kunstraumBERNSTEINER

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Thomas Feuerstein 11. 6. - 4. 9. 2010

Christoph Hinterhuber

15. 10. - 12. 11. 2011

Sylvia Eckermann

1. 12. 2010 - 22. 1. 2011

Sofia Goscinski

23. 3. - 8. 5. 2011

Ricarda Denzer

1. 6. - 17. 7. 2011

Peter Sandbichler

12. 10. - 20. 11. 2011

Karin Felbermayr

30. 11. 2011 - 24. 1. 2012

Gerald Nestler

29. 2. - 25. 4. 2012

Ulrich Plieschnig

6. 6. - 21. 7. 2012

Andrés Ramírez Gaviria

26. 9. - 3. 11. 2012

Sylvia Eckermann

6. 12. 2012 - 16. 2. 2013

Silvia Ederer

9. 3. - 1. 5. 2013

Michael Goldgruber 23. 5. - 13. 7. 2013


Thomas Feuerstein MANIFEST Eröffnung: 8. 6. 2010 Ausstellungsdauer: 11. 6. - 04. 9. 2010 Einführende Worte: Gerald Nestler

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Thomas Feuerstein, PLASMA II, 2009. Polypropylen, 145 x 290 x 190 cm. Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Galerie Strickner 5


Zur Kunst von Thomas Feuerstein

Wenn sich Dämonen, Destillate, Algorithmen und Algen zum Symposium versammeln. Feuersteins Projekte ähneln den großen Narrativen früherer Zeit, welche Fragen über den Status Quo unserer Welt und unserer Existenz als Spielfläche multipler Relationen anbietet, die über die gesamte Palette sozialer, gesellschaftlicher, technologischer und ökonomischer Themen reichen. Dies entsteht nicht aus einer genieverhafteten Hybris von Welterklärung, sondern aus der Erkenntnis, dass nicht in den Dingen für sich, sondern in ihren Zusammenhängen unsere Welt sichtbar, aber auch wandelbar wird. Um diese komplexe Verschränkung ins Bild zu rücken, bedient sich Feuerstein einer medial breiten künstlerischen Sprache, die von Skulpturen, Plakaten, Zeichnungen über Malereien, Fotografien und Textarbeiten bis zu Installationen und Netzkunstwerken reicht. Er thematisiert darin die Kunst selbst als epistemisches System der Interpretation, worunter eine Neuschaffung von Sprachspielen aus Fakten und Fiktionen verstanden werden kann. Die Kunst Feuersteins ist ein Schaffen über die Objekte hinaus, mit ihnen und durch sie hindurch. Sie stellt ein Laboratorium dar, das nicht in sich nach Lösungen sucht. Es bezieht sein Publikum unmittelbar mit ein, öffnet Labore der „Produktion von Welt,“ in dem die BetrachterInnen eingeladen sind, ihre eigenen Konfigurationen spielerisch zu entwerfen. Die auf wissenschaftliche Komplexität rekurrierenden großen Installationen von Feuerstein sind somit keineswegs hermetisch geschlossene Transkriptionen wissenschaftlicher Experimente. Sie sind Übersetzungen, die sich weniger dem Versuch verdanken, Wissenschaft in Kunst zu überführen, sondern im Gegenteil den Produktions- und Erfahrungshorizont von Kunst ausdehnen. Sie sind stets mit anderen Arbeiten zu „Weltsystemen“ verbunden, welche die einzelnen Arbeiten in ein erweitertes, vielgestaltiges narratives System einbetten. In Some Velvet Mourning beispielsweise inszenierte Feuerstein in seiner Ausstellung Anfang des Jahres in der Elisabeth & Klaus Thoman Galerie, Innsbruck, das historische biochemische „Ursuppen-Experiment“ von Miller und Urey von 1953, in dem die Forscher erfolgreich jene Vorgänge simulierten, wie Leben auf der Erde entstanden sein könnte. 6

Where Deathless Horses Weep ist eine Pferdeskulptur aus dem 19. Jahrhundert, die Feuerstein tiefgekühlt hat, um die Atemluft der BesucherInnen aufzufangen, zu gefrieren und wieder in Wasser zu verwandeln. Die Skulptur mutiert zum Kondensator, von dem aus die Flüssigkeit in eine Destillationsmaschine gelangt, der wir eben noch als Re-Enactment eines wissenschaftlichen Experiments begegnet waren, Some Velvet Mourning. Astrid Mania beschreibt diese Verknüpfung in ihrem Text „Schöpferisches Besaufen“: „ Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Hauch. Und der wird der Materie eingeblasen. Und plötzlich ist überall Schöpfung.“ 1 Aber hier endet die Weltmaschine nicht, der Kreislauf ist noch nicht vollendet, er muss sich noch zurückspielen in die Besucher, um der Rekursivität von Welt gerecht zu werden. Und da es sich bei Some Velvet Mourning um eine Destillationsmaschine handelt, die hier nicht die Hypothese einer Ursuppe experimentell beweisen muss, indem sie Aminosäuren produziert, erzeugt sie einen anderen „Beweis“: Eine handfestere, wenn auch geistige Form der Überzeugung. Das Resultat ist ein Destillat, und zwar Schnaps, der ausgesprochen geeignet ist, die Kommunikation während der Ausstellung zu beleben. Dass dies kein Geschenk ganz uneigennütziger Art ist, beweist sich wiederum darin, dass damit der „Kunstbetrieb“ am laufen gehalten wird. Ein wohl für viele Besucher erfreuliches Beispiel angewandter Relationalität. Außerdem mündet dieses das Publikum freiwillig oder auch unfreiwillig anzapfende Experiment in einer entsprechenden Sammlung von Flaschen, die in einer beleuchteten Vitrine zur Schau gestellt sind. Dem Geist der Kunst verpflichtet, haben wir es nicht nur mit diversen hochprozentigen Getränken zu tun, die den Flaschen zum Schmuck gereichen. Es sind Kunstwerke, deren Etiketten Bezüge und Assoziationen anbieten, die wiederum über die Geschichte der Kunst hinausweisen. Die Qualität von Feuersteins Kunst liegt gerade in diesem Zusammenspiel: Auf den ersten Blick überzeugen die einzelnen Arbeiten in ihrer künstlerischen Qualität. Bei näherer Betrachtung eröffnen sich zusätzlich Bezüge, in welchen jedes Werk

eine Rolle spielt, woraus sich facettenreiche und überraschende Beziehungen eröffnen. Dass wir es mit Bildwelten zu tun haben, die sich innerhalb unterschiedlicher Systeme, unter welchen die Kunst nur eines von vielen ist, eingenistet haben, zeigt exemplarisch Feuersteins vielschichtige Verwendung des Begriffs Dämon. Hier wird jedoch nicht der christliche und später romantische (böse) Geist einer transzendenten Wesenheit beschworen, die Umdeutung eines heidnischen Symbols in eine verbotene „Virtualität“ des Denkens. Im alten Griechenland waren Daimonen Wesen zwischen Göttern und Menschen, die sich der Menschen annahmen, wobei auch dies auf eine weiter zurückliegende Bedeutung weist – und ein wenig klingt dies in der späteren Verwendung nach: „Daimones“ nannte man im Goldenen Zeitalter der Griechen die Seelen der Toten. Der Daemon, der Feuersteins künstlerische Arbeiten durchzieht, ist aber jene Verkörperung, die den Maxwell’schen Dämon genauso bezeichnet wie den Daemon der Systemdienste im Computer, die im Hintergrund laufen oder den Daemon als Algorithmus, der Handlungsvorschriften zur Problemlösung anbietet, aber auch jenen Daimon, den Sokrates seinen inneren Helfer nannte. Der Dämon tritt in vielgestaltigen Formen als Zuund Verteiler von Molekülen, Energie, Information oder Schicksal auf. Er ist selbst ein fiktionales Narrativ, das ins Reale hineinwirkt, eine Verkörperung des Virtuellen als Potential des Realen. Im Gegensatz zu Sokrates ist Feuerstein Künstler (was keine vordergründige Banalität darstellt, denn von Sokrates heißt es, dass er zuerst Bildhauer war und erst durch die Unterstützung Kritons sich der Philosophie widmete), der seine Form eines strukturierten, dabei kontingenten Dialogs in einem Symposium mit Daemonen, Bots, Algorithmen, Algen, Pilzen oder Destillaten führt. Ohne den Vergleich zu weit treiben zu wollen, ist er „Hebamme“ eines künstlerischen Gesprächs (Sokrates Begriff für seine Form der Philosophie, die Mäeutik, bedeutet „Hebammenkunst“) mit Partnern, die nicht mehr (nur) unter Menschen


Thomas Feuerstein, DAIMONIA, 2009. Kunststoff, Holz, Computer, 50 x 160 x 30 cm. Courtesy Galerie Nicola von Senger, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman 7


angesiedelt sind, sondern im Sinne Bruno Latours unter „Dingen“. Es ist eine „Biophilie“, um einen Ausdruck aus der reichen Begrifflichkeit Feuersteins zu übernehmen, in der tote wie lebende Materie zu Kunst erweckt wird, indem sie in die Lebendigkeit einer komplex verästelten Erfahrungs- und Erlebniswelt, einer „prozessualen Poesie“ integriert wird. In der Ausstellung „Planet Paradies“ in der Galerie Strickner, Wien, 2009, baute Feuerstein eine Manna-Maschine auf, wie sie zur Zeit auch in der Ausstellung „Eating the Universe“ in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck zu sehen ist. Lange transparente Schläuche durchzogen den gesamten Galerieraum, durch den eine Umwälzpumpe Flüssigkeit mit Schwebealgen trieb. Durch einen Bioreaktor wurde die natürliche Photosynthese unterstützt und die anfangs durchsichtige Flüssigkeit im Laufe der Ausstellungsdauer durch die Vermehrung der Algen zusehends grün. Feuerstein schaffte damit als Teil der Ausstellung Materialien für weitere Arbeiten – das Pigment seines Bilderzyklus Ernte wurde aus den Algen hergestellt und damit zur Malfarbe für abstrakte monochrome Bilder, die in der Ausstellung zu sehen waren. Aber auch Getränke wie Tono-Bungay (ein „Tonic of Consumption for Tricksters & Cybernetists“) oder Nahrung für Drosophila Fliegen (die dann zu Bildpunkten für Portraits von Personen werden, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Verhältnis zwischen Singularität und Sozietät beschäftigen) gewinnt Feuerstein aus den Algen – die als vielfältige Ressource der Zukunft gelten und sich etwa in Japan bereits als verjüngendes Getränk großer Beliebtheit erfreuen. Feuerstein bezeichnet dies als „konzeptuelle Narration, die Konfabulationen provoziert, die anstatt kausal und dual, myzelhaft agieren.“ Die Arbeiten sind biologischen Prozessen vergleichbar, die in ständigem Austausch mit ihrer Umgebung kommunizieren. Die BetrachterIn der Werke von Feuerstein wird – um in der Sprache der Biologie zu bleiben – zum Enzym, das in seiner persönlichen Konfabulation die Informationen aufspaltet, um den Prozessen nachzuspüren. In der Installation Manifest, fährt eine überlebensgroße Hand wie von Zauberhand bewegt über die Wand und hinterlässt Spuren eines Kohlestifts. Die endlose Linie wird von Börsenkursen großer Rückversicherer wie Swiss Re oder des internationalen Versicherungsmarktes Lloyd’s of London, der bereits koloniale 8

Expeditionen versicherte, gezeichnet. Assoziationen zur unsichtbaren Hand Adam Smiths tauchen auf oder zu einer Künstlerhand, die Kopf und Körper verloren hat. Mythisches trifft auf Rationalität und die écriture automatique der Surrealisten. Die aus der „Performance“ der Versicherungsgesellschaft in Echtzeit gewonnenen Daten fließen in einen Computerserver in Gestalt eines Containerschiffs – Allegorie der Reise, der Güter- und Wohlstandsverteilung, der globalen Ordnung einer kolonialen Ökonomie – von wo sie als Steuerdaten die Hand bewegen. Dieses Schiff, das den „Namen“ Daimonia trägt, ist der Verteiler, der Bote, der die Information kommuniziert. Es versinnbildlicht den Übergang vom Schicksalsengel als Boten zur Ökonomie als jenem Daemon, der die heutige Welt ordnet oder ins Chaos stürzt, und somit heute über unser Schicksal herrscht. Der Kosmos eines Transits von Bedeutungen und Paradigmen, von Sinn und Wert entfaltet sich in einer Plakatwand, in Zeichnungen, die Bezüge und Referenzen, Imaginiertes wie Geschichtliches in eine Erzählung münden lassen, welche die erratisch Wert erzeugenden Volatilitäten der Börsen konterkarieren. Karin Knorr-Cetina und Alex Preda sprechen in Bezug auf das Finanzsystem vom Übergang von einer netzwerkbasierten Architektur à la Castells hin zu einem skopischen Modus der Koordination, in dem die fließenden Märkte metastabil sind, also stabil sind, indem sie im Moment Transaktionen erlauben und sich mit diesen Transaktionen wieder verändern. Sie schreiben dazu: „Ein skopisches System [...] kann als System der Beobachtung und Projektion definiert werden, das auf einer Oberfläche verteilte und unterschiedliche Aktivitäten, Interpretationen und Repräsentationen versammelt, die [...] die Reaktion des Publikums ausrichten und beschränken.“ 2 Feuersteins Kunst als skopisches System betrachtet, schränkt das Publikum nicht ein, sondern gibt ihm die Aktivitäten, Interpretationen und Repräsentationen zur Hand, um neue Kreise und Potentiale zu bilden. In dieser Hinsicht ist seine Kunst partizipativ, da sie die Beteiligung seines Publikums herausfordert, von den einzelnen Werken zu Beziehungsgeflechten, zu „Myzelen“ zu schreiten. Die Vielgestaltigkeit dieser Erscheinungen ist eines der prozessualen Stilmittel Feuersteins, durch die er seine Kompositionen entwirft. Seine Werke sind selbst „daimonisch“, sie schreiben sich in andere Systeme ein und lesen sie aus. Um es mit einem Aus-

druck der Systemtheorie zu beschreiben, handelt es sich bei Feuersteins Werken um Relationalitäten, um Geflechte komplexer Beziehungen, die unsere Welt heute durchweben. Seine Myzele aus Sinnzusammenhängen unterstellen den Erscheinungen der realen Welt nicht nur symbolische Gemeinsamkeiten, sondern machen kontingente Realitäten unterhalb der Oberfläche der scheinbar offensichtlichen Bedeutungen zugänglich. So gesehen handelt es sich nicht um metaphorische Gestaltungen. Feuersteins Kunst mäandert durch Bedeutungsebenen, auch wenn beispielsweise ein streng wissenschaftliches Experiment wie jenes von Miller und Urey den konkreten Bauplan liefert. Es sind Optionen, die sich in der Betrachtung eröffnen und diversifizierte, mannigfaltige Lesarten erlauben. Die Komplexität wissenschaftlicher Experimente und Theorien werden in seinen Arbeiten zu spielerischen, nachvollziehbaren Poetiken, die ihr „Sprechen“ immer wieder selbst unterbrechen, um gegen eine quantifizierende Exegese epistemische Momente zu stellen. Wie Astrid Mania in ihrem oben erwähnten Beitrag schreibt, „[kondensiert] das Sprechen [...] über Kunst an Kunst und führt zu Kunst. Es ist eine Art betriebsinterner Zirkelschluss, zu dessen Verbildlichung sich die beiden Laborversuche hervorragend eignen, denn auch hier zündet es nur, wenn die entsprechenden stofflichen Substanzen und chemischen Voraussetzungen gegeben sind.“ 3 Das hier auch eine ordentliche Portion Ironie einfließt, ist nicht zu übersehen. Feuerstein operiert nicht nur mit Trickstern, er ist selbst einer. Diese Ironie ist aber kein Spott, keine oberflächliche Hinwegsetzung und kein billiger Trick. Sie ist als Joker gerade jener Aspekt des Spielerischen, welcher der Kunst Feuersteins die Spitze einer allzu trockenen Theoriekunst nimmt, sie zu einer flüssigen Angelegenheit werden lässt, an der man sich, mit Astrid Mania, mit Gewinn „besaufen“ kann. Es wäre ein wahrhaft daemonisches Vergnügen, wenn mehr derart Betrunkene unsere Ausstellungen bevölkern würden. GERALD NESTLER 1 Astrid Mania, Schöpferisches Besaufen, www.artnet.de/magazine/thomas-feuerstein-bei-thoman-innsbruck 2 Karin Knorr Cetina und Alex Preda, „The Temporalisation of Financial Markets: From Network to Flow”, Theory, Culture & Society, 2007, Vol. 24(7-8). Überetzung des Zitats durch den Autor. 3 Astrid Mania, a.a.O


Thomas Feuerstein, PLASMA II, 2009. Polypropylen, 145 x 290 x 190 cm. Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Galerie Strickner 9


Christoph Hinterhuber Big & Full Erรถffnung: 12. 10. 2010 Ausstellungsdauer: 15. 10. - 12. 11. 2011 Theo Altenberg erรถffnete

12 x Acryl und Gesso auf Leinwand, 100 ร 100 cm, Courtesy Galerie E. & K. Thoman Innsbruck/Wien. Panorama: Rens Veltman 10


Wandmalerei, Acryl, 400 Ă— 1480 cm. Courtesy Galerie E. & K. Thoman Innsbruck/Wien. Panorama: Rens Veltman 11


Zur zweiteiligen Simultanausstellung

Christoph Hinterhuber big & full big @ Kunstraum Bernsteiner, Wien full @ Ve.Sch, Wien Christoph Hinterhuber zeigt in Wien bei Ve.Sch und im Kunstraum Bernsteiner die zweiteilige Simultanausstellung „big & full“. Die künstlerische Produktion des in Innsbruck lebenden Künstlers Christoph Hinterhuber (*1969) lässt sich nicht leicht einordnen. Sein Markenzeichen sind die obsessive Verwendung der Komplementärfarben Pink und Grün sowie von Schwarz und Weiß. Seine formalen Bezugspunkte bewegen sich entlang der Schnittstellen eines Neoplastizismus, der Op Art und Neo Geo bis hin zum Aktionismus und Dadaismus. Die Bezugnahme auf diese Avantgardebewegungen der Kunst im 20. Jahrhunderts ist jedoch kein formaler Selbstzweck. Sie dient primär der Erforschung und Repräsentation eines potenziellen avantgardistischen Erbes der (historischen) Moderne, deren Fortschrittsstreben sich aufgelöst hat und in einen Moment permanenter Revolutionsgegenwart übergegangen ist. Christoph Hinterhuber beschränkt sich aber nicht auf Hinterfragung und Kommentierung. Durch die Verbindung mit zeitgenössischen avantgardistischen Formen und Bewegungen, die vor allem in subkulturellen Musikmilieus verankert sind, arbeitet er vielmehr an einer Reformulierung des gesellschaftlichen Potenzials der Avantgarde als Imperativ heutiger Lebensweise. Christoph Hinterhubers Kunst kann als eine neokonzeptuelle Semantik temporärer autonomer Zonen im Sinne Hakim Beys aufgefasst werden – als ein Übersetzungsvorgang verunklärter, virtueller Erinnerungen in die Medien Malerei, Installation, Computeranimation, Sprach- und Techno-Sound. Sie kann aber auch als die Manifestation des Strebens nach einem hohen gesellschaftlichen Entropiezustand begriffen werden, als die ekstatische Zelebration eines halluzinativen Techno-Utopia, eines ménage à trois von Kunst, Kapitalismus und Konstruktivismus. 12

„big & full“ nimmt als übergeordnete Referenz George Batailles erotische Schriften, die im deutschsprachigen Raum unter dem Titel „Das obszöne Werk“ erstmals 1972 als Taschenbuch bei Rowohlt erschien. Von Susan Sontag zwar als „Kammermusik der pornografischen Literatur“ apostrophierten Erzählungen, wurde dieses Werk von Roland Barthes, Michel Foucault und anderen jedoch keineswegs innerhalb dieses Genres gesehen. „Die erotische Erfahrung ist für ihn [Bataille] eine zweifache: die des Tabus und die seiner Überschreitung; erst die Überschreitung, die das Tabu zur Voraussetzung hat, ermöglicht den Personen Batailles […] auch die Transzendierung des Ich. Die Ekstase, das buchstäbliche Außer-Sich-Sein, das die Mystik in religiöser Versenkung fand, suchen sie im körperlichen Exzess und in körperlicher Entäußerung. Auf allen Ebenen übrigens: kopulierend und defäkierend scheiden sie in geradezu mythischem Umfang aus, entäußern sich bis zur Selbstauflösung.“ (auf dem Rückcover der 18. Auflage, Reinbek bei Hamburg, 2002.) Bataille bildet mit seiner Theorie der Verschwendung, die in diesem Fall als erotische Erfahrung über den Körper formuliert wird, eine bemerkenswerte parallele zum Streben nach exzessiver Grenzüberschreitung, das unter anderem in den Manifesten des Futurismus und des DADA vorzufinden ist (wenn auch auf freilich jeweils anderer Art) und bei Hakim Bey innerhalb der temporären autonomen Zonen eine zeitgenössische Formulierung findet. Im Ausstellungsteil „full“ bei Ve.Sch zeigt Christoph Hinterhuber eine Raumkonfiguration aus 12 Leinwänden. Im Kunstraum Bersteiner wird mit „big“ eine monumentale Wandarbeit in situ präsentiert. ANDREI SICLODI


big @ Kunstraum Bernsteiner Wien. flesh flash, 2010

full @ Ve.Sch Wien, the thfcksdfmdrnty series. 2009 / 10 13


Sylvia Eckermann, Naked Eye. Textarbeit an den T端ren, Aussenansicht 2010. Foto: Michael Goldgruber 14


Sylvia Eckermann Naked Eye ErĂśffnung: 30. 11. 2010 Ausstellungsdauer: 1. 12. 2010 - 22. 1. 2011 EinfĂźhrende Worte: F. E. Rakuschan

Sylvia Eckermann, Naked Eye. 3-Kanal Videoinstallation, 5-Kanal Soundinstallation: Szely, Textarbeit, Spiegelfolien geplottet 2010. Foto: Michael Goldgruber 15


Zur Installation „Naked Eye“ von Sylvia Eckermann

Unfaßbare Bilder In ihrer Installation, die zuletzt im Kunstraum BERNSTEINER zu sehen war, thematisiert Sylvia Eckermann die Präsentationsform des „white cube“, unterläuft dabei Grenzen zwischen bewegten und laufenden Bildern, zwischen flacher Wand und scheinbarer Tiefe, zwischen dem sichtbaren und dem gehörten Raum. Das Publikum taucht in einen Vorstellungsraum ein, der in jedem Moment der Betrachtung seinen Inhalt verändert, jede Narration auflöst und die Medialität gewohnter Kunstpräsentation sinnlich reflektiert. Man betritt das Stiegenhaus des großen Mietshauses, um es durch eine Hintertür, die in den Innenhof führt, auch gleich wieder zu verlassen. Im Hof befindet sich die ehemalige Werkstatt, die mit ihren wandhohen Fenstern viel Tageslicht in den tiefen Innenraum läßt. Schon vor einigen Jahren wurde die Produktionsstätte zu einer Galerie umgebaut: hell, weit, weiß. Als Sylvia Eckermann eingeladen wurde, in dem Kunstraum auszustellen, änderte sich nicht vieles, sondern im Grunde alles. In der Installation der Künstlerin steht eine lange Wand, wo zuvor Raum war, tragen die zuvor weißen Oberflächen die gleiche dunkelgrüne Farbe wie der eigens verlegte Teppichboden. Der Blick hinaus – durch die großen Fenster – wird von Spiegelfolien ins Innere zurückgeworfen. Bei hellem Sonnenlicht werden die Spiegel zwar transparent, behalten jedoch ihre silbrige Farbe und verleihen so der Wirklichkeit draußen die Patina eines alten Films, lassen sie wie eine Projektion erscheinen. Die Aussicht auf den Wiener Innenhof scheint den Galerieraum zu erweitern, fortzusetzen. Eine Trennung zwischen nüchternem Alltag und einem davor geschützten, gleichsam der Kunst geweihten Bereich wird so aufgehoben. Die Veränderung des Tageslichts ist im Galerieraum immer mit zu erleben, bleibt nicht ausgesperrt und doch scheint selbst diese natürliche und unabänderliche Lichtveränderung einem vergebenen Konzept der Künstlerin zu folgen. Der Raum ist in seinen ursprünglichen Ausmaßen nicht mehr 16

erkennbar. Wie eine Kulisse wurde die Wand eingezogen, die in ihrer Färbigkeit die Gestaltung von Ausstellungsräumen zitiert, wie wir sie aus den Kunstmuseen des 19. Jahrhunderts kennen. Auch in Sylvia Eckermanns Installation hängen an einer solchen Wand Bilder. Doch ordnet sich die Hängung hier weder an malerischen Schulen oder Bildinhalten, noch geht es um Symmetrien oder Sammlungsstrategien. Die ausgestellten Bilder verkörpern keine materiellen Wertanlagen, sie lassen sich nicht abnehmen, nicht wegtragen und bleiben dabei dennoch in Bewegung. An der Wand hängen zwar Keilrahmen, die aber keine Leinwände, wohl aber speziell lackierte Oberflächen tragen, die wiederum bewegte Bilder zeigen. Die Quelle dieser Bilder läßt sich nicht auf Anhieb lokalisieren. Trifft die Projektion von hinten auf transparente Flächen auf? Oder stellen sich an die Wand gehängte Leinwände einem Lichtstrahl entgegen? Drei Videoprojektoren werfen die sich ständig verändernden Images auf insgesamt zehn Bildflächen. Die Trägerflächen sind zwar nicht gerahmt, doch im Unterschied zur dunklen Wand erhaben. Diese subtil erzeugte Tiefenwirkung bewirkt, daß sich die Bilder von der Wand und voneinander absetzen und die flächigen Projektionen einen virtuellen Bildraum und zugleich den Effekt realer Raumtiefe erzeugen. Die Bilder scheinen die dunkle Wand gleichsam zu perforieren, Tiefe im realen Raum zu erzeugen. Um das nackte Sehvermögen geht es der Künstlerin dabei nicht. Der Titel für ihre Arbeit, „naked eye“, ist daher auch weniger Versprechen als vielmehr ein ironischer Hinweis auf das, was nicht gezeigt wird, aber dennoch zu sehen ist. So hat sie auf den Fensterscheiben, die in der Installation die Differenz von Außen- und Innenraum im wahrsten Sinn des Wortes reflektieren, einen Satz von Alfred Adler angebracht, in dem der Begründer der Individualpsychologie die Vielschichtigkeit kommunikativer Prozesse be-

schreibt. In wenigen Worten postuliert er die analytische Distanz, die nur dann entstehen kann, wenn die Widersprüchlichkeiten einer Selbstdarstellung nicht unbemerkt bleiben, wenn neue Kontexte und Verweissysteme ins Spiel kommen, so scheinbar zufällige Äußerungen nicht unbemerkt bleiben und sich als bedeutungsvolle Gesten lesen und erkennen lassen: „Wenn Ihnen das, was der Patient sagt, widersprüchig und verwirrend vorkommt, dann schließen Sie die Ohren und öffnen Sie weit die Augen. Schauen Sie ihm genau beim Reden zu, und Sie werden auf einmal ganz genau verstehen, was er Ihnen nicht sagt.“ Die Installation bezieht sich auf den sichtbaren Kontext des Ausstellungsraums, aber vor allem thematisiert sie gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die uns ästhetische Objekte eben nie mit nacktem Auge anschauen lassen. Wie eine Patientin steht auch die Kunst unter Beobachtung und ihr Publikum ist bereit und wird in die Lage versetzt, sich auf Reflexion einzulassen. Sylvia Eckermann liefert dabei die Betrachterinnen und Besucher in und mit ihrer Installation an Widersprüchlichkeiten aus, die zu einer höchst produktiven Verwirrung führen. Nähert man sich den vermeintlichen Tafelbildern, stellt man schnell aber doch nicht augenblicklich fest, daß sie Projektionen, daß sie Filmisches wiedergeben. So zeigen die Inhalte beispielsweise Hautoberflächen, in die mit Fingernägeln gekratzt und eigentlich gezeichnet wird. Sie präsentieren Landschaften oder versetzen abstrakte Figuren in Bewegung, deren feine Linien durch Drehung, durch gleichzeitige Schattierung und Überlagerung dreidimensionale Effekte entstehen lassen. Ein Triptychon gibt immer neue Ausschnitte auf eine endlose Körperlandschaft frei. Die Bilder überschreiten dabei ihre Grenzen, ihre Inhalte bleiben nicht einer einzigen Fläche verhaftet, sondern bewegen sich weiter, über den Rand hinaus, eröffnen so den Blick auf eine zweite Wirklichkeit, die sich unter oder hinter ihnen zu verbergen scheint.


Sylvia Eckermann, Naked Eye. 2010, Video-Standbild 17


Die Künstlerin greift in ihrer medialen Installation auf illusionistische Techniken eines gerahmten und perspektivisch aufgebauten Tafelbilds zurück. Doch sind ihre Bildinhalte flächig angelegt, respektieren keine Rahmungen, bewegen sich über den Rand ins nächste Bild weiter. In diesem Widerspruch gelingt es ihr, eine geradezu vertraute Bildmagie herzustellen und darüberhinaus zu verräumlichen, nicht jedoch indem der Blick des Betrachters seine Position in einem illusionierten Bildraum einnimmt. Vielmehr fallen in der multimedialen Installation Bildraum und Galerieraum in eins. Die raffinierte Präsentation der Bilder verändert die Wahrnehmung des gesamten Raums. Der Ausstellungsort wird durch Sound, Farbgebung und räumliche Eingriffe der bewußten Wahrnehmung entzogen. Man vermutet eine geheimnisvolle Tiefe im realen Raum, hinter der aufgestellten Bilderwand. Die dunklen Wände weichen hinter die hellen Bildflächen zurück. Dieser Eindruck wird durch eine Tonspur, komponiert von Peter Szely, wesentlich verstärkt. Der Sound gibt nicht einfach den Rhythmus der Bilder, deren Abfolge und filmische Bewegungen wieder. Der Sound bestimmt die Wahrnehmung, füllt die Installation auch dann aus, wenn sich der Blick abwendet. Er ist nie Soundtrack, sondern wird zu einem eigenständigen Element, zu einem Raumklang, dessen Resonanz dazu beiträgt, daß man den räumlichen Gegebenheiten nicht mehr so ohne weiteres trauen mag. Die Künstlerin hat mit ihrer Installation zudem einen Kontext geschaffen, um die Ideologie kontextunabhängiger Kunst, wie sie der white cube nach wie vor als konventionelle Präsentationsform repräsentiert, vorzuführen. Reflektiert werden in dieser Arbeit die Bedingungen, unter denen ästhetische Objekte traditionell rezipiert werden. Anstelle einer Raumkunst läßt sie in dieser Installation die Zeitkünste Film und Sound treten. Es geht ihr nicht um die kontem18

plative Betrachtung einzelner ästhetischer Objekte, sondern die Betrachter tauchen in ein „totales Bild“ (Oliver Grau) ein, in ein Panorama aus laufenden Bildern, aus Sound, der aus einem imaginierten Nichts kommt. Die bewegten Bilder irritieren die Wahrnehmung einer vermeintlichen Bilderwand. Man trifft nicht auf unveränderliche Situationen, folgt keiner zwingenden Narration. Es gibt keine gemeinschaftliche, sondern nur eine individuelle Erfahrung in diesem gebauten Vorstellungsraum. Sylvia Eckermann erwischt ihr Publikum bei eingespielten und althergebrachten Rezeptionspraktiken, sie seziert traditionelle Präsentationsformen von Bildern, statischen und bewegten und unterläuft gewohnte Kunstbetrachtung. Sie verführt letztendlich ihr Publikum zu einer intensiven Betrachtung filmischer Materialien, die hier mit raffinierter Ironie präsentiert werden und dabei technologisch definierte ästhetische Erfahrungen einschließen. Keine Tafelbilder, sondern unfaßbare, ja ortlose Objekte sind in dieser Arbeit zu sehen, Objekte, die sich nicht ohne weiteres zuordnen lassen und so von jedem und jeder einzelnen immer alle gebotene Aufmerksamkeit einzufordern wissen. BRIGITTE FELDERER


Sylvia Eckermann, Naked Eye. 2010, Video-Standbild 19


Sofia Goscinski head in the closet ErĂśffnung: 22. 3. 2011 Ausstellungsdauer: 23. 3. - 8. 5. 2011 EinfĂźhrende Worte: Angela Stief, Kuratorin Kunsthalle Wien

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Sofia Goscinski, head in the closet. Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 21


Zur Ausstellung

Sofia Goscinski head in the closet Der kunstraum BERNSTEINER zeigt in der Ausstellung head in the closet drei medial sehr unterschiedlich gestaltete Arbeiten der Künstlerin Sofia Goscinski: Im großen Ausstellungsraum ist die Text- und Bildinstallation XXX zu sehen, die sich mit der Begriffswelt der Pornografie und ihren Wirkungsweisen auseinandersetzt. Die zweite, titelgebende Installation head in the closet ist eine auf Interaktion ausgelegte Rauminstallation aus zwei Toilettenschüsseln, die die BesucherInnen zur „Benützung“ einlädt. Erstmals seit der Eröffnung des kunstraum BERNSTEINER wird auch ein gegenüberliegender Raum im Hofensemble der früheren Werkstatt bespielt. In der aus drei Teilen bestehenden Videoarbeit „I love you“ spricht eine Person (Sofia Goscinski) die drei Wörter „I love you“ in einer Art Endlosschleife aus, sodass diese sich nach und nach zerlegen und der Sinn des Satzes dekonstruiert wird. Sofia Goscinski beschäftigt sich mit Erfahrungswirklichkeiten und mentalen Grenzsituationen, die ihr als formale und inhaltliche Experimentierfelder dienen. Goscinski arbeitet in verschiedensten künstlerischen Medien, von Grafik, Text, Video, Foto bis hin zu Installationen und Performances. Zuletzt waren Arbeiten auf Fotopapier unter dem Titel disorders, in der sie mentale Störungen thematisiert, in der Kunsthalle Wien zu sehen, sowie die Rauminstallation Rejection im Ve.Sch, die sie am Eröffnungsabend mit einer Performance bespielte. In Sofia Goscinskis Videoarbeit „I love you“ wird das Gesicht der Künstlerin auf drei Screens projiziert. Der Satz „I love you“ wird zerlegt. In drei Teile. Jedes einzelne Wort wird wiederholt bis der Mund trocken ist, die Zunge nicht mehr mitspielt, bis die Worte sich nur mehr mit Mühe artikulieren lassen, kaum mehr verständlich sind, die Schmerzgrenze erreicht ist. Ohne Peripetie wird schließlich ein Wort nach dem anderen weggelassen, wird das unvermeidliche Verstummen angesteuert. Es 22

entsteht der Eindruck von Unentrinnbarkeit, ein Sog der einen mitnimmt - mit einer Kraft der man sich nicht entziehen kann und die einem die Luft zum Atmen nimmt. Hier wird wie beiläufig, durch das Gefühl der Fragilität attackiert und einem auf den Leib gerückt, die Substanz berührt. Das Unbehagen wächst von Sekunde zu Sekunde, wie bei dem von Freud beschriebenen Phänomen des Unheimlichen, lassen einen hier die eigentlich so vertrauten und heimlichen Worte „I love you“, erschauern. Es herrscht doch das Schmerzhafte, These und Korrektiv.

Kontext des Obszönen und in eine strenge, Klarheit schaffende Form gebracht. Die Präsenz des Bildlichen in der Pornografie ist hier nicht existent, die Anwesenheit der Bilder ist durch ihre Abwesenheit dargestellt. Die Begriffe suggerieren nicht so sehr Konsumation der Leiber oder exponierte Körper, sondern eher eine schier unglaubliche Vielzahl an Sexpraktiken und Fetische des Menschen. Kunst wider die Harmlosigkeit.

Das irritierende Moment ist groß, die scheinbare Intimität täuscht, was man zu fassen glaubt entzieht sich einem letzten Endes doch und hinterher bleibt eine verunsichernde Leere. An die Grenze zwischen Vertrautem und Verwandeltem führt auch „head in the closet“. Zwei Klomuscheln, sitzt man auf der Einen, hat man den Kopf in der Zweiten, die verkehrt darüber an der Wand hängt. Rückzug, ein Absorbieren, ein Verschwinden… doch ein Sich-Einrichten ist nicht möglich. Das Gefühl oszilliert zwischen Komik und Ekel. Hermetisch abgeschlossen, mit dem Kopf in der Klomuschel, obwohl man doch aufrecht sitzt. Das Denken könnte eigentlich aufhören, man glaubt sich am Ort der Unkenntnis, einem Nicht-Ort, wartet auf die Auslöschung. Aber auch diesem Gefühl ist nicht zu trauen, man ist außerhalb der Eindeutigkeiten und doch nur auf sich selbst zurückgeworfen. „XXX“ besteht aus 375 gleichgroßen Spiegeln, die nebeneinander angebracht eine große Fläche bilden. In jeden Spiegel ist ein Wort, entnommen Beschreibungen von Pornoseiten aus dem Internet, eingraviert. Lesbar sind die Worte erst wenn man nahe herantritt, es kommt zu einer semantischen Überlagerung, ein doppelter Boden, denn in den Spiegeln sieht man dabei auch das eigene gebrochene Spiegelbild. Der Körper zerfällt in Fragmente, bildet verzerrt wieder ein Ganzes. Klinisch, steril erscheinen die Begriffe, herausgelöst aus dem

GISELA HÅKANSON


Sofia Goscinski, I love you. Videoinstallation mit Ton, 2011 Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 23


Ricarda Denzer much has been said — In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar Eröffnung: 31. 5. 2011 Ausstellungsdauer: 1. 6. - 17. 7. 2011 Einführende Worte: Christiane Erharter, Künstlerin und Kuratorin

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Ricarda Denzer, Aus der Fotoserie: In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar. Grösse: variabel, Farbfoto Print, 2011 25


Zur Ausstellung

Ricarda Denzer much has been said — In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar. Ordnungen sind etwas, dem wir inzwischen eher skeptisch gegenüberstehen. Wir wissen um deren Ambivalenz, deren Organisationsmacht unserer Welten. Das ist leicht zu kritisieren, man maßt sich einfach ein Außen an. Denn ihre Einteilungen verstauen vieles, was uns nicht angenehm ist, unsere eigenen Anteile an ihrer Aufrechterhaltung beispielsweise. Von ihren gar so einfachen Klassifizierungen, Kategorisierungen und sauberen Schnitten wissen wir zwar, richten uns dennoch gern darin ein, wenn die Dinge zu kompliziert werden, wenn die Welt sich also immer wieder durchbrechend zeigt, wie sie ist: erschreckend komplex. Ricarda Denzer nun geht mit Ordnungssystemen offensiv um, und sie denkt sich darin mit. Sie montiert, sie entwendet etablierte Bedeutungen, um sie durch andere – meist Bilder (die durchaus auch als akustische oder sprachliche in Erscheinung treten) – durcheinanderzubringen und damit zu anderen Ansichten zu kommen. Diese Art der Organisation, der Um-Ordnung, schickt sich nicht an, die alten zu ersetzen, sprich: in denselben Irrtum zu verfallen, unsere Sehnsucht nach linearen Antworten zu befriedigen. Vielmehr gelingt es ihr, Parallelen auftauchen zu lassen, komplexe Bezüge, die dabei mehreren Logiken folgen können. Damit hat sie ein Element von Historizität freigelegt: das seiner verrückten Vielfalt, seiner durchaus kausalen Verkettungen, die sich irgendwann verselbständigen können, oder aber andersherum: der Zufälle, die sich zutragen, um dann in gegenseitige Bedingtheiten einzutreten. Die Montage mehrerer Arbeiten Denzers im Kunstraum Bernsteiner ermöglicht nun neben der Erfahrung der spezifischen Narration der einzelnen Arbeiten ein Verständnis für das strukturelle Vorgehen der Künstlerin. „La croûte du chou / das Saure vom Kraut“, „Restore“ und „Smugeln“, hier in einer Verschachtelung präsentiert, haben ein gemeinsames Element, das sie verbindet und gleichzeitig Un26

terschiede im Zugang sichtbar machen kann: das des mobilen Aufnahmestudios „10 m2“, eines der Atomphysik entliehenen Orbitalmodells, das Denzer gemeinsam mit dem Architektenteam Heinz Machat/ heiKE/NZ entworfen hat. Dieses Setting kann für wechselnde Situationen adaptiert werden und einerseits die Position aller Beteiligten, von der Interviewten über die InterviewerInnen, Übersetzerin zur Künstlerin, andererseits die räumlichen Verhältnisse aus- bzw. sogar bloßstellen. So können schließlich deren Verknüpftheit und eingeschriebene Machtstrukturen in einen visualisierten Zustand der Reflexion überführt werden. Sie zeigt dabei vor allem das Bewegliche von Macht, die, auch in der künstlerischen Auseinandersetzung und AutorInnenschaft, nicht mit derselben Sprache oder Attitüde daherkommt. So wird greifbar, dass Macht auch deshalb so unausweichlich ist, weil sie gewandt ist, sich den Situationen anzuschmiegen. Das heißt aber auch, dass sie selbst abhängig von den Kontexten ist, in die sie eintritt. Und in diesem Sinn ist sie trotz ihres Flottierens aufspür- und verhandelbar. Zwei Projekte sollen exemplarisch das strukturelle Denken von Denzer illustrieren: „Smugeln“ (2006-2011) ist ein gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Franziska Lesák interdisziplinär angelegtes Projekt in Prag, in dem das mobile Studio das erste Mal zum Einsatz kam. Das futuristische, schwarze Teil wurde in den Wohnungen von tschechischen KunsthistorikerInnen, KünstlerInnen und Autoren regelrecht invasorisch als Objekt platziert, was so auf eine ganz unmittelbare Weise die dahinter stehende Problematik sichtbar machen konnte: Wer kommt zu wem? Und wenn es wie hier der Westen ist, der den Osten aufsucht, geschieht das wirklich neutral oder transportiert sich doch immer auch ein gewisses Autoritäts- und Dominanzgebaren? Die Übersetzerin in der Kabine wurde ihrer eigentlichen Funkti-

on beraubt und fungierte als Zuhörerin, als stumme Zeugin der Erzählungen. Ja, die Fragen gingen in die Richtung, wie sich eine totalitäre Diktatur mit den zeitlichen Abschnitten Prager Frühling, sowjetischer Repressionspolitik und Mauerfall auf das kreative Schaffen legt, d.h. welche Arten der Produktion in solchen Zeiten möglich waren. Aber das Sprechen über künstlerische Produktion und ihre Bedingtheiten verlief auf einer Ebene, die jene gern vom Westen eingenommene Allwissenheit ad absurdum führte. Denzer führte ein Hineinschmuggeln in die Ausdrucksweise der jeweils anderen Kultur auf, wo sich im Allgemeinen beide nur das zu entnehmen scheinen, was in ihre eigenen Kontexte passt, was also immer nur als Komplement des Eigenen dienen wird. In „Restore“ (2008), eine Auftragsarbeit für die Biennale in Santa Fé in New Mexico, USA, wurde das Studio als gelbes Modell in die Wüste importiert. Das Gelb rekurriert auf die Fake-Architektur dieser Region, auf die Aneignung von indigenem Land durch USAmerikanerInnen. Die traditionelle Bauweise mit rotem Lehm wird nachgeahmt, allerdings mit einer typisch gelben Verschalung darunter. Das selbst wie ein Raumschiff anmutende Studio ruft aber auch die in dieser Gegend angesiedelte Weltraumforschung auf, und, soll man sich wundern, ausgerechnet von hier ausgehende Spekulationen über Außerirdische in Erinnerung. Genau in Santa Fé, wurden erstmals Marsmenschen „gesichtet“. Das Bild, das wir von den Aliens haben, verdanken wir also den USA. Darüber hinaus fand eine Geschichte zu Denzer, die von Rose Dugan, einer amerikanischen Pilotin, und Vera von Blumenthal, einer tschechischen Kunsthandwerkshändlerin, die 1918 als erste Sante Fé wirklich überflogen haben. Die beiden Frauen ließen sich dort nieder, wurden Liebhaberinnen und gründeten den ersten Indian Art Market, der seit 80 Jahren besteht und heute drittgrößter Kunstmarkt in den USA ist. Es ist eine inszenierte Ironie der besonders schönen Art, wenn man nun wieder an „Smugeln“


Ricarda Denzer, Videostill aus der Performance: packen, Grรถsse: 10 Min, Video / Ton, 2011 27


zurückdenkt: Die tschechischen Intellektuellen verhandeln auf höchstem Niveau die Geschichte der Moderne und Postmoderne, und die USA, DAS Sinnbild des westlichen, hegemonialen Kunstkanons, werden zum Ort der Auseinandersetzung mit noch dazu nativem Kunsthandwerk und darin eingerichteten Herrschaftsverhältnissen. Arts and Craft und die Herkunft von Blumenthals führen nun wieder in das Wien der 1920er Jahre, zur Wiener Werkstätte, zum Jugendstil und zu einer Generation von Wiener Sammlerfamilien, die durch den Holocaust ausgelöscht wurde. Denzer gelingt es, über die Geschichten von Kunsthandwerk und die geografischen Sprünge die Thematik der Restitution, der Vernichtung, Vertreibung und Enteignung in einer neuen Komplexität und Korrespondenz zu begreifen, die Antisemitismus und Kolonialismus in einen Bezug zu setzen vermögen. Ewig könnte man so Fäden weiterspinnen. Die neu entstandenen Arbeiten verhandeln ebenso Fragen von Ordnungen, tatsächlich auf der „Oberfläche“ eines Individuums, wobei Denzer der bekannten Gefahr einer Überbewertung des darin enthaltenen „Ichs“ mit augenzwinkernder Leichtigkeit entgeht, weil es eben gar nicht um die Person geht. Vielmehr geht es um das Potenzial der Arbeit an uns selbst, was eine real so verschwindend winzige und gleichzeitig doch so nachhaltige Rebellion gegen bestehende Ordnungen darstellt. In einem Video hat Denzer das Packen, Falten und Sortieren eines Fallschirms im Ausstellungsraum selbst festgehalten. Diese Tätigkeit gleicht einem rituellen Vorgang und zeigt dabei jeden einzelnen notwendigen Schritt, um Sicherheit zu erlangen, sich zu organisieren, sich zu ordnen. Der Fallschirm wird wie ein Kleidungsstück um den Körper gerafft, um dann losgelassen zu werden. Das Falten des Stoffes, das Paketpacken, Vorbereitungen einer Reise, zurück und dabei immer ins Ungewisse, sind die Motive dieser Videobilder, die damit eine gewisse Nähe zu Lebensführungen nahe legen: Verantwortung und Eigenverantwortung in der Metapher des fliegenden Menschen. Ein Foto, in dem sich schließlich die Künstlerin selbst vertrauensvoll einem Illusionisten überlässt, um sich zum Schweben brin28

gen zu lassen, führt diese Auseinandersetzung mit Verantwortung weiter und integriert dabei auch Fragen der Transformation bzw. Auflösung von Subjektkonstitutionen. Vielleicht klingen hier nochmals Fragen nach Bedingtheiten und Fremdstrukturierungen unserer Seinsweisen, aber auch nach allzeit möglichen Ermächtigungsprozessen und –handlungen an, und das nicht nur in der einsamen Auseinandersetzung mit sich selbst, sondern in sozialer Interaktion, die immer auch Macht- und Ordnungskonstellationen meint, die es zu gestalten gilt. In Ricarda Denzers Arbeiten erscheint immer wieder die Bedeutung von Fiktionen für die Veränderung der Wahrnehmung der scheinbar „so sein müssenden“ gegebenen Situationen. Fiktionen bedeuten dabei alles andere als erfundene Geschichten zu erzählen. Sie stiften vielmehr einen neuen Bezug zwischen Sichtbarem und seiner Bedeutung - und damit bringen sie Aufteilungen durcheinander. Denzers Hörstücke, Videos und Objekte erkunden auf außergewöhnliche Weise, was die Formen der Verbindung zwischen Wörtern und Dingen sein könnten, zwischen den Formen der Äußerungen und den Modi sinnlicher Präsentationen von „Objekten“, auf die sich diese Äußerungen beziehen. * CAROLA PLATZEK

* vgl. Jacques Rancière, Ist Kunst widerständig?, hg. von Frank Ruda und Jan Völker, Berlin, 2008, S. 71-72


Aus der Fotoserie: In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar. Grösse: variabel, Farbfoto Print, 2011 29


Peter Sandbichler DER KÜNSTLER IST ANWESEND Eröffnung: 11. 10. 2011 Ausstellungsdauer: 12. 10. - 20. 11. 2011 Einführende Worte: Martin Fritz

Robert Misik: It’s time to change the rules of the game (Vortrag) 15. 11. 2013 30


Peter Sandbichler, DER KĂœNSTLER IST ANWESEND, Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 31


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Peter Sandbichler DER KÜNSTLER IST ANWESEND Der Künstler ist anwesend. Bereits der Ausstellungstitel deutet an, was sich Peter Sandbichler für den kunstraum BERNSTEINER überlegt hat. Sandbichler verlegt für sechs Wochen sein Atelier in den Ausstellungsraum. Der Künstler wird von Montag bis Freitag (werktags) zu fixen Zeiten im kunstraum BERNSTEINER bzw. in der gegenüberliegenden Werkstätte arbeiten und bis zum Ende der Ausstellung am 20. November anwesend sein. Am 11. Oktober 2011 wird eine Ausstellung eröffnet, die gleichzeitig als Auftakt zu einem mehr wöchigen Arbeitsprozess vor Ort zu verstehen ist. Bestehende Arbeiten aus der kürzlich beendeten Einzelausstellung des Künstlers in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais („Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“) werden nach Wien transferiert und von Sandbichler als Rauminstallation für den kunstraum BERNSTEINER neu aufgebaut und zusammengesetzt. Zusätzlich entstehen ein bis zwei neue Interventionen, die der Künstler speziell für den Raum konzipiert. In der Laufzeit der Ausstellung nutzt Sandbichler dann den Kunstraum als Ort der künstlerischen Produktion, an dem Möglichkeiten durchgespielt und ausprobiert werden können. Sandbichler gibt die Ungestörtheit in seinem Atelier auf und öffnet den Kunstraum ganz bewußt für BesucherInnen. Von Beginn an wird er einen zentralen, kommunikativen Ort für Gespräche und Auseinandersetzungen in der Mitte des Raums schaffen. Kommentare und Anregungen können sich unmittelbar auf den künstlerischen Prozess auswirken, indem es zu Ergänzungen

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oder Änderungen in der künstlerischen Arbeit kommt. Sandbichler lässt den unmittelbaren Zugang von BesucherInnen nicht nur zu, sondern plant die partizipative Teilnahme ein, gewissermaßen im Sinne einer gewünschten Einmischung: In unregelmäßigen Abständen will er spontan ausgewählte Personen zu kleinen Zusammenkünften in den kunstraum BERNSTEINER einladen und damit die Idee eines Ortes der Kommunikation und Auseinandersetzung intensivieren. Die Ausstellung entspricht einer kleinen Artist Residency „in town“, die für den Künstler eine neue Erfahrung für seine künstlerische Arbeit bedeutet. Darüber hinaus ergeben sich für den kunstraum BERNSTEINER zum ersten Mal fixe Öffnungszeiten und ein erleichterter Zugang für BesucherInnen, den Sandbichler bewußt anstrebt.

Der Künstler ist anwesend ist ein Hybrid aus Ausstellung und Atelier. Produktion und Präsentation fließen ineinander, die Trennung zwischen Atelier und Ausstellungsort ist aufgehoben. In der gesamten Laufzeit verändert sich die Ausstellung permanent: Die Eröffnung markiert den Beginn, die Finissage das Ergebnis des Arbeitsprozesses. Über die Dauer der Ausstellung ist der/die BesucherIn eingeladen, die verschiedenen Entwicklungsstadien zu beobachten, den Arbeitsprozess nachzuvollziehen, Einfluss zu nehmen und die Ausstellung jedes Mal neu und anders zu erleben. Der Künstler ist anwesend wird zu einer lebendigen Installation, die sich täglich neu präsentiert.


Peter Sandbichler, DER KĂœNSTLER IST ANWESEND, Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 33


Peter Sandbichler, DER KÜNSTLER IST ANWESEND, „Atelier“, Foto: Michael Goldgruber 34


Peter Sandbichler, DER KĂœNSTLER IST ANWESEND, Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 35


Karin Felbermayr MASK Eröffnung: 29. 11. 2011 Ausstellungsdauer: 30. 11. 2011 - 24. 1. 2012 Einführende Worte: Andreas Spiegl

Karin Felbermayr, MASK, 2011:
 Video, 4 min 59 sec, loop, Farbe, O -Ton, Projektion ca. 4 x 3 m
 30 alterungsbeständige Passepartoutkartons aus 100% Baumwollhadern in Museumsqualität, Tusche, ca. 410 x 615 cm Sockel: Sperrholz, Tusche, mit Maske aus Foreman, neongelb, 20 x 157 x 138 cm
 Sockel: Sperrholz, Tusche, mit Maske aus Trevira, greenboxgreen, 130 x 76,5 x 76,5 cm
 Sockel: Sperrholz, Tusche, mit Maske aus Bluebox-Stretch-Flex, 163 x 190 x 40 cm
 Sockel: Sperrholz, Tusche, mit Maske aus Textil, retroreflektierend, silber, 200 x 69 x 69 cm
 Licht
 Installationsansicht, Foto: Lisa Rastl 36


Karin Felbermayr, MASK, 2011 37


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Karin Felbermayr MASK Seit ihrer Videoperformance Gender Gamble (2005) hat sich die Künstlerin mit dem Thema Maske im weitesten Sinne auseinandergesetzt. Entstanden sind Serien unterschiedlicher Medium/ Form-Relationen, die der Tradition postideologischer, antiautoritärer Praktiken nahe stehen. Mit ihrem über die Jahre kontinuierlich entwickelten Vokabular hat Karin Felbermayr für den Kunstraum Bernsteiner eine intermediale Installation konzipiert. Die Arbeit verhandelt neben diversen kunstimmanenten Topoi die Malerei als Dispositiv im Dispositiv der Kunst und ist formal an dem Kompositionsschema der leeren Mitte orientiert. Eine kritisch-postavantgardistische Selbstpositionierung erfordert Konsequenzen, die nur im Zusammenhang kontextuell anderer Konsequenzen zu verstehen sind. Wenn längst alle Bilder zu Sonden geworden sind in einer von Ingenieuren und Künstlern zunehmend kognitionswissenschaftlich erschlossenen Welt, dann kann diese nur im Rahmen von Kontrollprojekten mit einem hohen Maß an Überraschungs- und Unbestimmtheitswahrscheinlichkeiten gestaltet werden. Auch im Falle der Kunst ist eine ihrer Funktionen die Bereitstellung eines Potenzials der Selbstbeobachtung, das jederzeit durch Zwecksetzungen der

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Abbildung sowohl maskiert als auch genutzt werden kann (Dirk Baecker 2007). Wir erzeugen eine Existenz, indem wir die Elemente einer dreifachen Identität auseinander nehmen. Wir können nicht irgendetwas kennzeichnen, ohne zwei Zustände zu definieren, und wir können nicht zwei Zustände definieren, ohne drei Elemente zu erschaffen: Was das Ding ist, was es nicht ist, und die Grenze dazwischen. Selbstbezügliche Paradoxa, die durch die Theorie der Typen ausgeschlossen werden, sind nicht schlimmer, als ähnliche selbstbezügliche Paradoxa, die in der gewöhnlichen Gleichungstheorie (und im Alltagserleben) als recht akzeptabel gelten. Mit der Einsicht zu unbestimmter Selbstbestimmung sind wir imstande, eine allgemeinere Form wahrzunehmen, in einem Vorgang ohne Ende. Es sind die Gesetze dieser Form, nicht so sehr jene der Logik, die ich versucht habe, aufzuzeichnen. Auf dieser Stufe kann das Universum nicht unterschieden werden von der Art, wie wir es behandeln, und die Welt mag erscheinen wie zerrinnender Sand unter unseren Füßen (George Spencer-Brown 1967, 1969, 1972, 1994).


Karin Felbermayr, MASK, 2011. Installationsansicht, Fotos: Lisa Rastl

Karin Felbermayr, MASK, 2011. Videostill 39


Gerald Nestler ON PURPOSE. The New Derivative Order Eröffnung: 28. 2. 2012 Ausstellungsdauer: 29. 2. - 25. 4. 2012 Einführende Worte: Eva Blimlinger

Speculation—Risk | Credit—Debt | Contingency—Probability | Value—Price | Volatility—Leverage | Algorithms—Decision-making | Die Ausstellung thematisiert Begriffe und Praxen, die – obwohl weit über einen rein (finanz-) wirtschaftlichen Kontext hinausgehend – von diesem heute in hohem Maße bestimmt werden. Der neoliberalen Deutungshoheit, trotz krisenbedingter massiver Verstaatlichungen etwa im Bankensektor weiterhin ungebrochen, wird eine „derivative“ Strategie potentieller Umschreibungen mit künstlerischen Mitteln gegenübergestellt, wobei historische und aktuelle Diskurse aus Kunst, Ökonomie, Politik und Philosophie zu einer sich verändernden und zum Teil von den BesucherInnen benutzbaren Assemblage verbunden werden. On Purpose. The New Derivative Order ist als work in progress konzipiert, in dem neben den künstlerischen Arbeiten auch performative Veranstaltungen sowie Vorträge und Diskussionen stattfinden. Die Veranstaltungen und ihre Teilnehmer sind ebenso Objekte der Ausstellung wie die Installationen, Videos, Stimmen, Zeichnungen, Texte und Algorithmen – alle gemeinsam bevölkern den Ort (teilweise nur temporär) und schaffen Kontexte für weitere Events/Objekte. Die Ausstellung wird als soziale Skulptur entwickelt, deren Erzählstränge erst im Prozess der Entstehung erscheinen, wobei insbesondere die Veranstaltungen die Frage nach einem „reclaiming of agency“ (Handlungsfähigkeit) stellen, einer Verschiebung „from transaction to action“.

Bottomless Pit, Elastic + Video Contingent Claim, Portrait of a Philosophy. 40


Gerald Nestler, Ausstellungsansicht. Foto: Michael Goldgruber 41


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Gerald Nestler ON PURPOSE. The New Derivative Order

IN THE EYE OF THE STORM THE FUTURE RESTS Assemblage, Zeichnung Basierend auf der Architektur des Trading Floors (Ruben Jennings, US-Patent von 1878), der als ein frühes Beispiel der architektonischen Moderne angesehen werden kann, kartografiert die Arbeit Zusammenhänge zu zeitgleichen Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie sowie geschichtlichen „Vorläufern“ wie etwa dem griechischen Theater und dessen Verbindung zum Orakel als Interpretationsort von Weissagungen. LA DERIVATION HUMAINE Texte Statements zu ON PURPOSE. The New Derivative Order. Im Laufe der Ausstellung finden unterschiedliche Texte Verwendung. Eine Papierbahn dient als Markierungs- und Aufzeichnungsmedium der Diskussionen und Talks. Im Laufe der Ausstellung wird sie durch Beschriftung/Bezeichnung zunehmend selbst Medium der Agency. CONTINGENT CLAIM Video Das Video zeigt Elie Ayache, den Autor von „The Blank Swan. The End of Probability“ (2011), indem der Optionshändler und Philosoph seine auf der Philosophie von Quentin Meillassoux, Alain Badiou, Gilles Deleuze und Henri Bergson aufsetzende Interpretation des Derivathandels darlegt. In seiner Kritik der von Banken beherrschten Finanzmärkte ersetzt er den Begriff der Wahrscheinlichkeit durch den der Kontingenz und verortet den von Meillassoux neu belebten Begriff des Absoluten im kontingenten Raum des Börsenhandels. Im Gegensatz zum Begriff Wert, der für ihn keine Marktkategorie ist, definiert er den Preis als das 42

Absolute des Marktes, der über Schreiben als kontingenter Praxis (in Bezugnahme auf Jorge Luis Borges Text Pierre Menard Author of the Quixote) realisiert wird. BOTTOMLESS PIT, ELASTIC Installation Mit dem Video verbundene, schwebende und ‚volatile‘ Architektur, die das Trading Pit – die abgestufte Arena des Börsenhandels – als Vorläufer bzw. frühe Realisierung der Moderne inszeniert. Durch die Mitwirkung der BesucherInnen nähert sie sich ihre Bewegung einem ‚Random Walk‘ an. Die irrationale, nach Aussage von Tradern intuitive, inkorporierende und aus der Situation heraus sich ereignende ‚Technologie der Zukunft‘ des Finanzmarkts wird mit Materialien unterlegt, die dessen theoretische Fundierung und Rationalisierung (dem Ort der Ausstellung geschuldet u.a. mit Werken von Vertretern der „Austrian School of Economics“) mit kritischen Betrachtungen und Gegenpositionen vereint. Mit Latour kann man von einem Parlament sprechen, in dem Dinge als Ideen und Materialien sich im selben Raum versammeln, deren (U)Topos als welterzeugendes Dispositiv (Foucault) der heutigen Zeit gelten kann. LOVE & LABOUR IN THE 21ST CENTURY Skulptur Eisskulptur im Innenhof des Kunstraum Bernsteiner, die je nach Wetterlage schmilzt. Schriftzug: CREDIT Die Arbeit reaktualisiert Robert Indiana‘s Skulptur Love als Frage nach dem, was Anerkennung heute bedeutet. Der Begriff Credit spiegelt Wahrnehmung in vielfältiger Weise wieder und kann als Indikator für Wertschätzung und ihre Bedeutung innerhalb eines sozialen Systems dienen.

SPEECH ACT ALGORIZM Zeichnung / work in progress Markierungs- und Aufzeichnungsmedium der Diskussionen und Talks im Laufe der Ausstellung, die zunehmend zum Medium von Agency wird. Als „Wasserzeichen“ ist ihr die Black-Scholes Gleichung eingeschrieben, die als wesentliche mathematische Formulierung des derivativen Optionshandels Verwendung findet und ihren Autoren den Nobelpreis einbrachte. Der einschneidende Börsencrash 1987 gilt als Moment, an dem das mathematische Modell an der Realität des emergenten Handels zerbrach. Bis heute wird die Formel als Modell verwendet, aber gegen die realen Preise rekalibriert. Speech Act Algorizm nimmt dies auf und versteht sich als Rekalibrierung-Tool, das soziale und kulturelle Momente einer Derivatisierung kritisch und performativ thematisiert. I‘VE NEVER SEEN ANYTHING LIKE THIS Audio recording Finanz-Algorithmen (der Begriff geht auf Al-Chwarizmi zurück, einem arabischen Gelehrten des 9. Jhds.) werden nicht nur eingesetzt, um komplexe Prozesse abzuwickeln, sondern zunehmend auch zur eigentlichen Entscheidungsfindung. Aktuell laufen die schnellsten Operationen im Bereich um 30 Millisekunden ab – und damit außerhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle. Der sogenannte „Flash Crash“ vom 6. Mai 2010 gilt als „watershed event“ (Daniel Beunza, London School of Economics), an dem ein Kurssturz erstmalig durch Algorithmen verursacht wurde. Die in eine Installation integrierte Audiospur dieses Ereignisses verdeutlicht eindringlich, wie menschliche Agenten durch automatisierte in kurzer Zeit aus dem Markt gedrängt wurden.


Gerald Nestler, Contingent Claim. Portrait of a Philosophy. Mit Elie Ayache, 2012, Videostill

VOLATILITY SMILE Eröffnungs-Performance / Inkjet- und Farbpigementdrucke Mit Agnieszka Dmochowska, Karin Pauer, Gabri M. Einsiedl, Julia Mach, Filip Szatarski, Jasmin Hoffer und Martin Tomann. Die PerformerInnen bilden während der Eröffnung eine Figur, die Dalis/Halsmans Werk In Voluptas Mors (1951) entlehnt ist. Die Aufgabe der PerformerInnen ist es, diese Stellung einzunehmen und so lange wie möglich beizubehalten. Form und Dauer entwickeln ein bildliches Ereignis, das, weit davon entfernt surreal zu sein, die Absurdität heutiger „Zusammenhänge“ abbildet. Während der Ausstellung werden Fotografien der Performance gezeigt. Gerald Nestler, Volatility Smile, 2012. Performance zur Ausstellungseröffnung. Farbpigmentdruck Foto: Michael Goldgruber

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Veranstaltungen SO 11. 3. 17 h SO 18. 3. 18 h SA 14. 4. 18 h 44

Performance im Rahmen von Europe in Motion und imagetanz/brut Wien â–ş Talks and discussion Elie Ayache, Thomas Feuerstein, Karin Knorr Cetina Moderation: Katja Mayer Sound performance: Szely Technopolitics and Technofinance, and the role of art as a critical practice. Brian Holmes, Armin Medosch und weitere Gäste


Gerald Nestler, Love in the 21st Century. 28.02.2012, Eisskulptur, 200 x 150 cm, Foto: Michael Goldgruber 45


Special Feature In The Basement:

Sylvia Eckermann Crystal Math. Ausstellungsdauer: 29. 2. - 25. 4. 2012 1-Kanal-Video, 5.1 Sound, 5000 m Nylondraht Lyrics: Gerald Nestler Sound: Szely Stimme: Simon Streather

Mit einem aus Tausenden Metern Nylondraht geknüpften Spinnennetz, das als Projektionsfläche und „expressives Sprachbild“ (Sabine Dreher) dient, setzt Sylvia Eckermann die Ablösung der Finanzmärkte von menschlichen Akteuren hin zu Algorithmen eindrucksvoll ins Bild. Auf die sich unterirdisch ausdehnenden Glasfasernetze verweisend, die über unscheinbare Carrier Hotels die Machtzentren der Finanzwelt verbinden, thematisiert Crystal Math den Menschen als Ressource derivativer Risikopotentiale. Das Netz dient hier nicht als sozialer Raum der Kommunikation,

sondern als Falle, in der sich die Beute verfängt. Die Mathematik der Wahrscheinlichkeitsberechnung wird zur Droge eines Orakels, das die vielfältigen Optionen der Zukunft ihren Fiktionen unterwirft. Die Stimme von Simon Streather artikuliert diese Abgründe durch einen Text von Gerald Nestler, in dessen Lyrik der Markt zum Finanz-Wesen wird, zur „recombinant Social DNA“. Oh, baby! How you nourish me! Im Zuge der Ausstellung: ON PURPOSE. The New Derivative Order von Gerald Nestler

Sylvia Eckermann, Crystal Math. 2012 , 1-Kanal-Video, 5.1 Sound, 5000 m Nylondraht, Installationsansicht, Foto: Michael Goldgruber 46


Sylvia Eckermann, Crystal Math. 2012 , 1-Kanal-Video, 5.1 Sound, 5000 m Nylondraht, Foto: Michael Goldgruber 47


Ulrich Plieschnig space is the place Eröffnung: 5. Juni 2012 Ausstellungsdauer: 6. 6. - 21. 7. 2012 Einführende Worte: Dr. Renée Gadsden

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Travelling the Spaceway Die Wahl der Mittel ist heute heterogen und umfasst naturgemäß alle Medien und Materialien. Begriffe wie Crossover umreißen das Verflüchtigen von Gattungsgrenzen sowie die vielfältigen Gratwanderungen zwischen Kunst und angewandten Bereichen wie Design und Architektur. Die Kontinuität der Malerei wird alle Jahrzehnte besprochen und ihre angebliche Rückkehr gefeiert. Vor allem die 1980er Jahre wurden durch das Aufkommen des Neoexpressionismus als das Jahrzehnt der Malerei bezeichnet. Doch ist diese Wiederbelebung durchaus differenzierter zu sehen. So stellten Kunsthistoriker wie u. a. Patrick Werkner die Rückkehr der Malerei um 1980 in Frage und meinten, dass diese „nichts anderes war, als eine vermehrte und intensivierte Verwendung des Mediums Malerei durch zeitgenössische Künstler. Von einer Rückkehr zu sprechen ist nicht zutreffend, da es nie eine kollektive Abkehr von der Malerei gegeben hat“1. Doch bedeutete der verstärkte Fokus auf die Malerei nicht nur ein Wiederaufgreifen des Mediums, sondern auch eine Neuorientierung und Neubewertung ihrer Tradition. Dieser, in Österreich als „Neue Wilde“ bekannten heterogenen Gruppe von Malern, folgte die Generation der um 1960 geborenen Künstler und Künstlerinnen nach, zu der auch Ulrich Plieschnig gehört. Emanzipiert von den »wilden Farbschlachten« der 1980er Jahre bricht diese zu Lösungen im Tafelbild auf, die von einem formal strengeren Bildaufbau bis hin zu einem gestischeren Duktus reichen. Trotz oder gerade wegen der vielfältigen Diskussion über die Bedeutung von Malerei zählt diese, gemeinsam mit der Skulptur, zu den etabliertesten und ältesten Kunstmedien. Beim Kommunizieren über diese Gattungen kommt man also selten umhin, sich auch mit den immanenten 48

Standards dieser Medien auseinanderzusetzen. Interessanterweise sieht auch die Kunsttheorie vielfach das statische Bild der Malerei immer noch als Maßstab, und das in einer Welt, in der das Bild die vorherrschende Sprache ist. Wohl deshalb, weil es eine ganz andere Form der Kommunikation ermöglicht als alle digitalen, statischen und beweglichen, elektronischen Bilder, was uns auch die Arbeiten von Ulrich Plieschnig einmal mehr vor Augen führen. Plieschnig stellte – auch wenn es eine Periode performativen Arbeitens gab sowie aktuell auch der Stein als neues Material von ihm entdeckt wurde – stets die Malerei in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens. So sind auch seine Arbeiten auf Papier im eigentlichen Sinn Malerei und loten nur die Möglichkeiten eines anderen Bildträgers aus. Gegen kurzlebige Trends war Ulrich Plieschnig stets resistent und verfolgte konsequent seine eigenen Intentionen. Auch wenn seine Anfänge im Figurativen lagen, so folgte er letztlich einer abstrakten Malerei. Im Laufe seiner künstlerischen Tätigkeit entwickelte er eine sehr markante Bildsprache, deren formaler wie farblicher Aufbau – sieht man von den sehr frühen figurativeren Arbeiten ab – stets ähnlichen Kriterien folgte, wenn auch die Motive und der Zugang zum Bild wechselten. Einschneidend war mit Sicherheit der Entschluss zu einer reduktiven Formensprache, die er vor vielen Jahren nach einem Aufenthalt in New York fällte. Es wurde nicht nur die Pluralität der Bildelemente zurückgenommen, sondern auch die Farbpalette, die sich im Folgenden auf die typischen „Plieschnigfarben“ Indigo, Ocker, Blau, Grau und Weiß beschränkte und auf

das, oft auch das Bild dominierende, Orange. Die Ölfarben werden verdünnt und nicht mit dem Pinsel aufgetragen, sondern auf die Leinwand geschüttet. Die Dualität einer horizontalen und vertikalen Ausrichtung bestimmt die Komposition. Um die Konsequenz des Prinzips seiner Bildkompositionen durchzuhalten, trägt Plieschnig auch den Hintergrund mittels Schüttverfahren auf. Die sich dadurch ergebenden Vermischungen sind Teil der Arbeit und erfolgen am Bild und nicht auf der Palette. Scheint die Farbe wie von allein ihre Schritte auf der Leinwand zu übernehmen, so folgt sie doch einem vom Künstler vorgegebenen Verlauf, den er unter einer gewissen Einbeziehung des Zufalls kontrolliert. Doch ist Plieschnigs Malerei charakterisiert durch einen gezielten, strukturierten Aufbau und schließt eine aktionsgeladene spontane Schüttung als zufällige und eruptive Setzung aus. Im Gegenteil, auf der Leinwand dominiert eher die homogene Farbfläche als ein gestischer Duktus. Die aktuellen Arbeiten hingegen zeigen wieder mehr von der Immanenz des Malprozesses. Rinnspuren als wesentlicher Teil der Komposition fanden sich erstmals in den 1990er Jahren in der Werkserie Malungo. Dort wurden sie zunächst als Kontrapunkt zu dem Motiv der Stelen gesetzt, bis sie zugunsten einer einheitlichen Oberfläche in den Hintergrund traten. Die Stelen als zentrales Element bestimmten in der Folge über einen langen Zeitraum seine Arbeiten. Die Rinnspuren verschwanden und die Farbflächen bzw. Hintergründe wurden zunehmend homogener, man ist nahezu versucht zu sagen: reduziert und streng. Rückblickend scheint es so, als wollte der Künstler die Grenzen dieser Motive ausloten und ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Die Strenge der


Ulrich Plieschnig, space is the place, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Goldgruber 49


Komposition bedeutete letztlich auch den vorläufigen Endpunkt dieser Arbeiten. Dass in dieser Werkphase die Stelen auch als dreidimensionale Skulptur aus Krastaler Marmor entstanden, mag Zufall sein oder auch eine letzte, in dem Fall dann auch noch verstärkt raumgreifende und statische Manifestation. In den neuen Tafelbildern (die ersten entstanden Ende 2010, vor allem jedoch ab 2011) werden die Stelen von runden Formen abgelöst, die nicht zuletzt auch durch ihre Titel an Himmelskörper oder auch in manchen Arbeiten auf Papier an Lebewesen im Wasser erinnern. Der Duktus der Bilder wird malerischer und der Farbe wird ein freierer Verlauf ermöglicht. Dies kündigte sich schon in den Arbeiten auf Papier an, die bereits 2010 parallel zu den „Stelen-Serien“ entstanden und man den Eindruck hatte, dass Ulrich Plieschnig hier bereits mit neuem „Vokabular“ experimentierte. Auch in der räumlichen Verortung der Motive kam es zu Änderungen: die Stelen standen zumeist auf einem „Bodenterrain“ und ließen dadurch eine gewisse landschaftliche Verortung zu. Im Gegensatz dazu schweben die neuen Motive in einem unbestimmten, unendlichen Raum, der sowohl das Weltall als auch die Tiefe und Weite des Ozeans sein kann. Mit dem Thema Weltall haben die Bilder sowohl motivisch zu tun als auch inhaltlich. Das Weltall ist nicht nur eine physikalische Ausdehnung, sondern auch ein symbolischer Raum: seit Jahrhunderten drehen sich Träume und Visionen der Menschen darum, die „extraterrestrische Zone“ zu erobern, Welten jenseits der Erde kennenzulernen und vielleicht sogar andere Planeten zu kolonisieren. „Space is the Place“ erklärte der Musiker Sun Ra, und hunderte Science-Fictionromane und -filme legen Zeugnis ab von der Sehnsucht nach dem Anderen, dem Unbekannten, der ,High Frontier‘, der hohen Grenze, die im 20. Jahrhundert zum Schauplatz geostrategischer Positionskämpfe wurde. Doch wenngleich die Musik des afroamerikanischen Sängers Sun Ra eine Rolle für die Arbeiten von Ulrich Plieschnig spielt, unterscheiden sich seine Bilder dennoch von jenen Positionen, die eine politische oder filmische Dimension mit diesem Thema verbinden. Ulrich Plieschnig interessieren am Weltall vor allem die Aspekte der Zeitlosigkeit und Ungewissheit, die durch die Unendlichkeit, die räumlich für den Menschen nicht fassbar ist, evoziert wird. Beim Anblick der Weite, sowohl des Meeres als auch des Sternenhimmels, so Ulrich Plieschnig, wird einem das eigene Dasein erst 50

wieder bewusst. Die Dimension zwischen unserer Existenz und der Weite des Raumes fordert uns heraus, Grenzen auszuloten und sie gegebenenfalls zu überschreiten. Aus der persönlichen Auseinandersetzung wird eine allgemeine These, womit wir dann letztlich wieder vor der Frage stehen: kann Kunst die philosophischen Gedankenschleifen des Künstlers abbilden oder zumindest einen Teil? Arbeiten wie „Travelling the Spaceway“ oder „From Earth to Earth“ sind Titel, wo es auch darum geht, diese Grenzen zu überwinden und zu versuchen, mittels des Bildes in die Unendlichkeit des Raumes einzutauchen. Und hier sind wir wieder bei den Möglichkeiten der Malerei, die eben diese Zwischenbedeutung abseits einer realen Darstellung ausdrücken kann. Vor allem weil Ulrich Plieschnig stets dort, wo es scheinbar narrativ wird, durch klare Bildstrukturen letztlich wieder auf das abstrakte Terrain zurückführt und bewusst an der Grenze zwischen Bilderzählung und autonomer Malerei arbeitet. Der Bildraum selbst entsteht nur durch die Motive, die – wie auf einer Bühne – vor einem homogenen Hintergrund schweben und durch ihre Setzung auf der Leinwand einen sich in die Tiefe ausbreitenden Raum vortäuschen. Landschaftliche Assoziationen haben Ulrich Plieschnig noch nie etwas ausgemacht, evoziert er diese doch zum Teil auch selbst, wenn er seinen abstrakten Kompositionen Titel gibt, die den Betrachter in eine diesbezügliche Leserichtung führen. Ulrich Plieschnig, aufgewachsen im Kärntner Gurktal, sieht die Landschaft als wesentlichen Impuls seiner Kunst, auch wenn er diese nie illustrativ ins Bild übersetzt. Vielmehr erzählt er vom Dialog zwischen einer äußeren und inneren Wirklichkeit, der Suche nach einer adäquaten Form der Darstellung und der Bemühung, der gesehenen Wirklichkeit ihre Essenz abzuringen und das Wesen der Malerei an sich zu erforschen. Die Farben werden transparent, lasierend bis zu opak eingesetzt, doch nie dominiert ein schweres Farbimpasto. Vielmehr diffundieren die übereinander gelegten Schichten ineinander, sodass zuweilen unter einem weißen Farbbalken der schwarzblaue Untergrund durchscheint. Im Gegensatz zu den „Stelen-Bildern“ wird nun der Pinsel wieder als Werkzeug eingesetzt, um klare Setzungen in der Komposition zu formen. Zugleich greift Ulrich Plieschnig auf die Rinnspuren als bildkonstituierendes Sujet zurück. Den eigentlichen Dialog mit der Natur führt der Maler auf der Leinwand, dort wo Vorbild und reine Form aufeinandertreffen, dort wo das Empfundene und Erfahrene der Wahrnehmung umgesetzt wird. Der

Betrachter ist aufgefordert, bekanntes Terrain zu verlassen, um sich in das prekäre Verhältnis zwischen Wahrnehmung, Wirklichkeit und Interpretation derselben aufzumachen. Die Herausforderung, dieses in eine neue Realität – in jene des Bildes – zu übersetzen, ist dem Kunstschaffen immanent. So entwirft auch Ulrich Plieschnig eine abstrakte Partitur auf der Leinwand, die im besten Fall den BetrachterInnen bekannt vorkommt, indem sie in der Überlagerung von Farbe und Struktur räumliche Assoziationen evoziert. Den Bildern haftet etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles an. Man erwartet, dass etwas geschehen wird, etwas Seltsames, Wunderliches, Symbolisches. Ein bedeutungsvoller Fingerzeig, etwas in der Art einer Vision, etwas, das eine Wahrheit vermuten lässt, aber darüber im Unklaren lässt, welche. Der Zweck des Kunstwerks ist die Bestimmtheit des Unbestimmten, meinte Adorno in seiner Ästhetischen Theorie.2 Vielleicht ist es daher wirklich so, wie Nietzsche annahm, dass die Kunst dem Menschen hilft, sich das Ganze des Daseins bewusst zu machen. Ein Mittel zu einer sensiblen Annäherung an die kaum fassbaren Zwischenräume des Lebens ist sie allemal. SILVIE AIGNER 1 Patrick Werkner, Um 1980. „Rückkehr“ der Malerei und sogenannte Postmoderne, in: ders. Kunst seit 1940. Von Jackson Pollock bis Joseph Beuys, Wien 2007, 2. 278 2 Theodor Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a. M. 1970, S.188/189


Ulrich Plieschnig, twinkle, 2010, テ僕 auf Papier, 50 x 65 cm 51


Ulrich Plieschnig, somewhere in space, 2012, テ僕 auf Leinen, 180 x 140 cm 52


Ulrich Plieschnig, space is the place, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Goldgruber 53


Andrés Ramírez Gaviria A Volume, However Small, Will Have an Infinite Number of Planes Eröffnung: 25. 9. 2012 Ausstellungsdauer: 26. 9. - 3. 11. 2012 Einführende Worte: Georg Russegger Performance von Stefan Nemeth und Bernhard Breuer

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Andrés Ramírez Gaviria, A Volume, However Small, Will Have an Infinite Number of Planes. Eröffnungsperformance von Stefan Nemeth und Bernhard Breuer, Foto: Jürgen Kranzler 55


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Andrés Ramírez Gaviria A Volume, However Small, Will Have an Infinite Number of Planes Im künstlerischen Schaffen von Andrés Ramírez Gaviria werden Formen, Figuren und Diskurse aus der Geschichte der Kunst, des Designs und der Technik durch Prozesse der Übersetzung und Übertragung einem neuen Zweck zugeführt. Vermittels cleverer Manipulationen und verspielter Widersprüche spricht Gaviria Begriffe wie Autonomie und Kommunikation an. Häufig in Zusammenarbeiten mit Technikern und Wissenschaftlern entstanden, manifestiert sein Werk einen immerwährenden Spannungszustand, der sowohl eine seltsame Anziehungskraft als auch eine Hinterfragung seiner Sujets bekundet. Der Titel der Ausstellung, A Volume, However Small, Will Have an Infinite Number of Planes, ist Edward Kasners und James Newmans Buch Mathematics and the Imagination entnommen; er spielt auf ein Konzept von Form und Inhalt an, auf dem die drei von Gaviria in dieser Ausstellung präsentierten Werke beruhen; sources übersetzt und transformiert Signale von astronomischen Objekten in 30 Bilder und eine Live-Sound-Performance. In der zweidimensionalen Komponente dieser Arbeit bringt der Künstler zwei anhand der Daten derselben Informationsquelle erzeugte Bilder paarweise zusammen, um die durch visuelle Interpretation naturwissenschaftlicher Daten ermöglichte Veränderlichkeit anhand konkreter Beispiele zu demonstrieren. Im akustischen Begleitrahmen treibt der Künstler diese Beziehungen noch weiter. Die aus höchst abstrakten naturwissenschaftlichen Daten erzeugte Musikkomposition wird von dem elektronischen Musiker Stefan Nemeth und dem Perkussionisten Bernhard Breuer live aufgeführt. Sie betont sowohl die Fluidität der Übersetzung von Daten über die Grenzen unterschiedlicher Medien hinweg als auch performative, interpretative und kontextuelle Aspekte der Naturwissenschaft selbst. Auf diese Weise legt Gaviria nahe, dass Bedeutung sogar in der Naturwissenschaft, ganz ähnlich wie in der bildenden Kunst und der Musik, mit höchst 56

performativen und subjektiven Mitteln erzeugt wird. Bedeutung lässt sich somit vermittels einer Gestalt ableiten, in der Daten und deren verschiedenste visuelle und akustische Deutungen – naturwissenschaftliche wie künstlerische (obwohl die Grenzen zwischen diesen verschwimmen können) – ein alternatives Feld aus sich ständig verändernden Instanziierungen und Möglichkeiten erzeugen.

S(Pi + Pii + Piii +…Pπ)Y = T ist eine im Sommer 1919 vom russischen Kunstkritiker Nikolai Punin im Rahmen einer Vorlesungsreihe in St. Petersburg mit dem Titel Pervyi tsikl lektsii („Erster Vorlesungszyklus“) aufgestellte Formel für den kreativen Schaffensprozess. Ebenfalls gezeigt wird 0., die Videoaufzeichnung eines versiegelten Glaskubus, dem mit einer Vakuumpumpe Gasmoleküle entzogen werden, bis der unausgesetzt fallende Gasdruck zu einer Implosion führt. Der Kubus wirkt statisch und zweidimensional, bis er plötzlich implodiert, um das temporäre verborgene dreidimensionale Wesen des vordefinierten Bildes zu offenbaren. In der Extrapolation der Begriffe Reduktion und Unteilbarkeit offenbart sich ein Gefühl der Zeitlichkeit und Räumlichkeit über vordergründige wie auch unerwartete Wirkungen und Emotionen. Zwischen Spannungen gefangen, stellt 0. ein Video dar, das als ebenso reale wie symbolische Zerstörung einer für gewöhnlich mit permanenter Kontrollbesessenheit verbundenen Form auftritt, was aber letztendlich durch den akribisch geplanten Vorgang ebendieser Zerstörung konterkariert wird. Genau in dieser Ahnung von Labilität, wird Repräsentation wie Interpretation dabei gezeigt, wie sie sich ausdehnt und in eine Unendlichkeit der Möglichkeiten und Widersprüche zusammenschrumpft.


AndrĂŠs RamĂ­rez Gaviria, 0., 2010. HD video, color, no sound, 5:30 mins. 57


Andrés Ramírez Gaviria, A Volume, However Small, Will Have an Infinite Number of Planes. Ausstellungsansichten, Foto: Jürgen Kranzler 58


Andrés Ramírez Gaviria, sources, 30 gelatin silver prints, each 27.5 x 21 cm, framed, stroboscopic lamps, DMX controller, sound performance, Variable dimensions. Ausstellungsansicht, Foto: Jürgen Kranzler 59


Sylvia Eckermann PROBABILIS Eröffnung: 4. 12. 2012 Ausstellungsdauer: 6. 12. 2012 - 16. 2. 2013 Einführende Worte: Fahim Amir

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Sylvia Eckermann PROBABILIS Sylvia Eckermanns Ausstellung PROBABILIS geht der Frage nach der Auseinandersetzung zwischen Wahrscheinlichkeit und Kontingenz nach. Während die Wahrscheinlichkeit ihren Blick in die Vergangenheit richtet, um eine Zukunft beschreiben zu können, trifft uns die Kontingenz unvermittelt und unvorhergesehen. Die in der Ausstellung zu sehenden Licht- und Textarbeiten, computergenerierten Bildwelten, Skulpturen und Objekte, die Eckermann eigens für den kunstraum BERNSTEINER entwickelt, ordnet sie zu einer inszenierten Raumkomposition an. Die einzelnen Objekte bezeichnet sie als freeze objects, die gleichsam ein im Moment eingefrorenes Ereignis manifestieren. Die Ausstellung interessiert sich für das Ereignis, das uns wie ein Schlag treffen kann, alles und nichts verändern kann, sich uns entzieht und zu einem Ort der absoluten Kontingenz werden kann (nach Quentin Meillassoux).

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Sylvia Eckermann, PROBABILIS. Ausstellungsansicht, Foto: Andreas Kattner 61


Dialektik im Stillstand Sylvia Eckermann beschäftigt sich in ihrer neuen Ausstellung PROBABILIS mit Bedeutungsproduktion im mehrdimensionalen Koordinatenfeld von Wahrscheinlichkeit/Kontingenz und real/ virtuell. Das sich in ihrem neu geschaffenen installativen Ensemble skulptural aufspannende Feld lässt ein Zeitlichkeitsregime und Rationalitätsdispositiv sichtbar werden, das jedwedes futurologische Begehren auf den Boden subjektiver Setzung und historisierender Artefaktizität zurück bezieht: Jede Wahrscheinlichkeitsrechnung besteht in ihrem Kern auf Extrapolation von Historischem. Das Historische selbst muss aber immer erst aus einer Gegenwart geschaffen werden, die selbst von Zukunftsdispositionen abhängt. Diese mehrbödigen Räume sind Forschungs- und Arbeitsfeld der Künstlerin Eckermann. Der Philosoph der aufgeladenen Zeit, Walter Benjamin, notierte einst, dass es dem Historischen Materialismus um die Intrapolation im Kleinsten ginge – eine geradezu unmöglich zu lösende Aufgabe. Das sinnlich sonst nicht wahrnehmbare Zittern einer scheinbar stabilen Gegenwart, die zur Zukunft immer noch der Vergangenheit bedarf, die ihr ständig zwischen den Fingern zu entgleiten droht, zeigt sich bei den Arbeiten der Künstlerin in

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einer materiellen Verdichtung von Kräfteverhältnissen der künstlerischen Objekte. So ist im Rahmen von PROBABILIS ein skulpturales Tafelbild zu sehen, das eine tischähnliche Konstruktion mit drei Objekten darauf zeigt: Ein Metronom, eine fast lebendig wirkende Fliege und ein filigranes Glasgefäß in kleinmaßstablichem Verhältnis zum Metronom. Die räumlich gedachte Zeit hat ihre Messgrößen verloren, der Glascontainer bleibt folgerichtig leer und der Teufel1 liegt im Detail: Hier wird die Eigenzeitlichkeit des Lebendigen in den Blick genommen, um zugleich in einer rhythmusanalytischen Perspektive (Henri Lefebvre) suspendiert zu werden. Die eigens für die Ausstellung geschaffenen Arbeiten der Künstlerin nehmen Fragen von Kontingenz und Wahrscheinlichkeit auf unmessianische Weise in den Blick: Hier ertönt kein Schwanengesang, hier wird ein Murmeln von „Dialektik im Stillstand“ (Benjamin) wahrnehmbar – Kompasse einer multipolaren Welt. FAHIM AMIR 1 Beelzebub, hebr. für „Herr der Fliegen“.


Sylvia Eckermann, Zero Probability Event, 2012. Eisen, Glas, Metronom, Fliege, 111x100x10cm, Foto: Andreas Kattner 63


Kartografie des Unbestimmten, 2012. Wandzeichnung / Leuchtkasten 153 x 187 cm 64

Integument, 2012. Videoloop 5 min, Holzrahmen, Monitor, AV-Player, 100 x 160 cm


Sylvia Eckermann, Tisch f체r meinen Vater, 2012. Holz, Schwan Pr채parate, 80 x 160cm, Foto: Andreas Kattner 65


Silvia Ederer light shapes the shadow Eröffnung: 8. 3. 2013 Ausstellungsdauer: 9. 3. - 1. 5. 2013 Einführende Worte: Cathérine Hug

Silvia Ederer light shapes the shadow Wenn wir uns einen Film anschauen kommt irgendwann dieses eine letzte Bild auf uns zu. Es steht für das Ende einer Geschichte, die letzte Möglichkeit einer Wende, die letzten Eindrücke des eingefangenen Lichtes, die letzte Sekunde einer konstruierten Wirklichkeit, oder wenn man so will der letzte Moment einer Illusion, der wir uns hingegeben haben. In der Serie „final frame“ treten formal autonome Zonen zwischen dem was wir als Gegenständliches und dem was wir als Abstraktion bezeichnen auf. Der jeweils dargestellte Raum tritt als Inhaltsoption von Form, als Chimäre von Erinnerung und als Blendung des vermeintlich Bekannten niemals selbst in Erscheinung, sondern bildet dort wo das Gegenständliche abbricht eine Architektur des unsichtbar Anwesenden. Vielleicht ist „final frame“ auch der Versuch die Grenzen zwischen Dargestelltem und Vorangegangenem - zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem - zu verwischen, der Moment einer chronologischen Bruchstelle. Aus einem Text von Silvia Ederer zu ihrer Serie „final frame“.

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Silvia Ederer arbeitet gleichermaßen mit Verschmelzungen wie mit Brüchen. (...) Nicht glattgebügelt oder gar sauber zeigt sich das Ergebnis ihres langen Reflexionsprozesses über Inhalt und Form. Ihre Bildwelten - entfalten sich diese auf Leinwand, Fotopapier oder im dreidimensionalen Raum - präsentieren das präzise Ergebnis einer sich vervielfachenden Reproduktion von möglichen Wirklichkeiten. Ähnlich vielschichtig und dicht wie die Spuren ihrer Arbeit, die sich am Boden und auf den Wänden ihres Ateliers abzeichnen. FRANZ THALMAIR


Silvia Ederer, light shapes the shadow. Ausstellungsansicht 67


Silvia Ederer, everything is everything, von links nach rechts postmodern deal, summer, lacan´s secret picture, 2013, 61 x 81cm, Acryl auf Leinwand, Foto: Bettina Letz 68


Silvia Ederer, a room´gender, 2011, 125 x 210cm, Acryl auf Leinwand, aus der Serie final frame, Foto: Bettina Letz 69


Michael Goldgruber FESTLAND Eröffnung: 22. 5. 2013 Ausstellungsdauer: 23. 5. - 13. 7. 2013 Einführende Worte: Günther Oberhollenzer, Kurator, Essl Museum

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Michael Golgruber, Rampe, Fotografien, 2012, 60 x 75 cm. Ed.10+1 71


Zur Ausstellung

Michael Goldgruber FESTLAND

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Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist auf der einen Seite geprägt von medial evozierten Klischees und romantischen Leitmotiven und auf der anderen Seite von ökonomischen Interessen und ökologischen Fragestellungen. Begriffe wie authentische Natur, Wildnis oder unberührte Landschaft treffen auf Kontrolle, Regulation, Vermessung und Verwaltung derselben bis in die letzten Winkel.

Romantik) wird an solchen Orten zum ideellen Hintergrund von Territorialbesetzung. Dieses imperialistisch anmutende Verhalten steht stellvertretend für eine kulturelle Strategie im Umgang mit Natur. Die architektonischen und apparativen Settings in seinen Arbeiten stehen als visuelle Codes für die scheinbare Überwindung und die Domestizierung des Unbeherrschbaren sowie die Unmöglichkeit des Begriffes einer „authentischen“ Natur.

Mit diesem Hintergrund und entsprechender Skepsis gegenüber romantisch verklärten Sichtweisen ist Michael Goldgruber mittels Fotografie, filmischen Arbeiten, Video- und Soundinstalla tionen auf der Spur der Domestizierung und Vereinnahmung von Natur und der Medialisierung von Landschaftswahrnehmung. Dabei findet er Konstruktionen aus Stahl, Beton oder Holz vor die als Blickdirektiven die Wahrnehmung von Landschaften steuern sowie Apparate und Architekturen, die der Kontrolle, dem Beherrschen und der Regulation von Naturkräften dienen, oder aber auch durch wirtschaftliche Nutzung veränderte Vegetation und Tektonik. Das Leitmotiv des Erhabenen (aus der deutschen

In der Ausstellung „Festland“ zeigt Goldgruber mittel- bis großformatige Fotografien und zwei filmische Installationen. Alle Arbeiten sind im Herbst 2012 in Frankreich während seines Paris-Stipendiums entstanden. Sie zeigen einerseits eine Gipfelarchitektur mit Aussichtsfenstern auf der Aguille du Midi (am Montblanc auf knapp 4000m Seehöhe), andererseits eine Betonrampe an der Atlantikküste der Normandie, sowie eine Beleuchtungsanordnung der berühmten Felsen von Etretat (ebenfalls in der Normandie), die den französischen Impressionisten in zahlreichen Malereien als Motiv gedient haben.


Gipfelanlage, Fotografie, 2012 . MaĂ&#x;e variabel bis 130 x 204 cm . Ed. 7+1 73


Arrangement, Fotografie, 2012 . MaĂ&#x;e variabel bis 130 x 207 cm . Ed. 7+1 74


Michael Goldgruber, Ausstellungsansicht 75



Impressum Coverfoto: Michael Goldgruber Gestaltung: Sylvia Eckermann Dokumentation der Ausstellungt채tigkeit von Juni 2010 - Juni 2013



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