Der menschliche Körper als Inhalt in der Malerei

Page 1

DER MENSCHLICHE KÖRPER ALS MOTIV UND INHALT IN DER MALEREI FABIO MELONE


DER MENSCHLICHE KÖRPER ALS MOTIV UND INHALT IN DER MALEREI




1

10


2

11


3

12


4

14


5

15


6

16


7

17


8

18


9

19


10

20


11

21


12

22


13

24


14

25


15

26


16

27


17

28


18

30


19

31


20

32


21

22

33


23

34


24

36


25

37


26

38


27

40



DER MENSCHLICHE KÖRPER ALS MOTIV UND INHALT IN DER MALEREI Wer sieht den menschlichen Körper richtig: der Fotograf, der Spiegel oder der Maler? Und sollen wir das Äussere malen, das Innere oder das, was dahintersteht?“ – Pablo Picasso

Wieso der Körper? Der Körper als äussere Erscheinungsform interessiert mich schon seit geraumer Zeit. Ich war viele Jahre in der Textilbranche tätig und habe für ein internationales Modelabel als Designer gearbeitet. Der Körper als Träger von Bekleidung stand dabei im Zentrum meiner Tätigkeit. Bekleidung wurde nicht nur als etwas Funktionelles gesehen, sondern auch als Ausdrucksmittel. Sie widerspiegeln das Innere des Menschen. Oft habe ich Figuren skizziert und sie mit Kleidern umhüllt. Meine Ideen und Vorschläge für neue Kollektionen hielt ich in Zeichnungen und auf Moodboards fest. Moodboards halfen mir, ein Gefühl oder Stimmungsbild zu vermitteln. Die Faszination für den Körper, die ich als Designer erfahren habe, führte mich in die bildende Kunst. Was ist der Körper? Dank der vielfältigen Möglichkeiten der Kunst, kann ich mich aus einer anderen Perspektive heraus mit dem Thema Körper auseinandersetzen. Heute sind es in erster Linie die Menschen und ihr individuelles Wesen, die mich inspirieren. Dabei möchte ich ihre „Eigenart“ und die Vielfältigkeit des menschlichen Körpers erfassen. Diese Faszination für Körper, Körperform und Körperlichkeit als Materialität setze ich in meinen Malereien und Zeichnungen um. Mit der Frage „Was ist der Körper?“ habe ich mich während des Studiums gestalterisch auseinandergesetzt. Ich sehe unsere äussere Erscheinung als Materie, als Substanz. Der Körper ist der materielle Teil des Menschen. Sie macht unsere Gestalt als Lebewesen aus. Wir können uns somit selbst und andere wahrnehmen. Mit meinem Körper bewege ich mich. Mit meinem Körper kommuniziere ich und er dient mir möglicherweise als Schutz zur Aussenwelt. Die äussere Grenze des Körpers ist seine Haut. Sie ist eine Hülle und schafft eine schützende Abgrenzung zwischen mir und der mich umgebenden Welt. 1 Dem Körper als Substanz stelle ich das Körperempfinden gegenüber. Nicht immer stimmt dieses mit dem äusserlich sichtbaren Körper überein. Dies wird meines Erachtens beispielsweise in den sozialen Medien sichtbar. Dort ist ein Körperkult allgegenwärtig, der keinen Blick auf die inneren Gefühle der Menschen freigibt. Schönheitsideale werden uns aufgezwungen – nur der intakte schöne Körper gilt in Lifestyle- und Luxuszeitschriften als wahrhaftig. Aus meiner Sicht zeigt der Ausdruck des Körpers viel mehr als nur einem Schönheitsideal zu entsprechen. Unser Körper ist ein Phänomen – er ist ebenso faszinierend, wie rätselhaft. Was wäre aber unser Körper ohne unseren Geist und unsere Seele?

44


Körpersprache und Körperbewegung Meinen Geist lesen und mit dem Körper sprechen: Der Schwerpunkt meiner gestalterischen Arbeit liegt in der „Gestik zur Form“. Was bedeutet das? Welchen Einfluss hat die Gestik auf die Formfindung in der Malerei? Die äussere Erscheinung eines Menschen gehört zur Körpersprache und stellt damit eine Art nonverbale Kommunikation dar. In meiner künstlerischen Tätigkeit dient mir mein Körper als Sprachmittel, um mich malerisch durch Farben und Formen auszudrücken. Eine Körperbewegung in Form einer Gestik bestimmt die Form meiner Arbeiten. Meine eigene Körperlichkeit trägt im Malvorgang entscheidend zum Ausdruck bei. Es kommt vor, dass die Malarbeit auf dem Boden beginnt. Ich lege die leere Leinwand auf die Bodenfläche und trage Farbe mit einem Pinsel in gebeugter Haltung auf. In der Regel beginne ich ohne zu wissen, wohin mich dieser Weg führt. Ich finde es interessant, jedes Mal von Neuem zu beginnen. Durch das Auftragen von Farbe auf die Leinwand setze ich einen Anfang. Je nach Gefühl trage ich die Farbe intensiver oder sanfter auf. Das Material leistet einen Widerstand, sodass ich nicht direkt zur Vorstellung, zur Idee durchdringe. Von Strich zu Strich, vom Strich zur Fläche und von der Fläche zurück zum Strich. Es ist ein Spiel mit Händen und Armen. Durch schnellere oder langsamere Hand- und Armbewegungen gelingt es mir vielleicht eine Bewegung im Bild einzufrieren. Dabei spielt die Geschwindigkeit des Auftragens eine wesentliche Rolle. Manchmal sehe ich in der gemalten Fläche eine Figur oder eine Form, welche ich versuche weiterzuentwickeln. Das eine bringt mich auf das andere. Vielleicht entsteht etwas daraus oder eben nicht. Wenn nicht, geht die Suche von vorne los. Ich kann lange nichts beim Malen erkennen und auf einmal ergibt sich etwas, das mir gefällt. Das Unbekannte und das Nicht-Wissen, was sich während dem Malen ergibt, dient als Motor um neue Dinge zu schaffen, die positive, wie negative Überraschungen mit sich bringen. Diese Art der Herangehensweise fordert mich heraus. Es ist die Suche nach autonomen, eigenen Körperformen, die mich treibt. Es hängt von der Grösse der Leinwand ab, wie ich mich gegenüber der Fläche verhalte. Wo ich stehe und wie weit ich mich vom Bild fortbewege, hat einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis des Bildes. Aus der Nähe kann ich Details besser ausarbeiten und aus der Entfernung habe ich einen besseren Überblick über die ganze Leinwand. Körper im Bild Es geht in meinen Arbeiten nicht darum, ein direktes Abbild von etwas zu reproduzieren. Es ist die „Entfremdung“ als Transformationsprozess des Körpers, die mich zu neuen Produktionen bringt. Vielmehr geht es um meine eigene Interpre45


tation von Körperformen. Die Proportionen beziehungsweise die Anatomie der Körper entsprechen keiner Regel. Sie sind meist verzerrt und treten eigenartig und wesensfremd ins Bild. Oftmals fehlen Körperteile. Im Malprozess unterliegen die Figuren ständigen Veränderungen. Sie transformieren sich. Das Bild des Körpers verwandelt sich stets im Laufe der Arbeit. Auch der menschliche Körper durchläuft während des Wachstums vom Säugling zum Kind und dann zum Erwachsenen bis hin zum Altern einer natürlichen Veränderung. Ich versuche, das menschliche Wesen darzustellen. In den letzten zwei Jahren habe ich viel mit Konturen und Umrahmungen gemalt. Die Motive in den aktuellen Arbeiten zeigen zwar Konturen, aber sie ziehen sich nicht durch alle Körperteile hindurch. An manchen Stellen sind die Figuren angreifbar, verletzlich oder schutzlos der Welt ausgesetzt. Die Haut des Menschen nimmt die Aufgabe des Schutzes und der Abgrenzung ein. In meinen Malereien scheint es oftmals so, als würde sich dieser Schutz, diese Grenze zur Aussenwelt aufheben. Ich empfinde die Bildinhalte als eine symbolische Darstellung für das menschliche Dasein. Es geht mir nicht um die Perfektion. Es geht mir im Wesentlichen darum, Gefühle wie Leid, Schmerz oder Trauer in Gestalten zu erfassen. Die Malereien werfen weitere Fragen auf. Wie ist das Verhältnis von Bildraum und Figur? Francis Bacon Im Kunstmodul des dritten Semesters habe ich das Buch „Gespräche mit Francis Bacon“ von David Sylvester gelesen und dabei viel über Francis Bacons Gedanken und Arbeitsweise erfahren. Seine Auseinandersetzung mit Körpern, Räumen und Farben haben mich sehr motiviert. Die kraftvollen Pinselstriche, die Substanz der aufgetragenen Farben und seine Figuren packen und berühren mich. „Ein Seiltanz zwischen figurativer Malerei und Abstraktion”, wie Bacon im Interview erklärt. Seine Suche nach organischen und autonomen Formen und die „Entstellung“ des menschlichen Körpers auf Bildern motivieren mich im eigenen Schaffen. Beim Lesen habe ich zwei Textstellen des Künstlers gefunden, an die ich oft während des Malens denken muss: „(…) all mein Malen ist Zufall und das immer mehr, je älter ich werde. Natürlich sehe ich es voraus, ich habe es im Kopf, und doch führe ich es fast niemals so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es verwandelt sich beim Malen.“ 2 „Man kriegt nie, was man eigentlich haben wollte, aber es gibt die Möglichkeit, dass man durch diesen Zufall etwas erhält, das viel mehr Tiefgang hat als das, was man wirklich wollte. 3

46


Maria Lassnig Ich besuchte die Ausstellung der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig im Kunstmuseum St. Gallen. Die Ausstellung wurde unter dem Titel Be-ziehungen gezeigt. Ich kam das erste Mal mit dem Begriff „Introspektive“ in Kontakt. Lassnig versuchte in ihren Arbeiten körperliche Erfahrungen mittels künstlerischer Medien zum Ausdruck zu bringen. Maria Lassnig sprach oft über Körpererfahrungen oder Körpergefühlsbilder. Ihre Ausstellung hat mich dazu bewegt, mir Gedanken über das Thema Körper als Darstellungsinhalt und Körper als Sprachmittel zu machen. Daraus entstand einer meiner Schwerpunkte „Gestik zur Form“. Introspektive Ich habe mich auf ein malerisches Experiment eingelassen. Ich bin noch mitten drin, meine Faszination in Bezug auf den Körper als Bildinhalt gestalterisch weiterzuentwickeln. Es gibt kein Ende. Das Ziel meiner gestalterischen Arbeit war, mich dieser Faszination für den Körper anzunähern. Ich versuchte meine Intuition zu reflektieren und malerisch das Motiv aus der Fläche heraus entstehen zu lassen. Auf diese Weise versuche ich einen anderen Zugang zum Motiv. Wie kann ich eine Intuition erklären oder rechtfertigen? Eine Frage, die mich weiterhin sehr beschäftigt. Gewisse Dinge passieren im Prozess. Es fällt mir schwer in eigenen Worten eine Erklärung zu finden, da ich es selten bewusst wahrnehme. Die Intuition ist der unmittelbare, erste Gedanke der auftaucht, bevor sich möglicherweise der Kopf einschaltet. Ich will lernen diesem Gefühl zu folgen und zu vertrauen. In Bezug auf die Malerei ist es ein Zusammenspiel zwischen meinem Körper als Physis und meine Gefühle als Psychis. Das, was ich während des Malens denke und fühle beeinflusst meine Art und Weise des Auftragens. Es waren Experimente, in denen ich versucht habe meine Innensicht nach aussen auf die Leinwand zu übersetzen. Egal mit welcher Motivation oder Haltung ich an ein neues Bild herangehe, es kommt nie genau das heraus, was ich mir vorgestellt habe. Zu Beginn habe ich oftmals viele Ideen, aber beim Malen erreiche ich sie selten. Durch zufällig, intuitiv gewonnene Motive sind einige positive Überraschungen entstanden. Diese Erfahrungen bezeichne ich als Wendepunkt in meiner gestalterischen Arbeit. Ich bleibe dran und versuche mich aufs Neue von geschaffenen Arbeiten freizumachen, um mit neuen Farbkombinationen, Techniken und Methoden zu experimentieren. Durch das Ausprobieren spüre ich, welche Geräte und Medien mir entsprechen. Ich bin an vielen Dingen interessiert, was mir hilft, neue Medien, Materialien und Techniken zu erforschen. 47


Ausblick Wenn ich meine eigenen Bilder betrachte, erscheinen sie mir so, als würden sie etwas über Menschsein und Identität erzählen wollen. Das Thema „Identität“ ist tief in mir verankert. Meine Herkunft und Geschichte lassen meine Persönlichkeit reifen. In einem nächsten Schritt würde ich folgender Frage nachgehen: Inwieweit beeinflusst meine Identität die Malerei bzw. die Malerei meine Identität?

48


QUELLEN 1

Phaidon Editors. (2016): Kunst und Körper. Berlin, Phaidon Verlag.

2

Sylvester, Daniel. (1994): Gespräche mit Francis Bacon. München, Prestel Verlag.

3

Sylvester, Daniel. (1994): Gespräche mit Francis Bacon. München, Prestel Verlag.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS 1

Zeichnung mit Ölkreiden auf Papier, 21 x 29,7 cm

2

Zeichnung mit Ölkreiden auf Papier, 21 x 29,7 cm

3

Öl- und Acrylmalerei auf Leinwand, 100 x 140 cm (Bilderserie: Transformationsprozess)

4

Öl- und Acrylmalerei auf Leinwand, 100 x 140 cm

5

Ölmalerei auf Papier, 42 x 29,7 cm

6

Collage aus farbigem Papier und alten Zeitschriften, 21,0 x 27,6 cm

7

Collage aus farbigem Papier und alten Zeitschriften, 19,5 x 28,5 cm

8

Ölmalerei auf Leinwand, 100 x 140 cm

9

Öl- und Acrylmalerei auf Leinwand, 100 x 140 cm

10

Zeichnung auf Papier, 21 x 29,7 cm

11

Zeichnung auf Papier, 21 x 297 cm

12

Ölmalerei auf Leinwand, 60 x 80 cm

13

Ölmalerei auf Karton, 30 x 40 cm

14

Ölmalerei auf Leinwand, 60 x 80 cm

15

Ölmalerei auf Leinwand, 80 x 120 cm

16

Ölmalerei auf Karton, 30 x 40 cm

17

Öl- und Acrylmalerei auf Papier, 40 x 80 cm

18

Öl- und Acrylmalerei auf Papier, 40 x 80 cm

19

Ölmalerei auf Leinwand, 80 x 120 cm

20

Zeichnung mit Bleistift und Ölkreiden auf Papier, 21 x 29,7 cm

21

Zeichnunge mit Filzstift auf Papier, 42 x 29,7 cm

22

Studie, Zeichnunge mit Filzstift auf Papier, 42 x 29,7 cm

23

Skizze, Zeichnung auf Papier 21 x 29,7 cm

24

Ölmalerei auf Leinwand, 40 x 80 cm

25

Ölmalerei auf Leinwand, 80 x 120 cm

26

Ölmalerei auf Leinwand, 80 x 120 cm

27

Ölmalerei auf Leinwand, 155 x 195 cm 49


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.