FALTER Bücherfrühling 2015

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Sachbuch

Wie viel Tom steckt in Conchita? Biografie: Tom Neuwirth betritt die Weltbühne und legt die Autobiografie der Diversitäts-Diva Conchita Wurst vor ie schlecht rasierte Sängerin hat uns D also den Song Contest gewonnen. Nachdem Conchita Wurst jahrelang im engen Kreis der queeren Burlesque-Gemeinde keck Starstatus behauptet hat, ist die vom jungen Tom Neuwirth verkörperte Kunstfigur der bärtigen Diva tatsächlich auf dem besten Wege, ein Weltstar zu werden. Zwar ist ihr Œuvre noch ausgesprochen klein – bis auf den Song-Contest-Siegertitel „Rise Like a Phoenix“ gab es noch keinen nennenswerten Chart-Erfolg –, aber die charismatische Frau Wurst nutzt ihre momentane Bekanntheit, um jetzt ihre Autobiografie zu veröffentlichen: „Ich, Conchita“, so der Titel des reich bebilderten Buchs. Um wen geht es hier? Um die irritierend schö-

ne Kunstfigur mit dem Klamauknamen, die vor einem Millionenpublikum ihr Lied gesungen hat, vor dem Europäischen Parlament in Straßburg Brandreden in Sachen Toleranz hält, in Wien den UNO-Generalsekretär trifft, den Bundespräsidenten oder den französischen Mode-Star Jean-Paul Gaultier? Oder geht es um den 26-Jährigen, der sie erfunden hat und darstellt? Oder das Bübchen, das in der Steiermark aufwuchs, Außenseiter war und blieb, bis es in der großen Stadt und mit den richtigen Freundinnen im Schlepptau unter einer Perücke und viel Schminke für Akzeptanz warb? Die meisten Interviews mit der Wurst eiern um die Frage herum, wer gerade spricht.

Tom und Conchita scheinen das manchmal selbst nicht ganz so zu wissen, und die clevere Standardantwort der beiden lautet dann: Es steckt ja so viel von Tom in Conchita. Ach so. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Wurst-Suppe ist einigermaßen dünn. Und obwohl das vom deutschen Biografie-Profi Daniel Oliver Bachmann in leicht tantigem Ton „erzählte“ und „aufgeschriebene“ Buch den Untertitel „Meine Geschichte“ trägt, erfahren wir vom „kleinen Tom“ nicht besonders viel. Ja, die Eltern, okay, die Oma, die „grüne Höhle“, in die sich das Kind zurückzieht und träumt, die schönen Kleider und die bösen Burschen, die den Schwulen in der Schule ausgrenzen. Mit 14 dann die Modeschule in Graz, ein paar Jahre später die Castingshows im ORF und so weiter. Der größte Teil dieser Ich-Geschichte dreht sich um das, was seit dem 10. Mai 2014 passiert ist, dem Tag, als Conchita Wurst den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen gewann. Wie ein ausgegrenztes Kind vom Lande zur weltgewandten Diversitäts-Diva und zu einer Art Nationalheiligtum werden kann, das bei Volksschülerinnen gleichermaßen beliebt ist wie bei Parlamentariern, darauf liefert „Ich, Conchita“ leider kaum Antworten. Was auffällt: Conchita will offenbar die Wurst loswerden und seriöser wirken. In einer britischen Talkshow kündigte der Gastgeber den Star aus Österreich kürz-

lich nur noch als „Conchita“ an. Das Debütalbum, das demnächst veröffentlicht wird, trägt wohl nur noch ihren Latina-Vornamen als Titel, ebenso wie jetzt die Biografie. Das – zugegeben: irritierende – Vorleben der Wurst fehlt in der Erzählung fast komplett. Aber eben auch bei Tom Neuwirths Leben bleibt man vage. Stattdessen seitenweise Namedropping und Wiederholung dessen, was in den letzten Monaten ohnehin schon überall zu sehen und zu hören war: Conchy in Paris, in London, in Kopenhagen. Und Conchy in Wien. Dort überraschte eine gro-

Conchita Wurst (mit Daniel Oliver Bachmann): Ich, Conchita. Meine Geschichte. We are unstoppable. Langen/Müller, 180 S., € 20,60

ße Bank mit einer Werbekampagne, bei der die bärtige Lady im Mittelpunkt steht. Im Kapitel „Conchita goes banking“ präsentiert sich die Sängerin als Unternehmerin mit eigenem Büro und Angestellten, die am Welterfolg arbeiten. Und erklärt leicht blauäugig das Bankensystem. Wie hier überhaupt sehr viel erklärt wird, manches wohl, um dem deutschen Publikum österreichische Gepflogenheiten näherzubringen. Im Epilog schließlich stilisiert sich die Weltbürgerin und Song-Contest-Siegerin auch als stolze Österreicherin. Angesichts einer rot-weiß-roten Flagge auf dem Wiener Hotel Imperial wird ihr klar: „Österreich aber ist und bleibt meine Heimat – und das ist gut so.“ Irgendwie war die witzige Frau Wurst von früher unterhaltsamer. C h risto p h e r W urmdobl e r

Beschnüffeln, Gezwitscher und Blendgranaten Lebenskunst: Alexander von Schönburg führt unterhaltsam in die verlorengegangene Kulturtechnik des Smalltalks ein uss ein Buch über Smalltalk seicht M sein? Mitnichten, wie die Erläuterungen zur „Kunst des stilvollen Mitredens“

von Alexander von Schönburg beweisen. Die Kulturtechnik des Smalltalks hat im deutschsprachigen Raum einen schlechten Ruf. Das liege auch, meint von Schönburg, an der Marginalisierung der alten Eliten durch Revolutionen und Weltkriege. Im Zeitalter der Ich-AGs und Selfies wird Smalltalk oft missverstanden als Forum der Selbstdarstellung. Dabei besteht seine Geheimwaffe in deren krassem Gegensatz, dem Zuhören. Smalltalk hat stets mit Nichtigkeiten zu begin-

nen, unerlässlich für das gegenseitige Beschnüffeln. „Smalltalk ist ein Spiel. Es lebt vom Hin und Her. Alles, was man sagt, muss Raum für Gegenrede bieten.“ Smalltalk gleicht Vogelgezwitscher. Es geht nicht so sehr darum, was man sagt, sondern wie man es rüberbringt. Die größten Tabus stellen dabei Rechthaberei, Klugscheißerei und Moralisieren dar. Und der größte Feind des gelungenen Gesprächs ohne Tiefgang heißt Langeweile. Das Gegengift: die zugespitzte These, der spielerische Widerspruch. Und Lockerheit. „Be cheeky. And don’t try too hard.“ Diesen Tipp will der Autor, der für Vanity Fair, Vogue, aber auch für die FAZ geschrieben hat und seit 2009 Mitglied der Bild-Chefredaktion ist, von Stil­ikone Paris Hilton erhalten haben, als er unsicher auf einer Hollywood-Party weilte.

Der Spross aus altem Adelshaus gehört nicht nur durch seine Schwestern Gloria von Thurn und Taxis und Maya Flick zum internationalen Jetset, befand sich bereits als Jugendlicher auf Segeltörns mit Größen wie Henry Kissinger und fuhr mit Marion Dönhoff Porsche. Smalltalk verträgt ein gerüttelt Maß an Namedropping und Snobismus, keinesfalls aber übereifrige Zustimmung und Begeisterung, übertriebenes Lächeln, Hektik und Unsicherheit. Die Welt sei zu komplex geworden, um zu irgendetwas eine fundierte Meinung zu haben, meint der Autor. Vereinfachung stelle deswegen ein probates Mittel dar, mit der Komplexität und den Ungereimtheiten unseres Lebens umzugehen – und über die wichtigsten Themen der Jetztzeit mitreden zu können. Deswegen liefert von Schönburg Hintergrundinfos über den Stand von Debatten, die unerlässlich sind, um sich einmischen zu können – aber auch, um nicht in Fettnäpfchen zu treten, was im Zeitalter der Political Correctness nicht eben leichter geworden ist. (Für diese gilt übrigens: „Sie eifrig zu verteidigen ist genauso spießig, wie dagegen zu wettern.“) Dabei unterscheidet er zwischen Pauschalthemen, bei denen jeder etwas vermelden können muss, Jokerthemen, die durch Überraschung und Abwegigkeit punkten, und Chloroformthemen, die einlullen und Einhelligkeit herstellen. Zu Ersteren zählen etwa die haarige Genderdebatte, Fuß-

ball, Internet, Kapitalismus, moderne Kunst (besser, man redet über den Kunstmarkt!) oder Prominente. Jokerthemen gleichen Stinkbomben oder Blendgranaten, die Verwirrung stiften oder den Abgang einleiten können, wie Sex, Zeit, Buddhismus, Gottesteilchen bzw. Quantenphysik. Die amerikanische Außenpolitik, die Apoka-

Alexander von Schönburg: Smalltalk. Die Kunst des stilvollen Mitredens. Rowohlt, 320 S., € 16,50

lypse, das FAZ-Feuilleton, Fernsehserien, New York oder Quentin Tarantino eignen sich hingegen gut, um Konsens herzustellen. Manche Themen, wie Homosexualität, können auch in alle drei Kategorien fallen, je nachdem, „mit wie viel Nonkonformismus man sie zu würzen entschlossen ist“. Und der gehobene Plauderer sollte auf jeden Fall etwas über Luxushotels, die Jagd oder Pferderennen von sich geben können. Unbedingt aussparen sollte man auf Partys oder Events: Verdauung, Gesundheit, Beruf, Sternzeichen, Kinder und Witze. Und zum Savoir vivre gehört es, beim Essen nicht über das Essen zu reden. Da Alexander von Schönburg Smalltalk naturgemäß aus dem Effeff beherrscht, versteht er es auch, mit diesem Buch nicht zu langweilen. Anekdoten und Schoten aus seinem Leben sowie kleine Spitzen gegen gängige Meinungen würzen diese Ode an Lebensqualität, Lebensfreude und Liebenswürdigkeit. Nur in einem gibt sich der Autor wohl zu optimistisch: dass man Esprit lernen kann. K irstin B r e it e n f e lln e r


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