FALTER Bücherherbst 2016

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Skandale, die Wissenschaft und die Politik Wissenschaftsgeschichte Klaus Taschwer legt eine Biografie des umstrittenen Biologen Paul Kammerer vor

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er Wissenschaftspublizist Klaus ­Taschwer widmet sich seit Jahren der Aufarbeitung unangenehmer Kapitel der österreichischen Geschichte, vom sogenannten „Rassensaal“ des Naturhistorischen Museums, der nach öffentlicher Kritik, auch durch Klaus Taschwer im Falter, 1999 geschlossen wurde, über die nationalsozialistischen Verstrickungen von Konrad Lorenz bis zum Biologen Paul Kammerer, der Recherchen Taschwers zufolge Opfer einer raffinierten Intrige der Austrofaschisten gewesen sein könnte. Mit dem Falter sprach er über sein neues Buch, dessen Zusammenhänge mit der aktuellen Migrationsproblematik und die

Förderung der Wissenschaftspublizistik in Österreich.

Klaus Taschwer gehört zu den renommiertesten Wissenschafts­ publizisten

Falter: 2015 haben Sie ein Buch mit dem Titel „Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert“ herausgebracht. Und das im Jubiläumsjahr der Universität. Wie fiel deren Reaktion darauf aus? Klaus Taschwer: An der Uni war man natürlich nicht gerade erfreut über dieses „Geburtstagsgeschenk“. Aber es gab eine Buchpräsentation, die von der Uni veranstaltet wurde und an der auch der Rektor teilnahm. Und zu einer Uni-Lesung wurde ich auch eingeladen. Zudem gab es positive Rück-

meldungen von Professoren, die es wichtig fanden, dass dieses Kapitel aufgearbeitet wurde. Bereits 2001 haben Benedikt Föger und Sie in „Die andere Seite des Spiegels“ die NS-Vergangenheit von Konrad Lorenz durchleuchtet. Dies hat damals einige heftige Reaktionen hervorgerufen. Taschwer: Konrad Lorenz ist mit Karl von Frisch nach wie vor der einzige wissenschaftliche Nobelpreisträger des Landes nach 1945. Kurz vor Erscheinen unseres Buchs war er von Lesern der Zeitschrift News zum größten österreichischen Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts ge-

:: Wien ist zu Anfang des 20. Jahrhunderts ei-

nes der wichtigsten Zentren für Kunst und Wissenschaft. Seine Universität hat einen hervorragenden Ruf, und der Biologe Paul Kammerer ist einer der schillerndsten Proponenten dieses multikulturellen und innovativen Klimas der im Zerfall befindlichen Monarchie. Seine Experimente mit Amphibien verhalfen ihm zu Bekanntheit und befeuerten die damals heftig und ideologisch geführte Diskussion, ob die im Laufe eines Lebens erworbenen Eigenschaften an die Nachkommen vererbt werden können. Kammerer schien dies bei Geburtshelferkröten bewiesen zu haben, die unter bestimmten Haltungsbedingungen an den Extremitäten Brunftschwielen entwickelten, die dann auch noch bei ihren Nachkommen zu finden waren. Sein Erfolg wurde bald zum damals größten wissenschaftlichen Skandal, als man ihm nachwies, dass diese Hautstruk-

Klaus Taschwer: Der Fall Paul Kammerer. Das abenteuerliche Leben des umstrit­ tensten Biologen seiner Zeit. Hanser, 352 S., € 24,70

turen am Belegexemplar nur durch Manipulation zustande gekommen sein sollten. Da es Kammerer nicht gelang, seine wissenschaftliche Integrität zu beweisen, beging er 1926 Selbstmord. Fast 50 Jahre später veröffentlicht Arthur Koestler das Buch „Der Krötenküsser“, in dem er den Fall nochmals aufrollt. Koestler konnte zwar Kammerer recht überzeugend entlasten; trotz umfangreicher Nachforschungen bleibt aber am Ende weiterhin unklar, wer die Kröte sonst manipuliert haben könnte – und warum. Der Wissenschaftspublizist und Staatspreisträger Klaus Taschwer hat diesen Cold Case wieder aufgegriffen und schafft es dank seiner minutiösen und aufwendigen Recherchen, eine plausible Lösung vorzulegen. Seine vorangegangenen Bücher über die Experimentalbiologische Versuchsanstalt, in der Kammerer arbeitete, sowie über die antisemitischen Netzwerke an der Universität Wien bilden dabei die Grundlage für

seine Vermutung, Kammerer, der eine jüdische Mutter hatte, sei einer raffinierten Intrige der damals die akademische Landschaft in Wien dominierenden Antisemiten zum Opfer gefallen. Die Geschichte liest sich weder spekulativ noch trocken. Im Gegenteil, Taschwer schafft es, ein lebendiges Bild der damaligen bürgerlichen Gesellschaft vor den Augen der Leser entstehen zu lassen. Kammerers amouröse Verstrickungen unter anderem mit Alma Mahler-Werfel, das aufgeheizte Klima in der Zwischenkriegszeit und das facettenreiche Bild akademischer Karrieren lassen einen das Buch wie einen guten Kriminalroman in einem Zug durchlesen. Nur mit dem Unterschied, dass sich nicht wie nach dem Konsum ephemerer Literatur ein Gefühl der Leere breitmacht, sondern sich ein wohliges Kribbeln einstellt, weil man in ein Stück realer Zeitgeschichte eintauchen konnte. P e t e r I wa n i e wi c z

Illustr ation: georg feierfeil; foto: Mat tias Cremer

Geburtshelferkröten, ein Forschungsskandal und der Antisemitismus


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