die für das Tool „temporäre Stadt“ infrage kommen, können sowohl Baulücken als auch leerstehende Wohnungen bzw. Ladenlokalen sein. Für Veranstaltungen im öffentlichen und halböffentlichen Raum erteilt dabei grundsätzlich das Ordnungsamt die benötigte Genehmigung. Ist von der Planung eine Fläche oder ein Raum betroffen, der sich in privatem Eigentum befindet, müssen beim Liegenschaftsamt Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse eingeholt werden. Wurden die Eigentümer informiert, können sie ihre Erlaubnis zur Durchführung eines Events, dem Aufstellen einer Installation etc. geben. Abhängig von Größe, Art und Ort einer Veranstaltung sind ordnungsrechtliche Vorschriften zu Brandschutz, Fluchtmöglichkeiten, Lärmschutz, sanitären Anlagen usw. zu beachten. Darüber hinaus sind Konflikte mit Anwohnern nie ganz auszuschließen. Die meisten der Projekte, die im Rahmen dieses Tools vorstellbar sind, werden auf die eine oder andere Weise Möglichkeitsräume nutzen. Die Initiative für eine Veranstaltung geht in aller Regel von einem Kümmerer aus, der sich stark mit seinem Projekt identifiziert und deshalb auch im weiteren Verlauf einen Großteil der organisatorischen Aufgaben übernimmt, also Helfer rekrutiert, Räume sucht, Genehmigungen einholt, Werbung macht, Kooperationspartner gewinnt etc.

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Zur Stärkung der lokalen Ökonomie können kulturelle und künstlerische Events höchstens indirekt beitragen, die Projekte selbst haben normalerweise keine Gewinnabsicht, sind also nicht primär wirtschaftlich orientiert. Veranstaltungen aus dem Spektrum der „temporären Stadt“ eignen sich in höchstem Maße als Marketinginstrumente, da sie aufgrund ihres meist deutlich innovativen und kreativen Gehalts häufig ein Bild des Raumes vermitteln, das dem Bekannten vollkommen widerspricht. Speziell in „Problemvierteln“ können sie damit zu einer Imageverbesserung beitragen helfen, zumal sich zu solchen Anlässen gegebenenfalls auch Personen von außerhalb einfinden. Daneben fördern besondere Ereignisse, insbesondere Feste, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner und tragen so in hohem Maße zur Stärkung der Identifikation mit „ihrem“ Viertel bei. War eine Veranstaltung erfolgreich, kommt außerdem noch der Stolz auf das Erreichte hinzu, der die Beteiligten dazu animiert, sich auch künftig für ihre Nachbarschaft zu engagieren.

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#04: BAUSPIELPLATZ

Von herkömmlichen Spielplätzen unterscheiden sich Bauspielplätze dadurch, dass Kindern dort die Möglichkeit gegeben wird, die vorhandenen Geräte nicht nur passiv zu nutzen, sondern ihre Spielumgebung aktiv (mit) zu gestalten. Beispielsweise können sie Holzhütten bauen, Lagerfeuer machen, ihre Fahrräder reparieren, den Garten bepflanzen, Nistkästen basteln, Metall und Holz bearbeiten und vieles mehr. Dazu bekommen sie Baumaterialien und Werkzeug zu Verfügung gestellt und erhalten, wenn nötig, Hilfe von Erwachsenen. Teil des Konzepts ist häufig ein pädagogischer Ansatz: So sollen die Kinder auf dem Bauspielplatz lernen, Respekt und Rücksicht aufeinander zu üben, ohne Gewalt jeglicher Art miteinander umzugehen und gemeinsam Aufgaben zu bewältigen. Zugleich ist es das Ziel, dass die Kinder dabei ihre eigenen körperlichen Grenzen erfahren sowie lernen, mit Rückschlägen umzugehen und durch Ausdauer zu einem selbstgesteckten Ziel zu gelangen. Durch den erzielten Erfolg gewinnen sie Selbstbestätigung und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vorbild für diese Form der Abenteuerspielplätze sind die sogenannten „Gerümpelspielplätze“, die in Dänemark eine lange Tradition besitzen. Deren Konzeption resultiert aus den Erkenntnissen des Landschaftsarchitekten C. Th. Sorenson, der Kinder beim Spielen auf Baustellen und Schrottplätzen beobachtete. Mitte der 60er Jahre kam die Idee nach Deutschland, als viele Erwachsene die bis dahin geltenden Erziehungskonzepte, die fantasielosen Spielplätze sowie die Funktionalisierung öffentlicher Räume hinterfragten und nach Alternativen suchten, um ihren Kindern wieder sinnliche Erfahrungen zu ermöglichen und ihr Geschick, ihre Ausdauer, Kreativität und Fantasie zu fördern (RaBauKi). Eher temporären Charakter hat das Bauspielplatz-Projekt „RaBauKi“ in Siegen, im Zuge dessen seit 16 Jahren jeweils für drei Wochen in den Sommerferien eine Wiese zu einer kleinen Stadt aus Hütten, Buden und anderen Bauwerken verwandelt wird. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl von 150 Kindern müssen die Plätze verlost werden. Gemeinsam mit circa 25 ehrenamtlichen Helfern sowie Lehramts- und Sozialpädagogikstudenten wird den Kindern ein vielfältiger Lern- und

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Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz

Erfahrungsraum geboten, bei welchem die Kinder nicht nur Hütten bauen sondern auch zusammen kochen und spielen. Am Ende gibt es ein großes Fest, zu welchem auch die Eltern eingeladen werden. Der ehrenamtliche Verein RaBauKi e. V. finanziert sich neben öffentlichen Mitteln aus Geld- und Sachspenden. Für die Kinder ist die Teilnahme am Bauspielplatz kostenlos. Auch in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es seit 1990 einen Bauspielplatz, den Kolle 37, zwischen Jüdischem Friedhof und Kollwitzstraße. Zur Zeit seiner Gründung verstand sich der Bauspielplatz vor allem als Freizeiteinrichtung mit vorrangig handwerklichen Angeboten. Im Laufe der Zeit, angeregt durch den Kontakt mit den Kindern, die zum großen Teil aus problembelasteten, sozial benachteiligten Familien stammen, wurde dieses Angebot erweitert, um diesen Kindern besondere Aufmerksamkeit widmen zu können. Das Bezirksamt fördert das Projekt durch die Finanzierung von 3,5 Stellen für pädagogische Mitarbeiter und einer Zivildienststelle. Desweiteren wurde der Bauspielplatz mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung im Rahmen des URBAN-Programmes finanziert sowie durch Spenden mehrerer großer gemeinnütziger Organisationen, wie etwa der Stiftung Deutsches Hilfswerk oder der Deutschen Klassenlotterie (Kolle 37). Der Bauspielplatz steht den Kindern ganzjährig am Nachmittag zur Verfügung, er

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ist, ebenso wie der „RaBauKi“, kostenlos und ist als offene Einrichtung konzipiert, an der jeder partizipieren darf. Der Samstag ist jeweils Familientag, an dem sich auch die Eltern handwerklich betätigen dürfen, zudem gibt es einen täglichen Mittagstisch. Die Aktivitäten, die auf dem Programm stehen, reichen von Backen, Filzen, Schmieden und kreatives Gestalten über Bogenschießen, Klettern und Akrobatik bis hin zur Tierpflege. Jugendliche nutzen vor allem das Angebot des kostenlosen Musikproberaums, außerdem bietet der Bauspielplatz gute Voraussetzungen, etwas über die Natur und ihre Kreisläufe zu erfahren: In vielen Winkeln und Nischen gedeiht eine große Artenvielfalt an Pflanzen, Vögeln und Insekten, so dass Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Umweltschutz den Kindern selbstverständlich und spielerisch vermittelt werden. Ein Highlight des „Kolle 37“ stellt das jährlich stattfindende Hüttenbaufestival dar, bei dem Gruppen von drei bis sieben Kindern in einem Zeitraum von sechs Wochen ihre selbst entworfene Hütte errichten. Im Goethequartier gibt es zwar eine Menge Spielplätze, dennoch scheinen viele der zahlreichen Kinder im Viertel ihre Zeit am liebsten auf der Straße zu verbringen. Die meisten der vorhandenen Spielplätze werden, so die Erfahrung, als eher langweilig und fantasielos empfunden und daher trotz mangelnder Alternativen selten genutzt. Tatsächlich sind die konventionellen Spielgeräte starr und unbeweglich, in Beton zementiert, und lassen den Kindern daher kaum Freiraum zu eigener Gestaltung. Besonders angesichts der dichten gründerzeitlichen Bebauung des Quartiers, in dem die meisten Kinder zudem in Mietwohnungen zu Hause sind und es keinen Wald oder größere Freiflächen gibt, wäre es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem die Kinder (und jüngeren Jugendlichen) selbstbestimmt spielen können Und Raum haben, ihrer Energie freien Lauf zu lassen. Wie die Referenzbeispiele zeigen, ist ein Bauspielplatz dank seiner Kombination aus Freiflächen und handwerklicher Angebote, hervorragend dazu geeignet, Freizeitgestaltung und sozialpädagogische Aspekte wirksam miteinander zu verbinden. Besonders geeignet erscheint ein solcher Ansatz angesichts der sozialen Situation im Goethequartier: Die Kinderarmut hier beträgt rund 40 Prozent, viele Eltern sind alleinerziehend, es herrscht zum Teil eine hohe Suchtproblematik und viele der Kindern können dem Regelunterricht aufgrund von Sprachdefiziten und fehlender Unterstützung von zuhause nicht


Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“

folgen (Rückenwind e. V.). Aus eigener Erfahrung können wir zudem sagen, dass viele der Kinder im Quartier wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten besitzen, sich andererseits aber durch Neugierde und Ausdauer auszeichnen und durchaus ihre Potentiale haben. Durch einen Bauspielplatz können diese Fähigkeiten gestärkt werden: Die Kinder im Goethequartier würden mehr Selbstvertrauen erlangen und soziales, gemeinschaftliches Handeln erlernen. Aus Gesprächen mit den Betreuerinnen des Rückenwind e. V. wissen wir, dass die Nachmittagsbetreuung mit bis zu 90 Kindern ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hat. Ein Bauspielplatz würde hier ein sinnvolles Ergänzungsangebot darstellen, besonders auch für ältere Kinder, die der Verein mit seinem Angebot nicht mehr erreicht und die noch zu jung sind für den Jugendtreff. Anstatt auf der Straße zu spielen würde der Bauspielplatz hier eine spannende Alternative darstellen. Um den Bauspielplatz umzusetzen, wird vor allem viel Platz benötigt. Zwischen Zollinlandstraße und Meidestraße befindet sich ein großes öffentliches Areal, eine Rasenfläche, neben dem sich ein offenbar wenig genutzter Spielplatz befindet, der in einen zukünftigen Bauspielplatz integriert werden könnte.

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Wie die Referenzbeispiele zeigen, kann solch ein Projekt nur auf ehrenamtlicher Basis gestemmt werden, hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Andererseits können die Kosten relativ niedrig gehalten werden, wenn das Holz und sonstige Baumaterialien gespendet werden. Die Fläche müsste zudem natürlich von der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Wichtige Akteure im Quartier, die momentan in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv sind und von deren Erfahrung man somit profitieren könnte, sind der Rückenwind e. V. sowie das Jugendzentrum Lehe-Treff. Eine enge Kooperation mit diesen beiden Einrichtungen ist vor allem deswegen zu empfehlen, weil der Bauspielplatz das bereits vorhandene Angebot im Goethequartier sinnvoll erweitern und ergänzen kann, jedoch keinesfalls eine Konkurrenz zu bestehenden Institutionen darstellen soll. Der Rückenwind e. V. als möglicher Partner besitzt zudem schon Expertise im Bau von Holzhütten mit Kindern, da eine solche Aktion bereits im eigenen Garten durchgeführt wurde. Desweiteren wäre es denkbar, dass ein lokaler Handwerksbetrieb die Patenschaft für das Projekt übernimmt und den Kindern mit Fachwissen und Material zur Seite steht. Auch sonstige Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Astrid-Lindgren-Schule, könnten in das Projekt miteinbezogen werden und – wie andernorts der Fall – den Bauspielplatz am Vormittag für diverse Aktivitäten mit Klassen oder Kindergartengruppen nutzen. Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein passendes Grundstück zur Verfügung steht und für den Anfang nur wenig Material benötigt wird. Für die Gründung des Bauspielplatzes ist es ratsam, dass sich alle Interessierten, vor allem natürlich Eltern, idealerweise angeführt von einem „Kümmerer“, in einem gemeinnützigen Vereins zusammenschließen. Dadurch wird der Austausch von Ideen gefördert und das Projekt beschleunigt, zugleich hilft eine starke Organisation dabei, Hemmnisse zu beseitigen und die Finanzierung zu erleichtern. Desweiteren muss mit der Stadt ein Zwischennutzungsvertrag geschlossen werden, der den Bauspielplatz zunächst einmal temporär – beispielsweise auf ein Jahr – beschränkt. Falls auf dem Areal zukünftig anderes geplant werden sollte, kann der Spielplatz rasch wieder abgebaut werden, ansonsten ließe sich der Vertrag mit dem Einverständnis der beiden Vertragspartner, beliebig oft verlängern.

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Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und natürlich entsteht auch Lärm, d. h., Konflikte mit Anwohnern sind nicht auszuschließen. Allerdings ist an der betreffenden Stelle bereits ein Spielplatz vorhanden, der, falls er gemäß seiner Bestimmung intensiv genutzt würde, auch jetzt schon eine Geräuschkulisse erzeugen würde, außerdem ist das Quartier in Teilen bereits jetzt durch Mischnutzung geprägt, so dass sich der Unterschied in Grenzen halten dürfte. Eine Lösung wäre, die Öffnungszeiten auf wenige Stunden am Nachmittag zu beschränken, um die Lärmbelastung einzudämmen. Desweiteren müssten sich Erwachsene finden, die den Bauspielplatz innerhalb der Öffnungszeiten betreuen, da sonst die Verletzungsgefahr zu groß ist. Ein allgemeines Problem ist zudem Vandalismus: Der Rückenwind e.V. etwa verlor im Frühjahr 2010 drei Hütten durch mutmaßliche Brandstiftung. Aus diesem Grund sollte der Bauspielplatz außerhalb der Öffnungszeiten unzugänglich sein. Das Tool „Bauspielplatz“ stellt eine neue, intensive Nutzungsmöglichkeit für einen momentan stark untergenutzten bis gar nicht genutzten Freiraum im Quartier dar, fällt also unter die Kategorie „Möglichkeitsraum“. Auf jeden Fall bedarf es für Realisierung wie Betreuung eines solchen Platzes mehrerer „Kümmerer“, die sich der pädagogischen und handwerklichen Erziehung der Kinder annehmen und Spaß haben an der gemeinsamen Arbeit mit jungen Menschen. Nicht zuletzt besitzt das Tool auch unter Marketinggesichtspunkten eine große Bedeutung, da sich viele Eltern, besonders in größeren Städten, einen Ort wünschen, an dem ihre Kinder sich wohlfühlen und in sicherer Umgebung spielerisch lernen, ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen. Das Projekt Bauspielplatz kann, wie auch das Beispiel in Siegen zeigt, Ausstrahlkraft weit über das Quartier hinaus entfalten.

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#05: NACHBARSCHAFTSGÄRTEN/ INTERKULTURELLE GÄRTEN In Deutschland noch vor wenigen Jahren als innovative Idee gefeiert, gehören gemeinschaftlich genutzte Gärten in der Großstadt inzwischen längst zum Standardrepertoire, wenn es um die (temporäre) Nutzung innerstädtischer Brachflächen geht. Ihren Ursprung hat die urban gardening-Bewegung in den USA, wo bereits in den 1970er Jahren erste Gemeinschaftsgärten (community gardens) entstanden, unter anderem in New York, das damals zu großen Teilen im wirtschaftlichen Niedergang begriffen war. In jüngerer Vergangenheit boomt dieses Konzept vor allem im ehemals industriell geprägten Nordosten des Landes, wo zahlreiche Städte schon seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Schrumpfung konfrontiert sind. Typischerweise trifft dieser Prozess zuerst und am stärksten die Wohngebiete im Stadtzentrum, die Stück für Stück entvölkert werden. Während sich die Wohlhabenderen in die – auch bei schrumpfenden Städten wie Detroit häufig florierenden – suburbanen Einfamilienhaussiedlungen zurückziehen, bleiben insbesondere ärmere, zumeist den ethnischen Minderheiten zugehörige Bevölkerungsgruppen zurück. Innerhalb Deutschlands kann für Bremerhaven zum Beispiel Leipzig als Vorbild dienen, da dort ebenfalls innenstadtnahe Altbauquartiere von Bevölkerungsschwund und nachfolgendem Leerstand bzw. Abriss betroffen sind. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, entstanden 2004 im Stadtteil Lindenau auf Initiative des dortigen Stadtteilvereins die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße, die ehemals verwahrloste und vermüllte Brachengrundstücke nutzen. Ziel des Projekts war dabei „nicht die Schaffung von dauerhaftem Grün, sondern eine stadträumliche und soziale Aufwertung dieses stark von Perforation geprägten Gebietes als Beitrag zur langfristigen Etablierung neuer Wohnmodelle“ (Leipziger Westen). Am Anfang des Projekts stand die Recherche nach den Grundstückseigentümern und die anschließende Kontaktaufnahme. Stellvertretend für die Gartennutzer schloss der Stadtteilverein Lindenau daraufhin mit den diversen Eigentümern Nutzungsvereinbarungen, die die unentgeltliche Nutzung der Grundstücke für Nachbarschaftsgärten

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Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin

gewährleisten. Die Verträge verlängern sich jeweils automatisch um ein Jahr, sofern sie nicht gekündigt werden. Eine Kündigung ist allerdings nur im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Bebauung zulässig. Beim Anlegen des Gartens halfen neben den Mitgliedern des Bürgervereins auch Bewohner des Stadtteil sowie Jugendliche, die Sozialstunden ableisten mussten. Die Finanzierung erfolgte über das EU-Programm URBAN II sowie zum überwiegenden Teil durch ehrenamtliche Tätigkeit und Sachspenden. Entscheidend hierbei war die tägliche Berichterstattung in der lokalen Presse, die dazu beitrug, alle Bewohner des Stadtteils zu informieren, Spenden zu akquirieren und weitere Bürger zum Mitmachen zu motivieren. Die Gartenparzellen, die nicht durch Zäune abgegrenzt werden (dürfen), werden jedes Jahr im Februar neu vergeben, die Aufteilung erfolgt dabei in Absprache mit bereits aktiven Nutzern. Die Nutzung der Gärten ist – abgesehen von einem einmaligen Anteil von 45 Euro am Wasserverbrauch – kostenfrei. Um Vandalismus zu verhindern, ist das gesamte 500 qm große Grundstück nur durch ein abschließbares Tor zugänglich, zudem kümmert sich ein ehrenamtlicher Verantwortlicher darum, dass einzelne Parzellen nicht verwahrlosen, d. h., er spricht

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Nutzer, die ihren Teil des Grundstücks offensichtlich nicht mehr pflegen, bei Bedarf direkt an. Die erhofften positiven sozialen Folgen haben sich nach Angaben des Stadtteilvereins bereits eingestellt: So zog beispielsweise eine Familie mit fünf Kindern in ein Gebäude direkt neben den Nachbarschaftsgärten, weil ihr die Aussicht auf eine grüne Umgebung sowie die Möglichkeit der gärtnerischen Betätigung direkt vor der Haustür attraktiv erschien. Unter den unzähligen Gartenprojekten, die in Berlin verwirklicht werden, hat in den vergangenen Jahren insbesondere der 2009 gegründete „Prinzessinnengarten“ im Stadtteil Kreuzberg eine relativ große Bekanntheit erlangt. Vorbildlich ist er vor allem aufgrund seines dezidiert temporären Charakters sowie seiner ökonomischen Tragfähigkeit. Das gemeinnützige Unternehmen ‚Nomadisch Grün‘, das die rund 6.000 qm große Brachfläche am Moritzplatz vom Berliner Liegenschaftsfond gepachtet hat, versteht sich zwar in erster Linie als eine Einrichtung zur „Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in den Bereichen Umweltschutz, Biodiversität, Gesundheitsfürsorge, Klimaschutz und nachhaltige Stadtentwicklung“ (Nomadisch Grün), daneben steht jedoch auch ein gewerblicher Ansatz, der sich in einer Gartengastronomie und der Direktvermarktung des Gemüses äußert. Zudem akquirieren die Betreiber Fördergelder für ihre diversen Bildungs-, Jugend- und Umweltprojekte und vergeben für 55 Euro pro Jahr Patenschaften für jeweils ein Gemüsebeet. Diese Beete bestehen aus recycelten Industriekörben, die zusammen ein transportables und modulares System bilden, das das Projekt mobil und gleichzeitig vom Boden unabhängig macht, wodurch zugleich der Anbau nach Biokriterien gewährleistet ist. Gemäß ihres sozialen und kulturellen Anspruchs veranstalten die Betreiber des „Prinzessinnengartens“ kollektive Gartenbauaktionen, an denen jeweils mehrerer hundert Anwohner und sonstige Interessierte teilnehmen, eine regelmäßige „Gartensprechstunde“, ein Kulturprogramm, Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche etc. Auf diese Weise werden unterschiedliche städtische Kulturen, Milieus und Lebensformen einbezogen, was letztlich die Nachbarschaft in dem sozial schwachen Quartier stärkt und aktiviert.Als weitere Argumente für die urbane Landwirtschaft lassen sich die kostengünstige Versorgung mit gesunden, frischen Lebensmitteln sowie die dadurch bedingte Steigerung der Lebensqualität anführen, hinzu kommt die Attraktivitätssteigerung durch mehr

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Grün in der Stadt. Aspekte wie die Verkürzung von Transportwegen, also die Reduktion von Verkehr und CO2 sowie die Verbesserung des Mikroklimas spielen im Kontext des Goethequartiers dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Die Integration von Bewohnern mit kulturell vollkommen unterschiedlichen Hintergründen ist das primäre Ziel der interkulturellen oder internationalen Gärten, die seit einigen Jahren das Spektrum der Gartenprojekte bereichern. Referenzbeispiele hierzu finden sich zahlreich auf der Website der Stiftung Interkultur (www.stiftung-interkultur.de), die ein informelles Netzwerk für sämtliche Gärten dieses Typs in Deutschland, Österreich und der Schweiz darstellt und viele nützliche Tipps anbietet sowie Praxisseminare veranstaltet. Insgesamt sind unter diesem Dach momentan 112 Interkulturelle Gärten organisiert, 65 weitere sind nach Angaben der Stiftung derzeit in Planung, darunter einer in Bremerhaven-Wulsdorf. Welche potentiellen Vorteile und Chancen sich aus innerstädtischen Gärten speziell für Migranten ergeben, schildert die Stiftung Interkultur vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrung: Zum einen stammen diese Menschen häufig aus kleinbäuerlichen Verhältnissen oder bringen sonstige Erfahrungen in Gartenwirtschaft oder Handwerk mit, sind also an Subsistenzwirtschaft gewöhnt und aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel zum Teil sogar darauf angewiesen. Dadurch, dass sie auch in der neuen Heimat ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen können, ergeben sich zudem Erfolgserlebnisse, die insbesondere für sozial benachteiligte Menschen von großer Bedeutung sind. Darüber hinaus stellen Interkulturelle Gärten im Idealfall Anknüpfungspunkte für eine stärkere Integration in den Arbeitsmarkt dar und sind der beruflichen Orientierung Jugendlicher förderlich. Auch das bei Migranten häufig vermisste bürgerschaftliche Engagement kann sich in diesem Rahmen eventuell leichter entfalten. Nicht zuletzt bietet die Vielfalt der Pflanzen und der damit zubereiteten Gerichte die Chance des interkulturellen Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Das gemeinsame Essen, das in den Interkulturellen Gärten stattfindet, wird so zum verbindenden Element. In diesem Zusammenhang weist die Stiftung Interkultur darauf hin, dass es sich vielfach bewährt habe, gewisse Quoten für die Nutzung der Parzellen einzuführen, um auf diese Weise zu verhindern, dass sich bestimmte Gruppen bewusst abschotten (Stiftung Interkultur).

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Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York

Insbesondere das Leipziger Beispiel erscheint für den Ortsteil Goethestraße relevant, da Ausgangssituation (schrumpfende Stadt) wie Lage (Altbauquartier) sehr ähnlich sind. Die einzelnen Realisierungsschritte können daher im Grunde übernommen werden. Als vorbildlich darf vor allem die dortige Nutzungsvereinbarung gelten, die bei konkreten Plänen für eine Neubebauung die rasche Kündigung vorsieht, während eine willkürliche bzw. prophylaktische Vertragsauflösung ausgeschlossen ist. Das Modell des interkulturellen Gartens könnte zudem für das Goethequartier interessant sein, da hier der Anteil an Menschen mit nicht-deutscher Herkunft besonders hoch ist. Als konkreter Ort für die Realisierung kommt im Prinzip jede Baulücke infrage, die Größe spielt dabei keine entscheidende Rolle. Hinsichtlich der Lage stellen sich jedoch zwei Fragen, die miteinander zusammenhängen: Erstens, soll der Garten etwas abseits angelegt sein, also ruhig und geschützt, oder sich an einer eher exponierten und damit publikumswirksamen Stelle befinden? Und zweitens, soll er primär von den unmittelbaren Anwohnern genutzt werden oder, im Idealfall, eine Art Treffpunkt für die Menschen aus dem gesamten Goethequartier bilden? Im zweiten Fall würde sich das große Grundstück gegenüber

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der „theo“ (oder ein Teil davon) anbieten, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Einrichtung selbst auf die Freifläche spekuliert, um sie als Parkplatz nutzen zu können. Zudem könnte das Areal eventuell wieder bebaut werden, was einer temporären Gartennutzung allerdings nicht im Wege steht. Wie die Beispiele zeigen, entstehen vor allem zu Beginn des Projekts gewisse Kosten, die jedoch größtenteils durch Eigenleistung von Freiwilligen aufgefangen werden können. Die Stiftung Interkultur rechnet mit Anfangsinvestitionen von 5.000 bis 9.000 Euro für Geräte und Material (Stiftung Interkultur), darin enthalten sind aber auch Posten, die nicht in jedem Fall notwendig sind. Die Pofitorientierung spielt nur bei den allerwenigsten Gartenprojekten eine Rolle, Gewinne lassen sich realistischerweise nur auf größeren Grundstücken erzielen. Relevante Akteure sind zunächst einmal die jeweiligen Grundstückseigentümer; idealerweise ist dies die Stadt, die die Fläche zuvor erworben hat. Darüber hinaus müssen auf jeden Fall die unmittelbaren Anwohner einbezogen werden, da sie durch die Nutzungsänderung voraussichtlich beeinträchtigt sind. Je nachdem, wie viele (ehrenamtliche) Mitarbeiter zur Verfügung stehen, kann eine Brachfläche innerhalb weniger Wochen für die Gartennutzung vorbereitet werden. Zeitaufwändig gestaltet sich vor allem die Bearbeitung bzw. der Austausch des Bodens, falls direkt ins Erdreich gepflanzt werden soll. Werden andere Pflanzbehältnisse benutzt, bedarf es dagegen nur einer sehr kurzen Vorbereitungszeit. Es empfiehlt sich, mit den ersten Schritten im Winter zu beginnen, damit die Beete rechtzeitig zu Beginn des Frühjahrs zur Verfügung stehen. Als rechtlicher Rahmen bietet sich am ehesten ein eingetragener Verein an, der das gesamte Grundstück vom Eigentümer (unentgeltlich) pachtet und zeitlich befristet an die Nutzer vergibt. Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu minimieren, ist es entscheidend, diese davon zu überzeugen, dass die Gartennutzung auf eine zeitliche Befristung hin ausgelegt ist und jederzeit beendet werden kann. Empfehlenswert sind daher Nutzungsvereinbarungen nach dem Beispiel Leipzigs sowie bewusst temporäre Pflanzbehältnisse wie im „Prinzessinnengarten“. Sofern

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sich das entsprechende Grundstück im Besitz der Stadt Bremerhaven befindet, ist allerdings fraglich, ob eine gärtnerische Zwischennutzung für die Verantwortlichen überhaupt in Frage kommt. Bei der Nutzung selbst schließlich kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren Anwohner – je nach Lage des entsprechenden Grundstücks – nicht ausgeschlossen werden. Sämtliche denkbare Gartenprojekte sind primär natürlich unter dem Aspekt der Nutzung von Möglichkeitsräumen zu betrachten, da sie in Baulücken bzw. auf Brachflächen angesiedelt sind. Allerdings lassen sich damit auch Marketingabsichten verfolgen, da innerstädtische Garten-Initiativen, trotz des Booms der vergangenen Jahre, auf lokaler Ebene immer noch eine gewisse Aufmerksamkeit erzeugen dürften. Da Gärten zudem für die meisten Menschen extrem positiv besetzt sind, ist damit zu rechnen, dass ein solches Projekt das Image des Quartiers deutlich aufwertet. Insbesondere in der Planungs- und Vorbereitungsphase braucht es Menschen, die sich für ein relativ umfangreiches Projekt wie dieses einsetzen. Auch danach kann, wie die Referenzbeispiele zeigen, auf die Betreuung durch einen „Kümmerer“ vermutlich nicht völlig verzichtet werden, da ansonsten völlige Vernachlässigung durch einige Nutzer und eventuell Vandalismus drohen. Die lokalökonomische Bedeutung eines Gemeinschaftsgartens beschränkt sich in aller Regel auf die Eigenversorgung der beteiligten Anwohner. Wie das Beispiel des „Prinzessinnengartens“ zeigt, kann jedoch ein solches Projekt bei entsprechender Größe auch mit (beschränktem) kommerziellem Hintergrund betrieben werden.


#06: LADEN ZU VERSCHENKEN

Ein überaus interessantes Projekt zur Belebung einer Einkaufsstraße lief im Frühjahr 2011 in Rostock an: Dort initiierte das städtische Wohnungsunternehmen WIRO in Kooperation mit der Ostsee-Zeitung unter dem plakativen Namen „Laden zu verschenken“ einen Ideenwettbewerb, bei dem die Teilnehmer ihre Geschäftsidee für einen Laden in der Langen Straße 5 einreichen konnten. Prämiert wurde das beste Konzept, das selbstverständlich einen Geschäftsplan enthalten musste, anhand dessen unter anderem Finanzierung und wirtschaftliche Tragfähigkeit beurteilt werden konnten. Der Gewinner des Wettbewerbs konnte ab Juni das 86 Quadratmeter große Geschäft beziehen, die Jahresnettokaltmiete von ca.18.000 Euro wurde ihm von der WIRO für ein Jahr erlassen. Die Jury des Wettbewerbs bestand aus Vertretern von Politik, Wirtschaft und Medien, zudem berichtete die Ostsee-Zeitung als Mitveranstalter ausführlich über dieses Projekt und spendiert nach eigenen Angaben dem Sieger ein öffentlichkeitswirksames, auf die Idee zugeschnittenes Werbekonzept (WIRO, Ostsee-Zeitung). Das Projekt richtete sich ausdrücklich an Existenzgründer, daher durfte im Zusammenhang mit der Idee zuvor weder eine Gewerbeanmeldung vorgelegen haben, noch durfte das Konzept in der Vergangenheit bei einem anderen Wettbewerb eingereicht worden sein. Um die Existenzgründung zu unterstützen, bot die WIRO dem Gewinner nach dem Wettbewerb eine fachliche Beratung an (WIRO). Erstmals über das Projekt berichtet hatte die Ostsee-Zeitung Anfang März 2011, nach Angaben der WIRO waren zudem rund vier Wochen Vorbereitungszeit notwendig. Die Idee zu dem Wettbewerb stammte von einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft, die Gewerbefläche, die im Rahmen dessen zur Verfügung gestellt wurde, befand sich bereits im Bestand der WIRO (WIRO, Ostsee-Zeitung). Im Zuge der Analyse, die die Projektgruppe im Ortsteil Goethestraße durchführte, zeigte sich, dass Ladenleerstand hier ein Problem darstellt, für das bislang keine befriedigende Lösung gefunden wurde – eine Einschätzung, die unter anderem von Holger Kattert vom Designlabor

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Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock

Bremerhaven bestätigt wurde. Außerdem ergab die Analyse, dass Existenzgründer für die wirtschaftliche Entwicklung im Ortsteil Goethestraße eine weit größere Rolle spielen könnten als bisher. Beide dieser Erkenntnisse versucht das Tool „Laden zu verschenken“ zu verbinden. Für die Implementierung des Projekts sollte ein strategisch günstiger Ort gewählt werden. Infrage kommt beispielsweise ein leerstehendes Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, das momentan das einzig nicht genutzte in der Goethestraße ist. Der Laden befindet sich in einem sanierungsbedürftigen Gebäude mit sieben Wohneinheiten und einer Gewerbeeinheit, das derzeit im Rahmen einer Zwangsversteigerung durch die wesDA Consulting Real Estate Vertriebsgesellschaft mbH verkauft wird (wesDA). Dieses Gebäude könnte aufgrund seiner Lage an der Grenze zwischen dem relativ belebten nördlichen Abschnitt der Goethestraße und dem südlichen Teil, der rein dem Wohnen vorbehalten ist (die Zäsur bildet hier die Kistnerstraße), eventuell eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Quartiers spielen. Die Umsetzung eines öffentlichkeitswirksamen Projekts wie „Laden zu verschenken“ an dieser Stelle wäre zudem ein sinnvoller Beitrag zur Aufwertung des Gebiets. Sollte sich die Durchführung hier nicht realisieren lassen, sind natürlich auch andere

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KISTNERSTRASSE

Z O (18): L L Verortung I N L A Ndes D Tools STR ASS Abbildung „Laden zuEverschenken“

Standorte denkbar, beispielsweise in der Hafenstraße, die ebenfalls Ladenleerstand zu verzeichnen hat. Neben der Nachnutzung eines einzelnen leerstehenden Ladens ließe ein Ideenwettbewerb wie der eben beschriebene weitere positive Effekte für das Gebiet erhoffen: Da die Teilnehmer mit der Erstellung eines Geschäftsplans (in den unter Umständen viel Zeit investiert wurde) bereits den ersten Schritt in Richtung einer Existenzgründung unternommen haben, könnten sich einige von ihnen, die nicht den ersten Platz erreicht haben, dazu entschließen, ihr Konzept an einem anderen Ort umzusetzen. Auf diese Weise werden durch das Tool möglicherweise private Existenzgründungen generell gefördert und somit die lokalen Ökonomien auch indirekt unterstützt. Die Kosten der Jahresnettokaltmiete beim Referenzbeispiel aus Rostock belaufen sich auf 18.000 €, zuzüglich einiger Kosten für die Vorbereitung des Projekts, die allerdings von der veranstaltenden Wohnungsgesellschaft als eher niedrig eingeschätzt wurden. Zu beachten ist allerdings, dass sich das Ladenlokal in der Langen Straße bereits vor Beginn des Wettbewerbs im Bestand der WIRO befand, während das von uns für die Umsetzung eines solchen Projekts

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Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße

empfohlene Gebäude erst noch zwangsversteigert wird. Der Mindestkaufpreis beträgt dabei 70.000 €. (Ostsee-Zeitung, wesDA). Die tatsächlichen Kosten der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ hängen stark von der Art der Durchführung ab und sind nur schwer abzuschätzen. Denkbar wäre etwa, dass die Stäwog, die grundsätzlich am Kauf einiger Gebäude im Ortsteil Goethestraße interessiert ist, das Haus inklusive des Ladens erwirbt, um dann das Erdgeschoss dafür zu nutzen, einen ähnlichen Wettbewerb umzusetzen. Auch wenn hierbei neben dem Kaufpreis noch zusätzliche Kosten für die Gebäudesanierung anfallen würden, erscheint diese Variante besonders empfehlenswert, da so das Ladenprojekt mit einem beispielhaften Wohnprojekt in den oberen Geschossen gekoppelt werden könnte. Ein alternatives Szenario sähe so aus, dass das Gebäude zunächst von einem beliebigen Käufer erworben wird, an den anschließend der Wettbewerbsveranstalter, eventuell das Stadtplanungsamt, herantritt, um ihm die Durchführung des beschrieben Projekts anzubieten. Für den Neueigentümer könnte dies attraktiv sein, da ein Geschäft mit

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einem tragfähigen Konzept langfristig den Leerstand des Ladenlokals verhindert und zugleich die gesamte Immobilie aufwertet. Bei dieser Variante könnten die Kosten für die Anwendung des Tools entscheidend minimiert werden, zugleich kommen jedoch andere Unwägbarkeiten hinzu, da erfahrungsgemäß die Bereitschaft des Eigentümers zur Beteiligung an einem solchen Projekt nicht vorausgesetzt werden kann. Das Beispiel aus Rostock zeigt, dass es für solch ein Projekt lediglich zweier Parteien bedarf, die beide allerdings von großer Bedeutung sind: Zum einen ist das der Eigentümer des fraglichen Objekts, je nach Ausgang der Zwangsversteigerung wäre das im Goethequartier die Stäwog, die Stadt oder ein Dritter. Im letzteren Fall sollte die Rolle des Vermittlers und des Projektinitiators im Idealfall vom Stadtplanungsamt übernommen werden. Zum anderen ist für eine erfolgreiche Durchführung eine hohe Medienpräsenz entscheidend, entsprechend der Ostsee-Zeitung in Rostock käme im Ortsteil Goethestraße natürlich die Nordsee-Zeitung als Kooperationspartner infrage. In Rostock dauerte der Wettbewerb rund drei Monate, inklusive vier Wochen Vorbereitungszeit. Eine vergleichsweise schnelle Umsetzung scheint also möglich. Dass das empfohlene Objekt bereits zum Verkauf steht und momentan nicht vermietet ist, spricht ebenfalls für eine zügige Durchführung. Nach Abschluss des Wettbewerbs kann ein gewöhnlicher Pachtvertrag zwischen dem Besitzer und dem Nutzer abgeschlossen werden. Alle Teilnehmer müssen zudem eine „Einverständniserklärung zur Medienarbeit“ unterzeichnen, in der sie sich mit der Presseberichterstattung auch über ihre Person einverstanden erklären. Die Besitzverhältnisse im Ortsteil Goethestraße stellen wohl die größte Hürde bei der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ am empfohlenen Ort dar. Die Lösung dieses Problems (Zwischenerwerb durch die Stadt) ist aufgrund der Immobilienspekulation oftmals mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Sollte das Objekt dagegen von einem Dritten erworben werden, der von einer Kooperation überzeugt werden kann, weil er statt an einer kurzfristigen Gewinnerzielung an einer nachhaltigen ökonomischen

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Verwertung interessiert ist, steht einem solchen Projekt kaum etwas im Wege. Falls hingegen kein Interesse des Eigentümers an einem solchen Wettbewerb besteht, müsste die Maßnahme an einem Ort mit günstigeren Besitzverhältnissen umgesetzt werden. Da der Schwerpunkt des Tools „Laden zu verschenken“ auf der Unterstützung der Existenzgründer liegt, dient es vor allem der Förderung der lokalen Ökonomie. Das Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße stellt aufgrund des derzeitigen Leerstands eindeutig einen Möglichkeitsraum dar. Durch das Tool kann dieser nachhaltig aktiviert werden, die Art seiner Nutzung ergibt sich dabei aus dem Konzept des künftigen Mieters. Die intensive Medienberichterstattung über ein solches Projekt erhöht nicht nur die Chancen auf eine rege Beteiligung und auf einen ökonomischen Erfolg des zukünftigen Nutzers, sondern wirkt sich zweifellos auch positiv auf das Image des gesamten Quartiers aus.

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#07: PROBEWOHNEN

In der historischen Innenstadt von Görlitz können seit 2008 sämtliche Interessierte – Familien, Alleinerziehende mit Kindern, Lebensgemeinschaften, Ehepaare ohne Kinder, Singles und Senioren – unter dem Motto „Schau doch mal rein! Probewohnen“ eine Woche lang sanierte und voll eingerichtete Wohnungen mietfrei nutzen. Das Projekt wurde unter der Federführung der TU Dresden in Zusammenarbeit mit dem Görlitz Kompetenzzentrum Revitalisierender Städtebau, der Stadt Görlitz und der WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz ins Leben gerufen und mit Mitteln des Bundes aus dem Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) gefördert. Insgesamt gab es über 750 Bewerber aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland, die das Angebot annehmen wollten. Aufgrund dieses großen Interesses entschlossen sich die drei Projektpartner zur Fortsetzung des Programms bis 2010, so dass letztlich 120 Personen, Paaren und Familien eine Teilnahme ermöglicht werden konnte. Während die WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz mbH die Organisation übernahm, führte das Kompetenzzentrum die wissenschaftliche Begleitstudie durch, für die jeder erwachsene Teilnehmer befragt wurde. Ziel der gesamten Aktion war es, Görlitzern wie auch Ortsfremden die Vorteile und die Lebensqualität aufzuzeigen, die mit dem Leben in der Görlitzer Innenstadt verbunden sind. Durch die Erprobung bzw. Simulation des Wohnalltags konnten dabei eigene Wohnerfahrungen gemacht werden, außerdem erhofft man sich von den „Probewohner“ Hinweise für die weitere Quartiersentwicklung. Angesichts des hohen baukulturellen Werts der historischen Innenstadt ist eine Verbesserung der dortigen Wohnqualität wie auch des Images dieses Stadtraums von großer Bedeutung: „Nur auf dieser Basis gelingt die Erhaltung und zukunftsorientierte Nutzung älterer Häuser in der Innenstadt von Görlitz“ (Stadtforschung TU Bremen). Aufgrund des großen Erfolgs des Projekts erhielt die Initiative „Probewohnen“ 2009 den Nationalen Preis für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur. Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der Lage des Gebiets in einem historischen Innenstadtgebiet und der hohen Leerstandsquote,

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G ADOLFSTRASSE

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RÜCKENWIND

Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“ Vorkaufsortsgesetz § vom betroffene Gebäude

Einzelhandel würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Momentan gibt es bereits ein ähnliches Projekt, das leerstehende Immobilien als Ferienwohnungen offeriert. Der Ansatz des Probewohnens würde Restaurant allerdings noch weiter greifen: Zum einen würde das Projekt Leute Café anlocken, die bislang nicht die Absicht hatten, Bremerhaven zu Kneipe besuchen, zudem würden der Charme des Gründerzeitquartiers ins Bewusstsein rücken und die Leerstandsproblematikt thematisiert Friseur werden, es ließe sich mediale Aufmerksamkeit erzielen und die InterBegrünung views mit den Probanden könnten eventuell dabei helfen, Potentiale OLLINLANDSTRASSE aufzudecken. Das Probewohnen wäre somit auch Forschungsge- gestaltete Gärten genstand und würde dazu beitragen, elementare Fragen zu klären, physische Barrieren wie sich die Wertschätzung des Ortsteils Goethestraße sowie seine Schlüsselgebäude Wohnqualität verbessern lassen und welche gestalterischen VerändePassanten rungen damit verbunden sind. spielende Kinder

Als erster Schritt ist es natürlich notwendig, eine passende Immobilie Brachfläche für das Projekt ausfindig zu machen. Auf der Website der Wohnungsgesellschaft Stäwog steht momentan beispielsweise eine 67m2 große Wohnung im Herzen des Goethequartiers in einem schönen sanierten Gründerzeitgebäude leer. Das Objekt befindet sich in der Adolfstraße. Da die betreffende Wohnung aufgrund der momentanen Leerstandsproblematik im Quartier vermutlich für einen längeren Zeitraum nicht regulär vermietet werden kann, entstünden durch das Probewohnen nur relativ geringe Kosten, etwa für den organisatorischen Aufwand und die eventuell notwendige Renovierung. Andererseits würde die

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Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Görlitz

Aktion der Stäwog voraussichtlich viel mediale und öffentliche Aufmerksamkeit bescheren, die sich mittelfristig auch ökonomisch auszahlen dürfte. Zudem befände sich die Wohnung durch die Renovierung in bestem Zustand, so dass sie bei Interesse sofort vermietet werden könnte. Für die Möblierung der Wohnung würde es sich anbieten, ortsansässige Möbelgeschäfte oder Möbeltischlereien um Ausstellungsstücke zu bitten, um die Wohnung komfortabel und gemütlich einrichten zu können (im Unterschied zu Görlitz, wo ausschließlich IKEA-Möbel verwendet wurden). Die Renovierung könnten Bremerhavener Handwerksbetriebe übernehmen und im Gegenzug dafür als Sponsoren wirksame mediale Aufmerksamkeit genießen. Als Hauptakteur, der die Wohnung bereitstellt, kommt in erster Linie natürlich die Stäwog in Frage, das Stadtplanungsamt wäre wichtig bei der Koordinierung und Organisation des Projekts. Außerdem könnte das Designlabor die Aktion begleiten und auch die Befragung der Probanden sowie die Auswertung der gesammelten Daten übernehmen. Zudem müssten Sponsoren gefunden werden, die Möbel zur Verfügung stellen und Handwerksarbeiten übernehmen. Eventuell könnte auch das gesamte Projekt „Probewohnen“ unter Federführung des Designlabors stattfinden (in Kooperation mit der Stäwog natürlich) und unter dem Titel „Verlorene Orte 3“ die Forschungsreihe dieser Einrichtung mit dem Thema Leerstände im Wohnungsbereich fortsetzen. Damit würde das Projekt zweifellos auch

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einen besonders hohen kreativen und innovativen Gehalt bekommen. Beispielsweise könnten die Möbelstücke und Accessoires für die Wohnung von den Stipendiaten des Designlabors in Eigenregie hergestellt werden, zudem würden die Ergebnisse der Aktion anschließend in einem Projektbericht veröffentlicht werden. Das Tool „Probewohnen“ sollte baldmöglichst in Angriff genommen werden, da es relativ einfach und mit wenig finanziellem Aufwand umzusetzen ist, bei den Teilnehmern jedoch interessante Erfahrungen zutage fördert und auch den veranstaltenden Institutionen eventuell zu neuen Erkenntnissen verhilft. Zudem bringt solch ein Projekt auf jeden Fall mediale Aufmerksamkeit für das Goethequartier mit sich. Hinsichtlich der zeitlichen Dauer kann die Aktion zunächst auf einen einjährigen Zeitraum beschränkt werden, bei großer Nachfrage lässt sich das Projekt nach Belieben verlängern. Wenn das Projekt in Kooperation mit der Stäwog erfolgt, ergeben sich keinerlei rechtlichen Probleme, da die Wohnungsgesellschaft auf diesem Gebiet viel Kompetenz und Erfahrung mitbringt und im Allgemeinen gegen Schäden etc. bereits gut abgesichert ist. Die Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen, außerdem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da andernfalls eventuell Probleme mit sogenannten „Mietnomaden“ auftreten, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen. Zum einen nutzt das Tool „Probewohnen“ einen Möglichkeitsraum und zeigt durch attraktive Zwischennutzung dessen Potential auf. Zum anderen lässt es sich unter die Kategorie der Förderung lokaler Ökonomien einordnen, da es sich aktiv damit beschäftigt, wieder eine funktionierende Immobilienstruktur und damit Perspektiven für Mieter und Vermieter im Quartier zu schaffen. Nicht zuletzt beinhaltet es einen Marketingaspekt, da es mediale Aufmerksamkeit verschafft und der Außenrepräsentation dient.


#08: WÄCHTERHÄUSER

Große mediale Aufmerksamkeit erfuhr in jüngster Zeit das Projekt des 2004 in Leipzig gegründeten Vereins HausHalten e. V. Engagierte Stadtplaner, Architekten und Geographen haben sich dabei zum Ziel gesetzt, Altbaugebäude in städtebaulich wichtigen Lagen vor dem Verfall zu bewahren. Hintergrund der Aktion ist die seit 1990 erfolgte Sanierung von circa 80 Prozent der gründerzeitlichen Bebauung in Leipzig, die einherging mit einem Rückgang der Bevölkerung um rund 100.000 Einwohner im selben Zeitraum. Infolge dessen stehen derzeit etwa 45.000 Wohnungen in der Stadt leer. Durch das extreme Überangebot an Wohnraum besteht vielerorts kaum eine Chance auf reguläre Wiedernutzung, zugleich führt der Leerstand nicht nur zu einem schnelleren Verfall der Gebäudesubstanz, sondern bringt die Eigentümer oftmals auch in eine schwierige finanzielle Lage. Um den Verlust zumindest der denkmalgeschützten Gebäude zu vermeiden, hat es sich HausHalten e. V. zur Aufgabe gemacht, Eigentümer leerstehender Gebäude und kreative Raumsuchende zusammenzubringen: Die einen werden von ihren Betriebskosten entlastet und erhalten von den Nutzer Leistungen wie Instandhaltung und Kontrolle, die anderen bekommen ihrerseits viel Fläche für wenig Geld zur Verfügung gestellt. Mit diesem Modell wird Vandalismus verhindert, und entstehende Witterungsschäden werden von den Nutzern zügig gemeldet oder eigenständig behoben. Der Leitgedanke der „Wächterhäuser“ lautet somit: „Gebäudeerhalt durch Nutzung“. Konkret sieht es so aus, dass sich Interessenten bei dem Verein mit einem Konzept für ein „Wächterhaus“ bewerben können. Bevorzugt werden besonders kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungen, da man davon ausgeht, dass sie eine positive Ausstrahlung auf das Quartier haben. Wohnnutzung ist aus diesem Grund nur in Verbindung mit Gewerbenutzung möglich. Die Nutzer, die vor Einzug Mitglieder des Vereins werden müssen, bezahlen in der Regel keine Mietkosten, lediglich Betriebskosten und Vereinsbeiträge. Besonders in den ersten Monaten werden sie zudem in organisatorischen und bautechnischen Fragen unterstützt, außerdem stellt der Verein über die gesamte Nutzungsdauer Werkzeug für Reparaturarbeiten zur Verfügung. Generell übernimmt HausHalten e. V. neben der Vermittlung auch eine beratende Funktion: Eigentümern in besonders schwieriger

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Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig

Lage beispielsweise wird geholfen, Fördermittel zur Sicherung ihrer Gebäude zu beantragen. Zugleich werden vom Verein offensiv solche Nutzer („Hauswächter“) angeworben, die mit fachlicher Unterstützung in der Lage sind, die Immobilienobjekte in einen nutzbaren Zustand versetzten. Dabei wird auch auf das Wissen und Können der lokalen Bevölkerung und des Handwerks zurückgegriffen, kleinere Arbeiten an den Häusern werden zudem von langzeitarbeitslosen Jugendlichen im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt (HausHalten e. V.). Die Wohndauer in „Wächterhäusern“ ist zumeist begrenzt auf fünf Jahre, das Modell stellt also eine befristete Zwischennutzungslösung dar. Allerdings hat der Eigentümer die Möglichkeit, sein Objekt auch vorzeitig auf den klassischen Immobilienmarkt zurückzuführen, weshalb für beide Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen gilt. Das Projekt ist mittlerweile so erfolgreich, dass alleine in Leipzig bereits 13 solcher Wächterhäuser existieren, daneben interessieren sich auch andere ostdeutsche Städte (sowie zunehmend solche im Westen) für das Konzept. So wurden beispielsweise in Erfuhrt, Chemnitz und Magdeburg Vereine nach dem Modell von HausHalten e. V. gegründet

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KISTNERSTRASSE

Z O (23): L L Verortung INLAN D Tools STR ASS Abbildung des „Laden zu E verschenken“

und es entstanden erste Wächterhäuser (HausHalten e. V., HausHalten Magdeburg e. V., Stadthalten-Chemnitz e. V.). HausHalten e. V. in Leipzig lädt ausdrücklich dazu ein, das Konzept „Wächterhäuser“ zu kopieren. Aufgrund einer ähnlichen Problematik im Goethequartier (Leerstand und Verfall der gründerzeitlichen Bebauung) eignet sich das Konzept ganz offensichtlich für die Implementierung in diesem Gebiet. Da Eckgebäude in der hauptsächlich von Altbau gebildeten Blockrandstruktur eine herausgehobene Bedeutung haben, d. h. entscheidend für das Straßenbild sind, sollten diese zuerst als potentielle „Wächterhäuser“ geprüft werden. Zumal sie sich aufgrund eher ungünstiger Grundrisse und einem relativ kleinen Innenhofgrundstück regulär besonders schwer vermieten lassen und damit mehr als andere Gebäude vom Verfall bedroht sind. Konkret könnte sich etwa das als „Schlüsselgebäude“ identifizierter Objekt an der Ecke Goethestraße/ Kistnerstraße für die Umsetzung des Tools „Wächterhaus“ anbieten, doch auch andere Immobilien müssten natürlich auf ihre Eignung geprüft werden.

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Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenau

Für die Übertragung des Leipziger Konzepts auf andere Städte gibt es bei HausHalten e. V. eine Ansprechperson, die Beratung interessierter Kommunen übernimmt das Bildungs- und Kompetenzzentrum des Vereins. Zudem wurde ein Maßnahmenkatalog für die Errichtung eines „Wächterhauses“ erarbeitet, der an dieser Stelle kurz skizziert werden soll: 1. Zunächst werden geeigneter Objekte identifiziert, danach erfolgt die Kontaktaufnahme mit den Eigentümern. Diesen wird der Projektansatz vorgestellt und somit eine Möglichkeit aufgezeigt, ihrer häufig ausweglosen Situation zu entkommen. Anschließend folgen die Einschätzung des baulichen Zustands sowie die Erstellung eines fachlich fundierten Gutachtens über die unumgänglichen Sicherungsmaßnahmen. 2. In einem nächsten Schritt wird der rechtliche Rahmen des jeweiligen Projekts festgelegt. Auf Grundlage der abgeschlossenen Verträge können Zuschüsse und Fördermittel zur Gebäudesicherung an den Hauseigentümer gewährt werden.

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3. Danach werden Nutzer mit einem für das konkrete Gebäude passenden Konzept gesucht und die erforderlichen Sicherungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen durch Fachfirmen durchgeführt. Nun kann die Übergabe der Immobilie an die „Hauswächter“, die vom Verein beraten unterstützt werden, erfolgen. 4. Um den Ansatz des „HausHaltens“ insgesamt bekannt zu machen und zugleich positive Auswirkungen für das Quartier zu erzielen, bietet sich eine öffentlichkeitswirksame Eröffnung des Hauses, etwa mit einem Straßenfest, an (HausHalten e. V.). Für die erfolgreiche Einrichtung der „Wächterhäuser“ bedarf es natürlich gewisser Anfangsinvestitionen Allerdings können diese durch Einbeziehung von Fördermitteln und ehrenamtlicher Arbeit (zumindest theoretisch) beinahe auf Null reduziert werden. Obwohl prinzipiell ganz unterschiedliche Akteure für die Einrichtung der Wächterhäuser denkbar wären, etwa die Stadt selbst, die Stäwog, einzelne Eigentümer etc., scheint sich am ehesten das Modell aus Leipzig anzubieten: ein zu diesem Ziel gegründeter Verein aus engagierten Bürgern, die die gründerzeitliche Bausubstanz ihrer Stadt bzw. ihres Viertels erhalten wollen. Fachwissen in den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Stadtplanung oder Jura wäre dabei zwar von Vorteil, ist allerdings keine unbedingte Voraussetzung, da auf die grundsätzlichen, vielfach erprobten Verfahrensweisen sowie auf alle notwendigen rechtlichen Instrumente, die in Leipzig erarbeitet wurden, zurückgegriffen werden kann. Die Vorbereitung des Projekts kann einige Zeit in Anspruch nehmen, da viele Aspekte geklärt werden müssen. Die konkrete Zeitspanne, die etwa zwischen einigen Monaten und über einem Jahr variieren dürfte, häng dabei von vielen Faktoren ab: der Suche nach Eigentümern, der Zusammenstellung der beteiligten Personen, der Bereitstellung von Fördermitteln etc. Entscheidend ist jedoch, dass kaum etwas dagegen spricht, mit der Umsetzung sofort zu beginnen. Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat. Den grundsätzlichen rechtlichen Rahmen für die Wächterhäuser stellt zudem die sogenannte „Gestattungsvereinbarung Haus“ zwischen dem Eigentümer und dem zuständigen

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Verein/Akteur dar. Hierdurch wird die Übergabe der Nutzungsrechte an den Verein für einen bestimmten Zeitraum – in der Regel fünf Jahre – festgelegt. Die Eigentumsrechte und -pflichten werden dabei nicht berührt; ein Verkauf oder eine herkömmliche Sanierung beispielsweise sind weiterhin (auch während der Vertragszeit) möglich. Zwischen dem Verein und den Nutzern werden sodann Unternutzungsverträge abgeschlossen. In der Folge kann sich daraus ein direktes, reguläres Vertragsverhältnis ergeben (HausHalten e. V.). Ab dem Zeitpunkt, da der Wunsch entsteht, das Tool „Wächterhäuser“ im Goethequartier zu implementieren, bis zur Eröffnung des ersten Hauses sind sicherlich einige Hürden zu überwinden. So ist beispielsweise nicht sicher, ob der Eigentümer einer ins Auge gefassten Immobilie erfolgreich ermittelt werden kann und ob seinerseits die Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Projekt besteht. Zudem müsste zunächst sichergestellt sein, ob in Bremerhaven überhaupt genügend Personen vorhanden sind, die willens und in der Lage sind, einen Verein zu gründen und dessen Arbeit voranzutreiben. Durch die umfangreiche Vorleistung des HausHalten e. V. in Leipzig steht allerdings ein nicht zu unterschätzender Pool an Know-how bereit, der bei der Lösung möglicher Probleme hilfreich sein kann. Das Tool deckt wie kaum ein anderes alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zunächst einmal werden durch die Wächterhäuser „Möglichkeitsräume“, d. h. hier Wohnungsleerstand, nachhaltig aktiviert und für einen für das Quartier positiven Zweck eingesetzt. Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutige Orientierung an gewerblicher und kultureller Nutzung. Auch die Einbeziehung lokaler Handwerksbetriebe und die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur verfolgt das Ziel, die Wirtschaftskraft im Quartier zu stärken. Die Berichterstattung über das innovative und medienwirksame Projekt kann das Image des Quartiers zu verbessern helfen. Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt, so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven städtischen Gesellschaft.

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#09: MODE AUS DEM QUARTIER

Der kleine Hamburger Stadtteil Veddel, auf einer Elbinsel im Hafengebiet gelegen, ist äußerst multikulturell geprägt und wird in der Öffentlichkeit zumeist als sozialer Brennpunkt wahrgenommen. Das „Förderwerk Elbinseln e.V.“ jedoch suchte 2008 nach den Potentialen der dort lebenden Menschen und entdeckte, dass viele der Migrantinnen ausgesprochen gute Näherinnen sind und zum Teil Techniken beherrschen, die andernorts längst in Vergessenheit geraten sind. Daraufhin initiierte man – finanziert durch Gelder der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) – ein Bewerbungs- und Ausbildungsprogramm, das sich als so erfolgreich erwies, dass im folgenden Jahr, 2009, mit finanzieller Unterstützung der EU-Initiative „Lokales Kapital für soziale Zwecke – Stärken vor Ort“ ein Werkstatt-Atelier im Stadtteil Veddel eingerichtet wurde. Es folgte, ermöglicht durch Privatspenden und Förderprogramme, die Gründung einer Produktionsgenossenschaft, aus der schließlich in Kooperation mit der Hamburger Modedesignerin Sibilla Pavenstedt das integrative Projekt „Made auf Veddel“ hervorging. Im Herbst 2010 wurde dieses an die Pavenstedt & Pauli GmbH übertragen, die sich dazu verpflichtet hat, es mindestens bis 2013 im Sinne der Initiatoren weiterzuführen. Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit entsteht nun auf der Veddel aufwendige, multikulturell inspirierte Haute Couture. Als echter Verkaufsschlager erwies sich daneben zur Advents- und Weihnachtszeit individuell gefertigter Christbaumschmuck, der in Hamburger Boutiquen verkauft wurde. Die Teilnehmerinnen, Frauen aus aller Welt, profitieren von dem Projekt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wird ihnen ermöglicht, ihre handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen und weiterzuentwickeln, zum anderen gewinnen sie im Zuge dessen einen engeren Bezug zum eigenen Stadtteil und fühlen sich dadurch stärker integriert. Auch im Goethequartier leben viele Menschen nicht-deutscher Herkunft, weshalb man davon ausgehen kann, dass auch unter ihnen die eine oder andere Person zu finden ist, die über besondere Fähigkeiten in einer der diversen Handarbeitstechniken verfügt. Allerdings muss das Referenzprojekt „Made auf Veddel“ an die lokalen Gegebenheiten in Bremerhaven angepasst werden, da hier beispielsweise nicht

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Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck

dieselben potentiellen Käuferschichten wie in Hamburg existieren. Deswegen empfiehlt es sich, das Tool „Mode aus dem Quartier“ (zunächst) auf einer weit niedrigeren Ebene anzusiedeln und andere Kooperationspartner, Kunden und Vertriebswege eventuell erst zu einem späteren Zeitpunkt ins Auge zu fassen. Zunächst einmal sollte es darum gehen, einen losen Kreis aus talentierten Menschen mit Handarbeitsfähigkeiten zu bilden, der anfangs als informelles Netzwerk fungiert und dem persönlichen und fachlichen Austausch dient. Dafür müssen zunächst weder Räume gemietet werden, noch ist es notwendig, einen Verein, eine Genossenschaft o. Ä. zu gründen. Möglicherweise findet sich unter den Beteiligten bereits eine Person, die gemeinsam mit anderen eigene Entwürfe umsetzen möchte. Falls nicht, könnten etwa Privatpersonen gesucht werden, die Interesse an einer kostengünstigen Fertigung ihrer selbstentworfenen Kreationen haben. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass dies explizit unter einem eigenen Namen geschieht (der optimalerweise Bezug nimmt auf den Herkunftsort), da es mittelfristig das Ziel sein muss, die „Mode aus dem Goethequartier“ zu einer eigenen „Marke“ zu machen – nicht notwendigerweise im rechtlichen Sinne, aber zumindest inoffiziell. Als Kooperationspartner infrage kommen eventuell auch Absolventen des Studiengangs „Mensch und Mode“ der Hochschule für Künste

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Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige

Bremen, die sich nach dem Studium selbständig zu machen versuchen und dabei zum größten Teil über wenig finanzielle Mittel verfügen. Sollte es irgendwann gelingen, das Projekt kommerziell so erfolgreich zu gestalten, dass Einnahmen erzielt werden, kann schließlich auch über die Anmietung eigener Räume nachgedacht werden. Ein geeigneter Ort hierfür wäre beispielsweise das unter Tool #08 erwähnte potentielle „Wächterhaus“ an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, da dieses Konzept ausdrücklich eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe vorsieht. Da Menschen mit besonderer Begabung für textile Handarbeit im Normalfall eine Nähmaschine besitzen, sind keine größeren Anfangsinvestitionen notwendig. Für das Anbieten der eigenen Dienstleistungen eignen sich Anzeigen, Aushänge, Flyer etc., die ebenfalls nur recht geringe Kosten verursachen, hinzu kommt kostenlose Mund-zu-MundPropaganda und eventuell ein Internetauftritt. Ob mit diesem Projekt, ähnlich wie in Hamburg, Gewinne zu erzielen sind, lässt sich wegen der mangelnden direkten Vergleichbarkeit vieler Faktoren im Vorfeld nicht abschätzen. In diesem Zusammenhang muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass bei „Made auf Veddel“

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Abbildung (27): Eine Modenschau

wesentlich höhere Investitionen getätigt wurden, die durch Stiftungund Fördergelder aufgebracht wurden. Selbstverständlich bietet sich die Beantragung von Mittel aus Initiativen wie „Lokales Kapital für soziale Zwecke - Stärken vor Ort“ auch für das Goethequartier an, dazu muss das Projekt zunächst einmal allerdings einen hohen Konkretisierungsgrad erreicht haben und konzeptionell ausgearbeitet werden. Falls es gelingt „Mode aus dem Quartier“ bis auf eine kommerziell erfolgreiche Stufe zu führen, sind natürlich auch Einnahmen zu erwarten, da handgearbeitete Textilwaren prinzipiell begehrt sind. Im Vordergrund steht aber zunächst der integrative Gedanke. Personen, die über besondere Handarbeitskenntnisse verfügen, können eventuell in der Moschee im Viertel, in Kulturvereinen oder dem Frauencafé in der Goethestraße geworben werden. Die Vorlage einer solchen Anzeige inklusive Übersetzungen ins Türkische und Arabische, findet sich in Abbildung 26. Außerdem ist das Tool „Mode aus dem Quartier“ in besonderem Maße auf „Kümmerer“ angewiesen, die bei diesem Projekt die Initiative übernehmen, d. h. potentielle Kunden akquirieren, Kontakte suchen (bzw. bereits über diese verfügen), die Verständigung innerhalb der Gruppe organisieren etc.


Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen, bis die „Marke“ in Bremerhaven sowie, idealerweise, auch darüber hinaus ansatzweise etabliert ist, kann ein weiteres Jahr oder mehr vergehen. Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann jedoch ein eingetragener Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsgesellschaft (OHG). Sofern die Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen kommen, sind aller Voraussicht nach gewisse Sprachbarrieren und kulturelle Differenzen zu überwinden, auch die erste Kontaktaufnahme, d. h. die Suche nach interessierten Personen, gestaltet sich eventuell schwierig. Je nach Gruppengröße muss außerdem ein geeigneter Raum gefunden werden; infrage kommen hier sicherlich die „theo“ sowie möglicherweise das Frauencafé. Die größte Hürde dürfte jedoch das Herantragen des Angebots an mögliche Kunden darstellen, auf diesem Feld muss der „Kümmerer“ also besonders aktiv sein. Das Tool lässt sich zunächst einmal in die Kategorie „Kümmerkonzepte“ einordnen, da der Schwerpunkt bei diesem Projekt vor allem zu Beginn auf der sozialen Integration liegt und das Projekt viel persönliches Engagement benötigt. Im Idealfall gewinnt die „Mode aus dem Quartier“ auch eine lokalökonomische Bedeutung und kann damit zugleich zur Nutzung von Möglichkeitsräumen beitragen. Schließlich hätte eine Marke, die Bezug nimmt auf das Goethequartier, auch unter Marketinggesichtspunkten eine positive Wirkung auf das Image des Viertels.

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#10: ÖFFENTLICHE HOTSPOTS Die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verarbeiten und auszutauschen ist im 21. Jahrhundert zweifellos eine Grundvoraussetzung für sozialen und ökonomischen Erfolg. Unumstritten ist mittlerweile auch, dass das Internet als eine Metatechnologie die Schlüsselrolle in der Informationsgesellschaft spielt. Für Privatpersonen wird ohne Internetverbindung der Zugang zu vielen Verdienstmöglichkeiten, beruflichen Netzwerken und Konsummärkten erheblich erschwert, zum Teil sogar unmöglich gemacht. Zugleich zeigen empirische Studien, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen (in den Industrieländern sind es Frauen, ethnische Minderheiten, Menschen mit niedriger Bildung und geringem Einkommen, Bewohner des ländlichen Raums und Ältere) bei der Internetnutzung unterrepräsentiert sind. Dieses gesellschaftliche Phänomen wird als „Digitale Spaltung“ oder „Digitale Kluft“ bezeichnet. Da sich die Ungleichheit beim Zugang zum Internet zudem nachhaltig negativ auf die übrigen Lebensbereiche auswirkt, kann bzw. muss die Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ durchaus als öffentliche Aufgabe gesehen werden (Hiesmeir u.a. 2011). Viele Gemeinden stellen sich dieser Aufgabe bereits und fördern neben Internet-Einsteigerkursen beispielsweise den Ausbau der kostenlosen Internet-Infrastruktur. Eines der ersten Projekte dieser Art existiert seit Dezember 2002 in Hamburg: HOTSPOT HAMBURG ist ein Projekt der Initiative Hamburg@work in Kooperation mit der Deutschen Telekom, Fujitsu Siemens Computers, Datenlotsen-Informationssysteme und Siggelkow Computer und ermöglicht mittlerweile vielerorts einen drahtlosen Internetzugang. Zwar richtet sich das Angebot vor allem an Touristen, kann und wird jedoch auch von den Anwohnern genutzt (Hamburg Tourismus, Flensburg Online). Ein weiteres Pilotprojekt ist die „Hotspot-Initiative“ der österreichischen Stadt Linz. Hier wurden an 130 öffentlichen Gebäuden und Orten Verbindungsstationen für den Einstieg ins Internet per Funknetz eingerichtet. Zusätzlich gibt es an ausgewählten Orten auch kostenlose Leihlaptops (Hiesmeir u.a. 2011).

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Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs

Weltweit bekannt ist zudem das Angebot des Konzerns Starbucks: In mehr als 6.800 ihrer amerikanischen Filialen betreibt die KaffeehausKette eine Mediennetzwerk, bei dem die Besucher über das Internet auch Zugriff auf zahlreiche Musik- und E-Book-Angebote haben. In den deutschen Filialen ist die Internetnutzung allerdings auf zwei Stunden begrenzt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Aufenthaltsqualität durch kostenfreien Internetzugang so gesteigert wird, dass sich die Einrichtungskosten im Hinblick auf die ökonomischen Vorteile häufig sehr relativieren (Süddeutsche Zeitung). Das größte Projekt dieser Art kommt allerdings aus Estland: Der kostenlose Internetzugang ist in dem baltischen Staat ein verfassungsmäßiges Grundrecht. Mit über 1.000 Zugangspunkten wird hier praktisch das gesamte Land mit einer schnurlosen Internet-Infrastruktur erschlossen, rund die Hälfte der Punkte ist kostenfrei (Hamburger Abendblatt). Bremerhaven verfügt zwar bereits über einige kostenfreie Hotspots, allerdings handelt es sich überwiegend um kommerzielle Angebote, also um solche in Cafés oder Hotels. Außerdem befinden sich alle Angebote außerhalb des Ortsteils Goethestraße (Cityreview).

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Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur

Unsere Analyse der Bevölkerungsstruktur hat ergeben, dass jedoch gerade hier viele der Bevölkerungsgruppen leben, die bei der Internetnutzung in der Regel unterrepräsentiert bleiben, insbesondere ethnische Minderheiten und Menschen mit geringem Einkommen. Eine Hotspot-Initiative im Goethequartier könnte also zugleich ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ wie zur Aufwertung des Gebiets und zur Tourismusförderung sein. Bei der Umsetzung gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte: Die Umsetzung seitens der Kommune (Stadtnetz) oder das sogenannte „BürgerInnennetz“. Bei der technischen Implementierung eines Stadtnetzes bietet sich die sogenannte „vermaschte Topologie“ an. Dabei werden mehrere Zugangspunkte (oder Access-Points) in einem Netzwerk zusammengeschlossen, wobei sich jeder Punkt in Reichweite von zwei anderen befindet. Auf diese Weise kann ein größerer Versorgungsbereich mit Wireless LAN (WLAN) abgedeckt werden als bei anderen Technologien, die Einrichtung ist kostengünstiger, weil weniger Kabel benötigt werden, zudem kann so ein höherer Grad an Zuverlässigkeit hergestellt werden, da der Ausfall eines Knotens durch die anderen Knoten im Netzwerk abgefangen wird (Vachon u.a. 2009). Der zweite Ansatz, das „BürgerInnennetz“ existiert zum Beispiel bereits in London, Wien, Graz und in fast allen deutschen Großstädten. Seine Verbreitung wird allerdings durch den geringeren Bekanntheitsgrad etwas gehemmt. Grundlage dieser Technologie ist die Verbindung von privaten WLAN-Knoten seitens der Internetnutzer oder durch Vereine. Dabei wird der eigene Zugang kostenlos anderen Nutzern zur Verfügung gestellt, der Zusammenschluss erfolgt in der Regel selbstorganisiert. Bei genügend Teilnehmern entsteht auf diese Weise ein Netzwerk, das ganze Stadtteile umfassen kann und sämtlichen Mitgliedern einen mobilen Internetzugang ermöglicht. Die Abhängigkeit von einem Provider wird auf diese Weise überwunden. Unter www. freifunk.net wird die Funktionsweise und die Einrichtung eines „BürgerInnennetzes“ näher beschrieben (Hiesmeir u.a. 2011). Im Falle eines Stadtnetzes ist die Investition seitens der Gemeinde notwendig, angesichts der enormen positiven Auswirkungen werden

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Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum

diese eher geringen Ausgaben aber als sinnvoll erachtet. Da durch die Maßnahme auch die Privatwirtschaft in dem jeweiligen Gebiet profitiert, könnte die Finanzierung zudem durch die städtische Wirtschaftsförderung erfolgen. Auch die Einbeziehung von EU-Fördergeldern für Tourismusprojekte sowie eine eventuelle Mischfinanzierung sind denkbar. Eine Kooperation mit privaten Akteuren ist möglich, aber nicht vollkommen unbedenklich. Das Beispiel San Francisco, wo die Stadt eine Kooperation mit dem Konzern Google einging, hat gezeigt, dass bei diesem Modell ein Potential für Missbrauch durch die privaten Partner besteht. So wurden persönliche Nutzerdaten im großen Umfang gesammelt, um durch personifizierte und ortsgebundene Werbeanzeigen das Projekt zu refinanzieren. Ein „BürgerInnennetz“ erfordert dagegen keine städtischen Investitionen, wie die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, werden im Grundsatz lediglich ein alter Computer, eine selbstgebastelte Antenne und etwas Kabel benötigt, um ein Haus mit 35 Bewohnern für weniger als vier Euro pro Person und Monat mit Bandbreitinternet zu versorgen (Hiesmeir u.a. 2011).

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Die Akteurskonstellation variiert je nach Umsetzungsform: Eine kommunale Durchführung im Alleingang ist ebenso möglich, wie eine Kooperation mit der technisch ausgerichteten Hochschule Bremerhaven oder privaten IT-Unternehmen. Im Falle des „BürgerInnennetzes“ erfolgt die Umsetzung durch die Bewohner im Ortsteil selbst. Zu empfehlen sind bei dieser Variante Angebote zur technischen und juristischen Unterstützung der Anwohner. Im Hinblick auf die eher niedrigen Kosten, die sehr kurze Planungsund Ausführungsdauer sowie die gleichzeitig zu erwartenden großen positiven Auswirkungen empfiehlt sich eine frühzeitige Umsetzung. Denkbare Rechtsformen sind: die Realisierung als ein kommunales Projekt sowie die Umsetzung durch einen zu diesem Zweck gegründeten Verein oder eine GmbH. „BürgerInnennetze“ erfordern eine spezielle Vertragsform, die sogenannten „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenweiterleitung (Hiesmeir u.a. 2011). Für das Projekt lassen sich einige wenige Hemmnisse identifizieren: Zum einen ist die anonyme Nutzung von Hotspots in Deutschland aus juristischen Gründen untersagt, daher ist eine Anmeldung zumindest mit Nachnamen und einer beliebigen E-Mail-Adresse notwendig. Dadurch kann einerseits die Nutzungsbereitschaft sinken, andererseits bedarf es eines zusätzlichen Aufwands, um eine funktionierende Datenbank der angemeldeten Nutzer und ein Registrierungsinterface einzurichten (Hamburg Tourismus). Was die „BürgerInnennetze“ angeht, so hat sich erwiesen, dass – trotz der theoretisch recht einfachen Installation – die technische Umsetzung häufig eine immense Hürde darstellt, weshalb solche Freifunknetze bislang auch erst wenig Verbreitung gefunden haben. Zudem wirken die rechtlichen Aspekte auf Laien oftmals abschreckend, eine technische und juristische Beratung der Bürger erscheint deswegen unerlässlich (Hiesmeir u.a. 2011).

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Wie eine eigene Analyse der WLAN-Zugangspunkte im Goethequartier ergab, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt voraussichtlich noch kein Bürgernetz einrichten, da die dafür notwendige kritische Maße an Nutzern noch nicht erreicht ist. Somit empfiehlt sich die Umsetzung des Tools in Form eines Stadtnetzes. Insbesondere in diesem Fall stellt die Maßnahme eine indirekte Förderung der lokalen Wirtschaft dar, vor allem die Aufenthaltsqualität in gastronomischen Betrieben und im öffentlichen Raum wird durch den flächendeckenden Internetzugang erheblich verbessert. Bei einer baldigen Umsetzung, würden die öffentlichen Hotspots zudem in Bremerhaven ein Novum bedeuten und für das Goethequartier ein Alleinstellungsmerkmal schaffen. Nicht zuletzt könnten auch Existenzgründer auf die Einrichtung eines eigenen Internetanschlusses verzichten. Selbstverständlich kann flächendeckender Internetzugang auch für offensives Stadtteilmarketing genutzt werden: Öffentliche Hotspots bringen nicht nur einen höheres Maß an Aufenthaltsqualität und ökonomische Standortvorteile für den Einzelhandel, sondern sind auch für Touristen von Interesse. Für die erfolgreiche Umsetzung des Zugangs als ein BürgerInnennetz scheint die Unterstützung der Anwohner in technischen und juristischen Fragen von enormer Bedeutung zu sein. Eine mit diesen Fragen vertraute Person aus dem Ortsteil könnte eine ideale Lösung beim Abbau der identifizieren Hemmnisse darstellen.

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#11: COWORKING

Coworking (auch Co-working, auf Deutsch „zusammen arbeiten“) bezeichnet das Teilen eines Büros oder Arbeitsraumes, des Coworking-Space, sowie der damit verbundenen Infrastruktur. Im Unterschied zur Beschäftigungskonstellation in einem typischen Büro arbeiten die einzelnen Coworker meist nicht in derselben Firma oder für denselben Arbeitgeber, sondern sind Selbstständige und Freiberufler, die mit ihrer Arbeit häufig nicht an einen festen Ort gebunden sind. Auch für Leute die ansonsten zuhause arbeiten, stellt Coworking eine attraktive Alternative da. Die Vorteile sind dabei nicht nur finanzieller Art: Hinzu kommt, dass man zwar alleine arbeitet, sich dabei jedoch in einer belebten, gut ausgestatteten Arbeitsumgebung befindet. Die so entstehenden Kontakte wiederum fördern nebenbei die Kommunikation mit anderen selbständig Beschäftigten aus ähnlichen oder völlig anderen Arbeitsfeldern, woraus sich nicht selten Synergieeffekte ergeben. Zudem veranstalten einige dieser Einrichtungen auch gemeinsame Workshops oder Seminare (Coworking Wiki). Ein Beispiel für einen solchen Coworking Space ist das „betahaus“ in Hamburg, das seit 2009 besteht und zurückgeht auf die Initiative mehrerer Selbständiger und Freiberufler, die gemeinsam das Konzept entwickelten und umsetzten. Momentan gibt es in zwei Räumen insgesamt 44 Arbeitsplätze, die flexibel vermietet werden: Einen Arbeitsplatz gibt es für einen Tag, eine Woche oder auch einen ganzen Monat, daneben steht ein Konferenzraum zur Verfügung. Ein Tagesticket (9-17 Uhr) kostet 17 Euro, die monatliche Nutzungsgebühr beträgt 249 Euro, auch eine 24-Stunden-Nutzung ist gegen einen geringen Aufschlag möglich. Im Preis bereits inbegriffen ist die Nutzung der gesamten Infrastruktur: Hochgeschwindigkeitsinternet, WLAN, Drucker, Scanner, Kopierer, Fax sowie eine kleine Bar, an der kostengünstig Kalt- und Heißgetränke erworben werden können (betahaus Hamburg) Ein weiteres Referenzbespiel für das Tool „Coworking“ ist das „Rockzipfel Eltern-Kind-Büro“ in Leipzig. Die Besonderheit hier ist, dass arbeitenden Eltern ihre Kinder zur Arbeit mitbringen können, wo diese von anderen Coworkern wechselseitig betreut werden. Die Eltern


Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space :

geben dabei ihre Verantwortung nicht ab, sondern haben ihre Kinder in der Nähe und können jederzeit mit ihnen in Kontakt treten. In diesem Coworking-Space stehen sieben Räume zur Verfügung, darunter auch Ruheräume, Wickel- und Spielzimmer (Rockzipfel). Unter vielen Coworking-Spaces gibt es im Übrigen sogenannte „Roaming-Vereinbarungen“: So kann man z. B. mit einem Monatsticket des „betahauses“ Hamburg auch die gleichnamige Einrichtung in Berlin nutzen und wird somit in der Wahl seines Arbeitsortes noch flexibler. Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier in einem leerstehenden Ladenlokal oder einer Erdgeschosswohnungen, aber auch in einem komplett unbenutzten Gebäude eingerichtet werden. Mögliche Standorte hierfür sind im zahlreich vorhanden, eine Immobilie, die sich beispielsweise besonders anbietet, ist das Gebäude an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße. Eine große potentielle Nutzergruppe stellen dabei die Existenzgründer im Quartier dar, von denen einige momentan für eine befristete Dauer die Existenzgründeretage in der „theo“ nutzen, für die jedoch wiederum eine Warteliste existiert. Ähnlich wie in Hamburg sollte sich eine Gruppe möglicher Coworker zusammenfinden und gemeinsam ein Konzept entwickeln. Die Initiative dazu

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könnte etwa auch von der „theo“ ausgehen, indem Personen von der Warteliste und Nutzer, die aufgrund des Endes ihrer auf fünf Jahre beschränkten Mietzeit in absehbarer Zeit ausziehen müssen, aktiv miteinander in Kontakt gebracht werden, beispielsweise im Rahmen eines Existenzgründerseminars. Zur Einrichtung eines Coworking-Space sind zunächst einmal Investitionen in die Arbeitsinfrastruktur notwendig. Dem Beispiel der „theo“ folgend, könnte sich die Möblierung jedoch auf einen einfachen Schreibtisch, einen Bürostuhl und einen kleinen Schrank bzw. ein Regal pro Arbeitsplatz beschränken, wodurch sich die Kosten deutlich eingrenzen lassen. Größere finanzielle Aufwendungen sind darüber hinaus notwendig, um die Räumlichkeiten zu renovieren und in einen Zustand zu bringen, der die Nutzung als Büro ermöglicht. Bewirtschaftet werden kann ein Coworking-Space bei entsprechender Auslastung kostendeckend, zudem lassen sich die Anfangsinvestitionen wieder hereinholen. Für einen eventuellen Betreiber ist es auch möglich, kleinere Einnahmen zu erzielen Die zentralen Akteure sind die potentiellen Coworker selbst. Bei der Entwicklung und Umsetzung eines solchen Konzepts kann die Wirtschaftsförderung Bremerhaven sowie „die theo“ Hilfestellung geben. Desweiteren empfiehlt es sich, einem der deutschlandweiten Netzwerke beizutreten, die sich mittlerweile gebildet haben (mehr dazu unter www.coworking.de). Bei der Anmietung eines geeigneten Raumes könnten die Stäwog und das Stadtplanungsamt ein wichtiger Partner sein. Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier jederzeit entstehen. Wichtige vorbereitende Schritte wie die Erarbeitung eines Konzepts, die Schaffung aller nötigen rechtlichen Voraussetzungen (also z. B. die Gründung eines Vereins oder einer Gesellschaft) sowie die Suche nach geeigneten Räumen dürften rund ein Jahr beanspruchen. Das Projekt kann als eigenständige Firma im Handelsregister der Stadt Bremerhaven als GmbH eingetragen werden, ebenso ist die Organisation als Verein denkbar. Eine gewisse Herausforderung stellt das Finden geeigneter Räumlichkeiten dar. Viele Gebäude im Goethequartier haben einen hohen Renovierungsbedarf, bei leerstehenden Wohnungen kann zudem

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Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space

oftmals nicht einmal der Eigentümer ausfindig gemacht werden. Sollte ein geeigneter Raum gefunden werden, können die Renovierungskosten eventuell das Budget der Beteiligten übersteigen. Für Selbständige, die Kundenkontakt haben oder auf eine prestigeträchtige Adresse angewiesen sind bzw. Wert legen, könnte das momentane Imageproblem des Viertels unter Umständen ein Problem darstellen. Konflikte während der Nutzung schließlich sind nie völlig auszuschließen, da in Coworking-Spaces häufig sehr heterogene Berufsgruppen und unterschiedlche Arbeitsweisen aufeinandertreffen. Allerdings lässt sich in diesem Zusammenhang das Konfliktpotential bereits im Vorfeld minimieren, indem sich Nutzer aus ähnlichen Beschäftigungsfeldern zusammentun.

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Dieses Tool nutzt mit leerstehenden Wohnungen oder Ladenlokalen Möglichkeitsräume im Quartier. Zudem dient es der Unterstützung und Förderung von Existenzgründungen, ist also von hoher Relevanz für die lokalen Ökonomien. Sollte ein Coworking-Space im Goethequartier eingerichtet werden, wäre dies der erste in Bremerhaven, woraus sich auch Potential für Marketingmaßnahmen ergäbe. Immerhin handelt es sich hierbei um eine innovative und äußerst zukunftsträchtige Form der Arbeitsorganisation.

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#12: GASTRONOMISCHE ZWISCHEnNUTZUNG Auch wenn ihre Dauer begrenzt ist, tragen Zwischennutzungen häufig zur räumlichen Entwicklung bei: Indem sie auf soziale Prozesse Einfluss nehmen, prägen sie den Ort, an dem stattfinden, über den Zeitraum ihres Bestehens hinaus. Ein temporär genutzter Ort kann sich im Zuge dessen dauerhaft im städtischen Kontext verankern. Zudem verkörpern Zwischennutzer meist innovative, urbane Lebensstile, die durch sie entstehende Nachfrage kann nicht mehr mittels der zuvor existenten, etablierten Angebotsstrukturen abgedeckt werden, woraus wiederum auch längerfristigen Nutzungen ökonomische Vorteile ziehen. Zwischennutzungen finden in der Regel auf Flächen statt, für die sich zum entsprechenden Zeitpunkt keine reguläre, d. h. wirtschaftliche, Verwertung findet. Zugleich gilt: Je intakter die umliegende Infrastruktur, je besser die Anbindung und je dichter das Netz an potentiellen Akteuren ist, desto erfolgreicher kann eine Zwischennutzung realisiert werden. Ideale Bedingungen bestehen daher in Quartieren mit hoher Zentralität, guter Anbindung und einem Bewohnermilieu, das Zwischennutzungen annimmt. Am Beispiel Berlins zeigt sich, dass es vor allem junge Bewohner und Zugezogene sind, die imstande sind, sich ungenutzte Räume schnell anzueignen. Angestammte Bewohner hingegen brauchen dazu gewisse Anreize. Denn neben den Eigenschaften des Ortes spielen für die Initiierung einer Zwischennutzung die Bereitschaft zu Eigenleistung sowie gegenseitige Unterstützung, Kreativität und ein gut funktionierendes Netzwerk eine wesentliche Rolle. Wenn erst einmal ein Zwischennutzungsprojekt besteht und sich etabliert hat, kann dies eine Art Kettenreaktion ähnlicher Projekte auslösen: Das Vorhandensein neuer Konsumenten führt dazu, dass sich weitere Zwischennutzungen ansiedeln, die Konzentration bewirkt Konkurrenz, die sich mittelfristig positiv auf den gesamten Standort auswirkt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007). Der sogenannte Spreeraum-Ost in Berlin gilt als eines der bekanntesten Beispiele für eine intensive Zwischennutzung, zwischen Michaelbrücke und Elsenbrücke hat sich in den letzten Jahren eine einzigartige Dichte an Projekten aus diesem Bereich entwickelt. Ausschlaggebende Faktoren waren unter anderem die zentrale Lage, die bis dahin eher

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Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin

schleppend verlaufene wirtschaftliche Situation des Gebiets, die gute Anbindung und die Verfügbarkeit sehr unterschiedlicher Flächen. Eine entscheidende Rolle unter den diversen Typen temporärer Nutzung kommt dabei der Gastronomie zu, da gastronomische Angebote Konsumenten aus allen Bevölkerungsgruppen anlocken; es werden mehr Milieus angesprochen als beispielsweise durch ein Sportangebot auf einer Konversionsfläche. Eine der populärsten gastronomischen temporären Nutzungen in Berlin ist die Ponybar in Berlin-Mitte, Alte Schönhauser Straße 44. Das Projekt wurde 2001 zuerst als „Gastronomischer Garten“ in einer Baulücke realisiert, 2003 übernahmen die Betreiber der Ponybar den heutigen Garten. Das Gewerbe hat zwei Geschäftsführer, drei Angestellte und wird als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrieben. Konsumenten sind vorwiegend junge Leute, darunter ein Drittel Touristen und zwei Drittel Berliner. Eine gastronomische Zwischennutzung in einer Baulücke wäre Teil einer Strategie, mit der eventuell auch Bevölkerungsgruppen von außerhalb ins Quartier gelockt werden könnten. Da zudem die vorhandene Angebotsstruktur momentan nur unzureichend die Nachfrage der jungen Bewohner aus dem Ortsteil selbst bedient,

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erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt eine solche Nutzung als wünschenswert. Je nachdem, wie viel Kapital zur Verfügung steht, welcher Aufwand betreiben werden soll und welcher zeitliche Rahmen ins Auge gefasst wird, können unterschiedliche Konzepte realisiert werden: Ein GartenCafé wie die Pony Bar in Berlin etwa wird man nur saisonal betreiben können. Die räumliche Intervention, die damit verbunden ist, würde sich auf Möbel, Sonnenschirme, ein Toilettenhäuschen und einen überdachten Tresen beschränken. Für die Zubereitung von Getränken wäre zudem ein Strom- und Wasseranschluss notwendig. Bei der Suche nach einem geeigneten Ort ist weniger der Ist-Zustand des Grundstücks entscheidend als vielmehr die Idee hinter dem geplanten Konzept. Andererseits wird die ursprüngliche Idee in der Regel maßgeblich durch den Ort beeinflusst, so dass es also im Wesentlichen darum geht, zu ergründen, welche Inspiration ein Raum vermittelt und wie er andererseits an die Idee angepasst werden kann. Der nächste entscheidende Schritt für die Realisierung ist das Herantreten an bzw. die Suche nach dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks. Dabei kann das Vermessungs- und Katasteramt Bremerhaven behilflich sein, bei dem alle Liegenschaften und deren Eigentümer verzeichnet sind. Konkret infrage kommt im Goethequartier jede bestehende und zukünftige Baulücke, die weder zu groß ist (da darunter die Atmosphäre einer gastronomischen Zwischennutzung leidet) noch zu klein (da in diesem Fall nicht genügend Platz zur Verfügung steht). Auch eine ruhige und abgeschiedene Lage ist wegen des mangelnden Publikumsverkehrs nicht zu empfehlen, dagegen stellt Baumbestand kein Problem dar, sondern wird vielfach sogar erwünscht sein. Sehr zentral gelegen ist beispielsweise ein Brachengrundstück in der Uhlandstraße, sehr nah zur Goethestraße, das sich zudem direkt hinter dem Frauencafé befindet, so dass möglicherweise dessen Infrastruktur mit genutzt werden könnte. Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb der Zwischennutzung finanzieren lässt. Trotzdem sind eine detaillierte Kostenaufstellung und eine realistische Finanzierungsplanung vorweg zu empfehlen, ein Businessplan ist zudem ein gängiges und wichtiges Instrument, das für die Beantragung eventueller Kredite und die Akquirierung von Fördermittel unerlässlich ist. Bei diesem Schritt kann

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möglicherweise „die theo“, die über eine hohe Kompetenz im Bereich Existenzgründung verfügt, behilflich sein. Der Kostenaufwand vor Eröffnung kann je nach Ausstattung und Aufwand unterschiedlich ausfallen. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass Firmen häufig zu Marketingzwecken Mobiliar und andere Sponsoring-Materialien zur Verfügung stellen, wodurch die Kosten für die Einrichtung einer temporären Nutzungen erheblich gesenkt werden können. Meist sind dies Getränkelieferanten bzw. -hersteller, die damit den Abschluss von Verträgen über die Versorgung der gastronomischen Einrichtung mit ihren Produkten verbinden. Hierbei ist selbstverständlich die beschränkte Laufzeit der jeweiligen Zwischennutzung zu bedenken. Der wichtigste Akteur ist zunächst einmal der Eigentümer der jeweiligen Brachfläche, ohne dessen Einverständnis eine Umsetzung natürlich unmöglich ist. Eine befristete Nutzung hat dabei den Vorteil, dass sie kaum Veränderungen am Grundstück selbst mit sich bringt und zeitnah wieder entfernt werden kann, was den Vorstellungen eines Eigentümers entgegenkommt, der mittelfristig auf eine lukrativere Nutzung seiner Fläche spekuliert bzw. hofft. Als Vermittler, der in dieser Hinsicht Vertrauen schaffen kann, kommt die ESG Lehe in Betracht, zumal sich der Verein bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema beschäftigt und das nötige Netzwerk besitzt. „Die theo“ steht bei Fragen zum Thema Existenzgründung zur Seite und stellt eventuell Räume für die Planungsphase zur Verfügung. Was bei temporären Projekten immer eine Rolle spielt, sind persönliche Netzwerke, Freunde, Bekannte und Nachbarn, die angesichts des meist engen finanziellen Rahmens als freiwillige Helfer willkommen sind. Zudem schafft dies ein Gefühl der Zugehörigkeit, sowohl in Bezug auf die Nutzung als auch den jeweiligen Ort. Die Umsetzung dieses Tool an sich nimmt nicht viel Zeit in Anspruch. Was man aber berücksichtigen sollte, ist die Vorlaufzeit: Die Kommunikation mit dem entsprechenden Grundstückseigentümer kann sich unter Umständen schwierig und langwierig gestalten und auch für das Genehmigungsverfahren sollte etwas Zeit eingeplant werden. (Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass gastronomische Nutzungen, die auf die Zubereitung von warmen Speisen verzichten, vom Gewerbeamt weitaus schneller genehmigt werden als solche mit „warmer Küche“,

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da sie wesentlich weniger Auflagen erfüllen müssen.) Ein durchdachtes Konzept erleichtert und beschleunigt dabei die Vorbereitungsphase. Für eine saisonale Nutzung sollte man dafür mit mindestens drei Monaten kalkulieren, besser erscheint allerdings ein Planungszeitraum von sechs. Bei einer gastronomischen Nutzung werden Getränke und teilweise Speisen angeboten, daher muss beim Wirtschaftsamt eine Gaststättenerlaubnis beantragt werden. Für Veranstaltungen kann eine einfache Gestattung erteilt werden, sie gilt bis zu sechs Wochen. Die Gebühren richten sich nach der Größe des Betriebes, die Einhaltung von Hygieneauflagen wird vom Gesundheitsamt kontrolliert. Mit dem Grundstückseigentümer kann, wie im Fall der Ponybar, eine mündliche oder auch schriftliche Nutzungsvereinbarung getroffen werden, die Betriebskosten (von 1.000 Euro im Jahr beim Berliner Beispiel) und die notwendige Haftpflichtversicherung tragen dabei die Nutzer. Die Genehmigung für die Nutzung erfolgte durch das Gewerbeamt. Jede temporäre Nutzung muss zudem die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften beachten: Die Fläche darf beispielsweise nur dann Dritten zugänglich gemacht werden, wenn deren Schutz gewährleistet ist, bei Nichtbeachtung kann es zu Schadensersatzansprüchen kommen. Folgende Aspekte sollten daher beim Thema Sicherheit von Zwischennutzungen u. a. berücksichtigt werden: Bodenqualität/ Schadstoffe, schadhafte Einzäunung (Verkehrssicherungspflicht), Baumbestand (Instandhaltungspflicht), Streupflicht bei Winterbetrieb und Straßenreinigung. Einer der häufigsten Gründe, dass temporäre Nutzungen scheitern, ist, wie an dieser Liste nachvollziehbar wird, die umfangreiche Versicherungspflicht: Fast immer besteht das Amt auf einer Haftpflichtversicherung für das Grundstück und/oder eine Veranstalter-Haftpflichtversicherung, die aber dank bestimmter vertraglicher Regelungen jedoch auch beim Grundstückseigentümer verbleiben kann. In vielen Fällen kommt es nicht zu einer temporären Nutzung, obgleich Flächenpotentiale bestehen. Die Gründe hierfür liegen entweder beim Eigentümer oder aber im Ort begründet, beispielsweise wenn dieser zu große Anpassungen erfordert.

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Grundstückseigentümer sind selbstverständlich immer an einer möglichst rentablen Nutzung ihrer Liegenschaft interessiert und stehen daher Zwischennutzungen häufig kritisch gegenüber, auch wenn keine andere Lösung in Sicht ist. Insbesondere wenn der Aufwand für Verwaltung und Betreuung in keinem angemessenen Verhältnis zu Mieteinnahmen und eingesparten Unterhaltskosten stehen, werden die Eigentümer temporären Nutzungen nur widerwillig zustimmen. Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten Wohngebiet wie der Goethequartier nicht auszuschließen, daher ist eine abendliche Bewirtung schwierig. Das Tool deckt alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zwischennutzungen aktivieren Möglichkeitsräume, sie haben beispielhaften Charakter und stecken, wie bereits erwähnt, den sie umgebenden Raum häufig regelrecht an. Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutig gewerbliche Orientierung. Gastronomische Nutzungen binden die lokale Kaufkraft und generieren im Idealfall zusätzliche von außen. Die Berichterstattung über das medienwirksame Projekt kann das Image des Quartiers verbessern helfen. Eine eigene Internetseite oder der Eintrag auf Webseiten, die gastronomische Angebote auflisten (z. B. Qype), tragen ebenfalls zu seiner Breitenwirkung bei. Nicht zuletzt werden auch die Bewohner aktiviert und entwickeln dank der vor der eigenen Haustür vorhandenen Gastronomie eine stärkere Bindung an ihr Quartier. Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt, so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven städtischen Gesellschaft.


#13: ZEN-GARTEN

Zen-Gärten werden im japanischen „kare san sui“ genannt, was übersetzt soviel heißt wie „trockene Landschaft“. Mithilfe einfachster Elemente – erlaubt sind lediglich Kies oder Sand, größere Steine und Moos – wird dabei versucht, das „innere Wesen“ der Natur nachzuformen. Diese spezifische Landschaftsarchitektur wurde in Japan in der späten Kamakura Phase (1185-1333) entwickelt und beruht auf den Lehren des Zen-Buddhismus (Seike u. a. 1983). Zen-Gärten zeichnen sich durch ihre besondere Schlichtheit und Abstraktion aus und entfalten doch aus jeder Perspektive eine neue Spannung und Ästhetik. Bevorzugt werden asymmetrische Arrangements und Gruppierungen von Elementen in ungerader Zahl. Da diese nicht gleichmäßig aufzuteilen sind, verhindern sie, dass der Garten allzu vollkommen wirkt und erinnern damit an das Ungeordnete der Natur. Gegensätze sind in der japanischen Gartengestaltung zwar sehr wichtig, dennoch müssen alle Elemente in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, um Stille und Entspannung zu vermitteln. Ganz ähnlich wie bei der japanischen Tuschzeichnung werden auch im Garten „weiße Flächen“ ausgespart, um ein Gleichgewicht zu schaffen und der Phantasie des Betrachters Raum zu geben (Nitschke 1993). Einer der berühmtesten Zen-Gärten ist der Ryoanji in Kyoto, Japan, welcher durch seine Einfachheit und Mystik besticht. Auch in Deutschland findet die japanische Gartenkunst immer größeren Anklang, gute Beispiele finden sich u. a. in Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Berlin. In Gelsenkirchen etwa wurde das lange vernachlässigte und im Laufe der Zeit zugewucherte „Alpinum“ am Rande des Stadtgartens freigelegt und dient nun als Kulisse für einen japanischen Steingarten. Ehemals sprudelte aus den Felsen Wasser, floss in einen kleinen Bachlauf und mündete dann in einen See. Nun wird die Szenerie – auch aus Kosten- und Aufwandsgründen – durch Kies und Steine nachgestellt. Das Anlegen dieses Japanischen Steingartens hat gerade einmal 5.000 Euro gekostet, neben den Stadtdiensten waren noch eine Steinmetzfirma sowie einige weitere Betriebe beteiligt, welche Elemente für den Garten stifteten. Die Umsetzung zeigt, dass man auch mit bescheidenen Mitteln viel erreichen kann, wenn gute Ideen vorhanden

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Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan :

sind und sich einige Akteure zusammenschließen. Um die tägliche Pflege des Zen-Gartens kümmert sich im Rahmen einer Patenschaft ein benachbartes Hotel, welches selbst von der neuen Anlage profitiert (Der Westen). Anders als der Japanische Garten in Gelsenkirchen, wurde der in Kaiserslautern auf private Initiative hin angelegt: 1997 gründeten zunächst 18 Mitglieder den Verein „Japanischer Garten Kaiserslautern e. V.“, der für zunächst 30 Jahre ein Gartenareal am Standort Abendsberg von der Stadt Kaiserslautern pachtete. Zwar war und ist allein der Verein für die Entwicklung und Gestaltung des Gartens verantwortlich, doch steht dieser als öffentliche Anlage allen Bürgern zur Naherholung zur Verfügung. Wesentliche Ziele der Vereinssatzung sind nicht nur die bauliche Weiterentwicklung des Gartens, sondern auch die Nutzung des Gartens als Forum zur Förderung der japanischen Garten- und Lebenskultur sowie der internationale Austausch zwischen Deutschland und Japan, insbesondere mit der Partnerstadt Kaiserslauterns, Bunkyo-ku, einem Stadtteil von Tokio (Japanischer Garten Kaiserslautern e.V.). Nach zweieinhalbjähriger Bauphase, in der der Verein Unterstützung durch ABM-Kräfte erhielt, wurde 1999 der erste Abschnitt des Japanischen Gartens eröffnet. 2004 kam – dank finanzieller Unterstützung durch die Kunst- und Kulturstiftung der

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Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern

Stadtsparkasse Kaiserslautern – während eines zweiwöchigen Gartenbauseminars unter Leitung eines japanischen Gartenbaumeisters zu der bestehenden Anlage noch ein Zen-Garten hinzu. Inzwischen, 2011, hat der Verein über 800 Mitglieder, und der Japanische Garten in Kaiserslautern gilt als einer der größten Europas sowie als eine der Hauptattraktionen der Stadt. In Berlin schließlich entstand im Erholungspark Marzahn, im Rahmen des Projekts „Gärten der Welt“, ein Japanischer Garten, dessen Hauptteil im kare san sui-Stil, also als Zen-Garten, konzipiert ist und ein schönes Beispiel der japanischen Landschaftsarchitektur darstellt (GrünBerlin). Ein Zen-Garten in einer Baulücke würde neben den existierenden Grünflächen (und den hoffentlich zukünftig entstehenden Nachbarschaftsgärten) eine neue Form der Freiraumgestaltung in das Quartier bringen. Diese stellt eine zugleich unkonventionelle wie preisgünstige Alternative zu etwaigen Betonflächen dar, wie sie in den vergangenen Jahren hauptsächlich aus Kostengründen andernorts im Viertel angelegt wurden. Die Besonderheit einer solchen japanischen Steingartenanlage ist, dass unsere üblichen Assoziationen zu Grünflächen aufgebrochen werden, da wir hier mit ungewohnten ästhetischen

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Kategorien und einer untypischen Nutzung konfrontiert werden. Dass sich diese exotische Gattung der Landschaftsarchitektur aber durchaus auch auf das Goethequartier übertragen lässt und nicht etwa zu schick oder weithergeholt ist, zeigen die Referenzbeispiele aus anderen deutschen Städten. Der Reiz dieses Tools liegt ja gerade darin, dass etwas vollkommenes Neues, Exotisches geschaffen wird, das die Bewohner herausfordert, zum Nachdenken anregt, das das Quartier aufwertet und eventuell Besucher von außerhalb anzieht. Ein japanischer Zen-Garten benötigt nur eine geringe Fläche, sollte aber an einem halbwegs geschützten und ruhigen Ort liegen. Optimal dafür geeignet wäre eine Baulücke, in der sich ein kleiner, idyllischer Mikrokosmos schaffen ließe, welcher aufgrund des Zugangs nur von einer Seite seine Stille bewahren könnte. Infrage kommen dafür beispielsweise zwei Baulücken in der Heinrichstraße. Eine davon ist zwar mit Bäumen bewachsen, diese könnten aber möglicherweise in den Garten integriert werden. Ein entscheidender Vorteil eines Zen-Gartens ist, dass er im Unterhalt äußerst unaufwendig ist, da er, nachdem er einmal angelegt wurde, in seinem ursprünglichen Zustand verbleiben kann, ohne jemals gegossen oder sonst wie intensiv gepflegt werden zu müssen. Die Instandhaltung konventioneller öffentlicher Freiflächen und Grünanlagen ist dagegen für die Stadt häufig sehr kostenintensiv. Auch für die Einrichtung eines japanischen Steingartens fallen keine größeren Summen an, benötigt werden lediglich einige massive Steine, Moos und jede Menge Kies – jeweils im ursprünglichen Sinn des Wortes! – sowie ein kleiner Bagger. Wasserelemente, Blumen, Pflanzen oder Bäume sind in der Zen-Philosophie dagegen nicht vorgesehen, weshalb umfangreiche Bodenarbeiten, die bei Baulücken unter Umständen ein besonderes Problem darstellen könnten, völlig entfallen. Getragen werden müsste das Projekt wohl von der öffentlichen Hand, d. h. der Stadt Bremerhaven, möglicherweise ließe sich für eine solch prestigeträchtige Anlage aber auch ein Sponsor finden, zum Beispiel ein lokaler Gartenbaubetrieb. Als weiterer Kooperationspartner könnte die Astrid-Lindgren-Schule fungieren: Beispielsweise wäre es denkbar, dass im Rahmen einer

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AG oder auch einer regulären Klasse das Projekt „Japanischer Steingarten“ durchgeführt wird, und die Kinder auch im Folgenden die Anlage pflegen und eventuell für Mediationsunterricht nutzen. Desweiteren muss notwendigerweise das Wissen eines Gärtners, welcher sich für japanische Gartenbaukunst interessiert, oder eines (Hobby-) Japanologen in das Projekt mit einfließen. Die Nordsee-Zeitung könnte zudem zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Projekt sowie der Akzeptanz des Vorhabens beitragen. Zum Beispiel ließen sich Intention, Geschichte und Nutzung japanischer Steingärten in einem oder mehreren Artikeln beleuchten, um so den Bewohner diese neue Form der Freiraumgestaltung näherzubringen. Natürlich bietet sich auch die Gründung eines Vereins an, der sich mit der Pflege des Gartens und der japanischen Kultur beschäftigt, ähnlich wie im Beispiel Kaiserslautern. Eine Realisierung dieses Tools ist jederzeit möglich. Eine baldige Umsetzung wäre jedoch wünschenswert, da ein solches Projekt das Goethequartier mit recht einfachen Mitteln aufwerten und für mediale Aufmerksamkeit sorgen würde. Da Kosten wie auch Aufwand der Umsetzung relativ gering sind, ließe sich, falls eine längerfristige Nutzung für die Baulücke gefunden wird, ein Zen Garten auch schnell wieder abbauen, zumal er einen vergleichsweise temporären Charakter besitzt. Falls sich die fragliche Baulücke im Eigentum der Stadt befindet und ein Verein die Umsetzung übernehmen will, bietet sich ein befristeter Pachtvertrag an. Gehört sie einem privaten Eigentümer, käme eventuell auch das im Zusammenhang mit Tool #05 (Nachbarschaftsgärten/ Interkulturelle Gärten) beschriebene Modell einer Nutzungsvereinbarung infrage, bei der sich der Vertrag so lange jeweils automatisch um ein Jahr verlängert, bis eine Neubebauung konkret in Aussicht steht. Mit möglichen Nutzungskonflikten, einer Zweckentfremdung als Hundekotplatz und Vandalismus ist zu rechnen. Deswegen erscheint es extrem wichtig, eine breite Akzeptanz für das Projekt zu schaffen und insbesondere auch die Nutzung eines Zen-Gartens den Quartierbewohnern näher zu bringen. Ansonsten könnte man natürlich eine physische Barriere um den Steingarten anlegen und ihn nur tagsüber öffnen, um so nächtlicher Zerstörungswut entgegenzuwirken. Damit die Anlage darüber hinaus in einem gepflegten Zustand bleibt wäre es,

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wie das Beispiel Gelsenkirchen zeigt, sinnvoll, eine Patenschaft an ein benachbartes Unternehmen oder eine Privatperson zu vergeben, die bei Bedarf den Müll entsorgt oder den Kies harkt. Das Tool „Zen-Garten“ fällt zunächst einmal in die Kategorie Möglichkeitsräume, da es eine Baulücke nutzt. Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, für das es dank seines extrem hohen Innovationsgehalts sorgen würde, ist es zudem ganz ohne Frage ein Marketinginstrument. Schließlich benötigt solch ein Projekt in der Planungs- und Umsetzungsphase eine Person, die es vorantreibt, also einen Kümmerer. Ein solcher kann auch der Pate sein, der sich in der Folge der Pflege des Gartens widmet.

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#14: ALTEnGERECHTES WOHNEN

Als Referenz für dieses Tool kann ein Pionierprojekt aus dem Goethequartier selbst dienen: das Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße 43. Dort wurde 2002 mit Hilfe des städtischen Wohnungsunternehmens Stäwog aus einer denkmalgeschützten Gründerzeitstadtvilla ein Gebäude, das den Bedürfnissen speziell der älteren Generation entspricht. Von den ersten Planungen vergingen bis zur Realisierung vergingen rund drei Jahre. Währenddessen baute der Vermieter, die Stäwog, das Haus nach den Wünschen der zukünftigen Mieter um, dazu gehörten neben Sanierungsmaßnahmen ein gläserner Fahrstuhl, neue Balkone und eine barrierearme Gestaltung im Inneren. Dabei wurde in Absprache mit den künftigen Bewohnern festgelegt, welche Arbeiten der Vermieter zu übernehmen hatte und welche Sonderwünsche selbst finanziert werden mussten. Um besser kalkulieren zu können und finanziell abgesichert zu sein, ließ die Stäwog zudem alle Mieter in spe vor Baubeginn die Mietverträge unterschreiben [Lebens(t)raum]. Nach dem Umbau umfasst das 1903 erbaute, denkmalgeschützte Haus in der Goethestraße 43 zehn barrierearme, abgeschlossene Wohnungen mit jeweils zwei bis vier Zimmern. Im Parterre entstand eine emeinschaftlich genutzte Wohnung mit Gemeinschaftsraum, Bad und Küche sowie einem Atelier, einer Werkstatt und einer Sauna. Ein großzügiger Dachboden bietet Platz für einen Billardtisch und Sportgeräte. Zum Innenhof hin wurden die historischen Balkone gegen großzügige moderne ausgetauscht, der verglaste Fahrstuhl wurde aus praktischen Gründen ebenfalls auf der Hofseite an der Außenfassade angebracht. Zum Konzept des Mehrgenerationenhauses, in dem heute drei Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie unter dem Motto „Selbstbestimmt und Tür an Tür gemeinsam mit Menschen“ leben, beinhaltet auch die Möglichkeit gemeinsamer Freizeitgestaltung und gegenseitiger Unterstützung sowie vereinfachter sozialer Kontaktaufnahme im Alter. Der Gemeinschaftsraum wird auch für externe Veranstaltungen, wie etwa die Stadtteilkonferenz, genutzt. Ein weiteres, ähnliches Projekt wurde auch in einem Gebäude in der Goethestraße/Ecke Dorotheastraße realisiert: Auch dort bei haben

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Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43

ältere Bremerhavener ihre Einfamilienhäuser am Stadtrand verkauft und gemeinsam eine Gründerzeitvilla saniert, um im Rentenalter ruhig und innenstadtnah leben zu können. Dass solche Wohnmodelle zu einer Attraktivitätssteigerung des Goethequartiers sowie zu einer Verbesserung seines Images beitragen, steht außer Frage. Das altersgerechte Wohnen stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar. Auch wenn Umfragen zeigen, dass die Altersgruppe 50+ ein möglichst langes Wohnen in den eigenen vier Wänden anstrebt (Protze u. a. 2006), zeigt sich, dass insbesondere im gehobenen Einkommenssegment der „Silver Ager“ eine hohe Experimentierfreude und Mobilitätsbereitschaft vorhanden ist. Nach eigenen Angaben möchten viele Rentner heute gerne innenstadtnah leben, um mobiler zu sein und kulturelle wie soziale Angebote nutzen zu können. Dabei wollen sie aber nicht auf den gewohnten Komfort, wie etwa einen kleinen Garten oder Autostellplätzen, verzichten. Entsprechende Angebote für ein „Smart City Housing“, die noch dazu mit gebündelten Dienstleistungsangeboten wie Wohnungsreinigung oder Einkaufsservice verbunden sind, werden bislang jedoch kaum offeriert (Milleker 2006).

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Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverantwortlichen :

Das Goethequartier besitzt in dieser Hinsicht zahlreiche Vorteile: seine innenstadtnahe Lage (das Zentrum ist fußläufig in zehn Minuten zu erreichen), der gut ausgebaute ÖPNV, die vorhandene Nahversorgung inklusive sozialer Einrichtungen etc. Zudem bietet das historische Gründerzeitquartier ein urbanes Flair und zugleich die nötige Ruhe, die ältere Menschen schätzen. Ein Handlungskonzept, das generationengerechtes Wohnen in Bremerhaven fördert, müsste sich vor allem auf das Segment der älteren Wohnungsnachfrager konzentrieren, da diese eine weiter rasch zunehmende Gruppe darstellen. Bestehende Aktivitäten, vorhandene Einrichtungen und Beratungsangebote in diesem Bereich müssen zielgerichtet ausgebaut und gefördert werden. Das Handlungskonzept sollte dabei folgende Schwerpunkte setzen (vgl. Protze u.a. 2006). - Anpassungen des Wohnungsbestands im Hinblick auf barrierefreies Wohnen ­ - Aktivierung eines generationsgerechten Wohnungsneubaus­ - Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen insbesondere durch fachliche Unterstützung - Schaffung von weiterer sozialer Infrastruktur im Stadtteil - Verstärkte Information und Marketing

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Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten für Planungund Durchführung verbunden: Die Mittel für Marketing, Information und Organisation könnte dabei die öffentliche Hand, also die Stadt, übernehmen, die altersgerechte Sanierung jedoch müssten der jeweilige Hauseigentümer selbst tragen, wobei er im Gegenzug dafür auch höhere Mieterträge erhält. Da die Kosten für den Einzelnen sehr hoch sind, das Projekt gleichzeitig aber einen hohen Innovationsgehalt besitzt, kommt die Förderung durch Gelder aus öffentlichen Programmen wie dem Stadtumbau West in Betracht. Die Stäwog überzeugte schon bei dem Pionierprojekt Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 mit Kompetenz und großem Geschick. Von ihrer Erfahrung als städtische Wohnungsgesellschaft ließe sich auch bei zukünftigen Projekten profitieren. Desweiteren muss das Stadtplanungsamt Informationen bereitstellen und aktiv für ein altersgerechtes Quartier eintreten. Um ein Projekt wie das Mehrgenerationenhaus ins Leben zu rufen, ist aber vor allem das Interesse potentieller Bewohner von elementarer Bedeutung, die sich bei der Umsetzung über das normale Maß hinaus engagieren müssen. Falls das Ziel besteht, im Goethequartier altersgerechtes Wohnen zu fördern, sollte dies baldmöglichst von der Stadt und der Stäwog kommuniziert werden. Bei entsprechender Nachfrage können die notwendigen Sanierungsmaßnahmen beginnen, die natürlich stark vom Interesse der Hauseigentümer abhängen. Die Durchführung von Projekten würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen. Für den Fall, dass Interessierte selbst als Bauherren agieren möchten, können sie beispielsweise eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gründen. Diese Rechtsform ist besonders geeignet, da keine gesetzlich festgelegten Einlagen notwendig sind. Andererseits können Austrittshürden eingerichtet werden, da der Rückzug eines Einzelnen aus einer Bauherrengruppe das gesamte Projekt gefährden könnte. Ferner räumt der Bundesgerichtshof der GbR eine beschränkte Haftung einzelner Gesellschafter ein, falls dies in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegt ist (IHK Bremerhaven). Tritt die zukünftige Bewohnerschaft eines generationengerechten Hauses hingegen nur als Mietergruppe auf, kann ein Verein gegründet werden, der dem Vermieter als Vertragspartner dient. Beim Pionierprojekt Lebens(t)raum wurde jedoch auch darauf verzichtet, stattdessen schloss jeder Mieter einen individuellen Mietvertrag mit der Stäwog ab.

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Vergleicht man im Hinblick auf das Wohnen im Alter Wunsch und Realität, so zeigen sich große Differenzen: Wie Umfragen belegen, zeigt sich die Generation 55+ anderen Wohnformen als dem traditionellen Wohnen in den eigenen Wänden gegenüber durchaus offen und flexibel. So könnten sich beispielsweise rund 30 Prozent dieser Altersgruppe vorstellen, in einer Hausgemeinschaft zu leben, während sechs Prozent dies sogar definitiv vorhaben (vgl. Milleker 2006). Tatsächlich liegen die Zahlen aber weitaus niedriger, da bislang geeignete Angebote fehlen. Dies liegt unter anderem an den recht hohen Kosten, die eine altersgerechte Sanierung mit sich bringt, und die bei einem Mietpreisniveau wie beispielsweise im Goethequartier kaum zu refinanzieren sind. Auch das Imageproblem des Quartiers stellt eine hohe Hürde dar, daher wäre es wichtig, durch Marketingstrategien einen Imagewandel von einem durch soziale Probleme und Leerstand geprägten Viertel zu einem altersgerechten, qualitativ hochwertigen und citynahen Wohnstandort in Gang zu setzen und dieses neue Konzept einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das Tool fällt in die Kategorien Möglichkeitsräume, da altersgerechtes Wohnen ein neues Konzept für die Nutzung leerstehender Altbauten im Quartier darstellt. Wie die Erfahrung des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 lehrt, braucht es zudem eine kleine Gruppe engagierter Menschen, die solch ein Projekt initiiert und von der Planung bis zur Umsetzung begleitet. Mehrere dieser Projekte sind auf jeden Fall geeignet, einen Imagewandel des Viertels in Gang zu setzen bzw. zu unterstützen, weshalb sich generationengerechtes Wohnen auch als ein Marketinginstrument begreifen lässt.

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#15: BALKONE IN BAULÜCKEN

Die Anregung für dieses Tool lieferte ein Projekt des Architekturbüros HPP, das 1998 in Leipzig-Connewitz mit „Wohnen für junge Menschen“ ein Beispiel schuf, wie Baulücken als Potential genutzt werden können: Die Lücke zwischen den Häusern bedeutet für die Architekten nicht Leere, sondern ermöglicht eine geradezu skulpturale Brücke. Auch in Leipzig wurde die innovative Idee aus der Not heraus geboren: Der Stadtteil Connewitz ist wie das Goethequartier ein dichtes gründerzeitliches Wohnquartier mit Blockrandbebauung, das aufgrund starker Abwanderung und mangelnder Investitionen heute große Brachflächen aufweist. Zugleich stellt dieser Stadtteil aber auch ein beispielhaftes Modellprojekt für einen neuen qualitativen Stadtumbau dar, bei dem mit immer weniger Menschen versucht wird, Stadtstrukturen aufrecht zu erhalten. Das Büro HPP etwa beweist, dass der Umgang mit Lücken und immer geringerer baulicher Dichte durchaus reizvoll und spannend und darüber hinaus auch bezahlbar sein kann. Im Falle des Referenzbeispiels handelt es sich um offene Erschließungsbrücken, welche die Gebäude miteinander verbinden und zugleich Wohneingangsbereiche darstellen. Inzwischen haben sich die Bewohner, zumindest in der wärmeren Jahreszeit, ihre Brücken angeeignet und nutzen diese als Freiluftsitz und grüne Balkonoase. Entstanden ist das Projekt durch ein architektonisches Gutachterverfahren unter dem Titel „Wohnen für junge Menschen“ inklusive anschließender Entwurfsrealisierung. Ausgerufen wurde der Wettbewerb von der Stadt Leipzig und der lokalen Wohnungsbaugenossenschaft, welche sich die Förderung individueller und anpassungsfähiger Wohnformen mit der Option der Eigeninitiative zum Ziel gesetzt hat. Zum Sieger wurde der Entwurf von HPP gekürt, welcher sechs freistehende Hausquader – verbunden mit den beschriebenen Balkonbrücken – vorschlug, um den Blockrand wiederherzustellen und zugleich zu einem neuen, großen begrünten Hof überzuleiten (Käpplinger 2001). Das Projekt trug wesentlich zur Quartiersbelebung bei und fand in einem sonst als schwierig geltenden Wohnumfeld rasch Mieter. Als weiteres Referenzbeispiel – aus rein ästhetischer Sicht, jedoch auf einer völlig anderen Ebene angesiedelt – kann das Gebäude der Swiss

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Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Architekten

Re-Versicherung in München-Unterföhring dienen. Die Architekten des Büros Bothe Richter Teherani gestalteten den Verwaltungsbau mit einer Art „schwebenden“ Hecke, die um das Gebäude herumführt, so dass man das Gefühl hat, in einer grünen „Oase“ zu arbeiten anstatt in einem trostlosen, peripheren Gewerbegebiet. Das Gebäude besteht aus insgesamt 16 Flügeln, die in den oberen Geschossen von einem begehbaren Rankgitter umfasst werden, auf dem die Mitarbeiter auf einer Länge von 600 Metern in luftiger Höhe um das Gebäude herumgehen können. Momentan bedecken Glyzinien und wilder Wein noch eher spärlich den Maschendrahtzaun, an dem sie emporwuchern sollen, in ein paar Jahren jedoch, wenn sie das Gebäude komplett umwachsen haben, werden sie bis zur Unterkante des Gerüsts

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Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München

entlaubt, so dass die Hecke dann aus der Ferne wirkt, als würde sie schweben (Kunz u. a. 2005). Das Beispiel aus Leipzig ließe sich sehr gut auch im Goethequartier in Baulücken, die in der Blockrandstruktur entstanden sind, umsetzen. Große private Freiluftsitze hätten hier ihren besonderen Reiz, da in der gründerzeitlichen Architektur die Balkone eher Zier- als Nutzbalkone darstellen. Die moderaten baulichen Ergänzungen würden zu einer Aufwertung des Quartiers beitragen, die Balkonwohnungen wären auch für neue Mieter aus anderen Stadtteilen attraktiv. Zudem würden die momentan zugewucherten und vermüllten Baulücken dank der neuen, kreativen Nutzung nicht länger Problemflächen darstellen und die städtebauliche Struktur der Blockrandbebauung wäre – zumindest im Ansatz – relativ unaufwendig wieder hergestellt. Um den Balkonen in dem sehr dichten Viertel ein private Atmosphäre zu geben, könnte das beschriebene Projekt des Architekturbüros Bothe Richter Teherani als Beispiel herangezogen werden: Mit der „grünen Haut“ erhielt das Versicherungsgebäude eine halbdurchlässige Schicht, die es von seiner Umgebung abschirmt. Auf ähnliche Weise ließe sich auch auf den Balkonen eine Privatsphäre herstellen. Zudem würden die so entstehenden vertikalen Grünfläche für die umliegenden

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FRAUENCAFÉ HAUS 43

GOETHESTRASSE

UHLANDSTRASSE

§

HEINRICHSSTRASSE

Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“

ADOLFSTRASSE

RÜCKENWIND Bewohner einen besonderen Blickfang darstellen und ein wenig Grün in die ansonsten dichte Bebauungsstruktur bringen, zumal der der Wunsch nach einer grüneren Gestaltung des Quartiers nach eigenen Erfahrungen sehr hoch ist. Für die konkrete Umsetzung des Tools kommen bereits bestehende Baulücken in der Mitte der Blockrandstruktur infrage, aber auch das ISTNERSTRASSE Grundstück am Quartiersplatz in der Uhlandstraße, das in naher Zukunft im Zuge des Vorkaufsortsgesetzes abgerissen werden dürfte. Die Finanzierung müssten die jeweiligen Hausbesitzer selbst tragen, könnten in der Folge aber damit rechnen, dass dieser innovative Anbau in den Lücken auch den Wert der Wohnungen steigert und diese so leichter vermittelbar sind. Die Kosten hängen von der Art der Baukonstruktion ab sowie von der Frage, ob Bauteile speziell angefertigt werden müssen oder nicht. Wenn die Konstruktion von den Hauswänden unabhängig auf Stützen ruht, ist dies preiswerter als die Z O L L I N L A Nnachträgliche D S T R A S SAnbringung E am bestehenden Mauerwerk, wodurch sich zudem statische Probleme ergeben könnten, so dass die tragenden Außenwände nachgestärkt werden müssten. Allerdings erscheint die zweite Lösung raffinierter, da sie den Eindruck der Leichtigkeit und des sozusagen „freien Schwebens“ vermittelt. Genaue Kosten können

Vorkaufsortsgesetz § vom betroffene Gebäude Einzelhandel

Restaurant Café Kneipe Friseur

Begrünung

gestaltete Gärten physische Barrieren Schlüsselgebäude Passanten

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Brachfläche


Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss Re-Gebäude empor

nur von einem Architekten berechnen werden und sind abhängig von den jeweiligen Umständen. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist dieses Tool allerdings in jedem Fall relativ teuer einzuschätzen. Wichtigste Akteure sind die jeweiligen Hausbesitzer, die die baulichen Veränderungen durchführen. Daneben sind noch die Arbeit eines innovativen Architekten sowie die Unterstützung durch das Stadtplanungsamt vonnöten. Die Implementierung der Balkone in Lücken ist im Katalog der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen weit hinten angesiedelt, da die finanzielle Dimension wie die Umsetzungsdauer als eher hoch eingeschätzt werden. Außerdem ist dieses Tool wohl erst sinnvoll, wenn das Quartier bereits eine gewisse Aufwertung erfahren hat, da erst dann die Eigentümer die Sicherheit haben, für ihre verbesserten Wohnungen auch Mieter zu finden, die solvent genug sind, die höheren Mietpreise zu bezahlen. Für die Errichtung der Balkone ist lediglich eine Baugenehmigung erforderlich.

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Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und zeitliche Aufwand dar. In erster Linie nutzen die Balkone auf besonders innovative Weise das Potential, das der Möglichkeitsraum „Baulücke“ bietet. Da sie zudem den jeweils betroffenen Wohnungsbestand direkt aufwerten und damit den Immobilienmarkt stabilisieren helfen, wird auch die Kategorie „lokale Ökonomie“ berührt. Der Marketingeffekt, der sich durch die Umsetzung des Tools bewirken ließe, ist nicht zu unterschätzen: Eine solch innovative Idee würde nicht nur in der lokalen Presse, sondern auch in bundesweiten Fachzeitschriften vorgestellt werden sowie Besucher aus der ganzen Stadt und darüber hinaus anziehen.

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4. Interventionen


Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35 Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken

4.1 Kinder-Fotosafari

Für die Intervention ausgewählt wurde das Tool #04, „Temporäre Stadt“. Zur Diskussion standen dabei eine Reihe möglicher Aktionen (von einem Grillfest über eine Ausstellung mit lokalen Künstlern bis hin zu einer Filmvorführung), die im Rahmen einer Nutzwertanalyse hinsichtlich ihres zeitlichen Horizonts, der Kosten sowie der zu erwartenden Außenwirkung bewertet wurden. Im Ergebnis erschien eine Kinder-Fotosafari mit anschließender Ausstellung der Bilder als die geeignetste Alternative, da sie sich sowohl innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit als auch zu vertretbaren Kosten realisieren ließ. Zudem war davon auszugehen, dass die Ausstellung inklusive medialer Berichterstattung die erwünschte öffentliche Wahrnehmung gewährleisten würde. Ein weiterer Aspekt, der bei der Entscheidung eine

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Rolle spielte, war, dass im Quartier überproportional viele Kinder leben. Diese lassen sich über die spezifischen Institutionen (Schule, Freizeitund Betreuungseinrichtungen etc.) relativ einfach erreichen bzw. aktivieren und sind zudem rasch für eine Mitwirkung zu begeistern. Bürgerbeteiligungsverfahren, die auf erwachsene Personen zielen,


Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke

wären angesichts des sozialen Umfeld im Quartier zweifellos weitaus schwieriger zu organisieren gewesen und hätten vermutlich keine vergleichbare Aktivierung der Bewohner des Ortsteils Goethestraße bewirkt. Wie sich später zeigte, eignen sich Kinder für die Beteiligung auf Stadtteil- bzw. Quartiersebene auch deswegen besonders gut, da sie meist über eine starke Identifikation mit ihrer unmittelbaren Umgebung verfügen, in der sie zur Schule gehen und nachmittags spielen. Außerdem sind sie tendenziell neugierig und besitzen noch eine relativ unvoreingenommene Perspektive auf ihr Viertel – auch wenn sie dessen Probleme durchaus wahrnehmen. Nachdem die Gruppe als Projektpartner zunächst die Astrid-LindgrenSchule favorisiert hatte, entschied sie sich schließlich für die „Aktion Rückenwind für Leher Kinder e. V.“, die bei einer der Ortsbegehungen als interessanter Akteur identifiziert worden war. In dieser Institution, sehr zentral, ungefähr in der Mitte der Goethestraße gelegen, werden in mehreren Räumen, die sich über zwei Stockwerke verteilen, an vier Nachmittagen die Woche (Dienstag bis Freitag) sowie an zahlreichen Wochenenden und in allen Ferien Kinder zwischen vier und zwölf Jahren betreut. Etwa 60 bis 100 Kinder nehmen dieses Angebot pro Tag an, fast alle davon wohnen auch im Quartier. Bis auf einige wenige 400 Euro-Kräfte arbeiten die Betreuerinnen, die mehrheitlich ebenfalls

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Abbildung 37: Einige der Siegerfotos

aus der Nachbarschaft stammen, ehrenamtlich, die Finanzierung erfolgt allein durch Spenden sowie eingeworbene Projektgelder. Ziel des 2003 gegründeten Vereins ist es, die „körperlichen, geistigen, emotionalen, kulturellen und sozialen Interessen und Fähigkeiten“ der Kinder zu fördern, damit diese „aktiv auf ihre Lebensgestaltung und die Entwicklung ihres Stadtteils Einfluss nehmen“ können (Rückenwind e.V.). Angesichts dieser Zielsetzung ist nachvollziehbar, dass von Seiten des Rückenwind e. V. an einer Zusammenarbeit mit der Projektgruppe großes Interesse bestand. Nach einer ausführlichen Vorbesprechung begleiteten daher am 18. Mai 2011 einige Gruppenmitglieder gemeinsam mit je einer Betreuerin drei Gruppen von je vier Kindern im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren durch das „Goethequartier“. Um die Sichtweise der Fotografen nicht zu beeinflussen, beschränkte sich die Rolle der Erwachsenen ganz bewusst darauf, von Zeit zu Zeit die Aufgabenstellung in Erinnerung zu rufen. Diese lautete, die jeweiligen Lieblingsorte zu fotografieren sowie Orte, an denen sich die Kinder nicht wohlfühlen bzw. die ihnen nicht gefallen. Aus praktischen Gründen wurden dazu Einwegkameras verwendet, zudem war die Aktion als Wettbewerb angelegt, um den Ehrgeiz der Beteiligten zu wecken. Währenddessen und im Anschluss an die Fotosafari bekamen alle interessierten Rückenwind-Kinder jeweils eine DIN A3-Skizze einer Baulücke zur Verfügung gestellt (bzw. bei Bedarf auch mehrere Exemplare), in die sie ihre Ideen für die Nutzung einer Baulücke zeichnen konnten. Die zentrale Erkenntnis dieser Malaktion, an der sich auch einige der Betreuerinnen beteiligten, war der allgemeine Wunsch nach mehr Grün im Quartier sowie nach abwechslungsreichen Spiel- und Sportmöglichkeiten. Eine Bebauung der Lücke mit einem vollwertigen Gebäude wurde hingegen nur einmal vorgeschlagen.

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Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung

4.2 Ausstellung

Die Ergebnisse der Fotosafari sowie die Baulückenzeichnungen wurden schließlich rund einen Monat später, ab dem 17. Juni, unter dem Titel „Augenhöhe < 1,50 Meter – Der Ortsteil Goethestraße aus Kinderperspektive“ in Bremerhaven präsentiert. Die Ausstellung fand statt im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen 2011, einer dreiwöchigen Veranstaltungsreihe mit zahlreichen kulturellen Angeboten, die auf Initiative der Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe, des Kulturbüros Lehe sowie des Stadtplanungsamtes Bremerhaven in eben diesem Jahr erstmalig durchgeführt wurde. Ursprünglich hatte die Projektgruppe für die Intervention eine Baulücke gewählt, später sollte als temporärer Ausstellungsort der vor einigen Jahren neu geschaffene Quartiersplatz dienen. In beiden Fällen hätte sich die Präsentation jedoch auf einen Tag beschränkt und wäre zudem witterungsabhängig gewesen. Daher nahm die Gruppe das Angebot des künstlerischen Leiters der Kulturwochen, des Autors und Theatermachers Erpho Bell, gerne an, die Ausstellung für die Dauer von zwei Wochen in der „Kulturwohnung“ zu zeigen. Hierbei handelte es sich um einen klassischen „Möglichkeitsraum“, eine ehemals leerstehende Erdgeschosswohnung, zur Goethestraße hin gelegen, sehr zentral, direkt gegenüber dem Mehrgenerationenhaus und nur wenige Schritte vom Rückenwind e. V.

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Abbildung 39: Ausstellungseröffnung

entfernt. Außer den von der Projektgruppe ausgestellten Fotos beheimateten die Räume eine Kunstinstallation und dienten für drei Wochen als Veranstaltungsort für diverse Lesungen sowie als Tauschbibliothek. Zwar war das Konzept der „Kulturwohnung“ zeitlich befristet auf die Sommer-Kulturwochen, doch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich daraus eventuell eine dauerhafte Einrichtung ergeben könnte. Im Zentrum der Vernissage, die über den Flyer der Leher SommerKulturwochen sowie eigene Plakate publik gemacht worden war, stand die Prämierung der Siegerfotos, d. h. jener drei Fotoserien je eines Fotografen, die die Projektgruppe als am „künstlerisch wertvollsten“ und aussagekräftigsten bewertet hatte. Als Preis erhielten die Kinder jeweils ein Sachbuch, das von einer örtlichen Buchhandlung gestiftet worden war, zudem bekamen sämtliche anwesende Kinder des Rückenwind e. V. je einen Gutschein für Kuchen und Kakao. Sonstige Besucher konnten für Kaffee und Kuchen spenden, der Erlös wurde unserem Projektpartner Rückenwind e. V. übergeben. Musikalisch umrahmt wurde die Ausstellungseröffnung von einem Bremerhavener Saxofonisten, die örtliche Presse war durch unseren Medienpartner, das Sonntagsjournal, vertreten (vgl. dazu Kapitel 4.3).

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Neben den Fotos, die zum Teil auf DIN A4 vergrößert und auf Kappa-Platte aufgezogen worden waren, zum Teil in normaler Größe nebeneinander aufgereiht gezeigt wurden, präsentierte die Projektgruppe auf Plakaten vier eigene Ideen, d. h. Tools, für das


Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts Goethequartier“

Goethequartier. Diese konnten zum einen schriftlich kommentiert werden, zum anderen ergaben sich aber auch bereits bei der Vernissage angeregte Diskussionen über die Vorschläge. Dabei wurde der von der Projektgruppe vorgeschlagene bzw. geprägte Begriff „Goethequartier“ von einigen Besuchern wie selbstverständlich verwendet – ein Beweis für dessen Eingängigkeit sowie eventuell ein erster Hinweis darauf, dass nach dieser „Marke“ ein emotionales wie faktisches Bedürfnis bestehen könnte. Alle Interessierten hatten zudem die Möglichkeit, sich in eine Mailingliste einzutragen, um so nach Abschluss des Projekts den Katalog, d. h. die Toolbox, zugesandt zu bekommen. Ganz offensichtlich waren unter den rund 30 erwachsenen Besuchern der Vernissage zahlreiche potentielle „Kümmerer“, so dass das Ziel der Intervention, solche Personen zu identifizieren, voll erreicht wurde. Auch im weiteren Verlauf der Ausstellung, währenddessen keine Gruppenmitglieder mehr anwesend sein konnten, blieb die Publikumsbeteiligung nach Angaben der Veranstalter rege. So kamen etwa einige der jungen Fotografen noch einmal mit ihren Eltern wieder, die bei der Eröffnung nicht anwesend waren. Außerdem bekundete der Rückenwind e. V. den Wunsch, die Fotoreihen nach Abschluss der Ausstellung in der „Kulturwohnung“ noch weitere zwei Monate in den eigenen Räumen aufhängen zu dürfen. Anschließend sollen die Kinder ihre jeweiligen Bilder bekommen.

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Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe

4.3 Öffentlichkeitsarbeit

Begleitet wurden die Interventionen von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit. Ziel war es, über das „Projekt Goethequartier“ zu informieren, den Kontakt mit den Bewohnern des Projektgebiets zu intensivieren und darüber hinaus ein Netzwerk zu relevanten Akteuren der Stadtentwicklung aufzubauen. Dadurch sollte der Austausch von Ideen und Vorschlägen sowie insbesondere die Diskussion über das eigene Konzept gefördert werden. Als erste Maßnahme wurde zu diesem Zweck unter dem Namen „Goethequartier“ eine Facebook-Präsenz eingerichtet, auf der in regelmäßigen Abständen Informationen über die eigene Projektarbeit sowie über den Ortsteil Goethestraße veröffentlicht wurden – letzteres natürlich in erster Linie für ortsfremde Personen. Nach eher zurückhaltendem Beginn entwickelte sich die Seite innerhalb kurzer Zeit zu einer viel genutzten Plattform, wie über 17.000 „Post Views“ bis zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Berichts belegen. Auch von Menschen aus dem Goethequartier selbst kamen immer wieder Anfragen, die Interesse bekundeten an den Ergebnissen der Kinder-Fotosafari und an der Ausstellung, dem Stand der

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Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik Abbildung 44: Zitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“

Projektarbeit, dem Projektbericht sowie der aktuell noch ausstehenden Endpräsentation vor Ort. Auch in der Blogosphäre hat das Projekt seine Spuren hinterlassen: Seine äußerst positiven Eindrücke von der Fotoausstellung schilderte ein bekannter lokaler Kulturschaffender in seinem Blog (http://juwiswelt.blogspot.com), das sich hauptsächlich mit den Themen Kunst und Stadtentwicklung beschäftigt. Zweites wichtiges Standbein der Öffentlichkeitsarbeit bildete schließlich der Kontakt zur lokalen Presse, wobei wir als Medienpartner bewusst das Bremerhavener Sonntagsjournal gewählt hatten – deutschlandweit eine der ersten und mittlerweile eine der letzten Gratis-Sonntagszeitungen –, da dieses im Gegensatz zur kostenpflichtigen Nordsee-Zeitung auch im Goethequartier viel gelesen wird. In einem ersten Artikel durften wir unser Projekt vorstellen, ein weiterer erschien unmittelbar nach der Ausstellung; das dazugehörige Bild zeigt zwei der drei Gewinner des Fotowettbewerbs zusammen mit einigen Projektmitgliedern.

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Nicht zuletzt wurde für das „Projekt Goethequartier“ ein Logo entwickelt (s. Abb. 41), das dazu gedacht war, der P3-Gruppe im Rahmen der Außenkommunikation, insbesondere auf den Ausstellungsplakaten, zu einer Corporate Identity zu verhelfen.



5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025


Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie

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In diesem Kapitel soll die Vision, die zuvor für das Goethequartier entwickelt wurde, und der sämtliche Tools verpflichtet sind, noch einmal überprüft und konkretisiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welchen Beitrag die einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen und Instrumente eventuell bei der Verwirklichung dieses Zukunftsszenarios, also beim Prozess der schrittweisen Aufwertung, leisten können. Aufgezeigt werden soll zudem, welche Verknüpfungen und Interdependenzen zwischen den Tools bestehen, wie diese also – im Idealfall! – ineinandergreifen. Der vorläufige Endpunkt der prognostizierten bzw. erhofften Entwicklung wird im Rahmen dieses Ausblicks ungefähr auf das Jahr 2025 terminiert, da dies von heute, 2011, aus betrachtet als ein realistischer Zeithorizont erscheint, innerhalb dessen alle Tools ihre volle Wirkung entfalten können. Bis dahin, so steht zu hoffen, ist aus dem Ortsteil Goethestraße ein echtes Quartier mit eigenem, positiv besetztem Image geworden, dessen Bewohner sich im Sinne einer „Bürgergesellschaft“ aktiv für ihre Nachbarschaft einsetzen. Die momentan bestehenden Freiräume, also Baulücken und Leerstand, so die Vision, werden dabei einer vielfältigen neuen Nutzung zugeführt, was nicht nur Wachstumseffekte für die lokalen Ökonomien zur Folge hat, sondern das Viertel auch wieder attraktiv macht für Bevölkerungsschichten, die heute andere Teile der Stadt vorziehen. In diesem Zusammenhang muss allerdings immer auch berücksichtigt werden, dass der planerische Handlungsspielraum seine Grenzen findet in der allgemeinen makroökonomischen und gesamtstädtischen Entwicklung, die trotz gegenteiligen Tendenzen in einigen Bereichen sicherlich auch zukünftig eine große Herausforderung darstellen wird: Der Kontext, in dem sich die Aufwertung des Projektgebiets vollziehen soll, bleibt aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren bestimmt durch demographischen Wandel und schrumpfende Bevölkerungszahlen. Nichtsdestotrotz erscheint das hier beschriebene Szenario angesichts der im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremerhaven vorhandenen Potentiale als durchaus realistisch, zumal im Rahmen der vorgeschlagenen Tools detailliert dargelegt wird, wie diese jeweils genutzt bzw. gestärkt werden können.

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Eines der Hauptziele, die mit der Toolbox verbunden sind, ist es, die Menschen im Quartier zu aktivieren, d. h., sie dazu zu bewegen, einen eigenen kleinen Beitrag zur Belebung und Aufwertung ihres Wohn- und Lebensumfeldes zu leisten. Zum einen braucht es dazu „Kümmerer“, die bereit sind, sich eines speziellen Themas, eines Projekts persönlich


anzunehmen und dieses umzusetzen. Zum anderen jedoch muss es die Intention sein, über diese kleine Personengruppe hinaus auch die breite Masse der Bevölkerung stärker einzubinden und an Prozessen der Stadtentwicklung intensiver zu beteiligen. Tool #01, „Neighbourhood Branding“, trägt diesem Gedanken Rechnung, indem es Wege aufzeigt, wie dies, erfolgreicher als bislang der Fall, gelingen kann. Schließlich dient der Branding-Prozess einerseits zwar durchaus der Imagekorrektur (also einer Verbesserung der Außenwahrnehmung), primär jedoch geht es hierbei darum, Partizipation zu fördern und die Verständigung der Menschen über die Potentiale und Perspektiven ihrer eigenen Nachbarschaft zu initiieren bzw. zu intensivieren. Im Zuge dessen bilden und verstärken sich Netzwerke, Akteure finden sich zusammen, es entstehen Konstellationen, die im weiteren Verlauf der angestrebten Entwicklung zum Gelingen von Projekten entscheidend beitragen können. Ein weiteres grundlegendes Instrument stellt Tool #02 dar: Ein internetbasiertes Informationssystem, das sämtliche Baulücken und (gewerblichen) Leerstände im Quartier – bzw. darüber hinaus im gesamten Stadtgebiet – abbildet und Interessierten zugänglich macht. Dies ermöglicht bzw. erleichtert es, die im Rahmen des Projekts „Möglichkeitsräume“ genannten Raumpotentiale einer neuen Nutzung zuzuführen. Angesichts der (momentan) nicht vorhandenen Nachfrage nach dauerhaften, ökonomisch lukrativen Lösungen wird diese dabei in vielen Fällen temporär angelegt sein. Die Toolbox enthält hierzu ein Reihe von Vorschlägen aus dem weiten Spektrum der Zwischennutzung: Tool #03 „Temporäre Stadt“, Tool #04 „Bauspielplatz“ und Tool #05 „Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten“, hinzu kommen Tool #07 „Probewohnen“ und Tool #12 „Temporäre Gastronomie“. Am wenigsten dauerhaft sind dabei die Projekte im Zusammenhang mit der „temporären Stadt“, die in erster Linie Eventcharakter besitzen. Dass aber selbst kurze künstlerische oder kulturelle Interventionen über ihre eigentliche Dauer hinaus raumwirksam werden und damit auf die Stadtentwicklung einwirken können, lässt sich etwa am Beispiel der Ausstellung demonstrieren, die das Projektteam selbst im Goethequartier durchgeführt hat. Zum einen vermittelten die Fotos der Kinder den Besuchern einen zum Teil ganz neuen Blick auf das eigene Viertel, auch auf dessen schöne Seiten. Die intensive Betrachtung der Bilder führte dabei bei manchen zu Rätselraten, wo genau eine bestimmte Situation denn zu verorten sei, sowie zu Aha-Erlebnissen nach dem

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Motto „Das ist mit ja noch nie aufgefallen!“. Befördert wurde durch die Ausstellung bei den Bewohnern also nicht nur die Beschäftigung mit dem eigenen Lebensumfeld (die zu einer verstärkten Identifikation mit diesem beitragen kann), sondern darüber hinaus auch das Gespräch über Probleme und Potentiale des Viertels. Und dies gerade auch bei Personen, die sich ansonsten nicht mit derartigen Themen befassen würden. Ein Beispiel hierfür sind die Eltern der Rückenwind-Kinder, die zwar ganz überwiegend nicht bei der Vernissage anwesend waren und kulturelle Veranstaltungen dieser Art größtenteils wohl generell eher meiden würden, im Fall der Ausstellung „Augenhöhe < 1,50 Meter“ aber eine Ausnahme machten: Im Laufe der zwei Wochen kamen mehrere von ihnen gemeinsam mit ihren Kindern vorbei, um sich die Fotoserien in Ruhe zu betrachten. Zum anderen ist zu erwarten – ohne, dass dies an dieser Stelle nachgewiesen werden kann – dass zumindest bei einigen der Besucher die temporär eingerichtete „Kulturwohnung“ auch über die Ausstellung hinaus im Gedächtnis verankert bleibt. Durch eine vorübergehende, nur zwei oder drei Wochen andauernde Nutzung wurde also ein Ort geschaffen, der aufzeigt und daran erinnert, dass es neben Verfall und Niedergang auch Zeichen für einen positiven Wandel des Ortsteils Goethestraße gibt. Aufgrund des großen Erfolgs werden die Leher Sommer-Kulturwochen aller Voraussicht nach auch im kommenden Jahr stattfinden, im Jahr 2025 feiern sie demnach bereits 15-jähriges Bestehen und haben sich zu einer festen Institution entwickelt. Die Beteiligung der Anwohner, sowohl aktiv wie auch passiv, hat gegenüber heute noch wesentlich zugenommen, viele Bürger führen unter dem Dach dieser Veranstaltungsreihe selbständig Aktionen durch. Die „Kulturwohnung“ ist derweil zu einer dauerhaften, ganzjährigen Einrichtung geworden, in den Räumen finden regelmäßig Ausstellungen und Lesungen statt, zu denen auch Besucher von außerhalb zahlreich erscheinen. Das größte Problem bei solchen Veranstaltungen ist es mittlerweile, 2025, einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Goethestraße zu ergattern, dagegen stehen für ein anschließendes Bier oder Glas Wein eine Reihe attraktiver gastronomischer Einrichtungen zur Auswahl. Einige der ursprünglich temporären Cafés und Bars im Quartier haben nach wie vor nur im Sommer in einer Baulücke geöffnet und beleben während dieser Monate das Straßenbild, andere erwiesen sich – auch dank neu zugezogener Bevölkerungsschichten – als wirtschaftlich so

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erfolgreich, dass sie sich in leerstehenden Ladenlokalen dauerhaft etablieren konnten. Aktuell, also 2011, ist der Wohnungsleerstand im Ortsteil Goethestraße so hoch, dass zu den bereits vorhandenen Baulücken in den nächsten Jahren beinahe zwangsläufig einige weitere hinzukommen werden. Der erwartete Zuzug neuer Bewohner und die nachfolgende Stabilisierung des Wohnungsmarktes, die die Hauseigentümer wiederum zu verstärkten Investitionen in die Substanz motiviert, kommen für viele Gebäude vermutlich zu spät. Daher erscheint es wahrscheinlich, dass – trotz eventueller Neubebauung einiger Brachengrundstücke – auch im Jahr 2025 noch zahlreiche Lücken bestehen, deren einstmals als Zwischenlösung geplante Nutzung zu einer dauerhaften geworden ist. Der Bauspielplatz etwa ist im Laufe der Zeit über das Viertel hinaus zu einer beliebten Anlaufstation für Bremerhavener Kinder geworden, die hier im Kleinen einüben, was sich im Großen, also im gesamten Goethequartier, zur Regel entwickelt hat: Umfassende, gleichberechtigte Kommunikation unter allen Akteuren, insbesondere der Dialog über gemeinsame Projekte sowie eine breite Kooperation bei deren Umsetzung. Angesichts der großen Anzahl an Flächen gehören zu den ursprünglich als Zwischennutzung angelegten Projekten, die sich im Jahr 2025 verstetigt haben, auch zwei Gemeinschaftsgärten. Der eine wird von den direkten Anwohnern genutzt, die sich angesichts der Möglichkeit, innenstadtnahes, urbanes Wohnen und einen eigenen Garten verbinden zu können, für das Goethequartier und gegen ein eigenes Haus im Umland entschieden haben. Der andere Garten, der sich primär dem interkulturellen Austausch verschrieben hat, wird von Menschen aus dem ganzen Viertel genutzt und stellt somit einen wichtigen Treffpunkt dar. Unter den Nutzern sind viele, die das Gärtnern als Hobby pflegen und dabei vor allem auch die die Gemeinschaft mit anderen suchen, beispielsweise beim sommerlichen Kochen im Gartenrestaurant. Für einige andere wiederum, die trotz der verbesserten Wirtschaftslage in prekären Verhältnissen leben, stellt das selbst angepflanzte Gemüse darüber hinaus jedoch eine wichtige Quelle der Ernährung dar und bedeutet eine deutliche finanzielle Entlastung.

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Unter den Zwischennutzungen, die im Jahr 2025 nicht mehr existieren, findet sich dagegen das Modellprojekt „Probewohnen“. Die dafür genutzte Wohnung wurde, zusammen mit einigen anderen,


irgendwann in eine reguläre Ferienwohnung umgewandelt. Dank des Tourismusbooms, von dem Bremerhaven aufgrund seiner zahlreichen Freizeiteinrichtungen bereits seit vielen Jahren profitiert, kommen Jahr für Jahr mehr Besucher in die Stadt, von denen einige ein Gründerzeitviertel mit historischer Bausubstanz den postmodern-futuristischen, ästhetisch anspruchslosen Hotels am Hafen vorziehen. Besonders für ältere, kulturell interessierte Reisende sowie für junge Familien, die sich ein Hotel nicht leisten können und wollen, sind die Ferienwohnungen im Goethequartier attraktiv. Sowohl für Gäste von außerhalb wie auch für Menschen aus anderen Stadtteilen, die gerne die Gastronomie im Quartier nutzen, und nicht zuletzt auch für die Bewohner und Gewerbetriebenden rund um die Goethestraße selbst ist überall kostenlos verfügbares Internet längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nachdem das vor zwölf Jahren von der Stadt organisierte WLAN-Pilotprojekt dem Ortsteil Goethestraße in Bremerhaven viel Aufmerksamkeit beschert und sich – zumal angesichts der geringen Kosten – als großer Erfolg erwiesen hatte, wurde das Modell schon vor Längerem auf die gesamte Stadt ausgedehnt. Welchen Anteil die Einrichtung öffentlicher „Hotspots“ (Tools #10) am wirtschaftlichen Aufschwung des Goethequartiers hatte, lässt sich selbstverständlich nicht genau beziffern. Fest steht allerdings, dass diese Maßnahme zumindest einige Jahre lang einen klaren Standortvorteil für das Viertel mit sich brachte und vor allem für Existenzgründer eine große Erleichterung darstellte. Zusammen mit den extrem günstigen Mieten war kostenloses WLAN ein Argument auch für viele noch nicht etablierte Selbständige und Freiberufler aus der ganzen Stadt, ihr Büro hier anzusiedeln. Als ganz entscheidend erwies sich in diesem Zusammenhang auch die Gründung eines Coworking Space (Tool # 11) im Goethequartier, da hierdurch zahlreichen Menschen ein kostengünstiger (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben ermöglicht wurde. Im Jahr 2025 zeigen sich die lokalen Ökonomien im Vergleich zu 2011 deutlich gestärkt, mit einigen der in Bremerhaven erfolgreichen Wirtschaftszweige bestehen vielfältige Wechselbeziehungen, die sich zum Teil zweifellos weiter intensivieren werden.

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Ein anderes Projekt, das weithin Beachtung findet und das Goethequartier kurzzeitig sogar bundesweit in die Medien brachte, ist das mithilfe von Tool #09, „Mode aus dem Quartier“ ins Leben gerufene Label „GQ“: Sechs Frauen unterschiedlichen Alters fertigen unter Verwendung traditioneller Handarbeitstechniken multikulturell inspirierte,


originelle Bekleidung, die über das Internet sowie über eine Boutique in Bremen vertrieben wird. Nachdem das Projekt nur schleppend anlief und mehrere Male kurz vor dem Aus stand, fand sich schließlich eine engagierte Person mit guten Kontakten, die es zum Erfolg führte. Produziert wird bereits seit mehreren Jahren in einem Gebäude an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, in dessen Erdgeschoss sich ein Ladenlokal befindet, das einst im Rahmen des Wettbewerbs „Laden zu verschenken“ (Tool #06) für ein Jahr mietfrei vergeben wurde. Das innovative Geschäftskonzept des Gewinners hat sich dank eines gut ausgearbeiteten Businessplans als erfolgreich erwiesen, zwei andere Ideen, die damals von nicht-siegreichen Teilnehmern eingereicht worden waren, konnten später in der Hafenstraße realisiert werden. Neben dem kleinen Mode-Unternehmen und dem Geschäft finden sich in dem Eckhaus mehrere weitere gewerbliche Nutzungen, wodurch es eine positive Ausstrahlung auf seine Umgebung besitzt und an dieser Stelle so etwas wie ein „Schlüsselgebäude“ darstellt. Auch dank dieser Maßnahme hat sich der zentrale Teil des Goethequartiers (neben dem nordöstlichen Bereich rund um „die theo“) zu einer Art „Keimzelle“ entwickelt, von der aus die Aufwertung des Ortsteils voranschreitet. Zu diesem Prozess beigetragen hat ganz wesentlich auch die „Wächterhaus“-Initiative (Tool #08), mit deren Hilfe einige zentrale Gebäude vor dem weiteren Verfall und damit dem Abriss bewahrt werden konnten, bis sich eine reguläre, kommerzielle Nutzung gefunden hatte – so wie im Fall des Gebäudes an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße. Alle beschriebenen Maßnahmen und Instrumente gemeinsam – darunter auch ein so ungewöhnliches und überraschendes Tool wie der Zen-Garten in einer Baulücke (#13) – haben dazu beigetragen, die Qualität des städtischen Raumes enorm zu steigern. Nachdem mit der Umsetzung der ersten Projekte begonnen worden war, erschienen die Brachflächen und Leerstände irgendwann nicht mehr als Makel und als Zeichen des Abstiegs, sondern wurden zu „Möglichkeitsräumen“, also zu einem Potential dieses Viertels. Zudem veränderten die neuen, zunächst überwiegend temporären Nutzungen den Blick auf das ehemalige „Problemviertel“, das einstmals extrem negative Image des Ortsteils verbesserte sich im Zuge dessen nach und nach. Unterstützend hierbei wirkte im Übrigen auch der neue, noch unbesetzte, d. h. somit weitgehend unbelastete, Name „Goethequartier“. Resultat der konkreten Aufwertungsmaßnahmen wie auch der Imagestei-

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gerung war ein vermehrter Zuzug aus ganz Bremerhaven, u. a. von Bevölkerungsgruppen, die zum aktuellen Zeitpunkt, 2011, deutlich unterrepräsentiert sind: Junge Familien, die sich in sozial stabilen und finanziell gesicherten Verhältnissen befinden, sowie alte Menschen. Tool #14, „Altersgerechtes Wohnen“, nimmt auf dieses momentane Defizit Bezug, wobei solche Wohnprojekte entweder selbst aktiv zur Aufwertung ihrer Umgebung beitragen können (wie das Beispiel des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 zeigt) oder aber erst entstehen, wenn bereits erste Korrekturen stattgefunden haben. Ebenso muss Tool #15 hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Umsetzung im Katalog recht weit hinten angesiedelt werden, da hierbei zwei Faktoren eine Rolle spielen, die eng miteinander zusammenhängen: Zum einen zielen „Balkone in Baulücken“ auf eine Mieter- bzw. Käuferschicht, die auf absehbare Zeit noch nicht für das Goethequartier gewonnen werden kann, zum anderen sind Investitionen in der notwendigen Höhe für Hausbesitzer natürlich erst dann lukrativ, wenn sie sich über höhere Mieten auch refinanzieren lassen. Ob der Prozess der Aufwertung und Neupositionierung bis 2025 so weit fortgeschritten ist, erscheint aus heutiger Perspektive fraglich, soll aber andererseits nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Zuletzt bleibt noch die Frage, welche Rolle die Stadtplanung in diesem Zukunftsszenario spielt. Unter 3.1 wurde im Zusammenhang mit dem Begriff „Bürgergesellschaft“ bereits ausgeführt, dass und weshalb sie keineswegs an Bedeutung verliert, sondern dass sich vielmehr ihre Rolle wandelt, hin zu einer ermöglichenden, fördernden Instanz, die insbesondere die „Kümmerer“ bei der Realisierung ihrer jeweiligen Projekte unterstützt. Diese Funktionsverschiebung zeigt sich auch in zahlreichen der 15 Tools, bei denen das Stadtplanungsamt als wichtiger Kooperationspartner bzw. sekundärer Akteur vorgesehen ist, im Wesentlichen jedoch andere Beteiligte für Planung und Umsetzung verantwortlich sind.

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6. Fazit


Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“

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Im abschließenden Fazit sollen nun Projektverlauf wie Projektergebnis resümiert und dabei kritisch reflektiert werden. Insbesondere das Planungsverständnis, das sowohl in der Arbeit der Gruppe als auch in diesem Bericht zum Ausdruck kommt, gilt es dabei vor dem Hintergrund des Erreichten noch einmal zu überprüfen. Welch ein Wagnis ein komplett selbst organisiertes studentisches Projekt generell darstellt – zumal, wenn es sich über zwei Semester bzw. neun Monate erstreckt –, wurde bereits im Vorwort wie auch in der Einleitung thematisiert. Dass das „Projekt Goethequartier“ letztlich zu einem Erfolg geworden ist, lässt sich dabei wohl auf mehrere Gründe zurückführen. Zunächst zur Arbeitsorganisation: Als großer Vorteil hat sich ganz eindeutig erwiesen, dass die Problemstellung von Anfang an relativ klar auf der Hand lag. Wie beschrieben, musste sie dann zwar angesichts der Ergebnisse der Analyse im Verlauf des Projekts deutlich erweitert werden, doch im Grundsatz blieb das Erkenntnisinteresse dasselbe: Wie soll die Stadtplanung auf die Herausforderung reagieren, die die bestehenden und zukünftigen Baulücken (sowie der Leerstand – dies die Ergänzung) für den Ortsteil Goethestraße darstellen? Sehr rasch wurde zudem klar, dass bei der Beantwortung dieser Frage nicht eine wie auch immer geartete Neubebauung der Brachflächen das Thema sein kann, sondern dass der geeignete Ansatz vielmehr primär in Zwischennutzungslösungen gesucht werden muss. Neben diesem grundsätzlichen inhaltlichen Konsens bestand auch eine weitgehende persönliche Übereinstimmung innerhalb des Projektteams, weshalb die Phase der „Gruppenfindung“ kaum Zeit in Anspruch nahm. Ein weiterer Erfolgsfaktor für das Projekt war die gute, sehr realistische Zeitplanung, insbesondere in Bezug auf die eigenen Interventionen. Das Machbare wurde hierbei dem theoretisch Möglichen und Wünschenswerten vorgezogen. (Andererseits erwiesen sich die durchgeführten Aktionen schließlich ganz ohne Frage als die richtige Wahl, wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird.) Bei der konkreten Umsetzung – das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden – war daneben jedoch auch etwas Glück im Spiel: Die terminliche Übereinstimmung mit den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 und vor allem das Angebot, die „Kulturwohnung“ nutzen zu können, machten die Ausstellung in dieser Form erst möglich. Auch andere Akteure erwiesen sich als wahrer Glücksfall, ganz speziell der Rückenwind e.V., aber auch das Mehrgenerationenhaus, dessen Bewohner gleich die ersten Gesprächspartner der Projektgruppe im Plangebiet waren

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und uns den Zugang zum Ortsteil Goethestraße sehr erleichterten. Auch das Designlabor und „die theo“ seien an dieser Stelle noch einmal gesondert erwähnt, da die jeweiligen Experteninterviews mit diesen Institutionen ihre deutlichen Spuren im Konzept des „Projekts Goethequartier“ hinterlassen haben. Etwas bedauernswert erscheint im Rückblick hingegen, dass die Relevanz der Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe anfangs nicht voll erfasst wurde, was daran liegt, dass von dieser Seite offenbar nicht die geeigneten Gesprächspartner zur Verfügung standen. Dass hingegen das Stadtplanungsamt Bremerhaven im Rahmen des Projekts nicht Hauptansprechpartner war, erklärt sich zum einen daraus, dass die dort vorhandenen personellen Ressourcen offenbar beschränkt sind, zum anderen aber auch aus der Tatsache, dass dieser Akteur für das Konzept nicht als zentral angesehen wurde. Dem entspricht die bereits erwähnte inhaltliche Orientierung an Zwischennutzungen und kleinteiligen, separat umsetzbaren Projekten. Dass diese nichtsdestotrotz vielfältige Bezüge und Querverbindungen untereinander aufweisen, konnte in Kapitel 5 aufgezeigt werden. Eine Erfahrung aus der Analyse, die bei der Ausarbeitung der Tools berücksichtigt wurde, ist zudem, dass sämtliche Maßnahmen nach Möglichkeit an vorhandene Akteurskonstellationen anschließen und bereits bestehende Netzwerke nutzen sollten. Darauf wurde auch bei den eigenen Interventionen explizit geachtet, für die als Kooperationspartner der Rückenwind e. V. und das Kulturbüro Lehe gewonnen werden konnten. Ein eventueller Versuch, Aktionen wie die Fotosafari und die Ausstellung komplett in Eigenregie zu organisieren, hätte dagegen zweifellos eine Überforderung der Projektarbeit bedeutet und nicht die erwünschte Außenwirkung gehabt. So jedoch bleibt der Eindruck, dass das „Projekt Goethequartier“ spätestens mit den Interventionen im Viertel „angekommen“ ist. Generell lässt sich feststellen, dass die beiden Aktionen, Fotosafari und Ausstellung, die eine Konkretisierung des Tools „temporäre Stadt“ darstellen, wesentlichen zum Projekterfolg beigetragen haben. Zumal in Anbetracht der kurzen Zeit, wurden die damit verbundenen Ziele voll erreicht: Die Interaktion mit den Bewohnern wurde gefördert, ebenso wie die Diskussion über das Konzept dieses Projekts, zudem gelang es, potentielle Kümmerer zu identifizieren und für die Toolbox zu interessieren. Das „Projekt Goethequartier“ wurde insgesamt sehr positiv aufgenommen und der für den Ortssteil geprägte neue Name ganz

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selbstverständlich verwendet. Nicht zuletzt hat die Ausstellung gezeigt, dass auch planungsfremde Bevölkerungskreise (einschließlich der Kinder) an das Thema Stadtentwicklung herangeführt werden können, wenn die passenden Wege und Mittel gewählt werden. Ein generelles Erfolgsgeheimnis für sämtliche temporäre Aktionen bzw. Interventionen dürfte schließlich sein, dass sich diese Maßnahmen konkret auf den jeweiligen Ort beziehen und sich mit ihm auseinandersetzen sollten. Nur dann können sie auch längerfristig raumwirksam werden, während beliebige „Events“ keine nachhaltige Wirkung entfalten. Ähnliches gilt für längerfristige Zwischennutzungen, die ebenfalls speziell auf den Raum zugeschnitten sein müssen, um mehr darzustellen als bloß eine „nette Idee“. Aus diesem Grund wurde bei den diversen Projekten, die in der Toolbox versammelt sind, bewusst auf einen starken Ortsbezug Wert gelegt. Nicht zuletzt deswegen sind wir, das „Projekt Goethequartier“, davon überzeugt, dass mit diesem Katalog ein geeignetes Instrument zur Verfügung steht, mit dem sich die Abwärtsspirale im Ortsteil Goethestraße stoppen lässt. Darüber hinaus zeigt das Konzept unseres Erachtens Wege auf, wie das Viertel auch mittel- und langfristig, d. h. also dauerhaft, aufgewertet werden kann. Nach dem planerischen Selbstverständnis dieses Projekts spielt dabei, wie bereits mehrfach erwähnt, das Stadtplanungsamt nicht die zentrale Rolle, stattdessen nehmen andere Akteure einen gewichtigeren Platz als bisher ein. Andererseits wäre es sicherlich vermessen zu glauben, dass Stadtentwicklung ausschließlich mithilfe von Zwischennutzungsprojekten erfolgen kann. Nötig ist vielmehr eine neue Sicht- und Herangehensweise, die beide Aspekte einschließt, die klassischen Instrumente der Stadtplanung wie die weitgehend ungesteuerte Entwicklung durch „Raumpioniere“ und Zwischennutzer. Dass diese Akteure mittlerweile selbst in etablierten Kreisen der Immobilienwirtschaft und Wirtschaftsförderung als Chance für die Stadtentwicklung begriffen werden, zeigen etwa Beiträge wie der folgende, der auf der Website des Immobilien-Dienstleisters „Heuer Dialog“ erschienen ist und dieses Themenfeld äußerst positiv darstellt: „Zwischennutzungen: Perspektive für Immobilieneigentümer, Nutzer und eine strategische Stadtentwicklung“ (Aufrecht 2011).

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Angesichts des erfolgreichen Verlaufs des Projekts würden einige der Mitglieder dieser P3-Gruppe nur zu gerne auch in Zukunft als „urbane


Interventionisten“ im Goethequartier agieren, um so an einer möglichen Aufwertung des Viertels mitzuwirken. Da sich dies wohl leider nicht realisieren lässt, andererseits jedoch von mehreren Seiten Interesse an der Umsetzung einiger Teile der Toolbox bekundet wurde, soll das „Projekt Goethequartier“ zumindest über eine Internet-Präsenz weitergeführt werden. Dies zeigt einmal mehr, wie sehr wir davon überzeugt sind, dass eine Aufwertung des Ortsteils Goethestraße möglich ist und dass dieses Viertel mittelfristig wieder ins Positive kippen kann.

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Abbildungsverzeichnis

Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich bei den Abbildungen um eigene Darstellungen oder Fotos. Abbildung 1: Die Projektgruppe Abbildung 2: Eine Baulücke im Quartier Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geestemünde, um 1910. Stadtplanungsamt Bremerhaven. Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens. Nach: StatistischesLandesamt Bremen, Stand 2009. Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven. URL: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/7/74/%C3%9Cberseehafen3-Bremerhaven.jpg, http://ais.badische-zeitung.de/piece/01/f0/ff/22/32571170. jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011. Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerhaven. Nach: Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2010.

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Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven. Nach: GEWOS 2004. Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße. Nach Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2009. Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917. URL: http://www.zeno.org/ Ansichtskarten/M/Bremerhaven,%20Bremen/Goethestra%DFe, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen. Nach: GEWOS 2004. Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße Abbildung 21: Wohnungsleerstand Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude. Nach: VKOG. Abbildung 23: Leerstandsentwicklung. Nach: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2010. Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremerhaven

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Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“ Abbildung 26: Akteurslandschaft Abbildung 27: Bewertung der Akteure Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43. URL: http://www.wohnprojekt-bremerhaven.de/alben/img.sommer_im_gartenhof/gartenhof_9.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“. URL: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/52/Lehe_Theodor-Storm-Schule.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1 Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2 Abbildung 33: Eines der prämierten Bilder der Kinder-Fotosafari Abbildung (1): Klassische Baulücke Abbildung (2): „Ecklücke“ Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum Abbildung (4): Baulücke inklusive Blockinnenhof Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss

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Abbildung (7): Leerstehende Wohnung


Abbildung (6): Zukünftige bzw. entstehende Baulücke Abbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien Abbildung (9): Impression von Hoogvliet. URL: http://1.bp.blogspot. com/_2hoz3Q8FGsk/SeEcoU-Ij5I/AAAAAAAAAA4/gR8J2bvit0/s1600/Woensdag+8+April+2009+Oudemaas+Spijk enisse+Hoogvliet+025.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet. URL: http://www.wimby. nl/modules/beeldbank/albums/albun10/4_Onderwijs_4_ RGB.jpg, http://www.wimby.nl/modules/beeldbank/ albums/albun10/6_Natuur_4_RGB.jpg, http://www.wimby.nl/modules/beeldbank/albums/albun10/3_Gemeenschap_4_RGB.jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011. Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder. Screenshot von URL: http://www.leerstandsmelder.de, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (12): Open Air-Kino in Hamburg-Wilhelmsburg. URL: http:// de.academic.ru/pictures/dewiki/79/Open-Air-Kino_in_Beckum.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz. URL: http://www.bauspielplatz-muemmelmannsberg.de/mod_ gallery/bilder/DSCN1970.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“ Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin. URL: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4d/Berlin-Kreuzberg_ Prinzessinneng%C3%A4rten_1.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

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Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York. URL: http:// moresongsaboutfoodandthefuture.files.wordpress. com/2011/04/urban-farm-brooklyn-31.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock. URL: http://www.wiro.de/ redaktion/download.php?id=220&type=file, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (18): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“ Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“ Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Görlitz. URL: http://www.reinigungsgesellschaft.de/projekte/_2009/presse01.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig. URL: http:// upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/ W%C3%A4chterhaus_in_Leipzig.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (23): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“ Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenaus. URL: http://static. panoramio.com/photos/original/6203323.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck. URL: http://4.bp.blogspot.com/_d27zL84hsY8/TEXpuxnZAYI/ AAAAAAAAEDU/79aX3DmQ7xY/s1600/DSCF1897.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

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Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige Abbildung (27): Eine Modenschau. URL: http://www.virtuos-artandfashion.com/fileadmin/user_upload/Images/news/modenschau4.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs. URL: http:// upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4e/ Stiftungsparkassa_hotspot.jpg/220px-Stiftungsparkassa_ hotspot.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur. URL: http://www.router-switch-shop.eu/img/hotspot-accesspoint-dual-ssid-vlan-1400.gif, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum. URL: http://www. zintzen.org/2007/07/22/070722-pitstop1-blog-on-the-road, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space. URL: http://farm5. static.flickr.com/4023/4269923648_b6b92bfba6.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space. URL: http://t3n.de/ news/wp-content/uploads/2010/09/coworking.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin. URL: http://lh4. ggpht.com/_ujkNtEvidGU/RpNnKo1SoXI/AAAAAAAAAJ4/ H4IrFFTX0Ow/Berlin%20(207).jpg, Zugriff am 08. Juli 2011. Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan. URL: http://www.flickr. com/photos/80426126@N00/387717897/sizes/l/in/photostream, Zugriff am 08. Juli 2011.

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Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern. URL: http://www. fotocommunity.de/pc/pc/display/24506776, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43, URL: http://www.pressebox.de/uploads/thumbnail/width/80/ height/60/id/40573.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverantworlichen. URL: http://lh3.ggpht.com/_JO9sYch413c/ SRBb5N9CEHI/AAAAAAAAEjs/NtgmLYJ5hSM/ Bremerhaven2%5B3%5D.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Architekten. URL: http://www.hpp.com/de/projekte/bautypologien/wohnen-hotels/wohnen_fuer_junge_leute.html, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München. URL: http://www.hpp.com/de/projekte/bautypologien/ wohnen-hotels/wohnen_fuer_junge_leute.html, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“ Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss Re-Gebäude empor. URL: http://3.bp.blogspot. com/_2OUoensSJjA/TDpUfBoaYzI/AAAAAAAADk8/EM5WOWplMYA/s1600/DSC00413.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011. Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35 Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken

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Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke Abbildung 37: Einige der Siegerfotos Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung Abbildung 39: Ausstellungseröffnung Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts Goethequartier“ Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik Abbildung 44: Zeitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“ Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“

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