Lydia (Ausgabe 3/2023) – 448932

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Körper & Seele DIAGNOSE BRUSTKREBS Dossier IDENTITÄT –GEWÄHLT ODER GESCHENKT? N° 3/2023 WWW.LYDIA.NET D € 5,90 A € 6,20 | CHF 8.10 D 12013 ISSN 0939-138X
Die Brotkünstlerin Glaube & Lebenshilfe VERSCHÜTTETE GABEN WIEDERFINDEN
Judith Lehnhardt

Impulskontro�e

Als unsere Hündin jünger war, besuchten wir mehrere Hundeerziehungskurse. Schnell merkte ich, dass die Inhalte des Hundekurses auch für andere Lebensbereiche hilfreich sein können. Zum Beispiel die Impulskontrolle: Impulskontrolle bedeutet, vereinfacht gesagt, dass der Hund nicht jedem Reflex nachgibt, sondern lernt, ruhig zu bleiben.

Ein Reflex oder Reiz kann für einen Hund ein Fußgänger sein, der hinter dem Gartenzaun entlangläuft, oder eine Katze. Ein Hund soll lernen, den Fußgänger nicht anzubellen und die Katze nicht zu jagen. Er soll sitzen bleiben und ruhig zuschauen, wie die Katze über die Straße läuft. Eine schwere Übung. Mit unserer Bonny arbeiten wir immer noch daran.

Durch die Beschäft igung mit dem Thema habe ich festgestellt, dass auch ich meine Impulse kontrollieren sollte. Zum Beispiel, wenn ich eine Idee habe. Häufig beginne ich direkt mal schnell, auf dem Handy etwas zu recherchieren. Meistens dauert das eine Weile, und ich habe mich von dem, was ich eigentlich tun wollte, ablenken lassen. Dabei muss ich diesem Impuls nicht sofort nachgehen, sondern könnte mir eine Notiz machen und das Ganze später anschauen.

Je mehr ich darauf achte, desto mehr Beispiele für fehlende Impulskontrolle finde ich bei mir und in meinem Umfeld: in sozialen Medien und Chats, in Diskussionen und Gemeindeversammlungen.

Wie reagiere ich, wenn mir etwas nicht gefällt oder meinen Werten und Vorstellungen nicht entspricht? Lasse ich meinem ersten Impuls, meinem Ärger, meiner Empörung freien Lauf?

Wenn ja, wie kann ich lernen, es anders zu machen?

Vor vielen Jahren war mir eine Freundin ein Vorbild. Als ihre minderjährige Tochter ihr sagte, dass sie schwanger sei, schaffte sie es, ihren ersten Impuls zu beherrschen. Sie nahm ihre Tochter in den Arm. Statt Vorwürfe zu machen, versprach sie ihr Unterstützung und machte ihr Mut. Der Tochter, die ja selbst wusste, dass sie Fehler gemacht hatte, fiel eine Last von der Seele. Sie hatte sich viele Tage lang nicht getraut, mit der Wahrheit herauszurücken aus Angst vor der Reaktion der frommen Eltern. Die Mutter hatte liebevoll reagiert, weil sie ihren ersten Impuls beherrscht und nicht das gesagt hatte, was ihr spontan durch den Kopf gegangen war. Im Gespräch sagte sie mir später, dass sie ein Stoßgebet losgeschickt hätte, dass Gott ihr für die Situation die richtigen Worte geben und ihr helfen möge, gut zu reagieren. Schließlich sei ein neues Leben auch immer ein Grund zur Freude.

„Wir alle machen viele Fehler, aber wer seine Zunge im Zaum hält, der kann sich auch in anderen Bereichen beherrschen“, heißt es im Jakobusbrief in Kapitel 3, Vers 2. Das ist Impulskontrolle in der Bibel – eine ständige Übung für uns alle.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Ausgabe dazu weitere Impulse und hilfreiche andere Themen finden.

Viel Freude beim Lesen,

Lydia-Wundertüten zu verschenken

Wir verkleinern unser Archiv und verschenken Überraschungspakete mit je zehn älteren LydiaAusgaben. Sie möchten eins der Pakete erhalten? Schreiben Sie bis zum 12. September eine E-Mail an redaktion@lydia.net mit dem Betreff „Wundertüte“. Leider können wir die Wundertüten nur an Adressen in Deutschland senden.

GANZ PERSÖNLICH
Ihre
Ellen Nieswiodek-Martin
/2018 W.LYD Persönlich. Lebensnah. Eine Freundin für alle Fälle Mama hat jetzt Pause! Emotional gesund werden Hoffnung in dendesStürmen Lebens Entscheidung zum Glücklichsein Barbara Hänni LYDIA 03/2023 3

GLAUBE & Lebenshilfe

BERUF & Gese�scha�

14 MACH‘S WIE OMA!

Mein Traum vom einfachen Leben

– Veronika Smoor

22 NAMENLOSE SCHÖNHEITEN

– Daniela Helfrich

24 WIE MEINE SEELE HEIL WURDE

– Sara Langhirt

28 MÄNNLICH | WEIBLICH | DIVERS

Hintergründe zum Selbstbestimmungsgesetz

– Saskia Barthelmeß

44 HOFFNUNG FÜR KINDER MIT HANDICAP

– Sarah-Lena Glaum

56 GOTT ÜBERALL FINDEN

– Rebecca Watta im Interview

60 VERSCHÜTTETE GABEN WIEDERFINDEN

– Kerstin Knaack

74 „GOTT HAT UNS VIEL ANVERTRAUT“

– Marlene Shahwan im Interview 6

Identität
Lebens
„ICH
49 VOM WASSER ÜBERRASCHT
Daniela Merkert
WARUM ISRAEL WICHTIG IST FÜR UNSEREN GLAUBEN
Krämer im Interview
JESUS, DER JUDE
Anatoli Uschomirski
GLAUBENSFUNKEN Aufmerksam
Dorothee Kowalke In den Arm genommen – Birgit Paschke Ein Halleluja im Krankenhaus – Hanna Schwing
32 TIEFER GRABEN
– der Kompass meines
– Sabine Bockel 46
HABE EINEN WEG FÜR DICH!“ – Andrea Brickey
70
– Tobi
73
90
beten –
Jud� h Lehnhardt
Brotkünstlerin LYDIA 03/2023 4
INTERVIEW
Die

DOSSIER Ident�ät

IN JEDER Ausgabe

3 GANZ PERSÖNLICH

Impulskontrolle

– Ellen Nieswiodek-Martin

13 LESERBRIEFE

20 ZWISCHENDURCHGEDANKEN

Tief Luft holen

– Saskia Barthelmeß

52 LIEBE LESERIN

67 SCHMUNZELN MIT LYDIA

68 SELBST GEMACHT Sommerspaß für Klein und Groß – Luisa Seider

78 FÜR SIE ENTDECKT

80 KLEIN, ABER FEIN Kleinanzeigen

82 STARKE FRAUEN, STARKER GLAUBE

Margarete Schneider: Eine Botschafterin der Versöhnung – Sigrid Offermann

86 GUT INFORMIERT. NEU INSPIRIERT.

94 WELCOME TO MY LIFE

„Ist das glutenfrei?“ Mein Alltag mit Zöliakie – Charlott Nieswiodek 97 IMPRESSUM

18 EINANDER GUTES UNTERSTELLEN

– Katrin Schmidt

40 „WANN WEISS MAN, WER MAN IST?“

– Roswitha Wurm

62 MIT GOTT IM KELLER

– Esther Middeler

64 FAMILIEN MIT EINER EXTRAPORTION LIEBE

– Andrea Varga

66 EIN BESONDERES GEBURTSTAGSGESCHENK

– Olha Himmelstoß

FAMILIE & Beziehungen KÖRPER & S�le

36 AUF DER SUCHE NACH MEINER IDENTITÄT Mein Weg vom „kleinen Jungen“ zur erwachsenen Frau

– Katja Weber

50 DIAGNOSE BRUSTKREBS

Wie ich mir das Vertrauen nicht stehlen ließ

Silke Leimcke

53 EIN WEG DURCHS MEER Wie Gott mir half, die Angst vor einer Krebserkrankung durchzustehen

– Dorothea Kerner

54 MEIN LEBEN MIT DER ANGST. Und wie ich (beinahe) angstfrei wurde.

– Rahel Berger

81 DIE WÄSCHE-LEKTION

– Jrene Bircher

24-42 LYDIA 03/2023 5
Gewählt oder geschenkt?
INTERVIEW Interview
LYDIA 03/2023 6
FOTOS: Deborah Pulverich

Die Br� künst ler�

Die Brote, die Judith Lehnhardt herstellt, sehen aus wie Kunstwerke – Blumenranken oder gra sche Muster verschönern die Ober äche. „Ich kann nicht anders, als jedes Brot zu verzieren“, sagt die 40-Jährige. Angefangen hat alles, als es in der Coronazeit keine Hefe gab und sie lernte, für ihre Familie Sauerteigbrot zu backen. Die Großfamilie ist wichtig für Judith, denn ohne die Unterstützung ihrer Eltern wäre ihr Leben wohl schwieriger verlaufen.

Judith, hast du dich immer schon fürs Backen interessiert?

Meine Oma hat ihr Leben lang mit Sauerteig gebacken, bis sie weit über neunzig war. Sie hat die ganze Familie versorgt. Ich habe schon immer gerne gebacken, aber das Brotbacken habe ich tatsächlich nicht von ihr gelernt, sondern mir alles in der Coronazeit selbst beigebracht, durch Videos und Blog-Artikel. Es gibt eine Fülle an Wissen im Internet. Meine Oma ist inzwischen leider verstorben.

Wie kamst du auf das Sauerteigbrot?

In der Coronazeit gab es eine Zeit lang keine Hefe. Aber Mehl und Wasser hatten die Leute. So ist der Trend mit dem Sauerteigbrot entstanden. Auch ich war den ganzen Tag zu Hause und hatte total Lust, das mit dem Backen auszuprobieren. Zuerst habe ich mir den Sauerteig gezüchtet und dann angefangen mit Roggenbrot. So hat es sich nach und nach entwickelt.

Was ist das Besondere am Sauerteig?

Mich fasziniert immer wieder das Prinzip dahinter – ein Teig, der immer weiterlebt. Ein Sauerteig besteht nur aus Mehl und Wasser. Mehr ist nicht drin. Die Triebkraft kommt durch ihre Verbindung. Für mich ist das wie ein Wunder! Es sind nur diese wenigen Zutaten drin, und ich weiß, wo sie herkommen. Das gibt mir ein gutes Gefühl, dass ich damit meine Familie versorgen kann.

Laut der Bibel sollen an manchen jüdischen Festen, zum Beispiel dem Pessach-Fest, nur ungesäuerte Brote gegessen werden, also Brote ohne Sauerteig. Hast du eine Idee, warum das so ist?

Das Backen mit Sauerteig erfordert sehr viel Zeit. Sauerteigbrot muss die ganze Nacht reifen. Die ungesäuerten Brote musste das Volk Israel herstellen, weil die Menschen nicht so lange Zeit hatten, als sie bei der Flucht aus Ägypten Hals über Kopf das Land verlassen mussten.

Weil heutzutage die Bäcker das Brot nicht mehr so lange stehen lassen, gibt es übrigens viele Unverträglichkeiten. In der Lebensmittelindustrie und bei industriell hergestellten Broten muss alles schnell gehen. Durch die lange Teigführung, also das Gären über Nacht im Kühlschrank, wird ganz viel von dem, was einige Menschen nicht vertragen, abgebaut. Sauerteigbrote sind unfassbar bekömmlich und darmfreundlich. Ich habe das getestet bei Leuten, die sonst massive Probleme haben und sagen, sie vertragen keinen Weizen. Die können alle mein Brot essen. Natürlich nicht Menschen, die eine Zöliakie haben, das ist etwas anderes.

Eigentlich bist du Fremdsprachenkorrespondentin. Inzwischen stellst du richtige Brotkunstwerke her. Wie kamst du auf die Idee, die Brote so kunstvoll zu verzieren?

Ich habe auf Instagram verzierte Brote gesehen und fand sie so faszinierend, dass ich auch welche machen wollte. Die Freude am Verzieren war von Anfang an da. Vorher bin ich immer auf der Suche nach meinem Talent gewesen. Ich habe Menschen beneidet, die irgendetwas richtig gut konnten. Ich hatte das nicht gefunden. Und in den vergangenen zwei Jahren ist es mir geschenkt worden. Ich möchte einfach schöne Brote backen! Mein Beruf hat mir zwar auch Spaß gemacht, aber diese Leidenschaft habe ich erst jetzt mit dem Brot entdeckt. Das hat mich richtig gepackt.

Du teilst inzwischen selbst deine Erfahrungen im Internet …

Es gibt bei Instagram eine große internationale Community, in der man Erfahrungen und Tipps teilt. Darüber habe ich selbst viel gelernt. Im Januar 2021 habe ich auf Instagram meine eigene Brot-Seite bread_spiration erstellt, auf Englisch. Der Account ist dann stetig gewachsen.

Das Internet und die Möglichkeit von Onlinekursen bieten viele Möglichkeiten für die Brotkunst. Ich kenne

INTERVIEW Interview
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Mach‘s wie Oma!

Mein Traum vom einfachen Leben

Ich bin weit davon entfernt, eine Großmutter zu sein. Hoffentlich. Aber vor einigen Jahren bin ich auf den Geschmack feiner Großmutterqualitäten gestoßen und pflege seitdem meine „innere Oma“. Ich bleibe am Abend nicht mehr zwanghaft so lange auf, bis ich das Gefühl habe, die Zeit, welche ich tagsüber mit Haushalt, Job und Kindern verbracht habe, aufgewogen zu haben. Nein, ich gehe zu einer vernünftigen Zeit ins Bett – bei mir ist das 22 Uhr. Ich habe Vergnügen am Stricken, Gärtnern und Quilten gefunden. Als mich meine amerikanische Freundin besuchte und in meinem Arbeitszimmer einen angefangenen Quilt entdeckte, lachte sie: „Das machen bei uns nur die Omas!“

DER GRANNY-PRAGMATISMUS

Irgendwann im letzten Jahrhundert ist die Wissenskette gerissen. Anstatt von den Alten zu lernen, belächelten wir sie und begruben den uralten, von Generation zu Generation transportierten Wissensschatz unter Fertigprodukten und dumpfer Berieselung. Aber mit dem Verlust des alten Wissens sind uns gute Werte aus den Händen geglitten: Bescheidenheit, Nachbarschaftshilfe, Treue, Nächstenliebe.

Ich möchte das Leben unserer Vorfahren nicht romantisieren. Für einige moderne Neuerungen bin ich überaus dankbar. Aber eines hatte die alte Generation uns voraus: Sie war nicht von unzähligen Auswahlmöglichkeiten und Selbstoptimierungsappellen überwältigt. Sie litt weniger an der Epidemie der Einsamkeit. Perfektionismus war ein Fremdwort, genauso wie entfesselter Konsum und Leben über die eigenen Verhältnisse.

Ohne das alte Wissen haben wir kein Handwerkszeug, um den Krankheiten unserer Zeit zu begegnen. Dieses Handwerkszeug nenne ich „Granny-Pragmatismus“ – OmaPragmatismus. Moderne Bewegungen wie Achtsamkeit, Digital Detox, Gemeinwohlökonomie und Slow Living kann man allesamt im Granny-Pragmatismus verorten. Er hat folgende Kennzeichen:

• Nutze, was du hast.

• Sei zufrieden mit dem, was du hast und wer du bist.

• Kaufe nur, was du wirklich brauchst und in der besten Qualität.

• Gehe behutsam mit den Dingen, Menschen und der Natur um.

• Sei ein guter Nachbar.

• Kultiviere Freude an den einfachen Dingen.

IM RHYTHMUS DER JAHRESZEITEN

Meine Großmütter kenne ich nur aus Erzählungen und von Bildern. Eine von ihnen war eine imposante Gestalt. Zeitweise geplagt von Depressionen, führte sie einen Gutshof, überdauerte finanzielle Engpässe, zog zwei Kinder groß und starb mit Ende sechzig. Die andere Großmutter verwandelte sich von einer gesunden Stadtpflanze zur mittellosen, ausgezehrten Flüchtlingsfrau. Sie bewältigte unaussprechliche Strapazen mit drei kleinen Kindern und starb kurz nach dem Krieg an Tuberkulose.

BERUF & GESELLSCHAFT
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Meine Mutter, das ehemalige Flüchtlingskind, hat mich spät bekommen. Deshalb wuchs ich anders auf als meine Mitschüler. Wer einmal Hunger und Not erlebt hat, wirtschaftet anders. Während andere Kinder in der Pause eine Milchschnitte, ein „BiFi“ und „Capri-Sonne“ aus ihrem nagelneuen „Scout“-Ranzen angelten, holte ich verschämt meine Dose mit einer Vollkornschnitte und einen Becher mit selbst gepresstem Apfelsaft aus meinem alten Lederranzen.

Den Sommer verbrachte ich im Garten, erntete Erdbeeren und verkochte sie literweise zu Marmeladen. Im Frühjahr pflückten wir Brennnesseln für Ersatzspinat und Kräuter gegen verschiedene Unpässlichkeiten. Mit Kuchen wurde ich zur kranken Nachbarin geschickt und zum Spielen immer nach draußen. Am Sonntag ruhten wir uns wie der Schöpfer aus. Das Leben fügte sich in den Rhythmus der Jahreszeiten. Und wenn das Leben schmerzhafte Bocksprünge machte, beteten wir.

BEI MIR SELBST ANKOMMEN

Vor vierzehn Jahren wurde ich selbst Mutter. Ich war zutiefst glücklich und zufrieden, die ersten Jahre für Heim, Garten und Kinder zuständig sein zu dürfen. Das eröffnete mir neue, ungeahnte Handlungsspielräume.

Ich legte ein kleines Kräuterbeet an, nähte einfache Kleidchen für meine Mädchen aus alten Bettbezügen, buk mein erstes Brot, das meine Familie mit höfl icher Tapferkeit verzehrte, mixte Reinigungsmittel aus Soda und Seife, stopfte Löcher in Hosen und Socken. Und mit dem Flicken der Jeanslöcher reparierte ich das löchrige alte Band der Wissenskette, das ich einst achtlos weggeworfen hatte.

Später baute ich mir eine Selbstständigkeit als Fotografin und Autorin auf, sodass ich weiterhin in freier Zeiteinteilung von zu Hause aus arbeiten konnte. Die Erwerbsarbeit taktete ich so, dass Zeit blieb fürs Brotbacken und Gärtnern, fürs Haushalten und Putzen, für Kinder und Freunde. Mit dem „Homemaking“ verdiene ich nichts im finanziellen Sinne, aber genau diese Tätigkeiten machen mich reich. Seitdem ich „Granny-Skills“ in meinem Leben kultiviere, komme ich bei mir selbst und in diesem Leben an.

EIN SICHERER ORT, DER LEBEN SPENDET

Das englische Wort „Homemaking“ klingt so viel schöner als das deutsche Wort Hausarbeit, nicht wahr? Es fügt der strengen deutschen Hausfrauen-Gründlichkeit eine verspielte Komponente hinzu: das bewusste Gestalten eines Ortes mit allen Sinnen. Ein Ort, der heilt: uns. Unsere Beziehungen. Unsere Beziehung zur Erde.

Manchmal beobachte ich die genügsame Lebensweise der Alten. Die eine stille Zufriedenheit ausstrahlen trotz allem Unfertigen, trotz mancher Schicksalsschläge. Denen dieser eine Tag genügt. Eine gute Mahlzeit, ein Buch und eine Stunde im Garten. Wie anders sähe wohl die Welt aus, wenn viel mehr Menschen so leben und handeln würden? In stiller Zufriedenheit. Nicht, weil sie alles haben. Sondern weil sie mit den Unfertigkeiten des Lebens versöhnt sind. Sie sind mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihnen größere Unabhängigkeit verschaffen. Wenn etwas kaputtgeht, wissen sie, wie man es repariert. Sie haben nicht nur sich selbst, sondern auch den Nachbarn mit im Blick.

Inmitten dieser harten und unsicheren Welt brauchen wir alle einen Platz, an dem wir weich landen. Ein Zuhause, einen sicheren Hafen. Unser Zuhause ist die Basis, wo wir in Aktion treten und Veränderung bewirken können. Wo wir uns der Schöpfung zuwenden, indem wir gärtnern, Vorräte anlegen, Beziehungen pflegen, Zeit und Liebe in unsere Kinder investieren, Nachbarschaftshilfe leisten, uns weiterbilden, aktiv Müll reduzieren, Ausgaben kontrollieren. In unseren Häusern, Wohnungen, Nachbarschaften können wir eine lebensspendende Ökonomie aufbauen.

BERUF & GESELLSCHAFT
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Wie anders sähe wohl die Welt aus, wenn viel mehr Menschen so leben und handeln würden? In stiller Zufriedenheit. Nicht, weil sie alles haben. Sondern weil sie mit den Unfertigkeiten des Lebens versöhnt sind.

Auf dieser Seite schreibt Saskia Barthelmeß über Schönes und Schweres und alles dazwischen.

Tief Lu� holen

„Schau auf dich!“, „Achten Sie auf sich selbst!“, „Endlich tun, was ich will!“ Von den Covers verschiedener Zeitschriften und Ratgeber schallt mir diese Botschaft entgegen. Selbstfürsorge – das Wort der Stunde! Und dann meint auch noch meine Beraterin zu mir: „Sie schauen immer zuerst, dass es allen in der Familie gut geht, bevor Sie auf sich achten.“ Tja, ich bin Mutter, will ich widersprechen. Das steht doch in meiner Jobbeschreibung ganz oben. Für mich klingt Selbstfürsorge sehr danach, mein eigenes Ego zu polstern. Die Bedürfnisse von anderen auszublenden und zuerst darauf zu schauen, dass es für mich passt. Ich habe nicht den Eindruck, dass das mein Ziel sein sollte als Nachfolgerin eines Gottes, der sagt: „Du sollst deine Mitmenschen lieben wie dich selbst!“ Gleichzeitig spüre ich, dass sie recht hat. Nach einer längeren Phase der Erschöpfung kämpfe ich darum, eine gesunde Balance in meinem Leben zu finden. Ich bin eine Grenzgängerin –immer dicht an der Grenze zum Zuviel. Meine Kraft ist gering, die Aufgaben viele. Und jetzt soll ich mich zuerst um mich selbst kümmern? Ich bekomme die Aufgabe, eine Liste zu schreiben mit Tätigkeiten, die mir Spaß machen. Leicht! Schnell landen ein paar Wörter auf meinem Zettel: lesen, tiefe Gespräche führen, schreiben, spazieren gehen, meine Lieblingsserie schauen … Doch aus Erfahrung weiß ich, dass all das allein mich nicht aufrichten und ermutigen kann. Kurzzeitig bringen mir diese Beschäftigungen Entspannung, ja. Aber meist ist es nicht damit getan, eine

Seite zu lesen, eine Folge zu schauen oder eine Runde spazieren zu gehen. Da ist ein Teil in mir, der gierig immer mehr möchte und mich am Ende doch hungrig zurücklässt. Ich will mich nicht um diesen Teil meines Selbst kümmern, der nie zufrieden ist, sondern um mein Herz.

Ja, es ist Herzfürsorge, die ich brauche. Zeiten, in denen ich offen und ehrlich sein kann – vor Gott und vor anderen. In denen meine Seele tief Luft holen darf. In denen ich dorthin abtauche, wo der Heilige Geist mir Mut zuspricht. Das wichtigste Gebot, das Gott mir gibt, fängt schließlich mit den Worten an: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand“ (Lukas 10,27).

Ganz egal, was mir guttut: Entscheidend ist, dass ich es in Verbindung mit Gott tun kann – in Dankbarkeit und Freude. Derjenige, der mich mit Körper, Seele und Geist geschaffen hat, weiß am besten, was ich brauche. In seiner Gegenwart kann ich wirklich auftanken, werde ich satt, wird mein Herz voll und meine Seele zufrieden. Dann bekomme ich die Kraft, die ich brauche, um weiterzugehen. Auf einmal habe ich wieder einen positiveren Blick aufs Leben. Beflügelt von dieser Erkenntnis schreite ich zur Tat. Jeden Tag trage ich mir eine halbe Stunde „KA“ in den Terminkalender ein. Ein Treffen mit K. A.? Kinder abholen? Nein, mein nächster Schritt zur Herzfürsorge. Kleine Auszeit – lesen, reden, spazieren gehen mit Jesus! Für mich ein Statement, dass mein Herz so wichtig ist, dass ich mich darum kümmern darf. T

Saskia Bar�elmeß

gibt ihre Herzensangelegenheiten am liebsten schriftlich weiter. Sie liebt lautes Lachen mit Menschen und stille Zeiten mit Jesus. Daheim ist sie im wunderschönen Tirol.

KOLUMNE
LYDIA 03/2023 20

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LYDIA 03/2023 21

Auf der Suche nach

meiner

Ident�ät

Mein Weg vom „kleinen Jungen“ zur erwachsenen Frau

Vor einigen Jahren ging es mir körperlich und seelisch sehr schlecht. Grund für meine schlechte seelische Verfassung war zum einen eine tiefgreifende Erschöpfung aufgrund einer chronischen Erkrankung, zum anderen der Beginn einer christlichen Psychotherapie, denn dieser Prozess kostete mich viel Kraft.

Voller Zweifel, Angst und Unruhe hatte ich mich zu der Therapie angemeldet. Ich konnte mich nicht gleich öffnen. Das sehe ich erst rückblickend, denn bis dahin hatte ich mich für eine sehr offene Frau gehalten. Nach einigen Therapiestunden kam mein erster psychischer Absturz: Wir sprachen über meine Pubertät, also die Zeit, in der ich vom Mädchen zur Frau hätte reifen können. Während die Therapeutin ein paar Stichworte in den Raum warf, spürte ich, wie ich innerlich zusammensackte. Das Einzige, was ich fühlte, war: Leere. Gähnende Leere! Ich merkte, dass

einiges in meiner Seele nach oben drängte, das ich nicht wieder verbuddeln wollte. Stattdessen spürte ich eine starke Sehnsucht, Licht in die Dunkelheit kommen zu lassen. Irgendwo in meinem Leben hatte es einen Filmriss gegeben. So, als wenn jemand eine andere Spule eingelegt hätte. In mir erwachte die Sehnsucht, den alten Film wieder einzulegen und weiterspielen zu lassen.

Ich glaube, dass das ein heiliger Moment war.

ICH – EIN KLEINER JUNGE?

Wie war der Film meines Lebens nach dem Riss weitergelaufen? Welche Rolle hatte ich, die Hauptdarstellerin, darin gespielt?

In einem längeren sehr schmerzhaften Prozess erkannte ich mich in der Rolle eines kleinen Jungen. Was? Bin ich das wirklich? Will ich das sein? Deshalb also dieses unglaublich

KÖRPER & SEELE
DOSSIER LYDIA 03/2023 36
Von

starke Gefühl von Leere, als es um das Thema Frausein ging! Damit stand ich vor zwei Worten, die mich sehr herausforderten: „Du bist klein und männlich!“ Anfangs hatte ich noch keine Ahnung, was es für mich bedeuten würde, mich damit zu beschäftigen. Ich spürte nur abgrundtiefen Schmerz, Schock, Entsetzen: Was war in unserer Familie und dadurch in meinem Leben schiefgegangen?

Wohlgemerkt, ich war zu dem Zeitpunkt meiner Therapie längst körperlich erwachsen. Ich war verheiratet und Mutter.

Das erste Stichwort – „klein“ – zeigte mir, dass nun ein Prozess vor mir liegen würde. Ich wollte nicht mehr klein sein. Ich wollte groß werden! Am liebsten sofort. Nicht überdimensional oder größenwahnsinnig. Aber ich wollte gern die seelische Größe eines Erwachsenen erreichen. Unter anderem hieß das für mich, eine schonungslose Selbsterkenntnis zuzulassen: Wo und wie mache ich mich klein? Lasse ich Menschen über mich herrschen? Wie kann ich es schaffen, ihnen diese Rollen nicht mehr zuzuweisen? Stark, groß, selbstständig und verantwortungsbewusst wollte ich werden. Ich ahnte nicht, dass dies ein Weilchen dauern würde.

Das zweite Stichwort – „Junge“ –offenbarte mir nach und nach einen enormen seelischen Schmerz. Ich erkannte, dass ich mich unbewusst stark von meinem Vater hatte prägen lassen. Das lag zum einen daran, dass er aufgrund einer schwierigen Ehebeziehung eine ungesunde Nähe zu mir hatte, zum anderen daran, dass die Beziehung zu meiner narzisstischen Mutter problematisch war, was mir bis dahin nicht bewusst gewesen war. Ich hatte mich übermäßig zu meinem Vater hin orientiert. Er bildete die Identifikationsfläche für mich, wie man leben konnte. So wurde ich ein aktiver, leistungsstarker, harter, initiativer, verantwortungsbewusster, sich selbst überfordernder Junge. Passive Reaktionen, bedient oder gar umworben werden wollen, weiche Züge und Verhaltensweisen, zarte Farben – all das hatte ich instinktiv abgelehnt. Ich kleidete mich von Jahr zu Jahr unvorteilhafter. Ich rutschte immer tiefer in einen Selbsthass und eine Selbstverachtung hinein. Aufgrund der Hassliebe zu meiner Mutter wollte ich ihr auf keinen Fall in irgendeiner Weise ähnlich sein, und sie kümmerte

sich ständig um ihr Aussehen. Dabei war es mir gelungen, all das recht gut zu kaschieren. Es war also beispielsweise nicht so, dass ich keinen Schmuck getragen oder keinen Rock angezogen hätte. Aber der Schmuck stand mir nicht, und der Rock war ein Hosenrock ... Die Frau, die im übertragenen Sinn gern die Hosen anhatte.

MEIN LANGER WEG ZUR WEIBLICHKEIT

Heute weiß ich: Ich brauchte eine weibliche Identifikationsfigur. Eine Frau, die mir liebevoll und unaufdringlich die Möglichkeit gab, nach dem Filmriss die alte Spule wieder einzulegen und mein Leben anders weiterzudrehen. In meiner Therapeutin hatte ich genau diese Person gefunden. Man nennt das in der Psychotherapie „Übertragung“. Es ist eine Methode, die verantwortlich eingesetzt werden kann, um seelische Schäden zu heilen. Dabei darf eine andere Person als Mutter oder Vater „adoptiert“ werden. Mein Filmriss hatte sehr, sehr früh im Leben stattgefunden. Dementsprechend umfassend war mein „Werde-Weg“, den ich zu gehen hatte.

Rückblickend betrachte ich es als ein Geschenk von Gott, das er von langer Hand vorbereitet hatte. So lernte ich im Zusammensein mit ihr oft weniger durch Worte, häufiger aber durchs Zuschauen. Ihre Gesten, ihre Verhaltensweisen, ihre Lebenswerte – all das prägte mich auf einer tiefen Ebene. Wenn ich oben einige Aspekte des Frauseins erwähnt habe, so ist das ja schwierig. Sehr schnell klingen Klischees an, was typisch weibliche Eigenschaften seien …Vielleicht möchte man daraufhin widersprechen.

Mir geht es hier nicht um Verallgemeinerungen und Festlegungen. Denn man kann sich beispielsweise sehr gut als Frau fühlen, ohne irgendwelchen Schmuck zu tragen. Es geht mir darum, meine persönliche Geschichte zu teilen, das, was ich für mich als wesentlich erkannt habe. Verhaltensweisen, Gesten, Wesenszüge, die ich gern in meine Identität integrieren wollte.

VOLLER HOFFNUNG WEITERGEHEN

Ich bin mir sicher, dass es an dieser Stelle des therapeutischen Prozesses auch andere Möglichkeiten gegeben hätte. Das für mich Einfachste wäre gewesen, das Ganze

KÖRPER & SEELE
DOSSIER LYDIA 03/2023 37
Irgendwo in meinem Leben hatte es einen Filmriss gegeben. So, als wenn jemand eine andere Spule eingelegt hätte.

„Ich habe einen Weg für dich!“

Es war für mich schwer vorstellbar, dass mein Mann und ich nach sechs Jahren in der Mission in Thailand nun wieder nach Deutschland zurückkehren mussten. Fassungslos sah ich zu, wie andere für uns die Koffer packten und unseren Haushalt auflösten. Das konnte doch nicht wahr sein! Alles hatte doch so hoffnungsvoll begonnen.

GLAUBE
LYDIA
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& LEB ENSHILFE
03/2023

Mein Mann und ich hatten beide an Missionsschulen unterrichtet. Wir hatten Thai gelernt, Kontakte aufgebaut, eine Thai-Gemeinde in ihrem missionarischen Bemühen unterstützt. Wir hatten das Land und seine Leute lieben gelernt. Und das alles sollte jetzt ein Ende finden? Mein Mann hatte schwere Depressionen entwickelt. Bei mir wurden Tumore entdeckt. Und auch für die Behandlung meiner chronischen Entzündungen gab es vor Ort keine geeignete Hilfe. Im Abschiedsschmerz und meiner Ratlosigkeit, wie es weitergehen sollte, konnte ich den Weg noch nicht sehen. Aber Gott hatte schon längst angefangen, einen Weg für mich und uns vorzubereiten. Kurz vor unserem Abflug sagte ein Missionarskollege zu mir: „Du musst den Weg des Vertrauens wagen! Gott wird für dich und euch sorgen!“

WARUM MUSSTEN WIR

ZURÜCK?

Nach mehreren Operationen und Behandlungen in Deutschland, die für mich nach der Erfahrung in Thailand absolut keine Selbstverständlichkeit waren und für die ich sehr dankbar war, wurde mir eine Stelle als Lehrerin an einer staatlichen Grundschule angeboten. Da mein Mann noch immer mit Depressionen zu kämpfen hatte und in keinem festen Anstellungsverhältnis arbeiten konnte, hatten wir durch meine Arbeit unser Einkommen. Auch dafür war ich dankbar. Ebenso für nette Kollegen. Für Freunde, die wir hier hatten. Für unsere Gemeinde. Für eine schöne Wohnung. Trotzdem blieben der Schmerz und die Frage: Warum mussten wir nach Deutschland zurück? Hier gibt es so viele Gemeinden! So viele Christen! In Thailand sind es unter einem Prozent. Und wofür hatten wir so viel Zeit und Kraft in das Sprachstudium und in das Verständnis der Kultur investiert, wenn ich jetzt wieder an einer deutschen Schule unterrichtete?

An einem Abend, als ich bedrängt von diesen Fragen durch die Straßen lief, traf ich die Mutter einer Schülerin. Sie sagte zu mir: „Frau Brickey, ich möchte, dass Sie etwas wissen. Ich bin überzeugte Atheistin. Aber meine Tochter hat bei Ihnen das Beten gelernt. Das ist für sie ein kostbarer Schatz. Den werde ich ihr nicht nehmen.“ Nachdenklich ging ich nach Hause. Gott hatte mir die Augen dafür geöffnet, dass auch hier Menschen ihn brauchen, aber nicht kennen. Später wurden mein Mann und ich Teil eines Teams in unserer Gemeinde, das sich um Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund kümmerte. Auch da ließ Gott mich in mehreren Situationen begreifen, dass unsere Erfahrung, Ausländer zu sein – das Kämpfen beim Sprache-Lernen, die Hilflosigkeit und Abhängigkeit von anderen, das Heimweh, das Fremde –, Verständnis und Nähe zu unseren internationalen Freunden schuf. Viele gehen bei uns zu Hause aus und ein. Mit vielen Kranken

und zerbrochenen Menschen haben wir geweint, sie zu trösten versucht, ihnen geholfen, mit ihnen gefeiert, für sie gebetet, Jesus bezeugt. Nachdem eine Frau mir einmal ihre schwierige Lebensgeschichte erzählt hatte, hielt sie inne und sagte: „Warum erzähle ich dir das alles? Ich weiß, du warst selbst Ausländerin. Du kannst verstehen!“ Es berührt mich besonders, dass ein Flüchtling einmal zu mir sagte: „Dein Mann ist ein Mann Gottes. Durch ihn haben wir Hoffnung bekommen!“ Mitten im Schmerz und mit unseren Wunden lässt Gott uns seine Herrlichkeit sehen. In all unserer Schwachheit und mit all unseren Begrenzungen finden Menschen neues Leben in Jesus. Wenn ich eine muslimische Frau in den Arm nehme, die beinahe daran zerbricht, dass sie keine Kinder haben kann, weine ich mit ihr und erzähle ihr von dem Gott, der mich in meinem eigenen Schmerz der Kinderlosigkeit hält und trägt. Oder mein Mann teilt mit anderen, dass Gott mitten in der Nacht der Depression da ist und auch wieder herausführen kann. Diese Erlebnisse sind keine letzte Antwort auf meine WarumFragen. Aber sie helfen mir, auf dem Weg des Vertrauens weiterzugehen. Und immer wieder darf ich erleben, wie Gott inmitten aller Herausforderungen Hilfe, Kraft, Ideen und Lösungen schenkt.

EIN NEUES BETÄTIGUNGSFELD

Nachdem ich in einem Zeitraum von fünf Jahren fünfzehn Operationen hatte, gab es Zeiten, in denen meine körperliche Kraft sehr klein war. Ich schrie zu Gott: „Wie soll ich es schaffen, jeden Tag so viele Stunden in der Schule zu stehen?“ Da sprach mich eines Tages eine Schulrätin an, ob ich nicht Lust hätte, in der Lehrerfortbildung und Beratung von Kitas und Schulen mit einzusteigen. Ohne mein Zutun hat Gott mir eine ergänzende Tätigkeit geschenkt, bei der ich einiges im Homeoffice erledigen kann und die körperlich weniger anstrengend ist, als mit vielen Kindern unterwegs zu sein. Auch in diesem Kontext darf ich erfahren, wie Gott mich ausrüstet, um manchen entmutigten Kollegen zuzuhören, mit ihnen zusammen Situationen zu besprechen und miteinander nach Lösungen zu suchen.

GLAUBE & LEBENSHILFE
LYDIA 03/2023 47
Gott lässt mich auf dem Weg, den ich so nicht für mich selbst ausgewählt hätte, entdecken: In allem kann ich Jesus vertrauen.

Ein Gebet

Ein Gebet

Vater, lass uns nicht ohne Hoffnung sein, denn ohne Hoffnung können wir nicht leben.

Vater, lass uns nicht ohne Liebe sein, denn ohne Liebe sind wir arm.

Vater, lass uns nicht ohne Glauben sein, denn ohne Glauben sind wir wie ein Blatt im Wind.

Vater, lass uns nicht ohne Freude sein, denn ohne Freude ist unser Herz schwer wie Stein.

Vater, schenke uns deine Kraft, denn ohne deine Kraft sind wir müde und matt.

Vater, schenke uns deine Besonnenheit, damit wir das Rechte sagen können.

Vater, schenke uns das tägliche Brot, das uns Stärke verleiht.

Vater, schenke uns deine Gnade, damit wir jeden Tag neu anfangen können.

GERDA SPANGENBERGER

D 12013/Postvertriebsstück/Gebühr bezahlt/Lydia Verlag/Dillerberg 1/D-35614 Asslar-Berghausen
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