Faktor Sport – Ausgabe 02/2013

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Faktor Sport [ Spiegelbild ] 39

VERSCHWINDEN DER

BILDFLÄCHE

ES GAB ZEITEN, DA ÜBERTRUGEN DIE DRITTEN PROGRAMME SPIELE VON ANPFIFF BIS ABPFIFF. STANLEY SCHMIDT KENNT SIE. HEUTE FINDET WASSERBALL ALS 30-SEKUNDEN-HÄPPCHEN STATT – WENN ÜBERHAUPT. Wasserball aus Leidenschaft? Stanley Schmidt lacht. „Ich bin von Haus aus Fußballer“, sagt er. „Meine Mutter stammt aus Irland, ich hatte mit Wasserball nichts am Hut. Ich war Länderspiel-Reporter im Fußball.“ Schmidt kam frei von Fachkenntnissen zu dem Sport, mit dem er anderthalb Jahrzehnte für den Sender Freies Berlin (SFB) und später Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) die ganze Welt bereisen sollte. „Die ARD suchte nach der Schwimm-WM 1978 in Berlin einen Wasserball-Reporter“, sagt Schmidt. „Ich habe mir ein paar Spiele angesehen und war begeistert von der Athletik und der Spielintelligenz. Da waren clevere Typen dabei, ganz anders als die oft stumpfen Fußballer.“ Also sagte Schmidt zu. „Im Wasserball war keine Konkurrenz unter den Reportern, und es gab keine Experten. Es war viel mehr möglich als heute. Wenn ich sagte: Ich muss mit Spandau ins Trainingslager nach Lugano, bin ich gefahren.“ Andere Zeiten eben. Wenn die Kommentatorenkollegen heute Ruderboote ins Ziel brüllen oder Tore ekstatisch bejubeln, wundert sich der 64-jährige Schmidt: „Ich habe mich nie als Lobbyist des Sports gesehen. Eher als kritischer Beobachter.“ In der Wasserball-Hochzeit der achtziger Jahre gab es kaum etwas zu monieren: „Diese Spandauer Mannschaft mit Peter Röhle, Hagen Stamm, Thomas Loebb, Frank Otto, Armando Fernandez und Roland Freund – das war etwas Einzigartiges. Die hatten was im Kopf und haben das Spiel alle auf ihre Art geprägt“, sagt Schmidt. Viermal holten sich die Wasserfreunde Spandau 04 den Europapokal der Landesmeister. Von Berlin in die Welt: Der Reporter mit dem gut hörbaren Berliner Einschlag in der Stimme reiste mit der Nationalmannschaft zwischen 1984 und 1992 zu drei Olympischen Spielen und diversen Welt- und Europameisterschaften. Wasserball hatte im ARD-internen Wettbewerb nicht zuletzt wegen Schmidt seinen Wert, gleichwohl gab es auch damals eine klare Hackordnung: „Als Michael Groß bei der EM 1983 in Rom schwamm, war nur er zu sehen und Jörg Wontorra zu hören. Ganz am Ende kam ich mit dem Wasserball.“ Fest verwurzelt war Wasserball in den dritten Programmen. „Wir haben alle wichtigen Länder- und Europapokalspiele live im SFB übertragen, und weil wir im Verbund mit dem NDR sendeten, hatten wir gute Quoten“, sagt Schmidt. Einspieler in der Sportschau, sogar Portraits und Hintergründe: Schmidt konnte sich austoben, mittlerweile

auch mit der nötigen Sachkenntnis. Und er blieb dran am Thema, ließ sich beim Training im Schöneberger Bad vom legendären Spandauer Trainer Alfred Balen in die Geheimnisse dieser Sportart mit ihren vielen versteckten Unterwasserfouls einführen und knüpfte abends beim Bier enge Bande mit Hagen Stamm und Co. „Die fanden immer, dass ich zu kritisch war“, sagt Schmidt. Während er alle großen Spandauer Triumphe miterlebte, fehlte er beim letzten Titelgewinn der Nationalmannschaft am Mikrofon: „Bei der EM in Bonn 1989 übertrug das ZDF das Finale mit Béla Réthy. Ich hatte das Halbfinale. Réthy hatte zuvor nie Wasserball gemacht.“ 1992 kehrte Schmidt dem Sport den Rücken. Er wurde Dokumentarfilmer, machte Stücke für die Abendschau. „Ich blättere die Sportteile der Zeitungen ja nur durch, das andere interessiert mich mehr. Ich bin eigentlich Politologe und Lyriker, kein Sportler“, sagt Schmidt. Sein Wasserball-Nachfolger in der ARD wurde Hajo Seppelt, heute Doping-Experte der ARD. Doch ohne Schmidt und seine enge Bindung zu Aktiven und Offiziellen verlor der Wasserball an Präsenz im Senderverbund. Heute finden sich die Spandauer selbst im RBB nur in einem 30-Sekunden-Stück wieder. Stanley Schmidt verbringt sein letztes Jahr beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Innendienst. Die Wasserfreunde wünschen sich, dass der alte Fahrensmann öfter vorbeischaut, dann wäre wieder mal ein Bericht garantiert. Frank Heike

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