FALTER Bücherherbst 2016

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Die neuen Diener und das Recht auf Mühe Kulturgeschichte: Christoph Bartmann beschreibt die Untiefen der neuen Dienstleistungsgesellschaft

Bartmann ist nicht der Erste, der sich analy-

tisch und kritisch mit der neuen Dienstleistungsgesellschaft und ihren Widersprüchen auseinandersetzt. Aber er tut es auf anregende Weise und äußerst differenziert. Nachdem er sich vor vier Jahren in der Studie „Leben im Büro“ mit den Veränderungen des Angestelltendaseins beschäftigt hat, widmet er sich nun dem neofeudalen Bürgertum, das sich Selbstverwirklichung, Karriereoptimierung und Alltagsentlastung durch die Beschäftigung vielfältigster Dienstleister erkauft. Bartmann geht in seinem brillant geschriebenen Buch von Beobachtungen aus, die er – selbst Angehöriger der intellektuellen, gut situierten Mittelschicht – in New York gemacht hat. Dort war er in den letzten Jahren Direktor des Goethe-Instituts. Mit der Familie lebte er in einem jener Apartmenthäuser in der Upper Westside, die sehr viel mehr bieten als teuren Wohnraum. Eigentlich sind diese Häuser Hotels. Sie verfügen über zahlreiche Mitarbeiter, die rund um die Uhr für die Mieter da sind – Portiers, Hausmeister, Hundesitter, Kin-

derbetreuer und noch einige Helfer mehr, die das Leben angenehmer machen. Man ahnt, von wem diese Jobs erledigt werden: von Migranten, im Falle New Yorks sind es vor allem Hispanics, Menschen, die schlecht ausgebildet sind, keine Verdienstmöglichkeiten in den traditionellen Industriesektoren haben und von Aufstiegschancen ausgeschlossen werden. Dafür, dass das kein amerikanisches Phäno-

men ist, bringt Bartmann sehr viele Beispiele, die er mit Zahlen untermauert. Er schildert eindrücklich die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen der neuen „Heinzelmännchen“ und er zitiert theoretische Arbeiten, aber auch Bücher und Filme, die seine Diagnosen stützen. Man muss sich als einigermaßen etablierter Großstadtbewohner nur im eigenen Umfeld umsehen, um Bartmanns Thesen bestätigt zu finden: Die polnische Putzfrau verdingt sich bei Bekannten, selbstverständlich bestellt man sich per Internet das Essen über Foodora oder Deliveroo, hat einen Fitnesstrainer, jemanden, der den verwilderten Garten auf Vordermann bringt, vielleicht sogar einen Geburtstags- oder Hochzeitsplaner. Die Delegation lästiger, zeitintensiver und anstrengender Arbeit dient der Entlas­tung: Während die junge Migrantin für 8,50 Euro unser Bad putzt, können wir uns wichtigeren Aufgaben widmen, weitere E-Mails checken, den Urlaub planen oder einen neuen Kunden treffen. Es gibt nicht nur eine Hierarchie der Arbeit, sondern auch deren Umverteilung. Und es herrscht in der Mittelschicht das ungute Gefühl, dass man den zeitgenössischen Anforderungen nicht mehr gerecht wird – Job, Familie, Freizeitplanung sollen im Gleichgewicht und perfekt organisiert sein. Der Wunsch, das Leben beherrschbar zu machen, erzeugt Stress – und lässt uns auf häusliche oder hausnahe Dienstleister aller Art zurückgreifen. Nicht unproblematisch ist das, und schon gar nicht gerecht:

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Häusliche Dienste werden jetzt auf eine Weise digital gemakelt, die dem Kunden suggeriert, es gebe hinter dem SmartphoneWisch und -Klick gar keine realen Arbeiter mehr C hr i s t o ph Bartmann

Christoph Bartmann: Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal. Hanser, 287 S., € 22,70

Der Stress wird an die neuen Diener weitergegeben, die sehr viel weniger Möglichkeiten haben, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Dass dies nicht nur individuelle Fragen aufwirft – etwa jene nach dem schlechten Gewissen –, sondern handfeste politische und wirtschaftliche Interessen berührt, erläutert Bartmann in einem ausführlichen Kapitel. Hinter dieser „Concierge-Ökonomie“ steckt

nämlich nicht zuletzt eine florierende Internetindustrie: „Häusliche Dienste werden jetzt auf eine Weise digital gemakelt, die dem Kunden suggeriert, es gebe hinter dem Smartphone-Wisch und -Klick gar keine realen Arbeiter mehr, sondern allenfalls noch Ergebnisse.“ Kunde und Dienstleister begegnen sich zuweilen gar nicht mehr, existieren in getrennten Sphären. Dass das zu neuen Abhängigkeiten führt, ist das eine. Das andere: Die Beziehung zum „Personal“ wird immer abstrakter, dessen Situation ist gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Flexibilisierung und zunehmende Verarmung. Zugleich entfremdet sich der Kunde selbst von seinem Zuhause, nimmt sich in seiner Bedürftigkeit als schwach wahr, geht der eigenen Lebenssouveränität verlustig. Die Brisanz der sogenannten Affektarbeit – also der Pflege von Kindern und vor allem Alten –, auf die immer stärker zurückgegriffen werden muss, ist hier ebenso Thema. Bartmanns äußerst lesenswertes Buch bleibt nicht bei der Analyse stehen, sondern ist zugleich ein Plädoyer zum Umdenken – nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch ganz basal in unserem Alltag. „Der neue technoide Drang nach Optimierung und Benutzerfreundlichkeiten aller Art führt in der Regel nicht zu einem besseren, sondern allenfalls zu einem reibungsärmeren Leben. Man möchte angesichts solcher Utopien der Reibungslosigkeit ein Recht auf Mühe einklagen, nicht für die Dienerschaft, sondern für die Bedienten selbst.“ U l r i ch R ü de n a uer

Illustr ation: georg feierfeil

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iener – das Wort atmet den Geist des 19. Jahrhunderts. Man denkt dabei an Anthony Hopkins in der Rolle eines Butlers, an die Sorgen des Küchenund Hauspersonals in der Serie „Downtown Abbey“, und zuweilen bestaunt man die Überbleibsel feudaler Selbstherrlichkeit in den Klatschblättern, die im Wartezimmer des Zahnarztes ausliegen: livrierte Diener, die bei Königs den Nachmittagstee servieren oder einer Adelshochzeit noch ein bisschen mehr Glamour verleihen. Das Konzept von Dienerschaft ist eindeutig antiquiert, eine überkommene Profession unaufgeklärter oder vordemokratischer Zeiten. Denkt man. Aber von wegen. Christoph Bartmann, Autor, Literaturkritiker und nicht zuletzt weit herumgekommener Angestellter des Goethe-Instituts, erzählt in seinem neuen Buch von der „Rückkehr der Diener“.


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