WW Magazin No. 2/19

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Fotokunst  Portfolio

Bild: Vik Muniz, Footsteps (Joao pereira, iron mine), 2005, Courtesy of Vik Muniz and Xippas Gallery © 2019, ProLitteris, Zurich

Für die «Earthworks» lässt Muniz bis zu 500 Meter lange Symbole in die Landschaft graben.

auseinandersetzt. In Europa ist die Natur ein Fetisch.» Diese Art von Reflexion entspricht in vielem seinem eigenen künstlerischen Prozess. In Europa entdeckte Muniz auch, dass er sich eigentlich als eine S ­ eele des 19. Jahrhunderts fühlt. Sein Lebensmittelpunkt ist Brooklyn, wo er zusammen mit seiner Familie in einer Loft lebt; in Paris hat er seit 2013 zusammen mit seiner Frau Malu zusätzlich ein elegantes Appartement, voller Kunst von Miró bis Brancusi. Es liegt im siebten Arrondissement, dem historischen Hotspot Frankreichs: «Ich könnte einen Stein auf das Grab von Napoleon werfen», sagt er und lacht. Sein künstlerischer Durchbruch erfolgte 1996 mit der Serie «Sugar Children». Muniz lernte in der Karibik Zuckerplantagenarbeiter kennen und war beeindruckt: «Diese Menschen waren so ernst und erschöpft von ihrem Job, der die Welt so süss macht.» Er fotografierte deren Kinder und bildete die Polaroidporträts mit Kristallzucker nach. Die Schwarzweiss-Aufnahmen ­davon steckte er zusammen mit dem Zucker in Einmachgläser.

Nr. 2 2019

Diese bittersüssen Installationen schafften es ins Museum of ­Modern Art in New York. Seither wird er als Mitspieler in der obersten Liga der Zeitgenössischen Kunst wahrgenommen, wenn auch meist als Fotograf. Seit 2011 ist Muniz als freiwilliger Botschafter der UNESCO unterwegs. An der Vernissage der Maison Ruinart erzählt er von seinem nächsten Projekt, das ihn wieder an die Ränder der Gesellschaft führen wird: Im November will er Bilder von 6000 R ­ ohingyas, die als Flüchtlinge in Bangladesh ­gestrandet sind, mit einer D ­ rohne aufnehmen, um an das vergessene Volk zu erinnern. Dieser Plan mutet wie vieles, was der B ­ rasilianer tut, politisch an. Er sagt ­darauf aber: «Solche Dinge tue ich als Privatperson. Sie sind mein menschliches Statement.» Nur weil er Künstler sei, zähle s­ eine ­politische Meinung nicht mehr als die eines Bäckers oder Kerzenständermachers. «Das einzige, was ich als Künstler tun kann, ist, zur Klarheit in den Köpfen beitragen», sagt er und schlürft am Champgner, was g ­ enauso ein Statement à la Vik Muniz ist.

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