Mut zum Rollentausch

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VERENA FLORIAN

Mut zum Rollentausch 50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen

FA LT E R   V E R L A G GESELLSCHAFT


ISBN 978-3-85439-634-5 © 2019 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. 1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9 T: +43/1/536 60-0, F: +43/1/536 60-935 E: bv@falter.at, service@falter.at W: faltershop.at Alle Rechte vorbehalten. Autorin: Verena Florian Lektorat: Helmut Gutbrunner Coverillustration: PM Hoffmann Grafik und Layout: Marion Großschädl Produktion: Susanne Schwameis Gedruckt in der EU

Wir haben bei diesem Buch im Sinne der Umwelt auf die Verpackung mit Plastikfolie verzichtet.

Redaktionsschluss: März 2019


VERENA FLORIAN

Mut zum Rollentausch 50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen

FA LT E R   V E R L A G


Dank Mein Dank gilt den fünfzig Interviewpartner*innen, die mir ihre Zeit schenkten und mir das Material zu diesem Buch lieferten. Ich bedanke mich bei den Menschen, die in meiner Nähe waren, mich informierten und mich inspirierten, als ich dieses Buch schrieb: Sonja Franzke und Ulli Steinwender für ihr Wissen und ihre Erfahrung rund ums „Buchmachen“, Katharina Tiwald für die guten Gespräche. Den Mitarbeiter*innen bei der Statistik Austria für die raschen Auskünfte. Den Frauen um Alice Leniston-Bohdal von der Buchhandlung tiempo nuevo in Wien, vor allem Andrea Traar, die mir den entscheidenden Tipp gab. Susanne Schwameis vom Falter Verlag für ihre Geduld mit mir, Helmut Gutbrunner für das Lektorat. Meinem Partner Matthias, der das Buch so gut beeinflusst und mir den Rücken für das Schreiben freigehalten hat. Die besten Hinweise kamen von meinen großen Töchtern Johanna und Sophie. Ihnen, die sich gerade auf dem Weg in ihre Unabhängigkeit befinden, ist dieses Buch gewidmet.


Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Rechnung geht auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Frauen sind Mütter – und sonst nichts?

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Die neuen Männer: Väter in Karenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht alle an – nicht nur die Mütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Mythos Rabenmutter: Wir sind Rabeneltern – und das ist gut so . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Pionier*innen: Neue Lebensentwürfe als Vorbilder für die anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Frauen und Geld

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Was will ich wirklich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Der Fixstern am Horizont der Wünsche

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Folge deiner eigenen Spur – bleib dir treu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 . . . . . . . .

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Der Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung Mut! Traut euch! Niemand klopft an eure Tür, geht selbst!

Mach deine Sache gut und rede davon! Leistung zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Aufstehen und weitergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Gläserne Decken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Die Quote: Anreiz zur Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

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Netzwerken – und wie! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Bewertungen von Frauen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Gestaltungsmacht erreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Unternehmerin sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Der 360-Grad- oder Panoramablick der Frauen: Segen und Fluch zugleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Selbstfürsorge für Frauen und Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Spiele und ihre Regeln

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tipps und Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Der Weg nach oben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Kurzbiografien

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Autorenbiografie

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Die neuen Männer: Väter in Karenz Warum gehen Männer in Väterkarenz? Über ihre Motive. Was bringt es den Vätern, den Kindern, der Partnerin, den Unternehmen, der Gesellschaft? Über die Herausforderungen, die Männer erwarten, wenn sie in Väterkarenz gehen. Das Paradox bei der Väterkarenz in Österreich. Die Praxis in den Unternehmen, in denen Männer in Karenz gehen ­dürfen. Die Forschung zur Väterkarenz: Wie alles begann. Die Zahlen zu Vätern in Karenz in Österreich und in Europa. Die Wirkmächtigkeit der sozial konstruierten Geschlechterrolle „Mann“ und warum es gut wäre, wenn Männer neue Lebenskonzepte ausprobieren würden.

Für Männer in Österreich braucht es auch im Jahr 2019 immer noch viel Mut, um in Väterkarenz zu gehen. Ein Beispiel: Ein Angestellter eines großen, sehr bekannten (halb­ staatlichen!) Unternehmens, der in Väterkarenz gehen will, bekommt von seinem Vorgesetzten gesagt: „Willst du den Arsch deines Babys auswischen oder Karriere machen?“ Und dann teilte er ihm noch mit: „Wenn du nicht in Karenz gehst, wirst du mein Nachfolger.“ Er ent­ schied sich trotz dieses Angebots für die Karenz. Das Ganze ereignete sich in den Nullerjahren, ist also nicht so lange her. Aufgestiegen ist dann tatsächlich ein anderer. Er behielt seinen Job, musste aber bis zum obersten Chef darum kämpfen, und nicht einmal sein ehemali­ ges Büro hatte er wieder bekommen … Männern, die sich ihren Kindern widmen und in Karenz gehen wollen, geht es ähnlich wie Frauen: Während sie im „gebärfähigen Alter“ oft keine Karrierechance bekommen, müssen Männer, wenn sie den Wunsch äußern, die Väterkarenz zu beanspruchen, um Job und Karriere fürchten. Willkommen im 21. Jahrhundert! Als ich ein Paar mit Kind interviewte, das sich für die Väterkarenz entschieden hatte, meinte sie nur:

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Anscheinend muss man so lang positive Beispiele vor den Vorhang zerren, bis die Leute sagen: ‚Na ja, es funktioniert scheinbar doch.‘ (Ute C.)

Auch international tut man sich noch schwer mit Vätern, die aktiv die Betreuung von kleinen Kindern übernehmen: Im Internet ver­ breitete sich vor einiger Zeit die Geschichte eines Mannes, der unter dem Hashtag #SquatForChange (= hocken für eine Veränderung) seine Wickeltechnik zeigte, die er sich aneignete, da es auf Herrentoiletten meistens keine Wickeltische gibt. Tatsache ist, das Rollenbild des Mannes bedarf dringend einer Revision: Genauso wie Frauen bestimmten Rollenbildern entspre­ chen sollen, sind Männer stereotypen Mustern und Vorstellungen von Männlichkeit unterworfen. Und das heißt zunächst einmal ‒ stark vereinfacht, aber wichtig für das, was wir hier besprechen ‒: Alles, was mit Familie, Kindern, Gefühlen, Sensibilität usw. zu tun hat, ist unmännlich. Wobei diese Vorstellungen über das soziale Konstrukt Mann ganz unterschiedlich bewertet werden, je nachdem, wo der Mann privat und beruflich situiert ist: in der Stadt, am Land, in gebil­ deten oder in eher bildungsfernen Schichten der Bevölkerung. Mit den Interviews von zwanzig Männern, die zeitweise oder dauerhaft in Väterkarenz gegangen sind, konnte ich einen Einblick gewinnen, wie es mit der Väterkarenz in Österreich steht.

Die Motive der Männer, in Väterkarenz zu gehen Trotz schwieriger Rahmenbedingungen gibt es immer mehr Väter, die in Karenz gehen. Warum tun sie das? Männer, die in Väterkarenz gehen, haben zwei handfeste und gleichwertige Motive. Das Herzensmotiv: die Liebe zu den Kindern Das allererste Motiv für Männer, in Väterkarenz zu gehen, ist reine, bedingungslose Liebe zu ihren Kindern. Viele von ihnen erzählten mir, dass sie ihren Kindern näher sein wollten, als es die meisten der Väter bei ihnen selbst waren. So erklärte mir Jörg Asmussen, ein Spitzenökonom aus Deutsch­ land:

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Ich wollte selber Zeit mit meinen Kindern verbringen … im normalen Alltag, nicht irgendwann am Freitag und dann am Sonntag wieder los … Ganz normal, wenn die in die Schule gehen … dass man am Alltag Teil hat.

Einer der Männer erzählte mir, dass er den ausdrücklichen Wunsch nach einem Kind hatte und deshalb mit seiner Frau „in Verhandlung“ ging, wie er mir sagte. Da seine Frau mehr verdiente als er, war klar, dass er mit dem Kind zu Hause bleiben wird. Den Wiedereinstieg machte der Beamte in Teilzeit und er konnte sich die Arbeit auch dann immer relativ flexibel einteilen. Alle Männer erzählten mir, dass sie ihre Entscheidung sehr prag­ matisch und sachbezogen getroffen haben. An erster Stelle stand der Wunsch, bei den Kindern zu sein. Diese Männer achteten also nicht zuerst darauf, was für den Mann „üblich“ ist, wenn er Vater wird. Sie machten sich keine Gedanken darüber, was „die Leute“ so reden, was das Umfeld denkt, wenn sie zu Hause bleiben. Das merkten sie erst später und wunderten sich. Es wurden Fakten nebeneinandergestellt und es wurde erwogen, was im Spannungsfeld zwischen Beruf, Kin­ dern und Geld zu tun ist, damit für alle Beteiligten, Vater, Mutter, Kinder, ein möglichst angenehmes und förderliches Leben möglich ist. Die Väter haben es alle nicht als etwas Besonderes gesehen, sich für die Karenz zu entscheiden. Jörg Asmussen sagt dazu, er sei gerne ein Rollenmodell, „aber mir erscheint das immer völlig normal“. „Ich habe nicht daran gedacht, mir war es egal, wenn die Leute mein­ ten: ‚Jetzt bist du aber schon lange daheim …!‘“. Der Mann, der mir das sagte, lebt am Land, arbeitet aber in der Stadt. Im Interview mit mir reflektiert er über seine Entscheidung, und da wird deutlich, wie gewöhnungsbedürftig es für das Umfeld ist, wenn ein Mann zu Hause bei den Kindern bleibt, also etwas tut, was noch nicht ins Rollenbild passt. Er erklärte mir das so:

Es ist deine Entscheidung, zu der du selbst stehen musst. Die anderen ziehen sich zurück in den gewohnten Rahmen, wie es die Eltern schon gemacht haben, wie es der Arzt gesagt hat … da fühlen sie sich

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sicher. ‚Warum macht ihr das anders, ist das jetzt so schlecht gewesen?‘ Wir sind die ‚Exoten‘ in der ganzen Umgebung … (Ulrich H.)

Väter (und Mütter), bei denen die Kinder an erster Stelle stehen, ent­ wickeln andere Wertigkeiten: So erzählte mir eine Familie, dass es ihnen lieber sei, für den teureren Kindergarten zu zahlen als sich ein größeres Haus zu kaufen. Eine andere Familie wiederum löste einen Bausparvertrag auf, damit der Vater länger bei den Kindern bleiben konnte. Wenn Väter über die anstrengende Arbeit mit kleinen Kindern erzählen, wird diese wahrgenommen und sichtbar – wenn eine Mut­ ter davon erzählt, wird es wahrscheinlich nicht als etwas Besonderes bewertet. Keiner der Väter, mit denen ich gesprochen hatte, bereute auch nur eine Minute der Zeit, die er mit seinen Kindern verbracht hatte, trotz der vielen Hindernisse. Im Gegenteil: Alle berichteten mir von der Bereicherung, die ihnen dadurch zuteilwurde. Und manche von ihnen wären sehr gerne länger in Väterkarenz geblieben, wenn es die Umstände, vor allem die Einkommensverhältnisse und der Arbeitge­ ber, zugelassen hätten. Das Motiv des partnerschaftlichen Teilens der Zeit mit den Kindern Die Väter wollen sich die Elternzeit partnerschaftlich mit der Mutter ihrer Kinder teilen. Viele Männer erklärten mir, dass sie stolz auf den beruflichen Weg und auf die Position ihrer Partnerin seien. Sie woll­ ten nicht, dass sie wegen der Kinder lange unterbrechen muss oder gar ihren Job verliert. Einer meiner Interviewpartner sagte dazu:

Kinder an sich kann man sich leisten, aber die Frage ist schon wichtig: Können beide danach wieder arbeiten. Es geht darum, dass auch Ute (seine Ehefrau, Anm.) in der Gesellschaft wieder ihre Rolle hat und ihren Job wahrnehmen kann. Das ist mir wichtig, es geht nicht darum: Wir wollen nur das Geld. Es geht darum, dass beide wieder ins Berufsleben kommen, möglichst schnell. Weil man ist ja draußen! Der Wiedereinstieg ist nicht leicht. (Sebastian C.)

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Ein anderer Vater dazu:

Meine Frau war froh, wieder arbeiten gehen zu können. Ich habe kein Problem damit, dass sie mehr verdient als ich. Wir sehen das als Familieneinkommen. Sie kann ruhig besser sein als ich. In Wahrheit ist sie auch besser als ich. (Norbert W.)

Einer der Väter meinte, wenn seine Partnerin, die eine Führungspo­ sition hat, länger wegbliebe, ginge es nicht um „das Geld, sondern die Position, die sie dann nicht mehr hat“. Der Partner einer Unternehmerin, zwei Kinder, wählte bewusst einen stabilen Job als Angestellter, um das Risiko des Unternehmer­ tums in der Familie auszugleichen. Er sieht die Entscheidung prag­ matisch, weiß aber auch: „Sie arbeitet wesentlich härter als ich, das will ich nicht.“ Die meisten meiner Interviewpartnerinnen forderten von vorn­ herein von ihrem Partner ein, dass er in Väterkarenz geht oder sich zumindest maßgeblich einbringt, was die Kinder betrifft. So wie eine heutige Vorständin, die mir erklärte:

… und wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich das nach kürzester Zeit beendet, ehrlich. Bei Kindern merkt man gleich, ob etwas funktioniert. Und man muss auch etwas fordern, das ist für Frauen auch eine wichtige Eigenschaft. Im Beruf und in der Familie muss man sich seine Position erarbeiten. Es ist ein Geben und Nehmen. Es muss partnerschaftlich sein. (Teresa I.)

Abgesehen davon wollen immer mehr Männer aus der traditionellen Rolle ausbrechen, mehr oder weniger alleine für die materielle Ver­ sorgung der Familie zuständig zu sein. Das bringt viel Verantwortung und Druck mit sich, die viele nicht mehr alleine tragen wollen. Immer weniger Menschen lassen sich in die Zwänge unserer Leistungsgesellschaft einspannen. Sie stellen sich zunehmend die Frage nach dem Sinn des Lebens: Leben, nur um zu arbeiten, wäh­ rend sie eher arbeiten wollen, um zu leben. Meine Interviewpart­ nerinnen erzählten mir, dass einige Männer wie die Frauen in den Bewerbungsgesprächen um einer höheren Lebensqualität willen auf

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geregelte Arbeitszeiten Wert legten und sich eher nicht für den Job verausgaben wollten.

Wenn Väter in Karenz gehen: Der Schlüssel zur Gleichstellung von Frauen und Männern – im Guten wie im Schlechten Männer, die den Fokus auf Familie legen, Väterkarenz in Anspruch nehmen und dann in Teilzeit arbeiten, haben mit den gleichen Kon­ sequenzen zu leben wie Frauen: unterbrochene Erwerbsbiografien und weniger Einkommen. Dann gilt der Satz, den eine Vorständin geprägt hat: „Gleichberechtigung ist dann, wenn alle dieselben Nach­ teile haben.“ Es gibt das Sprichwort „Es gehören zu allem zwei dazu“. Oder, wie es viele berufstätige Frauen ausdrücken: Die wichtigste Entscheidung im Leben einer Frau, die beruflich erfolgreich sein und Kinder haben will, ist die Wahl des Mannes. Wenn eine Frau beruflich weiterkommen und Kinder haben will, sollte in einem zeitgemäßen Verständnis der Vater der Kinder auch aktiv die Betreuung übernehmen. Und das tun Männer auch zuneh­ mend. Väterkarenz hat Langzeitwirkung: Interessant ist, dass in den Ländern, in denen bis zu achtzig Prozent der Väter in Karenz gehen, die Hausarbeit fairer aufgeteilt wird. Das konnte ich auch bei meinen Interviewpartnern beobachten. Zwar haben immer mehr Männer nun auch die Doppelbelas­ tung und „Frauenbiografien“, wie einer selbst sagte, unterbrochene Erwerbsbiografien. Das ist ein hoher Preis für Menschen, die Beruf und Kinder unter einen Hut bringen wollen. Bei den Männern führt der Trend einer Hinwendung zur Familie nun zu Belastungen, die Generationen von Männern vor ihnen nicht kannten. So schildert Christine Bauer-Jelinek aus ihrer Coachingpraxis:

Die jüngeren Männer, plus/minus vierzig, der bildungsnahen Mittelschicht kümmern sich heute freiwillig um die Kinder. Sie sind keine Sonntagsväter mehr und nehmen oft Mehrfachbelastungen auf sich. Diese führen sie oft bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit,

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weil sie zum Teil immer noch Haupterhalter der Familien sind, aber zugleich halbe-halbe machen sollen bzw. wollen. Da ist ein Ungleichgewicht entstanden. Der Druck auf die jungen Väter ist enorm: Sie gehen einkaufen, sie kochen, gehen zum Kinderarzt, unterstützen die Frau, machen mit den Kindern Förderprogramme und Sport – und sind zugleich berufstätig mit dem Anspruch, Karriere zu machen. Haben wir früher die Mehrfachbelastung von Frauen angeprangert, so haben diese jetzt auch Männer.

Ein Vater brachte es auf den Punkt, was passiert, wenn man sich bei dieser sehr persönlichen Entscheidung von seinem Umfeld beeinflus­ sen lässt:

Du kannst die anderen nicht dafür verantwortlich machen, dass du dich nicht getraut hast, es anders zu machen als sie. (Ulrich H.)

Wenn neben mehr weiblichen Führungskräften immer mehr männ­ liche Führungskräfte in Karenz gehen, kann das eine immense Wir­ kung in den Unternehmen haben, denn diese Menschen wissen, wie sich der Alltag mit Kindern gestaltet. Sie sind dann auch diejenigen, die an ihrem Arbeitsplatz anders, nämlich viel verständnisvoller und lösungsorientiert, mit Vätern und Müttern umgehen, die Beruf und Kinder gut vereinbaren wollen und müssen. Dies floss in den Inter­ views immer mit ein. Die Arbeiterkammer in Österreich beobachtet den Wiedereinstieg von Frauen, die in Karenz gegangen sind, und zeigt klar auf, dass der Wiedereinstieg wesentlich besser und schneller gelingt, wenn auch der Vater in Karenz geht.1 Zwei meiner Interviewpartnerinnen, die absolute Spitzenpositi­ onen in Österreich bekleideten, erzählten mir, dass sie letztendlich wegen ihrer Karriere auf Kinder verzichtet hatten. Und ich hatte das Gefühl, dass sie darunter leiden, jetzt, da ihre Freundinnen schon Enkel haben … Das wirft für sie einen Schatten auf ihren beruflichen Erfolg. Eine dieser Frauen legte großen Wert auf die Feststellung, dies 1  https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitundsoziales/frauen/

Wiedereinstiegsmonitoring.html.

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bedeute nicht, dass eine Frau in einer Spitzenposition keine Kinder haben könne. Männer in Führungspositionen müssen sich die Frage „Kinder oder nicht?“ nie stellen, hier wird die traditionelle Rollenaufteilung vorausgesetzt, um die sie sich daher nicht kümmern müssen. Ihre eigenen Kinder beeinflussen auch in keiner Weise ihre Karriere, wie sie es bei einer Frau meistens tun, das zeigen alle Statistiken über die Einkommen von Frauen und Männern, die Kinder haben.

Es braucht Männer, die starke Frauen aushalten Es ist eine gute Nachricht, die mir meine Interviewpartnerinnen mit­ geteilt haben: Die Männer ab den Achtzigerjahrgängen, also jene, die jetzt vierzig Jahre alt oder jünger sind, sind anders als die Männer der älteren Generationen. Sie wollen nicht, dass ihre Partnerin durch die Kinder im Beruf zu viele Nachteile hat, und haben kein Problem damit, dass ihre Lebensgefährtin unter Umständen beruflich erfolg­ reicher ist als sie. Alle Frauen in Führungspositionen, die ich inter­ viewte, ließen Männer in Väterkarenz gehen. Eine Vorständin beschrieb mir das so:

Bei den jüngeren Männern ist das überhaupt kein Thema mehr. Da wird’s auch Trottel geben, keine Frage, aber im Großen und Ganzen ist die Wahrnehmung von Frauen eine ganz andere. Und die können auch neidlos stolz sein auf den Erfolg ihrer Partnerinnen, ohne dass sie sich da irgendwie abgewertet fühlen. (Ute S.)

Sie meint, das sei „eine Frage des gesellschaftlichen Bewusstseins“:

Meine Generation ist sicher noch sehr geprägt von diesem klassischen Rollenbild. Eine Karrierefrau, die sich dann nicht um die Kinder kümmert, und der arme Mann kriegt nichts zu essen zu Hause. In der jüngeren Generation ist das ganz anders. Ich habe gestern ein Bewerbungsgespräch gehabt mit einer jungen Frau, die gesagt hat, sie hat zwei kleine Kinder, beim ersten Kind ist sie zu Hause geblieben, beim zweiten ist jetzt der Mann zu Hause geblieben, weil sie eine zweite Karriere machen und keine Unterbrechung haben will. Das war ganz

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Österreich feiert sich international als fortschrittlichen ­W irtschaftsstandort, aber die Rollenverteilung von Frauen und Männern ist erzkonservativ. Das beschert uns im Vergleich mit anderen europäischen Ländern unter anderem eine der größten Einkommensscheren und in der Folge Altersarmut von Frauen. Zahlen und Fakten in diesem Buch belegen das. Frauen in Toppositionen und Männer in Väterkarenz sind (nach wie vor) mutige Pionier*innen in unserer Gesellschaft. Die fünfzig für dieses Buch geführten Interviews – darunter etwa mit der ehem. EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer, der jungen Publizistin Ingrid Brodnig, dem Journalisten Hans Bürger, dem Investmentbanker Jörg Asmussen und der ehem. Ministerin Maria Rauch-Kallat – zeigen, dass mehr Gleich­b erechtigung möglich ist und alle davon profitieren: die Kinder, die Frauen und die Männer. Coach Verena Florian weist anhand der E ­ rzählungen auf die vielen Möglichkeiten hin, wie Frauen und Männer beruflich und mit der Familie ihren eigenen Weg gehen können, jenseits von traditionellen, sozial konstruierten Rollenbildern.

ISBN 978-3-85439-634-5

www.falter.at


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