HIRNFORSCHUNG
Veränderung im Gehirn bei Depressionen Röntgenaufnahmen zeigen einen Armbruch, Lungenfunktionskurven zeigen, nach welchem Luftvolumen Patienten die Puste ausgeht. Psychische Erkrankungen lassen sich häufig nicht so einfach abbilden. Den Jülicher Wissenschaftlern Dr. Sebastian Bludau und Prof. Simon Eickhoff ist es erstmals gelungen, organische Veränderungen im Gehirn nachzuweisen, die mit Depressionen einhergehen können.
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epressionen gehören neben Krebs und Herz-KreislaufErkrankungen zu den sogenannten Volkskrankheiten. Bei Depressionen ist allerdings ein handfester organischer Beleg oftmals schwierig. Die psychische Erkrankung hat nur selten eine einzige Ursache. Meist kommen mehrere Faktoren wie genetische Anlagen, Hormonstörungen oder belastende Lebenserfahrungen zusammen. Unterschiedlich sind auch die Symptome, unter denen die Betroffenen leiden: ein Gefühl von innerer Leere, Angst, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie massive Antriebslosigkeit.
bei Depressionen auch charakteristische organische Veränderungen im Gehirn auftreten. Sebastian Bludau und Simon Eickhoff wiesen erstmals nach, dass bei depressiven Patientinnen und Patienten die graue Substanz in einer Region des Stirnhirns, dem sogenannten medialen Frontalpol, reduziert ist. Dies konnten sie anhand von MagnetresonanztomografieBildern von 73 Patienten belegen, die sie mit ebenso vielen Bildern von gesunden Kontrollpersonen verglichen. Ausgewertet wurden die Bilder mithilfe spezieller Computerprogramme.
Bisher wird die Diagnose vor allem anhand der Symptome gestellt. Die Studie der Jülicher Neurowissenschaftler zeigt nun, dass
3-D-Hirnatlas als Arbeitsgrundlage Die Wissenschaftler des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin nutzten
Simon Eickhoff (l.) und Sebastian Bludau wiesen erstmals nach, dass viele depressive Patientinnen und Patienten im sogenannten medialen Frontalpol des Gehirns weniger graue Substanz haben.
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als Basis dafür den Hirnatlas JuBrain, der ebenfalls am Forschungszentrum Jülich entwickelt wird. Hierfür werden hauchdünne Gehirnschnitte Verstorbener mit moderner Bildanalyse ausgewertet und danach zu einem dreidimensionalen Abbild des Gehirns zusammengesetzt. Dabei zeigte sich unter anderem, dass das untersuchte Gehirnareal im Stirnlappen (das sogenannte Brodmann Areal 10) nicht – wie bislang angenommen – in sich homogen aufgebaut ist. In der Struktur und auch in den wahrgenommenen Aufgaben konnten die Forscher zwei Areale unterscheiden: ein mehr zur Mitte (medial) gelegenes und ein seitliches (laterales). Als Bludau und Eickhoff bei Gesunden und Depressiven das Volumen der grauen Hirnsubstanz in beiden Arealen analysierten, zeigte sich, dass bei Depressiven im Durchschnitt das Volumen des medialen Areals verringert ist. Im lateralen Areal dagegen war kein Unterschied zu der gesunden Kontrollgruppe messbar. Dazu passt, was schon über die Aufgaben der medialen Region bekannt war: „Der mediale Frontalpol ist in sozial-affektive Prozesse wie Grübeln oder Selbstreflexionen involviert, die bei Depressionen eine Rolle spielen“, erläutert Bludau. Darüber hinaus fanden die Neurowissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Erkrankungsdauer bzw. -schwere und dem Volumen in dieser Hirnregion: „Je schwerer die Erkrankung diagnostiziert war und je län-
Forschungszentrum Jülich Jahresbericht 2015