Troedler 1113

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50_57_Krawatten

10.10.2013

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MODE 53 Typisches Muster der 1970er-Jahre Krawatte von 1971 Der Mann im Mittelpunkt „Alpi"-Kampagne von 1971

opfern gerne ihre hässlichste Altkrawatte den wilden Abschneiderinnen; sie bekommen zur Belohnung ein Küsschen. Es ist ein Ritual, das sehr eindeutig – wie die Erstürmung des Rathauses – die Machtübernahme der Frauen von den Männern symbolisiert, die Krawatte fungiert in diesem Zusammenhang als Phallussymbol (Damenmoden mit Schlips um den Hemdblusenkragen gab es zwar auch immer mal wieder, aber dabei handelte es sich nur um kurze Episoden). Ein Essener Gerichtsurteil hat 1988 allerdings einem Mann, der bei diesem Brauch gegen seinen Willen seine Krawatte beschnitten bekam, Schadensersatz zugebilligt. Er hing wohl sehr an seinem Schlips und hatte ihn gerade neu erworben.

Krawattenmoden Beim Neukauf ist die Auswahl groß. Die Breiten der Krawatten wechseln. Die modische „Slimfit"-Form ist derzeit, wie in den 1960er-Jahren, nur 6 bis 7 cm breit, für alle angesagt sind 8 bis 8,5 cm, die heutige „Standardbreite", die laut www.herrenkrawatte.com auch über einen längeren Zeitraum getragen werden kann, beträgt 7,5 bis 8 cm. Das ist aber nur ein Teil des modischen Wandels. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Fliegen-Träger, Krawatten-Freunde und Herren mit Seidentuch um den Hals vor allem dem jeweiligen gesellschaftlichen Anlass gemäß anzutreffen: Feste Regeln beherrschten das Parkett. Nach zwei Weltkriegen waren viele dieser Regeln wegen gefallener Standesunterschiede oder der Lockerung der Sitten hinfällig geworden oder schlicht in Vergessenheit geraten. Uniform-Krawatten waren nichts, über das sich nachzudenken lohnte. Erst mit den Tagen des Wirtschaftswunders begann hier eine neue Ära. In den 1950er-Jahren trug der feine Herr recht unauffällig Kleingemustertes zu

schlichten einfarbigen, meist weißen Hemden. In den 1960ern hatte die schmale Streifenkrawatte Hochkonjunktur und der „Striccy"-Schlips von Alpi und Pendants von anderen Firmen, unten quer endend, waren sehr beliebt. Neue Chemiefasern ermöglichten jetzt darüber hinaus eine viel günstigere Produktpalette und die Krawattenindustrie erfand etwa 1964 den „Krawatten-Muffel" mit dem Slogan: „Neue Krawatte, neuer Mann – trag' nicht die von gestern." Das Ziel war Bedarfsweckung in einem recht konservativen Sektor. Das funktionierte in Kombination mit der schlanken, frechen neuen Hemdenmode dieser Jahre sehr gut: 1970 hieß es in einer „Alpi"-Krawatten-Anzeige: „Jetzt trägt der Mann breit. Bis zu 11 cm. Breite sind aktuell. Genauso wie großzügige Dessins und freundliche Farben." So sind die frühen Siebziger für uns heute im Rückblick die Zeit der auffälligsten Schlipse überhaupt. Bei „Alpi" hieß der zugehörige Slogan damals dementsprechend: „Es ist einfach, einen Mann zum Mittelpunkt zu

machen." Dabei waren die Krawatten oft so kurz, dass ihre Spitze gut und gerne 5 cm über dem Bauchnabel endete – heute unmöglich! In den biederen 80ern trug Mann wieder schmale Halsdekoration, gerne auch in bordeauxrotem, hellblauem oder gar gelbgefärbtem Leder zu Hemd mit Pullunder und Bundfaltenhose. Seit den 1990ern durfte dann das Muster verspielter sein, die Stoffe glänzend zum Auftritt des neuen, sich stylenden Mannes, mal schmaler, mal breiter, je nach Saison.

Materialien und Muster Seide ist immer noch das beliebteste Material für eine gute und teure Krawatte, allerdings haben die Kunstfasern ihr in den Verkaufszahlen längst den Rang abgelaufen. Typisch für diese Entwicklung ist die Geschichte der Firma Trevira in Bobingen bei Augsburg, die seit den 1930er-Jahren Polyesterfasern und -garne herstellt. Die Marke „Trevira" wurde 1933 angemeldet und wird bis heute vertrieben; gegenüber der Seide wirbt die Firma mit den Schlagworten „pflegeleicht, haltbar und strapazierfähig", mit all dem also, was Seide nicht bieten kann. Unterschiede gibt es beim Stoff, aber auch je nach Jahreszeit: Für „Winterkrawatten" werden manchmal etwas rauere Oberflächen und wärmere Materialien bis hin zur handgewebten Schur-

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