German Dream

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GERMAN DREAM Eine Nacht zwischen Traum und (Asyl)Realität

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INHALTSVERZEICHNIS Vorbemerkung 3 Entstehungsgeschichte 3 Warum dieses Stück? 4 Proben 4 Inhalt / Idee 5 Szenische Umsetzung 8 Kostüme 9 Bühnenbild 9 Licht 10 Ton / Musik 10 Fazit 11

Theoretischer Teil der Abschlussarbeit von Emir Ersahin Medienkunst / Mediengestaltung - MFA Bauhaus Universität Weimar 2018 Betreuer*innen: Anita Bertolami Jörn Hintzer Jakob Hüfner Georg Lichtenegger

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Vorbemerkung Nach meinem Bachelor in Graphic Design habe ich, motiviert durch meine Filmliebhaberei, das Masterstudium in Medienkunst mit der Fachrichtung Film angefangen. Im Laufe meines Studiums habe ich mich in verschiedenen Fachrichtungen spezialisiert, unter anderem im experimentellen Radio, elektro-akustischen Kompositionen, Ton- und Licht-Installationen sowie Medienphilosophie. Zu Zeit meines Bachelors hatte ich auch eine Phase von Theaterliebhaberei, aber konnte das Feld damals nicht weiter entdecken außer als Zuschauer. Während meines Masterstudiums habe ich mich als Medienpädagoge selbständig gemacht und meine vielfältige Erfahrung als Mediengestalter mit Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen geteilt. In dieser Tätigkeit habe ich über verschiedene Vereine / Träger bundesweit unter anderem Graffiti-, Streetart-, Podcast- und VideoWorkshops gegeben. Zudem engagiere ich mich seit einigen Jahren ehrenamtlich-politisch in den Kämpfen um das Bleiberecht von Geflüchteten. Entstehungsgeschichte Vor einem Jahr hatte ich die Gelegenheit, einen Theaterworkshop für geflüchtete Jugendliche zu geben und obwohl „Theater“ bis jetzt keiner meiner Schwerpunkte war, hat diese Zusammenarbeit auch im künstlerischen Sinne so gut funktioniert, dass ich seitdem hauptsächlich in dieser Richtung ehrenamtlich gearbeitet habe. Bei dem Theaterworkshop habe ich mit den Teilnehmenden ein gesamtes Konzept entwickelt, die Dramaturgie überlegt, das Drehbuch geschrieben, Rollen verteilt und alle weiteren künstlerischen Aufgaben (unter anderem Bühnenbild, Musik, Licht usw.) bis zur Schauspielregie gemeinsam konzipiert und umgesetzt. Das Ergebnis - das Stück „Blur of Hope“, eine szenische Inszenierung von Fluchtgeschichten, war für uns alle sehr beeindruckend (https://erithreater.webnode.com/). Durch diese inspirierende Erfahrung der Zusammenarbeit haben die Teilnehmenden und ich entschieden, als Theatergruppe „Erithreater“ weiterzumachen. Im Laufe der Zeit habe ich mir verschiedene Methoden angeeignet, selbst in einer Theatergruppe in Jena (Freie Bühne Jena – Montagsgruppe) mitgearbeitet und mit den Teilnehmenden weitere Ausdrucksmöglichkeiten und Ideen für Stücke entwickelt und ausprobiert. Egal welches Medium ich ausgewandt habe, es stand immer die inhaltliche Konzeption im Vordergrund. Während des Studiums habe ich immer wieder versucht, mich selbst und meine persönliche Wahrnehmung in verschiedener Art und Weise auszudrücken. Im Vergleich zu anderen Richtungen, in denen ich bis jetzt gearbeitet habe, war Theater die lebendigste und interaktivste. Meine Motivation wuchs mit der zunehmende Erfahrung, wie dieses „neue“ Medium magievoll funktioniert. Und weil es auch das aktuellste Medium ist, mit dem ich gearbeitet habe, habe ich mich entschieden, als Abschlussarbeit ein Theaterstück zu machen.

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Warum dieses Stück? Für die Abschlussarbeit wollte ich ein neues Stück selbst schreiben. Das Stück konnte nicht unabhängig von der Entwicklung und der Gruppe an sich gedacht werden. Ich habe nicht einfach ein Stück geschrieben, sondern dies nach einer längeren Erfahrung mit einer bestimmten Gruppe (Erithreater), die ihre spezifischen Herausforderungen mit sich bringt (geflüchtete Jugendliche). Ich habe die Jugendlichen dabei nicht nur als Menschen kennengelernt, sondern bin auch ihrer gemeinsamen Lebensrealität und ihrem Schicksal, das sie (und wir) in Deutschland haben, begegnet. Ich habe das Stück für die Menschen geschrieben, mit denen ich zusammen Kunst / Theater machen durfte, wobei ich auch ihr Leben näher kennenlernen durfte, sogar bis zu ihren sehr persönlichen Gefühlen wie Ängsten. Ich habe für das Stück als Oberbegriff „Abschiebung“ ausgewählt - weil im Großen und Ganzen, direkt und indirekt, in unserer künstlerischen Arbeit und auch außerhalb - ist das Thema (Aufenthaltsstatus) das Entscheidendste für ihre Lebensrealität. Nicht nur weil ich selbst gerade in Deutschland keinen sicheren Aufenthalt habe, sondern auch, weil mich das Thema in meiner politisch-künstlerischen Arbeit in den letzten Jahren bewegt hat, war es mir wichtig, diese menschliche Verletzung zum Thema zu machen. Ich sehe die Ausdrucksform des Theaters als eine Form des Widerstands gegen unmenschliche Praktiken. Abschiebung ist eine brutale Realität, die aber nur aus bestimmten Perspektiven als solche wahrgenommen wird. Viele Menschen in Deutschland ignorieren oder nehmen sie nicht wahr, weil das Thema in den Medien kaum präsent ist (oder wenn, dann nur in einer objektivierenden Sicht) und sie selbst keinen Kontakt zu Menschen haben, die von Abschiebung bedroht sind. Umgekehrt haben Geflüchtete kaum persönlichen Kontakt zur Außenwelt. Daher ist es auch ein Ziel unseres Projektes, das Thema öffentlich zu machen und darüber hinaus Empathie zu erzeugen. Wir wollten durch den Vergleich (deutsch versus Asyl) auch ein Gegenbeispiel zu dem Diskurs über das, was Geflüchtete „falsch“ machen, erzeugen und schildern, dass sie ein nicht einfaches Leben haben in ihrer Existenz sowie für ihre Psyche. Das spiegelt sich auch in der realen Proben/Gruppensituation wider: die Jugendlichen machen Theater, aber eigentlich stehen sie jeden Moment vor dem Ende ihrer Zukunft. Diese Spannung finde ich sowohl politisch wichtig, persönlich essentiell und auch künstlerisch interessant. Proben Die Proben waren für die Teilnehmer eine Alternative zu ihrem monotonen Alltag, eine Möglichkeit, aus ihrem Heim raus zu kommen und an etwas Produktivem mitzuwirken. Die Proben finden regelmäßig einmal pro Woche in einem Jugendklub in Apolda statt. Gestartet haben wir den Probenprozess mit vier Leuten, von denen allerdings 2 im Laufe der Zeit aufgrund verschiedener Ereignisse, die auch spezifisch für die Asylrealität sind, ausgeschieden sind (Familienzusammenführung nach FF/O, Arbeitsaufnahme in Düsseldorf). Solche Ereignisse stellten stets eine Herausforderung dar. Mir fehlte plötzlich ein Teil der Besetzung, dadurch verlängerte sich der Probenzeitraum und wir mussten umdisponieren. Gleichseitig gaben diese Veränderungen Anlass für neue Ideen und damit Inspirationen, scheinbar gesetztes neu zu denken, negative Ereignisse positiv zu verarbeiten, immer am Denken zu bleiben und flexibel zu reagieren.

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Inhalt / Idee: Den Text habe ich selbst geschrieben. Als Grundlage wählte ich ein experimentelles Lied aus („Cacik“ von Baris Manco) , um mich an dessen Struktur anzulehnen und von dessen bildhafter Sprache inspirieren zu lassen1. Nicht, dass Ihr etwas falsch versteht, liebe Leute, aber gerade fühle ich mich wie ein Deutscher. Ich liege in meinem großen Bett in meinem gemütlichen Schlafzimmer, das ich ganz für mich alleine habe. In meinem Traum mähe ich den Rasen, weil ich das heute nicht geschafft habe. Oh nein… Steuererklärung...Geburtstagsvorbereitung... muss auch alles noch gemacht werden. Aber ich freue mich schon auf mein leckeres Frühstück: BioMüsli mit Schokocrunch… Rührei mit Schinken, frisch gepresster Orangensaft… Och, wie nervig, auf dem Weg zur Arbeit stehe ich wiedermal im Stau. Aber endlich habe ich einen unbefristeten Vertrag bekommen! Der Job ist etwas langweilig, aber dafür verdiene ich mehr! Vielleicht, vielleicht kann ich mir sogar demnächst ein neues Auto leisten? Endlich mal kommt die Sonne raus, ich gucke aus dem Fenster... Oh wie gerne wäre ich jetzt im Urlaub. Ich gucke gleich mal nach Angeboten: Wow, Mauritius (leider zu teuer), Thailand (zu heiß), Ägypten (zu gefährlich), Teneriffa (langweilig), ahh Karibik – nicht schlecht. Da fliege ich hin! Auf dem Rückweg nach Hause muss ich noch einkaufen, heute Abend gibt es eine Grillparty im Garten von Freunden. Echt netter Abend, habe allerdings ein bisschen zu viel Bier getrunken. Bevor ich ins Bett falle, fällt mir noch ein, dass ich schon wieder vergessen habe, den Rasen zu mähen... Nicht falsch verstehen , liebe Leute, gerade fühle ich mich wie ein Deutscher. Ich kann ganz in Ruhe in meinem Bett einschlafen.… Heute werde ich nicht abgeschoben – (morgen vielleicht schon)

1 Im Laufe der Probenzeit haben wir die ursprüngliche Idee, Darstellung und Musik stark an der Struktur des Originals zu orientieren, verworfen und uns auf allen Ebenen weiter davon wegbewegt. Dennoch bildet das Lied die Ausgangsund Inspirationsbasis für unser Stück.

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Der von mir geschriebene Text bildet die Basis für die Stückentwicklung, er wird von einem Protagonisten gesprochen, von einem Musiker begleitet und von einem weiteren Akteur schauspielerisch dargestellt. Legende: Sprecher: Figur 1 Pantomime: Figur 2 Musiker: Figur 3 Um ein Thema annähernd darzustellen, in dem so viele Ebenen verwoben sind (globale, lokale, persönliche, politische, administrative, finanzielle, Gefühle, Einschnitte des Lebens und der eigenen Zukunft bis hin zum möglichen Verlust des Lebens,…) , habe ich sowohl in Text- als auch Bildsprache ebenfalls verschiedene Ebenen gewählt, die ausschnittartige Einblicke zulassen. Aus der Erfahrung heraus, dass die Kategorie „unsicherer Aufenthalt“ ein zentrales Element ist, dass Verstehen (fast) unmöglich macht und Menschen physisch sowie in ihrer Wahrnehmungs- und Erfahrungswelt von einander trennt, ist die Idee entstanden, eine Brücke zu schlagen zwischen der „deutschen“ Lebensrealität und der eines geflüchteten Menschen bzw. diese miteinander zu kontrastieren. Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft können die Realität und die Bedeutungen der Asylgesetze für die Betroffenen selten nachvollziehen, diese bewegt sich sogar oft „unterhalb der Wahrnehmungsebene“2. Zudem werden medial rassistische, klassistische und “fremden“feindliche Bilder und Strukturen transportiert – es wird über die Minderheit gesprochen, sie selbst kommen in der Öffentlichkeit kaum zu Wort3. Der Alltag von (deutschen) Staatsbürger*innen mit sicherem Aufenthalt mit all seinen kulturellen Strukturen (Gewohnheiten, Bürokratie, Institutionen, Werten etc.) ist hingegen für Migrant*innen/Newcomer oft unverständlich bzw. wirkt absurd, vor allem, wenn sie aus der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen sind daraus speisen sich eine Menge an Klischees über „die“ Deutschen. Dieses Spannungsfeld fand ich sehr interessant und lohnenswert künstlerisch näher zu untersuchen. Die Entscheidung, die Geschichte von der Seite der deutschen Privilegien her zu erzählen, bietet die Möglichkeit, trotz des deprimierenden Themas Abschiebung Ironie und Witz zu Gehör kommen zu lassen, gegenseitige Klischees unter die Lupe zu nehmen sowie Menschen mit sicherem Aufenthalt ihre Privilegien bewusst werden zu lassen und dadurch einen Beitrag zur Sensibilisierung zu leisten. Der Text wird aus der Perspektive eines Geflüchteten in Form eines Traumes erzählt und den Realitäten gegenübergestellt. Bei der Formulierung war mir wichtig, dass gewöhnliche Tätigkeiten und Ereignisse vorkommen, die beispielhaft für einen „deutschen“ Alltag stehen und die einen Wiedererkennungseffekt sowohl für Deutsche als auch für Nichtdeutsche haben. Daher ist der Rückgriff auf Klischees beabsichtigt. Gleichzeitig sollten diese inhaltlichen Elemente ein Äquivalent in der Asylrealität haben bzw. dazu in Kontrast gesetzt werden können. Das „gemütliche Bett“ im eigenen Schlafzimmer steht der Lage in einer Sammelunterkunft gegenüber, in der viele Menschen ein Zimmer teilen müssen, in dem sie sich nicht zu Hause fühlen, oft nachts nicht schlafen können und sich gegenseitig stören (durch Rauchen, Lärm usw.). Aufgaben wie „Rasen mähen“ und „Steuererklärung erledigen“ stellen langweilige lästige (kulturspezifische) Verpflichtungen in einem etablierten deutschen Alltag dar, die für Menschen 2 3

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Albrecht-Heide, Astrid: Unterhalb der Wahrnehmungsebene oder: Der Verlust des Mitgefühls Spivak, Chakrabarty: Can the subaltern speak?


ohne Aufenthalt (aus einem anderen Land) oft unbekannt sind und als Merkmal für „typisch deutsch“ wahrgenommen werden. Die Ernsthaftigkeit, mit der diese Tätigkeiten in Gesprächen oder im Alltag verfolgt werden, scheint für Menschen, die diese kulturellen Gegebenheiten nicht kennen (z.B. Steuersystem, sozialer Druck eines gepflegten Gartens etc.), bisweilen absurd und unsinnig. Das Frühstück ist eine Anspielung auf kulturelle Normalitäten und Unterschiede in Essengewohnheiten, Konsumbedürfnissen und standardisiertem Luxus bis hin zu der Tatsache, dass „Bio“ nur in Industriestaaten als Antwort auf die industrielle Ausbeutung des Bodens und der Massentierhaltung eingeführt wurde, während in anderen Regionen der Welt z.T. noch natürlich angebaut wird, andererseits viele Staaten unter den Konsumbedürfnissen der Industriestaaten zu leiden haben (z.B. bedeutet „Bio“ nicht automatisch faire Produktionspreise, die Nachfrage der Industriestaaten führt auch zu erhöhtem Einsatz an Pestiziden und Massenproduktion in sogenannten „Entwicklungsländern“). Der Abschnitt „sicherer Arbeitsvertrag“ markiert eindeutig den Kontrast zu fehlenden Arbeitserlaubnissen von Menschen ohne sicheren Aufenthalt bzw. der Notwendigkeit, unqualifizierte/prekäre Jobs mit unsicheren Bedingungen anzunehmen. Zudem beinhaltet das Wortspiel einen Hinweis auf gravierende soziale Ungleichheiten: Während sich der Eine nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag sehnt, sehnt sich der Andere nach einem unbefristeten Visum (die eigentliche Grundlage für das Aufbauen einer Existenz, das Planen der nahen Zukunft etc.); der Eine kann sich ein neues Auto leisten, der Andere nicht mal eine Wohnung oder einen Führerschein. Gleichzeitig steht hier das Bedürfnis nach Absicherung („langweilig, aber ich verdiene mehr“) und die tatsächliche Routine dem Ideal der Selbstverwirklichung entgegen, die aufgrund von Privilegien möglich sein könnten. Die Urlaubsszene verdeutlicht die mit der Bewegungsfreiheit verbundenen Privilegien im Gegensatz zu diskriminierenden Gesetzen wie Residenzpflicht und Grenzregimen, die nur einseitig durchlässig sind. Durch die ungleichen Visa-Bestimmungen haben Menschen aus reichen Ländern viele Möglichkeiten, ins Ausland zu reisen (oder zu migrieren), Menschen aus armen Ländern dagegen fast gar keine, da selbst hohe Hürden für Touristenvisa existieren. So werden Menschen manchmal zu Illegalisierten, die eigentlich Migrant*innen oder sogar Tourist*innen sein könnten. Darüber hinaus spielt der Textabschnitt („Ägypten – zu gefährlich“) auf bestehende Diskurse um eine „Gefahr durch Migranten“ an, in denen die tatsächlichen Gefahren der irregulären Migration bzw. des gefährdeten Aufenthalts in Deutschland dethematisiert werden: Wer gilt als schutzbedürftig, wessen Sicherheit sollte gewährleistet werden? - Dies ist auch eine Frage der (eurozentristischen) Definitionsmacht. In der Szene der Freizeitgestaltung schwingt die Diskrepanz mit zwischen der Freiheit, seinen Abend frei zu gestalten und Freunde zu sich nach Hause einladen zu können versus Besuchszeiten in Sammelunterkünften bis 22 Uhr sowie kaum vorhandene Privatsphäre. (Weitere Aspekte s. S. 7/Bühnenbild). Besonders im letzten Abschnitt („Bevor ich ins Bett falle“) werden die Sorgen thematisiert, die die Figuren vom Einschlafen abhalten. Diese sind in ihrer Gegensätzlichkeit makaber: Auf der einen Seite die Sorge um das Lästern der Nachbarn aufgrund des vergessenen Rasenmähens – auf der anderen Seite die Sorge, in der Nacht abgeschoben zu werden. Die Fragen, die die Erzählung des mehrheitsdeutschen Alltags (und indirekt des Asylalltags) aufwirft, sind universeller Natur: Was ist im Leben wichtig? Was bedeutet Stress? Welche Sorgen habe ich? Was macht mir Freude? Diese Fragen könnten tendenziell von allen Menschen individuell 7


beantwortet werden, dennoch zeigen sich gerade an diesen Fragen die unterschiedlichen Positionen in der Gesellschaft, in der Selbstverständliches für den Einen für den Anderen eine Existenzverhinderung sein kann - oder scheinbar Belangloses für den Anderen das Wesentliche für den Einen. Dabei werden Staatsbürgerschafts- und Aufenthaltsprivilegien bzw. Barrieren bewusst gemacht. Gleichzeitig wird der deutsche Alltag nicht als durchgängig positiv, sondern durch viele Kleinigkeiten eingeengt dargestellt. Somit stellt das Stück auch eine übergreifende Frage: Wie nutze ich meine Chancen und Potenziale? Szenische Umsetzung Für mich war es am wichtigsten, dass die Mitglieder der Gruppe den Text 100% verstehen und den Inhalt sowie die Änderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten mitgestalten. Weil im Vergleich zu unserem ersten Stück „Blur of Hope“ das neue Stück „German Dream“ von mir selbst geschrieben ist, war es das Wichtigste für mich, dass die Gruppe das Stück als Ihr zweites und eigenes Stück akzeptiert, wahrnimmt und weiterbringt. Dabei ging es vor allem um Ausprobieren und „learning by doing“, über sich selbst lachen zu können, humorvoll und sarkastisch mit dem Inhalt umzugehen, zu diskutieren, zu ändern, zu entwickeln,… . Der Prozess für die Teilnehmer, sich das Stück anzueignen, war ein Prozess der Transformation: Die Basis war ihr Thema, das ich aus meiner Perspektive künstlerisch bearbeitet hatte. Sie mussten es sich dann wieder-aneignen und für sich passend umsetzen, was wiederum durch meine Regie begleitet wurde - ein künstlerischer und politischer Prozess, von dem das Endprodukt selbst nur einen Ausschnitt darstellt. Am Anfang gab es nur den Text und keine Inszenierung. Die ersten Aufgaben waren (nachdem wir uns über Text und Inhalt verständigt hatten): Wie könnte man die einzelnen Sätze und Absätze darstellen, verdoppeln oder Kontraste finden, mit der Darstellung den Inhalt verstärken, ihre Ideen vergleichen und dann zusammenschmelzen; welche Darstellung kann wegfallen, welche sollte unbedingt bleiben? Welcher Ausdrucksform ist stärker, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt? Welche Geste lenkt ab, was kann man dagegen machen - weglassen oder weiter versuchen zu verbinden? Dann ging es darum, die Dramaturgie zu überlegen, Entscheidungen (wie z.B. das Intro [Schlaftanz] drin zu lassen oder wegzulassen). Daraufhin haben wir Menschen / Freunde eingeladen, unsere Proben zu beobachten, damit wir sehen können, wie die Inszenierung wirkt und vom Publikum interpretiert werden könnte. Weitere Aspekte waren: Über Licht und Atmosphäre nachzudenken und diese sich vorzustellen, die Verständlichkeit und Aussprache zu verbessern, die Körpersprache zu verbessern, manche Inhalte deutlicher zu machen, über das Publikum und die Aufführung nachzudenken – und vor allem den Fokus klar zu machen, da sich 3 Darsteller mit 3 verschiedenen Mitteln auf der Bühne ausdrücken, damit nicht alles gleichzeitig stattfindet und es eine klare Dramaturgie und Rollenverteilung gibt, der Ablauf deutlicher und ruhiger und trotzdem nicht monoton und langweilig wird. Viele Ideen wurden entwickelt und wieder verworfen, z.B. haben wir anfangs für die Darstellung Kontraste gesucht: Als der Hauptprotagonist euphorisch von einer netten Gartenparty erzählt, sollten gelangweilte Partygäste schweigend ihr Bier trinken ohne wirkliche Unterhaltungen – das Gegenteil von dem, was man von einer „netten Party“ erwartet. Weiterhin gab es zusätzliche Ideen, die im Text nicht vorgekommen sind, aber doch darstellerisch vorkommen könnten, zum Beispiel beim Thema „Rasen mähen“ die Nachbarschaft und die Konfliktpotenziale durch die Lautstärke zu thematisieren.

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Nachdem so viele Ausdrucksformen und Möglichkeiten gesammelt worden waren, haben wir angefangen zu selektieren. Bei der Auswahl haben wir darauf geachtet, welche Darstellung das jeweilige Gefühl verkörpert und was die Zuschauenden eher ablenken könnte. Am Ende haben wir uns entschieden, dass nicht unbedingt jedes Gefühl und jeder Gedanke in Gesten dargestellt werden sollte. Wir haben uns entschieden, dass die zwei Darsteller auf der Bühne eigentlich zwei Teile einer Person verkörpern sollen, die verbal mit dem Publikum und nonverbal mit sich selbst kommuniziert bzw. in ihrem Traum ein anderer wird und sich selbst vor sich sieht und beobachtet. Dabei standen wir vor der Herausforderung, dies dem Publikum deutlich zu machen. Wir haben ein Intro, das wir „Schlaftanz“ genannt haben, choreographiert. Das sollte unter anderem die Traumwirkung verdeutlichen und verstärken. In der Szene begegnen sich die beiden Schauspieler, erstaunen und versuchen zu verstehen, wer und wo sie sind. Beim Herausfinden spiegeln sie sich in ihren jeweiligen Bewegungen in einem Tanz. Im weiteren Verlauf des Stückes treten diese Elemente bzw. Hinweise wieder auf, in dem Figur 1 nachdenklich Figur 2 beobachtet oder Figur 2 die Aussagen von Figur 1 pantomimisch begleitet. Nachdem während des Stückes eher lustige oder ironische Elemente dominieren und sich die Darstellung auf eine Imagination einer klischeehaften deutschen Alltagsrealität bezieht, kommt die Dramaturgie im Finale zu ihrer Pointe, in dem die Darsteller aus dem Traum zurück in ihre (Asyl)Realität geworfen werden. In diesem Moment wird das Wort „Abschiebung“ ein einziges Mal erwähnt und schließt gleichzeitig das Stück ab – als ein Cut, der symbolisch auch für die abrupte Grenze bzw. den Einschnitt im wirklichen Leben steht. Dies wird im Folgenden durch ein Licht/Dunkelspiel und das schrittweise Verschwinden der Figuren unterstützt. Zum Schluss bleibt nur der Musiker auf der Bühne übrig - als ein Synonym für das, was bleibt und weitergeht. Das Ende des Stücks führt gleichzeitig auch zum Übergang von der Bühne zur Realität. Kostüme Die Kostüme sind in Grau- und Schwarztönen sehr einfach gehalten. Figur 2 trägt „Hauskleidung“ (Jogginghose, T-Shirt, Socken), die als Schlafanzug oder eine klischeehafte Kleidung von Menschen in Sammelunterkünften (nicht zur Arbeit gehen müssen, keine Tagesstruktur haben usw.) gedeutet werden kann. Figur 1 trägt ein Jackett als Symbol für „etabliert sein“, angestellt sein, „Integration“, zu den „Gewinnern“ der Gesellschaft zu gehören mit einem Glitzer-T-Shirt, das etwas die Spießigkeit des Anzugs bricht und den scheinbar spannenden Teil symbolisiert („Checker“, Traum eines coolen Lebens). Gleichzeitig ist dies als Anspielung auf Mode gedacht, die scheinbar Individualität ermöglicht, obwohl eigentlich alle das Gleiche tragen, machen und denken. Bühnenbild Die Mindestgröße für die Bühne sollte 4 x 7 Meter sein. Da wir noch keinen festen Aufführungsort gefunden haben, muss dies ggf. noch angepasst werden. Das Bühnenbild ist sehr schlicht gehalten, es gibt einen Stuhl auf der Bühne, der vielfältig als Requisit verwendet wird (und einen zweiten Stuhl, auf dem der Musiker sitzt). Außer einem Blatt Papier kommen keine weiteren Requisiten vor. Der Traum kann überall auftreten, er ist nicht an einen spezifischen Ort gebunden, alles kann im Traum vorgestellt werden, obwohl eigentlich nichts da ist – ein undefinierter Raum als Kulisse. Die

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karge Raumgestaltung mit einem alten Stuhl erinnert zudem an die Zimmerausstattung von Sammelunterkünften, in denen das einzig Bewegliche (neben Spind, Tisch und Bett) ein Stuhl ist. In der Szene „Grillparty“ wird zusätzlich Konfetti eingesetzt, um die Euphorie über den „Feierabend“ - eine eigentlich unspektakuläre Grillparty - zu verdeutlichen. Diese Situation ist im doppelten Sinne die einzige mit Potenzial für eine spannende Entwicklung im Leben der Protagonisten - sowohl für den Deutschen in seinem sonst hektischen durch-strukturierten Alltag als auch für den Geflüchteten als einzige Möglichkeit, soziale Kontakte mit der Außenwelt zu knüpfen. Licht Weil wir keine Gelegenheit hatten, Proben mit professionellem Licht zu machen, haben wir die Lichtsituation vorerst nur in unseren Köpfen geplant und können diese erst umsetzen, wenn wir einen Aufführungsort gefunden haben werden. Das Licht soll ähnlich wie das Bühnenbild nur minimal gestaltet werden. Es wird ein dämmriges Licht geben, das nicht den ganzen Raum ausleuchtet, sondern nur die 3 Figuren auf der Bühne im Fokus hat. Alternativ werden nur die Figuren mithilfe von Verfolgern direkt beleuchtet, der restliche Raum bleibt komplett dunkel. Dies soll die beschriebene Traumatmosphäre erzeugen, man weiß nicht genau, wie groß der Raum ist, wo er anfängt oder wo er endet. Am Anfang des Stückes gibt es als Begleitung des Schlaftanzes einen dezenten Nebel als visuelle Verstärkung. Das Licht untermalt die dünne Grenze zwischen Traum und Realität, Schlafen und Aufwachen, das Verwirrtsein - der erste Moment des Aufwachens, in dem man nicht weiß, ob alles passiert ist oder doch nur ein Traum gewesen ist. Die harten Lichtwechsel im Finale stellen im Kontrast dazu den Übergang in die Realität dar. Ton / Musik Der Einsatz und die Funktion der Musik hat sich im Laufe der Stückentwicklung verändert. Ursprünglich gab es in Anlehnung an das Originalmusikstück die Idee, dass die Musik als feststehende sich wiederholende Melodie durch das Stück führt und ihm Struktur gibt. In der Mitte der Probenphase ist der Musiker wegen seines Umzugs ausgestiegen. Dies zwang uns das Konzept zu überdenken und neu zu überlegen. Glücklicherweise hatte ich Kontakt zu einem Musiker aus Weimar, der selbst Geflüchteter ist, Oud (Laute) spielt und Improvisation beherrscht. Da die Oud ein Instrument aus dem arabischen Raum ist, passte dies thematisch sehr gut zu der Gegenüberstellung Deutsche – Geflüchtete. Daraufhin haben wir das Konzept für die Musik so verändert, dass die Musik nun selbst eine eigene Rolle spielt, die Geschichte und ihre Figuren in ihrer Darstellung begleitet, den Ausdruck der Stimmung und Gefühle verstärkt oder dem ironisch entgegenwirkt. Der Musiker hat lediglich eine inhaltliche/thematische Vorgabe (er ist mit dem Text und dem Inhalt vertraut und hat eine Regieanweisung, welches Gefühl an welcher Stelle transportiert werden soll) und improvisiert seine musikalische Interpretation jedes Mal neu. Dadurch ist jede Aufführung neu und anders. Es gibt nur einige feststehende Dinge, wie z.B. eine wiedererkennbar deutsche Melodie bei der Textpassage „heute fühle ich mich wie ein Deutscher“. Die Musik ist im Stück auch eine Kommunikationsform - sowohl eine eigenständige Stimme als auch im Zusammenspiel mit den Figuren ein Teil der gemeinsamen Stimme. Figur 1 (verbal) Figur 10


2 (pantomimisch) und Figur 3 (musikalisch) stehen für 3 Blickwinkel oder drei Formen von Kommunikation. Sie alle versuchen gemeinsam und jeder für sich eine einzige Geschichte auf mehreren Ebenen zu erzählen – alle Kommunikationsformen verschmelzen zu einer Person. Zudem hat die Musik bzw. Figur 3 auch die Funktion, das Stück dramaturgisch zu unterstützen, einzelne Abschnitte miteinander zu verbinden und das Gesamte abzurunden. Fazit Die Arbeit an diesem Stück stellt eine Zusammenfassung meiner inhaltlichen und künstlerischen Beschäftigung während meines Studiums dar und bot mir die Möglichkeit, alles in einem Projekt zu verbinden. Die Anforderung, meine Theaterinszenierung als ein Video abgeben zu müssen, ist alleine eine Entscheidung, die neue medienkünstlerische Fragen aufwirft. Ich habe mich entschieden, so wenig wie möglich filmische Elemente zu kreieren und das Stück möglichst dokumentarisch aufzuzeichnen, um so nah wie möglich an der Perspektive der Theaterzuschauer*innen dran zu bleiben.

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