814202 es muss im leben mehr als alles geben

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Deutschsein, dem Gesetzten und Überskeptischen, dem Saturierten. Wir sehnten uns nach sozialen Utopien, die wirklich umgesetzt wurden, und weniger nach Konsum und sozialem Aufstieg. Uns verlangte nach Gemeinschaft und nicht Vereinzelung, nach Exzentrik und weniger Ordentlichkeit. Da es nicht weiter in die Tiefe ging, suchten wir die Lösung in der Breite. Wir wollten mehr Sonne, herzlichere Menschen, kulturelle Vielfalt und ein anregendes Leben. Wir dachten ans Mittelmeer, Vancouver, Kalifornien. Zu unserer großen Überraschung landeten wir in Südafrika. In einer warmen Januarnacht saßen wir auf einer Bank im Garten unter der großen Bougainvillea, der Mond ging auf, groß und voll, und stand für einen Moment auf dem Bergrücken, als wollte er hinunterrollen und im Meer versinken. Ein Frieden, zum Anfassen groß, kam über uns und wir wussten, hier wollten wir leben und nirgendwo anders. Wir gingen Langusten angeln, barfuß einkaufen, im wilden Atlantik surfen, bestiegen den Tafelberg und lernten überall Menschen kennen, die die natürliche Großzügigkeit ihres Landes widerspiegelten. Auch ihre Lebensgeschichten waren ein paar Nummern größer als unsere. Es war aufregend und wir waren glücklich. Wir waren nicht reich, nicht krankenversichert, unsere Kinder verstanden kein Englisch und wir alle kein Xhosa oder Afrikaans. Es war ein Abenteuer und wir fühlten uns frei. Und auf seltsame Weise auch zu Hause. Wir fanden Freunde in fremden Kulturen und Sprachen und wir fanden eine Antwort auf Fragen, die uns immer wieder das Glück geraubt hatten. Die Stimmung im Land war elektrisierend, als wäre die Luft geladen. Hier wurde radikal geschenkt und geholfen und gleichzeitig aus Eifersucht oder Neid gemordet. Hier prallten Welten aufeinander und das belebte unsere 8


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