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„Das Engagement gegen Judenhass ist heute wichtiger denn je.“
Das Nie wieder auf unser Hier und Jetzt zu übertragen ist Martin Frenzels leidenschaftlich kämpferisches Anliegen. INTERVIEW: MICHAEL HÜTTENBERGER | FOTO: PRIVAT
W Als Junge hatte er zwei Schlüsselerlebnisse, beruflich verschlug es ihn im Oktober 2003 nach Darmstadt, just als dort der Fund der Überreste der Liberalen Synagoge zutage trat. 2011 gründete Martin Frenzel den Förderverein Liberale Synagoge.
FRIZZmag: Herr Frenzel, Sie sind der Gründer und Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge Darmstadt (FLS). Was genau macht Ihr Verein? Martin Frenzel: Wir setzen uns ein für ein weltoffenes, liberales, aber auch geschichtsbewusstes Darmstadt. Getreu der Maxime Saul Friedländers „Gebt der Erinnerung Namen!“ wollen wir an vergessene Darmstädter Jüdinnen und Juden wie Herta Mansbacher oder Karl Freund, Benno Josef oder Hugo Bender, Männer, Frauen und Kinder erinnern.
Antisemitischen Vorfälle haben stark zugenommen, worauf führen Sie das zurück? Ja, das ist so. Gerade auch in Teilen der Corona-„Querdenken“-Bewegung feiern unverhohlen antisemitische Verschwörungserzählungen fröhliche Urstände, ebenso wie unsägliche Holocaust-Vergleiche. Die antisemitische Gewalt wächst, siehe Halle. Umso mehr wollen wir einen Beitrag leisten zu einer empathischen Demokratie, Empathie für die Opfer schaffen, uns stark machen für Minderheitenschutz. Und wir sehen Erinnerungsarbeit nicht als Eintagsfliege für den 9. November, sondern als dauernde, ganzjährige Aufgabe.
Ein Schwerpunkt Ihrer Erinnerungsarbeit ist die Gedenkstätte Liberale Synagoge? Ja, wir wollen durch unser ehrenamtliches Engagement dafür sorgen, die Erinnerung an die ehemalige, 1876 errichtete und 1938 unwiederbringlich zerstörte Liberale Synagoge wachzuhalten, aber eben auch
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an die vergessenen Darmstädterinnen und Darmstädter jüdischen Glaubens.
Gedenktafel im Jahr 2023 ehren. Erinnerung muss auch verortet werden.
Sie selbst haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der FLS 2011 gegründet wurde …
Auch in den 11 Jahren zuvor haben Sie schon einige Erinnerungen sichtbar verorten können?
… am 25. Januar, zwei Tage vor dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Aber mir ist wichtig zu betonen, dass der FLS nicht wäre, wenn uns nicht etliche erinnerungskulturell Interessierte unterstützt hätten: Derzeit sind dies im Vorstand meine Stellvertreterin Barbara Ludwig, der die Aufklärung an Schulen als ehemalige Lehrerin besonders am Herzen liegt, Ludwig Achenbach, Tanja Ammon und Peter Benz, Gabriele Gilbert und Tim Huß. Auch Klaus Feuchtinger, Lilo Kiel und Martin Remmele, Inge und Hans-Joachim Landzettel, Dieter Wenzel u.v.a. haben sich sehr um Verein verdient gemacht. Wir freuen uns auch über Unterstützung von bekannten Darmstädtern wie Brigitte Zypries oder Ruth Wagner, Irith Gabriely und Iris Stromberger. Der FLS hat heute ca. 80 Mitglieder.
Ja, im November 2011 die Einweihung des Julius-Landsberger-Platzes, darüber hat seinerzeit sogar das ferne Hamburger Abendblatt berichtet, im November 2013 die beiden Julius Landsberger-Gedenktafeln ebendort, im November 2014 die Otto Wolfskehl-Gedenktafel im Bessunger Wolfskehlschen Garten, im November 2015 die Gedenktafel an der Nordwestseite der Johanneskirche zu Ehren des Johannesviertel-Begründers Heinrich Blumenthal, er war zusammen mit Wolfskehl einer der Motoren beim Bau der Liberale Synagoge, und am 15.Januar 2017 die von uns initiierte Einweihung der Karl HeßPlatzes mit Gedenktafel vorm Eingang des Merck-Stadions am Böllenfalltor zu Ehren des deutsch-jüdischen, in Darmstadt geborenen Lilien-Vorsitzenden und Rechtsanwalts, den die Nazis 1933 illegal aus dem Amt jagten und aus seiner Heimat Darmstadt vertrieben.
In diesem Jahr steht ein besonderes Jubiläum an? Die von uns organisierten Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus feiern ihr 10jähriges Bestehen. Von Ende September bis Anfang Dezember 2022 planen wir Vorträge und Rundgänge. Voraussichtlich Anfang November wollen wir eine Rabbi Bruno Italiener-Gedenktafel einweihen, wenn möglich auf dem Klinikumgelände nahe der Gedenkstätte. Damit wollen wir den einst legendären, heute aber vergessenen Thora-Gelehrten Rabbi Dr. Bruno Italiener ehren, der eine fast 20jährige Ära in Darmstadt prägte und in ganz Deutschland als mutiger Kämpfer gegen den Judenhass bekannt war. Außerdem wollen wir den bedeutenden Kultur- und Technikphilosophen Julius Goldstein mit einem Julius-Goldstein-Platz mit
Ihr Selbstverständnis ist aber nicht, ausschließlich ein Geschichtsverein zu sein? Wir sind beileibe kein verstaubter Geschichtsverein, es geht uns mindestens genauso um Gegenwart und Zukunft. Es geht darum, aus der Geschichte Lehren zu ziehen, das „Nie wieder“ auf unser Hier und Jetzt zu übertragen. Deswegen engagieren wir uns gegen Rechtsextremismus, braune Gewalt, Antisemitismus in all seinen Spielarten. NSU 2.0-Morddrohungen oder die NSUMorde zeigen doch, wie notwendig es ist, sich jeden Tag aufs Neue für unsere liberale Demokratie und unser Grundgesetz zu engagieren. Wir wollen mit unserer Arbeit auch zeigen, dass Antisemitismus ein Angriff auf uns alle ist, auf die Grundfesten der liberalen Demokratie. Das Engagement gegen JuFRIZZ MAG | #468 | MÄRZ 2022