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F A L T E R Ö k o n o m i e
Gropiusstadt Berlin, errichtet in den 1960er-Jahren. Die Siedlung entstand im öffentlichen Wohnbau und ist mittlerweile großteils teilprivatisiert
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ie Wiener Wohnungspolitik genießt bekanntermaßen einen vorbildlichen Ruf. Fasziniert und geradezu neidvoll blicken die Deutschen auf diese Stadt, wenn es ums Wohnen geht. Dennoch kann Wien eine wichtige Lektion von der deutschen Hauptstadt lernen: nämlich wie man es nicht machen sollte. Denn die Berliner Entwicklung zeigt eindrücklich, wohin es führt, wenn man die Instrumente einer aktiven Wohnungspolitik aus der Hand gibt und die Wohnungsversorgung dem privaten Markt überlässt. Das Ergebnis ist desaströs. Was sich in Berlin seit den 1990er-Jahren abspielte, wirkt wie ein großes Experiment in Echtzeit, mit dem getestet wurde, wie viel Liberalisierung ein Wohnungsmarkt verträgt. Fast 200.000 Wohnungen aus den Beständen der städtischen Wohnungsunternehmen wurden zu Spottpreisen privatisiert. Die meisten davon befinden sich heute in den Händen berüchtigter Investoren. Maßgabe für die Bodenpolitik wurde die Veräußerung öffentlicher Liegenschaften zum Höchstpreis. Von der
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Das Berliner Beispiel sollte Wien eine Warnung sein – jedenfalls im Wohnbau Städtevergleich: P h i l ipp M a t t e r n
Wohnbauförderung verabschiedete man sich sukzessive. Im Jahr 2003 wurden die letzten geförderter Wohnungen fertiggestellt. 2006 folgte die bundesdeutsche Föderalismusreform, die die Zuständigkeit für die Wohnbauförderung in die Kompetenz der Bundesländer verlagerte. Sie bekamen dafür zwar Kompensationszahlungen vom Bund, gaben diese jedoch in den seltensten Fällen für den Wohnungsbau aus. In Berlin zumindest wurde über ein Jahrzehnt lang keine einzige geförderte Wohnung errichtet. Auch sonst hielt man sich wohnungspolitisch zurück. Der Markt sollte es regeln. In Wien machte man diese Fehler zum Glück nicht. Noch heute befinden sich 32 Prozent des Mietwohnungsbestands im Gemeindebau und weitere 26 Prozent im Eigentum der gemeinnützigen Bauvereinigungen. Das private Segment des Mietwohnungsmarktes ist vergleichsweise klein. Die Wohnbauförderung bewegt sich auf einem stabilen und verhältnismäßig hohen Niveau. Damit verfügt Wien über eine Steuerungsmasse und einen
institutionellen Rahmen, die es zumindest prinzipiell ermöglichen, auf Entwicklungen zu reagieren, wie sie sich in den letzten Jahren in beiden Städten abspielten. Denn trotz der Unterschiede könnten sich Wien und Berlin in anderer Hinsicht kaum ähnlicher sein. Das fängt bei ihrer geografischen Lage an: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und mehreren EU-Erweiterungen lagen beide Städte plötzlich mitten im Zentrum eines geeinten Europas. Seit Beginn des neuen Jahrtausends entwickelten sie sich zu den am stärksten wachsenden Metropolen der EU. In Wien leben heute etwa 1,8 Millionen Menschen. Es hat damit Hamburg überholt und ist inzwischen die zweitgrößte Stadt im deutschsprachigen Raum. Berlin wiederum ist mit über 3,5 Millionen Einwohnern etwa doppelt so groß. In den vergangenen Jahren verzeichneten beide Städte enorme Bevölkerungszuwächse. In Berlin lebten 2016 knapp 242.000 Menschen mehr als noch 2011. Das sind fast so viele Einwohner, wie Graz hat. Wien wuchs in den selben fünf Jahren um über
Foto: Picturedesk/Caro
Wohnungsversorgung i
10.01.2017 13:31:55 Uhr