Fazit 181

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Essay von Leopold Neuhold

Unfrisierte Gedanken zur Politik

Aktuelle Herausforderungen unserer Gesellschaft enn man die Frage formuliert, wie die Covid-Pandemie die Politik herausfordert, so greift diese Frage angesichts der derzeitigen Situation zu kurz. Vielmehr gilt es, sich der Herausforderung einer dreifachen Krise zu stellen: der Pandemie, der Umweltkrise und dem Krieg, also: Welche Fragen an die Politik stellen sich durch die Herausforderungen von Corona, des Klimawandels und des Krieges als Wiederkehr der Fortführung der Politik mit anderen Mitteln? Diese Fragen können, auch wegen des beinahe gleichzeitigen Auftretens nicht hintereinander abgearbeitet werden, sondern können nur in der Beachtung ihrer Zusammenhänge und ihrer jeweiligen Besonderheiten einer Lösung näher gebracht werden. Wenn man die Bewältigung unabhängig voneinander machen wollte, nimmt man sich auch die Chancen, welche in der Zusammenschau der Bekämpfung der drei Herausforderungen liegen. Aber: Als ob nicht schon eine Krise schwer genug zu bewältigen wäre! Hier wird vor allem von der Pandemie her, die zeitlich in der Mitte der Krisen, also zwischen besorgniserregendem Klimawandel und todbringendem Krieg steht, gedacht. Zuerst einmal gilt es die Frage zu stellen, worauf uns diese dreifache Krise aufmerksam machen könnte und worin die Herausforderungen in Bezug auf vorherrschende Wertemuster liegen. Die Pandemie lässt uns unsere Vergänglichkeit erkennen, die Umweltkrise die Begrenztheit unserer Ressourcen materieller und geistiger Art, die in der Abhängigkeit, die uns der Krieg in der Ukraine deutlich aufzeigt, noch stärker zum Tragen kommt. Offenbar haben wir mit verdichteter Gegenwart in Ausblendung der Zukunft, in der Tendenz zur Negierung aller Grenzen, mit beanspruchter Autonomie und zum Teil anmaßender Machbarkeit auf die falschen Pferde gesetzt. Nicht die Leugnung oder das Bemühen um Abschaffung von Vergänglichkeit, Begrenztheit und Abhängigkeit kann das Ziel sein, sondern ein angemessener Umgang mit diesen Rahmenbedingungen menschlichen und gesellschaftlichen Lebens. Im Folgenden sollen kurz einige in diesem Zusammenhang stehende Herausforderungen an die Politik angesprochen werden. Dies will ich auf dem Hintergrund einer weit verbreiteten Definition von Politik tun. Politik kann man in Anschluss an den großen österreichischen Sozialethiker Johannes Messner als interessengeleiteten Kampf um die rechte Ordnung mit Mitteln der Macht definieren. Ich will meine Gedanken um die einzelnen Elemente dieser Umschreibung ordnen.

Demokratiediskurs (2) Diesmal begibt sich der Grazer Theologe Leopold Neuhold auf die »Suche nach der politischen Kultur« und macht diese an den drei aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen Klima, Pandemie und Krieg fest.

Foto: Gerd Neuhold

W

Interessengeleiteter Kampf Politik ist ein interessengeleiteter Kampf. Klingt das nicht zu martialisch? Dieser Einwand wäre längere Zeit berechtigt gewesen, aber nun ist der von der Uno geächtete Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, um Carl von Clausewitz zu bemühen, zurückgekehrt. Politik ist natürlich immer von Konkurrenz und bzw. oder dem Bemühen um Ausschaltung dieser bestimmt. Die Konkurrenz ist Resultat verschiedener Interessen verschiedener Einzelner und Gruppen, die zur Durchsetzung drängen, in vielen Fällen gegeneinander, wobei viel an Energie auf den jeweiligen Seiten daraus gewonnen wird, dass die Interessen gegen die anderen durchgesetzt werden sollen. In Österreich lebten wir lange eher in einer Konkordanzdemokratie, in der die Konkurrenz im Bemühen um ein gemeinsames Ziel »gezähmt« worden war, jetzt zeigen sich aber deutliche Züge hin zu einer Konkurrenzdemokratie, wobei es in manchen Punkten zu einer Verselbstständigung der Interessen kommt. Waren etwa am Anfang der Pandemie die Interessen der verschiedenen Parteien noch zusammengeführt in die gemeinsame Bekämpfung des gemeinsamen Feindes Corona, so wurde bald von einigen Seiten die Ausrichtung darauf favorisiert, mit dem jeweils eigenen Modell dem politischen Gegner, der der Tendenz nach zum Feind erklärt wurde, den Kampf anzusagen und daraus politisches Kapital zu schlagen. Das gemeinsame Ziel geriet dadurch für manche aus dem

Dr. Leopold Neuhold, 1954 geboren, wurde 2003 zum Universitätsprofessor für Ethik und Gesellschaftslehre berufen und war von 2001–2019 Vorstand des Instituts für Ethik und Gesellschaftslehre an der Karl-Franzens Universität Graz. In zahlreichen Publikationen und Büchern beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit der katholischen Soziallehre, ethischen Aspekten der modernen Gesellschaft und dem damit verbundenen Wertewandel in unserer heutigen Zeit. FAZIT APRIL 2022 /// 39


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