zum Titelthema
Vor ein paar Tagen beobachtete ich mitten in der Nacht auf einer Autobahnraststätte einen Mann, der an einem Glücksspielautomaten spielte. Er saß irgendwie lässig da, aber doch war seine Aufmerksamkeit voll auf die sich vor ihm drehenden blinkenden Walzen gerichtet, die immer mal wieder stehen blieben – um dann sofort wieder von ihm in Gang gesetzt zu werden. In der Hand hielt er Bündel Euroscheine, die er sofort in den Automaten steckte, wenn die Gewinnanzeige auf Null ging. Nur wenn er das tat, schien er kurzzeitig aufzuwachen, um dann wieder in seine seltsame Körperhaltung zurückzukehren. Ein Spielsüchtiger, ganz offensichtlich. Für mich war klar: Dieser Mann ist die meiste Zeit in einer Art Trance. Er ist vollkommen in diesen bunten, sich drehenden Lichtern versunken. Ich hörte eine innere Stimme: Er sucht Gott! Gott? In dem Automaten? Ich dachte nach. Ich überlegte, was wir Menschen von Gott und dem Göttlichen erwarten. Liebe, Geborgenheit, Fülle, Wunder, Heilung und Befreiung von Schmerz und Pein. Das ist, was dieser Spieler möglicherweise kurzzeitig erlebte, während die Walzen des Schicksals sich drehten und er hin und wieder gewann. Der Automat ist also seine spirituelle Quelle. Er führt ihn in einen anderen Bewusstseinszustand, in dem er seinen Lebensschmerz für eine Zeit nicht mehr spürt. Wenn die Walzen bei 777 halten und einen Gewinn ausspucken, fühlt er sich belohnt und geliebt. Glücklich machende Chemikalien werden in seinem Gehirn ausgeschüttet. Wenn er gar eine Gewinnserie hat, fühlt er sich wie im Märchen »Sterntaler«. Es ist magisch, es ist unbegreiflich, es ist wundervoll. Dann ist das Geld aus – und er kommt wieder, der Schmerz. Und jetzt vielleicht doppelt und dreifach.
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Schmerz, aller Schmerz, ist letztendlich per Definition das Zusammenspiel von Trennung und Sehnsucht. Die Trennung von und die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen erzeugt Schmerz, besonders wenn die Sehnsucht unerfüllbar ist oder einfach JA 06-07/2015
erscheint. So ist es auch mit Geborgenheit, Erfolg, Fülle. So ist es auch mit der Sehnsucht nach der Einheit mit dem Göttlichen und der Seele. Dieser Schmerz kann sich körperlich, psychisch oder spirituell äußern. Er treibt die Menschen zu Ärzten und Heilern und eben auch in die Sucht: Drogen, Alkohol, Spielsucht, Shoppingsucht oder Verhaltenssüchte. Darunter fallen Geldvermehrungssucht, Geltungssucht, Kommunikationssucht (Twitter, SMS und Konsorten), die Sucht nach emotionalen Kicks aller Art und Todessehnsucht in allen möglichen Spielarten. Alle diese Süchte kommen letztendlich aus der verzweifelten Sehnsucht danach, ein wirklicher Mensch sein zu dürfen, der eine ungehinderte Verbindung zu seiner Seele, seiner göttlichen Natur und zum Göttlichen selbst hat. Das sind Urbedürfnisse. Es sind die ganz großen Glücksfaktoren des Lebens. Wenn diese nicht ausreichend erlebt werden, entsteht Schmerz und dieser Schmerz führt zur Suche, und wenn nicht erfüllt – zur Sucht. Zentral ist der Trennungsschmerz von Gott. Er entstand nach der »Vertreibung aus dem Paradies«, dem Verlassen Lemurias. Dies war ein wichtiger und notwendiger Entwicklungsschritt, denn nur so konnte sich der Mensch emanzipieren und sich auf die Wiedervereinigung als Mitschöpfer vorbereiten. Jetzt gab es aber die Möglichkeit, Gott zu verleugnen, was auf Lemuria undenkbar war. Die dadurch zunehmende Versündigung gegen das Göttliche und seine Grundlagen brachte neuen und tieferen Trennungsschmerz, den bis heute alle Menschen in sich tragen. Nach wie vor ist er ein Motiv und Antrieb für die Suche nach der Einheit, und dadurch ein »guter« Schmerz, den man in einem erfüllten Leben nicht nur »aushalten« sondern auch sehr positiv einsetzen kann. Dieser Schmerz motiviert Mitgefühl, Dienst am Nächsten, Vergebung, sich für andere einzusetzen und großartige Kreationen im Bereich Kunst, Musik, Literatur. Es ist auch der Schmerz, der uns immer »nach Hause« ruft und damit ein Antrieb, dieses Versprechen einzulösen.
Foto: © Karim Muasher
Liebe dich für deine Suche, deine Sehnsucht – und verstehe sie.