2 minute read

Ekstase und Nachhaltigkeit

Ekstasen des Alltags.

| Jochen Dallmer

Advertisement

Nachhaltige Entwicklung gilt als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit - für westliche Industriegesellschaften besonders. Der

Ressourcenverbrauch ist zu reduzieren, was einige über modernere Technik zu erreichen hoffen (Ansätze der Effizienz und Konsistenz), andere über eine Veränderung der grundlegenden Bedürfnisse, also den Lebensstilen der Menschen. 1 Während sich zeigt, dass die Technik allein nicht ausreichen wird, es also dringend auch den zweiten Weg bedarf, so wird dieser bisher vorrangig von einer asketisch motivierten Debatte dominiert.

Hierbei besteht die Annahme, dass Nachhaltigkeit immer mit Sparsamkeit verbunden sein müsste; auf keinen Fall dürfen Ressourcen verschwendet werden. Es gilt so wenig wie möglich zu verbrauchen und dafür sich selbst zu beschränken. Der Übergang zur Askese ist fließend und gerne gelten auch mal historische „heilige Personen“ wie z.B. Gandhi als ein Idealbild des nachhaltig lebenden Menschen. Diese Vorstellungen knüpfen an klassische religiöse Konzepte von Extase an, dem Heraustreten aus dem irdischen Sein durch Gebet, Meditation, Trance, dem Abwenden vom irdischen, menschlichen Sein.

1 Vgl. Stengel, 2011. Alltagsgegenwärtige Ansätze von Ekstase stehen dem eher gegenüber, hier wird der Begriff mit einem rauschenden Fest, Drogenkonsum und/oder sexuellen Ausschweifungen verbunden. In wilder Lust werden alle Regeln und Maßgaben überwunden, ein eigener Kosmos entsteht, in dem es gilt für den Moment zu leben: die Ekstase. In Bezug auf die Nachhaltigkeit scheint dies jedoch kritisch: Ressourcen werden hier verschleudert für riesige Gelage, unsinnige Dekorationen, jeglichen Überfluß und alles nur für die schiere Lust. Soweit also ganz offenbar das Gegenteil von Nachhaltigkeit.

Auf den zweiten Blick eröffnet sich jedoch eine differenziertere Perspektive. In der Ablehnung jeglicher Ekstase findet sich in der asketischen Nachhaltigkeitsidee das Element der protestantischen Ethik wieder. 2 Hierbei ist nicht nur zu sparen, sondern auch alles sinnvoll zu investieren. Die Idee der Sparsamkeit ist verbunden mit der Idee von Nutzbarkeit, Produktivität und dem ständigen Streben und Arbeiten, dem Zuwachs der Wirtschaft. So gesehen bietet Ekstase eine Chance auf Ausbruch aus der Wachstumslogik. Eine Abkehr von der fortwährenden Logik des Produktiven und Nützlichen, ein Desinteresse an der Re-Investitionslogik. Ekstase lädt ein, alles zu

2 Vgl. Weber, 1920.

verschwenden, was gerade da ist. Damit kann es ergo in Zukunft nicht investiert und multipliziert werden. Das Glück stellt sich derweil unmittelbar und im Diesseits ein, bedarf also keines weiteren Fleißes in der Hoffnung auf Erlösung im Jenseits. Anknüpfend an Ideen von Bataille 3 spielen ekstatische Elemente somit verschiedene wertvolle Rollen: sie sind ein wichtiges Element zur Festigung sozialer Bünde und sie bieten elementare emotionale Erfahrungen. Sie befriedigen also jene Bedürfnisse, die heutzutage so oft mittels Konsum oder Arbeit kompensiert werden. Ekstase kann also ein Beitrag zu einer zukunftsfähigen Zivilisation sein, die von der konsum- und produktionsfokussierten Entwicklung abkommt. Und es ist sicherlich ein freudiger Beitrag, der das Bruttonationalglück des Landes erhöhen würde.

Keine Frage, es gibt viele Bereiche auf dieser Welt, in denen von Verschwendung keine Rede sein kann und denen unbedingt Ressourcen zufließen müssen, bzw. deren Raubbau gestoppt werden muss. Dies gelingt aber nur bedingt durch Sparsamkeit. Die Idee des Schenkens, Feierns und Verschwendens kann auch hier fruchtbar werden, um global Wohlstand zu transferieren.

3 Siehe zum Überblick Richardson, 1994, insbes. Kapitel 5: Expenditure and the general economy, S. 67-96.

Literatur

Richardson, Michael (1994): Georges Bataille. London: Routledge.

Stengel, Oliver (2011): Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise. München: Oekom.

Weber, Max (1920): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Ausgabe von Kaesler, Dirk (Hrsg.) (2004). München: Beck.

This article is from: