16 minute read

„Raus aus Öl“ ist keine rationale Klimapolitik, der Rohstoff braucht eine Zukun Seite

Schwarzes Gold und grünes Paradox

„Raus aus Öl“ ist keine rationale Wirtschafts- und Klimapolitik, der Rohstoff braucht eine Zukunft

Sehr wenig. So lautet die Antwort auf die Frage, wie viel Öl, Gas und Kohle wir noch verbrennen dürfen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen. Nach Modellrechnungen britischer Wissenschaftler*innen müssten fast neunzig Prozent der derzeit verfügbaren Kohle- und sechzig Prozent der Öl- und Gasvorkommen bis 2050 unangetastet bleiben. Andernfalls werde das verbleibende Kohlenstoffbudget überschritten.

Die Studienautor*innen rund um Dan Welsby vom University College London halten diese Reduktion für „machbar, sofern der politische Wille da ist.“ Ansätze zur Nachfragedämpfung gibt es einige: Die Klimapolitik setzt etwa auf international handelbare CO2-Zertifikate und Steuern auf Emissionen. Das EU-Parlament hat das Aus des Verbrennungsmotors beschlossen. Ein Ölheizungsverbot ist angekündigt. Nachgedacht wird auch über einen Übergang von der Wohnsitzland- zur Quellenbesteuerung von Kapitaleinkünften, um den Umtausch von Bodenschätzen in Finanzanlagen für deren Eigentümer unattraktiv zu machen. Zugleich soll die Subvention klimaneutraler Energieformen Substitutionsprozesse weg von Öl und Gas in Gang setzen.

Fast alle Maßnahmen bringen jedoch noch nicht gelöste Herausforderungen mit sich: „Das fängt bei der Konkurrenz von Biotreibstoffen mit Lebensmitteln um landwirtschaftlich nutzbare Flächen an und hört bei der ,Nichtlagerfähigkeit‘ von Strom noch lange nicht auf“, sagt Franz Wirl, emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Wien. Er hat sich im Rahmen eines FWF-Projekts mit den Herausforderungen beim Übergang zu nachhaltiger Energiewirtschaft beschäftigt. Zudem wirken die Maßnahmen nur zeitverzögert. „Energienachfrage und -angebot sind sehr träge, was auch die aktuellen Preisspitzen erklärt.“

Ein weiteres Problem: „Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen müsste global eingedämmt werden“, sagt Wirl. Doch ist ein multinationaler Klimaklub wie bei FCKW für fossile Energie „mangels kostengünstiger und entsprechend skalierbarer Größenordnung“ bislang gescheitert.

Was wäre mit einer partiellen Verzichtspolitik für am Weltmarkt gehandelte Brennstoffe? Sie ist kontraproduktiv. Die Gründe dafür hat der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Ex-Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn 2008 in seinem Buch „Das grüne Paradoxon“ beschrieben: Einseitige Abkommen machen fossile Rohstoffvorräte durch Nutzungsverbote wertlos(er). Langfristig führt die Verringerung der Nachfrage zu einem Preisverfall. Bedrohte Ressourcenbesitzer fördern ihre Bodenschätze nur noch rascher und verkaufen lieber zu Dumping-

TEXT: DANIELA SCHUSTER

„Eine partielle Verzichtspolitik für am Weltmarkt gehandelte Brennstoffe ist kontraproduktiv“

Kai Konrad, Max-PlanckInstitut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

Franz Wirl, Universität Wien

Hans-Werner Sinn, „Das grüne Paradoxon“

preisen, statt auf einem wertlosen Ölvorrat sitzenzubleiben. Niedrige Preise machen Öl für Länder, die sich die Energiewende nicht leisten können oder wollen, attraktiver. Es lohnt sich für sie, zur Deckung ihres wachsenden Energiebedarfs fossile Brennstoffe zu nutzen, statt auf teurere (oder teure) Alternativen zu setzen. Die Folge ist ein „Rush to burn“. Statt also den CO2-Ausstoß und damit den Klimawandel zu bremsen, beschleunigen wir ihn durch umweltpolitische Maßnahmen und unseren einseitigen Verzicht auf fossile Brennstoffe.

Zwei Drittel der UN-KlimakonferenzExpert*innen sehen im „Rush to burn“ ein drohendes Problem. Wie man ihn vermeiden kann, blieb bis dato aber weitgehend offen. Ein radikaler Vorschlag stammt vom norwegischen Umweltökonomen Bård Harstad: Länder mit großen Öl- und Gasvorkommen sollen dafür entschädigt werden, ihre Vorkommen im Boden zu belassen. Diese Lösung würde die globale Gemeinschaft jedoch viele Milliarden kosten. Gleiches gilt für einen Aufkauf der Vorräte, um sie in Europa einzulagern und zu versiegeln.

Einen möglichen Lösungsansatz liefert jetzt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen (MPI) und der Universität Bergen. „Der Grundgedanke ist, Methoden zu fördern, um Gas und Öl nutzbringend zu verwenden – für klimaneutrale oder -freundliche Produkte“, erklärt Kai Konrad, Wirtschaftswissenschaftler und MPI-Direktor. „Die fossilen Rohstoffe blieben wertvolle Güter. Selbst wenn sie nicht mehr als Energieträger eingesetzt werden, könnten Rohstoffländer damit rechnen, ihre Vorkommen auch nach 2040 noch für gutes Geld verkaufen zu können.“

Im Idealfall würden Öl und Gas langfristig so wertvoll für klimafreundliche Nutzungsformen und damit so teuer, dass sie heute nicht mehr verschleudert und verbrannt werden. Höhere Gas- und Ölpreise würden zudem auch alternative Energieträger konkurrenzfähiger machen und das wirtschaftliche Umfeld für Innovationen verbessern. „Damit wäre erreicht, was bislang nicht gelungen ist: die Dekarbonisierung der Energieerzeugung und eine Marktdynamik, die nachhaltige Konzepte fördert.“

Für Gas liegen solche Nutzungskonzepte bereits vor. Im Kern geht es um die Gewinnung von grauem, blauem und – noch interessanter – türkisem Wasserstoff mittels katalytischer Pyrolyse. Bei diesem Verfahren wird die Freisetzung von CO2 vermieden und neben Wasserstoff auch reiner Kohlenstoff gewonnen, teils in Form wertvoller Nanomaterialien (CNTs). „Aus CNTs gefertigte Karbonprodukte könnten im Fahrzeugbau, in der Luft- und Raumfahrt und im Bauwesen Stahl, Aluminium oder Beton ersetzen, die üblicherweise mit einem erheblichen CO2-Fußabdruck hergestellt werden“, erläutert Konrad. Die Erforschung nachhaltiger Nutzungsformen von Öl ist nicht ganz so fortgeschritten. „Beispiele sind Kunstfasern, Dämmstoffe, Kosmetika, Medikamente oder Produkte aus Plastik. Quantitativ spielen diese heute noch eine eher untergeordnete Rolle“, sagt Konrad. Das ließe sich aber ändern. Entscheidend sei, dass Subventionen nicht mehr nur in die Förderung der Erforschung von Ölsubstituten aus nachwachsenden Ressourcen fließen. „Denn das verstärkt den ,Rush to burn‘, weil sie der klimaneutralen Nutzung fossiler Brennstoffe die Nachfrage entziehen.“

Apropos Nachfrage: Plastik zu vermeiden, befeuert den „Rush to burn“ ebenfalls. Stattdessen sollte auch Plastik eine Perspektive bekommen, denn es kann zum Klimaschutz beitragen. „Der Weg von Plastik in die Meere oder Verbrennungsanlagen ist kein Naturgesetz“, sagt Konrad. „Wenn ausgedientes Plastik in der Erde deponiert wird, dort, wo der Rohstoff fürs Plastik herkommt, treten negative Umweltwirkungen der Nutzung nicht ein.“ Kunststoffe würden zu einer Verwendung, die Rohöl wertvoll macht, es der CO2-intensiven energe tischen Nutzung entzieht und fossile Koh lenwasserstoffe klimaneutral bindet.

Bis zur großtechnischen, klimaneutralen Nutzung von Öl ist es noch ein weiter Weg. „Fraglich ist auch, ob wir jemals so viele Produkte produzieren oder brauchen werden, um die fossilen Bestände auszuschöpfen. Mir fiele da nichts Skalierbares ein“, meint Franz Wirl. Es sei nicht entscheidend, dass klimafreundliche Verwendungsmöglichkeiten von Öl bereits jetzt zur Verfügung stehen, hält Konrad dagegen. „Die gleichgewichtstheoretische Analyse intertemporaler Zusammenhänge in Märkten für erschöpfbare Rohstoffe zeigt: Ein Zukunftsversprechen auf solche Nutzungsoptionen reicht, um den Ausverkauf zu stoppen.“ Weitere Vorteile des Ansatzes: Wir müssen nicht auf kollektive Vereinbarungen warten. Die Lösung reduziert den CO2 Ausstoß schon heute, löst das Kollektivgutproblem, ist kostengünstig und nutzt statt Subventionen und staatlicher Verbote die Kräfte des Marktes für eine Klimawende.

Dafür braucht es aber eine Politik, die Innovationen von klimafreundlichen Produkten aus Öl, Gas und Kohle fördert. Wenn wir Öl eine Zukunft geben wollen, um eine Zukunft zu haben, wird es entscheidend sein, dass Investor*innen und Forschende auf „versprochene“ Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit vertrauen können. Genau hier sehen Konrad und Wirl auch die größte Hürde. „Regierungen können sich nicht langfristig verpflichten“, sagt Wirl. „Was sich aktuell etwa gegenüber Covid-19-Impfstoffentwicklern zeigt, die mit einer Übergewinnsteuer bedroht werden, nachdem sie Hunderte Millionen in der Forschung bereits verbrannt haben.“

Die Farben des Wasserstoffs

Er selbst ist farblos, aber wir geben ihm Farbwerte mit großer Bedeutung

Wasserstoff ist das simpelste und häufigste Element im Universum. Viele Expert*innen betrachten ihn als Schlüssel zur Klimaneutralität. Ein flexibler Energieträger, kann er als Brenn- und Treibstoff verwendet werden und erzeugt dabei als Abfallprodukt lediglich Wasser.

Jules Verne prophezeite bereits Ende des 19. Jahrhunderts in einem seiner Romane die Zukunftsfähigkeit von Wasserstoffenergie: „Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist.“ Die Vision einer Energiewirtschaft auf Wasserstoffbasis existiert seit mehr als hundert Jahren.

Wasserstoff herzustellen ist recht aufwendig und von hohen Energieverlusten begleitet. Dies macht ihn zu einem vergleichsweise teuren Energieträger und bislang nicht wettbewerbsfähig. Im Zuge der Klimakrise gewinnen Technologien zur Dekarbonisierung des Energiesektors jedoch zunehmend an Relevanz.

Wasserstoff als der Schlüssel der Energiewende?

„Um die Klimaneutralität 2040 zu erreichen, spielt Wasserstoff eine ganz entscheidende Rolle“, sagt Michaela Leonhardt, Leiterin der Abteilung für erneuerbaren Wasserstoff bei Wien Energie. „Wasserstoff kann in verschiedenen Prozessen, auch aus erneuerbaren Energien, gewonnen werden und als Antriebsenergie ebenso wie als Energiespeicher etwa zur saisonalen Übertragung von Sonnen- und Windstrom in dunkleren oder windschwächeren Monaten eingesetzt werden.“

Auch Alexey Cherevan sieht in Wasserstoff ein Schlüsselelement zur Energiewende. Er forscht in der Abteilung für molekulare Materialchemie der TU Wien unter der Leitung von Dominik Eder mit seinem Team an Alternativen zur herkömmlichen Wasserstoffherstellung. „Wenn wir von fossilen Brennstoffen wegkommen wollen, ist Wasserstoff die attraktivste Variante. Wir haben die Infrastruktur dafür. Wasserstoff liegt also als der nächste Treib- und Brennstoff nahe. Doch wo kommt er her?“

Wasserstoff selbst ist keine Energiequelle. Er kommt auf der Erde überwiegend in Form von Wasser, aber auch in Erdöl und anderen Kohlenwasserstoffverbindungen gebunden vor. Als sekundärer Träger kann er Energie speichern oder ihren Transport ermöglichen. Um ihn als Energieträger verfügbar zu machen, muss er zunächst aus solchen Rohstoffen hergestellt werden –nicht immer klimafreundlich, denn Wasserstoff gibt es in vielen „Farben“.

Die unterschiedlichen Nuancen beschreiben allerdings nicht das farblose Gas selbst, sondern geben Aufschluss über seinen Herstellungsprozess. „Grüner Wasserstoff“ wird komplett emissionsfrei durch Elektrolyse aus Wasser hergestellt. Dabei

TEXT: NATHALIE JASMIN KOCH

„Wasserstoff liegt als der nächste Treib- und Brennstoff nahe. Doch wo kommt er her?“

ALEXEY CHEREVAN, TU WIEN

Dominik Eder, TU Wien

Michaela Leonhardt, Abteilung für erneuerbaren Wasserstoff, Wien Energie

wird Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen in seine zwei Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt.

Neben „grünem Wasserstoff“ gibt es auch „grauen“ aus fossilen Brennstoffen, der CO2 werden als Abfallprodukt abgibt. Aktuell etwa 95 Prozent des europäischen Wasserstoffs aus fossilen Energieträgern erzeugt, zum Großteil wird er in der chemischen Industrie verwendet.

Grund für die vorwiegende Wasserstoffproduktion aus fossilen Brennstoffen ist vor allem der Preis. „Grüner Wasserstoff“ war lange mehr als doppelt so teuer wie „grauer“. Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs verursachten heuer allerdings einen derartigen Anstieg der Erdgaspreise, dass „grüner Wasserstoff“ zum ersten Mal wettbewerbsfähig wurde.

Noch sind die Produktionskapazitäten von „grünem Wasserstoff“ infolge geringer Verfügbarkeit von „grünem Strom“ begrenzt. Der Bedarf an „grünem Wasserstoff“ sollte jedoch stark steigen, kommt ihm doch nicht nur als Energieträger, sondern auch zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse eine zentrale Rolle zu.

Laut Leonhardt ist bereits im nächsten Jahrzehnt mit einem großen Anstieg zu rechnen: „Wir gehen davon aus, dass Wasserstoff spätestens in der 2030er-Jahren bei Menge und Preis massentauglich wird. Es hängt stark davon ab, wie schnell uns auch der weitere Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung gelingt. Kurzfristig wird Wasserstoff wohl in erster Linie im Mobilitäts- und Industriebereich zum Einsatz kommen. Langfristig wird Wasserstoff über Power-to-Gas und das Gasnetz als ausreichend verfügbarer Langzeitspeicher für erneuerbare Stromüberschüsse eine wichtige Rolle spielen.“

Herstellung von Wasserstoff unabhängig von limitierten Ressourcen

Weltweit loten Forschungsprojekte auch Möglichkeiten der Wasserstoffherstellung aus, die gänzlich ohne Strom auskommen. Auch an der TU Wien wird an alternativen Methoden der Wasserstoffherstellung geforscht. Alexey Cherevan erklärt, wie Wasserstoff mit bestimmten Katalysatoren aus Sonnenlichtenergie hergestellt werden kann: „Was wir machen, ist die sogenannte fotokatalytische Wasserspaltung. Das bedeutet, wir möchten Wasserstoff in einem nur einstufigen Prozess aus Wasser produzieren. Als Materialchemiker entwickeln wir Katalysatoren, die genau das erlauben. Unsere Materialien heißen Fotokatalysatoren und müssen zweierlei können. Licht absorbieren wie eine Fotovoltaikanlage. Und den Prozess der Wasserspaltung zur Wasserstoffproduktion beschleunigen, also katalysieren. Die Idee ist, beide Aspekte in einem Material zu kombinieren. Es gibt dabei mehrere Probleme und Limitierungen, aber es ist möglich.“ Der Nachteil einer fotokatalytischen Wasserspaltung ist die relativ geringe Effizienz im Vergleich zur Wasserstoffherstellung durch Elektrolyse aus „grünem Strom“. Dafür werden zur Fotokatalyse weder eine große Infrastruktur noch teure Materialen benötigt. Ihre Unabhängigkeit von der „grünen Stromproduktion“ ist ein großer Vorteil, und sie bietet die Hoffnung, die Wasserstoffproduktion künftig sehr günstig zu machen.

Die Fotokatalyse soll die Elektrolyse nicht vollständig ersetzen, sondern ergänzen: „Künftig werden alle Technologien zur Wasserstoffherstellung parallel arbeiten. Unser Prozess läuft noch im Labor. Aber die Perspektive ist sehr langfristig, das muss man auch verstehen.“ Wann genau die Fotokatalyse marktreif sein wird, ist momentan schwer abzuschätzen. Wenn es so weit ist, könnten dafür Anlagen, ähnlich wie Solarparks, angelegt werden, um an Ort und Stelle Wasser zu spalten. Dafür bräuchte es Module, in denen ein Fotokatalysator unter einer Schicht von langsam fließendem Wasser platziert wird. Das Sonnenlicht liefert die für die Wasserspaltung benötigte Energie. Der so entstehende Wasserstoff würde als Gas aus dem Wasser in eine obere Schicht des Moduls aufsteigen und könnte dort gesammelt werden. „Diese Anlagen können, wie Solarzellen, klein oder groß sein, man kann sie separat vom Netz verwenden, etwa in einer Wüste, wo es sonst nichts gibt. Dann kann man lokal Wasserstoff produzieren und direkt verwenden, als Brennstoff oder Treibstoff.“

Wasserstofftechnologie braucht gesetzliche Rahmen und Förderung

„Grüner Wasserstoff“ ist nur limitiert verfügbar. Leonhardt betont, dass deshalb genau überlegt werden muss, in welchen Bereichen sein Einsatz sinnvoll ist: „Aus unserer Sicht ist Wasserstoff bzw. ,grünes Gas‘ zu wertvoll für Raumwärme oder Individualverkehr. Wir sehen den Einsatz bei Bussen, in der Schwerlastmobilität und zur Dekarbonisierung der Industrie. Seit Ende 2021 ist unsere erste Wasserstofftankstelle in Betrieb, bei dem die ersten Wasserstoffbusse der Wiener Linien und demnächst die ersten Speditions- und Logistikkunden tanken. Wir errichten noch heuer unsere erste eigene Elektrolyseanlage, die ,grünen Wasserstoff‘ aus Wien für Wien produzieren wird. Am Standort Simmeringer Haide erforschen wir mit dem Projekt Waste-to-Value, wie man aus Abfall Biodiesel oder eben auch Wasserstoff gewinnen kann. Die Wasserstofftechnologie ist schon lange bereit für den Einsatz. Was es braucht, um Projekte von der Powerpoint-Folie in die Umsetzung zu bringen, sind schnellere Entscheidungen bei gesetzlichen Rahmenbedingungen und Investitionsförderungen. Die österreichische Wasserstoffstrategie ist der erste Pfeiler, aber es braucht noch mehr.“

Mit Schnitzelfett nach Antalya?

Es gibt schon einen nachhaltigen Ersatz für fossiles Kerosin, allerdings erst in kleinsten Mengen

Ein Trip nach Barcelona gefällig? Wer lange im Voraus bucht, ist mit schlanken 21 Euro dabei. Wer kurzfristiger bucht, zahlt mehr. Doch selbst dann bleibt der Flieger bei vielen Destinationen gegenüber Bahn oder Bus die erste Wahl. So verwundert der Höhenflug der Luftfahrt kaum. Von Corona abrupt gestoppt, hat der nächste begonnen: Im August 2022 verzeichnete die kommerzielle Luftfahrt in Österreich mit 3.026.797 Passagieren laut Statistik Austria ein Plus von 57 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres.

Das Wachstum der Branche hat ihren Treibstoffbedarf und damit die Treibhausgasemissionen anschwellen lassen: Einer Studie aus 2020 zufolge, an der das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt beteiligt war, trägt die globale Luftfahrt zu 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei.

Die Airlines wollen ab 2050 klimaneutral fliegen

Den Fluggesellschaften ist das Problem bewusst. So hat der internationale AirlineVerband IATA beschlossen, dass die Branche ab 2050 klimaneutral zu fliegen habe. Ein Teil dieser Verpflichtung wird wohl nur mit CO₂ Kompensationsprojekten wie Bäumepflanzen zu schaffen sein. Dennoch müssen die Fluggesellschaften auch das Kerosin aus fossilen Quellen ersetzen.

Alternativen dafür gibt es bereits. Allerdings: „Es existiert keine Technologie, die den Treibstoffbedarf des heutigen Flugverkehrs bis 2050 vollständig aus erneuerbaren Energiequellen befriedigen kann“, erklärt Herwig Schuster, Chemieexperte bei Greenpeace Österreich. Er verweist auf einen aktuellen Bericht aus dem eigenen Haus: Demzufolge müssten die europäischen Fluggesellschaften bis 2040 jährlich mindestens zwei Prozent ihrer Flüge streichen, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen.

Fragt man Martin Berens, Professor für Luftfahrzeugsysteme an der TU Wien, nach möglichem Ersatz für das Kerosin, so fallen ihm Sustainable Aviation Fuels (SAF) inklusive Wasserstoff sowie Batteriestrom ein. Elektrisch betriebene Modelle, wie etwa das zweisitzige Velis Electro des slowenischen Herstellers Pipistrel, fliegen bereits. Für den Flugverkehr eignen sich solche Modelle nicht. Berens konkretisiert: „Obwohl verschiedene Hersteller bereits an größeren Modellen arbeiten, ist eine mit Batteriestrom betriebene Luftfahrt derzeit nicht in Sicht.“

Batterien haben eine geringe massenbezogene Energiedichte. Diese ist bei Wasserstoff höher, allerdings immer noch geringer als bei fossilem Kerosin. Wasserstoffflugzeuge müssten also wesentlich größere Tanks haben. Das wirkt sich negativ auf die Aerodynamik aus. Der TUProfessor prognostiziert: „Es wird noch dauern, bis Wasserstoffflugzeuge im Luftfahrtalltag eingesetzt werden und zur Reduktion

TEXT: RAINER SEEBACHER

„Der Anteil der Sustainable Aviation Fuels am gesamten Treibstoffverbrauch liegt derzeit unter einem Promille“

MARTIN BERENS, PROFESSOR FÜR LUFTFAHRZEUGSYSTEME AN DER TU WIEN

Herwig Schuster, Greenpeace

Stephan Schwarzer, eFuel Alliance Österreich

der Treibhausgasemissionen beitragen können. Vielversprechender sind jene SAF, die sich schon heute zu fossilem Kerosin beimischen lassen.

Dazu eignen sich Abfälle wie gebrauchtes Speiseöl, Stroh und Holz oder Energiepflanzen wie Sonnenblumen, Raps oder Weizen. Die Vorstellung, mit jenem Fett nach Antalya auf Urlaub zu fliegen, in dem sich zuvor Wiener Schnitzel oder Pommes frites bräunten, ist charmant. Das Problem der SAF aus biogenen Quellen: Es gibt zu wenig Abfälle. Agrarflächen für das Anpflanzen von Energiepflanzen zu verwenden, ist problematisch. Das stünde in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion.

Das weitaus größere Potenzial birgt synthetisches Kerosin, auch EFuel genannt. Dieser Treibstoff lässt sich mittels PowertoLiquid oder SuntoLiquidVerfahren herstellen, ist in bestehenden Flotten einsetzbar und nutzt dafür Rohstoffe aus theoretisch unerschöpflichen Quellen.

Mit der Kraft der Sonne oder Strom aus anderen erneuerbaren Quellen entsteht aus CO₂ und Wasser Sprit, der neben Flugzeugen auch Autos, Lkw und Schiffe antreiben kann. Das aus mehreren Teilprozessen bestehende Verfahren hat aber ein Problem: „Bei jedem einzelnen Prozessschritt geht Energie verloren“, erläutert Berens. Deshalb wären diese Verfahren etwa im Vergleich zu Batteriestrom ineffizient.

Trotz dieses Nachteils bleibt EFuel die beste Option: Wie Christian Gottschalk, Head of Environmental Social Governance Communications der Lufthansa Group, bestätigt, fokussieren die Fluggesellschaft und ihre Partner die SAFForschung auf PowertoLiquid und SuntoLiquidTechnologien.

Der Kampf der Fluglinien ums grüne Flugbenzin

Ungeachtet der vielen Herstellungsmöglichkeiten fanden bisher nur wenige Tröpfchen SAF den Weg in die Tanks der Jets: „Der Anteil am gesamten Treibstoffverbrauch bewegt sich derzeit unter einem Promille“, sagt Berens. Dabei handelt es sich vor allem um SAF aus Biomasse. In Deutschland produziert die Klimaschutzorganisation Atmosfair in einer Demonstrationsanlage EFuel. „Mehr als ein Startpunkt ist dies aber noch nicht“, meint Berens. Der Mutterkonzern der AUA, die Lufthansa Group, ist einer der ersten Kunden und will Atmosfair jährlich mindestens 25.000 Liter EFuel abkaufen. Im Jahr 2021 habe die Lufthansa Group bereits 11.000 Tonnen SAF verflogen, wie Gottschalk verrät. Er ergänzt: „Zuletzt hat die Lufthansa Group Absichtserklärungen für den Bezug von SAF mit den Unternehmen Shell und OMV unterzeichnet.“

Für Stephan Schwarzer sind solche Maßnahmen keine Überraschung. Der Geschäftsführer der eFuel Alliance Österreich sieht die Fluglinien bereits jetzt im Wettstreit um EFuelLieferanten. Die Interessengemeinschaft eFuel Alliance Österreich setzt sich für die industrielle Produktion von synthetischen flüssigen Kraftund Brennstoffen aus erneuerbaren Energien ein. Unter den Mitgliedern sind OMV, Post, Flughafen Wien oder der Motorenhersteller AVL List.

Der Grund für Schwarzers Optimismus ist die EUInitiative ReFuelEU Aviation. „Der EURechtsakt ist zwar noch nicht beschlossen, aber niemand zweifelt daran, dass er kommt.“ Der Entwurf sieht vor, dass bereits 2025 zwei Prozent der Treibstoffmenge aus SAF stammen sollen. 2050 sollen es 63 Prozent sein. Der Entwurf fixiert aber nicht nur die Beimischungsmengen von SAF generell, sondern auch speziell für EFuels: Ab 2030 müssen die europäischen Fluglinien 0,7 Prozent ihres gesamten Treibstoffverbrauchs mit EFuel decken. 2050 müssen es dann 28 Prozent sein.

Nachhaltig fliegen kostet noch viel mehr als Kerosin

Die Frage, wie viel ein Liter EFuel kostet, sei heute schwer zu beantworten, räumt Schwarzer ein. „Wir stehen erst am Anfang.“ Er rechnet damit, dass sich der Preis noch vor dem Jahr 2030 auf etwa zwei Euro pro Liter einpendeln wird. Das entspricht in etwa dem heutigen Preisniveau von fossilem Kerosin.

Konkreteres ist von der Lufthansa Group zu hören: „Aktuell liegt der Marktpreis für vorhandenes SAF aus biogenen Reststoffen drei bis fünfmal über dem Preis für fossiles Kerosin“, verrät Gottschalk und ergänzt: „SAF der nächsten Generation ist aktuell noch um bis zu zehnmal teurer als fossiles Kerosin.“ Im Übrigen hänge der Preis für SAF von der Technologie und der Ölpreisentwicklung ab, so der LufthansaSprecher weiter.

GreenpeaceChemiker Schuster glaubt nicht daran, dass sich die Preisniveaus von Kerosin und EFuel bald annähern werden. „Die Produktion ist viel komplexer und damit auch teurer.“ Für Berens ist es aufgrund der höheren Preise für SAF schon heute absehbar, dass die Preise für das Fliegen moderat steigen werden: „Wenn man von dem dreifachen Preis für SAF gegenüber fossilem Kerosin ausgeht, dann würden die Flugtickets um etwa fünfzig Prozent teurer werden“, rechnet er vor. „Das wäre bereits das WorstCaseSzenario für die Passagier*innen. Die Fliegerei würde es nicht kaputtmachen.“

Die Lufthansa Group bietet übrigens einen Einblick in die Kosten für klimaneutrales Fliegen: Seit Frühling können sich die Kund*innen bei der Onlinebuchung optional ausrechnen, wie viel der Ausgleich der CO₂ Emissionen und nachhaltiger Flugkraftstoff kosten würden. Kampfpreise wie die 21 Euro OneWay nach Barcelona sind damit freilich nicht mehr drinnen.

This article is from: