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ChatGPT für Bilder

KI-Anwendungen kommen nicht nur aus den USA oder China: Im Brixner Covision Lab werden weltweit konkurrenzfähige Computer-Vision-Innovationen entwickelt.

Wer in den USA auf Amazon Adidas-Schuhe kau , kann sie in 3-D von allen Seiten begutachten und sogar in Augmented Reality anprobieren. Dahinter steckt eine KI-basierte Anwendung, die nicht etwa in Silicon Valley, sondern in Südtirols Bischofsstadt entwickelt wurde. Genauer gesagt im futuristisch anmutenden Firmengebäude der Durst Group in Brixen. Hier hat auch das Covision Lab seinen Sitz, eine vor vier Jahren von sieben Hightech-Unternehmen (Durst, Alupress, Microtec, TTControl, Microgate, Barbieri Electronics und MPD) gegründete Genossenscha mit ehrgeizigem Ziel: „Wir wollen in den kommenden zehn Jahren in Europa zum führenden Forschungs- und Entwicklungszentrum von angewandter Computer Vision und Machine Learning werden“, sagt CEO Franz Tschimben. Der Tech-Spezialist mit Vergangenheit in Silicon Valley ist der einzige Südtiroler in einem bald 20-köp gen Team mit Top-Absolventen aus Deutschland und Italien, aber auch aus Brasilien, Indien, USA, Nepal oder Mexiko.

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Bildverarbeitung“, sagt Franz Tschimben. Dazu gehören Lösungen für die Automatisierung der Qualitätskontrolle mit Machine Learning in der Fertigungsbranche, in der das Lab mit großen Namen wie Toyota, Schae er, Swarowski oder GKN zusammenarbeitet.

Von Silicon Valley nach Brixen: Der gebürtige Girlaner Franz Tschimben war für viele Jahre im Silicon Valley tätig und ist nun CEO von Covision Lab.

Nicht nur Adidas, sondern auch Gore-Tex, La Sportiva, Salewa oder Geox nutzen im E-Commerce die KI-gestützten 3-D-Scanner. Diese nehmen mit einem Multikamera-System Bilder von Objekten und Produkten auf und stellen diese automatisch als 3-D-Modelle oder 360- Grad-Renderings dar. Neben diesen eigenen Produkten entwickelt das Forschungsteam auch individuelle Lösungen im Bereich Bilderkennung für die eigenen Mitgliedsbetriebe oder für Dritte. Die Genossenscha nanziert eine Sti ungsprofessur an der Freien Universität Bozen, um lokal junge Menschen in Deep Learning auszubilden.

SIE ALLE ARBEITEN DARAN, auf digitaler Ebene das menschliche Sehen zu simulieren, um Maschinen und Algorithmen die Möglichkeit zu geben, Bilder zu analysieren. „Sehr vereinfacht erklärt, könnte man auch sagen: Wir machen das, was ChatGPT auf Basis von Language Modellen macht, im Bereich der

DIE GENOSSENSCHAFT PFLEGT aber auch auf internationaler Ebene strategische Kooperationen – wie etwa mit Nvidia. Dieses Unternehmen gilt als führender AI-Chiphersteller und wird als Königsmacher im Siegeszug der KI gehandelt. „Will Südtirols Wirtscha weiterhin auf hochqualitative und spezialisierte Produkte und Dienstleistungen setzen, wird sie die Chancen von KI nutzen müssen“, ist der gebürtige Girlaner Franz Tschimben überzeugt. ◀

SUSANNE PITRO

Dieser 3-D-Scanner ermöglicht AugmentedReality-Shoppingerlebnisse – in wenigen Minuten kann von einem Produkt ein 3-D-Modell abgeleitet werden. Adidas, Gore-Tex oder La Sportiva vertrauen bereits darauf.

Die jüngsten Entwicklungen erstaunen selbst den KI-Vorreiter Federico Giudiceandrea.

„Was nun auf uns zukommt, ist die wirkliche vierte industrielle Revolution“, sagt der Microtec-Gründer.

Für das GKN-Team heißt das etwa, dass Tausende von Bauteilen nicht mehr von Menschen manuell begutachtet werden müssen, um eventuelle mangelha e Produkte auszusortieren. Solche Aufgaben werden beim Automotive-Zulieferer heute einem intelligenten Kamerasystem anvertraut. „In die Entwicklung solcher KI-Anwendungen ießt aber auch immer das Know-how all jener Menschen ein, die davor am Band gestanden sind“, unterstreicht omas Villgratner, der Verantwortliche für Adaptive Technology.

Menschen würden nicht ersetzt, sondern man gebe ihnen hochwertigere Aufgaben und mache Tätigkeiten für sie somit interessanter. „So schaffen unsere Systeme dank Machine Learning und physikalischer Modelle mittlerweile etwa das einfa- che Nachregeln unserer Pulverpressen alleine. Für komplexere Probleme braucht es aber nach wie vor menschliches Expertenwissen“, sagt Villgratner.

WERDEN MENSCHEN WIRKLICH ERSETZT?

So ho nungsvoll solche Erfahrungen aus der Praxis auch stimmen mögen, Tatsache ist auch, dass sich viele Menschen mit repetitiven Aufgaben ihren Lebensunterhalt verdienen. Und dazu zählen nun nicht nur die schon lange betro enen „Blue Collar Workers“, sondern auch viele mit weißer Arbeitskleidung.

„Wenn nur die Häl e davon Realität wird, was Microso derzeit plant, werden viele Jobs obsolet werden“, sagt Dietmar Siegele. Der Abteilungsleiter Bauwesen bei Fraunhofer Italia hat sich in diesem Frühjahr intensiv mit einer Vorschauversion von ChatGPT auseinandergesetzt. Er sieht nicht nur für seine Branche ein Potenzial für gewaltige Efzienzsteigerungen – erst recht, wenn OpenAI in den kommenden Monaten die Plugins zu Schnittstellen wie Mailprogrammen, Excel-Tabellen oder PDF-Dokumenten freigibt. „Auf Baustellen kann in BIM-Modellen dann beispielsweise kün ig auf Basis einer einfachen eingegebenen Frage ausgerechnet werden, wie viel Kubikmeter Beton es für einen bestimmten Bauabschnitt braucht und welche Betonqualität mit welcher Lieferfrist verfügbar ist“, sagt Siegele.

Ähnliche Entwicklungen sind für Sekretariate oder Hotelrezeptionen, Übersetzungs- und Textbüros zu erwarten. Der Chatbot bezieht eigenständig Informationen aus einzelnen Programmen, verknüp strukturierte wie unstrukturierte Daten miteinander, formuliert eigenständig Angebote oder Antworten oder kann Protokolle und Transkriptionen verfassen.

DIE BELEGSCHAFT VERÄNDERT SICH

Vielfach wird es dennoch menschliche Begleitung und Präsenz brauchen. Doch klar absehbar ist: Der Arbeitskrä ebedarf wird in diesen Bereichen sinken und die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt werden sich verschieben.

Eine Entwicklung, die bei KI-Pionieren wie Microtec bereits in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten war. „Seit wir die Bilddaten mithilfe sogenannter tiefer neuronaler Netzwerke analysieren, hat sich auch das Pro l der eigenen Belegscha stark verändert“, erzählt Federico Giudiceandrea vom Brixner Unternehmen Microtec, das weltweit konkurrenzlose Anlagen zur optischen Erkennung von Holzeigenscha en entwickelt und produziert. „Früher haben wir vor allem Spezialis- mader.bz.it

+390472731000 tinnen und Spezialisten aus dem Ingenieurwesen und der Elektronik beschä igt, die heuristische Modelle programmiert haben. Heute hat sich der Schwerpunkt mehr auf die Naturwissenscha en und Experten aus dem Bereich Holz verlagert, die ihr fachspezi sches Know-how für das Training neuronaler Netze einsetzen“, sagt Giudiceandrea.

Wenn Computer imstande sind, mit einfachen Befehlen oder Fragen komplexe Aufgaben zu lösen, verschieben sich in vielen Unternehmen die Anforderungen an das eigene Team.

UMSCHULUNG UND STÄNDIGES UPDATE

Arbeitskrä e, die nicht mehr gebraucht werden, Anforderungspro le, die sich innerhalb weniger Jahre verschieben: Der Arbeitsmarkt der Zukun fordert Unternehmen wie Beschä igten weit mehr Flexibilität und lebenslanges Lernen ab als bisher. Das traditionelle Drei-Phasenmodell „Studium-Arbeit-Ruhestand“ steht damit ebenso auf der Kippe wie unsere aktuelle 40-Stunden-Arbeitswoche. Jobwechsel, Umschulungen und ein ständiges Updaten gehören kün ig immer selbstverständlicher dazu. Und auch das Stichwort „Arbeitszeitreduktion auf 32 Stunden“ fällt in Gesprächen über KI au ällig o .

Das immer rasantere Tempo der technologischen Veränderung weicht nicht nur Berufsbilder auf, sondern relativiert auch beru iche Quali kationen. „Wir werden unsere Leute zunehmend intern ausbilden müssen, weil die Schnelligkeit so stark zunimmt, dass universitäre Lehrpläne kaum rechtzeitig angepasst werden können“, sagt beispielsweise Alexander Demanega, Vizedirektor vom Konverto. Die raren Technikfachkrä e werden beim

IT-Dienstleister mit o enen Armen empfangen. „Auch wenn ein Studium immer noch ein Plus darstellt, bei Bewerbungsgesprächen überzeugen auch Maturanten oder Quereinsteigerinnen, die Eigenscha en wie O enheit, Flexibilität und Lernwillen mitbringen“, so Demanega.

DER INTELLIGENTE CO-PILOT

„Gerade beim Training on the Job kann die künstliche Intelligenz weitere wertvolle Dienste leisten“, unterstreicht Christoph Gamper, CEO der Durst Group. Der Brixner Produzent von digitalen Druckund Produktionstechnologien hat weltweit 23 Niederlassungen und ist in 80 Ländern der Welt aktiv. Schon allein aus der Perspektive des Kundendienstes eine gewaltige Herausforderung – bei der es gilt, das dezentral verstreute Know-how vieler Menschen zu den eigenen Maschinen und möglichen Fehlern sowie unzählige Datenbanken zusammenzubringen und zu verbinden. Genau das werde nun mit intelligenten Modellen möglich. „Sie sind imstande mit sehr großen Datenmengen umzugehen, diese zu clustern und selbst zu lernen, sie zu interpretieren“, sagt Gamper. Damit sei man beim Kunden vor Ort nicht nur sehr viel schneller in der Analyse möglicher Probleme. „Wir können auch neue Technikerinnen und Techniker schneller einlernen oder in Ländern, in denen wir kein hochquali ziertes Personal nden, einen intelligenten Co-Piloten zur Seite stellen“, sagt Gamper. ◀