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25.04.2008

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Während der Regel und nach den Wechseljahren nähert sich das Denken der Frau dem des Durchschnittsmanns an.

Nasa

ein bisschen kleiner und leichter als das eines gleich großen Mannes. Was aber bedeuten diese durchschnittlich hundert Gramm Gewichtsdifferenz? „Rückschlüsse auf die Intelligenz lassen sich daraus auf jeden Fall nicht ziehen. Das zeigen unzählige Untersuchungen“, sagt der Neuropsychologe Aljoscha Neubauer von der Universtität Graz. Der britische Psychologe Simon Baron-Cohen (der Cousin des Komikers Sacha Baron Cohen) sieht freilich schon Unterschiede: und zwar in der Verschaltung des weiblichen Gehirns, das eher auf Empathie angelegt sei, „während im männlichen Gehirn die Netzwerke für das Verstehen und Bauen von Systemen die Fundamente bilden“. Diese Behauptung untermauerte er durch ein Experiment mit Neugeborenen: Männliche Babys schauten eher auf ein Mobile, während kleine Mädchen das lächelnde Gesicht einer Mitarbeiterin bevorzugten. Bleibt die Frage, was das bedeutet. Denn schließlich entwickeln sich neunzig Prozent der Verknüpfungen im Gehirn erst in den ersten Lebensjahren, und zwar in Reaktion auf Erfahrungen in und mit der Umwelt. Die wenigsten Unterschiede zwischen den Gehirnen der Geschlechter sind also wirklich angeboren. Und selbst wenn es Unterschiede gibt, kann niemand sagen, ob oder wie sie mit dem Verhalten zusammenhängen, gibt etwa der Neuropsychiater Lutz Jäncke von der Universität Zürich zu bedenken. Haben Frauen keinen Orientierungssinn? Ob wir in einer fremden Stadt anhand von konkreten Orientierungshilfen wie Wirtshäusern oder Schuhgeschäften oder anhand abstrakterer Richtungsangaben wie Nor-

den, Süden oder 500 Meter geradeaus nachhause finden, ist keine Frage der Natur. Der angeblich schlechtere Orientierungssinn von Frauen ist Folge geschlechtsstereotyper Sozialisation, darin stimmen die meisten einschlägigen Untersuchungen überein. Der einzig signifikante Unterschied findet sich beim sogenannten mentalen Rotationstest. Dabei wird das räumliche Vorstel-

lungsvermögen gefordert, indem man dreidimensionale Figuren im Geist auf Übereinstimmungen prüft. Das scheint Männern leichter zu fallen als Frauen. Verantwortlich dafür könnte das Testosteron sein. Die Sexualhormone sind bei Mann und Frau zwar nicht grundverschieden: Sowohl das männertypische Hormon Testosteron als auch das frauentypische Östrogen kommen bei beiden Geschlechtern vor – nur eben in deutlich unterschied-

lichen Mengen. Männer haben durchschnittlich zehnmal so viel Testosteron wie Frauen. Das viele weibliche Östrogen scheint den Frauen die Sicht beim mentalen Rotieren zu vernebeln. Wenn indes der Östrogenspiegel während der Menstruation sinkt, dreht die Frau dreidimensionale Objekte im Kopf fast so gewandt wie der Mann. Eine andere Folge der hormonellen Schwankungen hat der Psychologe Markus Hausmann von der Durham University entdeckt: Anstatt wie sonst mit beiden Gehirnhälften gleichzeitig verarbeitet das weibliche Gehirn Aufgaben während der Menstruation und im fortgeschrittenen Alter, wenn die weiblichen Hormonspiegel sinken, asymmetrisch. Zum Beispiel Sprache rechts, Raum links – wie Männer. Während der Regel und nach den Wechseljahren nähert sich das Denken der Frau also dem des Durchschnittsmanns an. Und was folgt daraus? Insgesamt gibt es deutlich mehr Studien, die belegen, dass die Unterschiede im Verhalten innerhalb eines Geschlechts statistisch größer sind als die zwischen den Geschlechtern. Was können die Untersuchungen über behauptete Unterschiede zwischen Frau und Mann für die Einzelne und den Einzelnen dann überhaupt erklären? Eigentlich nicht besonders viel, lautet ein weiterer Schluss aus Janet Hydes Meta-Analyse. Umso größere Vorsicht sei bei griffig formulierten Mars-Venus-Thesen geboten, meint die Psychologin. „Diese Behauptungen können die Möglichkeiten von Frauen am Arbeitsplatz einschränken, sie bringen Paare davon ab zu versuchen, ihre Konflikte und Kommunikationsprobleme zu lösen, und sie führen zu völlig unnötigen Erschwernissen, die das Selbstvertrauen von Kindern und Heranwachsenden verletzten können.“

heureka 1/2008 | Wissenschaft, weiblich

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