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Kinder jugend

WolfGaNG GrooS Ein Kinderbuch-Klassiker kommt ins Kino. Anlass für ein Gespräch mit Wolfgang Groos, dem Regisseur von „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“.

Film

„WillkommeN im kiNo!“

Korrespondenz

GroSSe NameN, kleiNe ZuSchauer

04 2016

Von Fatih Akin bis Andreas Dresen: Immer mehr renommierte Regisseure drehen Kinofilme für Kinder und Jugendliche.

Regelmäßige Beilage des FILMDIENST www.filmdienst.de

Film dienst

InfoS

Vielen Flüchtlingen, vor allem Kindern und Jugendlichen, bietet das Kino ein Fenster zur Welt. Über die Chancen der Filmarbeit mit Geflüchteten.

Kuratorium junger deutscher Film Förderverein deutscher KinderFilm aKademie Für Kindermedien stiFtung lesen


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Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_04/2016

Inhalt

Debatte 6 Die Kategorie „Kinderfilm“ Von Bettina Henzler In Kürze 8 Aktuelle Infos & Meldungen

26 JUngeS licHt

eIn fIlm, auf Den wIr uns freuen 24 „Sieben Minuten nach Mitternacht“ Im fOKus 26 Große Namen, kleine Zuschauer Von Reinhard Kleber 30 Nur die Kamera steht tiefer Von Stefan Stiletto 32 Mobiles Kino in Spanien Von Antje Knapp 34 Integration (1): Kino darf kein Zwang sein! Von Holger Twele 36 Integration (2): Ins Kino gegangen, gelernt! Von Marguerite Seidel

34 integration

38 wallace & groMit

aKteure 38 Reihe: Den kenn‘ ich doch (8) Von Christian Exner 39 Reihe: Der persönliche Klassiker (8) Von Stefan Stiletto 40 Interview: Wolfgang Groos Von Uta Beth festIVal 42 doxs! Geschichten aus dem Leben Von Barbara Felsmann 43 LUCAS - Jung und cinephil Von Holger Twele 44 Schlingel - Alte Märchen, neue Tierarten Von Holger Twele 45 Festival-Entdeckungen Von Holger Twele, Katrin Hoffmann, Reinhard Kleber breVIer 46 Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 48 Aktuelles Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 50 stIftung lesen

40 wolfgang grooS

KuratOrIum junger Deutscher fIlm InformatIonen no. 76 52 Editorial: Fokus Dokumentarfilm Von Anne Schoeppe & Andreas Schardt 53 „Palastgeflüster“ – Unterhaltung für die ganze Familie 54 Besondere Dreharbeiten: „Sandmädchen“ Von Veronika Raila 58 Interview mit Sonia Kennebeck Von Reinhard Kleber 61 5 Filme… Von Stefan Ludwig 62 News & Meldungen 63 DVD-Tipps

32 Mobil in Spanien


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Inhalt

KrItIKen (KInO & DVD) VOrschule 10 Louis & Luca und die Schneemaschine Von Katrin Hoffman 6+ 11 Störche - Abenteuer im Anflug Von Thomas Lassonczyk 12 Pettersson und Findus: Das schönste Weihnachten überhaupt Von Katrin Hoffmann 13 Burg Schreckenstein Von Reinhard Kleber 14 Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt Von Barbara Felsmann 15 Der Geheimbund von Suppenstadt Von Anja Flade-Kruse 10+ 16 Kubo - Der tapfere Samurai Von Stefan Stiletto 17 Tini: Violettas Zukunft Von Natalia Wiedmann 18 Allein gegen die Zeit Von Thomas Lassonczyk 19 Morris aus Amerika Von Kirsten Taylor 17 In Kürze

12 petterSSon UnD finDUS

23 SparrowS

14+ 20 Radio Heimat Von Ulrich Kriest 21 Ein Lied für Nour Von Kathrin Häger 22 Die Mitte der Welt Von Horst Peter Koll 23 Sparrows Von Heidi Strobel 15 Hinweise auf weitere Filmstarts

15 Der geHeiMbUnD Von SUppenStaDt

Impressum Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK)

dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-brüning-Straße 9, 53113 bonn (0228) 26 000-163 (redaktion), (0228) 26 000-257 (anzeigen), (0228) 26 000-251 (Vertrieb) Die KJK erscheint viermal im Jahr als ständige beilage des filMDienSt geschäftsführer: theo Mönch-tegeder chefredakteur: Horst peter Koll redaktion: Stefan Stiletto layout: wolfgang Diemer, frechen anzeigenverkaufsleitung/Verantwortlich für den inhalt der anzeigen: Martin werker (werker@dreipunktdrei.de) Vertriebs- und Marketingleitung: Urs erdle (erdle@dreipunktdrei.de) bestellungen und anfragen: vertrieb@filmdienst.de e-Mail: redaktion@filmdienst.de, internet: www.filmdienst.de

22 Die Mitte Der welt

gefördert durch:

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Kritik Vorschule

Louis & Luca und die Schneemaschine Louis und Luca sind zwei sprechende, sich menschlich verhaltende Tiere. Gemeinsam mit dem Erfinder Alfie leben sie in einem kleinen Haus in einem norwegischen Ort namens Flåklypa – was so viel wie „Hintertupfingen“ bedeutet. Louis ist ein draufgängerischer, leicht angeberischer Vogel, eine Mischung aus Ente und Rabe, der immer mutig Alfies neueste Erfindungen ausprobiert und vor nichts Angst hat: ziemlich cool, aber auch ein wenig arrogant. Ganz im Gegensatz zu Luca, dem kleinen pessimistischen Herrn Igel. Seit ihm einst eine Sense die oberen Kopfstacheln weggesäbelt hat, lebt Luca ständig in Furcht und traut sich im Dunkeln nicht mehr nach draußen. Zusammen mit Alfie freuen sich die beiden Freunde auf Weihnachten und warten auf den ersten Schnee, der aber in diesem Winter einfach nicht kommen will. Auch für den ortsansässigen Zeitungsverleger Frederick Hansen ist das eine Katastrophe. Schon mehrmals hatte er Schneefall angekündigt, doch weil die Vorhersage jedes Mal falsch war, vertrauen ihm seine Leser nicht mehr. Nun erlebt seine Lokalzeitung eine Flaute sondergleichen. Ob Alfie für ihn eine Schneemaschine konstruieren und damit die ab 5

Zeitungsauflage retten kann? Natürlich kann er das. Aber schon bald steht das Dorf vor einem neuen Problem: Alfies Maschine verselbstständigt sich und produziert solche Schneemassen, dass ganz Flåklypa darunter zu ersticken droht. Nun schlägt Lucas Stunde, denn letztlich liegt es an dem ängstlichen Igel, dem Treiben nach allerlei rasanten Verwicklungen ein Ende zu bereiten. „Louis & Luca und die Schneemaschine“ ist ein liebevoll arrangierter Stop-Motion-Puppentrickfilm, der in Diarückblenden die Lebenslinien der drei Freunde vorstellt und deren Hintergrundschichte erzählt. Nicht zuletzt die bekannten Charaktereigenschaften von Louis und Luca machen es Kindern leicht, diese besser einzuordnen. Doch man kann sich nicht nur mit den drei Helden identifizieren. Auch der ehrgeizige Hansen trägt als Nebenfigur vertraute Züge. Das überschaubare Universum von „Louis & Luca“ ist einerseits zeitlos, andererseits rekurriert es ironisch auf unsere moderne Technik. Wenn Alfie an seiner alten Schreibmaschine „recherchiert“, greifen Arme von der Maschine aus ins Regal und wählen, analog zu Suchmaschinen, das richtige Buch aus; Alfies Telefon blättert in

Karteikarten, um auf Anhieb den richtigen Anrufer zu präsentieren. Derweil erinnert Alfies Erfinderkosmos in vielen Versatzstücken an die Welt von „Wallace und Gromit“, sowohl im harmonischen Zusammenleben von Mensch und Tier als auch im schöpferischen Geist, der durch die Geschichte weht. Nicht zuletzt entwickelt auch in „Louis & Luca“ eine Maschine ein Eigenleben, ganz ähnlich wie das auch die Konstruktionen des Erfinders Wallace gern tun. In diesem Fall gibt es neben der Schneemaschine noch einen durchtriebenen Reporterroboter, der auf Knopfdruck stets dieselben Fragen stellt, eine hintergründige Kritik am vorherrschenden Journalismus. Wir werden sehen, in welches Abenteuer sich die drei Freunde als nächstes stürzen. Denn die Geschichte mit Louis, Luca und Alfie geht weiter. „Louis & Luca: Das große Käserennen“ läuft derzeit bereits auf Festivals. Katrin Hoffmann

Auf dvd. SOLAN OG LUDVIG - JUL I FLAKLYPA Norwegen 2013. Produktion: Maipo Film AS. Regie: Rasmus A. Sivertsen. Buch: Karsten Fullu. Kamera: Janne Hansen, Morten Skallerud. Musik: Knut Avenstroup Hougen. Länge: 76 Min. (DVD). FSK: ab 0. Veröffentlichung: 27.10.2016. Anbieter: Universal. Empfohlen ab 5.


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Kritiken 6+

Störche – Abenteuer im Anflug der Titel lässt an eine Naturdokumentation im Stil von „die Reise der Pinguine“ (2004) denken. Dahinter aber verbirgt sich ein aufwändig produziertes CGI-Abenteuer, mit dem Studioriese Warner, der sich bisher auf das „Lego“-Franchise fokussiert hatte, auf dem Animationsfilmsektor mitmischen will. Tatsächlich hat „Störche – Abenteuer im Anflug“ trotz einer Geschichte, die durch diverse Nebenhandlungen immer wieder aus dem Rhythmus gebracht wird, einiges an Schauwerten, witzigen Szenarien und originellen Ideen zu bieten. Im Kern geht es um das gigantische Storchen-Imperium Cornerstone.com, das vor langer Zeit die Auslieferung von Babys gestoppt hat und ins wesentlich lukrativere Online-Versandgeschäft eingestiegen ist. Der vorbildhafte Storch Junior rechnet sich gute Chancen aus, auf der Karriereleiter nach oben zu fliegen, dann aber kommen ihm zwei Dinge in die Quere: das schusselige menschliche Waisenkind Tulip, das Junior eigentlich hätte feuern sollen, und ein zuckersüßer Säugling, der durch die versehentliche Wiederinbetriebnahme der Babyfabrik nun auf seine Zustellung wartet. In der Folge erlebt das ungleiche Trio ab 6

auf der Reise zur rechtmäßigen Familie des Wonneproppens haarsträubende Abenteuer, die jedes für sich für viel Amüsement sorgen und deren Höhepunkt ein Wolfsrudel darstellt, das sich weniger durch zähnefletschende Gefährlichkeit als erstaunliche Wandlungsfähigkeit auszeichnet. So können sich die wilden Tiere in kürzester Zeit in ein Schiff, ein U-Boot oder gar eine Hängebrücke transformieren. Ruht für einen Moment die Action, die ein atemberaubend hohes Tempo anschlägt, kommen die Ersatzeltern Junior und Tulip zum Zug, die mit „ihrem“ Baby typische Situationen junger Mamas und Papas wie Füttern, Wickeln oder In-den-Schlaf-wiegen durchleben. Da dies vorwiegend auf der Dialogebene stattfindet, sind hier insbesondere die Synchronsprecher gefragt. In der deutschen Fassung liefern sich Nora Tschirner und Sebastian Schulz einen unglaublich witzigen, in seiner emotionalen wie sprachlichen Vielfalt beispiellosen verbalen Schlagabtausch. Weiter aufgewertet wird die deutsche Version durch die markante Stimme von Klaus-Dieter Klebsch, der den mit herzallerliebsten runden Babyvögeln als Ballersatz golfenden Firmenchef spricht, und die Star-

Köche Frank Rosin und Nelson Müller, die als Alphawolf und Betawolf ebenfalls ein großartiges Dialogduell ausfechten. Allein der erfahrene Synchronsprecher Rick Kavanian schießt als Sidekick „Taube Nuss“ mit seinem manierierten irischen Akzent etwas übers Ziel hinaus. Das wiederum könnte man auch vom Regie-Duo Nicholas Stoller (wie in „Bad Neighbors“ zuständig für schräge Komik) und Doug Sweetland (leitender Animator bei „Cars“) behaupten. Besser hätten sich die beiden zuweilen dem Motto „Weniger ist mehr“ verschrieben, hätten die eine oder andere Figur weggelassen, nicht jeden Gag ausgereizt und auf den Nebenplot um ein gestresstes Elternpaar, das seinen Sohn vernachlässigt, verzichten sollen. Animationstechnisch ist „Störche – Abenteuer im Anflug“ auf höchstem Niveau, hinzukommen ein Soundtrack mit vielen Pop-Ohrwürmern und ein tränenreiches Happy End. Thomas Lassonczyk Im KIN0. STORKS 3D. USA 2016. Produktion: RatPac-Dune Ent./Warner Bros. Animation. Regie: Nicholas Stoller, Doug Sweetland. Buch: Nicholas Stoller. Musik: Jeff Danna, Mychael Danna. Schnitt: John Venzon. Länge: 87 Min. FSK: ab 0. Start: 27.10.2016. Verleih: Warner. Empfohlen ab 6.

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„Auf Augenhöhe“

Arthouse-Regisseure entdecken Kinder und Jugendliche

Große Namen, kleine Zuschauer Fatih Akin, Andreas Dresen, Detlev Buck – ihre Namen stehen exemplarisch für ein Arthouse-Kino, das sich vorwiegend an ein erwachsenes Publikum richtet. Wie viele andere prominente Regisseure haben sie nun Kinder- und Jugendstoffe verfilmt. Ein Blick darauf, warum es in Deutschland immer attraktiver wird, Filme für ein junges Publikum zu drehen. Seit etlichen Jahren erfreuen sich Kinder- und Jugendfilme beim deutschen Kinopublikum großer Beliebtheit. In die Liste der 100 besucherstärksten deutschen Filme der letzten 15 Jahre haben es 26 Produktionen geschafft. In den Top 50 sind von 2001 bis 2015 nach Angaben der Filmförderungsanstalt (FFA) immerhin zehn Arbeiten vertreten. Die meisten Zuschauer zog in diesem Zeitraum der Abenteuerfilm „Wickie und die starken Männer“ (2009) mit 4,9 Mio. Besuchern an, gefolgt vom Zeichentrickfilm „Der

Von Reinhard Kleber

kleine Eisbär“ (2001) mit 2,7 Mio. Besuchern. Die starke Stellung des deutschen Kinderkinos setzt sich auch 2016 fort. Mit fast zwei Mio. verkauften Eintrittskarten ist „Bibi & Tina – Mädchen gegen Jungs“ im ersten Halbjahr 2016 sogar der erfolgreichste deutsche Film. Kein Wunder, dass der Besuchermagnet „Kinderfilm“ in letzter Zeit verstärkt auch prominente Regisseure auf den Plan ruft, die sonst nur oder fast nur Filme für Erwachsene drehen. Am 15. Mai 2016 brachte Adolf Winkelmann seine Verfilmung des Romans

„Junges Licht“ von Ralf Rothmann über die Erlebnisse eines zwölfjährigen Bergarbeitersohns im Ruhrgebiet der 1960er-Jahre in die Kinos. Am 15. September lief Fatih Akins „Tschick“, die Verfilmung des gleichnamigen Jugendromans von Wolfgang Herrndorf, mit beachtlicher Resonanz in den deutschen Kinos an. Am 20. Oktober folgten Ralf Huettner („Vincent will meer“) mit „Burg Schreckenstein“, der ersten Verfilmung der populären Jugendbuchreihe von Oliver Hassencamp, und Johannes Naber („Der Albaner“) mit der moder-


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Im Fokus: „Große“ Regie für junges Publikum

„Junges Licht“

nen Interpretation des Wilhelm HauffMärchens „Das kalte Herz“. Im kommenden Jahr (am 2.2.2017) geht dann Andreas Dresen mit der Neuverfilmung des James-KrüssRomans „Timm Thaler“ an den Start. Detlev Buck drehte unlängst mit „Bibi & Tina – Tohuwabohu Total“ bereits den vierten Film der 2014 begonnenen Reihe ab, die auf der gleichnamigen Kinderhörspielserie beruht. Auch Katja von Garnier ist in dem Metier weiter aktiv: Sie dreht gerade in Andalusien mit „Ostwind – Aufbruch nach Ora“ die dritte Folge der erfolgreichen Pferdefilmreihe.

PoPuläre MarKen erhöhen die Förderchancen Auffällig ist, dass praktisch alle Kinderkinohits und die genannte Filmstaffel namhafter Regisseure auf Bestsellern oder populären Marken beruhen. Deren Bekanntheit erhöht die Chancen der Projekte, Finanzierungszusagen der Filmförderer und Fernsehsender zu erhalten. Buck, Dresen,

Akin und andere haben auch kein Problem, Stars für ihre Kinderfilmprojekte zu gewinnen. Dass prominente Schauspieler gerne in familienaffinen Filmen auftreten, lässt sich schon seit Jahren bei den Märchenverfilmungen von ARD und ZDF beobachten. Filme nach Originalstoffen tun sich dagegen sehr viel schwerer, das Interesse des Publikums zu finden. Umso wichtiger ist die Initiative „Der besondere Kinderfilm“, ein Bündnis von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, Filmförderungen, Produzenten- und Branchenvertretern. Ziel ist es, dem Kinderfilm in Deutschland mit originären Stoffen und Gegenwartsgeschichten zu größerer Vielfalt zu verhelfen (vgl. KJK 03/16). Auch Fatih Akin möchte diesen Fördermechanismus in Anspruch nehmen: 2017 will er mit seiner Hamburger Produktionsfirma bombero international die Verfilmung von Ruth Tomas Drehbuch „Die Geister aus dem 3. Stock“ aus dem zweiten Jahrgang des Förderprogramms produzieren. Paradebeispiel für einen „besonderen Kinderfilm“ ist „Auf Augenhöhe“ (2016) über einen zehnjährigen

Heimjungen, der entdeckt, dass er einen kleinwüchsigen Vater hat. Die erste lange Regiearbeit von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf wurde von Christian Becker und Martin Richter von der Produktionsfirma Rat Pack produziert. Für Becker, der mit den beiden „Wickie“-Filmen (2009 & 2011), den drei „Vorstadtkrokodile“-Filmen (2008-2010), „Hui Buh – Das Schlossgespenst“ (2005) und „Das Haus der Krokodile“ (2011) hierzulande zu den fleißigsten Family-Entertainment-Produzenten gehört, ist es wichtig, „neben Mainstream-Produktionen auch solche relevanten Themen wie in ‘Auf Augenhöhe’ anzupacken“. Ohne die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ hätte es diesen Film freilich nicht gegeben, sagt er.

KindheitS- und Jugenderinnerungen alS Motiv Doch was reizt Produzenten, immer wieder für die junge Zielgruppe Filme herzustellen? Christian Becker: „Kinder lieben Abenteuer, und es gibt nichts

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„Burg Schreckenstein“

Schöneres, als mit hunderten Kindern im Kino zu sitzen, die staunend und schreiend mitgehen. Und es macht großen Spaß, diese Abenteuer für die Kinder und Jugendlichen zu verfilmen, um ihnen den gleichen Spaß, die Aufregung und Begeisterung mitzugeben, die wir selbst als Kinder bei solchen Filmen verspürt haben.“ Für die Hochkonjunktur des Kinderfilms gibt es stichhaltige strukturelle Gründe. Der Erfolg von BestsellerAdaptionen ist leicht planbar, denn viele Eltern gehen gern mit ins Kino, wenn sie die Vorlagen aus ihrer Kindheit kennen. Kinder wiederum sind treue Zuschauer, sie kommen gerne wieder, wenn ein Erfolgsfilm Fortsetzungen hervorbringt, und sehen sich ihren Lieblingsfilm auch mehrfach im Kino an. Zudem stellen MerchandiseProduktlinien zu Erfolgsmarken wie „Die Wilden Kerle“ eine nicht unerhebliche zusätzliche Erlösquelle dar. Im individuellen Fall kommen andere Motive, etwa autobiografische Erfahrungen hinzu. So wurde der Ruhrgebietsspezialist Adolf Winkelmann („Die Abfahrer“) durch zwei junge Autoren, Till und Nils Beckmann, auf

den Roman „Junges Licht“ aufmerksam. „Ich war von der ersten Seite an gefangen. Da gab es keine Figur, keine Szene, die mich nicht an meine eigene Kindheit erinnert hätte. Mein Großvater hat auf einem Stahlwerk gearbeitet, wo er kostenlos immer so viel Sprudelwasser trinken durfte, wie er wollte. Und dann meine Lehrer, die am letzten Tag vor den Schulferien immer dieselben Kriegserlebnisse erzählten.“ Andreas Dresen, der 1993 die Fernsehdokumentation „Kuckuckskinder“ über ein 14-jähriges Berliner Heimkind realisierte und 2015 mit der Romanverfilmung „Als wir träumten“ über Leipziger Jugendliche in der Nachwendezeit im „Berlinale“-Wettbewerb vertreten war, sagte bereits vor vier Jahren, dass er „unheimlich gern mal für Kinder drehen würde“. Mit dem „Timm Thaler“-Film habe er sich einen lang gehegten Traum erfüllt, der Roman von James Krüss sei eines seiner Lieblingskinderbücher. Das Buch, in dem Krüss den Materialismus der Wirtschaftswunderjahre verarbeitet habe, besitze eine noch heute gültige Botschaft, sagt Dresen:

„Es geht darum, dass man nicht unbedingt glücklicher wird, wenn man der reichste Mann der Welt ist.“ Der 53-Jährige wundert sich ohnehin, „dass es in Deutschland so eine scharfe Trennung gibt: Bestimmte Regisseure drehen nur für Kinder, andere nur für Erwachsene“. Diese „unsichtbare Barriere“ sei absurd. Manchmal kommen Filmprojekte auch nur durch einen Zufall zustande. So hat Fatih Akin den Roman „Tschick“ vor fünf Jahren auf der Buchmesse in Frankfurt kennengelernt, war begeistert, bekam aber die begehrten Filmrechte nicht. Im Sommer 2015 trudelte überraschend dann doch ein Verfilmungsangebot ein. Weil ihm die Finanzierung eines anderen Projekts gerade weggebrochen war, entschied er sich kurzfristig für die Verfilmung. Dabei interessierte ihn weder der „Wilde Osten“ noch die BuddyGeschichte oder das Road Movie, sondern dass die zwei Protagonisten noch Teenager sind. Sie sind weder Kinder noch Erwachsene und müssen ihren Weg erst noch finden – eine Suche, mit der sich auch Akin noch identifizieren kann.


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Im Fokus: „Große“ Regie für junges Publikum

„Timm Taler“

Fotos: Tobis/Weltkino/Concorde/Constantin

dreharBeiten, die SPaSS Machen Mit „Burg Schreckenstein“ gab Ralf Huettner sein Kinderfilmdebüt. Hier trafen gleich mehrere Motive zusammen: zum einen der Wunsch von Huettners Sohn, sein Vater solle endlich einmal einen Film für Kinder drehen, zum anderen Huettners eigene Internatserfahrung. So habe er sich gut in den Protagonisten Stephan hineinversetzen können, der neu ins Internat kommt. Zugleich räumt der Regisseur ein: „Die Chance, ‘Burg Schreckenstein’ zu verfilmen, bekommt man nur einmal. Ein Jungeninternat auf einer echten Ritterburg, Harald Schmidt als Graf, Henning Baum als lässiger Direktor, wie ich ihn mir immer gewünscht hätte, Sophie Rois als superstrenge Schulleiterin und Gegenspielerin, Alexander Bayer als Burgmanager, das sind doch schon mal eine Menge guter Gründe. Die Jungen auf Burg Schreckenstein, die Mädchen auf Schloss Rosenfels, der Kampf der Schulsysteme: Das ist eine eigene Welt, aus der sich viele

Geschichten entwickeln lassen. Das für den Film in die Gegenwart zu adaptieren, war eine sehr schöne und spannende Aufgabe.“ Detlev Buck wiederum reizt bei „Bibi & Tina“ die künstlerische Herausforderung. Die Pferdemädchen-Hörspielreihe verwandelt er in ein verspielt inszeniertes Pop-Musical, das deutlich Bucks Handschrift trägt. Ob er nun für ein Kinder- und Jugendpublikum oder für Erwachsene dreht, spielt für ihn keine Rolle: „Ich versuche, beides so zu machen, dass es mir gefällt“, sagt er und schließt weitere Kinder- und Jugendfilme auch jenseits von „Bibi & Tina“ nicht aus. „Weil ich keine Unterscheide mache, bin ich da offen. Wenn mich eine Geschichte interessiert!“

auch BerühMte regiSSeure Sind eine MarKe Macht es der aktuelle Trend Filmemachern nun leichter, Kinder- und Jugendfilmprojekte zu finanzieren? Der Münchner Produzent Philipp Bud-

weg, der u.a. die „Edelstein“-Trilogie (2013-2016) sowie die drei „Rico & Oscar“-Kinderfilme (2012-2016) produzierte, meint: „Es geht einfacher, wenn man eine Marke hat. Die großen Verleiher wollen die Marke, aber auch einen Regisseur, der dafür steht, ein großes Publikum zu erreichen. Deswegen war Neele Leana Vollmar mit ihrer Expertise von ‘Maria, ihm schmeckt’s nicht!’ genau die Richtige für ‘Rico, Oskar und die Tieferschatten’, zumal sie ohnehin einen Kinderfilm machen wollte. Den zweiten ‘Rico’-Film hat dann Wolfgang Groos realisiert, der mit den beiden ‘Vampirschwestern’Filmen bewiesen hat, dass er auch in diesem Segment gute Unterhaltung und Zuschauerzahlen liefert. Da wäre ein Berufsanfänger schwieriger durchzusetzen gewesen.“ Aus Budwegs Sicht nimmt der jüngste Boom schon fast überhand: „In manchen Sitzungen der Fördereinrichtungen werden schon so viele Kinderfilme eingereicht, die auf Marken beruhen und berühmte Regisseure an Bord haben, dass nicht alle gefördert werden können. Da droht eine Kannibalisierung.“ •

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Im Fokus: Wolfgang Groos

Wolfgang Groos

Eine Geschichte für Kinder mit Robotern, Außerirdischen und Raumschiffen Vor 44 Jahren wurde Boy Lornsens Kinderbuchklassiker „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ bereits einmal als Puppentrickserie fürs Fernsehen verfilmt. Nun hat Wolfgang Groos sich an einen Kinorealfilm gewagt. Ein Interview mit ihm über den besonderen Reiz des Stoffs, die Modernisierungen und die unnötige Angst des deutschen Kinderfilms vor internationalen Vergleichen. Das Gespräch führte Uta Beth.

Wie und wo haben Sie „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ kennen gelernt? Groos: In den 1970er-Jahren, als Boy Lornsen bei uns in Hofgeismar bei Kassel daraus gelesen hat. Damals war eine Geschichte für Kinder mit Robotern, Außerirdischen und Raumschiffen absolutes Neuland, weshalb der Titel heute immer noch präsent ist. Wenn man dann nachfragt, wissen die meisten allerdings nicht mehr so genau, was da passiert. Und das kommt uns gelegen.

Was hat Sie an der Verfilmung gereizt? Groos: Dass es immer noch eine großartige Geschichte ist, die vom Filmischen her sehr viel bietet. Und da inzwischen fast 50 Jahre vergangen sind, seit Robbi im norddeutschen Tütermoor gelandet ist, hatten wir die Freiheit, alles ganz neu zu erschaffen. Was haben Sie anders gemacht? Groos: Zunächst einmal haben wir dem Roboter eine spannende Backstory gegeben und stärker ausgebaut, was

ihn so außergewöhnlich macht und zugleich gefährdet: dass er nämlich keine bloße Maschine ist, sondern ein Herz hat. Was sofort die Bösewichte auf den Plan ruft. Uns schien das Interesse an dieser Technologie zeitgemäßer, als wenn es nur wie im Roman um die Schulaufgaben geht. Aber wir behalten die Stationen und Funktionen der Figuren. Wir lieben den Leuchtturm und Matti, den Leuchtturmwärter, den Nordpol und das Inuit-Mädchen, das bei uns noch stärker in die Geschichte eingebunden wird, und natürlich brauchen


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Fotos: Studiocanal

Im Fokus: Wolfgang Groos

wir auch Sir Joshua, den Zauberer. Der ist jetzt eine Mischung aus Steve Jobs und Mark Zuckerberg, dem ein Multimedia-Unternehmen gehört, das er mithilfe von Robbi zum alles beherrschenden Weltkonzern machen will. Sein „Gold“ ist jetzt die Maschine mit Gefühl, ein Roboter, der lieben kann. Kommt da ein wenig „James Bond“ in den Kinderklassiker? Groos: Ein bisschen, aber das war bei „Robbi, Tobbi“ ja eigentlich schon immer. Erst recht, wenn man an die mediale Wirkung denkt, die die Puppentrick-Fernsehserie aus dem Jahr 1972 hatte: Damals wurde das Visuelle ja überhaupt erst entwickelt. Aber in unserem Film geht es um mehr als nur um ein Abenteuer. Zum Beispiel darum, wie der Außenseiter Tobbi allmählich entdeckt, dass er nicht nur schlau und erfinderisch ist, sondern auch mutig. Und so, wie er zunehmend selbstbewusster wird, lernt Robbi, was ein Witz ist, und entwickelt Sinn für Humor. Wie unterscheidet sich Ihr Robbi vom Original? Groos: Unser Robbi ist ein realer Roboter, den Tobbi auch wirklich umarmen kann. Manchmal müssen wir ein bisschen herumtricksen, aber eigentlich ist der Robbi im Film auch der, der in Tütermoor auf dem Marktplatz steht. Dabei durfte keinesfalls der Eindruck entstehen, als hätte Tobbi ihn sich selbst gebaut oder bauen können. Ein Kind, das sich einen Freund baut, wäre mir ein zu dramatischer Ansatz gewesen. Und dann muss man glauben, dass er von weit herkommt und Dinge kann, die mit

irdischer Physik nicht vereinbar sind. Andererseits wollten wir aus ihm auch keinen stromlinienförmigen HightechRoboter machen. Er sollte schon eine gewisse Kantigkeit haben, etwas Haptisches, wobei wir uns nicht an der Science-Fiction-Welt und auch nicht an der Fernsehserie orientiert haben, sondern am Retro-Look der damaligen Buchausgabe, an diesen eckigen Formen der Roman-Illustrationen. Und wie war das beim Fliewatüüt? Groos: Da wurde lange daran geknobelt, bis es sich tatsächlich mit Rotorblättern und Außenbordmotor durch die Luft, auf dem Wasser und zu Lande bewegen konnte. Die Antriebswelle aus einem Ventilator wurde so mit Autoteilen zusammengebaut, wie das wahrscheinlich ein Junge von heute machen würde. Für mich als Filmemacher war natürlich toll, dass wir uns da in einer Fantasy-Ebene bewegen konnten, die jedoch ganz klar in einer norddeutschen Kleinstadt verortet ist. Und dass wir nicht nur Robbi, sondern auch das Fliewatüüt neu kreieren konnten. Wie lange haben Sie wo gedreht? Groos: Insgesamt 39 Tage. In Friedrichstadt und in Nordrhein-Westfalen, wobei Friedrichstadt deswegen als Motiv so toll ist, weil es eigentlich ziemlich undeutsch aussieht, eher holländisch mit diesen Grachten und Kanälen. Aber an bestimmten Sachen merkt man eben doch, dass wir in Norddeutschland sind. Unser Nordpol wiederum liegt in Island, wo es wunderbare Gletscher gibt, die ins Meer brechen. Und Lagunen, die zugefrorene Eisflächen mit Eisbergen bilden.

Wie groß war Ihr Budget? Groos: Weil wir einen Realfilm drehen wollten, war das nicht einfach zu finanzieren. Wir hatten knapp sieben Mio. Euro zur Verfügung, was sich nach viel anhört, es im Verhältnis gesehen aber nicht ist. Ein ähnlich aufwändiger Film würde in England oder Amerika mindestens 25 oder 30 Mio. Euro kosten. Manchmal mussten wird deshalb noch ein bisschen effizienter tricksen und konnten nicht das ganz große Rad drehen. Aber ich finde, es macht auch den Charme guter deutscher Kinderfilme aus, dass wir noch irgendwie verwurzelt sind. Wir brauchen den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. •

WOlFgang gROOS geb. 1968 in Kassel, kam während seines Medizinstudiums als Produktionsfahrer zum Film und studierte bis 2003 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Noch während des Studiums arbeitete er als Aufnahmeleiter und Regieassistent bei mehreren Filmproduktionen, bis Sönke Wortmann bei „Das Wunder von Bern“ (2003) die Begabung von Groos als Regisseur erkannte und 2008 dessen ersten Spielfilm „Hangtime – Kein leichtes Spiel“ produzierte. Nach verschiedenen Fernsehproduktionen folgten ab 2010 die Kinder- und Jugendfilme „Vorstadtkrokodile 3“ (2010), „Die Vampirschwestern“ (2012), „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“ (2013 ), „Die Vampirschwestern 2“ (2014) – ausgezeichnet mit dem Preis der TIFF KIDS Young Peoples Jury 2013 in Toronto – und „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ (2015). Am 1.12. startet „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ im Kino, 2017 dreht Groos „Hexe Lilli rettet Weihnachten“.

BOy lORnSen Und daS FlIeWaTüüT Nach dem Erfolg seines ersten, 1967 veröffentlichten Kinderbuchs „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ beschloss der 1922 in Keitum auf Sylt geborene Steinbildhauermeister, ganz vom Schreiben zu leben. Bis zu seinem Tod 1995 folgten etliche Bücher für Kinder und Erwachsene, von denen die meisten inzwischen vergessen sind. Der Titel seines ersten Buchs aber ist es nicht, wozu nicht zuletzt die 1972 vom WDR produzierte Puppenserie über die wunderbare Freundschaft zwischen dem elfjährigen Roboter Robbi und dem gleichaltrigen Tobias Findteisen beigetragen hat. Mit ihrem fantastischen „Fliewatüüt“ bestehen sie Abenteuer zu Wasser, zu Lande und in der Luft – zehn Jahre, bevor Steven Spielberg seinen Alien „E.T.“ auf die Erde schickt. Buch: „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“. Thienemann (Thienemann-Esslinger), Stuttgart 1967/dtv, München 2000. DVD: „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“. Deutschland 1972. Regie: Armin Maiwald. 263 Min. Anbieter DVD: Studio Hamburg Enterprises. FSK: ab 0.

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