Von Solferino zur Suche 2.0 MEILENSTEINE DES DRK-SUCHDIENSTES
Von Solferino zur Suche 2.0 MEILENSTEINE DES DRK-SUCHDIENSTES
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Zum Geleit
or einigen Monaten erhielt der Fachbereich „Nachforschungen, Schicksalsklärungen – Zweiter Welt-
krieg“ des DRK-Suchdienstes am Standort München Post von einer Dame, die eine Anfrage zum Schicksal ihres Großvaters gestellt hatte. Tatsächlich vermochten die Recherchen des Suchdienstes etwas Licht in dieses wohl bedrückendste Kapitel der Familiengeschichte zu bringen. „Sie können sich kaum vorstellen“, schrieb sie da-
Dr. Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes
raufhin, „welche Freude Sie uns damit bereiteten. Nach 75 Jahren konnte mein Vater das erste Foto seines Vaters in
Händen halten! Er ähnelt ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich möchte Ihnen und Ihrer Institution von Herzen danken, dass Sie diese großartige Arbeit leisten.“ Solche Dankesschreiben erreichen den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in erfreulich großer Zahl. Denn noch immer bearbeitet er jährlich mehr als zehntausend Anfragen nach ungeklärten Schicksalen aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch wenn die Geschehnisse lange zurückliegen – Briefe wie dieser lassen erahnen, welch nachhaltige Wirkung es haben kann, wenn die nebulosen, rätselhaften Ereignisse während des Kriegs, die zahllose Familiengeschichten überschatten, nun doch noch Klärung, Orientierung und Objektivierung erfahren. Der Suchdienst war und ist für die Betroffenen ein wichtiger Partner in der Trauerarbeit, ohne welche die Hinwendung zum eigenen Leben nur unvollständig gelingt.
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Die Nachforschungen nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg bilden nach wie vor ei-
Bis heute hilft der DRK-Suchdienst ihnen sowie ihren Bevollmächtigten in Deutschland bei
nen festen Bestandteil der Arbeit des DRK-Suchdienstes. Seit den sechziger Jahren obliegt
der Familienzusammenführung. Überhaupt haben sich die internationale Suche und die
ihm auch die Führung des Amtlichen Auskunftsbüros. Nach Maßgabe der Genfer Konven-
Familienzusammenführung zu den gegenwärtig wohl wichtigsten Arbeitsfeldern des
tion wird es nicht nur im Falle eines bewaffneten Konfliktes tätig, sondern auch bei Natur-
DRK-Suchdienstes entwickelt. Insbesondere ist er auf allen Verbandsebenen – seien es die
katastrophen und Großschadensereignissen. Dabei kommt den Landes- und Kreisaus-
zentralen Standorte in Hamburg und München, die Suchdiensteinrichtungen in den Lan-
kunftsbüros des DRK eine wichtige Rolle zu; zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter sind
desverbänden oder die hauptamtlichen Beratungsstellen in den DRK-Kreisverbänden – be-
speziell für diese Aufgaben geschult worden.
müht, hilfebedürftige Flüchtlinge in Kontakt mit ihren Angehörigen zu bringen, die quälende
Seit der Aufnahme der vietnamesischen „boat people“ in den siebziger Jahren suchten
Ungewissheit zu beseitigen und die Familienzusammenführung zu erleichtern. Er kooperiert
immer mehr Menschen in Deutschland Schutz vor Kriegen und bewaffneten Konflikten in
dabei vertrauensvoll mit den weltweit insgesamt 189 nationalen Gesellschaften des Roten
ihren Herkunftsländern. Viele Familien werden auf ihrer Flucht unfreiwillig voneinander ge-
Kreuzes und des Roten Halbmondes sowie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz.
trennt und verlieren den Kontakt zu ihren zurückgebliebenen Angehörigen. Die Genfer Kon-
Manchmal erleben die Mitarbeiter dabei ein Déjà-vu: Fast sechs Jahrzehnte nach den
ventionen sehen vor, dass sowohl verschleppte oder versprengte Zivilpersonen wie auch
Kindersuchplakaten und Vermisstenbildlisten des Zweiten Weltkriegs setzt der DRK-Such-
Kriegsgefangene ein Recht auf Kontakt mit ihren Familien und gegebenenfalls auf eine
dienst wiederum Porträtaufnahmen ein, um Menschen zueinanderzuführen. Vor zwei Jah-
Zusammenführung mit ihnen haben. Deshalb unterstützt der DRK-Suchdienst seit dieser
ren wurde das Projekt „Family Links Poster – Migrants in Europe“ von achtzehn europäi-
Zeit in Deutschland lebende Flüchtlinge bei der Suche nach ihren Angehörigen, hilft bei der
schen Rotkreuzgesellschaften ins Leben gerufen. Flüchtlinge, die nach Europa gelangt sind,
Kontaktaufnahme und berät zu den Möglichkeiten einer Familienzusammenführung.
aber ihre Angehörigen auf der Flucht verloren haben, können ein Foto von sich auf einer
In den achtziger Jahren führten die politischen Umbrüche in Osteuropa zu einer regel-
speziellen Internetseite des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz einstellen. Es wird
rechten Ausreisewelle. Allein 1990 konnten 400 000 Menschen deutscher Volkszugehörig-
gleichzeitig auch auf europaweit aushängenden Postern veröffentlicht. Stoßen andere Fa-
keit vor allem aus Polen und der Sowjetunion nach Deutschland übersiedeln. Viele andere
milienmitglieder auf dieses Foto, können sie über den Suchdienst der zuständigen nationa-
aber mussten in den Ausreisegebieten zurückbleiben, wodurch neue Härtefälle entstanden.
len Rotkreuzgesellschaft mit ihren versprengten Angehörigen Verbindung aufnehmen.
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In anderen Fällen wissen die Familienmitglieder zwar voneinander, können aber aufgrund
stand, ist an dieser gewaltigen Aufgabe gewachsen; sie war bestimmend für seine Identität.
der Umstände nicht miteinander in Kontakt treten. Hierfür wurden die „Rotkreuz-Familien-
Die vorliegende Broschüre zeichnet diesen Weg des DRK-Suchdienstes nach, und sie spie-
nachrichten“ entwickelt, die sowohl Kriegsgefangenen als auch der Zivilbevölkerung in Kon-
gelt dabei das nie versiegende Engagement seiner haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeite-
fliktgebieten die Möglichkeit bieten, mit ihren Angehörigen in Verbindung zu bleiben. In
rinnen und Mitarbeiter zum Wohle unzähliger Hilfsbedürftiger. Parallel ist unter dem Titel
ähnlicher Form können Flüchtlinge in Deutschland beim DRK-Suchdienst eine Nachricht
Suchen – Verbinden – Vereinen noch ein historischer Abriss über die Entwicklung des
rein persönlicher Natur an ihre Familien formulieren. Sie wird über das weltweite Such-
DRK-Suchdienstes und das humanitäre Mandat des Roten Kreuzes erschienen.
dienst-Netzwerk der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung übermittelt. In den letzten Jahren standen auch Insassen der amerikanischen Militärgefängnisse in Guantánamo und im afghanischen Bagram dank solcher Nachrichten mit ihren Angehörigen in Deutschland in Kontakt. Mittlerweile ermöglichen der DRK-Suchdienst und das Internationale Komitee auch Skype-Telefonate zwischen ihnen und ihren Familien. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie facettenreich die Arbeit des Suchdienstes war und ist. Die hier versammelten historischen Meilensteine stecken seine Entwicklung über die letzten 150 Jahre hinweg ab. Sie zeigen, wie Nachforschungsarbeit im Gefolge bewaffneter Konflikte bereits bei Henry Dunant als intuitive Praxis angelegt war, wie sie früh schon als ein Grundpfeiler der Rotkreuzbewegung Gestalt annahm und dann mit jedem Krieg fatalerweise an Bedeutung gewann. Schon während des Ersten Weltkriegs entfaltete sie sich in einer bis dahin nicht für möglich gehaltenen Größenordnung, um dann nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig jede Vorstellungskraft zu sprengen. Der DRK-Suchdienst, der in seiner heutigen Form als direkte Reaktion auf diese entsetzlichen Verheerungen ent-
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Hoffnung und Gewissheit
Der DRK-Suchdienst sucht, verbindet und vereint Familien. In Deutschland und weltweit.
Meilensteine des DRK-Suchdienstes
S
iebzig Jahre sind historisch keine allzu lange Zeit; sie entsprechen etwa der Spanne eines Menschenle-
bens. Doch in diesen siebzig Jahren hat Europa Umbrüche in einem beispiellosen Ausmaß zu verkraften gehabt. Die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkriegs wirken bis in unsere Tage nach, und immer wieder haben neue Konflikte und Katastrophen seither die Welt erschüttert. Menschen verschwinden spurlos, Familien werden auseinandergerissen, Verbindungen brechen ab. Solchen Fällen nachzuge-
hen, sich um Klärung ungewisser Schicksale zu bemühen und den Betroffenen, entspreDas Deutsche Rote Kreuz ist Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.
chend der humanitären Zielsetzung des Roten Kreuzes, zur Seite zu stehen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des DRK-Suchdienstes. In seiner heutigen Form entstand er 1945. Doch seine historischen Wurzeln reichen noch tiefer. Von Beginn an gehörten die Nachforschung nach Vermissten und die Nachrichtenübermittlung an Angehörige zu den klassischen Aufgabenfeldern der Rotkreuzarbeit in Deutschland, und von Beginn an waren sie eng mit der Entwicklung der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung verbunden. Zunächst ging es vor allem um das Schicksal vermisster Soldaten, primär aus der eigenen Armee, aber im Rahmen der Kriegsgefangenenfürsorge auch aus anderen Streitkräften. Nach dem Zweiten Weltkrieg dehnte der neugegründete Suchdienst seine Arbeit
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dann systematisch auch auf vermisste Zivilpersonen aus. Die Zahl der Betroffenen war ungeheuerlich, die Flut der Anfragen manchmal kaum zu bewältigen. Doch in Millionen von Fällen gelang es dem DRK-Suchdienst – gemeinsam mit der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, dem Kirchlichen Suchdienst, der Deutschen Dienststelle als Nachfolger der Wehrmachtauskunftstelle, dem Internationalen Suchdienst und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge –, entscheidend zur Klärung ungewisser Schicksale beizutragen. Er vermochte Klarheit anstelle von Mutmaßungen zu setzen und Kenntnis anstelle von Zweifel. In erfreulich vielen Fällen konnte er auseinandergerissene Angehörige wieder zusammenbringen, manchmal selbst noch nach Jahrzehnten. Doch auch dann, wenn im Zuge der Recherchen der befürchtete Verlust zur traurigen Gewissheit wurde, leisteten die gewonnenen Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag zur Wiedererlangung des seelischen Gleichgewichts, für die Angehörigen wie auch für die Gesellschaft als Ganzes. Indem sie danach trachten, die Folgen gewaltsamer Geschehnisse aufzuklären, leisten die verschiedenen Suchdienste und Auskunftsstellen einen Beitrag zur Gedächtniskultur unseres Landes. Bis heute ist die Suchdienstarbeit fester Bestandteil des humanitären Engagements des Deutschen Roten Kreuzes. Sie bildet ein faszinierendes, menschlich bewegendes Aufgabengebiet. Im Folgenden sind 25 exemplarische Stationen in der Entwicklung des DRK-Suchdienstes zusammengestellt. Stefan Schomann, Autor
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1859 „Er war als vermißt gemeldet“ HENRY DUNANT BEMÜHT SICH UM DIE KLÄRUNG VON SOLDATENSCHICKSALEN
In Oberitalien ziehen die Armeen von Frankreich
Lazarette in oberitalienischen Städten, wobei sein
und Sardinien-Piemont gegen die Österreicher zu
besonderes Augenmerk der Lage der Kriegs-
Felde. Der Genfer Geschäftsmann Henry Dunant
gefangenen gilt. Ob Freund oder Feind, ob verwun-
wird unvermutet Zeuge der chaotischen Zustände
det oder unversehrt – stets spielt für die Soldaten
unmittelbar nach der Schlacht von Solferino.
die briefliche Verbindung mit ihrem Zuhause eine
Zehntausende von Verwundeten sind ohne jede
wichtige Rolle. Die Angehörigen sollen über ihr
medizinische Versorgung, die hygienischen Verhält-
Schicksal nicht im Ungewissen bleiben.
nisse teilweise katastrophal. Noch Tage nach den
Von den erlebten „Schmerzens- und Jam-
Kämpfen verenden Soldaten auf dem weitläufigen
merszenen“ nachhaltig erschüttert, veröffentlicht
Schlachtfeld.
Dunant drei Jahre danach seine Erinnerung an
Die Zahl der Verletzten übersteigt jedes Maß,
Solferino. Das Buch gerät zu einem Manifest des
und ebenso ihre Qualen. Die militärischen Stellen
Mitgefühls und findet international Beachtung.
sind vom Ausmaß der Not überfordert. Dunant hilft
Henry Dunant hält seiner Zeit einen Spiegel vor –
bei der Erstversorgung der Verwundeten, besorgt
und Europa erschrickt vor sich selbst. Ein politi-
Wäsche, organisiert Unterstützung aus der Bevölke-
scher Prozess kommt in Gang, der 1863 zur
rung, steht Sterbenden bei und spendet, wo er nur
Gründung des Roten Kreuzes als einem internatio-
kann, Zuspruch und Trost. Mehrfach bitten Solda-
nalen Netzwerk freiwilliger nationaler Hilfsgesell-
ten ihn, er möge ihre Angehörigen verständigen;
schaften führt. Ein Jahr später wird, auf Betreiben
manche diktieren ihm Abschiedsbriefe in die Feder.
des Roten Kreuzes, die erste Genfer Konvention
In den folgenden Wochen besucht er zahlreiche
beschlossen.
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Letzte Bitte « ‹Lassen sie mich nicht sterben!› rufen einige dieser Unglücklichen und ergreifen mit außerordentlicher Kraft meine Hand; sobald aber diese letzte Anspannung erschlafft, brechen sie tot zusammen. Ein junger Korporal von etwa zwanzig Jahren mit sanftem, ausdrucksvollem Gesicht ist von einer Kugel in die linke Seite getroffen worden. Sein Zustand ist hoffnungslos, und er weiß es selbst. Ich helfe ihm beim Trinken, er dankt mir, und mit Tränen in den Augen fügt er hinzu: ‹Ach, Monsieur, wenn sie doch meinem Vater schreiben wollten, er solle meine Mutter trösten!› Ich lasse mir die Adresse seiner Eltern geben, und kurz darauf haucht er sein Leben aus. Die Eltern wohnten rue d’Alger 3 in L yon. Der junge Mann, der sich als Freiwilliger gemeldet hatte, war ihr einziger Sohn. Sie erhielten keine andere Nachricht über ihr Kind als den Brief, den ich ihnen schickte. Er war in den Listen wie viele andere als vermißt gemeldet. »
Henry Dunant, Erinnerung an Solferino, 1862
1866 Frühe Ausprägungen
Erfassung mit System
DATEN, NAMEN, FAKTEN – DIE ANFÄNGE DER SUCHDIENSTARBEIT
« Die seit Beginn befolgte Methode beruhte nämlich auf Eintragung in alphabetische Hauptbücher, deren Durchführung bei den riesigen Dimensionen, die der Krieg genommen, weit mehr Zeit und Kräfte beansprucht hat, als von vorn herein vermuthet werden konnte. Dieselbe bot überdies bei einer
Die Geschichte des Suchdienstes ist eng mit
Zwei Jahre später zeigen sich dann während
der Entwicklung des Roten Kreuzes verbunden.
des Deutsch-Österreichischen Kriegs erste
Schon auf dem Statistischen Kongress in Berlin
Ansätze von organisierter Sucharbeit. So richtet
keiten, die nur unter Benutzung besonders angelegter complicirter Hülfsregister überwältigt werden
1863, bei dem Henry Dunant die entscheidende
der Rotkreuzverein des Großherzogtums Olden-
konnten. Der Vorstand glaubte, eine genügende Abhülfe für diese Uebelstände in der Einführung ei-
Weichenstellung gelingt, um führende euro-
burg ein Büro ein, bei dem sich jeder melden
päische Regierungen zur Teilnahme an der
kann, „der über einen vermißten Krieger Aus-
Gründungskonferenz des Roten Kreuzes in Genf
kunft wünscht. Zugleich ist die Einrichtung
re, alphabetisch zu ordnende Karten gefunden zu haben. Die Karten befinden sich in 500 nach Re-
zu bewegen, erörtern Militärärzte und Verwal-
getroffen worden, daß jeder der hier ankommen-
gimentern geordneten Kasten, in diesen alphabetisch rangirt. Mit Benutzung dieses Apparats lassen
tungsfachleute, wie man die Zahl der Gefallenen,
den Verwundeten Auskunft darüber ertheilt, wen
Verwundeten und Erkrankten zuverlässig erfas-
er von seinen Kameraden todt gesehen.“ Schon
sen könne.
hier werden die Mitkombattanten zu einer
Anfang 1864 entsendet das neu gegründete
wichtigen Quelle. Das Büro verschickt zweitau-
Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf
send Benachrichtigungen. Zur gleichen Zeit
(IKRK) zwei Beobachter in den Deutsch-Däni-
beginnt nach der Schlacht von Langensalza der
schen Krieg. Sie bemühen sich bereits, Listen
Mathematiklehrer Friedrich Wilhelm Looff, die
der gefangenen und verwundeten Soldaten zu
Verwundeten in den umliegenden Lazaretten zu
erhalten, um den Angehörigen, aber etwa auch
erfassen. Er benachrichtigt ihre Familien und
den Behörden, Klarheit zu verschaffen.
richtet einen Auskunftsdienst ein.
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Anhäufung von Namen, die schließlich auf die Zahl von 253 143 anwuchs, nicht geringe Schwierig-
nes Systems von Uebertragung der einzelnen Namen nebst den zugehörigen Angaben auf besonde-
sich die Recherchen, von denen manche bei der früheren Methode eine Viertelstunde in Anspruch nahm, im zehnten Teil dieser Zeit bewerkstelligen. Ein beglückender Moment war es für das Central-Nachweise- Büreau, als Ihre Majestät die Kaiserin am 2. d. M. von dem neuen Verfahren persönlich Kenntnis zu nehmen und lebhaftes Interesse für diesen Gegenstand huldvollst auszusprechen geruhten. »
Kriegerheil, Organ der deutschen Rotkreuzvereine, März 1871
1866 Frühe Ausprägungen
In Düppel (Dybbøl) erinnert ein Gedenkstein an den ersten Einsatz von Rotkreuzdelegierten während des Deutsch-Dänischen Kriegs
Im Deutsch-Französischen-Krieg von 1870/71
bereits drei Tage nach Kriegsbeginn in Basel
wird dann der erste deutschlandweite Such-
eine „Agentur für die Hilfe für verwundete
dienst organisiert. „Die freiwillige Krankenpflege
Soldaten“ eingerichtet. Über das angeschlosse-
wird zur Lösung der ihr zufallenden humanen
ne „Korrespondenz- und Nachweisungsbüro“
Aufgabe Nachrichten über den Aufenthalt
tauschen die verfeindeten Staaten Listen von
verwundeter oder erkrankter Krieger an deren
Kriegsgefangenen aus, und täglich leitet es rund
Angehörige vermitteln.“ Herzstück ist ein
700 Briefe zwischen den gefangenen Soldaten
„Central-Nachweise-Büreau“ der deutschen
und ihren Angehörigen weiter.
Rotkreuzvereine in Berlin, das mit Auskunftsstel-
In Paris lässt Henry Dunant zur gleichen
len in anderen Residenzstädten zusammenar-
Zeit Erkennungsschilder an Soldaten verteilen,
beitet. Sie tragen Angaben der Lazarette und
die Namen, Geburtsort und Regimentsnummer
Militärbehörden zusammen und verständigen die
verzeichnen. Während der Herrschaft der
Familien. Allein in Berlin laufen über 500 000
Kommune setzt er durch, dass ein Auskunfts-
Personenauskünfte ein, darunter 60 000 über
büro unter dem Schutz des Roten Kreuzes
gefangene Franzosen. Parallel hat das IKRK
eingerichtet wird.
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1899 Regelwerke für den Krieg
Zweites Kapitel: Kriegsgefangene
DIE HAAGER LANDKRIEGSORDNUNG UND IHRE FOLGEN
« Es wird beim Ausbruche der Feindseligkeiten in jedem der krieg führenden Staaten und gegebenenfalls in den neutralen Staaten, die Angehörige einer der Kriegsparteien in ihr Gebiet aufgenommen haben, eine Auskunftstelle über die Kriegsgefangenen errichtet. Diese hat die Aufgabe, alle die Gustave Moynier (1826 - 1910) war nicht nur
Postverkehr mit den Angehörigen und mit
Mitbegründer und langjähriger Präsident des
Hilfsorganisationen. Für seine Pionierarbeit auf
Internationalen Komitees vom Roten Kreuz,
dem Gebiet des humanitären Völkerrechts wird
sondern als Jurist auch einer der Väter des
das Institut 1904 mit dem Friedensnobelpreis
Personalblatt zu führen. Die Auskunftstelle muß auf dem Laufenden gehalten werden über die Unter-
modernen Völkerrechts. Gemeinsam mit anderen
geehrt.
bringung der Gefangenen und über die dabei eintretenden Veränderungen, sowie über die Ueberfüh-
europäischen Juristen hat er das Institut für
Welche Institutionen jedoch im Einzelnen
Kriegsgefangenen betreffenden Anfragen zu beantworten, und erhält hierfür von den zuständigen Dienststellen die nöthigen Angaben, die sie in den Stand setzen, über jeden Kriegsgefangenen ein
rung in Krankenhäuser und über Todesfälle. Die Auskunftstelle sammelt ferner alle zum persönli-
Internationales Recht im belgischen Gent ins
mit diesen Aufgaben betraut werden sollen,
Leben gerufen. In dessen Auftrag erarbeitet er
bleibt zunächst offen. Doch dann gerät der
chen Gebrauche dienenden Gegenstände, Werthsachen, Briefe u.s.w., die auf den Schlachtfeldern
ein Handbuch zu den Gesetzen des Landkriegs,
Russisch-Japanische Krieg 1904/1905 zum
gefunden oder von den in Krankenhäusern oder Feldlazarethen gestorbenen Kriegsgefangenen hin-
das schließlich die wichtigste Grundlage für das
Präzedenzfall. Dort verhandeln die Rotkreuzge-
Haager Abkommen betreffend die Gesetze und
sellschaften der beiden Staaten über die Gefan-
Gebräuche des Landkriegs bildet. Es wird 1899
genen, im Zusammenwirken mit Rotkreuzgesell-
auf der ersten Haager Friedenskonferenz be-
schaften neutraler Staaten und dem IKRK in
schlossen, bei der sich Vertreter von 26 Staaten
Genf. Die dabei entwickelten Praktiken werden
auf völkerrechtliche Bestimmungen im Kriegsfall
allgemein als richtungsweisend eingestuft und
einigen. Die Behandlung von Kriegs-
auf der VIII. Internationalen Rotkreuz-Konferenz
gefangenen nimmt darin breiten Raum ein.
in London 1907 in Form einer Resolution fixiert.
Die Einrichtung einer nationalen Auskunftsstelle
Diese wiederum dient als Vorlage für die zweite
über Gefangene wird ebenso festgelegt wie der
Haager Friedenskonferenz im gleichen Jahr,
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terlassen werden, und stellt sie den Berechtigten zu. Die Auskunftstellen genießen Portofreiheit. Briefe, Postanweisungen, Geldsendungen und Postpakete, die für die Kriegsgefangenen bestimmt sind oder von ihnen abgesandt werden, sind sowohl im Lande der Aufgabe als auch im Bestimmungsland und in den Zwischenländern von allen Postgebühren befreit.»
Internationale Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, abgeschlossen in Den Haag am 29. Juli 1899, Beilage, Erster Abschnitt, Artikel 14 und 16
1899 Regelwerke für den Krieg
welche insbesondere die Bestimmungen über
Nachdem die Genfer Konvention bereits 1906
Kriegsgefangene präzisiert. So werden die
überarbeitet worden ist, beschließen ihre Unter-
nationalen Auskunftsstellen gehalten, „auf
zeichnerstaaten sowie die nationalen Rotkreuz-
diesem Personalblatte die Matrikelnummer, den
gesellschaften und das IKRK auf der IX. Inter-
Vor- und Zunamen, das Alter, den Heimatort, den
nationalen Rotkreuz-Konferenz 1912 in Washing-
Dienstgrad, den Truppenteil, die Verwun-
ton verbindlich, dass dem Roten Kreuz neben
dungen, den Tag und Ort der Gefangennahme,
der Hilfe für Verwundete auch die Fürsorge für
der Unterbringung, der Verwundungen und des
Kriegsgefangene obliegen soll, da es „von Natur
Todes sowie alle besonderen Bemerkungen“ zu
aus dazu berufen“ sei. Diese aufeinander auf-
verzeichnen. Diese Vorgaben verfolgen ein
bauenden Abkommen bilden fortan den völker-
zweifaches Ziel: zum einen die einheitliche
rechtlichen Rahmen für Nachforschungsarbeiten,
Erfassung und Weiterleitung der für eine Identifi-
wie sie nur zu bald in einem bis dahin unvorstell-
zierung wichtigsten Informationen. Und zum
baren Ausmaß notwendig werden – in einem
anderen einen respekt- und würdevollen Um-
weltweiten Krieg.
gang mit den Gefangenen: „Sie sollen mit Menschlichkeit behandelt werden.“
Japanische Soldaten führen verwundete Russen zu einem größeren Verbandsplatz. Im Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 wurden die Genfer Konvention und das Haager Abkommen überwiegend eingehalten
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1914
Einer unter Millionen
Fünf Millionen Karteikarten
« Mögen andere die Schlachten schildern, Feldherrn bejubeln, Kaiser und Herzöge rühmen – ich
DER ERSTE WELTKRIEG BEDINGT NACHFORSCHUNGEN UNGEHEUREN AUSMASSES
habe nichts gesehen in diesem Kriege, was mir wichtiger schiene zu schildern, würdiger, erhoben zu werden, als das kleine Haus auf der Place Neuve in Genf, das ehemalige Musée Rath. Die Bilder sind fortgeschafft, aller Schmuck ist ihm genommen. Nur oben auf dem griechischen Gebälke weht die Flagge des Roten Kreuzes. Ein paar Tage, die ersten des Krieges, saßen diese Menschen von früh bis
Bei Ausbruch des Kriegs richten die Rotkreuz-
Zudem wird uns das Eintreffen der Lazarettzüge
gesellschaften der beteiligten Staaten gemäß
und die Verteilung der Verwundeten auf die
den Haager Abkommen zentrale Auskunfts- und
einzelnen Anstalten sofort gemeldet. Wir können
Vermittlungsstellen ein. Im Berliner Reichstag
also vor Ablauf von 24 Stunden den gesuchten
ruft das Zentralkomitee des Roten Kreuzes in
Verwundeten nachweisen.“
Deutschland eine „Abteilung für Gefangenenfür-
Mit Beginn des Kriegs richtet auch das
spät in die Nacht in zwei Zimmern und beantworteten die einlaufenden Fragen. Wie Sturmvögel kamen die ersten Briefe, aber dann wurde es selbst ein Sturm. Erst waren es 1000 Briefe täglich, dann 5000, 10 000 und Ende Dezember 30 000, die jeden Tag die Angst Europas hereinschwemmte. Wie durch einen Webstuhl im ewigen Hin und Wider unzählige Fäden, so gehen hier im Laufe der Tage, Wochen, Monate, Jahre ganze Millionen Schicksale durch die Hände einzelner unermüdlicher Menschen. Oh, diese vielfachen flehentlichen Bitten, die Klagen und
sorge“ ins Leben. Parallel eröffnen in mehreren
Internationale Komitee, in Anlehnung an das
Städten Auskunftsbüros, die Nachforschungen
Auskunftsbüro in Basel, das sich 1870/71
Beschwerden, die Wünsche und Fragen, die alle erledigt werden wollen! Wie schwer, Hunderten und
über Gefangene, Gefallene und Vermisste
bewährt hat, im Genfer Musée Rath eine zentrale
Hunderten fragender, suchender, stöhnender Menschen das eine, nackte, harte Wort ‹tot› schreiben zu
betreiben sollen.
Agentur ein. Sie soll der Erfassung der Kriegsge-
müssen! Und selbst dieses letzte, unerbittliche Wort ist den Liebenden nicht genug.
Wie die Recherchearbeit an der Basis
fangenen, dem Nachrichtenaustausch zwischen
Sie klammern sich an die phantastische Hoffnung eines Irrtums, oder sie wollen zumindest vom
abläuft, beschreibt ein Bericht über den „Ver-
ihnen und ihren Angehörigen sowie der Nachfor-
wundeten-Nachweis“ der Rotkreuzvereine in
schung nach Vermissten dienen. Es beginnt mit
Köln: „Um möglichst rasch Kenntnis von den
einer Liste von 29 französischen Verwundeten in
graben liegt, ein Zeichen der Erinnerung, ein Dokument. Eine Bäuerin schreibt aus ihrem Dorfe ganz
Eingängen oder Änderungen zu haben, sind in
Pforzheim. Und es endet mit fast fünf Millionen
einfach, ‹Haben Sie nichts von meinem Sohne Jean gehört? Ich habe seit August keine Nachricht von
jedem Lazarette lose Listen aufgelegt, welche
Karteikarten, die nach einem ausgeklügelten
ihm›, und unterschreibt mit schlechter, zitternder Schrift ihren Namen und glaubt, die Arme, jeder
von etwa zwanzig Gymnasiasten jeden Nachmit-
System durch Verweise erschlossen werden.
tag ausgefüllt, an einer Stelle gesammelt und
Die Säle des Kunstmuseums mutieren zu
kenne ihren Sohn, jeder wisse es schon, wer dieser einzelne sei, der ihr alles ist unter den Millionen! »
durch Radfahrer dem Verwundeten-Nachweis
riesigen Suchmaschinen, in denen sich 1200
zugeführt werden.
ehrenamtliche Mitarbeiter mühen, mit einem
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Vater, von dem Gatten noch ein letztes wissen, die Krankheit, an der er gestorben, den Ort, wo er be-
Stefan Zweig, Das Herz Europas, 1918
1914 Fünf Millionen Karteikarten
mörderischen Krieg Schritt zu
standardisierte Karteikarten ange-
halten. Der immer mehr Anfra-
legt. Treffen sie in den Registratu-
gen, immer mehr Opfer und
ren aufeinander und kommen somit
immer mehr Karteieinträge
zur Übereinstimmung („concordan-
hervorbringt.
ce“), so können die Gesuchten
Allein der Name Henri
identifiziert und die Suchenden
Martin taucht fünfhundertmal auf.
informiert werden.
Das hierbei entwickelte „Begeg-
Der Arbeitsanfall ist gewaltig.
nungsverfahren“ wird für die
Bis Ende 1917 verzeichnet die
Suchdienstarbeit prägend. Von
Agentur sieben Millionen Postsen-
Beginn an zirkulieren zweierlei Informations-
dungen. In zweieinhalb Millionen Fällen werden
ströme: die Angaben zu kampfunfähigen Solda-
Nachforschungen angestellt, einer Million
ten, etwa aus Lazaretten und Gefangenenlagern,
Angehöriger können Auskünfte erteilt werden.
und die Anfragen besorgter Angehöriger, die
Das Genfer Musée Rath verwandelt sich während des Ersten Weltkriegs in eine gigantische Suchmaschine. 1200 freiwillige Helfer wirken in der Agentur für Kriegsgefangene, der auch die Nachforschung nach Vermissten obliegt
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keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater, Bruder,
(Zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns
Ehemann oder Sohn im Felde haben, und denen
hat das IKRK das Archiv der zentralen Nach-
auch die Militärbehörden bislang nicht weiterhel-
forschungsagentur digitalisiert und über seine
fen konnten. Für beide Gruppen, die „Gesuchten“
Homepage öffentlich zugänglich gemacht:
und die „Suchenden“, werden
http://grandeguerre.icrc.org )
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1929 Zwischen den Kriegen AUFGABEN, ENTWICKLUNGEN, VERSÄUMNISSE
Den unbekannten Soldaten Unmittelbar nach dem Krieg steht die Rück-
Kräften zu betreuen und ihnen zum Start in ein
führung der Gefangenen im Vordergrund. Allein
neues Leben zu verhelfen.
in Russland waren mindestens 2,3 Millionen
Im Januar 1919 wird in Berlin eine Reichs-
interniert, in Deutschland rund 2,5 Millionen.
zentralstelle für Kriegs- und Zivilgefangene
Ihre Repatriierung wird auch für den neu
gegründet, im Mai das Reichsamt für deutsche
gegründeten Völkerbund zu einem beherrschen-
Einwanderung, Rückwanderung und Auswande-
den Thema. Er ernennt Fritjof Nansen zum
rung und im Oktober ein Zentralnachweiseamt
Hohen Kommissar für die Rückführung
für Kriegerverluste und Kriegergräber. In allen
von Gefangenen.
diesen Bereichen ist das Rote Kreuz als Hilfs-
In enger Zusammenarbeit mit dem IKRK
organisation maßgeblich involviert, und zwangs-
und den nationalen Rotkreuzgesellschaften
läufig zieht diese Arbeit auch Nachforschungen
vermag Nansen binnen vier Jahren den schwieri-
und das Verständigen von Angehörigen nach
gen Prozess weitgehend abzuschließen. Wobei
sich – klassische Suchdienstarbeit also.
allein auf deutscher Seite auch danach noch
Hunderttausende Flüchtlinge strömen
rund 100 000 Soldaten und Zivilpersonen als
aus den verlorenen Ostgebieten, aus Elsass-
vermisst gelten. Anschließend wirkt Nansen als
Lothringen und den ehemaligen Kolonien nach
Kommissar des Völkerbundes für das Flücht-
Deutschland. Um in der höchst unübersichtli-
lingswesen. Beide Aufgaben zeigen Gemein-
chen Lage Informationen zu gewinnen, wird
samkeiten. Hier wie dort geraten Massen von
hierbei auch eine Methode angewandt, die
Menschen in Bewegung, und es gilt, sie nach
später im großen Stil praktiziert werden sollte:
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« Die Frage, wie die Zahl der ‹unbekannten Soldaten› und der Vermißten vermindert werden könne, hat die Organisationen des Roten Kreuzes schon seit längerer Zeit beschäftigt. Artikel 3 und 4 der Genfer Konvention in ihrer neuen Fassung tragen diesen Bestrebungen Rechnung. Die Pflicht des Kriegsführenden, der das Schlachtfeld behauptet, die Verwundeten aufzusuchen, ist auf die Toten erstreckt worden. Der Tod sowie die Persönlichkeit des Gefallenen sollen derart festgestellt werden, daß die Krieg führenden darüber Nachweise liefern können. Sie sollen dafür sorgen, daß die Gräber geachtet werden und immer wiedergefunden werden können. Außerhalb des Rahmens der (Genfer) Konferenz lagen die großen und wichtigen Probleme, die sich auf die Stellung und Behandlung der Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet und im besetzten Gebiet beziehen. Die Konferenz glaubte aber, auf die Notwendigkeit einer Regelung dieser Fragen hinweisen zu sollen. » Blätter des Deutschen Roten Kreuzes, September 1929
1929 Zwischen den Kriegen
Die meisten russischen Kriegsgefangenenlager befanden sich weit im Landesinneren, um eine Flucht zu erschweren. Entsprechend aufwendig gerieten die Besuche der Rotkreuzdelegationen. Hier das Lager Troizkij bei Taschkent in Russisch-Turkestan
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Die Flüchtlinge werden über Zurückgeblie-
Während 1929 eine zweite Genfer Konvention
bene und Weggefährten befragt, ihre Angaben
die Behandlung von Kriegsgefangenen umfas-
erfasst und an eine Zentralstelle übermittelt.
send regelt, können sich die Regierungen nicht
Als Nachfolgeorganisation der Internationalen
auf entsprechende Schutzbestimmungen für inter-
Agentur richtet das IKRK einen „Service de
nierte Zivilisten einigen, geschweige denn
recherche“ ein, der sich der Suche nach Ver-
für die Zivilbevölkerung generell. Auch auf der
missten widmet, Internierten ihre Haftzeit beglau-
Internationalen Rotkreuz-Konferenz von Tokio
bigt und versprengte Familienmitglieder mitein-
1934 stehen diese Fragen auf der Tagesordnung.
ander in Verbindung zu bringen versucht. Auch
Doch nur wenige Regierungen – darunter kurios-
wenn der Dienst primär für Militärangehörige
erweise die deutsche – erklären sich bereit,
gedacht ist, wenden sich doch auch zahllose
internierte Zivilisten eines feindlichen Landes
Zivilisten an ihn. Der mehr als vier Jahre wütende
analog zu Kriegsgefangenen zu behandeln; erst
Krieg hat gezeigt, dass unter den Bedingungen
im Laufe des Zweiten Weltkriegs ringen sich dann
moderner Kriegsführung auch die Zivilbevölke-
auch andere Länder dazu durch.
rung in hohem Maße leidet. Obwohl sich diese
So bleibt der völkerrechtliche Status der
Entwicklung schon früh abgezeichnet hat, etwa
Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten ebenso im
während des Burenkriegs um die Jahrhundert-
Unklaren wie die diesbezüglichen Befugnisse
wende, hat die internationale Politik nur wenig
des Roten Kreuzes. Diese Versäumnisse werden
darauf reagiert.
bald verheerende Folgen zeitigen.
31
1939
Seid ohne Sorge
Die schlimmstmögliche Wendung
« Eine neue Einrichtung ist in Neukölln die Beratungsstelle. Sie ist in der Kreisstelle des Deutschen
DER ZWEITE WELTKRIEG VERHEERT EUROPA
Roten Kreuzes am Boddinplatz untergebracht und kann von allen Volksgenossen in Anspruch genommen werden. Aufgabe dieser Einrichtung ist es, Frauen zu beraten, die Angehörige im Felde oder in Lazaretten haben. Wenn ein Soldat vermißt wird, dann stellt die DRK-Stelle, die mit der zuständigen Wehrmachtstelle zusammenarbeitet, Nachforschungen an und läßt nichts unversucht, um den Angehörigen Gewißheit zu geben. Zum anderen werden Verwundete, von denen die Angehörigen
Zwanzig Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs
zu ermitteln. Hinzu kommen die Landesnach-
überzieht das Deutsche Reich fast ganz Europa
forschungsdienste und Kreisnachforschungs-
sowie Nordafrika mit einem neuen Krieg. Er wird
stellen des Roten Kreuzes, denen in den letzten
noch weit zahllosere Opfer fordern, noch un-
Kriegsjahren auch die Benachrichtigung der
gleich zerstörerischer wüten, und er wird Millio-
Angehörigen von Gefallenen obliegt. Teilweise
nen von Menschen ins Elend und ins Verderben
übernimmt das DRK diese Aufgaben auch
über den Zustand von Verwundeten, zieht Erkundigungen ein über den Verlauf der Heilung, über
stürzen.
in den besetzten Gebieten. Außerdem wickelt
Operationen und berät die Angehörigen über Besuchsmöglichkeiten der Lazarette. Damit die Volks-
es den Postverkehr von und mit Kriegs-
genossen, die die Hilfe des DRK dabei in Anspruch nehmen wollen, keine weiten Wege machen müs-
Im Zuge der deutschen Mobilmachung Ende August 1939 nimmt die „Wehrmachtsauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegs-
gefangenen ab. Das nationalsozialistische Regime bedient
nicht wissen, in welchem Lazarett sie liegen, ermittelt und die Anschriften bekanntgegeben. In vielen Fällen konnte während der kurzen Zeit, die die Beratungsstelle arbeitet, manche Sorge den Angehörigen von Soldaten abgenommen werden. Neben der Ermittlung des Aufenthaltes von Soldaten gibt diese Beratungsstelle auch Nachricht
sen, werden die Anfragen auch in den einzelnen Stützpunkten in Neukölln und Treptow und in den Außenbezirken entgegengenommen. ‹ Niemand verläßt die Beratungsstelle ohne einen berechtigten
gefangene“ (WASt) ihre Arbeit auf, als amtliche
sich der Einrichtungen des Roten Kreuzes für
Auskunftsstelle gemäß der Genfer Konvention.
seine Zwecke. Es fungiert als Puffer zwischen
Hier werden die täglichen Verlustlisten der
dem abgekapselten Militärapparat und der
richtung hier das Richtige trafen, beweist die außerordentlich starke Inanspruchnahme. Selbstver-
Wehrmacht zusammengeführt und aufbereitet.
Bevölkerung. Die Arbeit des Suchdienstes
ständlich dauern die Ermittlungen über den Verbleib von Soldaten immer eine gewisse Zeit, aber wir
erfolgt weitgehend unter Ausschluss der Öffent-
sind bemüht, so schnell wie möglich die Ungewißheit bei den Angehörigen zu beenden. Und wenn es
beauftragten für Kriegsgefangenenhilfe (Amt S).
lichkeit; menschliche Verluste sind ein Tabu-
manchmal einige Tage dauert, dann muß niemand deshalb in Sorge sein, denn die schlechten Wege-
Es arbeitet mit der WASt wie auch mit der
thema. Listen werden, anders als im Ersten
Zentralagentur des IKRK zusammen, registriert
Weltkrieg, nicht herausgegeben, das ganze
verhältnisse im Osten tragen in den meisten Fällen die Schuld daran. › »
die Kriegsgefangenen und versucht, den
Ausmaß der Vermissten wie der Opfer überhaupt
Verbleib von Vermissten und Verwundeten
verheimlicht.
Das DRK gründet das Amt des Sonder-
32
Hoffnungsschimmer›, so wurde uns von der Hauptführerin versichert. ‹Und wie sehr wir mit der Ein-
Neuköllner Tageblatt, 1. Oktober 1939
1939 Die schlimmstmögliche Wendung
Über die Arbeit der Nachforschungsstellen wird
Während die Bestimmungen der Genfer Kon-
nur selten berichtet, und dann meist tendenziös.
vention auf den westlichen Kriegsschauplätzen
Wie der abwiegelnde Ton des vorausgehenden
überwiegend eingehalten werden und den
Zeitungsartikels ahnen lässt, dienen sie nicht
Gefangenen ein Mindestmaß an Sicherheit
zuletzt der Beschwichtigung der Bevölkerung.
gewähren, tobt der Vernichtungskrieg im Osten
Ähnlich wie während des Ersten Weltkriegs
ohne jedes Regulativ. Die Sowjetunion hat die
richtet das IKRK eine Zentrale Kriegsgefan-
zweite Genfer Konvention von 1929, welche die
genen-Agentur in Genf ein, die rund 2500
Behandlung der Kriegsgefangenen detailliert
Mitarbeiter beschäftigt und im Laufe des Kriegs
regelt, nicht unterzeichnet. Was nun Millionen
die unvorstellbare Zahl von zwanzig Millionen
von Soldaten und Gefangenen auf allen Seiten
Karteikarten anlegt.
schwer zu büßen haben.
Obwohl schon die Besetzung Polens
In den letzten Kriegsmonaten scheint
schwere Verluste für beide Seiten bringt, bleibt
der ganze Kontinent in Auflösung begriffen.
die Zahl der Vermissten auf deutscher Seite
Behörden funktionieren nicht mehr, Post und
zunächst überschaubar. Ab 1941 aber nimmt
Telefon fallen gänzlich aus, flächendeckende
sie lawinenartig zu, nachdem Hitler binnen eines
Zerstörungen machen ein geregeltes Leben
halben Jahres erst der Sowjetunion und dann
unmöglich. Über den Verbleib von Millionen von
den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt hat.
Menschen herrscht völlige Ungewissheit.
Helferinnen im „Amt S“, der Dienststelle zur Registrierung der Gefallenen und Kriegsgefangenen beim Präsidium des DRK
34
35
1945 Hoffnungsträger für Millionen
Flucht über die Ostsee
DIE GRÜNDUNG DES DRK-SUCHDIENSTES
« Ende April kamen wir nach Schleswig-Holstein. In Kiel befand sich damals das Marineoberkommando Ostsee, das für Flüchtlingstransporte über die Ostsee verantwortlich war, sei es aus Ostpreußen, Danzig oder Pommern. Täglich kamen Menschen an. Alles isolierte Personen. In einem Der Krieg ist zu Ende. Doch das apokalyptische
rufen zwei Offiziere dort die Keimzelle des
Ausmaß der Verwüstungen, der menschlichen
DRK-Suchdienstes ins Leben. Die provisorische
Tragödien und der im Schatten des Kriegs
Einrichtung erhält den Namen „Deutsches Rotes
begangenen Verbrechen wird erst jetzt offenbar.
Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst,
Abermillionen von Zivilpersonen werden ver-
Zentral-Suchkartei“. Damit sind vier wichtige
gen hatte. Sie begann sich aber bereits aufzulösen. Nun fragten wir uns: Wer wird dann die so wichti-
misst, an die vierzig Millionen Soldaten sind
Stichworte benannt. Wenig später verschmilzt
gen Unterlagen über die Flüchtlinge bewachen? Vor allem aber, wer sorgt dafür, daß die gestern Ange-
weltweit in Gefangenschaft geraten. Ganze
diese mit einer ähnlich gearteten Nachfor-
kommenen erfahren, daß heute ihre Angehörigen eingetroffen sind? Schnelles Handeln war erforderlich:
Provinzen haben die Staatsangehörigkeit
schungsstelle in Hamburg, die das dortige
gewechselt, ganze Städte sind getilgt worden,
DRK-Flüchtlingshilfswerk eingerichtet hat.
Die Neuankömmlinge mußten registriert und die Unterlagen der zuvor Angekommenen bei der NSV
ganze Divisionen ausgelöscht. Wie soll man
Parallel entsteht in München ein Vermiss-
angesichts der chaotischen Verhältnisse und
ten-Suchdienst, ebenfalls unter maßgeblicher
der materiellen Not Millionen von Vermissten
Beteiligung des Roten Kreuzes.
und Versprengten finden? Wie elf Millionen
1946 schließen sich das Hilfswerk der
deutsche Kriegsgefangene und dreizehn
Evangelischen Kirche, der Caritas-Verband,
Millionen Heimatvertriebene erfassen?
die Landesverbände des Roten Kreuzes in der
In Flensburg landen über die Ostsee täglich
amerikanischen, britischen und französischen
Massen von Flüchtlingen und Überbleibsel
Zone sowie die Arbeiterwohlfahrt zu einer
deutscher Truppen an, Geschlagene, Gestrande-
Suchdienst-Arbeitsgemeinschaft zusammen.
te, Gezeichnete. Noch in den letzten Kriegstagen
Versuche einer Kooperation mit dem von der
36
Schiff kamen die Mütter, im nächsten die Kinder und schließlich die Großeltern. Diese verlorenen Menschen sammelten sich dann auf den Kais. Noch gab es die NSV, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, die für die Flüchtlinge zu sor-
gesucht werden. Helmut Schelsky und ich wollten diese Aufgabe übernehmen. Diese Zeit war außerordentlich schwierig und wunderbar zugleich, denn die Hilfsbereitschaft aller war groß. Wir hatten eigentlich nur die Absicht, die in Schleswig- Holstein zu Tausenden ankommenden Flüchtlinge zu registrieren und, soweit wir konnten, auch die in Dänemark. Dort konzentrierten wir uns vor allem auf die Kinder. Unser Leitgedanke war: Wenn diese zu ihren Eltern gebracht werden können, dann haben sie eine Chance, diese schreckliche Zeit zu überstehen. »
Erinnerungen von Kurt Wagner, dem langjährigen Direktor des Suchdienstes Hamburg und Suchdienst-Referenten im Generalsekretariat des DRK
1945 Hoffnungsträger für Millionen
Eine im Frühjahr 1945 in Flensburg eingerichtete Rotkreuz-Dienststelle bildet mit ihrer „Zentral-Suchkartei“ die Keimzelle des späteren DRK-Suchdienstes. Nach einigen Monaten wird sie mit einer ähnlichen Einrichtung in Hamburg (unten rechts) zusammengelegt
38
sowjetischen Militärverwal-
Das Ausmaß der Ungewiss-
tung eingerichteten „Such-
heit, das über den Verbleib
dienst für vermißte Deut-
von Millionen von Menschen
sche“ verlaufen jedoch im
herrscht, ist ungeheuerlich.
Sande. Im Westen aber
Entsprechend akut ist der
gelingt es den Mitgliedern
Bedarf an Aufklärung.
der Arbeitsgemeinschaft
Im Westen Deutschlands
trotz der vielfach zerstörten
ist der DRK-Suchdienst in
Verkehrs- und Kommunika-
diesen Jahren derart präsent,
tionswege und mancherlei Einschränkungen von
dass er fast zum Synonym für das Rote Kreuz
Seiten der Besatzungsbehörden, ein tragfähiges
wird. Auch deshalb, weil er wie kaum eine
Netzwerk aufzubauen, Daten auszutauschen und
andere Institution die Nöte der Menschen in
ihre Erfassungssysteme aufeinander abzustim-
dieser schweren, ungewissen Zeit verkörpert.
men. Das Rote Kreuz kann sich auf die flächen-
Aber eben auch ihre Hoffnungen: Allein die
deckende Infrastruktur der Landes- und
Hamburger Sektion des Suchdienstes führt
Kreisstellen und eine Vielzahl freiwilliger Helfer
in den ersten drei Jahren 2,5 Millionen
stützen. Als wichtigstes Arbeitsinstrument
Menschen, die einander verloren hatten,
entsteht die „Zentrale Namenskartei“, deren
wieder zusammen.
Einträge mit gespenstischer Macht anschwellen.
39
1946 „Vorname: vielleicht Hilde“
Auf der Flucht
DER KINDERSUCHDIENST
« In unsern Wagen warf eine Frau drei kleine Kinder, der Zug fuhr ab, sie selbst kam nicht mehr mit. Eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern aus unserem Wagen nahm sich auch noch dieser drei Verwaisten in rührender Weise an. » Anfang 1946 sind in Deutschland rund 300 000
losesten und unschuldigsten Opfer des Kriegs.
Fälle registriert, in denen Mütter ihre vermissten
Sie werden anfangs von verschiedenen Kinder-
Kinder suchen oder umgekehrt die Angehörigen
suchdiensten ermittelt. Alice Friedrich, eine
zum Bahnhof, nachdem eine Bombe ihr Haus getroffen und ihre zwei minderjährigen Söhne getö-
von verlassen aufgefundenen Kindern ermittelt
junge Rotkreuzschwester, baut den des Roten
werden sollen. Über die Hälfte der betroffenen
Kreuzes mit auf. „Ich meinte, diese Verantwor-
tet hat. Erschöpft legt sie das Kind auf die Bahnhofstreppe, um sich nach Zügen zu erkundigen.
Kinder ist zu diesem Zeitpunkt jünger als sechs
tung kaum übernehmen zu können“, bekennt sie.
Jahre. Sie haben nur fragmentarische Kenntnisse
„Ich war ja weder eine ausgebildete Bürokraft
über ihre Herkunft, wissen oft ihren Familienna-
noch sonst irgendetwas. Aber ich brachte eines
men nicht, manche nicht einmal ihren Vor-
mit: Mein Herz.“ Wenn die Kinder selbst Aus-
namen. Hier hat ein Bahnbeamter in einem leeren
kunft geben können, stehen die Chancen für
warteten sie bei strenger Kälte vergeblich auf die Rückkehr ihrer Mutter. Dann schlossen sie sich
Zug ein wimmerndes Bündel bemerkt, dort auf
eine Zusammenführung gut. Liegen keine
einem Treck nach Osten an. Eine Frau mit drei Kindern nahm sich ihrer an. Da die kleine Astrid
dem Flüchtlingstreck eine sterbende Frau ihr Kind
Personalien vor, können Körpermerkmale,
einer Weggefährtin anvertraut. Die Massen-
verbliebene Kleidung, Erinnerungsbruchstücke
fluchten aus dem Osten sind derart überstürzt
möglicherweise wertvolle Anhaltspunkte liefern.
um sie zu wärmen. Nach meiner Rückkehr nach Lindenau traf ich sie dort an und betreute sie von
und lebensbedrohlich verlaufen, dass selbst
Die steckbriefartigen Angaben lassen ahnen,
engste Familienbande durchtrennt wurden.
welche verzweifelten Dramen sich abgespielt
da ab. Von ihrer Mutter haben wir nie wieder etwas gehört. Ihr Vater war im Polenfeldzug gefallen
Nicht von ungefähr hat man den Kinder-
haben: „Vorname: vielleicht Hilde (…) Bekleidung:
suchdienst als „größtes humanitäres Detektiv-
Wickelkissen, weißes Hemdchen (…) Bemerkun-
institut der Welt“ bezeichnet. Jeder dieser Fälle
gen: bei ihr lagen Würfelzucker und Brot,
geht zu Herzen, betreffen sie doch die hilf-
in Decken eingehüllt“.
40
« Der Bombenangriff auf Dresden. Eine Mutter f lüchtet mit ihrem Kleinkind durch das Inferno
Als sie zurückkommt, ist das Kleinkind nicht mehr am Platz. Alles Suchen bleibt erfolglos. » « Die Russen nahmen der Mutter das zweijährige Kind vom Arm, setzten es in den Schnee zu ihrem elfjährigen Bruder und überließen beide Kinder ihrem Schicksal. Vier Tage und vier Nächte
sehr viel weinte, weil sie fror und erkältet war, nahm ihr Bruder sie so oft als möglich auf den Arm,
oder verstorben. » Aus Protokollen des Kindersuchdienstes und des Bundesministeriums der Vertriebenen
1946 „Vorname: vielleicht Hilde“
Mit Plakaten versucht der Kindersuchdienst, die Angehörigen von elternlos aufgefundenen Kindern zu ermitteln. In den Wirren der letzten Kriegs- und der ersten Nachkriegswochen sind tausende von Kindern auf sich allein gestellt
42
Bald kommen auch Fotogra-
1954 erscheint dann noch der Fort-
fien der Findelkinder zum
setzungsroman Suchkind 312 in der
Einsatz, die meist in Heimen
HÖRZU. Der exemplarische Bericht
oder von Pflegeeltern
von Hans-Ulrich Horster (ein Pseu-
betreut werden. Im Februar
donym des Chefredakteurs Eduard
1946 wird das erste Kinder-
Rhein) findet enormen Widerhall.
bildplakat mit vierzig Aufnah-
Parallel veröffentlicht die Zeitschrift
men gedruckt und in Such-
kontinuierlich Kindersuchbilder.
dienststellen, Pfarr- und
Die verschiedenen Stellen
Jugendämtern, Heimen und
werden dann 1950 im Kindersuch-
Bahnhöfen ausgehängt. Viele weitere Plakate
dienst des DRK in Hamburg zusammengeführt.
folgen. Auch im Rundfunk werden täglich Dut-
Es ist einer der wenigen Bereiche, bei der es zu
zende von Suchmeldungen zu Kindern verlesen;
einer nennenswerten Zusammenarbeit mit den
einer der Sprecher ist der junge Joachim Fuchs-
entsprechenden Einrichtungen der sowjetischen
berger. Die Jugendzeitschrift Pinguin will eben-
Besatzungszone und der frühen DDR kommt.
falls ungeklärte Schicksale erhellen und das
Von allen Sparten des Suchdienstes erfährt der
Bewusstsein für die Arbeit des Kindersuchdiens-
Kindersuchdienst wohl die stärkste öffentliche
tes schärfen. Daran wirken auch namhafte
Anteilnahme. Und erfreulicherweise verzeichnet
Publizisten wie der Fotograf Hilmar Pabel und
er auch die größten Erfolge. Nur wenige tausend
der Schriftsteller Erich Kästner mit.
Fälle sind bis heute ungeklärt geblieben. 43
1948 Ein Kontinent auf der Suche VON DER IMPROVISATION ZUR INSTITUTION
Auch wenn der DRK-Suchdienst sich rasch zur
West-Berlin führt die Arbeit der Wehrmacht-
größten und wichtigsten Einrichtung seiner Art
auskunftstelle (WASt) fort. Als Reaktion auf die
entwickelt, mit Hamburg und München als
Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und der
zentralen Standorten, so widmen sich in den
unmittelbaren Nachkriegszeit erfolgt 1949 eine
Jahren nach 1945 doch eine Vielzahl unter-
Neufassung der Genfer Abkommen. Zum ersten
schiedlichster Organisationen dieser Aufgabe.
Mal enthalten sie nun auch detaillierte Vorgaben
Manche nur auf regionaler Ebene oder auf
„zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten“.
Spezialgebieten, manche weltweit. Neben dem
Die Konvention wird weltweit von den Vertrags-
DRK-Suchdienst hat der Internationale Such-
staaten anerkannt und stellt die Suchdienst-
dienst (ITS) in Bad Arolsen die mit Abstand
arbeit auf eine neue völkerrechtliche Grundlage.
meisten Suchanfragen zu bewältigen. Er küm-
Nicht nur verwundeten und gefangenen Solda-
mert sich um die Insassen der Konzentrations-
ten wird das Recht zuerkannt, mit ihren Ange-
lager und um die Millionen von Depatriierten,
hörigen in Kontakt zu bleiben, sondern aus-
von Zwangsarbeitern und heimatlosen Auslän-
drücklich auch Zivilinternierten und überhaupt
dern, die während des Kriegs nach Deutschland
der Zivilbevölkerung in Kriegs- und Konflikt-
verschleppt worden sind. Auch der Kirchliche
gebieten. Weiter heißt es: „Jede am Konflikt
Suchdienst mit seinen Heimatortskarteien und
beteiligte Partei erleichtert die Nachforschungen,
der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
die vom Kriege zerstreute Familien anstellen,
leisten unentbehrliche Dokumentationsarbeit.
um wieder Verbindung miteinander aufzu-
Die sogenannte Deutsche Dienststelle in
nehmen.
Suchdienste in Deutschland • Headquarters USFET, Office of the Theater Provost Marshal (Kommandeur der Militärpolizei) in Berlin-Zehlendorf • Office of Military Government of Germany, US Armed Forces, Division APO in Berlin-Zehlendorf • Zweigstelle Amerikanisches Rotes Kreuz, Berlin • US Military Gouvernment, Public Welfare Branch, München • Central Postal Enquiry Bureau, Zentrales PostNachforschungsbüro, Frankfurt • Central Postal Enquiry Bureau, Zentrales PostNachforschungsbüro, Hamburg • Hauptermittlungsstelle der britischen Militärregierung, Hbg. • Zweigstelle Britisches Rotes Kreuz, Berlin-Charlottenburg • Zweigstelle Britisches Rotes Kreuz, Hamburg, Alsterufer • Officier Charge du Service Social du Gouvernement Militaire Français de Berlin, Müllerstraße • Zweigstelle des Französischen Roten Kreuzes in Berlin-Frohnau • Zweigstelle des Französischen Roten Kreuzes in Mannheim, Kronprinzenstraße • Service de recherche de la Zone française d’occupation, Baden-Baden • Délégation Générale pour l’Allemagne et l’Autriche, Bad Ems • Französische Suchmission, Göttingen, Herzberger Landstraße • Direction des Personnes Déplacées, Rastatt • Service des prisonniers de guerre sarrois beim Gouvernement militaire de la Sarre, Saarbrücken
• • • • • • • • • • • • • • • • • •
Belgische Militärmission in Berlin-Konradshöhe Polnische Militärmission in Berlin, Schlüterstraße Polnisches Rotes Kreuz, Lübeck, Schwartaukaserne Militärmission der Tschechoslowakei in Berlin-Dahlem Jugoslawische Militärmission, Berlin-Dahlem, Rauchstr. 18 Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Delegation Berlin Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Delegation für die britische Zone, Vlotho, Südfeldstraße Lettisches Rotes Kreuz, Heide/Holstein, Friedrichstraße Schwedisches Rotes Kreuz, Lübeck, Eschenburgstraße Ungarisches Rotes Kreuz, Rhede/Westfalen, Bahnhofstraße Delegation des Ungarischen Roten Kreuzes in Berlin, Duisburger Straße 5 Kindersuchdienst, Berlin C 2, Polizeipräsidium, Brüderstraße Zentralsuchstelle für Ausländer und ehemalige KZ-Insassen, Göttingen Österreichische Delegation für die britische Zone, Hannover, Theaterplatz Suchzentrale Görlitz, Berliner Straße Suchdienst für Schlesier, Dresden-Neustadt, Königsufer Sudetendeutscher Suchdienst des Bayerischen Roten Kreuzes, Traunstein Schlesischer Suchdienst des Bayerischen Roten Kreuzes, Traunstein
aus Unterlagen des Bundesministeriums des Innern
44
1948 Ein Kontinent auf der Suche
Sie fördert die Tätigkeit von
Bis 1950 kann der DRK-Such-
Organisationen, die sich dieser
dienst zu vierzehn Millionen
Aufgabe widmen.“ Auch die
Anfragen fast neun Millionen
großen Rotkreuz-Konferenzen
Auskünfte erteilen.
1948 in Stockholm und 1952
Nach Gründung der Bundes-
in Toronto setzen sich intensiv
republik wird die Zuständigkeit für
mit dieser Problematik ausein-
die Suchdienste zunächst dem
ander und bestätigen die
Bundesministerium des Innern
Suchdienstarbeit als ein zen-
übertragen, das damals Gustav
trales Element der Rotkreuz-
Heinemann leitet. Später wechselt
arbeit. In keinem Land nimmt
sie auf das Bundesministerium für
sie freilich derartige Dimensionen an wie in
Vertriebene über. Die Suchdienstvereinbarung
Deutschland, wo sie sich zur größten Suchaktion
von 1953 stellt eine dauerhafte Finanzierung und
der Geschichte entwickelt. Moderne Technologien
Begleitung der Suchdienstarbeit durch die
kommen zum Einsatz, so zum Beispiel nach dem
Bundesregierung sicher.
Hollerith-Verfahren arbeitende Lochkartenmaschinen, die Vorläufer der Computer.
Technisch avanciert: am Suchdienst-Standort München kommen schon wenige Jahre nach dem Krieg Lochkartenmaschinen zum Einsatz, die Vorläufer der heutigen Computer
46
47
1951
Ich bitte um Ausweisung
Alte Sorgen, neues Leben HUMANITÄRE BEMÜHUNGEN IN DEN AUSSIEDLUNGSGEBIETEN
« Jeden Abend um 18.30 Uhr stellt der 42 Jahre alte Arbeiter Helmut K. in Stettin sein kleines, altes Radio an. Täglich um 18.30 Uhr sendet der NWDR das Echo des Tages, und das ist seit Jahren die einzige direkte Verbindung, die K. zu jenem Teil Deutschlands hat, in dem seine Frau und seine Kinder, seine Eltern, Geschwister und Freunde leben. Seit Jahren wartet K. auf eine ganz bestimmte Nachricht. Eine Nachricht, die sein aus dem Gleis gesprungenes Leben wieder zurechtrücken könnte, so daß es für ihn wieder einen Sinn hätte. Sie müßte etwa lauten: ‹Dem Deutschen Roten Kreuz ist es
Aufgrund der gewaltsamen Vertreibungen der
gelingt es, den Strom der Flüchtlinge in den
deutschstämmigen Minderheit aus Polen hat
nächsten Jahren zumindest teilweise in geord-
sich die Delegation des Internationalen Komitees
nete Bahnen zu lenken. Was einen erheblichen
vom Roten Kreuz (IKRK) in Warschau bereits von
Fortschritt gegenüber den teils „wilden“ und teils
1946 an für eine planmäßige Erfassung dieser
organisierten Vertreibungen in der unmittelbaren
kranke Leute, in die Sowjetzone ausgewiesen wurden. Aber das nützt Helmut K. wenig. Seine Familie
Bevölkerungsgruppe und ihre geordnete Aus-
Nachkriegszeit darstellt. Den Schwerpunkt der
ist nach der Flucht in Lüneburg gelandet. Sie waren schon dort, als er aus sowjetischer Gefangen-
siedlung eingesetzt. Auch in den übrigen ost-
Bemühungen bildet Polen. Im Rahmen einer
schaft nach Stettin zurückkam. Nun verbringt er die besten Jahre seines Lebens, in einem Land, das
europäischen Ländern leben noch immer Hun-
großangelegten Aussiedlungsaktion, der
ihm fremd geworden ist, und ein paar hundert Kilometer weiter westwärts lebt seine Familie.
derttausende deutscher Zivilpersonen, sei es
„Operation Link“, können bis März 1951 gut
in den ehemals deutschen Gebieten, sei es als
42 000 Menschen von dort in die Bundes-
Angehörige der deutschsprachigen Minderheit
republik und weitere 40 000 in die
der betreffenden Länder. Ein Großteil davon will
DDR übersiedeln.
aufgrund familiärer Bindungen wie auch wegen
Der DRK-Suchdienst dient bei diesen
gelungen, bei der polnischen Regierung die Aussiedlung aller Personen zu erwirken, die für die Bundesrepublik optierten.› Dann könnte, dann müßte er westwärts ziehen. Aber die Nachricht kommt nicht. Wohl hörte er davon, daß ein paar tausend Deutsche, alte und
Eines Abends schrieb Helmut K. einen Brief an das Deutsche Rote Kreuz, schilderte sein Leben, seine Stunden am Radioapparat und meinte: ‹Wir sind noch so viele Deutsche in Polen. Schon über neun Jahre leben wir von unseren Angehörigen getrennt; wir haben Sehnsucht nach ihnen. Helft uns doch hier und vergeßt uns nicht; bitte, helft uns! Wir haben ja nichts gegen die Polen, wir wollen nur zu unseren Angehörigen. Ein jedes Tier sehnt sich nach seinen Jungen...›
der zunehmenden Repressionen zu ihren
Bemühungen als eine zentrale Anlaufstelle,
Angehörigen in West- und Ostdeutschland
um die erforderlichen Unterlagen zu erlangen;
sowie nach Österreich ausreisen.
zugleich registriert er die eintreffenden Personen
sen, kann niemand sagen. Aber es besteht Grund zur Hoffnung, daß die Regierungen der Ostblock-
Trotz erheblicher Widerstände sowohl auf
und erkundigt sich nach dem Schicksal weiterer
länder sich zu einer Lösung der Aussiedlungsfrage bereit finden. »
Seiten der sich nun herausbildenden kommu-
Angehöriger. Denn so erfreulich die Aktion auch
nistischen Regierungen Osteuropas wie auch bei
ist, so wird zunächst doch nur einem Bruchteil
den Behörden in den vier Besatzungszonen
der Betroffenen die Ausreise gestattet.
48
Das Rote Kreuz erhält viele solcher Briefe. Wie lange diese Menschen noch werden warten müs-
M. Berling, DIE ZEIT, 11. März 1954
1951 Alte Sorgen, neues Leben
Am Zonengrenzbahnhof Büchen werden deutsche Aussiedler aus Polen vom DRK mit Getränken versorgt (links). Auch aus anderen Ostblockstaaten wie etwa Rumänien (rechts) können Deutschstämmige im Rahmen der „Operation Link“ nach West- und Ostdeutschland ausreisen
Auch danach erreichen den Suchdienst unab-
im März 1956: „Wir erschienen ebenfalls mit
lässig Anfragen und Gesuche. Im Dezember
einem Omnibus, mit dem wir auf den Pariser
1955 vereinbaren das Polnische und das Deut-
Platz fuhren, wo uns das DRK-Ost die Übersied-
sche Rote Kreuz deshalb eine neuerliche
ler übergab. Ein Lastwagen nahm das Gepäck
Aussiedlungsaktion, getragen von internationalen
auf. Auf der Westseite angekommen, mußten alle
Beschlüssen, welche die Familienzusammen-
den zahlreichen Reportern Rede und Antwort
führung zu einer der wichtigsten Aufgaben des
stehen. Zur Registrierung, zum Mittagessen und
Roten Kreuzes im Nachkriegseuropa erheben.
zur Entgegennahme von Begrüßungsgaben
Innerhalb eines Jahres können so weitere
fuhren wir in eines unserer Heime; dann brachten
16 500 Menschen ausreisen.
wir jeden zu seiner Familie. Im Mai kam der
Auch aus der Tschechoslowakei, Rumänien
nächste Transport mit fünfzig Personen, weitere
und anderen Ostblockstaaten gelangen Aus-
folgten in unregelmäßigen Abständen. Es gab
siedler in die Bundesrepublik. Meist werden
erhebliche Unterbringungsschwierigkeiten. So
sie mit Sonderzügen ins Grenzdurchgangslager
war ein Heim, das wir über Nacht für fünfzig
im niedersächsischen Friedland gebracht.
Personen hatten einrichten müssen, in wenigen
Wer dagegen zu Angehörigen in West-Berlin
Stunden bis auf den letzten Platz besetzt. Es war
ziehen will, wird mit Bussen bis zum Branden-
das fünfte Heim für Übersiedler. Nur zwei
burger Tor gefahren. Dietrich Blos, langjähriger
Monate dauerte es, bis wir das sechste für
Präsident des Roten Kreuzes in West-Berlin,
weitere hundert Personen eröffnen mußten.“
schildert die Ankunft des ersten Transports 50
51
1955
Geboren etwa 1944
Innerdeutsche Beziehungen DER SUCHDIENST IN DER DDR
H 4. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1944, Augen blau, Haar blond. Das Mädchen wurde in einem Forst bei Guben in den Armen der toten Mutter gefunden. H 13. Name: Spatka oder ähnlich, Vorname Emmi, geb. etwa 1941/42. Augen blau, Haar hellblond. Das Kind floh mit der Mutter, die vermutlich durch einen Fliegerangriff den Tod fand. H 41. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1945. Augen braun, Haar dunkel. Das Mädchen wurde 1945 von zwei Soldaten bei der NSV in Swinemünde abgegeben. H 44. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1944, Augen blau, Haar dunkelblond.
Auch im Osten Deutschlands organisierten sich
und finanziell schlechter ausgestattet, in seiner
nach Kriegsende zunächst verschiedene Such-
Zuständigkeit beschränkter, und die Öffent-
dienste, vor allem bei kirchlichen Stellen und auf
lichkeit wird weniger einbezogen. Heimkehrer
kommunaler Ebene. 1946 richtete die sowjeti-
werden vom Suchdienst weder registriert
sche Militäradministration dann einen zentralen
noch befragt.
„Suchdienst für vermißte Deutsche“ ein. Dieser
In der Zusammenarbeit mit Behörden
Das Mädchen wurde am 16. April 1945 von einem amerikanischen Arzt in das Krankenhaus Eichen eingeliefert. H 49. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1942. Augen blau, Haar dunkelblond. Die Mutter soll mit dem Kind vor dem Angriff auf Swinemünde auf einem Schiff gesehen worden sein. Sie wurde anscheinend getötet, das Kind aber gerettet. H 85. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1943. Augen blau, Haar blond. Im März 1945 fuhr ein Lazarettzug in den Bahnhof von Treptow/Rega ein. Durch Panzerbeschuß wurde das Mädchen am Knie verletzt; die Mutter, die einen schwarzen Mantel trug, verstarb.
schloss auch Vereinbarungen über eine Zusam-
der Sowjetunion wie auch der anderen Ostblock-
Welche DRK-Schwester nahm sich damals des Kindes an?
menarbeit mit der Suchdienst-Arbeitsgemein-
staaten hat der DDR-Suchdienst gewisse
B 1076. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1942. Augen blau, Haar dunkelblond.
schaft in den westlichen Besatzungszonen ab,
Vorteile, da eine solche Kooperation politisch
die jedoch nach vielversprechenden Anfängen
opportun ist. Dafür wird die Zusammenarbeit
bald wieder nachließ. Nach Gründung der DDR
mit dem westlichen Ausland zunehmend
wurde dieser Dienst dann zunächst durch das
erschwert und in Teilbereichen unmöglich
B 1450. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1944. Augen o. Angabe, Haar o. Angabe.
Ministerium des Inneren weitergeführt.
gemacht. Viele Ostdeutsche versuchen, sich
Der namenlose Knabe, jetzt genannt Roland Beyer, wurde nach dem Luftangriff auf Dresden am
direkt an den westdeutschen Suchdienst zu
13./14. Februar 1945 gefunden und dem Stadtkrankenhaus zugeführt. Näheres ist nicht bekannt.
übernommen, das drei Jahre zuvor gegründet
wenden; diesbezügliche Korrespondenz wird
B 3802. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa 1942, 1943 und 1944.
worden ist und diese angestammte Rotkreuz-
aber mehr und mehr unterbunden. Auch
aufgabe, die internationaler Zusammenarbeit
herrscht auf beiden Seiten Misstrauen, die Arbeit
bedarf, gut übernehmen kann. Die Methodik
des Suchdienstes würde zu Propaganda-
ist ähnlich wie bei den westlichen Kollegen.
zwecken oder Agententätigkeit benutzt.
1955 wird er schließlich vom DRK der DDR
Der namenlose Knabe kann vielleicht Manfred heißen. Er wurde Anfang Mai 1945 auf einem Bauernhof in Fischbeck (Elbe) allein aufgefunden. B 1079. Name: unbekannt, Vorname: unbekannt, geb. etwa September 1944, Augen dunkelblau, Haar dunkel. Der Knabe wurde am 12. Juli 1945 auf dem Hauptbahnhof Stralsund gefunden. Über seine Herkunft ist nichts bekannt.
Die namenlosen Geschwister, jetzt genannt Gerd, Hansi und Ingrid Junghann, stammen vermutlich aus Ostpreußen. Ihre Mutter setzte sie Weihnachten 1944/45 in Polcho, Kreis Cammin, bei einem Bauern ab und soll nach Königsberg zurückgegangen sein, um Sachen zu holen. Aus dem Kinderheim wurden die Geschwister dann in eine Pflegestelle gegeben.
Allerdings ist der Dienst in Ost-Berlin personell 52
aus einem Bildheft über „anhanglose Kleinkinder“, das 1956 gemeinsam von den Suchdiensten des ost- und des westdeutschen DRK herausgegeben wurde
1955 Innerdeutsche Beziehungen
In der Sowjetischen Besatzungszone richtet die Militärverwaltung einen „Suchdienst für vermißte Deutsche“ ein – hier eine Dienststelle in Ost-Berlin. Von 1955 an übernimmt ihn dann das DRK der DDR
54
Über die Radiobeiträge westlicher Sender
nicht zu befassen. Die Betroffenen wären nicht
bleiben dennoch auch die DDR-Bürger über
durch einen Krieg voneinander getrennt worden,
die Suchanstrengungen jenseits des Eisernen
heißt es, und sie könnten ja jederzeit zurück-
Vorhangs informiert. Der Kalte Krieg schlägt
kehren. Generell wird der Suchdienst in der
sich auch im Alltag der Suchdienste nieder.
DDR vergleichsweise stiefmütterlich behandelt.
So beziehen sich tausende von Anfragen in
Die Menschen sollen, so die offizielle Auffas-
Westdeutschland auf Gefangene, deren Spur
sung, nach vorne schauen und nicht zurück,
sich in Speziallagern des sowjetischen Geheim-
sie sollen „Schluß machen mit dem Streit um
dienstes in Ostdeutschland verlor – in der DDR
tote Seelen“. Während der Suchdienst des
ein Tabuthema. Als immer mehr Menschen in
westdeutschen Roten Kreuzes in der Zusam-
den Westen flüchten, besonders nach dem
menarbeit mit allen anderen Ostblockstaaten
Volksaufstand von 1953 und der Zwangskollek-
über die Jahre hinweg erfreuliche Fortschritte
tivierung Ende der fünfziger Jahre, werden auch
verzeichnen kann, kommt die mit seinem ost-
dadurch viele Familien getrennt, und erst recht
deutschen Pendant kaum voran. Zwar legt eine
mit dem Bau der Mauer. Im Rahmen der Famili-
1956 getroffene Suchdienst-Vereinbarung die
enzusammenführung bemühen sich im Westen
Rahmenbedingungen fest, die Hoffnungen auf
der Suchdienst und andere Einrichtungen des
eine engere Kooperation erfüllen sich jedoch
DRK, ihr Los zu erleichtern. Nach Auffassung
nicht. Eines der wenigen greifbaren Ergebnisse
der ostdeutschen Seite stellt „Republikflucht“
bildet ein Bildheft mit 450 nicht identifizierten
indes kein humanitäres Problem dar, mithin
Findelkindern, das die beiden deutschen Rot-
bräuchte auch das Rote Kreuz sich damit
kreuzgesellschaften gemeinsam herausbringen. 55
1957 Die große Rekonstruktion BILDLISTEN UND HEIMKEHRERBEFRAGUNGEN
Eine Suchliste der Hoffnung Ein toter Soldat ist eine Tatsache, ein vermisster
Zur wichtigsten Informationsquelle für den Such-
hingegen ein Rätsel. Die extrem hohe Zahl der im
dienst und damit für die vielfach von Ungewiss-
Osten verschollenen Soldaten rührt zum einen
heit gepeinigte Bevölkerung werden daher die
daher, dass beide Seiten die Genfer Konvention
aus der Sowjetunion heimkehrenden Kriegs-
nicht angewendet haben, zum anderen von den
gefangenen. Die letzten treffen, als Ergebnis von
die Hoffnung vieler Angehöriger erneut darauf, daß vielleicht der Vater, der Bruder oder Sohn überra-
ungeheuren Dimensionen der Kampfhandlungen,
Konrad Adenauers Moskaureise, Anfang 1956
schend dabei sein könnte, obwohl – es muß gesagt werden – offiziell kaum mehr mit einer Heimkehr
auch von deren raschem, ruckartigem Verlauf. So
im Auffanglager Friedland ein. Dort haben
dass die militärischen Stellen weder auf deut-
Mitarbeiter des DRK-Suchdienstes bereits in den
scher noch auf russischer Seite in der Lage
ersten Nachkriegsjahren mit einer Bildkartei gute
waren, die eigenen Verluste wie auch die Zahl der
Erfolge erzielt. Nun erstellt der Suchdienst
Bildersuchdienst. Die Angehörigen werden mit Hilfe von Karten befragt und gleichzeitig gebeten, ein
Gefangenen an Ort und Stelle zu erfassen. Hier
systematische Bildlisten von Kriegsverschollenen,
Bild des Soldaten mitzuschicken. Diese Bilder veröffentlicht der Suchdienst dann in einer eigenen
blieben dadurch zahllose Tote unbeachtet, dort
die jeder Heimkehrer nach ihm bekannten Fällen
starben viele Männer schon in den ersten Tagen
durchforsten soll. Ganz wie bei den Oldenburger
der Gefangenschaft oder auf dem Weg ins Lager,
Schützen anno 1866 erkundigen sich die Helfer,
bevor ihre Personalien erfasst wurden. Daher
„wen er von seinen Kameraden todt gesehen“,
vermißten Angehörigen des Panzer-Regiments 36, das im Frieden in Schweinfurt stationiert war, und
liegen über ihren Verbleib keine verlässlichen
und wen er noch lebend in Erinnerung hat, aus
dessen Weg von Frankreich über den Balkan bis Stalingrad in allen Einzelheiten beschrieben ist. »
Angaben vor. Aber, das hat die Erfahrung gelehrt,
einem der 3500 Straflager in der Sowjetunion.
oft gibt es Zeugen: diejenigen Soldaten, die
Die Heimkehrererzählungen fallen meist kurz
zusammen mit ihnen kämpften und in Gefangen-
und lakonisch aus: „Ich habe ihn gesehen …
schaft gerieten.
er ist getroffen worden … sie sind alle tot.“
56
« Über 800 vermißte und verschollene ehemalige deutsche Soldaten sind noch bei der Kreisgeschäftsstelle des Roten Kreuzes in Haßfurt registriert, ohne daß diese Schicksale aufgeklärt werden konnten. Nachdem in diesen Tagen erneut Heimkehrertransporte aus der Sowjetunion eintreffen, richtet sich
eines der Soldaten gerechnet wird, die sich bisher noch nicht brieflich gemeldet haben. Bei der Aktualisierungsaktion des Rot-Kreuz-Suchdienstes handelt es sich um einen neuartigen
Bildersuchliste, die später jedem ehemaligen deutschen Soldaten, der sich in Gefangenschaft befand, ausgehändigt wird. So erhielten in diesen Tagen mehrere Heimkehrer im Kreis bereits eine Liste mit
Fränkischer Tag, 10. Januar 1956
1957 Die große Rekonstruktion
Anhand von Bildlisten befragen Helfer und Schwestern des DRK heimgekehrte Kriegsgefangene nach noch vermissten Soldaten
58
Doch jede zweckdienliche Mitteilung hilft, dieses
Sie umfasst über zweihundert Bände, jeder mit
ungeheure menschliche Puzzle zu vervollstän-
etwa siebenhundert Seiten, auf denen steckbrief-
digen. 1,8 Millionen Aussagen werden aufgenom-
artig je zwanzig Männer gesucht werden: Name,
men. Die systematische Befragung der Heimkehrer
Beruf, Geburtsdatum, Heimatgemeinde, Ort und
geht mit einer hohen Spendenbereitschaft an das
Zeit der letzten Nachricht („Stalingrad 1/43“).
Rote Kreuz und breiter gesellschaftlicher Anteilnah-
Dazu, soweit vorhanden, ein Foto des Vermissten.
me einher. Wobei der Suchdienst selbst nicht aus
Jeder Kreisverband erhält einen kompletten
Spenden, sondern aus Zuwendungen der Bundes-
Satz und schickt einen Kleinbus damit durch die
regierung finanziert wird. Parallel wächst die Zen-
Lande, um weitere Heimkehrer zu erreichen. In
tral-Suchkartei in München unaufhörlich; am Ende
Gaststätten und Rathäusern zeigen Rotkreuzhelfer
wird sie über fünfzig Millionen Karteikarten umfas-
ihnen dann die Bilder der Nichtheimgekehrten,
sen. Verschollenheit als Massenschicksal. Regel-
jede Woche in einem anderen Ort. Die Protokolle
mäßige Rundfunkdurchsagen mit Suchmeldungen
dieser Befragungen zeugen von ihren mühsamen
untermalen den Alltag der Nachkriegsgesellschaft
Recherchen: „Entsinnt sich nicht mehr … unbe-
als tragische Litanei. Auch eine eigene Suchdienst-
kannt verzogen … bereits Auskunft gegeben.“
zeitung hält das Thema in der Öffentlichkeit
Doch manchmal heißt es: „Auskunft liegt bei.“
präsent und bringt Monat für Monat neue Bildlisten
Seit 2015 sind die Vermisstenbildlisten als
in Umlauf. Die gesammelten Listen erscheinen
historisches Dokument und als Ausgangspunkt
schließlich in Buchform. Es ist eine ungeheuerliche
für gezielte Fragen der nachfolgenden Generation
Edition, eine Enzyklopädie der Verzweiflung.
online unter www.drk-suchdienst.de verfügbar. 59
1960 Aus zuverlässiger Quelle
Die Wahrheit, soweit erkennbar
ENTWICKLUNGEN AUF DER INTERNATIONALEN BÜHNE
« Die ermittelten Fakten zu einem verständlichen Text zu verarbeiten, der nicht nach einem schöngefärbten Wehrmachtsbericht klang, aber dennoch nichts unterschlug – das war schwierig. Schwierig vor allem auch, weil jedes Gutachten eine Todesnachricht enthielt, die erst Jahrzehnte nach Kriegsende auf den Tisch gelegt wurde. Als Richtschnur galt deshalb, in der Formulierung alles wegzulassen, was die Grau-
In der Schlacht von Solferino 1859 gerieten
aufrechtzuerhalten. Außerdem übernimmt diese
etwa viertausend Soldaten in Gefangenschaft.
Zentralagentur die Verständigung zwischen
Im Zweiten Weltkrieg waren es zehntausendmal
Familienmitgliedern, die durch Kriegsereignisse
so viel: an die vierzig Millionen. Entsprechend
voneinander getrennt worden sind. Sie benach-
komplex und unüberschaubar gerät das Unter-
richtigt die Angehörigen, wenn ein Soldat in
Schwulst militärischer Fachausdrücke und ohne emotionale Äußerungen zu Papier gebracht werden, aber
fangen, den Kontakt zwischen ihnen und ihren
Gefangenschaft gerät, und sie teilt ihnen auch
sie mußte gleichwohl für den Empfänger des Gutachtens zumutbar und glaubwürdig bleiben. Abstriche
Angehörigen zu ermöglichen. Als Nachfolge-
mit, wenn er dort stirbt. Schon 1955 hat das
aus falsch verstandener Rücksichtnahme hätten die Substanz des Gutachtens ausgehöhlt und wertlos
organisation des „Service de recherche“ und der
IKRK das Trägermandat für den Internationalen
gemacht. Es gab nun einmal leider keinen Ausweg: der Gesuchte war ums Leben gekommen, und das
Zentralagentur für Kriegsgefangene richtet das
Suchdienst im hessischen Bad Arolsen erhalten
Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf
(International Tracing Service, ITS). Erster
mußte gesagt werden.
1960 eine „Central Tracing Agency“ ein. Im Falle
Direktor wird Nicolas Burckhardt, der während
eines bewaffneten Konfliktes können die natio-
des Zweiten Weltkriegs bereits in der Zentral-
nalen Nachforschungsdienste der beteiligten
stelle für Kriegsgefangene in Genf gearbeitet hat.
Länder über diese neutrale Stelle Informationen
Der ITS übernimmt die Nachforschungen zu
die Strapazen einer langen Gefangenschaft erspart blieben, die vermutlich auch nur zu seinem Tode ge-
austauschen. Falls, was etwa im Falle einer
nicht-deutschen Flüchtlingen und heimatlosen
führt hätten. Nach so langer Zeit Gewißheit zu haben, verlangt, daß wir jetzt umdenken, denn insge-
Okkupation häufiger vorkommt, bei einer Kriegs-
Ausländern („displaced persons“) sowie zu allen
heim haben wir doch immer auf ihn gewartet. Die ‹taktvollen Formulierungen› in dem Gutachten sind
partei keine funktionsfähige Rotkreuz- oder
vom NS-Regime verfolgten und ermordeten
identisch mit unserem Empfinden: daß wir gut daran tun, auf nichts mehr zu hoffen. Das Gutachten ist
Rothalbmondgesellschaft mehr besteht, tritt das
Menschen. Steht in den ersten Jahrzehnten die
IKRK auch selbst an deren Stelle und versucht,
konkrete Nachforschungsarbeit im Vordergrund,
ein Anruf aus der Vergangenheit. »
die Bestimmungen der Genfer Konvention
so entwickelt sich die Einrichtung im Laufe der
samkeit des Krieges verdeutlicht hätte. Zu vermeiden war aber auch der Eindruck, es handele sich um einen mechanischen Fabrikationsprozeß, kalt, distanziert und nur in Gang gesetzt, um in der Statistik wieder einige tausend Fälle abbuchen zu können. Die Wahrheit, soweit erkennbar, mußte ohne den
Wir fassen die Stimmen, die das Empfinden über die Gutachten ausdrücken, nach der Lektüre von einigen hundert Briefen so zusammen: wir kennen jetzt wenigstens Zeit, Ort und Begebenheiten, die für unseren Gesuchten von letzter Bedeutung waren. Es ist erträglicher zu wissen, daß er gefallen ist und ihm
Kurt W. Böhme, Mit hoher Wahrscheinlichkeit
60
1960 Aus zuverlässiger Quelle
Neben dem DRK-Suchdienst entwickelt sich der Internationale Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen zur wichtigsten Nachforschungseinrichtung für die Folgen des Zweiten Weltkriegs. Er ist zuständig für nichtdeutsche Flüchtlinge, heimatlose Ausländer und Opfer der NS-Verbrechen. Hier Karteikästen mit Auskünften über die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald
Jahre auch zu einer
Meist kann der Suchdienst
bedeutenden Dokumen-
aufgrund des Schicksals der
tationsstelle. Heute ver-
jeweiligen Wehrmachtsein-
fügt sie über das welt-
heit das mutmaßliche
größte Archiv mit
Schicksal des Betroffenen
Dokumenten zu Opfern
schlüssig rekonstruieren und
des Nationalsozialismus.
in einem Gutachten Ort und
Es enthält Unterlagen
Zeitpunkt des Todes eingren-
über mehr als 17 Millionen Betroffene. Aneinan-
zen. Für die Angehörigen ist es ein schmerzlicher
dergereiht, würden die Aktenordner sich über
Prozess, den unwiederbringlichen Verlust des
26 Kilometer erstrecken.
geliebten Vaters, Bruders, Sohnes oder Ehe-
Parallel widmet sich der DRK-Suchdienst
manns zu akzeptieren. Einerseits sehnen sie sich
wie gehabt den Nachforschungen nach vermiss-
danach, endlich abschließen zu können. Ande-
ten deutschen Soldaten, Gefangenen und
rerseits scheuen viele davor zurück, ihn end-
Zivilpersonen wie auch nach deutschstämmigen
gültig für tot erklären zu lassen. Doch selbst
Flüchtlingen. Mittlerweile sind alle noch in der
in diesem Fall, das zeigen zahllose Zuschriften,
Sowjetunion verbliebenen Gefangenen heim-
sind sie für die Expertise des Suchdienstes
gekehrt. Wer weiterhin vermisst wird, ist mit an
dankbar. So können sie falsche Hoffnungen
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tot,
begraben, können frei werden für das Glück des
von wenigen Sonderfällen abgesehen.
eigenen Überlebens und für das Gedenken. 63
1966
Grundausstattung
Ein Dienst für alle Fälle DIE EINRICHTUNG DES AMTLICHEN NATIONALEN AUSKUNFTSBÜROS
Der Leiter des Kreisauskunftsbüros sorgt für die sachgerechte Lagerung der Bürokiste, damit sie nicht beschädigt wird und jederzeit sofort erreichbar ist. Der Inhalt darf nur bei einem Einsatz oder einer Katastrophenübung verwendet werden. Danach ist sofort das verbrauchte Material nachzufordern. INHALTSVER ZEICHNIS FÜR DEN K ATASTROPHENFALL
Seit 1949 sah die überarbeitete Genfer Kon-
Erdbeben oder Großschadensereignissen wie
vention für jeden Unterzeichnerstaat vor, eine
Zugunglücken und Industriekatastrophen.
amtliche Auskunftsstelle einzurichten, und zwar
Auch dabei werden häufig Menschen vermisst,
nicht nur, wie bisher, für Gefangene, sondern
Angehörige auseinandergerissen, und der
ebenso für Zivilpersonen. 1954 ratifizierte der
Bedarf an Information und Beratung ist hoch.
Deutsche Bundestag das Abkommen. Nach
Die ohnehin für den Fall eines bewaffneten
längeren Verhandlungen überträgt die Bundes-
Konflikts bereitgehaltene Infrastruktur wird bei
regierung schließlich 1966 dem DRK die Schaf-
solchen Katastrophen durch die DRK-Landes-
fung einer solchen Stelle. Ihre Direktion wird
und Kreisauskunftsbüros ergänzt. Sie richten
im Generalsekretariat angesiedelt.
Personenauskunftsstellen ein und betreuen
Während die Hauptarbeit des Suchdienstes
hilfesuchende Angehörige, in Abstimmung
zu dieser Zeit weiterhin die Aufklärung von
mit anderen zuständigen Institutionen und
Vermisstenfällen aus dem Zweiten Weltkrieg ist,
einschlägigen Hilfsangeboten.
soll der neue Dienst auch für künftige Notlagen
Die Kreisauskunftsbüros können dabei
bereitstehen. Zunächst in erster Linie für den
auf geschulte ehrenamtliche Mitarbeiter zurück-
Kriegsfall vorgesehen, wird seine Zuständigkeit
greifen. Die Übereinkunft schreibt vor, dass sie
bald auch auf zivile Ausnahmezustände
im Einsatz das Dienstabzeichen tragen.
erweitert, etwa bei Überschwemmungen,
FOR MUL A R E
25 Kugelschreiber blau
300 Begleitkarten
1 Kugelschreiber rot
300 Aushängekarten für Verletzte und Kranke
3 Radiergummis
300 Ausweis-Bezugskarten
1 Schere
300 Suchkarten
50 Blatt Schreibpapier DIN A 4
100 Stammkarten
50 Umschläge DIN A 6
50 Schicksalsmeldekarten 300 Schnellbenachrichtigungskarten
SONSTIGE UTENSILIEN
100 IKRK-Formulare 61
1 Absperrseil 1 Knäuel Bindfaden
BÜROM ATER IA L
25 Dienstabzeichen
20 Bleistifte
2 Rotkreuz-Flaggen
1 Bleistiftspitzer
1 Schild Gemeinsame
1 Schachtel Büroklammern à 1000
Auskunftsstelle der Hilfsorganisationen
1 Heftmaschine
2 Schlösser mit 2 Schlüsseln
1 Schachtel Heftklammern à 1000
1 RK-Aufkleber
1 Klebestift
1 KAB-Aufkleber
50 Blatt Kohlepapier Als zusätzliche Hilfsmittel haben sich bewährt: Einsatztagebuch, Meldeblock, Karte des Kreisgebiets, DRK-Kalender, Sicherheitsnadeln.
Das amtliche Auskunftsbüro der Bundesrepublik Deutschland - Handbuch mit Dienstanweisungen
64
1966 Ein Dienst für alle Fälle
Wurde die Registrierung der Betroffenen anfangs nur von Hand vorgenommen, so hat sich mit dem Aufkommen der EDV bald ein zweigleisiges Verfahren eingebürgert. Doppelt hält besser: Im Ernstfall werden die Angaben heute sowohl in eine manuellen Kartei eingespeist wie auch in ein elektronisches Programm, das den Namen „Xenios“ trägt. In der DDR ist das Amtliche Auskunftsbüro dem dortigen Roten Kreuz bereits 1959 als Aufgabe übertragen und vier Jahre später eingerichtet worden. 2001 wird die SuchdienstVereinbarung mit dem Bundesministerium des Innern neu gefasst; sie schließt die Aufgabe des Amtlichen Auskunftsbüros weiterhin mit ein.
Nachdem dem DRK die Einrichtung des amtlichen nationalen Auskunftsbüros übertragen worden ist, stellen die Kreisauskunftsbüros derartige Kisten mit Büromaterial bereit, um im Ernstfall für die Erfassung gerüstet zu sein
66
67
1975 Leichtes politisches Tauwetter
Den Teufelskreis durchbrechen
HELSINKI UND DIE FOLGEN
Nachdem die Nachkriegsordnung in Europa
Diese Rahmenbedingungen eröffnen bessere
auf beiden Seiten lange als provisorisch ange-
Möglichkeiten für die Arbeit des Deutschen
sehen wurde, leitet die 1973 begonnene Kon-
Roten Kreuzes in seiner Doppelfunktion als
ferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
nationale Hilfsgesellschaft und Wohlfahrts-
in Europa (KSZE) eine neue, kooperativere
verband. Mittels des Suchdienstes können
Phase ein. Dieser Prozess mündet zwei Jahre
getrennte Familienangehörige auf beiden Seiten
später in die Schlussakte von Helsinki ein,
miteinander in Verbindung treten, die erforder-
welche die jeweiligen Machtsphären konsolidiert
lichen Unterlagen beibringen und die lang-
und die politischen Beziehungen auf eine
wierigen bürokratischen Prozeduren bewältigen.
stabilere Grundlage stellt. Handel, Verkehr und
Im Westen angekommen, hilft das DRK den
Kommunikation zwischen den Ostblockstaaten
Übersiedlern dann, sich in die neuen Verhält-
und der westlichen Welt werden erleichtert,
nisse einzuleben.
völker- und menschenrechtliche Prinzipien
Wieder kommt es vor allem mit Polen
konkretisiert. Im Rahmen der „Zusammenarbeit
zu einer Zusammenarbeit größeren Stils; bis
in humanitären und anderen Bereichen“ heißt es:
1982 können etwa 225 000 deutschstämmige
„Die Teilnehmerstaaten werden die Bemühungen
Aussiedler ausreisen. Auch aus Rumänien
des Roten Kreuzes unterstützen, die sich mit
können jährlich rund 12 000 Menschen zu ihren
den Problemen der Familienzusammenführung
Verwandten in die Bundesrepublik und ins
befassen.“
übrige Westeuropa ziehen; für einige Jahre
68
« Eine seiner größten Aufgaben wuchs dem Roten Kreuz nach dem Kriege zu, als Millionen Mitmenschen ihre Heimat verloren hatten, Familien auseinandergerissen wurden, zurückkehrende Soldaten ihre Heimatorte leer oder ausgebombt vorfanden. In dieser Zeit entstand der Suchdienst, der einer großen Zahl von Menschen wieder zueinanderhalf. Das Wort ‹Familienzusammenführung›, jene große Aktion der Menschlichkeit, die dem Deutschen Roten Kreuz anvertraut wurde und hier in den besten Händen ist, dieses Wort ist noch immer von brennender Aktualität. Ich appelliere an die politisch Verantwortlichen: Öffnen Sie die Tore, damit die Eltern zu den Kindern, der Bruder zu der Schwester, die Familie zur Familie kommen kann. Kein Staatsinteresse kann es rechtfertigen, Menschen, die zueinander wollen, nicht zueinander zu lassen. In Europa wird nach vielen Epochen schrecklicher Kriege der Versuch unternommen, eine Politik des dauerhaften Friedens und seiner Sicherung einzuleiten. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihren Beitrag dazu geleistet. Wir tun das in dem Wissen, daß unserer Generation eine historische Aufgabe gestellt ist, den Teufelskreis von Unrecht und Gegenunrecht zu durchbrechen. Nicht Gräben zu vertiefen und Mauern zu errichten, sondern sie einzuebnen ist das, was die Völker Europas von den Regierenden erwarten. Und so, wie wir Trennendes überwinden wollen, wollen wir auch die Trennung der Menschen, die zueinander wollen, überwinden. Die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes bei dieser wahrhaft humanen Aufgabe bleibt unvergessen. Sie ist eine Arbeit im Stillen, und sie ist umso wirkungsvoller. »
der damalige Bundesminister des Innern, Hans-Dietrich Genscher, im Vorfeld der Helsinki-Konferenz 1973
1975 Leichtes politisches Tauwetter
gestattet auch die Sowjetunion eine liberalere
Auch die Zusammenarbeit der Suchdienste bei
Praxis. Die verbesserten Postverbindungen
der Klärung von Schicksalen aus dem Zweiten
ermöglichen einen regeren Austausch, auch
Weltkrieg verläuft schleppend. Der größeren
Geschenksendungen wie Lebensmittel- und
Erfolgsaussichten wegen fragen DDR-Bürger oft
Bekleidungspakete können nun in größerem
in München oder Hamburg an. Doch viele ihrer
Umfang geschickt werden. Auch in diese
Briefe werden ebenso als „Hetzpost“ beschlag-
Akivitäten sind die Rotkreuzgesellschaften
nahmt wie 70 000 Gutachten des Münchner
der betreffenden Länder einbezogen.
Suchdienstes. Dass mehr als eine Million Deut-
Zwischen der BRD und der DDR findet
sche in sowjetischen Lagern ums Leben gekom-
hingegen keine vergleichbare Entwicklung statt,
men sind, rührt an ein ideologisches Tabu. Vom
die Situation ist eine andere als bei den ost-
Schicksal der politischen Gefangenen in Bautzen
europäischen Staaten. Zwar interveniert das
oder Berlin-Hohenschönhausen nicht zu reden.
westdeutsche DRK in begründeten humanitären
Der Suchdienstarbeit sind enge politische
Fällen und kann auch einzelne Erfolge vorweisen,
Grenzen gesetzt.
doch das Verhältnis bleibt gespannt.
Im Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen erhalten Aussiedler aus der Sowjetunion vom DRK passende Kleidung
70
71
1978
In alle Winde zerstreut
S.O.S. im Südchinesischen Meer DIE TRAGÖDIE DER „BOAT PEOPLE“
Nach Ende des Vietnam-Kriegs und der kom-
Sie führt Hilfsgüter im Wert von drei Millionen
munistischen Machtübernahme setzt eine
Mark mit sich und ist auch für medizinische
Massenflucht aus dem Süden des Landes ein.
Nothilfe eingerichtet. Delegierte des DRK
1,6 Millionen Menschen versuchen, ins Ausland
verstärken die vielen internationalen Rotkreuz-
zu gelangen, überwiegend in Booten, so dass
teams, die in Flüchtlingslagern in Thailand,
sich die Bezeichnung „boat people“ einbürgert.
Indonesien und Malaysia im Einsatz sind,
Ein äußerst gefährliches und verzweifeltes
vereinzelt auch in Singapur und auf den
Unterfangen, das schätzungsweise eine Viertel-
Philippinen. Dort werden die Personalien
million Flüchtlinge mit dem Leben bezahlt.
der Ankommenden routinemäßig registriert
Auch aus Kambodscha fliehen bald immer
und etwaige Suchanfragen aufgenommen.
mehr Menschen.
Dies geschieht im Zusammenwirken mit den
Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit
Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften
beteiligt sich das DRK auf vielfältige Weise an
dieser Länder, denen das DRK beim Aufbau
den Hilfseinsätzen. Nachdem es bereits während
eines eigenen Suchdienstes hilft.
des Kriegs über mehrere Jahre hinweg das
Besondere Schwierigkeiten ergeben sich
Hospitalschiff Helgoland betrieben hat, schickt
bei den Schreibweisen der Namen. Nicht allein,
es nun ein eigenes Versorgungsschiff, die Flora,
dass Vietnamesisch ohnehin eine komplizierte
ins Südchinesische Meer.
Sprache darstellt, die Ehepartner und
« Was geschieht, wenn eine Familie – Vater, Sohn und zwei kleine Töchter – durch unglückliche Umstände getrennt werden? Was geschieht, wenn der Vater durch ein kleines Boot voller hoffnungsloser Menschen an einen Ort gebracht wird, an den er gar nicht möchte? Und endlich, was geschieht mit dem Sohn und den Töchtern, die ebenso hoffnungslos auf der unbekannten See treiben, auf der Suche nach einem Zuhause, das es vielleicht gar nicht gibt? Dies ist die Geschichte von Vo Kiet, seinem Sohn Vo Doc und den beiden kleinen Töchtern, einer vietnamesischen Familie, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist. Dank des Suchdienstes des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, der Grenzen überschreitet und die halbe Welt umspannt, ist es trotz der harten Erlebnisse ein Bericht mit einem glücklichen Ausgang. Im Gegensatz zu den Unglücklichen, die ertrunken waren, landete Vo Kiet in einem malaysischen Lager. Weil er einen Angehörigen in der
BRD hatte, gehörte er zu den Bevorzugten, die nach einiger Zeit dorthin ausreisen durften. Im Lager Friedland fand er Aufnahme. Die Kinder hingegen erreichten die Flüchtlingsinsel Palau Bidong, die ebenfalls zu Malaysia gehört. Hier kamen sie mit dem Suchdienst des Roten Kreuzes in Berührung. Der Mitarbeiter vermerkte in seinem Bericht, daß der junge Flüchtling Vo Doc sofort mit der Bitte auf ihn zukam, seinen Vater zu suchen und angab, daß auf dessen letztem Brief die Adresse ‹West-Germany› gestanden habe. Sicher war er sich aber nicht. Der Vater seinerseits hatte bei der Ankunft in Friedland einen ähnlichen Antrag gestellt. Dieser war nach Genf geschickt worden, wo er mit dem Antrag seines Sohnes zusammentraf. Die ‹Begegnung› der Anträge war der Beginn der Zusammenführung dieser Familie. Dieser Fall ist unter der Nummer 00205 KL (Kuala Lumpur) beim Suchdienst registriert. Inzwischen ist man bei der Nummer 02900 angekommen. »
Panorama, Zeitschrift der Liga der Rotkreuz-Gesellschaften, Genf, 1979
72
1978 S.O.S. im Südchinesischen Meer
manchmal sogar die Kinder
Das DRK hilft bei ihrer Be-
tragen auch noch unter-
treuung und Eingliederung.
schiedliche Familiennamen.
Viele von ihnen, denen Ange-
Zudem werden bei chine-
hörige auf der Flucht abhan-
sischstämmigen Vietname-
den gekommen sind, wenden
sen Vor- und Nachname
sich an den Suchdienst in
meist umgestellt. „Allein in
München. Einige Fälle sind
den ersten Wochen erreich-
bis heute ungeklärt.
ten uns dreitausend Such-
Im Rückblick erweist
anfragen“, berichtet ein
sich die Vietnam-Hilfe als
Helfer. In Einzelfällen können Personen durch
der erste Schritt zur Globalisierung des
einfaches Ausrufen der Namen in den Lagern
DRK-Suchdienstes. Heute ist es für ihn fast
gefunden werden. Meist aber sind langwierige
Routine, bei Suchanfragen weltweit unterstüt-
Recherchen unausweichlich.
zend mitzuwirken, sofern Angehörige der
Zum ersten Mal in seiner Geschichte legt
Gesuchten sich in Deutschland aufhalten.
der Suchdienst eine außereuropäische Kartei an. Rund 40 000 Flüchtlinge finden schließlich Aufnahme in der Bundesrepublik. Hoffnung auf einen Neuanfang: Eine Familie aus Südostasien hat in einem Flüchtlingsheim des DRK in Deutschland Aufnahme gefunden
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75
1988 Heimkehr in ein unbekanntes Land
Blitzaktion in Montabaur
DIE BETREUUNG VON AUSSIEDLERN UND SPÄTAUSSIEDLERN
Seit den fünfziger Jahren siedeln deutschstäm-
Sowjetunion, vor allem aus Sibirien und den
mige Osteuropäer mehr oder weniger kontinuier-
zentralasiatischen Republiken.
lich in die Bundesrepublik über, je nach politi-
Der unerwartete Andrang stellt Behörden
scher Lage. Schon 1979 wurde der millionste
und Hilfsorganisationen vor erhebliche Schwie-
Neuzugang im niedersächsischen Grenzdurch-
rigkeiten. Beim Suchdienst Hamburg, der seit je
gangslager Friedland willkommen geheißen.
für die Zusammenführung von Familien zustän-
Insbesondere aus der Sowjetunion aber dürfen
dig ist, muss das Personal aufgestockt werden.
nun immer weniger Menschen übersiedeln. Von
Denn neben dieser Kerntätigkeit kommen noch
60 000 registrierten Bewerbern wird 1985 nur
weitergehende Aufgaben auf ihn zu. Er bietet
mehr 460 die Ausreise gestattet. Dieses Rinnsal
den Betroffenen umfassende Beratung an, er
schwillt jedoch Ende der achtziger Jahre zu
leistet Amtshilfe gegenüber den Behörden bei
einem regelrechten Strom an, als sich das Land
der Anerkennung als Heimkehrer oder Heimat-
infolge der politischen Reformen öffnet. Die
vertriebener sowie bei Entschädigungsfragen,
daraus resultierenden Umwälzungen verändern
er erstattet die Einreisekosten und empfängt die
ganz Osteuropa und ermöglichen schließlich den
Aussiedler in Friedland oder anderen Aufnahme-
Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner
einrichtungen. Falls einzelne während des
Mauer. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung
Transfers medizinische Betreuung benötigen,
gelangen 1990 fast 400 000 Aussiedler nach
organisiert er seit dem Jahr 2000 auch den
Deutschland, gut ein Drittel davon aus der
Krankentransport. Andere DRK-Einrichtungen führen die Betreuung der Aussiedler dann nach
76
« Als ‹behelfsmäßige Notaufnahme› für Aussiedler galt das alte Krankenhaus in Montabaur. Innerhalb von zehn Tagen mußte das unbewohnte und schon ramponierte Gebäude wohnlich hergerichtet werden. Es galt, altes Gerät wegzuräumen, die Heizung zu streichen, Möbel zu organisieren, Töpfe, Pfannen und Kasserollen. Schnell haben der DRK-Kreisverband Unterwesterwald als Träger, die Gemeinde und nicht zuletzt die Bürger von Montabaur geschaltet: Kühlschränke, Herde, Sessel, Spielgerät, Ranzen und Kleider wurden gespendet. Heute ist das Provisorium mit zweihundert Personen ausgelastet, davon mehr als siebzig Kinder. Kaum hat man die Zimmer der Heimleitung betreten, schlägt einem lautes Stimmengewirr entgegen. An die zwanzig Personen mit Kindern sind mit Problemen gekommen. Ein Formular ist zu übersetzen, wo sind die Essensmarken, ein Auto zur Woh-
nungsbesichtigung wird gebraucht, wo liegt die angebotene Dreizimmerwohnung, Klagen über Mitbewohner, wann können die Familienmitglieder nachkommen, wo ist der nächste Zahnarzt … Maximal drei Monate sollen die Aussiedler im Übergangswohnheim bleiben. Oft nur eine Illusion. Anmeldung beim Einwohnermeldeamt, Anmeldung bei der Krankenkasse, Antrag auf Arbeitslosengeld oder Antrag auf Rente – das ist der ‹normale› Weg. Kontrovers geht es jedoch schon bei der Frage zu, ob sie zuerst einen Deutschlehrgang oder eine Arbeit annehmen sollen. Die älteren Aussiedler sprechen Deutsch, die Kinder kaum. Im Gespräch sind sie sehr zurückhaltend, kaum einer läßt sich photographieren. Die alte Angst sitzt tief … Was diese Menschen vor allem brauchen, ist das ‹Willkommen› eines jeden von uns. »
Ilse Gfrörer in: Jugendrotkreuz und Erzieher, 1988
1988 Heimkehr in ein unbekanntes Land
deren Ankunft fort und unterstützen sie bei
Seit 1993 wird vom Gesetzgeber der Begriff
der Eingliederung in die deutsche Gesellschaft.
„Spätaussiedler“ gebraucht. Als Folge der
Während die osteuropäischen Staaten den
weiteren Novellierungen des Bundesvertriebe-
Menschen die Ausreise erleichtern, werden die
nengesetzes kommt es zu teilweise dauerhaften
gesetzlichen Bedingungen für die Einreise nach
Familientrennungen; die Gesamtzahl der in
Deutschland mit den Jahren strenger und
Deutschland ankommenden Spätaussiedler
komplizierter. Das Aussiedleraufnahmegesetz,
geht danach deutlich zurück. Erst seit im
das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz und die
September 2013 eine weitere Gesetzesänderung
mehrfachen Verschärfungen des Bundesver-
unverhältnismäßige Familientrennungen vermei-
triebenengesetzes schaffen neue Rahmen-
det, steigen die Einreisezahlen wieder an.
bedingungen, die komplexere Arbeitsabläufe und eine noch eingehendere Beratung der Betroffenen erforderlich machen.
Die Grenzdurchgangslager wie hier in UnnaMassen dienen für Aussiedler aus Osteuropa als Transitstation in ein neues Leben
78
79
1989 Alles in Bewegung
Vorhang auf
MAUERFALL UND WIEDERVEREINIGUNG
Nachdem sie vier Jahrzehnte lang die Vermiss-
Parallel suchen viele Tausende Zuflucht in der
tenschicksale des Zweiten Weltkriegs aufzu-
bundesdeutschen Botschaft in Prag und in
klären versucht haben, denken selbst die Mitar-
weiteren diplomatischen Vertretungen. Das Rote
beiter des Suchdienstes, dass neue Erkenntnisse
Kreuz ist im Großeinsatz. Der Suchdienst über-
in größerem Umfang nicht mehr zu erwarten sind.
nimmt die Registrierung der Flüchtlinge und hat
Doch mit den Umbrüchen in Osteuropa gerät das
auch sehr bald schon aktuelle Anfragen zu
gesamte politische Gefüge in Bewegung. Dies
bearbeiten. Ganze Familien haben sich am
eröffnet nicht nur neue, vielversprechende Mög-
Neusiedler See, dem ersten Schlupfloch im
lichkeiten für Recherchen über Vermisstenfälle,
Eisernen Vorhang, aus den Augen verloren oder
sondern führt auch zu den größten Bevölkerungs-
sind in verschiedenen Auffanglagern gelandet.
verschiebungen seit Ende des Kriegs. So dass
Der Fall der innerdeutschen Grenze führt
sowohl die klassischen Schicksalsklärungen wie
dann zügig zur Wiedervereinigung. Entsprechend
auch die aktuelle Suchdienstarbeit einen gewal-
fusionieren auch die beiden nationalen Rotkreuz-
tigen Schub erfahren. Die beiden zentralen
gesellschaften, indem das DRK der DDR seine
Standorte in München und Hamburg werden
formale Auflösung beschließt und die neu ge-
ebenso von Anfragen überschwemmt wie die
gründeten Landesverbände dem DRK-West
Suchdienst-Leitstelle im DRK-Generalsekretariat
beitreten. Die jeweiligen Suchdienste schließen
in Bonn. Während der turbulenten Wochen im
sich zusammen. Zum 1. Januar 1991 übernimmt
Sommer und Herbst 1989 gelangen rund 20 000
der Standort München den früheren DDR-Such-
DDR-Bürger über Ungarn in den Westen.
dienst als Berliner Außenstelle. Sie setzt ihre
80
« Die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze im Spätsommer 1989 war ein spektakulärer Meilenstein auf dem Weg zur Wiedervereinigung. In Bayern angekommen, mussten die Flüchtlinge dann betreut, verpflegt und vorübergehend untergebracht werden. Der Landesnachforschungsdienst (Suchdienst auf Landesebene) organisierte eine Anlaufund Kontaktstelle für die rasch wachsende Zahl zum Teil desorientierter Flüchtlinge. Durch die oft überstürzte Abund Einreise wurden zahlreiche Familien meist unfreiwillig getrennt. In anderen Fällen war es durchaus beabsichtigt, sich aus alten Bindungen und Verpflichtungen zu lösen. Nach kurzem Zwischenstopp in grenznahen Auffanglagern wanderten die Menschen weiter. Das Bayerische Rote
Kreuz gab die Aufgabe an den Suchdienst München weiter, welcher für das gesamte Bundesgebiet zuständig ist. Zwischenzeitlich entstanden bundesweit über 500 Aufnahmestellen für Flüchtlinge. Dort wurden sie von den ehrenamtlichen Helfern der Kreisauskunftbüros erfasst und ein Durchschlag an den Suchdienst München geschickt. Die Kartei erreichte in der Endphase eine Größenordnung von mehr als 400 000 Karteikarten. Bereits Tage und Wochen nach dem Exodus erreichte eine Flut von Briefen aus der DDR den Suchdienst. Neben Arbeitskollegen, Arbeitgebern, Freunden, Klassenkameraden und Gläubigern suchten Eltern ihre Sprösslinge und ledige, verheiratete oder geschiedene Mütter die Väter ihrer Kinder. »
Suchdienst-Mitarbeiter, in: Der Zukunft zugewandt – Die Vereinigung der beiden deutschen Rotkreuzgesellschaften
1989 Alles in Bewegung
Nach ihrer dramatischen Ausreise im Herbst 1989 werden Flüchtlinge aus der DDR an vielen Bahnhöfen von Helfern des DRK empfangen und versorgt, wie hier in Ahrweiler bei Bonn
82
Arbeit noch bis ins Jahr 2000 fort. Die über Jahr-
sie stellen Fragen, auf welche ihnen die Eltern
zehnte aufgebaute Zentrale Suchkartei mit ihren
keine Antwort geben konnten oder wollten.
fünfzig Millionen Karteikarten, von der man schon
Bei den 100 000 nicht-ehelichen Kindern von
glaubte, dass sie bald ausrangiert würde, leistet
Besatzungssoldaten besteht ebenfalls ein hoher
noch einmal unschätzbare Dienste. In Ostdeutsch-
Klärungsbedarf. Auch aus dem Ausland erreichen
land haben sich zahllose Anfragen aufgestaut,
den Suchdienst immer wieder Anfragen. Da findet
die aufgrund der Zeitumstände und aus politischen
ein Norweger nach dem Tod seiner Mutter in ihrem
Gründen nie gestellt worden sind. Viele Familien
Nachtschrank das Bild eines deutschen Soldaten,
schicken jetzt erstmalig einen Suchantrag nach
der ihm merkwürdig ähnlich sieht. Da bittet die
Vermissten im Zweiten Weltkrieg und aus den an-
Tochter eines in deutscher Kriegsgefangenschaft
schließenden Vertreibungen ab. Es erfolgen auch
verstorbenen Soldaten der Roten Armee den
viele Anfragen zu Schicksalen, die in der DDR tabu
DRK-Suchdienst über die Schwestergesellschaft
waren, wie etwa die stalinistischen Sonderlager
vom Russischen Roten Kreuz um Nachforschun-
oder die Zwangsadoption von Kindern, deren
gen zum Grab ihres Vaters. Da bringen die Zei-
Eltern „Republikflucht“ zur Last gelegt wurde.
tungen nach erfolgreicher Einschaltung des
Doch auch aus Westdeutschland erreichen
Suchdienstes Schlagzeilen wie: „Das erste
den Suchdienst nach wie vor entsprechende
Telefonat nach sechzig Jahren“ oder „Hast
Erkundigungen. Mittlerweile geht auch die Genera-
Du von der Halbschwester gewußt?“
tion der Kinder der Familiengeschichte nach –
83
1992 Zeugen aus der Vergangenheit DIE ÖFFNUNG DER RUSSISCHEN ARCHIVE
In der Zeitmaschine « Das Sonderarchiv war eine ‹Einrichtung geschlossenen Typs› und wurde, wie mit einer Zeitmaschine, Anfang der neunziger Jahre in eine andere Epoche geworfen. In dieser Situation blieb nur, sich den modernen Bedingungen anzupassen. Die Notwendigkeit, eine große Anzahl von
Von fast 450 000 Suchmeldungen, die zwischen
filmen geliefert, später dann eingescannt und
1957 und 1991 an das Sowjetische Rote Kreuz
auf CD-ROMs und DVDs übertragen.
gingen, konnten nur 80 000 geklärt werden. Eine
Bis 1999 folgen viele weitere Arbeitsbe-
unbefriedigende Bilanz. Doch nun bewirken die
suche, bei denen erneut beträchtliche Bestände
gesellschaftlichen Reformen nach und nach eine
erschlossen werden können, darunter beim
Lockerung der bis dahin äußerst restriktiven und
Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums
selektiven Informationspolitik. Glasnost öffnet
in Podolsk, beim Militärmedizinischen Museum
auch die Archive, zumindest einen Spalt weit.
in St. Petersburg, beim Archiv des Föderalen
Nachdem bereits 1989 Sondierungsge-
Sicherheitsdienstes, beim Archiv des Innen-
Dokumenten freizugeben (alle Akten trugen den Stempel ‹geheim›) war eines der schwierigsten Probleme. Dem Archiv ist die Lösung dieser Aufgabe gelungen. Die Freigabe gestattete es, eine große Masse von Dokumenten wissenschaftlich zugänglich zu machen. Sie enthielten Informationen über ausländische Kriegsgefangene, welche in Lagern in der Sowjetunion gewesen waren. Der Vorgang hatte auch große Bedeutung bei der Lösung humanitärer Fragen, die mit der Schicksalsklärung von Soldaten zusammenhingen.
spräche stattgefunden haben, kommt es 1992
ministeriums der Russischen Föderation und
Einen echten Durchbruch brachte die Anwendung neuer automatisierter Technik. Seit Be-
zur ersten größeren Vereinbarung zwischen dem
anderen Stellen. Gemeinsam mit der Stiftung
DRK, dem staatlichen militärischen Sonderarchiv
Sächsische Gedenkstätten erhält der DRK-
ginn der neunziger Jahre wurden gemeinsam mit deutschen Institutionen, vor allem mit dem
und dem Archiv des einstigen NKWD („Archiv
Suchdienst im Jahr 2003 dann auch noch über
Deutschen Roten Kreuz, eine Reihe von Projekten zur Schaffung von computergestützten Da-
Oktoberrevolution“) über einen umfangreichen
zwei Millionen personenbezogener Akten aus
tenbanken durchgeführt. Das DRK erhielt die Möglichkeit, unmittelbar in Deutschland Namen
Datentransfer. Als Gegenleistung stellt der Such-
dem staatlichen russischen Militärarchiv zur
dienst zur Erfassung der Dokumente Computer,
Verfügung gestellt. Auch heute noch treffen
Mikrofilmkameras und Kopiergeräte zur
in geringerem Umfang Dokumente aus bislang
Verfügung, die zu dieser Zeit in Russland noch
nicht zugänglichen Beständen ein.
kaum zu bekommen sind. Die ersten Unterlagen werden noch auf Disketten und auf Mikro84
und Schicksale [von Wehrmachtsangehörigen] festzustellen. Heute umfasst diese Datenbank ungefähr 1,5 Millionen Datensätze mit jeweils 28 Angaben. »
Nun können die Daten beider Seiten miteinander abgeglichen werden.
Vladimir Korotaev, stellvertretender Direktor des staatlichen russischen Militärarchivs (RGWA)
1992 Zeugen aus der Vergangenheit
Die zentrale Dokumentations- und Auskunftsstelle am Standort München wertet eingescannte russische Dokumente zum Verbleib von Vermissten und Gefangenen des Zweiten Weltkriegs aus
86
Heinrich Rehberg, damals Leiter des Standortes
Wenn der Name „Hühnerbein“ in den russischen
München, erklärt das Verfahren: „Das kann man
Unterlagen zu „Aneby“ verballhornt wird, bedarf
sich vorstellen wie zwei Glücksräder, die gegen-
es schon umfassenden Erfahrungswissens, um
einander laufen: das eine enthält die alten
eine Identifizierung vorzunehmen. Die Zuordnung
Suchanträge, das andere die neuen Quellen der
der neuen Akten zu den alten Suchanfragen
russischen Archive.“ Damit kann der Suchdienst
gerät zu einer großen Herausforderung für die
die Arbeit von Jahrzehnten nachhaltig komplet-
Mitarbeiter des Suchdienstes.
tieren, sowohl bei den Kriegsgefangenen wie bei
Im Jahr 2008 wird das so angereicherte
den Insassen der sowjetischen Speziallager im
Archiv noch einmal gefordert. Per Gesetz
Osten Deutschlands.
erhalten jetzt auch ehemalige DDR-Bürger eine
Die hohe Zahl der ungeklärten Fälle und
Heimkehrerentschädigung für die Zeit ihrer
der abschlägigen Antworten rührte weniger aus
Kriegsgefangenschaft zugesprochen. Knapp
Nachlässigkeit oder bösem Willen her, sondern
100 000 sind davon betroffen und müssen nun,
vielfach von Zweideutigkeiten und Hörfehlern
sechzig Jahre danach, ihre Haftzeit nachweisen.
beim Buchstabieren der deutschen Namen
Nicht selten aber fehlen die nötigen Unterlagen.
durch russische Soldaten sowie durch die Über-
Dank seines umfangreichen Archives und der
tragung ins kyrillische Alphabet. Derartige Feh-
mittlerweile aufbereiteten sowjetischen Bestände
lerquellen verhindern häufig, dass die deutschen
kann ihnen der Suchdienst in den meisten
Anfragen mit den russischen Angaben zur
Fällen helfen.
Deckung gebracht werden können. 87
1999 Krieg in Europa
Angaben zur vermissten Person
DIE GESCHEHNISSE AUF DEM BALKAN
Während der Fall des Eisernen Vorhangs
Erst als die Kämpfe abflauen und das Inter-
Deutschland die Wiedervereinigung beschert,
nationale Komitee vom Roten Kreuz Delega-
bricht das frühere Jugoslawien während meh-
tionen in die neu entstandenen Nachfolgestaa-
rerer Kriege von 1991 bis 1995 in ein halbes
ten entsendet, kann eine halbwegs geregelte
Dutzend Teilstaaten auseinander. 1999 findet
Suchdiensttätigkeit in Gang kommen. Von
diese Entwicklung dann im Kosovokrieg ihre
größtem Wert für die Zivilbevölkerung sind
Fortsetzung. Auch zahlreiche Menschen in
gleichzeitig die Rotkreuz-Familiennachrichten:
Deutschland sind direkt davon betroffen: Über
kurze, auf ein Formblatt geschriebene Mitteilun-
eine halbe Million Menschen aus dem früheren
gen, die neunzehn Zeilen umfassen dürfen und
Jugoslawien lebt hier, viele von ihnen kamen
rein persönlichen Charakter haben müssen,
einst als Gastarbeiter. Beim Suchdienst stapeln
um als nicht verschlossene Briefe in und aus
sich die Anfragen, doch Nachforschungen sind
Konfliktgebieten übermittelt werden zu können.
wegen des Kriegs praktisch unmöglich. Der
In Kooperation mit dem IKRK ermöglicht der
Postverkehr ist zum Erliegen gekommen; Mobil-
DRK-Suchdienst den Austausch von rund
funknetze und Internet stehen während der
400 000 solcher Nachrichten während des
ersten Jahre noch kaum zur Verfügung. Solange
Konflikts; einige davon werden bereits elektro-
die Kämpfe anhalten, wäre es zu gefährlich,
nisch übermittelt. Etliche Suchanfragen finden
Helfer ins Kriegsgebiet zu schicken, um Nach-
dadurch ein Happy End – der Gesuchte lebt.
ANGABEN ZUM PERSÖNLICHEN BESITZ
ANGABEN ZUM SCHUHWERK
1 Dokumente 2 Fotografien 3 Fotoalbum 4 Gürtel 5 Tasche 6 Rucksack 7 Aktentasche 8 Armbanduhr 9 Taschenuhr 10 Brille 11 Kontaktlinsen 12 Messer 13 Klappmesser 14 Messerscheide 15 Zigaretten 16 Zigarettenetui 17 Feuerzeug 18 Zigarettenspitze 19 Pfeife 20 Feuerstein 21 Geldbörse 22 Papiergeld 23 Münzgeld 24 Halskette 25 Ring …
1001 Gummistiefel 1002 Freizeitschuhe 1003 Arbeitsschuhe 1004 Turnschuhe 1005 Stiefel 1006 Halbstiefel 1007 Laufschuhe 1008 orthopädische Schuhe 1009 Clogs 1010 Sandalen 1011 Hausschuhe 1012 Socken 1013 Armeestiefel …
33 Schlüssel 34 Schlüsselanhänger 35 Strick, Schnur, Schnürsenkel 36 Kamm 37 Haarbürste 38 Rasierer 39 Rasierpinsel 40 Rasiercreme 41 Spiegel 42 Zahnbürste 43 Zahnpasta … 54 Koran/Bibel 55 Buch 56 Notizbuch 57 Stift 58 Bleistift 59 Mappe 60 Heftordner 61 Löffel 62 Gabel 63 Munitionstasche 64 Gewehrmunition 65 Schrotkugeln 66 Taschentuch 67 Handtuch 68 Flasche …
ANGABEN ZUM GEBISS
1 Füllungen 2 gezogene oder fehlende Zähne 3 Goldzähne 4 Silberzähne 5 gebrochene Zähne 6 Kronen 7 schwarze oder braune Zähne 8 faule Zähne 9 künstliches Gebiss 10 überlappende Zähne 11 Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen 12 Lücke zwischen den unteren Schneidezähnen 13 normales Gebiss/horizontaler Überbiss/vertikaler Überbiss 14 Zahnprothese Oberkiefer 15 Zahnprothese Unterkiefer 16 Brücke
richten zu verteilen oder Menschen aufzuspüren. aus dem neunzehn Seiten umfassenden Fragebogen zur ante-mortem-Datenerhebung in Bosnien und Herzegowina
88
1999 Krieg in Europa
Doch in vielen Fällen findet sich trotz umfassen-
Lebzeiten zutreffenden Angaben über den
der Recherchen keine Spur. Insbesondere nach
Gesuchten, werden mit den post mortem bei
dem Bosnienkrieg, bei dem es zu „ethnischen
den Leichen erhobenen Befunden abgeglichen.
Säuberungen“ gekommen ist, vereinzelt auch
Die Kombination aus Erbgutanalyse und Daten-
zu Massakern. Noch heute werden dort Massen-
bankabgleich liefert ausgesprochen zuverlässige
gräber entdeckt und exhumiert. Zur Iden-
Ergebnisse. So traurig sie für die Angehörigen
tifizierung werden, zum ersten Mal in der Kriegs-
auch sind, geben sie ihnen doch wenigstens
geschichte, forensische DNA-Analysen vor-
Orientierung und Objektivierung in ihrem
genommen. Dabei wird das Erbgut aus den
Schmerz. Trauer lässt sich verarbeiten,
gefundenen Knochen mit DNA aus Blutproben
Ungewissheit nicht.
derjenigen Menschen verglichen, die vermisste
Der größte Teil dieser Erhebungen wird
Angehörige suchen. Soweit sie ihre Suchan-
von 2004 bis 2007 durchgeführt. In Deutschland
fragen in Deutschland gestellt haben, vermittelt
betreffen sie nur etwa achtzig Fälle; insgesamt
der Suchdienst den Kontakt zu den forensischen
aber können so nach Aushebung der Massen-
Instituten und führt zugleich eine detaillierte
gräber rund 15 000 Personen identifiziert
Befragung durch. Die ante mortem, also zu
werden.
Post mortem: Im Kosovo dokumentieren Gerichtsmediziner die Funde aus Massengräbern. Ihre Befunde werden mit den ante mortem-Daten vermisster Personen abgeglichen, zu deren Ermittlung der Suchdienst des DRK beiträgt
90
91
2004 Jenseits aller Vorstellungskraft
Ansprechpartner in der Ungewissheit
DIE TSUNAMI-KATASTROPHE
« Ein verzweifelter Anrufer sucht nach der kompletten Familie seines Bruders, deren letzter bekannter Aufenthaltsort die thailändische Ferienregion Khao Lak war. Ein besorgter Arbeitgeber sucht für eine verletzte Mitarbeiterin, die aus Thailand nach Deutschland ausgeflogen Nach einem Seebeben vor Sumatra am 26. De-
kommen 5,5 Millionen Euro an Spenden
zember 2004 wälzt sich eine gewaltige Woge
zusammen. Besonders hoch ist die Spenden-
durch den Indischen Ozean. Sie prallt an die
bereitschaft bei der älteren Generation, die sich
ben, dass ihre Tochter gerettet werden konnte, suchen sie nun in allen Krankenhäusern der
Küsten praktisch aller Anrainerstaaten; beson-
angesichts der Verwüstungen an die chaoti-
Region.
ders zerstörerisch wirkt sie sich auf Sumatra,
schen Zustände während der Kriegs- und
Sri Lanka, Indien und Thailand aus. Insgesamt
Nachkriegsjahre erinnert fühlen mag.
fordert diese beispiellose Katastrophe rund 230 000 Menschenleben. Todesopfer in dieser Größenordnung resul-
werden konnte, nach deren Kind und Mann. Und sorgenvolle Eltern, die gerade erfahren ha-
Zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Schock – mit diesen schwankenden Emotionen
Auch damals galt, wenn auch aus ganz
der Menschen, deren Familien, Freunde oder Bekannte sich in den Katastrophengebieten
anderen Ursachen, den ungezählten Vermissten,
aufhielten, werden die Mitarbeiter des Suchdienstes konfrontiert. Das DRK stand den Ver-
Verlorenen, Verschwundenen die ständige Sorge
zweifelten als humanitärer Ansprechpartner zur Seite – denn die Ungewissheit über Wohl
tieren sonst nur aus Kriegen, und selbst dort
der Bevölkerung. Die Bildplakate und Bildlisten,
verteilen sie sich meist über einen längeren
die in den fünfziger und sechziger Jahren eines
Zeitraum. Hier aber kommen all diese Menschen
der wichtigsten Medien des Suchdienstes in
an ein und demselben Tag ums Leben. Die
Deutschland gewesen waren, kehren nun wieder.
Schäden sind derart verheerend, dass es trotz
An Häusermauern und auf Stellwänden in den
960 zu klärenden Suchanfragen. Bei Redaktionsschluss konnten noch keine gesicherten
weltweiter Hilfsbemühungen Jahre dauern wird,
betroffenen Gebieten werden steckbriefartige
Aussagen über die endgültige Zahl der Vermissten gemacht werden. »
bis die zerstörten Küstenstriche wieder bewohn-
Suchmeldungen angeschlagen. Das IKRK
bar sein werden. Die Internationale Föderation
aktiviert online eine für solche Fälle vorbereitete
der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften
Website, die eine ähnliche Funktion im Internet
mobilisiert über 20 000 Helfer, darunter auch
übernimmt.
viele aus dem DRK. Allein in Deutschland 92
und Wehe von lieben Menschen ist quälend. Während zehn Tagen konnten in München rund 3600 Anrufe bewältigt werden, mit über
Ein Suchdienst-Mitarbeiter in der Mitgliederzeitschrift Rotes Kreuz, Ausgabe 2/2005
2004 Jenseits aller Vorstellungskraft
Etwa achttausend Deutsche
Angehörigen in den betroffenen
haben in der Region Urlaub
Gebieten stellen. Dennoch sind
gemacht, vor allem an
die Mitarbeiter permanent im
den Stränden Thailands.
Einsatz. Am Tag nach dem
Besonders während der
Beben richtet die Suchdienst-
ersten Tage, da die Kommu-
Zentrale in München ein
nikation mit den Flutgebieten
Bürgertelefon ein, das – trotz
kaum funktioniert, ist die
der Weihnachtsferien – mit drei
Beunruhigung der Angehörigen groß. Und so
Dutzend Mitarbeitern rund um die Uhr besetzt ist.
wundert es nicht, dass sich tausende besorgter
Sie arbeiten dem Auswärtigen Amt und den
Menschen an den Suchdienst wenden. Da jedoch
anderen mit der Aufklärung befassten Einrichtun-
für deutsche Opfer und ihre Angehörigen zentral
gen zu, sie geben Auskünfte in juristischen und
das Auswärtige Amt die Zuständigkeit übernimmt,
administrativen Fragen, sie vermitteln Angebote
und da sich um Fragen der Identifizierung vor
zur psychosozialen Nachbetreuung, und sie
allem das Bundeskriminalamt kümmert, ist er nur
beraten bei der Überführung der Toten. Wie
bei wenigen „echten“ Suchdienstfällen gefordert.
sich nach und nach herausstellt, sind mehr als
Etwa wenn in Deutschland lebende Thailänder
fünfhundert Deutsche der Erdbebenwoge zum
oder Indonesier Suchanfragen nach vermissten
Opfer gefallen.
In der Provinz Aceh auf Sumatra, die besonders stark von der Tsunami-Katastrophe betroffen ist, verteilen Helfer des Indonesischen Roten Kreuzes Hilfsgüter mit dem Hubschrauber
94
95
2007
Wandel braucht Zeit und Ressourcen
Mit vereinten Kräften
« Immer dann, wenn Menschen aufgrund von bewaffneten Konflikten, Gewalt, Naturkatastrophen oder
DIE INTERNATIONALE SUCHDIENST-STRATEGIE
ohne Nachricht von ihnen sind, reagiert die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung effi-
anderen Situationen, in denen humanitäre Hilfe erforderlich ist, von ihren Angehörigen getrennt oder zient und wirksam durch Mobilisierung ihrer Suchdienst-Möglichkeiten. Völkerrechtlich hat jeder Mensch das Recht zu erfahren, was mit vermissten Angehörigen geschehen ist, sowie Anspruch darauf, mit Familienmitgliedern, von denen er getrennt wurde, zu korrespondieren und zu kommunizieren. Hauptsächlich der Staatsgewalt (einschließlich dem Militär) obliegt die
Die Tsunami-Katastrophe hat einmal mehr
Als Konsequenz daraus entwickeln das IKRK
gezeigt, dass das Bangen um vermisste Ange-
und die Föderation der Rotkreuz- und Rothalb-
hörige zu den quälendsten Sorgen nach solch
mondgesellschaften eine internationale Such-
einer Tragödie gehört. Geliebte Menschen in
dienst-Strategie. Sie wird Ende 2007 auf der
Sicherheit wissen zu wollen, stellt eine elemen-
Internationalen Rotkreuz-Konferenz in Genf
taren Reflex dar, hinter dem selbst die eigene
verabschiedet und seither mit Zustimmung der
Versorgung zurücktritt. „Nach mehr als vier
Bundesregierung umgesetzt. Ziel dieser Initiative
Monaten wurde mein Mann als Opfer des
war und ist es, die Grundlagen der Nachfor-
Tsunami identifiziert. Die Zeit der Ungewissheit
schungsarbeit in den nächsten zehn Jahren
war die schlimmste meines Lebens“, erinnert
weltweit zu verbreiten, die Leistungsfähigkeit und
nenten seit Jahrzehnten, Familien wieder zusammenzuführen. Dieser einzigartige Dienst ist zusammen
sich eine Überlebende aus Berlin. Erst als sie
Kooperation der Suchdienste zu verbessern und
mit dem moralischen Beistand, den er leistet, einer der Schwerpunkte der Arbeit der Bewegung. Jahr
endlich zuverlässige Informationen erlangte,
ihnen sowohl innerhalb der Rotkreuzbewegung
für Jahr kommt der Suchdienst Hunderttausenden von Menschen zugute.
so bitter diese auch waren, konnte sie beginnen,
wie auch in der Öffentlichkeit mehr Geltung zu
Heute steht das internationale Suchdienstnetzwerk (bestehend aus dem Zentralen Suchdienst
den Verlust zu verarbeiten.
verschaffen. Etwa dreißig Gesellschaften betei-
des IKRK, den Suchdiensten in den IKRK-Delegationen und den Suchdiensten der nationalen Gesell-
ligen sich daran.
schaften) vor enormen Herausforderungen. Die Suchdienst-Strategie basiert auf den Stärken und dem
Obwohl der DRK-Suchdienst in den achtzi-
Verpflichtung, die Wahrung dieser Rechte zu gewährleisten; im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung auch allen anderen organisierten bewaffneten Gruppen. Diese sind aber möglicherweise weder willens noch in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen. Die größte Stärke der Bewegung liegt in ihrem Potenzial, ein weltumspannendes Suchdienstnetzwerk sowie gleichzeitig in jedem Land ein Basisnetzwerk anzubieten, für das dieselben Grundsätze und Arbeitsmethoden gelten. Damit kann die Bewegung bessere Ergebnisse als jede andere humanitäre Hilfsorganisation der Welt erzielen. Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung versucht mit ihren zahlreichen Kompo-
ger Jahren einige südostasiatische Länder dabei
Suchdienstarbeit bildet eine universelle
Fachwissen der einzelnen Suchdienste der nationalen Gesellschaften sowie auf der Erfahrung und
unterstützt hatte, nationale Suchdienststrukturen
Rotkreuzaufgabe; nahezu jede nationale Gesell-
dem Sachverstand des IKRK und soll zu einem einheitlichen Konzept führen, das die Arbeit im Bereich
aufzubauen, war, als der Ernstfall eintrat, meist
schaft verfügt über entsprechende Einrichtun-
Suchdienst lokal und weltweit fördert. »
weder die nötige Infrastruktur noch geschultes
gen. Doch ist sie in jedem Land unterschiedlich
Personal verfügbar.
ausgeprägt und folgt anderen Erfordernissen.
96
Auszüge aus der Suchdienst-Strategie für die Internationale Rotkreuzund Rothalbmondbewegung (2008-2018), Genf, 2007
2007 Mit vereinten Kräften
Das Verschwinden eines Menschen stellt einen zutiefst beunruhigenden Tatbestand dar, für den Betroffenen selbst wie auch für seine Angehörigen. Mit seiner internationalen Suchdienst-Strategie versucht das Rote Kreuz, die Nachforschungen nach Vermissten voranzubringen und sie wenn irgend möglich wieder mit ihren Angehörigen zusammenzuführen
98
Es herrschen jeweils andere
willkommene Hilfestellung
Rechtssysteme, andere Prak-
leisten. In partnerschaftlicher
tiken, andere Formen der
Zusammenarbeit mit den
Finanzierung; entsprechend
Schwestergesellschaften ist
komplex ist der Abstim-
so ein Netzwerk entstanden,
mungsprozess auf internatio-
das vor allem dem Transfer
naler Ebene verlaufen. Je
von Know-how dient, vom
nach Art des Konfliktes oder des Großschadens-
forensischen Fachwissen bis zur Software. Auch
ereignisses und je nach betroffener Region
ein Pool von Suchdienst-Spezialisten steht nun-
ergeben sich zudem andere Abläufe und Zustän-
mehr bereit, die bei Katastrophen oder Massen-
digkeiten – ob nach den Terroranschlägen in New
fluchten angefordert und innerhalb von 24 bis 48
York 2001, bei der Elbeflut 2002, nach dem Erd-
Stunden entsandt werden können. Im Zeitalter der
beben in Haiti 2010, nach der Love Parade in
Globalisierung muss auch die Nachforschungs-
Duisburg im gleichen Jahr oder der millionen-
arbeit auf weltweite Beanspruchung eingestellt
fachen Flucht aus Syrien.
sein. Ohne internationale Kooperation ist Such-
Aber es gibt langjährige Erfahrungen und
dienstarbeit schlicht nicht möglich. Die eingespiel-
bewährte Methoden, die sich auf derartige
te Zusammenarbeit im einzigartigen Netzwerk der
Situationen übertragen lassen. Der Suchdienst
Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften bildet
des DRK, der größte seiner Art weltweit und
daher eine wichtige Voraussetzung für einen
aufgrund der deutschen Geschichte über Jahr-
erfolgreichen Einsatz.
zehnte hinweg auch der aktivste, kann dabei 99
2012 Neue Wege
Ihre Familie ist online
VOM OFFENEN BRIEF ZUR VIDEOKONFERENZSCHALTUNG
E
inmal im Monat erhält ein im US-Militär-
Betreuung der Gefangenen in Guantánamo
gefängnis von Guantánamo einsitzen-
zuständig. Das Vereinbaren eines Termins
der Häftling die Erlaubnis, mit seiner Familie
erfordert einen nicht unbeträchtlichen Koor-
zu kommunizieren – per Video-Konferenz.
dinationsaufwand, nicht zuletzt wegen des
Über die vergangenen 150 Jahre hinweg hat
die eine vom Gefangenen ausgefüllt und über
sich die Suchdienstarbeit mit den jeweiligen
das IKRK an den Suchdienst der jeweiligen
Die Akteure sind über vier Kontinente ver-
Zeitunterschieds zwischen den vier Erdtei-
Medien und Kommunikationstechniken ent-
Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft
teilt: der Häftling auf Kuba, die Eltern in
len, und die technische Durchführbarkeit
wickelt und verändert. Nach wie vor nimmt die
weitergeleitet wird. Dieser stellt sie den Ange-
klassische, auf dem Postweg übermittelte Such-
hörigen zu, die dann auf dem gleichen Wege mit
Mauretanien,
in
muss gewährleistet sein. Vorab wird festge-
anfrage breiten Raum ein. Sei es bei Schicksals-
der anderen Hälfte antworten können. Im
Deutschland und dann noch ein Bruder in
legt, wer am Gespräch teilnimmt und in wel-
klärungen aus dem Zweiten Weltkrieg, sei es bei
Zweiten Weltkrieg wurden so allein von Kriegs-
Malaysia. In Deutschland können derartige
cher Sprache die Unterhaltung geführt wird.
aktuellen Konflikten und Katastrophen. Daneben
gefangenen und deren Familien 120 Millionen
Gespräche bei den DRK-Landesverbänden
Sie muss rein privaten Charakter haben.
haben sich eine Reihe weiterer Sparten heraus-
Briefe weitergeleitet. Auch die Zivilbevölkerung
gebildet. Die Rotkreuz-Familiennachrichten etwa
nutzte Rotkreuznachrichten in großem Umfang;
und auch bei einigen Kreisverbänden ange-
Während die Rotkreuzmitarbeiter nach dem
finden seit dem Ersten Weltkrieg Verwendung.
so bildeten sie oft die einzige Möglichkeit für
nommen werden. In diesem Fall finden sie in
Etablieren der Verbindung den Gesprächs-
Sie wurden als standardisierte Verständigungs-
Emigranten, mit ihren in Deutschland verbliebe-
den Räumen des DRK-Suchdienstes in
raum verlassen, spricht der Häftling in Gu-
form zwischen Kriegsgefangenen und ihren
nen Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Zuletzt
München statt, während in Malaysia und
antánamo im Beisein von Wachleuten und
Angehörigen geschaffen, die sich nur über einen
herrschte während der Jugoslawienkriege ein
neutralen Vermittler, nämlich das IKRK in Genf
enormer Bedarf; allein der DRK-Suchdienst
Mauretanien die dortigen Delegationen des
eines Übersetzers. Seit etwa drei Jahren ha-
austauschen konnten – in Kriegszeiten brechen
übermittelte 400 000 solcher Botschaften.
IKRK diese Aufgabe übernehmen. Dessen
ben sich derartige Video-Telefonate als re-
Delegation in Washington ist auch für die
gelmäßige Einrichtung etabliert.
die verfeindeten Mächte die direkten Postverbindungen miteinander fast immer ab. Das Prinzip ist bis heute unverändert: Die Nachricht besteht aus zwei Hälften, von denen 100
Nach dem gleichen Prinzip funktionieren
weitere
Angehörige
die sogenannten safe and well-Nachrichten, bei denen es sich um denkbar knappe, aber für Sender wie Empfänger essentiell wichtige
aus der Arbeit des DRK-Suchdienstes
2012 Neue Wege
Ein afghanisches Mädchen liest die Rotkreuznachricht eines Angehörigen, der im Gefangenenlager Guantanamo der US-Marine auf Kuba inhaftiert ist
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Lebenszeichen handelt. Ein einfaches Formular
Zu diesen Grundrechten gehört auch die Kon-
kann erlösende Gewissheit bringen, etwa wenn
taktaufnahme mit Angehörigen. Eine moderne
Flüchtlinge aus Auffanglagern dadurch ihrer
Weiterentwicklung bilden seit einigen Jahren
Familie anzeigen können, dass sie in Sicherheit
Skype-Telefonate, die allerdings bisher fast nur
sind und es ihnen den Umständen entsprechend
von amerikanischen Behörden gestattet worden
gut geht.
sind. Insbesondere aus Guantánamo, dem
Eine ähnliche Funktion erfüllt die unter dem
US-Stützpunkt auf Kuba, sowie aus dem afgha-
Stichwort family links firmierende Plattform zur
nischen Militärgefängnis Bagram können die
Online-Suche, die bei Bedarf durch das IKRK
dort einsitzenden Gefangenen mit ihren Familien
freigeschaltet wird. Beim verheerenden Seebe-
kommunizieren, meist einmal im Monat für eine
ben vor der japanischen Sanriku-Küste im Jahr
Stunde. Zunächst gelang es, normale Telefonate
2011 etwa stand sie bereits am darauffolgenden
zu etablieren, später waren sogar kurze Gesprä-
Tag in mehreren Sprachen zur Verfügung.
che über Satellitentelefon möglich. Nach zähen
Auch für die Kommunikation mit Gefange-
Verhandlungen gestatteten die Behörden
nen in bewaffneten Konflikten finden Rotkreuz-
schließlich auch Videotelefonate. Heutzutage
nachrichten häufig Verwendung. Seit dem Ersten
können diese sogar dreipoolig – also unter
Weltkrieg hat das IKRK das Mandat, Kriegsge-
gleichzeitiger Teilnahme von Familien-
fangene zu registrieren, medizinisch zu unter-
angehörigen in drei verschiedenen
suchen und ohne Zeugen zu befragen.
Ländern – erfolgen.
103
2013
Ein Glücksfall
Familienbande WIE DIE ONLINE-SUCHE NEUE MÖGLICHKEITEN ERÖFFNET
Im Rahmen der bereits erwähnten Initiative
„Ich suche meine Familie“). Außerdem wird
family links ist das altbewährte Begegnungs-
die Staatsangehörigkeit und das ungefähre Alter
system aus den großen Suchkarteien der beiden
angegeben, aber nicht der Name oder andere
Weltkriege auf ein neues Medium übertragen
persönliche Informationen zur Person. Wenn
worden. Seit September 2013 können Men-
dann Angehörige die Abgebildeten wieder-
schen, die im Rahmen von Kriegen und bewaff-
erkennen, können sie sich durch einen einfachen
neten Konflikten ihre Angehörigen suchen,
Klick mit dem Suchdienst derjenigen europä-
ein Porträtfoto von sich selbst im Internet
ischen Rotkreuzgesellschaft in Verbindung
einstellen sowie auf großformatigen Suchplaka-
setzen, die das Foto eingegeben hat. Diese prüft
ten in mehreren europäischen Ländern veröf-
die Angaben und leitet sie gegebenenfalls an
fentlichen lassen. Diese Poster werden vor allem
den Suchenden weiter. Auf dessen Wunsch hin
in Ausländer- und Asylbehörden, Flüchtlings-
werden zusätzliche Detailinformationen oder ein
wohnheimen und in den Beratungsstellen des
Foto angefordert, um sicherzugehen, dass sich
Suchdienstes ausgehängt.
auch tatsächlich das gesuchte Familienmitglied
Die Darstellung erfolgt komplett anonymisiert; die Einträge enthalten lediglich das Bild und einen Hinweis auf das Verwandtschafts-
gemeldet hat. Meist kann die Benachrichtigung innerhalb weniger Stunden erfolgen. An diesem Pilotprojekt nehmen derzeit
verhältnis zu den Gesuchten („Ich suche meine
einundzwanzig europäische Rotkreuz-
Schwester“, „Ich suche meinen Mann“,
gesellschaften teil.
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D
ank des DRK-Suchdienstes fand die 30jährige Nabila Karmi, wohnhaft in Heilbronn, ihre Eltern wieder. Oder besser: Ihre Eltern fanden sie, nachdem sie ihr Foto auf einer Webseite des Roten Kreuzes veröffentlicht hatte. Es war weltweit der erste Fall, der dank der neuen Möglichkeit der Online-Suche gelöst wurde. Nabila Karmi stammt aus Damaskus. Sie lebte dort mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern, ihren Eltern und Geschwistern. Im September 2012 hielten sie es wegen des Bürgerkriegs in Syrien und der ständigen Bedrohung zuhause nicht mehr aus. Sie beschlossen, zu fliehen. Die Flucht sollte über die Berge in die Türkei gehen, eine gefährliche Reise. Ihre Eltern, die zurückblieben, machten sich Sorgen. Nabila, ihr Mann und die Kinder erreichten die Türkei zu Fuß – vier von damals schon über 120 000 syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Im Frühjahr 2013 zog die Familie weiter nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Die Kinder, mittlerweile acht und zehn Jahre alt, gingen zur Schule, die Eltern lernten Deutsch. Während der Flucht hatte Nabila den Kontakt zu ihren Eltern verloren. Der Straßenzug, in dem sie wohnten, wurde im Dezember 2012 von einer Rakete getroffen. Ihr Vater, ihre Mutter und eine Schwester flohen in den Libanon. Von dort konnten sie nicht telefonieren, und es bestand kein Kontakt mehr. Nabila erfuhr von Bekannten im Libanon, dass ihre Eltern dann weiter in die Türkei geflohen seien. Sie recherchierte im Internet und stieß auf Geschichten, in denen das Rote Kreuz auf der Flucht getrennte Familien wieder vereint hatte. Im Oktober 2013 sandte sie eine E-Mail an den DRK-Suchdienst und schilderte ihre Situation.
Der Suchdienst schickte ihre Anfrage an fünfzehn europäische Rotkreuzgesellschaften und an den Türkischen Roten Halbmond. Er nutzte aber auch den neuen Weg der Online-Suche über die vom IKRK betriebene Website der family links. Am 26. November 2013 erschien Nabila Karmis Bild online. «Ich suche meine Familie», stand quer darunter sowie ein Link: «Haben Sie Hinweise für diese Person?» Nur zwei Tage danach erreichte den DRK-Suchdienst folgende E-Mail: «Mein Name ist Karmi. Die Frau auf dem Foto ist meine Tochter. Können Sie mir helfen, mit ihr in Kontakt zu kommen? Meine Telefonnummer ist...» Der Suchdienst rief bei Nabila an und übermittelte die ersehnte Nachricht. Sie konnte es nicht glauben! Es ging so schnell. Ihr Bild stand doch erst seit zwei Tagen im Netz – und sie hatte ein ganzes Jahr lang vergeblich gesucht! Jetzt hielt sie eine Nummer in den Händen. Ihre Eltern befanden sich in der Türkei und hatten im Internet zunächst erfolglos nach ihr recherchiert. Am 28. November entdeckten sie Nabila dann plötzlichauf der Webseite. Wenige Stunden später klingelte das Mobiltelefon ihres Vaters. Das Display zeigte eine deutsche Nummer an. «Wir haben nur geweint, gar nicht gesprochen», sagt Nabila. «Ich war so glücklich.» Sie verabredeten sich für ein Video-Telefonat, damit sie einander auch sehen könnten. «Das ging die ganze Nacht. Ich wollte alles wissen, sie wollten alles wissen, die Kinder wollten ihre Großeltern sehen. Es war ein wunderschönes Durcheinander.»
aus der Arbeit des DRK-Suchdienstes
2013 Familienbande
Der erste Treffer gelang, wie die vorstehende Geschichte festhält, in Deutschland. Mehr als fünfzig Jahre, nachdem die Bildlisten mit Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg in ganz Deutschland kursierten, hat das gleiche Prinzip so in einem bewaffneten Konflikt unserer Tage zu einem Erfolg geführt. Während geschriebene Suchmeldungen eine Reihe von Fehlerquellen enthalten können, insbesondere durch die unterschiedlichen Schreibweisen von Namen in verschiedenen Sprachen oder gar Schriften, haben Fotografien den Vorteil unmittelbarer Anschaulichkeit.
Am Suchdienst-Standort Hamburg berät ein Mitarbeiter eine Betroffene bei der Online-Suche nach Angehörigen. Die Suchdienste der meisten europäischen Rotkreuzgesellschaften beteiligen sich an der Initiative „family links“
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107
heute Rückschau und Ausblick
Ein großes Dankeschön
DIE ARBEIT DES DRK-SUCHDIENSTES IM JUBILÄUMSJAHR
« Interessant und tröstlich waren für mich auch die Anhänge: ein Foto, und der Weg, den die Division meines Onkels seinerzeit genommen hat. Es macht das ja so schreckliche Geschehen etwas begreifbarer. Nochmals vielen Dank! Wie gut, dass es Sie gibt! » Auch wenn die laufende Arbeit die haupt- und
am Standort München komplett digitalisiert vor.
« Mit vielen Emotionen habe ich den Friedhof in G. zu meinem 70. Geburtstag besucht.
ehrenamtlichen Mitarbeiter voll ausfüllt, bietet
Die über 35 000 Kästen mit den originalen Kartei-
Das war mir nur dadurch möglich, dass Sie mir in Ihrem letzten Schreiben weitere
ein Ereignis wie der siebzigste Jahrestag des Neu-
karten sind 2014 nach Hamburg umgezogen, wo
Informationen übermittelt haben. Dafür vielen Dank. Es war für mich ein bewegender
beginns Anlass zur Selbstvergewisserung und
sie auch weiterhin zugänglich sind. Neben diesen
Moment, an diesem Ort zu sein, wo mein Vater sein Leben verloren haben soll! Da meine
Selbstbetrachtung. Wie ist der DRK-Suchdienst
beiden zentralen Standorten ist die Suchdienst-
Mutter ein Leben lang auf ihren Mann gewartet hat, beschäftigt mich das um so mehr.
das geworden, was er heute ist?
kompetenz vor allem bei den Landesverbänden
Im Sprachgebrauch meines Lebens fehlten die Worte Papa oder Vati leider. »
Auch wenn er in seiner heutigen Form 1945
sowie ausgewählten Kreisverbänden des DRK
ins Leben gerufen wurde, gehörten Nachforschungs-
angesiedelt. Zusätzlich sind speziell ausgebildete
« Herr B. hat von seiner Halbschwester einen Brief erhalten, nun stehen sie in regem
bemühungen, Schicksalsklärungen und menschlicher
Berater dort im Einsatz, wo hoher Bedarf herrscht.
Kontakt. Er war sehr gerührt und bedankt sich bei allen Mitarbeitern, die an seinem Fall
Beistand von Beginn an zu den Kernaufgaben des
Die Suchdienst-Leitstelle im Berliner General-
und an ähnlichen Fällen arbeiten. Sein größter Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen. »
Roten Kreuzes. Sie bilden einen wichtigen Bestand-
sekretariat steuert die gesamte Aufgabenentwick-
teil seiner Tradition und seiner Kultur.
lung, koordiniert die verschiedenen Ebenen und
« Mir ist durch Ihre Einsatzbereitschaft ein zutiefst gehendes Weihnachtsgeschenk
ist zugleich für die internationale Zusammenarbeit
bereitet worden. Die Sehnsucht nach meinem Vater, der im Krieg geblieben ist, und nach
zuständig.
meinem Onkel, ist trotz der vielen vergangenen Jahre ungebrochen. Durch das Geschenk
Historisch entstand der heutige Suchdienst als Reaktion auf die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs. Der Europa so nachhaltig erschüttert hat,
Mitunter wird der Suchdienst als eine Art
dieser Unterlagen kann ich nun dem damaligen Geschehen doch ein wenig näher
dass den Suchdienst noch immer jedes Jahr über
Behörde wahrgenommen. Um solchen Missver-
kommen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie weiterhin die Kraft haben, Menschen helfen
zehntausend Anfragen dazu erreichen. Nach wie vor
ständnissen zu begegnen, sollte die Betonung
zu können, die immer noch ihre vermißten Angehörigen suchen. »
versteht er sich als Anwalt der Angehörigen.
auf den Dienst gelegt werden, auf die humanitären
Die Zentrale Namenskartei, das Herzstück der
Bemühungen für eine Vielzahl betroffener Men-
Suchdienstarbeit in Deutschland, liegt mittlerweile
schen wie auch für die Gesellschaft insgesamt.
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aus Dankesschreiben, die den DRK-Suchdienst in den letzten Monaten erreichten
heute Rückschau und Ausblick
In der Iran/Irak-Kartei wurden ab 1982 Vermisste aus den Kriegen am Persischen Golf registriert. Längst ist es für den DRK-Suchdienst Routine geworden, in Deutschland lebende Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen zu beraten, wenn Angehörige vermisst werden oder in Kriegsgefangenschaft geraten sind
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Information, Beratung und Dienst-Leistung bestim-
andere Form von Freiheitsentzug durch Staatsagen-
men heute das Profil der Suchdienstarbeit. Die
ten oder durch eine Person oder Personengruppe,
Rolle als vertrauliche Nachforschungseinrichtung
die mit der Erlaubnis, Unterstützung oder Duldung
gestaltet sich nicht immer einfach. Der Suchdienst
des Staates handelt“. Menschen verschwinden zu
nimmt die Auskunftsbereitschaft der Behörden in
lassen, gilt als ein Verbrechen, das die Vertrags-
Anspruch, ist aber seinerseits nicht auskunftspflich-
staaten verhindern, untersuchen, verfolgen und
tig, sondern kann nur durch strikte Diskretion
bestrafen müssen.
glaubwürdig bleiben. Sie ist sowohl aus Gründen
Neben den andauernden Nachforschungen
des Datenschutzes unabdingbar wie auch im
über die Vermissten vergangener Kriege und
Hinblick auf die Grundsätze des Roten Kreuzes als
Katastrophen gewinnen die Heraus-
einer neutralen, unabhängigen und unparteilichen
forderungen unserer Zeit für den DRK-Suchdienst
Hilfsgesellschaft gemäß der Genfer Konvention.
immer stärkeres Gewicht. Sie machen die Nutzung
Auch 150 Jahre nach Gründung des Roten
und Weiterentwicklung moderner Kommunika-
Kreuzes ist der Zustand der Welt nicht dazu ange-
tions- und Recherchemittel erforderlich. Die Such-
tan, eine Einrichtung wie den Suchdienst über-
dienstarbeit ist dadurch vielfältiger und womöglich
flüssig erscheinen zu lassen. 2006 verabschiedete
noch verantwortungsvoller geworden. Im Zusam-
die Generalversammlung der Vereinten Nationen
menwirken mit dem IKRK und den Rotkreuz- und
eine Konvention über den Schutz aller Personen vor
Rothalbmondgesellschaften weltweit wird sich das
dem Verschwindenlassen. An ihrer Ausarbeitung
DRK dem Suchdienst weiter widmen, in Fortführung
war das IKRK maßgeblich beteiligt. Sie betrifft Fälle
seiner historischen Aufgabe und zugleich mit
von „Festnahme, Haft, Entführung oder jede
öffentlichem humanitären Mandat. 111
Herausgeber: Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, DRK-Generalsekretariat, Carstennstraße 58, 12205 Berlin Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dorota Dziwoki, Leiterin Suchdienst-Leitstelle Projektkoordination und Redaktion: Iris Mitsostergios, Referentin Suchdienst-Leitstelle Dr. Petra Liebner, Leiterin Historische Kommunikation, DRK-Generalsekretariat Text: Stefan Schomann Bildredaktion: Annette Samaras, Firma Bildarchivare, Berlin Gestaltung: Thomas H. Wolter, diemauersegler.de/andrzejewski.de Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren Auflage: 1000 Exemplare Bildnachweis: Titel: Giorgos Moutafis/DRK AP: S. 11 (Mitte li.); Kurt Ard/HÖRZU: S. 43; Fredrik Barkenhammar/DRK: S. 94; Clemens Bilan/DRK: S. 5; Jon Björgvinsson/IKRK: S. 102; DRK: S. 26, 30, 38 (oben und unten li.), 42 (oben und unten re.), 50, 58, 66, 70 (re.), 74; Hugo Friedrich Engel/DRK: S. 46, 47; Hans Engler/DRK: S. 75; Michael Greub/IKRK: S. 99; Erol Gurian: S. 11 (Mitte re.); IFRK: S. 98 (Mitte); IKRK: S. 11 (oben li. und oben re., unten li. ), 62, 63; Illus/DRK: S. 54; Thorsten Klose/DRK: S. 95; Marco Kokic/IKRK: S. 98 (li.); Lapp/DRK: S. 34; Markus Matzel/ullstein bild: S. 90 (oben); Jörg F. Müller/DRK: S. 15, 18, 27, 42 (li.), 86, 110 (oben li. und unten re.); NB picture/IKRK: S. 90 (unten li.); Fritz Paul/DRK: S. 70 (li.); Rolf Plewa/DRK: S. 82; poly-press/ullstein bild: S. 78; Royaume-Uni/SWEETING, Ash: S. 98 (re.); B. Schaeffer/IKRK: S. 11 (unten), 90 (unten re.); Scheerer/DRK: S. 38 (unten re.); Thorkelsson/IKRK: S. 11 (oben re.); ullstein bild: S. 22; Moritz Vennemann/ DRK-Service GmbH: S. 11 (oben Mitte); Gerhard Westrich: S. 106, 110 (oben re. und unten li.) In einigen Fällen konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Berechtigte für Honoraransprüche wenden sich bitte an das DRK. © 2015 Deutsches Rotes Kreuz e.V., Berlin
Meilensteine des DRK-Suchdienstes aus Anlass seines 70-jährigen Jubiläums « Eine seiner größten Aufgaben wuchs dem Roten Kreuz nach dem Kriege zu, als Millionen Mitmenschen ihre Heimat verloren hatten, Familien auseinandergerissen wurden, zurückkehrende Soldaten ihre Heimatorte leer oder ausgebombt vorfanden. In dieser Zeit entstand der Suchdienst, der einer großen Zahl von Menschen wieder zueinanderhalf. Das Wort‹Familienzusammenführung, jene große Aktion der Menschlichkeit, die dem Deutschen Roten Kreuz anvertraut wurde und hier in den besten Händen ist, dieses Wort ist noch immer von brennender Aktualität. » der damalige Bundesminister des Innern, Hans-Dietrich Genscher, im Vorfeld der Helsinki-Konferenz 1973