Ab in den Norden
Tour & Reise
Von Wien aus mit dem Rad ans Meer? Mit ein bis zwei Wochen Zeit und einiger Rütteltoleranz geht das.
REISEBERICHT: B. O. Ludwig
Stralsund DE UTSCH L.
Berlin
P OLE N
Dresden TSC
Prag H E C START H. Dukovany
ÖS T.
Wien
Streckenlänge
Drahtesel 2 ⁄ 2021 – 42
ca.
900 Kilometer
Rückfahrt Mit dem Zug von Stralsund nach Hamburg und von dort mit dem (Nacht-)Zug oder dem Flixbus weiter nach Wien Übernachtung in Corona-Zeiten Unser Autor hat aufgrund der weitgehend geschlossenen Hotels wild gezeltet. Grundregeln dabei: siehe Seite 41.
E
in bisschen Leidensfähigkeit braucht man schon, wenn man mit dem Rad von Wien an die Ostsee will. Wer sich von Feldwegen und Pflasterstein nicht abschrecken lässt, wird dafür mit einer Tour durch malerische Klein- und pulsierende Großstädte, durch Fluss- und Gebirgslandschaften belohnt – und am Schluss mit dem Blick aufs Meer. Die Reise beginnt auf der EuroVelo 9, der Ostsee-Adria-Route, die von Kroatien bis an die polnische Ostseeküste bei Gdansk führt. Schon in Mikulov verlasse ich aber die Route, denn ich will zwar an die Ostsee, aber nicht nach Gdansk, sondern via Berlin ins gut 400 Kilometer weiter westlich gelegene Stralsund. Viele kleine Landstraßen mit wenig Autoverkehr in Südmähren machen das Fahren abseits ausgeschilderter Radfernrouten auch sehr attraktiv. Pittoreske tschechische Kleinstädte Meine Route führt mich im Zickzack durch das tschechische Hochland, unterwegs gibt es eine Reihe pittoresker Kleinstädte zu besichtigen: Třebíč mit dem malerischen jüdischen Viertel am Flussufer, Brtnice mit seinem Marktplatz mit Blick auf Schloss und Rathaus, Jihlava mit seinen hübschen Fußgängerzonen. Gut gestärkt durch böhmische Knödel, Buchteln und Powidltatschkerln erreiche ich an Tag 4 der Reise das knapp 400 Kilometer von Wien entfernte Prag. Leider keine radfahrfreundliche Stadt, also verlasse ich sie schnellstmöglich und radle die Moldau entlang weiter nach Norden. Bei der Stadt Mělník mündet die Moldau in die Elbe, die von hier an den Weg vorgibt. Ich folge jetzt der EuroVelo 7, der Sonnen-Route, die vom Nordkap bis nach Süditalien führt. Sie verläuft hier unmittelbar entlang des Elb-Ufers, wobei raue Betonstraßen und Feldwege, die eher Rüttelpisten sind, das Vorankommen erschweren. Es lohnt sich daher auch hier, auf wenig befahrene Landstraßen auszuweichen. An der tschechisch-deutschen Grenze, direkt am Elberadweg, wartet das bedeutendste landschaftliche Highlight der Reise: Zwischen Ústí nad Labem und Bad Schandau schlängelt sich der Fluss durch das Elb-Sandstein-
gebirge mit seinen Tafelbergen und Sandsteinformationen. Solange man direkt der Elbe folgt, bleibt die Strecke flach – nimmt man allerdings noch einen zweitägigen Umweg, um die Kurstadt Karlovy Vary zu besuchen, erwarten einen zahlreiche knackige Anstiege. Flüsse, Seen und Kohleminen Immer der Elbe entlang erreicht man wenige Stunden nach Überqueren der Grenze Dresden, wo man, wenn Corona es erlaubt, unter anderem die berühmte Semperoper besichtigen kann. Auf den 200 Kilometern zwischen Dresden und Berlin geht es dann – erneut auf kleinen Landstraßen statt auf der EuroVelo 7 – flott dahin: Die Strecke ist sehr flach, sie führt über Nebenstraßen mit wenig Autoverkehr, gut beschilderte Rad(fern)wege und windgeschützte Alleen durch den Naturpark Niederlausitzer Landrücken und den Spreewald. An den kleinen Flüssen und Seen der Gegend gibt es viele schöne Plätze für Pausen, und Fans von Industrieromantik können einen Stopp bei einer alten Kohlemine oder einem anderen Industriedenkmal einlegen. Von Berlin, wo zahlreiche groß dimensionierte Pop-up-Radwege Positives für die Verkehrswende erwarten lassen, führt der Weg über die Mecklenburgische Seenplatte weiter Richtung Ostsee. Bei gutem Wetter kann man unterwegs in einem der vielen Seen baden oder sich ein Boot ausleihen, nette Cafés direkt an den Ufern bieten sich ebenfalls als Orte für Pausen an. Auch auf diesem Streckenabschnitt schützen große, alte Alleen vor Sonne und Wind. Hier bekommt man allerdings auch einen guten Eindruck von den Herausforderungen, mit denen der Osten Deutschlands noch immer kämpft: Die schlechte Handynetzabdeckung macht gute Planung notwendig, unasphaltierte Feldwege und Kopfsteinpflaster entschleunigen die Reise. Hat man diese Strapaze hinter sich, ist dafür schon das Ende der Tour in Sicht. Nach mehreren Tagen, an denen kaum Menschen zu sehen waren, beginnt es kurz vor Stralsund von Tourist*innen zu wimmeln. Und dann ist man da: Stralsund! Sandstrände, Strandkörbe, Schwalben, Meeresluft!