Freiwillige berichten: Frank Sandner

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NACHRICHTEN

Nummer 21

Donnerstag, 26. Januar 2006

Eine Frau in traditioneller Kleidung mit Kind auf dem Rücken. Taxi-Fahrer im (oben li.) Smog geplagten Quito. Soldaten lassen Schuhe von Kindern putzen. Der Tungurahua-Vulkan, 120 Kilometer südlich von Quito, ist aktiv. Ein ecuadorianischer Fußballfan. Fotos: Storck, AP, dpa, Simon

Zivildienst in der Andenmetropole Quito Auslandsaufenthalt rechtzeitig vorbereiten – Stuttgarter Abiturient über seinen Alltag in Ecuador

I

ch stehe am Fenster im achten Stock und betrachte das Häusermeer von Quitos Neustadt, die sich am nordwestlichen Rand Südamerikas, ziemlich genau auf dem Äquator befindet. Ich arbeite seit fünf Monaten bei der evangelischen Fundacion Esperanza im Norden von Quito. In diesem Bildungs- und Rehabilitationszentrum werden behinderte Kinder und Erwachsene, teils auch ganz normale Kinder von 8 bis 16.30 Uhr betreut. Die Arbeit der Stiftung finanziert sich größtenteils durch Spenden von Firmen und Organisationen im In- und Ausland, da die Familien der Kinder meist mittellos sind. Ich arbeite fünf Tage die Woche und habe vier Wochen Urlaub. Die Unterstützung durch deutsche Freiwillige wird durch Ecuador-Connection, eine gemeinnützige Einrichtung mit Sitz in München, organisiert. Wer sich alternativ zum Wehrdienst für den Auslandszivildienst interessiert, bewirbt sich bei einer der Institutionen (siehe Internethinweis). Da der Ansturm auf die Plätze jährlich steigt, muss man häufig ein „richtiges“ Bewerbungsverfahren durchlaufen. Man kann sich schon ab Herbst des Vorjahres um einen der begehrten Auslandsplätze bemühen. Die Angebote mit dem höchsten Zulauf

finden sich in Südamerika. Die Kultur ist fremdartig und faszinierend zugleich. Ich habe Ecuador auf Grund der Sprache gewählt. Kirgisien wäre auch möglich gewesen, aber es war schon lange mein Wunsch, Spanisch zu lernen. Es zu sprechen fällt mir schon viel leichter, ich wohne nämlich mit einem Deutschen und einer Ecuadorianerin in einer WG. Die Studentin sprach uns auf der Straße auf Englisch an, ob wir eine Wohnung suchten. Sie meint, sie lebt lieber mit Ausländern zusammen als mit Ecuadorianern. Vielleicht liegt es an deren scheinbar besseren Zahlungsfähigkeit. Dieses Land birgt für einen Europäer viel Neues und Erstaunliches. Geht man im größten Park der Neustadt spazieren, vergisst man beim Betrachten der etlichen Bürohochhäuser alle Probleme Quitos. Eines der bedenklichsten ist dabei wohl die Kriminalität. Nach halb neun Uhr abends ist es sehr gefährlich, in der Stadt zu Fuß zu gehen. Außerdem ist es mir schon zur Gewohnheit geworden, meine Wertsachen im Bus ständig in der Hand zu halten. Schnell wird das Ungewohnte zum Alltag. Um acht Uhr, wenn in Quito meistens schon die Sonne scheint, fahre ich mit dem Fahrrad eine halbe Stunde in die evangelische Fundacion Esperanza. Möglichst vor-

bei an den abgasgesättigten Hauptstraßen der von Smog geplagten Andenmetropole. Um halb neun sind dann meist alle Kinder eingetroffen, und es gibt Frühstück. Abwechselnd helfen wir drei deutschen Freiwilligen in unterschiedlichen Gruppen mit fünf bis fünfzehn teils schwerbehinderten und gesunden Kindern. Für mich ist die Arbeit mit Behinderten etwas ganz Neues. Viele Ecuadorianer, die meisten sind katholisch, begründen ihr Schicksal als gottgewollt und nehmen somit ihr Leben nicht selbst in die Hand. Auf Grund der extremen

Horizont erweitern und eine neue Sprache lernen sozialen Ungerechtigkeit versuchen viele in Ecuador, mit unglaublicher Kreativität ihren Lebensunterhalt zu sichern. Einige verkaufen in Linienbussen Süßigkeiten, andere versuchen, die Fahrgäste in fröhliche Spiele einzubinden und durch lustige Unterhaltung die Kaufbereitschaft zu erhöhen. Die, die dazu nicht in der Lage sind, können sich nicht auf ein funktionierendes Sozialsystem stützen und landen in den Slums am Rand der Stadt. Man muss hier als Freiwilliger öfter das

Vorurteil aus dem Weg räumen, dass einem Geld in rauen Mengen zur Verfügung steht. Da der Lebensunterhalt für einen Freiwilligen kaum günstiger ist als in Deutschland, muss man mit 6000 Dollar für ein Zivildienstjahr rechnen. Monatlich bekomme ich ungefähr 30 Euro an Spenden aus der Fundacion. Den Rest muss ich entweder selbst aufbringen oder auf die Unterstützung meiner Familie hoffen. Deshalb ist es sinnvoll, vor dem geplanten Auslandszivildienst Geld durch einen Ferienjob im Voraus zu verdienen. Die einfachere Variante: Man sucht sich Mentoren aus, die einen während dieses Jahres finanziell unterstützen. Vom Staat gibt es außer Kindergeld nichts. Auch wenn der Zivildienst im Ausland eine recht teure Alternative ist, glaube ich doch, dass er sein Geld wert ist. Ich fühle mich durch die Fremdheit dieses Landes ständig wie auf einer langen Reise, während ich doch durch meine Arbeit einen Einblick in die wahren sozialen Verhältnisse des Landes bekomme. Außerdem hoffe ich, im nächsten Sommer gute Spanischkenntnisse aufweisen zu können. Frank Sandner, 19 Weitere Informationen unter: www.zivildienst.de; www.camphopeecuador. org; www.ecuador-connection.org


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