Julia Schäfer: Auf Sendung

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Julia Schäfer Auf Sendung Beim Betreten meines Zagreber Hotelzimmers erwartet mich zunächst nichts Ungewöhnliches. Ein Mittelklassehotel im Plattenbauformat: Hotel Intercontinental. Doch dann finde ich etwas, was als Andenken mit in den Koffer wandern wird: das Schild, welches man von außen an die Tür hängt, um zu signalisieren, ob man bitte nicht gestört werden möchte oder entsprechend das Zimmer zum Putzen frei gibt. Auf diesem Schild befindet sich rot unterlegt die Vergrößerung eines männlichen Gesichts, der mit seinem Zeigefinger das Zeichen zur Ruhe gibt. Auf der anderen Seite – grün unterlegt - sieht man eine in Gänze abgebildete Frauenfigur. Sie schaut einen an, trägt ein kariertes Kleid mit einer in der Hüfte eng gebundenen Schürze. Das Kleid endet oberhalb der Knie. Ihr spitzer Busen sticht durch die Schattengebung hervor. Wenn sie nicht gerade einen Staubsauger vor sich herschieben würde, könnte man bei ihrer Beinstellung vermuten, dass sie gleich zum Tscha-Tscha-Tscha zu tanzen beginnt. Das gesamte Schild paßt in ein Design der 60er Jahre. Hierzu passt auch die Schilderung von Dubravka Ugresic aus ihrem Buch „Die Kultur der Lügen“: Eine Lehrerin zeigt im Sexualkundeunterricht Abbildungen eines Mannes und einer Frau, um deren Geschlechtsorgane zu erläutern. Da stellt ein kleines Kind die Frage: Und wo ist bei der Mama die Einkaufstüte? Die Tüte ist für dieses Kind eine relevantes Geschlechtsmerkmal. Ugresic skizziert in dem Kapitel „Wir sind die Jungs“ ein erschreckendes Bild der Rolle der Frauen in ihrem Land. Ihnen kommt weniger Platz zu. Bis heute. Und das hat sich auch nicht durch die verschiedenen politischen Systeme hindurch verändert. „In dieser männlichen Welt hat die Frau permanent den Status eines niederen Wesen.“ (Die Kultur der Lüge, D. Ugresic, S. 165) An diesem Punkt setzt die Arbeit „Women’s House“ von Sanja Ivekovic an. Sie hat über mehrere Jahre Frauen in unterschiedlichen Frauenhäusern – u.a. Zagreb und Bankok besucht und sich mit ihnen unterhalten. Um ihre Geschichten und Schicksale öffentlich zu machen, nutzt Ivekovic Medien wie das Magazin und das Plakat. Sie implantiert in vorhandene Werbungen beispielsweise von Armani, auf der ein hübsches Frauenportrait abgebildet ist, Zitate der von ihren Männern vergewaltigten Frauen. Anschließend bringt Ivekovic ihre Kollagen in die Zeitungen zurück. Hier stoßen zwei Welten aufeinander. Die Frauen bleiben anonym und die Werbung dient als Lockschablone, um auf ein Thema aufmerksam zu machen, welches öffentlich nicht diskutiert wird. Erweiternd macht sie Gipsmasken der Frauen und stellt sie als Skulpturen aus. Sie malt den Grundriß des Zagreber Frauenhauses auf den zentralen Platz der Stadt, ohne direkt Aufschluss über die Herkunft des Plans zu geben. Nur in Schaufenstern hängen die manipulierten Plakate. Auf eine ähnliche Art und Weise behandelt sie in „Gen XX“ das Thema der vergessenen Heldinnen, die zur Zeit des zweiten Weltkriegs als antifaschistische Kämpferinnen aktiv waren und über die heute nicht mehr gesprochen wird. Erneut überschreibt sie Werbeslogans durch die Angaben und Daten der


Partisaninnen, von denen auch eine ihre eigene Mutter war. Bereits in den 70er Jahren beginnt Ivekovic mit und nach den Medien zu arbeiten. In der Serie der Bilder Double

Life findet sie Bilder in Magazinen aus dem Osten und Westen, die sie an eigene Lebenssituationen erinnern. Sie stellt jeweils ihr privates Foto dem der Medien gegenüber und oft liegen Jahre zwischen dem eigens Erlebten und dem gefundenen Bild. Auch Kai Kaljo widmet sich medial vermittelten Schönheitsidealen. Bereits als Jugendliche malte und zeichnete Kai Kaljo die Schönen der Modemagazine ab. Diese Frauen sind schlank, schick, elegant und geschminkt. „When a Woman makes a drawing of a woman, it is an image of an ideal self, that’s what the psychologists say“ gibt Kai Kaljo als Kommentar zu diesen Zeichnungen und Magazinen ab, die im Kiosk der Ausstellung „Auf Sendung“ zu sehen waren. Alle beteiligten KünstlerInnen waren aufgefordert für dieses Schaufenster Magazine – alte oder neue – in die Ausstellung zu geben. Eine bunte Mischung von Magazinen von Weissrussland bis Slowenien zeigten Schönheiten und Schminktips sowie Modestyling der Neu- und Altzeiten. Hier waren Frauen mit Attributen zu sehen, wie wir sie aus westlichen Magazinen 1:1 auch kennen: Frau mit Auto, Frau im trauten Heim, Frau als Person hinter dem bedeutenden Mann, Jugendliche, die über ihren Idealpartner sprechen. Im Zusammenhang mit Magazinen und ihrem gesellschaftlichen Einfluss haben Gediminas und Nomeda Urbonas aus Litauen das Stilius Magazin untersucht, welches einmal pro Woche als Beilage in der Tageszeitung erscheint, und redaktionell in den Händen einer Frau liegt. Sie haben mehrere Jahrgänge der Zeitung gesammelt und auf einer interaktiven CD-Rom diese in Kategorien eingeteilt. Sie führten Interviews mit jugendlichen Mädchen und fragten sie nach ihrer Einschätzung des Einflusses dieser Magazine auf sie. Die Reaktionen der Mädchen fielen unterschiedlich aus. Einige fühlten sich in ihrem Leben durchaus beeinflußt durch die Standards, die an sie herangetragen wurden, andere reagierten eher reflektiert und kritisch auf Fragen wie z.B. wann muß man seinen ersten Freund haben? Was muß man in welchem Alter anziehen? Und welche Ziele verfolgen sie im Hinblick auf eine Familie und Beruf? Der Arbeit vorangestellt ist eine Analyse von Erika Grigoraviciene zur Situation der Medien und Geschlechterordnung in Litauen.. Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 wurde Litauen wieder zur Republik. Die Gesellschaft, auf der Suche nach ihren eigenen oder auch neuen Werten, propagierte plötzlich wieder massiv das patriarchale Familienmodell. Einen großen Anteil an der Verbreitung dieses Schemas leisteten die staatlichen und privaten Medien. Hier wird eine bestimmte Realität konstruiert, die, so Grigoraviciene, von der Bevölkerung als natürliche Phänomene angesehen wird. „Jedoch sind die Genderpolitik, die Matrix der Heterosexualität und der Gendersymbiose (wie auch die Elternschaft) trotz aller ‚Naturalisierungsversuche‘ kein natürliches Phänomen, sondern ein Kulturprodukt.“ Auf der Suche nach der gesellschaftlichen Identität würde an diesen Werten massiv festgehalten, dass sie davon ausgeht, dass die Macher dieser Propaganda nicht nur daran glauben, sondern


völlig durchdrungen sind. Grigoraviciene spricht sogar von ihrer materiellen

Verkörperung. „Die Bilder einer Geschäftsfrau, der aktiven unabhängigen Frau unter all den dominierenden weiblichen Rollenbildern wie sie die ‚Miss World‘, die Models aus der Welt der Mode (die in erster Linie die Topstars auf dem Heiratsmarkt sind), die Hausfrauen, fleißigen Ehefrauen und liebevollen Mütter darstellen – das sind die Bilder, die in den litauischen Massenmedien am häufigsten zu sehen sind. Und doch ist eine aktive unabhängige Frau noch weit davon entfernt eine unabhängig handelnde Mitspielerin im freien Markt zu sein.“ Ähnlich wie Ugresic für den jugoslawischen Raum, beschreibt Grigoraviciene in Beispielen, mit welchen Diskriminierungen eine zeitgenössische Frau in der litauischen Gesellschaft umzugehen hat. Eine Frau, die keinen Mann hat, ist ein zweifelhaftes Objekt. Unternehmerinnen tragen fast alle einen verheirateten Namen, der sich in der Sprache von dem einer unverheirateten unterscheidet. Ohne ihre Männer wären die Unternehmerinnen nichts und sie sind ebenso wie andernorts auf dem Arbeitsmarkt Menschen zweiter Klasse. Das von den Urbonas untersuchte Magazin Stilius ist ein Paradebeispiel dessen. Beschaut man sich die deutsche Fernsehlandschaft und das Bild der Frau, welches hier vermittelt wird, unterscheiden wir uns von unseren osteuropäischen Nachbarländern gar nicht so sehr. 60 % der 10-19-jährigen Mädchen schauen fast täglich eine Soap im Fernsehen. Sie beginnen sich mit den Figuren zu identifitzieren. Die daraus resultierende Stereotypisierung des Typs Mädchen/Jugendliche mag einen erschrecken: „sie sind schlank, blond bis mittelbraun, haben mindestens halblanges Haar, sind selten über 1,70 m groß und tendenzielle jünger als ihre männlichen Kollegen. ... männliche Rollen sind viel markanter angelegt und stellen öfter „Lebemänner“, „Charakterköpfe“ ... dar.“ (Arne Linde, Daily Girls/Sterotypen in Daily Soaps, 2003) In dem Kapitel „Das Leben als Soap–opera“ beschreibt Ugresic, wie die tägliche Fernsehdosis zum Rettungsanker im Wirklichkeitchaos beworden ist. Sie stellt fest, dass ihr Land, welches sie selbst sagt unter kulturellem Autismus und Infantilismus leidet, sich an Serien wie Auch die Reichen müssen weinen festhalten, als sei es sein letzter Strohhalm. „Dank der Soap-opera gelangen die kleinen kroatischen Bürger (meist kleine Bürgerinnen), die sich täglich vor dem Bildschirm verzehren, wie bei einer echten psychoanalytischen Séance mitten ins Zentrum der eigenen traumatischen Realität. Die Wirklichkeit existiert nämlich, das reale Leben ist eine Seifenoper.“ (276, Ugresic) Auch Mare Tralla greift in der Videoinstalltion „A Toy“ bewußt Sehnsüchte und Idealvorstellungen des männlichen Fernseh-Zuschauers auf. Auf einem Monitor ist ein Mann zu sehen, der immer wieder auf der Fernbedienung herumdrückt. Auf einem weiteren Monitor, ihm gegenüber, sieht man - offensichtlich durch sein Zappen - viele nacheinander auftauchende Frauen, die sich im Lauf der Zeit mehr uns mehr entkleiden. Gleichzeitig schalten sich im Lauf der Zeit mehr und mehr Störbilder zwischen seine


ferngesteuerte Sehnsucht bzw. Befriedigung. Die Frauen drehen den Spieß um und der Zuschauer erhält nicht, was er wünscht, er verliert die Kontrolle. Mit viel Humor bedienen sich Trallas Schauspielerinnen übertreibender Gesten, Fratzen und Posen. Das Bild der schönen Frau im Fernsehen wird konterkariert und demontiert. Eine weitere Arbeit Trallas, „Mare Muchina“, liest sich wie eine Übersetzung sowjetischer Symbolik in die heutige Zeit. Auf einer großformatigen Fotografie ist die Künstlerin selbst mit einer Banane, sowie ein Mann mit einem Handy in der Hand zu sehen. Sie posieren in der Haltung der Kolchosebäuerin und des Arbeiters, wie sie die russische Bildhauerin Vera Muchina Anfang des 20. Jahrhunderts erstellte: mit einem Hammer für den Mann und der Sichel für die Frau. Die Skulptur war für den sowjetischen Eingangstrailer im Film Film das, was den amerikanischen Goldwyn Pictures der Löwe ist. Der Kommentar Trallas ist eindeutig: das moderne westliche Leben ist im östlichen Europa eingezogen, doch das Geschlechterverhältnis hat sich im Grunde nicht verändert. An diese Problematik schließen auch Gediminas und Nomeda Urbonas an. In ihrem langjährig angelegten Projekt TRANSACTION untersuchen sie die Rollenbilder von Frauen im Sowjetisch/Litauischen Film: 1.) Ein Archiv von Filmen und Filmszenen ist für alle einsehbar. 2.) Haben sie über 30 Frauen (Kunstwissenschaftlerinnen, Historikerinnen, Musikerinnen, Psychologinnen, u.a.) dazu interviewt, in welcher Erinnerung ihnen die Frauenrollen der Filme ihrer Jugend sind, und ob diese auf sie Einfluss hatten, - ob sie von diesem Bildern geprägt wurde? Und wenn ja, in welcher weise? Sie haben auch explizit einige Frauen nach der Bedeutung und Wandel des Vorkommen der weiblichen Stimme gefragt? Diese hat sich durch die Jahrzehnte und ein verändertes Rollenbild auch verändert. 3.) Beauftragen die beiden KünstlerInnen eine Gruppe von Experten (PsychologInnen) in einer Session die Szenen zu analysieren. Bezogen auf den litauischen Film bestätigen hier die Interviewpartnerinnen, was Erika Grigoraviciene bereits über das Bild der Frau in den Magazinen gesagt hatte: „Das Leben einer Frau hat dann keinen Wert, wenn sie Selbstverwirklichung anstrebt, und ihre Identität eine Rolle spielt. ... Die ideale Frau ist die Mutterfigur, ... und das sind die wichtigsten Motive des litauischen Kinos, an das ich mich erinnere.“ (Zivile Pipinythe, Filmkristikerin, hier aus: TRANSACTION) Auch Kai Kaljo greift in ihrem Film „A Loser“ Stereotypen von Norm und Schönheit humorvoll auf, um sich vor der Kamera stehend ihrem Gegenüber förmlich anzubieten. „I am Kai Kaljo. I am 39 years old. I am 170 tall and my weight is 79 kg. I am an artist. I still live at my mother ...“ Die Künstlerin, die in ihrer Rede permanent von dem künstlichen Lachen der Lachmaschinen in ihrer Aufzählung unterbrochen wird, beginnt ab einem gewissen Punkt, selbst zu lachen. Dieser Film ist für viele osteuropäische KünstlerInnen zu einer Art symptomatischen Statement für die Situation geworden, in der sie sich befinden: als Frau aus Osteuropa und als Künstlerin in einem für sie neuen Markt. Kaljo bedient sich in ihren Videos vieler amerikanischer Stilelemente des Daily Television. Lachmaschinen, Werbung, Settings, die aus Hollywood stammen können. Die Künstlerin allerdings nutzt sie, um humorvolle Statements zur Absurdität dieser Elemente zu machen. So schwimmt sie in „Greetings from La Jolla“ in einem


kalifornischen Pool im Kreis. Sie spielt das Schwimmen im immer schneller werdenden Fast Forward Modus ab, bis aus dem Pool ein Strudel wird, aus dem sie am Ende erschöpfend herauskommt. Die Frau und das Pool – halb öffentlich, halb privat – wird von ihr auf den Kopf gestellt und das ganze Video pink eingefärbt. Ihr medial vermitteltes Bild von Hollywood entsprach nicht der Realität. Jeder hat ein Pool, so berichtet Kaljo, doch keiner ist drin. Unbenutzt ruhen die blauen Becken als Accessoir neben den Villen. Morgens fahren die Menschen lange Wege zur Arbeit, spät am Abend zurück. Kein Hollywood, keine Freizeit, kein Fun. Kai Kaljo spürt die Szenen auf und zeigt ein Stück absurde Realität einer Beobachterin aus Estland, der Amerika lange als das Unerreichbare galt. Selbstbewußt setzt sie sich auch als Wassernixe im Bikini durch ihre ungeschönte Figur im Pool und vor der Kamera (A Loser) ab. Der Einfluß der privaten und der öffentlich/rechtlichen Medien auf eine Gesellschaft ist beachtlich. „Sie können die Meinungsbildung der Bevölkerung strukturieren und die Handlungsmöglichkeiten politischer und sozialer Akteure und Akteurinnen, über die berichtet wird, einschränken oder auch erweitern. Sie können Images von Personen und sozialen Rollen kreieren.“ (Heike und Wolfgang Becker, „Die Darstellung von Frauen und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen“ Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1999) Das meint auch der in Ljubljana lebende Russe, Vadim Fishkin. Er hat für das lokale Fernsehen einen Trailor („Heim-TV-Installation“) entwickelt, der analog zu Ratgeberprogrammen im Fernsehen, das Publikum dazu auffordert, eine Heim-FernsehInstallation zu bauen. Hierfür schlägt er vor, allerlei absurde Gegenstände des täglichen Gebrauchs so an und um den Fernseher zu drapieren, dass dieser sich zu einer temporären Installation verwandelt. Eingereichte Bilder werden anschließend von einer Jury gekürt und gewinnen kann man einen Auftritt im Fernsehen oder ein Pocket TV Gerät. Fishkin spielt mit den Medien und dem Publikum, indem der Fernsehkasten zur Kunstskulptur wird. Gleichzeitig weist er auf seine russische Herkunft hin. In seiner Kindheit, so erinnert Fishkin sich, wurde der Platz, an dem der Fernseher stand (sofern es welche gab), behandelt, als handele es sich um einen heiligen Schrein. Allerlei Kleinigkeiten und Gegenstände gruppierten sich um die Skulptur und das Möbel des Fernsehers. Durch die Auswahl der Gegenstände für die Heim-TV-Installation, wie Klopapierrolle, Fön, Schuh, Brot, Pflaster, Messer u.a. – Dinge, die man heute in ShopTV auch bestellen kann – machen aus den Heimkollagen etwas Zeitgenössisches und gleichzeitig Absurdes bzw. Lächerliches.


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