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Als Streeetworkerin am Straßenstrich kann man schon den Glauben an die Männer verlieren

Die prostituierten-beraterin Dass ihr Nebenjob nicht gerade alltäglich ist, merkt Diana erst, wenn sie anderen davon erzählt: Die Jus-Studentin arbeitet als Streetworkerin für Straßenprostituierte. Von Raffael Fritz

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ehn Uhr abends im September: Das Riesenrad im Prater dreht gerade die letzten Runden, doch ein paar Straßen weiter geht der Trubel erst los. Leicht bekleidete Frauen säumen die Straße und warten auf ein Auto, das sie aufliest und mit ihnen für eine Viertelstunde im nahe gelegenen Parkhaus verschwindet. In der Perspektivstraße, Südportalstraße und Messestraße, wo tanzwütige Studierende von der U-Bahn zur Pratersauna spazieren und wo Ende 2013 die neue Wirtschaftsuni eröffnet, befindet sich derzeit Wiens größter Straßenstrich. Zehn Uhr abends – damit beginnt auch die Arbeit der Jus-Studentin Diana. Die nächsten paar Stunden wird sie hier verbringen, zusammen mit einer Kollegin und bewaffnet mit einer orangefarbenen Tasche voller Gleitgel, Kondome und Info-

Broschüren: „Mit den Kondomen brechen wir das Eis, denn die sind sonst sehr teuer“, sagt Diana. „Die Frauen freuen sich, wenn sie uns sehen und rufen oft schon von Weitem ‚Prezervativi, Prezervativi!‘“ Die 26-Jährige arbeitet als Streetworkerin für SOPHIE, eine Beratungseinrichtung der Volkshilfe Wien für Prostituierte: „Weil ich dort ehrenamtlich geholfen habe, war ich schon eingebunden, und so hat es sich halt ergeben“, sagt Diana. Von den Arbeitszeiten her sei es der ideale Studentenjob. „Bevor ich zum ersten Mal mitgekommen bin, war mir noch mulmig zumute, aber dann war ich positiv überrascht“, erzählt sie. „Die Frauen sind uns wohlgesonnen. Wir gehen einfach hin, sagen hallo und bauen Vertrauen auf, damit sie unsere Hilfe annehmen, wenn sie sie einmal brauchen sollten.“

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Ihre Arbeit führt Diana überall hin, wo in Wien das horizontale Gewerbe blüht. Sie verteilt Infomaterial in Bordellen – über 30 davon habe sie schon von innen gesehen – und so genannten Laufhäusern, in denen Prostituierte sich für mehrere hundert Euro pro Woche ein kleines Zimmer mit Bad mieten. Doch am meisten gebraucht wird ihre Hilfe auf der Straße, wo sich Frauen in Minirock, Netzstrümpfen und Plastikstiefeln bei jedem Wetter die Beine in den Bauch stehen. Dianas Arbeitsstelle wurde ursprünglich eingeführt, um zwischen Prostituierten und Anrainern zu vermitteln. Mittlerweile gibt es in Wien ein neues Prostitutionsgesetz – der Strich wurde aus den Wohngebieten verbannt und ist de facto nur noch an zwei Orten geduldet: Einerseits in Auhof an der Westeinfahrt von Wien – „die Gegend ist dunkel, abgelegen, nicht öffentlich erreichbar und schlicht gefährlich“ – und andererseits im Prater. Hier drängen sich jetzt über 100 Frauen auf drei Straßen, durch den Konkurrenzdruck habe ein Preisdumping eingesetzt. Nur 20 bis 30 Euro für Sex sind keine Seltenheit – oft ohne Kondom, weil viele Freier („Kunden“, sagen die Prostituierten) das verlangen: „Das sind keine edelprostituierten EscortDamen, die einen Tausender am Abend verdienen“, sagt Diana. „Diese Frauen stehen absolut am Limit.“ Die meisten von ihnen kommen aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien oder Nigeria. In der Heimat haben sie meist mehrere Kinder, die auf ihre Einkünfte angewiesen sind. Der Rest geht für Miete und Sozialversicherung drauf: Weil Prostituierte vor dem Gesetz als Neue Selbständige gelten, müssen sie sich bei der SVA versichern und haben dort, wie viele andere, oft Schulden. Mit der Selbständigkeit ist es trotzdem nicht weit her: „Die Rollen von Freund, Ehemann, Aufpasser oder Zuhälter sind oft vermischt“, sagt Diana. „Wir möchten den Frauen helfen, möglichst unabhängig zu sein.“

das männerbild leidet Also verteilen sie eben Kondome und Gleitgel, helfen bei Rechtsfragen oder der Steuererklärung, empfehlen

Krankenhäuser, in denen man keine lästigen Fragen stellt oder hören einfach zu, wenn den Frauen etwas auf dem Herzen liegt. Gegen ein Uhr nachts macht Diana Feierabend, den emotionalen Ballast kann sie auf der Perspektivstraße liegen lassen: „Man bekommt nur leider mit der Zeit ein schlechtes Männerbild“, meint Diana. „Ganze Männergruppen fahren durch und grölen nur aus dem Auto. Und es ist wirklich klischeehaft, aber ich sehe auch hin und wieder den typischen Familienwagen mit Kindersitz.“.

die frauen freuen sich, wenn sie uns sehen und rufen schon von Weitem: „Prezervativi! Prezervativ!“ Prostitution

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ber Sexarbeit in Österreich – illegal oder legal – gibt es nur grobe Schätzungen. Zwar müssen sich Prostituierte in Wien und dem Burgenland beim Meldeamt persönlich melden – in den anderen Bundesländern tun das die Bordellbetreiber für sie – und eine wöchentliche Gesundenuntersuchung vorweisen. Die Informationen darüber werden aber weder zentral noch einheitlich erfasst. Laut aktuellem „Lagebericht des Bundeskriminalamtes“ hat es in den Jahren 2007 bis 2010 einen Anstieg an legalen und illegalen Bordellbetrieben gegeben. Immer beliebter werden dabei so genannte „Laufhäuser“ und (Sauna)Clubs, während die Anzahl „klassischer Bordelle“ abgenommen habe. Vorarlberg nimmt eine Sonderstellung ein: Dort gibt es kein einziges legal zugelassenes Bordell. Die meisten „Sexarbeiterinnen“ gibt es in Wien: Bevor Straßenprostitution im November 2011 örtlich auf fünf Zonen eingeschränkt worden war, waren jede Nacht etwa 150 bis 250 Sexarbeiterinnen am Strich unterwegs. Etwa 95 Prozent der Prostituierten sind Migrantinnen. Die meisten kommen aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn.

FOTO: Raffael Fritz, Sahel Zarinfard

sex kostet 20 bis 30 euro

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27.09.2012 14:43:31 Uhr


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