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Berliner Teller

VOR DEM LOCKDOWN SERVIERT IM HAWKER

Berlin-Charlottenburg, Schlüter-/Ecke Goethestraße. Jahrzehntelang ging es hier eher bieder bürgerlich zu, schlichtes Ambiente, einfaches Essen, die Laune des Chefs spiegelte die wirtschaftliche Lage des Ladens. Dann kam Patricia Strickland und mit ihrem ausgeschlafenen Konzept viel frischer Wind.

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Nach einem Umbau, bei dem nur wenige Steine auf den anderen blieben, eröffnete sie Anfang September das Hawker: originell, witzig, appetitanregend.

Die Gerichte der Herbstkarte pendelten geschmacklich zwischen leichter Eleganz und kraftvoller Klassik, kleine Ausflüge in modische Trends inklusive. Uns überzeugte der Old School Shrimp Cocktail aus Bio-Garnelen und einer abgefahrenen amerikanischen Chili-Tomaten-Meerrettich-Sauce ebenso wie der vegetarische Portobello-Burger mit knusprig gebackenem Ziegenkäse, einer genialen Kräuter-Limonen-Sauce und belgischen Fritten.

Zum Berliner Teller allerdings küren wir das Hawker-Knusperschnitzel – ein paniertes und kross ausgebackenes Kalbsschnitzel, gratiniert mit Gruyère und Bresaola, das mit einer hausgemachten BBQ-Sauce und einer herbstlichen Raw-GemüseBeilage serviert wird. Formidable!

H A W

Ich fürchte, es wird noch etliche Zeit vergehen, bis wir wieder zu einer Normalität zurückkehren können, und ich hoffe, es wird eine Normalität sein, wie wir sie kennen, in der es Spaß macht, Freunde zu treffen, Restaurants zu besuchen, unbeschwert zu genießen. Darauf warten wir nun. Wir geben jedenfalls nicht auf.

Patricia Strickland, Inhaberin Hawker

Eigentlich wollte die Deutsch-Amerikanerin Patricia Strickland, geboren in Mannheim, aufgewachsen in San Francisco, Kunststudium in London, Interior Designerin in Amsterdam, Boston und Berlin, eine Galerie eröffnen. Die Räume der ehemaligen Weinbar in der Charlottenburger Schlüterstraße erschienen ihr geeignet – ausreichend groß und hell genug. Die schäbige Einrichtung störte sie nicht, eine Angelegenheit für Entrümpelungsfirmen. „Als die ersten Pläne gezeichnet waren, kam meine Tochter Chiara ins Spiel”, erzählt die 56-Jährige, „und zwar mit der Frage, ob man hier auch einen Kaffee trinken könne.” Weil Kunst und Kulinarik ja irgendwie Schwestern sind, wurden die Pläne neu gezeichnet und aus der Kaffee-Idee wurde ein komplett kulinarischer Ort.

Patricia Strickland holte die Einrichtungsprofis Veronika Polak und Stephan Falke ins Boot, und in fast zweijähriger Arbeit entstand das Hawker, eine Mischung aus Bar und Bistro mit edlem, aber gemütlichem Ambiente und sympathischer Atmosphäre.

Gastgeberin Patricia Strickland mit Tochter Chiara, v.li.

K E R

Es gab eine – coronabedingt – kleine Eröffnungsfeier, ein „Friends and Family Dinner”, und alle, die kamen, waren sich einig: Was Patricia Strickland und ihre Berater hier innenarchitektonisch gezaubert haben, verzaubert. Ein gekonntes Spiel zwischen Authentizität und Moderne, schwere Eichenbalken an den Tresen, die Tische aus gegossenen Bronzeplatten mit Schriftgravuren, die jede einzelne zum Unikat machen, belgische Designerlampen, alles in Szene gesetzt mit Edelstahlinstallation by Patricia Strickland herself.

Ja, das Hawker ist ein wirklich heißer Tipp für Menschen, die dem Leben gerne ein paar Besonderheiten abringen wollen, ein höchst erfreulicher Zugang an der Berliner Bar- und Bistrofront.

Normalerweise reicht das, um erfolgreich in die Spur zu kommen. „Doch was ist schon normal in diesem Jahr?”, Patricia Strickland zuckt mit den Schultern.

Es bleiben der detailversessenen Künstlerin nur wenige Wochen, um ihr Konzept zu optimieren und die Hawker-Mannschaft

zu trainieren, dann macht Ende Oktober der erneute GastronomieLockdown alle Pläne zunichte. Dass sie nicht die Einzige in der Stadt ist, die es so trifft, hilft da nur wenig.

Ein gutes Dutzend weiterer Gastrostarts verzeichnet die Chronik für das Coronajahr 2020: Bereits im Juli eröffneten Möllers Köttbullar und das Osterberger. Es folgten Lode van Zuylen und Stijn Remi mit dem REMI im Suhrkamp Verlagshaus in der Torstraße, das hoch gehandelte Naturweinbistro Hinterland und das 12seasons, das einige Hauptstadtblätter zur „spannendsten Eröffnung des Herbstes” hochjazzten. Selbst mitten im November-Lockdown meldete die Branche noch Startschüsse – etwa für Arne Anker und das Brikz (s. Seite 8) und für Zuzanna Stern und ihr DECOrestaurant.

Am letzten Dienstag im Oktober treffen wir uns noch einmal mit Patricia Strickland. Sie weiß, was sie in den nächsten Wochen erwartet und ahnt, was danach folgt. Doch sie beklagt sich nicht, schimpft nicht, seufzt nicht mal. „Wir kommen wieder”, sagt sie nur.

Patricia Strickland im Gespräch mit ihren Küchenbau- und Einrichtungsprofis Veronika Polak und Stephan Falke, v. li.

Küchenchef Sibusiso Mntambo. Köchin Alina Balaboiu.

Das hoffen natürlich auch ihre Mitarbeiter, die nun in Kurzarbeit sind. Ab Februar oder März 2021 wollen sie endlich zeigen, was sie draufhaben. Das Credo: Gutes ganz einfach, Streetfood deluxe.

Dafür stehen der 34-jährige Südafrikaner Sibusiso Mntambo aus Durban und Alina Balaboiu, 26, aus Bukarest. Beide haben ihr Handwerk von der Pike auf gelernt und waren kulinarisch schon ein bisschen auf der Welt unterwegs bevor sie vor einem Jahr nach Berlin kamen.

Ihre erste Speisenkarte zwischen Eröffnungsparty und Lockdownschließung machte bereits deutlich, wo die Reise hingehen soll – Fancy Mac&Cheese, Rainbow Grainbowl und ein Hawker Burger belegen, dass es essensmäßig hier ziemlich anglophil zugeht. Wenn Patricia Strickland im nächsten Jahr ihr Lokal erneut öffnen darf, werden auch die Konzentration auf regionale Bio-Produkte und auf deren verlässliche Zubereitung im „Canteen-Style” bleiben. Und hoffentlich auch das Knusperschnitzel (s. Seite 24)…

Barchef Adam Tudoret.

Keine Frage, der schräg in den Raum gestellte meterlange Bartresen ist ein point d’exclamation im architektonischen Sinn, ein Blickfang, der davon kündet, dass es im Hawker auch um Genuss aus dem Cocktailshaker oder dem Rührglas geht. Das macht die Bar zu einem guten Ort für erste Dates und für Leute in RunterkommLaune, ein Platz zum Besoffenwerden ist sie jedenfalls nicht.

Der Chef hinter dem Tresen heißt Adam Tudoret, ein 26-jähriger Franzose aus Paris, dessen Weltläufigkeit mehr überrascht als seine sympathische Lockerheit und sein handwerkliches Können.

Natürlich ist Tudoret über alle internationalen Getränketrends bestens informiert, spricht auch ganz gern darüber, nimmt sich dabei aber nicht sonderlich wichtig. Auch das ist ein guter Zug.

Sein Signature Drink heißt Schlüter 75: Gin, Sherry Fino, Erdbeergeist, Gurkenauszug, Basilikum, aufgegossen mit Champagner. Nicht zu sauer, nicht zu süß, süffig, kräftig, sexy. Und ein bisschen tipsy macht er auch ...

HAWKER BAR+ KITCHEN

Schlüterstraße 75 10625 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 - 85 60 80 00 www.hawkerbarandkitchen.de