Erik

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THOMAS TATERKA lernen mußte, der Mund zu werden, durch den diese Sage aufs Neue reden will in der Sprache der Zeitgenossen, um die Ahnungen der Vorfahren erfüllt zu zeigen in einer glorreichen Gegenwart. (Jordan 1876: 31, 36; Hervorh. Th. T.)

Alles dies sind Varianten ein und derselben Stilgeste, des Sprechens „,through a greater mouth‘“ (Honko 1990c: 562). Sie erheischt das Sich-Auslöschen des persönlichen Sprechers, seine Inszenierung als bloßes Medium des heiligen Wortes: als reiner Spiegel. Die ausgefeilte Schriftkultur des 19. Jahrhunderts muss einschlägige Beglaubigungsund Beteuerungsgesten mit den armen Mitteln des gedruckten Wortes arrangieren. Im mündlichen Vortrag hingegen kann die Beglaubigung im performativen Dreieck zwischen Körper und Stimme und Dingobjekt sehr viel bezwingender vorgeführt werden, ad oculos et aures. Etwa bei tibetischen Sängern des Khan Ghesar, die sich so in Szene setzen: Before starting to sing, some artists would place a bronze mirror on the incense-burner table. They would first recite from the scriptures and then begin to sing while looking into the mirror. Those who sang the epic in that way would claim that they did not know the epic at all, but only acted as narrators, telling the people what they saw in the mirror. Without the mirror, they could tell nothing. Of course, ordinary people could see nothing in the mirror but their own reflections; this would be explained by the fact, that they are not related to the Gods. Only those who were fortunate enough to have been related to the Gods in some way could see the image and acts of King Gesar in the mirror. […] There were also performers who would hold a pièce of blank paper in their hands and narrate while reading this “heavenly book”. (‘Jam-dpal-rgyal-mtsho 1990: 479)

Nicht von ungefähr werden hier gerade Buch und Spiegel in der Rolle der dinglichen Zeugen vorgewiesen. Sie sind keine Requisiten. Sie sind Richtpunkte auf das Kollektive und auf das Göttliche, an denen die allzu subjektive Stimme des Sängers Peilung nimmt. Es sind eben die Richtpunkte, die uns oben bei Hegel und Wilhelm Grimm begegneten. Ein Seitenstück zur Stilgeste erzwungener Selbstauslöschung bildet die heilige Scheu der als „Mund ihrer Nation“ auftretenden europäischen Neoepiker, die glücklich verfertigten Texte nach ihrer Herstellung beim Namen zu nennen und sie freiheraus als das zu bezeichnen, als was sie doch erträumt und verfertigt wurden: nämlich als Epen, und als


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