FALTER Bücherherbst 2016

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L i t e r a t u r    F A L T E R   4 1 / 1 6   Anhänger lancierte der legendäre „Sprechsteller“ (als welchen Kurt Tucholsky Kuh bezeichnete) in seiner einzigen vollständig überlieferten Stegreifrede: „Der Affe Zarathustras“, gehalten am 25. Oktober 1925 im Wiener Konzerthaus. Laut Friedrich Torberg bestand die ganze Misere Kuhs, „dieses begabten, blitzgescheiten und mehr als bloß witzigen, nämlich im höchsten Grad geistreichen Wirr- und Feuerkopfs“, darin, dass dieser weitgehend außerstande gewesen sei, „den Witz und den Geist, den er am Kaffeehaustisch mit müheloser Grandezza versprühte, in eine für den Druck und vollends für den Buchdruck geeignete Form zu fassen“ (Torberg, „Die Tante Jolesch“). Das ist für Kuh-Nachgeborene schwer zu verifizieren. Wer in der dieser Tage bei Wallstein erscheinenden Werkausgabe schmökert, wird freilich die Erfahrung machen, dass auch die über 1500 Texte (Feuilletons, Kritiken, Rezensionen, Essays, Nachrufe, Porträts et cetera), die Herausgeber Walter Schübler an rund 140 „Druckorten“ in den Bibliotheken und Archiven u.a. in Wien, Berlin, Frankfurt und Olmütz aufgespürt, kompiliert und kommentiert hat, einen unglaublich witzigen, couragierten und politisch hellwachen Geist verraten. In Erstaunen setzen dabei nicht nur der Esprit und die mitunter schon übertrieben ausgereizte Formulierungsgabe Kuhs, sondern vor allem der Umstand, wie frisch und zeitlos viele der Texte heute noch erscheinen. „Lärm vor dem Hause“ von 1931 erweist sich als dada-dokumentaristisches Dramolett über ein schier unerschöpfliches Thema („I soll Ihna in Oarsch lecken? I leck Ihna net in Oarsch … I bin ka Oarschlecker … Und wenn i aner wär, Se san der letzte, den was ich leck …“); „Was ist pensch?“ als immer noch relevanter Abgesang auf den liberalen Journalismus und dessen vorauseilende Selbstentmächtigung; und einen luzideren und aktuelleren Text zur Dialektik von Assimilation und Menschenwürde angesichts der sogenannten „Flüchtlingskrise“ als den 1940 im amerikanischen Exil auf Englisch verfassten „These are the Refugees“ wird man auch unter den heutigen publizistischen Hervorbringungen nur schwer finden.

Gesund ist das nicht wirklich, oder?

Schübler: Sicher nicht! Man fängt sich da-

bei so nette Sachen ein wie eine Stauballergie vom zerbröselnden Zeitungspapier oder eine Brustmuskelentzündung. Wovon kommt die? Schübler: Von der chronischen Fehlhaltung beim Hantieren mit diesen riesigen Folianten. Die Symptomatik ist übrigens ganz ähnlich wie bei einem Herzinfarkt.

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Der Begriff „Kaffeehausliterat“ gehört ersatzlos gestrichen. Ich krieg’ einen Ausschlag, wenn ich den höre! Walter SChübler , her ausgeber

Falter: Wie lange haben Sie an der Kuh-Ausgabe gearbeitet? Walter Schübler: Zehn Jahre, wobei ich die Hälfte davon ausschließlich fürs Bibliografieren aufgewandt habe.

foto: Heribert corn

Was bedeutet das in diesem Falle? Schübler: Mikrofilme kurbeln und Zeitungen durchblättern. Man braucht das Gemüt eines Maulesels dafür und verblödet vollkommen dabei.

Walter Schübler Jahrgang 1963, Übersetzerstudium in Wien, Dissertation über Rabelais. Der PubSieht man da überhaupt noch was? lizist mit Schwerpunkt Schübler: Man entwickelt einerseits einen Biografik veröffentTunnelblick für die Signaturen und Kür- lichte Bücher über zel, mit denen die Artikel gezeichnet sind, Johann Nestroy und braucht zugleich aber auch eine freischwe- Johann Heinrich Merck bende Aufmerksamkeit, um etwa bislang (beide 2001) sowie unbekannte, nur einmalig verwendete Pseu- über Gottfried August donyme aufzuspüren, die von Frater Anto- Bürger (2012). Arbeitet nius bis zu Antoine Delavache reichen. seit 2005 über Werk und Vita Anton Kuhs, Können Sie ausschließen, ­etwas derzeit im Rahmen übersehen zu haben? eines FWF-Projekts an Schübler: Ganz im Gegenteil! Das ist ja einer Monografie über das Einzige, was bei dieser frustrieren- den „Sprechsteller“. den Arbeit von vornherein feststeht: dass 2014 wurde Schübler einem was durch die Lappen geht. Aber mit dem Preis der Stadt geschenkt, sollen noch drei, vier Dutzend Wien für Publizistik Kuhs auftauchen. ausgezeichnet

Klingt nicht gerade, so, als würden Sie das noch einmal machen? Schübler: Nie! Gut, die Tiefen hätten wir besprochen … Schübler: … längst nicht! Ich habe ganze Ordner, die mit „leere Kilometer“ beschriftet sind. Da sitzt man etwa sechs Wochen, um zwölf Jahrgänge des Pester Lloyd durchzuackern, und findet dann zwei Artikel. Und die erhebenden Momente? Schübler: Das sind natürlich neue Funde. Zum Beispiel ein paar französischsprachige Texte. Außerdem habe ich mich vermessen, meine sehr verehrte ehemalige Lehrerin vom Dolmetschinstitut zu bitten, diese zu übersetzen. Ich musste sie beknien, aber sie hat es gemacht. Das sind Dinge und Erlebnisse, die bleiben. Man sollte also am besten noch in seinen Zwanzigern oder Anfang 30 sein, wenn man sich auf so etwas einlässt? Schübler: Nein, das geht auch nicht wirklich, weil jemand, der so hardcore-positivistisch arbeitet, ja drei, vier, fünf Jahre kein publizierbares Ergebnis vorzuweisen hat. Sowas kann sich ein Jungwissenschaftler gar nicht erlauben. Und in Ihrem Alter hat es sich ausgezahlt? Schübler: Karrieretechnisch nicht, ansonsten schon. Um jetzt auch einmal auf das Objekt Ihrer Anstrengungen zu sprechen zu kommen: Der Status von Anton Kuh war bislang ja eher der einer anekdotischen Figur? Schübler: Er ist nicht nur ein Anekdotenlieferant, sondern hat eigentlich auch nur in der Anekdote überlebt. Sogar in einem Standardwerk der österreichischen Literaturgeschichte wird er im Kapitel über Exilliteratur auf 20 Zeilen abgehandelt, wobei allen Ernstes aus einer Anekdotensammlung zitiert wird. Ansonsten läuft er halt immer noch unter dem Etikett „Kaffeehausliterat.“ Was aber nicht ganz falsch ist? Schübler: Ganz falsch! Der Begriff gehört ersatzlos gestrichen. Ich krieg’ einen Ausschlag, wenn ich das höre! Er saß doch tatsächlich im Café Central oder im Herrenhof? Schübler: Schon, aber wer käme auf die Idee, die Philosophen des Wiener Kreises als „Kaffeehausphilosophen“ zu bezeichnen nur weil die auch im „Herrenhof “ gesessen sind? „Kaffeehausliterat“ war unter den Zeitgenossen Kuhs ein Schimpfwort und bedeutete so viel wie „Badkicker“. Und auch „Kaffeehausliteratur“ ist kein Begriff, unter dem sich irgendetwas sinnvoll subsumieren ließe. Aber Kuh war ja schon auch ein Feuilletonist und Gelegenheitsschreiber? Schübler: Natürlich gab es „Magazinware“ und Halbgares. Als Kuh 1926 aus Wien

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weggegangen ist, hat er sich schon ein paar Jahre in die Hängematte gelegt und sein Geld recht leicht verdient. Aber davor und vor allem mit dem Erstarken der völkischen Dumpfheit hat er sich schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Und er ist ja nicht nur in der Reichspost oder in der Deutschösterreichischen Tages-Zeitung verbal attackiert, sondern tatsächlich tätlich angegriffen worden. Als er Ende 1922 in Wien einen Vortrag hielt, wartete eine Hundertschaft Hakenkreuzler mit Schlagringen und Totschlägern auf ihn, und Kuh konnte nur unter Polizeischutz das Konzerthaus verlassen. Am 25. Oktober 1925 hat er dort seine berühmte Stegreifrede gegen Karl Kraus gehalten. In welchem Saal eigentlich? Schübler: Im heutigen Mozartsaal. Die Nachfrage war riesig, weswegen man eigens für diese Gelegenheit zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt hat. Und dann wird die Veranstaltung von den Krausianern, den „Jüngels“, wie Kuh sie nannte, systematisch gestört. Eine halbe Stunde lang ist er nicht richtig zu Wort gekommen. Das ist die Situation, in der er sagt: „Ich sehe leider, ob Hitler, ob Kraus – es ist dasselbe.“ Gemeint war natürlich … … der krakeelende und pöbelnde Anhang. Das ist doch klar. Schübler: Ihnen vielleicht, aber gerade, was Kuh anbelangt, beten die Krausianer bis heute einfach ihr Idol nach. Dabei war der alles andere als zimperlich und war sich, so sehr er’s bestritten hat, nicht zu minder, auf Kuhs Homosexualität anzuspielen: „Der kommt von hinten – da kennt er sich aus.“ Auch die Kuh-Texte, die Kraus auf die Schaufel nimmt, werden in der Fackel fehlerhaft zitiert und tendenziös gekürzt. Die hat er sich zugerichtet, wie er sie gebraucht hat. Dennoch ist die Verbissenheit, mit der das Match Kraus gegen Kuh ausgetragen wurde, und der Fanatismus der jeweiligen Anhänger aus heutiger Sicht etwas ziemlich Unbegreifliches … Schübler: … Simmering gegen Kapfenberg, das war wirklich Brutalität. Allerdings haben wir heute eben die historische Distanz, während Kuh naturgemäß mit dem Zeitgenossen Kraus befasst war. Und es ist unvorstellbar, welche Definitionshoheit der in Wien hatte: Wenn Kraus in der Fackel jemanden runtergeschrieben hat, dann war der sozial tot. Das ist keine Übertreibung! Als Kraus etwa 1919 über Hugo Sonnenschein und 1920 dann über Georg Kulka herfiel, befürchteten deren Freunde, dass die beiden sich das Leben nehmen würden. Die Krausianer hat Kuh aber noch stärker verachtet als Kraus selbst? Schübler: Ja, denn für die war alles, was in der Fackel stand, wie aus dem Dornbusch gesprochen – geoffenbarte Wahrheit. Die sind auch mit dem Fackel-Heft im Jackett über Graben und Kohlmarkt flaniert, um ihre Rechtgläubigkeit zu demonstrieren. Ein offenes Einfallstor für die Kritik der Krausianer war, dass Kuh für die „Stunde“, eine Zeitung des von Kraus zutiefst v­ erabscheuten Imre Békessy, geschrieben hat (siehe dazu auch die Rezension auf Seite 7). Schübler: Genau. Wobei die Stunde weit links der Mitte stand und genau die TheFortsetzung nächste Seite


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