Kinder- und Jugendfilmkorrespondenz 01 16

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KINDER JUGEND

FILM Korrespondenz

erzÄhleN IN serIe

Der Kinofilm „Die Winzlinge - Operation Zuckerdose“ basiert auf einer Serie. Doch das serielle Erzählen geht noch viel weiter.

der berg ruft!

Nicht nur „Heidi“ führt in die heile Welt der Berge. Auch andere neue Kinofilme zieht es in die Naturidylle.

detleV bucK

Nach „Hände weg von Mississippi“ feiert der Regisseur nun Erfolge mit der dreiteiligen Kinoserie „Bibi und Tina“.

01 2016

Regelmäßige Beilage des FILMDIENST www.filmdienst.de

FILM DIENST

INFOS

KURATORIUM JUNGER DEUTSCHER FILM FÖRDERVEREIN DEUTSCHER KINDERFILM AKADEMIE FÜR KINDERMEDIEN STIFTUNG LESEN


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Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_01/2016

Inhalt

DEBATTE 6 Emanzipiert die Kinder! Von Leontine Petit IN KÜRZE 8 Aktuelle Infos & Meldungen

30 HARRY POTTER

24 AUF AUGENHÖHE

EIN FILM, AUF DEN WIR UNS FREUEN 24 „Auf Augenhöhe“ IM FOKUS 26 Der Berg ruft! Von Holger Twele 28 Kinderfilme ohne Worte Von Stefan Stiletto Thema: Serielles Erzählen 30 Über kurz oder lang Von Stefan Stiletto 32 Erfahrungen mit dem seriellen Erzählen Von Alex Schmidt 34 Drei Serien: Der Club der roten Bänder / Trio / Die langen großen Ferien Von Klaus-Dieter Felsmann, Sabine Kögel-Popp, Stefan Stiletto

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Interview: „Schloss Einstein“ Von Barbara Felsmann Animes: Von Maja zu Mikasa Von Natália Wiedmann Den kenn‘ ich doch! (5) Von Christian Exner Novellierung FFG: Wo bleibt der Kinderfilm? Von Reinhard Kleber Festival-Entdeckungen Von Holger Twele, Christel Strobel

AKTEURE 40 Die Kinderfilme von Detlev Buck Von Thomas Lassonczyk 42 Reihe: Der persönliche Klassiker (5) „Die Kinder vom Mühlental“ Von Anna Schoeppe BREVIER 46 Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 48 Akademie für Kindermedien 50 STIFTUNG LESEN

28 DER ROTE BALLON

56 GESPINSTE

KURATORIUM JUNGER DEUTSCHER FILM INFORMATIONEN NO. 73 53 „Freiheit“ Von Jan Speckenbach 56 „Gespinste“ Anne Breymanns Trickfilm-Projekt 58 5 Filme... Von Charly Hübner 60 Rückblick: Jubiläumstour 61 Ausblick: Berlinale 2016 62 News 63 DVD-Tipps


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Inhalt

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KRITIKEN (KINO & DVD) VORSCHULE 10 Die Mumins an der Riviera Von Marguerite Seidel 6+ 11 12 12 13 14 15 16 17 17

Zoomania Von Katrin Hoffmann Die wilden Kerle - Die Legende lebt Von Thomas Lassonczyk Schellen-Ursli Von Irene Genhart Rafiki - Beste Freunde Von Anja Flade-Kruse Die Winzlinge – Operation Zuckerdose Von Stefan Stiletto Wie Brüder im Wind Von Katrin Hoffmann Bibi & Tina – Mädchen gegen Jungs Von Reinhard Kleber Sebastian und die Feuerretter Von Esther Buss In Kürze

15 | 26 WIE BRÜDER IM WIND

10+ 18 Die Hüterin der Wahrheit – Dinas Bestimmung Von Ulrike Seyffarth 19 Im Spinnwebhaus Von Holger Twele 14+ 20 Uns geht es gut Von Heidi Strobel 21 Ich hab euch ganz viel lieb Von Katharina Zeckau 22 Mustang Von Kirsten Taylor 22 In Kürze

19 IM SPINNWEBHAUS

Die nächste KJK (2-2016) erscheint am 28 4.2016.

IMPRESSUM Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK)

22 MUSTANG

dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-Brüning-Straße 9, 53113 Bonn (0228) 26 000-163 (Redaktion), (0228) 26 000-257 (Anzeigen), (0228) 26 000-251 (Vertrieb) Die KJK erscheint viermal im Jahr als ständige Beilage des FILMDIENST Geschäftsführer: Theo Mönch-Tegeder Chefredakteur: Horst Peter Koll Redaktion: Stefan Stiletto Layout: Wolfgang Diemer, Köln Anzeigenverkaufsleitung/Verantwortlich für den Inhalt der Anzeigen: Martin Werker (werker@dreipunktdrei.de) Vertriebs- und Marketingleitung: Urs Erdle (erdle@dreipunktdrei.de) Bestellungen und Anfragen: vertrieb@filmdienst.de E-Mail: redaktion@filmdienst.de, Internet: www.filmdienst.de Gefördert durch:

„Auf Augenhöhe“: Kostümzeichnungen von Tina Keimel-Sorge


DEBATTE: WAS IST KINDERFILM? die sich ausdrücklich an Kinder richten und deren Bedürfnisse ernst nehmen, ist noch jung. Dabei ist eine lebendige Kinderkultur eine maßgebliche Voraussetzung für die Entstehung einer Kinderfilmkultur. Dies veranschaulicht eindrucksvoll die Entwicklung in den Niederlanden. Von Leontine Petit

Emanzipiert die Kinder!

Filmplakat zu „Die geheimnisvolle Minusch“ (Regie: Vincent Bal, Niederlande 2001)

Fotos: Bos Bros./CV Minoes/Warner Bros.

Die Geschichte kultureller Angebote,


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Debatte: Was ist Kinderfilm?

Leontine Petit Leontine Petit ist als Leitende Geschäftsführerin Produktion bei Hamster Film sowie der niederländischen Produktionsfirma Lemming Film für Entwicklung/Finanzierung verantwortlich. 2003-07: Vorstandsmitglied der Binger Filmlab und im Vorstand des niederländischen MEDIA Desk. 2005-09: Beraterin für den Filmausschuss des niederländischen Rates für Kultur. Sie unterrichtet regelmäßig an verschiedenen Hochschulen.

Als kleines Kind habe ich fast nie Kinderbücher gelesen, geschweige denn mir Kinderfilme angesehen. Natürlich gab es damals Kinos in Holland. Aber wir sind nicht hingegangen. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich meine 82-jährige Mutter fragen, die heute, wie die meisten älteren Menschen, geradezu filmverrückt ist. Auch viele Klassiker unserer berühmten niederländischen Kinderbuchautorin Annie M.G. Schmidt wurden mir nie vorgelesen; Geschichten über Katzen, die sprechen können („Die geheimnisvolle Minusch”), oder über einen Jungen, der einen kleinen Kranwagen fährt, um einen Wald in der Umgebung zu retten („Pluck mit dem Kranwagen”). Auch mein Vater, ein freundlicher Diktator, las nie ein Kinderbuch. Für ihn bestand Bildung darin, zum Geburtstag Bücher wie „Walden Two” des USamerikanischen Behaviourismus-Psychologen B.F. Skinner zu verschenken oder uns Tag für Tag mit den Texten des genialen, aber umstrittenen deutschen Komponisten Wagner zu „erfreuen”. Als das Fernsehen Teil unseres Haushalts wurde, pflegte er ins Zimmer zu kommen und uns zu rügen: Wir seien faul und sollten etwas Nützliches mit unserem Leben anfangen. Wahrscheinlich werden meine Söhne in zehn Jahren dasselbe über mich sagen, wenn sie meine Reaktion darauf beschreiben, dass sie endlos am Computer spielen. Ich bin in den 1970er-Jahren im Süden Hollands aufgewachsen. Wir gingen jede Woche in die Kirche, das war unser Unterhaltungsprogramm. Dort durften wir während der Rhythmusmesse Flöte spielen. Außer der Kirche gab es die Schule. Zuhause spielten wir mit den Geschwistern. Filme waren so gut wie kein Bestandteil meines Alltags, geschweige denn Bilder, die für mein Alter gemacht waren. Damals war es einfach nicht üblich, sich zweimal im Jahr mit seinen Kindern einen Film anzusehen oder gar von klein auf mit Büchern oder speziell für Kinder gemachten Filmen aufzuwachsen. Heute werden in den Niederlanden jeden Monat prächtige Bilderbücher veröffentlicht, abenteuerliche Romane

finden sich in jeder Schulbücherei, in jedem Kino werden fantastische Kinderfilme gezeigt. Allgemein wird es als riesiger Fehler erachtet, wenn all dies nicht zum Aufwachsen dazugehört. Sogar die Schule und deine Freunde werden dich mit dieser niederländischen Kinderkultur in Berührung bringen, falls es die Eltern nicht tun. Der Bilderkonsum eines Kindes in den Niederlanden ist unglaublich groß. So groß, dass unsere Generation sich bereits Sorgen macht, die nachwachsende Generation könne kaum noch richtig niederländisch sprechen und lesen oder habe an nichts anderem mehr Interesse als an Filmen. Zu der Zeit, in der ich aufwuchs, gab es für Kinder keine Unterhaltung, die sich von der für Erwachsene unterschieden hätte. Die Notwendigkeit, Kinder besonders anzusprechen und sie als Publikum mit besonderen Bedürfnissen ernst zu nehmen, kam niemandem in den Sinn. Noch ein halbes Jahrhundert bevor ich geboren wurde, hatten Frauen nicht das Recht zu wählen – nur um zu zeigen, wie schnell Emanzipationsprozesse voranschreiten können. Seit 1995 schenkt man dem niederländischen Kinderfilm Beachtung und hält ihn für so wichtig, dass daraus eine Marke wurde. Und ein wichtiges kulturelles Exportprodukt für die Niederlande. Filme für Kinder zu produzieren ist in Holland inzwischen ebenso wichtig wie Filme für Erwachsene zu machen. In den letzten zehn Jahren waren die erfolgreichsten niederländischen Filme oft Kinderfilme, zugleich wurden sie am häufigsten mit Preisen ausgezeichnet. Warum ist das so? Weil sich in unserer Gesellschaft seit Anfang der 1980er-Jahre etwas drastisch verändert hat: Kurz nach Ende der Flower-Power-Zeit war das Aufwachsen in Familien weniger mit Regeln verbunden. Das gab uns die Möglichkeit, Kinder zu beachten und sie nicht nur zu beaufsichtigen. Plötzlich wurden ihre Gedanken und Gefühle ernst genommen. Als Erwachsene antiautoritär wurden, beeinflusste dies auch die Kinder – und zog die Erfolgsgeschichte des Kinderfilms nach sich.

Ein solches Recht auf Inhalte, speziell hergestellt für Kinder, ist in den meisten Ländern der Welt heute noch nicht normal. Denken Sie etwa an China oder Indien: Dort gibt es keine lebhafte Kinderkultur, geschweige denn eine lebhafte Kinderfilmkultur. Das hat mit der Emanzipation von Kindern in diesen Ländern zu tun. Die Entwicklung von Kinderfilmen geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Emanzipation von Kindern – und solange Kinder nicht als selbstständige menschliche Wesen mit eigener Stimme anerkannt werden, wird es keine lebhafte Kinderfilmkultur geben. Also wird es auch keine strukturelle Unterstützung für Kinderfilme durch Fördergelder und Fernsehsender geben. Wenn man darüber nachdenkt, wie der Kinderfilm verbessert werden kann, muss man in Betracht ziehen, wie emanzipiert Kinder in den jeweiligen Ländern sind. Das Recht auf Bildung und das Verbot von Kinderarbeit sind unglaublich wichtig in diesem Zusammenhang. In gewisser Weise ist es somit leicht, stolz auf unsere eigene blühende Kinderfilmkultur zu sein, weil die Emanzipation unserer Kinder anderen Ländern weit voraus ist. Aber ich denke, dass wir etwas Wichtiges tun können, um den Kinderfilm weltweit zu verbessern: Wir sollten weniger an Gegengeschäfte und vor allem nicht nur an die eigenen finanziellen Vorteile denken, wenn wir CoProduktionen zwischen uns und Ländern mit einer weniger entwickelten Kinderfilmkultur unterstützen, sondern mehr an die Auswirkungen unseres Kulturaustauschs. Es liegt im Interesse einer weltweit vielfältigen Kinderfilmkultur, andere Länder dabei zu unterstützen, Filme ausschließlich für Kinder herzustellen. Lassen Sie uns in die Fußstapfen des diesjährigen Programms von „Berlinale“-Generation treten: Lassen Sie uns regelmäßig Filme aus dem Iran, aus Peru, der Türkei, aus Indien, China, Russland und Lettland unterstützen, damit wir mehr schöne, herzzerreißende, wichtige, dringliche und unterschiedliche Kindergeschichten aus aller Welt sehen. •

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Kritiken 6+

Die Winzlinge – Operation Zuckerdose Im Luftraum über der Wiese geht es zu wie in einer Großstadt. Bienen schwirren durch die Luft, Schmetterlinge und Libellen. Dazu eine wilde Geräuschkulisse aus Hupen und Motorenknattern, wenn die Insekten in dem Getümmel aneinander, über- und untereinander vorbeirasen. Ein Wunder, dass es in diesem Gewimmel nicht zu einem Unfall kommt. Eingeschüchtert warten unterdessen zwei Marienkäfer unter einem großen Blatt darauf, dass ihr Nachwuchs schlüpft. Doch kaum sind die drei Kleinen da, erheben sie sich schon in die Lüfte, um die Welt zu erkunden. Da wird auch schon einer von ihnen durch ein paar hässliche rotäugige Fliegen von seiner Familie getrennt und bei seinem Fluchtversuch überdies noch an einem Flügel verletzt. Insekten sind die Protagonisten dieser französischen Computeranimation. Allerdings nicht solche, wie man sie aus Filmen wie „Das große Krabbeln“ oder „Antz“ kennt. Denn wie schon in der zugrundeliegenden und in Frank reich sehr beliebten Fernseh-Serie „Minuscule – La vie privée des insectes“ verzichtet der Film komplett auf gesprochene Sprache und lebt ganz und gar von der Mimik und Gestik der Figuren, von Slapstick und Situationskomik sowie der originellen visuellen und akustischen Gestaltung. Vor dokumentarischen Aufnahmen aus den Ecrins- und Mercantour-Nationalparks und vor Studiobauten lasab 8

sen Hélène Giraud und Thomas Szabo die computeranimierten kleinen Helden auftreten, was den Bildern einen schönen Realismus verleiht, ohne die künstlichen Figuren fremd wirken zu lassen. Stimmig passt sich deren Look, der sich an echten Insekten orientiert, in Aussehen und Bewegungen aber cartoonähnlich überzeichnet ist (Jack Hannahs Donald-Duck-Kurzfilm „Tea For Two Hundred“ von 1948 lässt grüßen), an die authentischen Bilder an. Ins Zentrum der Handlung rückt eine prall gefüllte Zuckerdose, in der der flugunfähige Marienkäfer Zuflucht findet und für die sich auch ein schwarzes Ameisenvolk interessiert. Die LeitAmeise hegt Sympathien für den Marienkäfer, der sogleich gute Ideen zur Bergung des süßen Schatzes beisteuert – und sich überdies als mutiger Helfer entpuppt, als ein rotes Ameisenvolk den schwarzen Ameisen ihre Beute streitig machen will. Von Anfang an sind die Sympathien klar verteilt: Der verwaiste Marienkäfer und die schwarze Ameise sind das ungleiche Helden-Duo des InsektenBuddy-Movies, rotäugige Fliegen und rote Ameisen hingegen die gierigen und frechen Gegenspieler, mit denen das Publikum sogar angesichts eines sich rasant nähernden Autos keinerlei Mitgefühl empfindet. Dem Humor des Films schadet dies allerdings nicht. Anders verhält es sich mit dem dramaturgischen Aufbau. Gestaltet sich der abenteuerliche Hindernisparcours des Marienkäfers mitsamt der Flucht

vor dem roten Ameisenvolk, der unter anderem in eine mitreißend inszenierte Wildwasserfahrt mündet, als abwechslungsreich und amüsant, wird dem finalen Miniaturkrieg der Ameisenvölker viel zu viel Raum eingeräumt. Die fantasievolle Ausgestaltung des Konflikts ist sicherlich immer noch komisch, wenn arglos weggeworfener Zivilisationsmüll wie Insektenspray, Feuerwerkskörper und Zahnstocher als Waffen zum Einsatz kommen oder die virtuelle Kamera während der Belagerung der roten Ameisen entfesselt über das Schlachtfeld fliegt und die Massenszenen aus der „Herr der Ringe“-Trilogie in Erinnerung rufen. Die Handlung allerdings stagniert ab diesem Zeitpunkt und erweist sich als wenig einfallsreich. Ruhige Momente, in denen das Verhältnis zwischen der schwarzen Ameise und dem jungen Marienkäfer ausgespielt wird, bleiben hingegen um so mehr im Gedächtnis. Der Film ist der Comic-Legende Jean Giraud (aka Moebius) gewidmet, dem Vater der Co-Regisseurin Hélène Giraud. Bei ihm wären die Insekten wahrscheinlich nicht so brav ausgefallen. Eine fantastische, in sich geschlossene Welt aber hat der Film trotzdem geschaffen. Stefan Stiletto IM KIn0. minuscule – la VallÉe des Fourmis Perdues Frankreich/Belgien 2013. Produktion: Futurikon/Entre Chien et Loup/Futurikon Production II/Nozon. Regie und Buch: Hélène Giraud, Thomas Szabo. Musik: Hervé Lavandier. Länge: 88 Min. FSK: ab 0, f. Start: 14.1.2016. Verleih: Pandastorm. Empfohlen ab 8.


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Kritiken 6+

Wie Brüder im Wind „Obligatorischen Kainismus“: So nennt die Ornithologie den angeborenen Instinkt des zuerst geschlüpften Raubvogelkükens, das jüngere Geschwisterchen aus dem nest zu stoßen. Solch ein verhaltenstypischer Mechanismus markiert auch den ausgangspunkt für „Wie Brüder im Wind“. Kain und Abel heißen die beiden Jungvögel im Adlerhorst hoch oben in den Tiroler Alpen. So ahnt man bereits, dass Kain seinen Bruder in die Tiefe schubsen wird. Als der zwölfjährige Lukas Abel hilflos am Boden entdeckt, nimmt er ihn unter seine Fittiche, um ihn großzuziehen – eine dankbare Vorgabe für ein spannendes Drehbuch. Schon der Filmtitel spielt auf die Analogie zwischen dem Adlerjungen und dem Menschenkind an. Wie Abel hat auch Lukas sein „Nest“ verloren. Seine Mutter starb früh, und das verfallene Haus, in dem die Familie früher glücklich lebte, dient Lukas nun als Versteck und Rückzugsort, um den Jungvogel großzuziehen. Denn mit seinem Vater spricht Lukas seit dem Tod der Mutter ab 8

nicht mehr. Zudem macht dieser mit seinem Gewehr Jagd auf die Raubvögel, die seine Schafherde gefährden. So müssen sich Lukas und Abel vor dem Hintergrund der Bergwelt, die ihren ganz eigenen, archaisch-unwirtlichen Regeln folgt, gemeinsam „freifliegen“. Neben Vater und Sohn lebt hier nur noch der Förster, der aus dem Off die Ereignisse der „Brüder im Wind“ erzählt und gleichzeitig wesentlich zum Gelingen der Adleraufzucht beiträgt. Es ist nicht ganz unproblematisch, dass „Wie Brüder im Wind“ die Tierwelt ein Stück weit vermenschlicht. Die Nachkommen der Adler werden als Prinzen tituliert, und um sie herum werden gar mehrere geradezu biblische Bilder konstruiert. Schon dokumentarische Filme wie „Die Reise der Pinguine“ oder Disneys „Schimpansen“ taten so, als herrschten in der Fauna menschliche Verhaltensweisen, obwohl es sich dabei lediglich um die Interpretation eines instinktiven tierischen Verhaltens handelt. Aber in der Gleichsetzung der Tiere mit den Menschen gewinnt der Mensch an

Größe. Und wenn die Tiere diesem ähneln, kann er nicht ganz so inhuman sein, wie es manchmal den Anschein erweckt. Sehenswert machen den Film vor allem die Bilder des heranwachsenden Vogels und seiner Flugversuche. Dazu wurde eine eigens entwickelte Minikamera am Adler befestigt, die ihn im Flug begleitet. Bis auf wenige Ausnah men (die Adlerhorst-Szenen wurden vor einem Blue-Screen in einer Voliere gedreht) hat das Kamerateam alle Bilder in den Bergen aufgenommen – ein grandioses Alpenpanorama entfaltet sich so vor den Zuschauern. Gleichzeitig begegnet man einer unberechenbaren Natur mit Schneeverwehungen, Frühlingserwachen und heftigen Orkanböen. Das nimmt geradezu Stiftersche Ausmaße an, wenn der Sturm mitsamt Regen und Steinlawinen zur entscheidenden Konfliktbereinigung zwischen Vater und Sohn beiträgt, und die Urgewalten die Helden zum Agieren zwingt. Mit „Wie Brüder im Wind“ beweist Regisseur Gerardo Olivares einmal mehr seine Begeisterung zum Naturdrama. Bereits in „Wolfsbrüder“ (2010) hatte er die wahre Geschichte eines Jungen erzählt, der zum Anführer eines Wolfsrudels wird, wobei der junge Manuel Camacho, der nun sehr authentisch den Lukas spielt, ebenfalls in der Hauptrolle zu sehen war. Überdies hatte der Alpenspezialist Otmar Penker schon lange vor Entwicklung der eigentlichen Story mit den ersten Aufnahmen für den Film begonnen. Das Regie-Duo ergänzt sich perfekt in ihren jeweiligen Präferenzen, woraus großes Naturkino resultiert – nur eben mit der etwas zu dick aufgetragenen Analogie zur menschlichen Psyche. Katrin Hoffmann IM KIn0. Wie brÜder im Wind/brothers oF the Wind Österreich/USA 2015. Produktion: Terra Mater Factual Studios. Regie: Gerardo Olivares, Otmar Penker. Buch: Joanne Reay. Kamera: Oscar Durán, Otmar Penker. Musik: Sarah Class. Schnitt: Karin Hartusch. Darsteller: Manuel Camacho (Lukas), Tobias Moretti (Keller), Jean Reno (Danzer), Eva Kuen (Maria). Länge: 98 Min. FSK: ab 6, f. Start: 28.1.2016. Verleih: Warner. Empfohlen ab 8.

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Im Fokus: Serielles Erzählen

Über kurz oder lang Serien sind beliebt wie nie zuvor. Vor allem wenn es um Produktionen für Erwachsene geht. Wir richten den Blick auf die Serienlandschaft für Kinder und Jugendliche, auf das Identifikationspotenzial und das Verhältnis von Kinofilm und Serie. Von Stefan Stiletto

Das Verhältnis von Kinder-Spielfilmen und Kinderserien war früher durchaus ambivalent. Die ersten 13 Folgen der schwedischen Fernsehserie „Pippi Langstrumpf“ wurden 1969 in Deutschland kurzerhand zu den Kinofilmen „Pippi Langstrumpf“ und „Pippi geht von Bord“ umgeschnitten – die Serie selbst folgte erst später. Mit einer anderen Astrid-Lindgren-Adaption verhielt es sich genau umgekehrt: Zwei Jahre nach der Kinoauswertung wurde der Spielfilm „Ronja Räubertochter“ (1984) im Fernsehen als dreiteilige (um einige Szenen ergänzte) Mini-Serie ausgestrahlt.

Was sich daraus ableiten lässt: Eine Serienstaffel oder gar eine vollständige Serie kann letzten Endes wie eine einzige große Erzählung wirken. Und: Eine Serie bezieht ihren besonderen Reiz daraus, wenn sie nicht nur über in sich geschlossene Folgen erzählt, sondern mit langem Atem „einen größeren Plan“ verfolgt.

Serien entdecken die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen… So sind es heute längst nicht mehr nur die „großen“ Kinofilme, die für breite Aufmerksamkeit sorgen: Gerade auch eine Serie wird zum Event. Eine Ent-

wicklung, die in den letzten 20 Jahren stattfand und besonders auf aufwändige US-amerikanische Serien zurückzuführen ist, die komplexe, teils experimentelle Erzählstrukturen mit langen Handlungsbögen schufen und sich ästhetisch in Aufwand und Look deutlich am Kino orientierten. Während sich die meisten neueren Serien wie „Breaking Bad“ (20082013) oder „Game of Thrones“ (seit 2011) vorwiegend an ein erwachsenes Publikum richten, entstehen quasi am Rande zunehmend auch spannende Stoffe, die ausdrücklich für Kinder und Jugendliche konzipiert sind, über Kin-

In den „Harry Potter“-Filmen konnten die Fans zwölf Jahre lang gemeinsam mit ihren Helden älter werden


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Im Fokus: Serielles Erzählen

… und laden sie dadurch zum „Mitleben“ ein Stehen beim Spielfilm der anregende Ausschnitt und die konzentrierte Erzählung im Zentrum, verschiebt sich bei Serien der Fokus. Hier bleibt Zeit für Details, für Feinheiten – und fürs Erzählen von Entwicklungen und allmählichen Veränderungen. Serien sind eine Einladung zum längeren „Mitleben“, parallel zum realen Alltag, im besten Fall in einem fiktiven mäandernden Erzählkosmos, der sich zuweilen in Nebensträngen mit vielen Figuren verlaufen darf. Gerade aus medienpädagogischer Sicht ist es dieses hohe Identifikationspotenzial, das

Serien für Kinder und Jugendliche interessant macht, weil die etwa gleichaltrigen Serienfiguren für eine gewisse Zeit zu Lebensbegleitern werden; sie dienen als Vorbilder, mit denen man sich vergleichen und an denen man sich reiben kann – eine Form des Austauschs, die als „parasoziale Interaktion“ bezeichnet wird und besonders bei langlaufenden Serien zum Tragen kommt. Serien sind nicht nur Teil der Medienbiografie, sondern der Biografie ganz allgemein. Nun mögen Daily und Weekly Soaps nicht unter die übliche Definition von „Qualitätsfernsehen“ fallen. Indem sie das Lebensbegleitende zum Prinzip erheben, setzt eine Soap für Kinder und Jugendliche wie „Schloss Einstein“ (seit 1998) aber genau an dieser Besonderheit des seriellen Erzählens an – und wahrscheinlich ist es die „Alltagsästhetik“, die hier wichtig ist für die empfundene Glaubwürdigkeit und Lebensnähe. Eine wichtige Rolle spielt auch das Figurenensemble: Weil jede Figur ihre eigene Geschichte, ihre Stärken und Schwächen hat, bieten Serien eine Vielzahl an Identifikationsangeboten fürs

junge Publikum. In „Der Club der roten Bänder“ (2015) über sechs Jugendliche in einer Krankenhausstation werden diese Rollen schon in der ersten Folge offen benannt, und auch in der KinderKrimiserie „Trio“ (seit 2014) sind die Charakteristika vom mutigen Mädchen zum klugen Nerd klar verteilt.

Die Fans wachsen mit den Figuren heran Im besten Fall öffnet die serielle Form neue Zugänge – wobei sich diese Erzählform ja bereits auch bei groß angelegten Kinofilmreihen entwickelt hat: Eine ganze Generation ist mit den „Harry Potter“-Filmen (2000-11) aufgewachsen, die nichts weniger waren als ein epischer Achtteiler, der Kinder und Jugendliche zwölf Jahre lang begleitet hat. In dieser Zeit konnten die Fans mit den Figuren „mitwachsen“, und wie diese sind sie von Kindern zu jungen Erwachsenen geworden. So sind die Grenzen zwischen Spielfilm(-reihen) und Serien fließend. Und „Allein gegen die Zeit“ wird in diesem Jahr nicht etwa durch eine dritte Staffel fortgesetzt, sondern durch einen Kinofilm. •

Fotos: Warner Bros.

der und Jugendliche erzählen und sich durch eine hohe Sensibilität für deren Lebenswelt auszeichnen. Mal handeln sie von klassischen Themen wie Eigenständigkeit, Freundschaft, Liebe, der Bedeutung des eigenen Körpers, mal greifen sie dabei auch alterstypische Genrevorlieben auf, beispielsweise Erzählmuster des Fantasy- und Mystery-Films („Armans Geheimnis“, 2015) oder des Thrillers („Allein gegen die Zeit“, 2010-2012).

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Im Fokus: Serielles Erzählen

Der Einzug von Animes in die deutsche Kinder- und Jugendserienlandschaft

Von Maja zu Mikasa Animationsfilme und -serien aus Japan erscheinen westlichen Zuschauern so „anders“, dass sich eine eigene Bezeichnung für diese etabliert hat: Animes. Und doch wurden die ersten japanischen Zeichentrickserien im deutschen Fernsehen nicht als solche wahrgenommen. Ein Rückblick in die Geschichte der Anime-Serien in Deutschland – und ein Einblick in deren gegenwärtige Vielfalt. Von Natália Wiedmann

Von Maja über Mila zu Mikasa – über diese Mädchenfiguren kann man exemplarisch den Einzug der Animes in die deutsche Kinder- und Jugendserienlandschaft nachvollziehen. Nach einem missglückten Versuch der ARD, zu Beginn der 1970er-Jahre eine Auswahl von Folgen des Sport-Animes „Speed Racer“ (1967/1968) zu senden, gehörte „Die Biene Maja“ ab 1975 zu den ersten Zeichentrickserien aus Japan, die im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden – wenngleich es sich bei diesen frühen Serien nicht um rein japanische Produktionen handelte, sondern um Co-Produktionen, die durch das ZDF initiiert wurden und deren inhaltliche Konzeption in Deutschland angesiedelt war.

WEltlitErAtur, Mit lAngEM AtEM für KindEr Erzählt Dem Erfolg dieser Co-Produktionen ist es zu verdanken, dass bald auch Lizenzkäufe den Weg ins Zweite Deutsche Fernsehen fanden, darunter die Adaption von Johanna Spyris „Heidi“Büchern. Die Serie, für die Isao Takahata als Regisseur verantwortlich zeichnete und an deren Gestaltung auch Hayao Miyazaki mitwirkte, zählt zu einer Reihe japanischer Verfilmungen von Klassikern der europäischen und US-amerikanischen Kinderliteratur, die unter dem Namen „World Masterpiece Theater“ bekannt wurden und – ungewöhnlich für das Kinderprogramm der damaligen Zeit – eine fortlaufende Geschichte über 52 Episoden erzählen. Auch außerhalb dieser Reihe bezogen sich zahlreiche Serienstoffe auf westliche Literaturvorlagen, weshalb sie von den Zuschauern nicht

unbedingt als japanische Produktionen wahrgenommen wurden. Dies änderte sich Anfang der 1990erJahre mit dem Aufkommen der Privatsender, wobei sich besonders RTL 2 als Sender etablierte, der für seine große Anzahl an Anime-Serien im Kinderprogramm bekannt war. Auch hier liefen, gerade in den ersten Jahren, zahlreiche Adaptionen westlicher Vorlagen, etwa „Eine fröhliche Familie“ (1987) nach dem Roman „Little Women“ von Louisa May Alcott oder „D‘Artagnan und die drei Musketiere“ (1987). Ebenfalls im ersten Sendejahr startete mit „Mila Superstar“ (1969-1971) auch eine Serie, die eindeutig in Japan spielt und nebenbei als Sportserie (mit einer sehr ehrgeizigen Protagonistin) das Genre-Spektrum des Programms erweiterte.

MAgischE MädchEn und tAschEnMonstEr Sukzessive traten weitere Serien hinzu, die für die bewusste Wahrnehmung von Animes und deren Popularität bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle spielen sollten, darunter die Serie „Sailor Moon“ (1992-1997) über die 14-jährige Schülerin Usagi, die als „Mondkriegerin“ gemeinsam mit anderen Sailor-Kriegerinnen gegen „das Böse“ kämpft. Die zum Kult avancierte Serie ist nicht nur ein Beispiel für das „Magical Girl“-Subgenre, das fast ausschließlich in Animes zu finden ist, sondern bietet darüber hinaus zahlreiche Beispiele für Stilelemente, die ihren Ursprung in Mangas haben und aus europäischer Sicht ungewöhnlich wirken. Dazu zählen etwa die extreme Verzerrung von Gesichtszügen zur


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Im Fokus: Serielles Erzählen

Komikerzeugung oder die Darstellung großer Schweißtropfen zur Kennzeichnung der unangenehmen Lage einer Figur. Stärker an Jungen richteten sich unterdessen die Serien „Dragon Ball“ (1986-1989) und „Pokémon“ (seit 1997), die zu den langlebigsten und erfolgreichsten Anime-Serien überhaupt zählen. Vor allem „Pokémon“ steht dabei wie kein anderes Produkt dafür, dass zahlreiche Animes im Medienverbund vermarktet werden.

Fotos: DIC Entertainment/Mainichi Broadcasting System (MBS)/Artland

do it yoursElf: fAnsubs Mittlerweile spielen Animes im deutschen Free-TV eine eher kleine Rolle, das Angebot hat sich vielmehr zu (wenigen) DVD-/Blu-ray-Anbietern und On-Demand-Plattformen verschoben. Neben den legalen Angeboten werden nach wie vor auch die umstrittenen Fansubs genutzt, also Animefolgen, die von Fans in Eigenarbeit untertitelt wurden. Viele Fansub-Gruppen und entsprechende Portale folgen dabei einem gemeinsamen Kodex: „Gesubbt“ werden nur Serien, die im jeweiligen Land keinen Lizenznehmer haben; bei einer Lizenzierung wird das Angebot eingestellt. Dem Phänomen der Fansubs wird hinsichtlich der globalen Verbreitung der Anime-Fankultur eine große Bedeutung zugeschrieben, doch im Zuge der digitalen Wende gelten sie auch zunehmend als ernste Konkurrenz zu offiziellen Vertriebswegen, zumal Lizenzverhandlungen sehr langwierig verlaufen können. Obwohl beispielsweise die hiesige (ursprünglich für 2014 geplante) Veröffentlichung des in Japan 2013 ausgestrahlten Serienhits „Attack on Titan“ noch aussteht, dürften viele

Fans der Manga-Reihe die Serie schon gesehen haben – so steht die beliebte Kämpferin Mikasa aus der Serie hier beispielhaft für die wachsende Rolle des Internets als Zugangsmedium zu Animes.

Von A WiE Action bis z WiE zEn Im Netz finden sich auch Infoseiten wie das „Anime News Network“, die sich bemühen, zu jeder Saison alle neuen Serien kurz vorzustellen. Wer sich erstmalig mit Anime-Serien auseinandersetzt, dürfte davon erst einmal überwältigt sein: vom immensen jährlichen Output ebenso wie dem hohen Grad der Ausdifferenzierung. In den letzten Jahren erschienen in Japan zum Teil weit über 100 Serien in nur einem Kalenderjahr, wobei diese Anzahl auch etwas damit zu tun hat, dass lange Laufzeiten eher die Ausnahme sind; von vielen Serien werden nur ein oder zwei Staffeln mit einer Anzahl von um die 13 oder 26 Episoden produziert. In der Regel haben diese Miniserien einen übergreifenden Handlungsbogen, sind in sich geschlossen und relativ geradlinig erzählt, verzichten also auf die Verflechtung mehrerer Handlungsstränge. Da sich Animes nicht nur an Kinder und Jugendliche richten, ist das Genrespektrum so groß wie im Realfilmbereich. Alltagsabenteuer, Komödien und High-School-Romanzen gibt es ebenso zuhauf wie Horror-, Fantasyund Actionstoffe, sensibel erzählte Coming-of-Age-Geschichten genauso wie Pornografie. Zu den Besonderheiten zählen Genres, die jenseits von Animes kaum eine Rolle spielen, so die

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schon erwähnten „Magical Girl“-Serien oder „Mecha“ als Subgenre von Science Fiction. Auch innerhalb von Subgenres ist das Serienangebot oft riesig. Während Sportserien bei uns ein Nischenprodukt sind, ist bei AnimeSerien für nahezu jeden Geschmack etwas dabei: von Fußball zu Volleyball, von Schwimmen zum Radfahren, von der rhythmischen Sportgymnastik zum Eiskunstlauf. Wer mit Anime-Serien nur Kampf und Wettkampf, Action und Gewalt verbindet, der dürfte von jenen Serien überrascht sein, die sich durch ihren Mut zum Kontemplativen, zur Langsamkeit und zur Fokussierung auf scheinbar Alltägliches und Nebensächliches auszeichnen. Mit der Geschlossenheit ihrer einzelnen Episoden, der an Grünschattierungen reichen Farbpalette und delikaten Orchestrierung, mit ihrem Verzicht auf Spannungsmomente und den ruhigen Abhandlungen über menschliche Grundkonflikte und -bedürfnisse bietet beispielsweise die Serie „Mushishi“ (2005-2006) ein nahezu meditatives Seherlebnis. Auch die so genannten „Slice of life“Animes wissen oft ganz ohne dramatische Wendungen und unlösbare Konflikte zu unterhalten, setzen stattdessen darauf, die Besonderheit kleiner Gesten zu inszenieren und das Gefühlsleben ihrer Protagonisten anschaulich zu machen. Das wiederum haben sie auch mit vielen der spannungs- und actiongeladeneren Animes gemeinsam: Die komplexen Figuren, deren Innenleben sich erst nach und nach offenbart, sind einer der vielen Gründe, warum Animes so viele Jugendliche faszinieren. • Von links: Klassisches „Magical Girl“: Sailor Moon aus der gleichnamigen Serienhit: „Attack on Titan“ Meditatives Seherlebnis: „Mushishi“


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