BOSS

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KLARTEXT DAS MAGAZIN DER DEUTSCHEN JOURNALISTENSCHULE LEHRREDAKTION 50B, 2012

GUTEN TAG, DIES IST EIN

HEFT ÜBER MACHT

UND

MÄCHTIGE.

ÜBER GELD, SEX

UND ALPHA TIERE.

ÜBER POLITIK,

WIRTSCHAFT & RELIGION.

WIE KOMMT RAUF? WIE LEBT ES SICH OBEN? WAS MANN MANN/FRAU

PASSIERT, WENN ES

WIEDER RUNTER GEHT?


DIES IST KEIN HEFT

ÜBER ANZUGTRÄGER, INVESTMENTBANKER UND CHEF-WITZE.

KEIN LOBLIED AUF DEN BOSS,

SEIN GELD

U N D

SEINE ARBEITSWUT. Ein Heft, das nachfragt und sich auch mal lustig macht. Das aber eigentlich nur wissen will: Wie sieht Macht in Deutschland aus? Und dabei zugibt: Manchmal wäre ich auch gerne da oben. Ein Heft, das sich den typischen Karriereverlauf der Bosse zu eigen macht. Erst rauf, dann oben und zum Ende wieder runter. Viel Spaß, Ihre BOSS-Redaktion

Redaktion Lisa Altmeier, Franziska Broich, Julia Flüs, Laura Hertreiter, Martin Schneider, Daniel Schrödel, Hakan Tanriverdi, Maximilian Zierer Druck Bosch-Druck GmbH Festplatzstraße 6, 84030 Ergolding Tel.: 0049 871 76050, www.bosch-druck.de

IMPRESSUM BOSS //// Das Abschlussmagazin der Lehrredaktion 50B der Deutschen Journalistenschule, München Herausgeber Deutsche Journalistenschule e.V. Hultschiner Straße 8 81677 München www.djs-online.de Tel.: 0049 89 2355740 E-Mail: post@djs-online.de Anzeigen cross.com, Tanja Leis, Venusstraße 1, 82205 Gilching Tel.: 0049 8105 390799, www.cross-com.de

Lithografie Frank Trurnit & Partner Verlag GmbH Putzbrunnerstraße 38, 85521 Ottobrunn Tel.: 0049 89 6080010, www.trurnit.de Chefredaktion Nicolas Diekmann, Charlotte Haunhorst (V.i.S.d.P) Chefin vom Dienst Magdalena Schmude Textchef Philipp Stute Art Direktion Julius Lukas, Verena Orth, Tim Wessling

Betreuung Bettina Wündrich (Konzept), Chris Bleher (Text), Thomas Klinger (Fotos), Florin Preußler (Layout) Wir danken den Illustratoren Susanne Wohlfahrt, Marco dos Santos (theease.tumblr.com) und Massimiliano Panzironi (www.dolceq.com), der Maskenbildnerin Sarah Maruck, den Fotografen Jenny Schäfer (www.jennyschaefer.de) und Wolfgang Maria Weber, dem Journalisten Christian Limpert, dem Hofbräuhaus München, dem Museumsstüberl Amerang, dem Klinikum rechts der Isar, der Lehmanns Media GmbH, den Munich Rolling Rebels, Klaus Becker und Florian Kothmayr (Bentley Munich), Isi Yilmaz (X-Cess), Antiquitäten Grune Haimhausen, den an der Fotostrecke »Boss-Blicke« beteiligten Unternehmen, den großartigen Lehrredaktionen 50A (FranzJosef) und 50K (Viech) für ihre Unterstützung. Besonderer Dank geht an Jörg Sadrozinski und das Team der Deutschen Journalistenschule.


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kribbeln im kopf Borwin Bandelow über die Psyche der Mächtigen.

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Pflanzen für den Planeten

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affentheater

Regeln regeln

Regierungskrise im Zoo.

Was Politiker von Spiele-­Erfi ndern lernen können.

Hochgestolpert

Alphas im Pelz

Warum Inkompetenz die Karriere fördert.

Tierische Chefs ganz menschlich.

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Milliarden Bäume: Ein 14-­Jähriger managt die Weltrettung.

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deutschlands Dagobert

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gottesdienst

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erfolgs-rezepte

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vitamin B

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Super-Dienstleister

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Von oben herab

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Gehirn-­Doping, Stromsport, Power-­Dressing.

Mit welchem Netzwerk geht's nach oben?

Datenspiel

Ole von Beust im Interview.

machthungrig Chefsalat – das Lieblingsessen der Bosse.

Eine Agentur vermittelt ›Musen‹ an wohlhabende Männer.

Ein Wochenende in einer machtfreien Kommune.

Portrait einer Imamin.

HAMBURGER rOYAL a.D.

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46

70

50

28

64 14

42

Hessen Hierarchielos

Auf der Suche nach dem Aldi-­Gründer.

Ein Tag im Bentley am oberen Rand der Gesellschaft.

Edel-Escort

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Wie einzelne Aktionäre Unternehmen erpressen.

Büroblicke deutscher Bosse.

Pole-Position

Die diskreten Treffen der Einfl ussreichsten.

klagen auf hohem niveau

Concierge-­Services erfüllen jeden Wunsch auf Knopfdruck.

Die 100 wichtigsten Deutschen in Zahlen.

machtpoker

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56

führungsfrauen Im Bonner Businesspark sollen Männer draußen bleiben.

74 Sternstunden

Anekdoten der BOSS-­Redaktion.

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Kaderschmiede Reloaded Was aus Absolventen der SED-­Parteihochschule wurde.

geteilte Verantwortung Eine Softwarefi rma arbeitet ohne Chefs.


Friede Springer, Giovanni di Lorenzo, Thilo Sarrazin, Dieter Zetsche, Philip Rösler, Nikolaus Rajewski

gang Marquardt, Steffen Seibert, Papst Benedikt, Horst Seehofer, Thomas Bach, Herbert Hainer, Wolfgang Reitzle, Norbert Reithofer, Katharina Wagner, Dirk Nowitzki, Ursula von der Leyen, Gregor Gysi, Rainer Brüderle, Jürgen Trittin, Martin Blessing, Günther

MACHTVERMESSEN / Die 100 einflussreichsten Menschen in Deutschland*. Gepresst in acht Grafiken.

GESCHLECHT

It's a man's world – auch in Deutschland.

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Julia Flüs, Julius Lukas, Verena Orth, Magdalena Schmude

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UNIVERSITÄTEN Hier stimmt der Lehrplan: An der Ludwig-Maximilians-Universität München studierten elf der 100 Mächtigen, an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn neun und an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster sieben.

24 %

27 %

19 %

30 %

Kinder

Die mächtigsten Deutschen haben im Schnitt 2,17 Kinder pro Person. Am fleißigsten waren Ferdinand Piëch mit zwölf und Ursula von der Leyen mit sieben Kindern. Frühling

Sommer

Herbst

Winter

Geburtstag

Amouröses

71

Verheiratete

Scheidungen: OSTWEST 20 Jahre nach der Wende steht die Mauer immer noch. Lediglich sieben Mächtige kommen aus den Neuen Bundesländern.

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Heidi Klum, Gerhard Richter und Oskar Lafontaine sind besonders scheidungsfreudig. Fast ein Viertel der Trennungen gehen auf sie.

F O T O S : M A L O SK Y / F L IC K R , M AT T H EW W I L K I N S O N / F L IC K R , P I X L C L I P P X / F L IC K R , A L L E C C 2 . 0

Aus Novemberkindern werden nur selten einflussreiche Personen. Unter den 100 Mächtigsten wurden nur zwei in diesem Monat geboren.

promotion

Dr. Einflussreich: 1,8 Prozent aller Deutschen führen einen Doktortitel, unter den 100 Mächtigsten sind es 45 Prozent.

45 Promovierte

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ALTER Noch zehn Jahre bis zur Rente. Im Durch-

schnitt können die 100 Mächtigsten auf 57,2 Lebensjahre zurückblicken. Der älteste (Helmut Schmidt, 94) und der jüngste (Sebastian Vettel, 25) sind 69 Jahre auseinander.

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briel, Johannes Teyssen, Jürgen Fitschen, Hans-Werner Sinn, Liz Mohn, Beate Baumann, Heidi Klum, Veronika Ferres, Iris Berben, Hannelore Kraft, Renate Künast, Günther

Jauch, Markus Beckedahl, Aiman Mazyek, Jürgen Habermas, Nikolaus

Oetker, Anke Schäferkordt, Monika Piel, Simone Bagel-Trah, Claudia Buch, Ferdinand Piëch, Peter Löscher, Michael Otto, Wolfgang Franz, Oskar Lafontaine, Peter Altmaier, Gerhard Richter, Katja Kipping, Christiane Nüßlein-Vollhard, Jörg Ziercke,

AUSBLICK //// Datenspiel

Grass, Helmut Schmidt, Per Steinbrück, Frank Appel, Rüdiger Grube, Angela Merkel, Sebastian Vettel, Christoph Franz, Karen Heumann, Margot Käßmann, Susanne Klatten, Dieter Graumann, Joachim Gauck, Dieter Bohlen, Herbert Grönemeyer, Thomas Bellut, Karl Lagerfeld, Georg Mascolo, Bernd Schlömer, Guido Westerwelle, Roderich Egeler, Sigmar Ga-

* Nicola Leibinger-Kammüller, Hubert Burda, Til Schweiger, Peter Sloterdijk, Günther Oettinger, Wolfgang Schäubl, Jürgen Klopp, Uli Hoeneß, Joachim Löw, Martin Winterkorn, Nikolaus von Bomhard, Wolfgang Ischinger, Peter Bofinger, Rolf Dieter Heuer, Wolf-

Schneider, Andreas Voßkuhle, Frank Steinmeier, Jens Weidmann, Kurt Bock, Norbert Lammert, Thomas de Maiziere, Martin Schulz, Wolfgang Niersbach, Michael Diekmann, Matthias Döpfner, Christian Böllhoff, Friedrich Joussen, Rene Obermann, Richard


Auszeit am Staffelsee: Felix Finkbeiner (14) gründete eine Umweltorganisation, die erfolgreicher ist als die seines Vaters Frithjof (49).

n e z n a fl p e m u ä B / E P P A L K E I : n e t e i b HALT D r e v d n u M n e d s i m o r P . n e t t u nd e r t l e W e i d l l i w r e l ü h c S n i E

FOTOS: PLANTS FOR THE PLANET

Pflanzen für den Planeten //// RAUF

Klimakonferenz 2009 in Genf: Felix Laura Hertreiter Auszeichnung, eine Bayerische StaatsFinkbeiner hat einen Blackout. Mit Tim Wessling medaille. Ein Ranking des Magazins Focus, einem Mikrofon in der Hand steht er im das Felix zu den hundert einflussreichsten Foyer, um den Eminenzen zu erklären, wie er die Welt Deutschen zählt. Felix wippt mit dem Stuhl, bis er fast retten will. Jetzt fehlen ihm die Worte. »Gleich fällt es mir umkippt und kaut auf einem Schokoriegel, während er die wieder ein«, sagt er auf Englisch und rückt seine KinderFragen des Reporters beantwortet. Lieblingsfach? Sagt er nicht. Könnte ja ein Lehrer lesen. Zukunftspläne? Mit 18 brille zurecht. Neben ihm steht der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan und lächelt ihn erwartungsvoll an. Ein eine globale Umweltschutz-Partei gründen. Manchmal zu Filmteam zielt mit großen Kameras auf sein Gesicht. Der viel Arbeit? Nein, er macht sie ja gemeinsam mit TausenKugelschreiber einer älteren Journalistin schwebt abwarden von Kindern. »Wir Kinder« sagt Felix ständig, »ich« tend über dem Notizblock. Felix schluckt. Dann grinst er benutzt er nie. »Die Kinder« kommunizieren über Facebook, Twitter und Skype. in die Runde der ergrauten Herrschaften und sagt: »Ich Stimmengewirr im Großraumbüro nebenan. 17 Mitarwerde halt auch immer älter.« Lachen, Applaus. Und dann hält der Elfjährige eine Rede, als wäre nichts passiert. Über beiter koordinieren Termine und den Vertrieb von Kohlendioxid. Über Klimaerwärmung. Über Krisen. Produkten. Wie Felix' Buch über den Klimaschutz oder Felix lebt mit seinen Eltern und den Schwestern Flurina Schokolade für den guten Zweck. Sein Vater, Frithjof Finkund Franziska im bayerischen Pähl am Ammersee. Mit beiner, telefoniert mit einem Sponsor. Er lehnt mit Jeans, neun Jahren gründete er dort das Umweltprojekt Plant for T-Shirt und zerzaustem Haar an einer Schreibtischkante the Planet. Eine Initiative, die Kinder auf der ganzen Welt und spricht eindringlich in den Hörer. Ein Geschäftsmann dazu bewegt, Bäume zu pflanzen. Die Bäume sollen Treibim Freizeitlook. Der 49-Jährige erzählt gern, dass die hausgase binden und so das Klima schützen. Was nach Weltrettung sein Geschäft sei. Ein ehrenamtliches. Buddeln im Schrebergarten und Schüler-AG klingt, Vor 17 Jahren hört Finkbeiner senior einen Vortrag des verbreitete sich rasant. Mehr als 12.000 Kinder aus 193 amerikanischen Politikers Al Gore. Darüber, wie schnell die Bevölkerung wächst und wie schnell sie die Umwelt Ländern pflanzten in fünf Jahren rund zwölf Milliarden zerstört. Kurzerhand krempelt er sein Leben um. Er verBäume. Mit 13 Jahren hält Felix in New York eine kauft seine Baustoff-Firma mit 250 Angestellten, behält Ansprache vor den Abgesandten der Vereinten Nationen. nur die Lagerhallen, lebt von den Mieteinnahmen, grünMit Topfschnitt, Kapuzenpulli und Jeans. Mit lauter Stimme, fließendem Englisch und großen Gesten. Das det mit seiner Frau Karolin eine Stiftung. Die Global MarKindernetzwerk ist zu einem durchorganisierten, internashall Plan Initiative setzt sich für eine faire Globalisierung tionalen Unternehmen gewachsen. ein. Aber revolutionäre Seit Felix' Auftritt vor der UNO in New York ist ein Erfolge bleiben aus, ZeitunJahr vergangen, jetzt ist er 14 Jahre alt. Er ist größer, sein gen beschreiben sie als Gesicht schmaler, die Haare sind kürzer. Die Kinderbrille »Kampagne ohne Gesicht«. hat er gegen ein schwarzgerahmtes Modell getauscht. Sein In der Familie Finkbeiner aber gibt es dieses Gesicht: Unternehmen managt er nicht mehr von zu Hause aus. Felix. Er begleitet seinen Er sitzt im Konferenzraum seines hellen Büros in einem Gewerbegebiet am Starnberger See und wird von einem Vater schon als Kind zu Vorträgen, am Küchentisch disReporter interviewt. In die Schule muss Felix heute nicht. kutiert er mit ihm über UmEs ist der erste Ferientag. weltpolitik. Mit neun Jahren In einem Glasschrank reihen sich gerahmte Urkunden, hält er ein Schulreferat über Fotos, Ehrennadeln und Medaillen. Eine UNESCOPlakate der Kampagne: Felix mit Nobelpreisträgerin Wangari Maathai...

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... und mit Musiker Apl.de.Ap, Politiker Dirk Niebel, Model Gisele Bündchen, Musiker Peter Maffay und Schauspieler Harrison Ford.

FEHLBESETZUNG / Auf vielen Chefsesseln thronen Dilettanten. Aber wie kommen sie dort hin?

Magdalena Schmude Susanne Wohlfahrt Hochgestolpert //// RAUF

die Klimakrise. Bei der Vorbereitung liest er einen Text über eine Umweltaktivistin, die in Kenia zusammen mit anderen Frauen mehr als 30 Millionen Bäume pflanzte, um die Entwaldung zu stoppen. In Talkshows und Interviews erzählt Felix immer wieder im selben Wortlaut, dass er deshalb die Idee hatte, in jedem Land der Erde eine Million Bäume zu pflanzen. Felix ist an der Munich International School in Starnberg – einer Privatschule mit Unterrichtssprache Englisch, an die Diplomaten und Manager ihre Kinder schicken. Und Frithjof Finkbeiner, der bunte Shirts und Sandalen mag. »Das Schulgeld müssen wir zusammenkratzen, aber es ist wichtig, dass Felix für Verhandlungen auf internationaler Ebene perfekt Englisch spricht«, sagt der Vater. Die Direktorin dieser Schule veranstaltet nach Felix' Referat die erste offizielle Baumpflanzaktion, andere Schulen ziehen nach. Radio und Fernsehen berichten. Nur drei Jahre später, im Mai 2010, setzt Felix in Bonn den millionsten Baum in die Erde. Bis 2020 sollen eine Billion Bäume gepflanzt sein. Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, müsste die Initiative die Fläche der Europäischen Union zupflanzen. Es scheint, als sei es das Schicksal der Finkbeiner-Männer: Schlüsselerlebnisse entfachen Unternehmergeist. Tatsächlich aber ist der Vater, der selbst als Schüler Bäume für den Klimaschutz gepflanzt hatte, nicht nur Vorbild für seinen Sohn, sondern förderte das Potenzial seines Wunderknaben gezielt. »Als Gründer des Global Marshall Plan war ich immer auf der Suche nach etwas Resonanzstarkem«, sagt er rückblickend. Genau das fand er in seinem Sohn. Als Felix ein Jahr nach seinem Referat eine Pressekonferenz gibt, berichten darüber 500 Medien.

»Wir Kinder müssen die Welt retten!«, ruft er Mikrofonen und Kameras entgegen und sieht dabei aus wie eine kleine Version seines Vaters. Im Hintergrund befeuert Finkbeiner die Initiative. Er akquiriert große Sponsoren. Den Autohersteller Toyota, die Deutsche Post, den Keksfabrikanten Bahlsen. Und er gründet Akademien, die Kinder zu Klimaschutz-Botschaftern und Baumpflanzern nach Felix' Vorbild ausbilden. Bei 170 dieser Veranstaltungen wurden fast 13.000 Kinder geschult. In der Schule sammelt der kleine Umweltschützer Fehltage. 20 Mal darf er pro Schuljahr fehlen, so die Finkbeiner-Regel. Eigentlich. Wegen besonders wichtiger Veranstaltungen blieb die Schulbank im vergangenen Jahr sieben Tage öfter leer. Nach Schulschluss am späten Nachmittag geht Felix direkt ins Büro, beantwortet E-Mails, guckt seinen Angestellten über die Schulter, stellt Fragen, mischt sich ein. »Er ist ein besserer Boss als ich«, sagt der Vater. Das Kindernetzwerk ist perfekt inszeniert. Für eine Werbekampagne mit dem Slogan »Stop Talking. Start Planting« halten Felix und seine jungen Kollegen Prominenten auf Plakaten den Mund zu. Topmodel Gisele Bündchen, Schauspieler Harrison Ford, Politiker Dirk Niebel. Die Kampagne gewinnt den Effie Award, eine der bedeutendsten Auszeichnungen der Werbebranche. Direkt am Ufer des bayerischen Staffelsees haben die Finkbeiners ein Grundstück mit einer Holzhütte. Hier verbringt Felix das Wochenende nach einer ersten Ferienwoche voller Vorträge und Konferenzen. Baden, Bootfahren, Mountainbiken. Und Essen nach einer weiteren Finkbeiner-Regel: Kein Fleisch, das ist besser für das Klima. Eigentlich. Felix' Leibspeise ist Schweinebraten.

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1 »Jeder fähige Mitarbeiter wird so lange befördert, bis er eine Stufe der Inkompetenz erreicht.« Schon 1969 erkannte der Soziologe Laurence Peter dieses Prinzip.

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Als Negative Selektion bezeichnet man es, wenn Chefs bewusst einen wenig geeigneten Kandidaten befördern. Denn der wird ihnen keine Konkurrenz machen.

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Auch Faulheit kann ein Karrierevorteil sein. Denn wer faul ist, sucht nach der Lösung, die den geringsten Aufwand bedeutet. Das ist zunächst effektiv, wird bei anspruchsvollen Jobs aber zum Problem. 11


RAUF //// Kribbeln im Kopf

DEPRESSIVE TREFFEN DIE BESTEN VORHERSAGEN / Narzissmus, Borderline, zwanghaftes Verhalten. Eine Persönlichkeitsstörung ist Voraussetzung für eine steile Karriere, sagt der Psychiater Borwin Bandelow.

wäre risikobereit, aber hinter der Fassade ein klassischer Spießer bleiben? Leute, die so etwas machen, sind nicht richtig gut. Da fällt mir Madonna ein. Sie ist relativ spießig, versucht trotzdem irgendwelche Skandale zu inszenieren. Ich stelle mir immer vor, wie sie mit 30 Männern um einen Geschäftstisch sitzt und dort entscheidet, wen sie als nächstes beleidigt: ›Die Kirche vielleicht?‹ Das wirkt konstruiert. Man kann Madonna aber den Erfolg schlecht absprechen. Ihre größten Erfolge hatte sie aber mit Songs, die sie nicht selbst geschrieben hat: American Pie zum Beispiel. In 100 Jahren wird man nicht mehr ihre Lieder pfeifen – im Gegensatz zu den Beatles. Bei der Musik spielt die Emotion die größte Rolle. Und die ist bei Borderline-Typen stärker, weil sie selbst unter emotionalen Problemen leiden. Das wird vom Publikum geschätzt.

//// »In 100 Jahren pfeift niemand mehr die Lieder von Madonna. Dafür ist sie viel zu konstruiert.«

Herr Professor Bandelow, warum Tim Wessling seiner Leidenschaft widmen. Das erfordert sind manche Menschen bei gleichen einen extremen Fokus auf ein Thema. Sie körperlichen und geistigen Voraussetzungen erfolgreibenötigen noch nicht mal körperliche Überlegenheit. Nacher als andere? poleon konnte eine ganze Armee nach Russland führen Harry Belafonte hat mal gesagt: ›Ich habe 30 Jahre dafür und war alles andere als kräftig. gebraucht, um über Nacht berühmt zu werden.‹ Genie besteht zu 95 Prozent aus Fleiß. Man ist nicht einfach nur Damit andere Menschen zu mir aufschauen, brauche ich genial. Dahinter steckt oft Narzissmus, also Geltungsdrang also einen Knall? Ein Psychiater würde so etwas nicht sagen. Drücken wir und unglaublicher Ehrgeiz. Wer das hat, der schafft es es so aus: Eine narzisstische oder eine Borderlinestörung leichter als andere, erfolgreich zu sein. sind Grundvoraussetzung, um berühmt zu werden. Wobei Mit welcher Einstellung komme ich am schnellsten nach Narzissmus nicht krankhaft sein muss. Von Thomas Gottoben? schalk würde ja keiner sagen, dass er krank ist. Aber er ist Johnny Cash ist damals bei einem gewissen Sam Phillips ganz klar ein Narzisst. reinmarschiert – ein Musikproduzent, der auch Elvis und Carl Perkins gemanagt hat – und musste dann hören: Aber Menschen an der Spitze haben schon mit speziellen ›Geh erst mal zwei Jahre in die Welt und brich alle zehn Problemen zu kämpfen? Gebote.‹ Johnny Cash kam wieder und wurde berühmt. Sie haben meist entweder ein Angst- oder ein PersönlichMan muss diese kriminelle Energie haben, nach oben zu keitsproblem. Viele haben Angst, dass sie den Anfordewollen. Das ist das Wichtigste. Ein Popstar zum Beispiel rungen nicht gerecht werden, also Angst vor dem eigenen muss sein Super-Ego zur Schau stellen, sonst wird er kein Anspruch. Trotzdem schrauben sie ihre Ziele immer Popstar. Er muss sich von Freunden und Familie lossagen, höher. Daran wiederum wachsen sie. Deswegen sind sie den Job aufgeben, in eine andere Stadt gehen und alles besser als andere. Man kann also sagen, dass Angst das Super-Benzin für Erfolg ist.

Professor Borwin Bandelow lehrt an der Universität Göttingen und ist unter anderem Autor des Buches »Celebrities – vom schwierigen Glück, berühmt zu sein«.

Dennoch tun viele Menschen in der Öffentlichkeit so, als seien sie furchtlos. Muss ich den Anschein erwecken, ich

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Können Sie den ultimativ erfolgreichen Menschen skizzieren? Es müsste ein krankhafter Narzisst sein, ein bisschen zwanghaft veranlagt und ein absoluter Perfektionist. Und dann sollte er natürlich depressiv sein. Warum? Narzisstisch, weil man den überstarken Drang braucht, sich vor anderen Leuten zu produzieren. Und zwanghaft, weil es ohne Perfektion nicht geht. Wenn man keinen Zwang zur Perfektion hat, kann man nur Sänger in einer Punkband werden.

F O T O : P R I VAT / P R O F. B O RW I N BA N D E L OW

Das ist paradox. Die Mächtigen zeichnen sich doch durch hohe Risikobereitschaft und Mut aus. Denken wir an die großen Kaliber wie zum Beispiel Ackermann oder Murdoch. Nein, das ist ein Trugschluss. Der typische Banker ist eher zwanghaft und ängstlich. Es gibt natürlich die Zocker unter ihnen, aber die sind Gott sei Dank nicht in der Überzahl.

Kann man das auf die Wirtschaft übertragen? Auch in der Wirtschaft gibt es so etwas wie Stars. Nehmen wir die Apple-Geschichte. Da fragt man sich: Wie schafft es Apple, immer bessere Produkte herzustellen als alle anderen? Da standen wenige Leute dahinter, die einfach so genial waren, dass sie immer wussten, was ankommt und was nicht. Aber alles kam von innen. Nichts wirkte konstruiert.

Und warum depressiv? Depressive treffen immer die besten Vorhersagen. Die sagen: ›Alles wird schwierig und alles wird schlecht.‹ Solche Menschen bereiten sich darauf vor. Nehmen wir Jogi Löw. Der ist ein typischer Depressiver. Depressiv, zwanghaft und eben auch narzisstisch: Das erkennt man an seinen Armani-Klamotten. Das Depressive sieht man an seinen heruntergezogenen Mundwinkeln und seinen negativen Äußerungen. Das Zwanghafte an seinem kontrollierten und strukturierten Auftreten. Deswegen ist er der perfekte Trainer, weil er diese drei Eigenschaften mit sich bringt.

Jogi Löw: Laut Bandelow depressiv, zwanghaft und narzisstisch – somit der perfekte Trainer.

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FENG SHUI UND VERRAT / Im Women's Business Park sind alle Chefsessel weiblich besetzt. Das Bonner Unternehmerinnenzentrum ist Überbleibsel einer einst euphorischen Frauenbewegung. Jetzt wird es verkauft.

RAUF //// Führungsfrauen Auch Frauen tragen Machtkämpfe aus. Auf dem Weg nach oben ist kein Platz für Freundschaft.

Mechthild Upgang hat vier Millionen Euro aufgetrieben, Kämpfe vor Gericht ausgetragen, sich dumme Sprüche von Männern und Frauen angehört und viele Nächte vor Sorge wach Lisa Altmeier gelegen. Alles für den Women's Business Thomas Klinger Park, den sie vor elf Jahren gegründet hat. In dem Bonner Haus sitzen nur Unternehmen, die von Frauen geleitet werden. Es ist Juli 2012. In 29 Tagen wird die Frau mit den kurzen braunen Haaren ausziehen. »Ich hatte Ideale«, sagt sie. »Aber ich musste erkennen, dass wir die Welt nur in Millimetern verändern können.« »Finanzberatung Dr. Upgang« heißt ihre eigene Firma im zweiten Stock des Hauses. Auf dem Gang plätschert ein Brunnen, vorm Fenster hängt eine Plastikfigur von Niki de Saint Phalle neben einer Klangschale. Upgang sagt: »Wir haben uns hier mal Feng-Shui-technisch beraten lassen, und die haben uns dieses goldene Ding da hingestellt.« Die Räume sind in hellen Gelbtönen gestrichen, viel Licht strömt durch die Fenster in die Zimmer, die Upgang und ihre 15 Mitarbeiterinnen in wenigen Wochen verlassen werden. Die 52-jährige Unternehmerin hat viel gelernt in den vergangenen elf Jahren. Über Frauen. Über Männer. Und über Macht. In den Achtzigerjahren etablierten Feministinnen in Deutschland erste Unternehmerinnenzentren. Die Idee war einfach: Gründerinnen schließen sich zusammen, leiten ihre Unternehmen unter einem Dach und helfen

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sich gegenseitig. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums gründen Frauen eher kleine Firmen, sind risikoscheuer als Männer und legen mehr Wert auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Die Zentren waren darauf abgestimmt. Sie erfüllten die Bedürfnisse nach hellen, kleinen Räumen in guter Lage. Die ersten Zentren in Frankfurt, Bremen und Berlin waren schnell voll. Der Staat unterstützte die Projekte finanziell. Alles sah nach einer Erfolgsgeschichte für die Frauenbewegung aus. Der Bonner Businesspark wurde 2001 eröffnet. Zwölf Chefinnen von meist kleinen Unternehmen residieren in dem Haus. Im Gegensatz zu allen anderen Zentren ist es komplett privatwirtschaftlich finanziert. Keinen Cent hat Gründerin Upgang vom Staat genommen, sondern das gesamte Geld über einen geschlossenen Immobilienfonds aufgetrieben. Sie wollte ihr Projekt nie von der politischen Stimmung abhängig machen. Knapp 200 Anlegerinnen kauften Anteile und rasch füllten sich die Büros. Die Begeisterung der Anteilseignerinnen ist mit den Jahren verschwunden. Der Park ist zwar wirtschaftlich stabil, wirft aber nicht viel Gewinn ab. Auf der letzten Versammlung entschieden die Anlegerinnen deshalb, dass er an einen Investor verkauft wird. Upgangs Stimme wird lauter, wenn sie darüber spricht: »Den meisten ist das Projekt wurscht, die wollen nur ihr Geld«, sagt sie im Besprechungsraum ihres Finanzinstituts, der mit den vielen Pflanzen und den Holzmöbeln an ein Wohnzimmer erinnert. Die Unternehmerin sitzt mit merkelscher Handhaltung auf einem Ledersessel. »Krise ist ein produktiver Zustand«, belehrt Max Frisch von einer Leinwand. Es ist einer der Lieblingssätze der Frauen im Gründerinnenzentrum. Mit Krisen kennen sie sich aus. Zur Eröffnungsfeier kamen damals 700 Leute. Es war für Mechthild Upgang der schönste Tag in den ganzen

Mieterinnen, konnte das Gebäude halten. Obwohl die Sache mit den Mietnomadinnen Jahre zurückliegt, ist sie immer noch enttäuscht. »Frauen sind keine besseren Menschen«, sagt sie mehrmals. Dem Businesspark geht es wirtschaftlich gut, verglichen mit den meisten anderen Unternehmerinnenzentren in Deutschland. Andernorts leeren sich die Häuser. »Sie sterben einfach aus«, sagt Upgang, die immer noch froh darüber ist, dass sie kein Geld vom Staat genommen hat. Viele der Zentren mussten aufgeben, weil Fördermittel gestrichen wurden. Im ehemaligen Gründerinnenzentrum in Pirmasens sind mittlerweile sogar die Männer an der Macht. Sie leiten jetzt 60 Prozent der dortigen Unternehmen. Viele der frauengeführten Firmen konnten sich nicht halten und es kamen nur wenige nach. Upgang will auf keinen Fall, dass männliche Chefs in den Businesspark einziehen. Obwohl sie das Haus verlässt, will sie bei den Kaufverträgen darauf achten, dass der Geist des Parks erhalten bleibt. Doch noch weiß niemand hier, wer und wie der neue Investor sein wird. Uschi Heidel von der Agentur Trio sieht das gelassen: »Von mir aus können hier auch Männerunternehmen rein«, sagt sie. Der Businesspark ist ein Relikt aus einer Zeit, die junge Frauen heute nicht mehr kennen. »Meine Nichten halten mich und die Idee mit dem Frauenzentrum für komplett durchgeknallt«, sagt Upgang. Auch Heidel ist sich sicher, dass junge Unternehmerinnen heute nicht mehr in so einen Park ziehen würden. Mechthild Upgang sagt: »Ein Projekt wie dieses wird es nie, nie wieder geben«. Es klingt, als habe sie geübt, diesen Satz ohne Bedauern auszusprechen. Sie benutzt gerne Finanzmetaphern: Ihr persönliches Konto sei nicht ausgeglichen. Sie hat viel mehr Energie, Geld und Zeit in das Projekt gesteckt, als sie an Wertschätzung zurückbekommen hat. Anlegerinnen und Mieterinnen meckerten viel und lobten wenig. Erst seit sie wissen, dass Upgang geht, bekommt sie Postkarten mit Danksagungen und Frauen sagen: »Mensch, das hast du gut gemacht.« Vielleicht verbucht Upgang das Projekt deshalb als Plus. Es habe sich trotzdem gelohnt. Für ihre Lebensbilanz. Andere würden klagen: »Hätt' ich, hätt' ich, hätt' ich...«, sagt sie und verstellt dabei ihre Stimme um eine Oktave nach oben. Dann spricht sie wieder im gewohnt tiefen Tonfall: »Ich kann sagen: Ich hab'.«

//// Der Businesspark läuft vergleichsweise gut. Andernorts sind jetzt Männer an der Macht.

Jahren. Die Bonner Bürgermeisterin, Staatssekretäre, alle waren da, schüttelten ihre Hände, gratulierten. Upgang hatte sich gewünscht, dass die Mieterinnen in einem starken Netzwerk zusammenarbeiten, sich gegenseitig Aufträge verschaffen. Doch die Unternehmerinnen machten laut Upgang kaum Geschäfte miteinander. Ganz im Gegensatz zu den Männern, die sie aus dem elitären Rotary-Club kennt. »Die haben es viel besser drauf, sich gegenseitig Geschäfte zuzuschieben. Sie helfen sich, egal ob sie sich mögen.« Frauen hätten zu viele Hemmungen davor, über Quoten und Beziehungen statt über gute Qualifikationen in Führungspositionen zu kommen. Sie ärgert sich über das, was sie »das Gedödel von den Frauen« nennt. »Wenn ich mir angucke, wie viele männliche Schwachköpfe in irgendwelchen Wahnsinnspositionen sitzen! Da hat auch keiner gefragt, wie die da reingekommen sind.« Mittlerweile glaubt sie, dass Frauennetzwerke prinzipiell nicht funktionieren, weil Frauen Individualwesen seien, Männer dagegen Rudelwesen. Ihre größten Unterstützer in den Jahren im Businesspark waren Männer. Frauen, die sich nicht leiden könnten, würden einfach nicht zusammenarbeiten, auch wenn sich daraus Vorteile ergeben könnten. Sie würden sich im Gegenteil gegenseitig am Aufstieg hindern. Vieles, was Upgang sagt, klingt chauvinistisch. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben ihre Sicht auf Frauen verändert. Uschi Heidel, deren Agentur Trio für Wissenschaftskommunikation ein Stockwerk über dem Büro von Up-

//// »Es sitzen so viele männliche Schwachköpfe in irgendwelchen Wahnsinnspositionen.«

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»Männer sind Rudel-, Frauen Individualwesen.« Demnach stürzt die Frau alleine ab.

gang liegt, sieht vieles anders. »Wir fühlen uns hier sehr wohl und arbeiten auch mit der Agentur aus dem Stockwerk über uns zusammen«, sagt die Unternehmerin, die wie Upgang 52 Jahre alt ist. An einer gelben Wand hängen Fotos, die Heidel und ihre CoChefinnen dabei zeigen, wie sie die Räume einrichten. Feng Shui gibt es hier nicht und im Gegensatz zu Upgang beschäftigt Heidel neben ein paar weiblichen auch einen männlichen Mitarbeiter. »Ob hier Women's Business Park vorne am Türschild steht oder nicht, ist mir ziemlich egal«, sagt die Frau mit den blonden Locken. Sie hatte nie den Wunsch nach engerem Zusammenhalt: »Geschäft ist Geschäft und Freundschaft ist Freundschaft. Ich brauche keine Freundinnen hier im Haus.« Die ersten Probleme bekamen Upgang und die übrigen Frauen schon im Gründungsjahr. Nach dem 11. September 2001 zog die Angst in den Businesspark ein. Die Anschläge in den USA verunsicherten Konsumenten weltweit. Upgangs Kunden scheuten plötzlich riskante Investments, auch die anderen elf Firmen im Park, von der Steuerberaterin bis zur PR-Agentur, kamen in finanzielle Nöte. Dann wurde Upgang auch noch von den Frauen enttäuscht, die sie zu kennen glaubte. Mieterinnen verließen den Komplex, ohne ihre Schulden zu begleichen. Upgang klagte erfolglos gegen die Mietnomadinnen. Es war eine schwere Zeit für sie: »Ich stand da mit so einer halbvermieteten Hütte, einem Riesenkredit und einer persönlichen Bürgschaft. Es war furchtbar.« Upgang kämpfte, warb um neue

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RAUF //// Vitamin B

BÖRSEN-CONNECTION / Keinen Bock auf Hoch– schlafen? CV pimpen! Eine Netzwerk-Selection. Franziska Broich

Begabtenförderungswerke

Elite-Universitäten Elite-Universitäten erfand das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005, um den deutschen Hochschulen ein besseres Standing im War for Talents mit ausländischen Universitäten zu verschaffen und den Braindrain zu stoppen. Der Fitness-Check zeigte, dass die Ivy League-Kopien in der Forschung zwar exzellent, in der Lehre aber eher Low-Performer sind. Die EliteUnis wurden zu sehr gehypt. Absolventen mit dem Namen einer Elite-Uni im Lebenslauf haben zwar meistens eine gute Work-LifeBalance, die Chancen, später Boni von den großen Unternehmen zu kassieren, sind aber eher suboptimal.

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Wer sich nachhaltig commiten möchte, sollte sich um ein Stipendium bei einem der zwölf Begabtenförderungswerken bewerben. Darunter sind Stiftungen von Parteien, Religionsgemeinschaften und der Wirtschaft. Sie erwarten von ihren Stipendiaten im Gegenzug ein ehrenamtliches Engagement. Achtung: Manche haben eine Hidden Agenda. Die Begabtenförderungswerke supporten ihre Scholarship Holder nach dem Bafög-Satz. Im Mittelpunkt steht aber das Socializing mit anderen Studenten bei Workshops, Feedback-Runden und Get-togethers. Mitstipendiaten werden zu Sparringspartnern, beim Brainstorming entstehen Ideen für Start-ups. Alumni haben gute Chancen, erst Junior Assistant und nach etlichen Meetings mit jeder Menge Synergieeffekten ein richtiger Business-Kasper zu werden – vorausgesetzt sie haben sich im Studium gut vernetzt.

Reiche Eltern E-Fellows Das Online-Stipendium und Karrierenetzwerk E-Fellows vernetzt Future Leader im Internet. Studenten können sich auf der E-Fellows-Plattform bewerben und bekommen innerhalb von zwei Wochen eine Zu- oder Absage. Das Stipendium wirbt mit Praktikumsangeboten via Jobletter und Mailings, exklusiven Kontakten zu Partnerunternehmen, einem eigenen Mentorenprogramm und Vergünstigungen für Soft-Skill-Seminare und GMAT-Vorbereitungskurse. Stipendiaten können außerdem kostenlos ausgewählte Zeitungen abonnieren. Optional kann man sich in den City Groups vor Ort treffen. Die Entwickler des E-Fellow-Programms richten ihr Augenmerk auf die ohnehin schon karrierestützenden Studiengänge Jura und BWL. Um Profit aus dem Stipendium zu schlagen, muss man also entweder Jurist oder BWL-Student sein. Wer wirklich hochkommen möchte, sollte sich noch einen alternativen Approach suchen.

Die Inhouse-Lösung auf dem Weg zur Macht sind reiche Eltern. Faceto-Face kann man ihnen seine Ziele beim Jour Fixe präsentieren, um danach quick and dirty anzugreifen. Die Eltern lassen ihre Kontakte aus dem jahrelang gereiften Netzwerk spielen und schneller als gedacht ist man Senior Assistant der Geschäftsführung. Die Credibility erbt man von den Eltern und asap steigt man auf. Kein großes Issue.

McCloy-Stipendium Studenten, die auf der Fastlane unterwegs sind, können ihr Curriculum Vitae (CV) mit dem McCloyStipendium feintunen. Sie machen einen zweijährigen Master an der Harvard Kennedy School in Cambridge (USA). Den McCloy-Stipendiaten werden die Studiengebühren in Höhe von 64.000 Euro erlassen. Zudem erhalten sie einen Reisekostenzuschuss und monatlich 1500 Euro Taschengeld. Bewerben können sich High Potentials mit Studienabschluss, die hands-on sind und Berufserfahrung im internationalen Bereich haben. Die Chancen für McCloys, später einmal zum Inner Circle der Macht zu gehören, stehen top. Sie landen bevorzugt im Auswärtigen Amt, bei der Bundesregierung oder als Cashcows in einer hochkarätigen Unternehmensberatung.

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RAUF //// Affentheater

Frodo, der Boss, ist sauer. Lome muss Verena Orth nanzgehabe ist verpönt in unserer Gesellauf seinen Platz verwiesen werden. Thomas Klinger schaft. Ein Blick auf die nächste Affenverwandtschaft zeigt, wie natürlich Der junge Emporkömmling rennt kreischend durch das Gehege und wirbelt Staub auf. Frodo hinterher, Machtstrukturen und Seilschaften sind – und mit welch muskulös und mit aufgestelltem Fell. Er hält nur an, um unterschiedlichen Mitteln sie durchgesetzt und erhalten mit voller Wucht auf einen hohwerden. Schimpansenmänner len Stamm zu trommeln. Die sind Staatskünstler: Sie putschen Weibchen stimmen in das Gesich mitunter mit Gewalt an die kreische ein. Affentheater. Von Macht, monopolisieren Nahrung alldem scheinbar unberührt sitzt und Weibchen. Denn Macht bein einer schattigen Ecke der alte deutet Fortpflanzungserfolg. BoKönig Robert. Er ist 37 Jahre alt, nobos hingegen leben im Matriwirkt etwas schütter und hat vor archat: Die Weibchen haben das Frodo die Gruppe angeführt. Sagen und dominieren die MännZwei Jahre zuvor wurde er vom chen. Konflikte werden mit Sex Thron gestoßen. Doch jetzt geschlichtet. verbündet Robert sich mit dem Johannes Großmann, Wissenjungen, kaum der Pubertät entschaftler am Wolfgang-KöhlerPrimaten-Forschungszentrum, wachsenen Lome. arbeitet seit sieben Jahren im Politiker, Wirtschaftsgrößen, Sportfunktionäre: Sie alle streben Pongoland, dem Menschenaffennach oben und doch leugnen sie gehege des Leipziger Zoos. Er Obwohl sie körperlich schwächer sind, haben die Bonoboweibchen das Sagen. den Willen zur Macht. Domigibt Frodo noch zwei, drei Jahre,

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STAATSKUNST IM PONGOLAND / Im Menschenaffengehege des Leipziger Zoos wird klar: Unsere nächsten Verwandten regieren mit Sex und Gewalt.

Männliche Schimpansen führen oft erbitterte Kämpfe um die Rangordnung.

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Kurz vor der Fütterung herrscht Ruhe im Schimpansengehege. Doch sobald es ums Fressen geht, beginnt das Affentheater erneut.

bis Lome ihn stürzen wird. Unterstützt von Robert. »Unter Früchte, Rangeleien um Spielzeug, ein neues Tier in der Schimpansen wird nur groß, wer Männerallianzen hat. Gruppe – Konflikte und angespannte Situationen werden Frodo hat keine.« In seinem Buch Wilde Diplomaten bemit Sex gelöst. Nicht das stärkste Männchen regiert die zeichnet der bekannte Primatenforscher Frans de Waal Affenhorde, sondern die gut vernetzten, freizügigen Bonoden Schimpansen als zoon politikon. Ein Tier also, das auf bodamen. Auch untereinander stärken die Weibchen ihre soziale Bindungen angewiesen ist und diese auch für sich soziale Stellung mit Körperkontakt, indem sie ihre gezu nutzen weiß. schwollenen Genitalien aneinander reiben. Das GenitoDer Zoo Leipzig beherbergt alle vier Arten von Genital-Reiben, kurz: GG-Rubbing, hält Frauenallianzen Menschenaffen: Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und aufrecht. Bonobos. Mit Bonobos und Schimpansen teilen wir fast Die Jungtiere, männliche wie weibliche, üben bereits mit 99 Prozent unserer Gene. Uns trennen lediglich fünf bis drei oder vier Jahren, vor Beginn der Pubertät. Sie müssen sieben Millionen Jahre Evolution, nur ein kurzer erdgeviel lernen: Neben gleichgeschlechtlichem Sex gehören schichtlicher Augenblick. Die große Ähnlichkeit mit unauch Masturbation und Oralsex zum Repertoire. seren nächsten lebenden Verwandten fasziniert WissenLässig und tiefenentspannt liegt Kuno auf dem Jutesack. Mit der rechten Hand kratzt er sich die Seite. Sein langes, schaftler und Laien gleichermaßen. Man erkennt Seinesgleichen und blickt doch auf eine seltsam andere speerförmiges Glied wippt im Takt der Bewegung leicht auf Welt. Vielleicht sind gerade und ab. Mit der anderen Hand deshalb die Menschenaffen die hält er die Kleine, die auf seiAttraktion eines jeden Zoos. nem Bauch turnt. Ihr schwarzer Die Sonne brennt heiß auf Schopf steht wirbelig vom Kopf. das Pongoland. Die Bonobos Sie hüpft, hält inne, schmiegt haben sich in den Schatten unsich an den Erwachsenen und ter der Hängematte zurückzieht an seinem Fell. Beiläufig gezogen. Luiza, ein junges, dringt Kuno in sie ein. Die Kleischlankes Weibchen, pult etwas ne bewegt sich für ein paar Seaus dem Erdreich, während wekunden Sex mit, schlägt einen nige Meter hinter ihr Ulindi eleganten Purzelbaum und galoppiert schlingernd davon. und Jasongo spontan ein kurzes Vor der Glasscheibe des GeSchäferstündchen halten. Von Angesicht zu Angesicht. Ulindi heges gerät eine junge Mutter in verzieht die Lippen zu einem Erklärungsnot. »Was hat denn breiten Affengrinsen. Vierzehn der Affe da gemacht?«, fragt die Sekunden, dann lösen sie sich kleine Tochter. »Kitzeln«, sagt voneinander. die Mutter und schiebt das Kind weg von den Bonobos, 20 Sexualkontakte pro Tag hin zum gegenüberliegenden sind bei Bonobos keine SeltenVor den Blicken der anderen geschützt, rafft diese Bonobodame flugs ihr Mittagessen zusammen. heit. Pro Tier. Streit um leckere Schimpansengehege.

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//// Streit um leckere Früchte, Rangeleien um Spielzeug, ein neues Tier in der Gruppe – Konflikte und angespannte Situationen werden mit Sex gelöst.

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MACHT’S EUCH SELBST / Der Weg in die Chefetage ist harte Arbeit: Machtmenschen müssen kompetent, fit und leistungsfähig sein – und auch so aussehen. Immer mehr Produkte suggerieren, dass sich all das leicht selbst machen lässt. Ein beunruhigender Überblick. RAUF //// Erfolgs-­Rezepte

1 SCHLAUHEITS-­OP Wissen ist Macht. Und zu wissen gibt es dank der Informationsflut aus den Medien immer mehr. Medienphilosoph Peter Weibel sagt, der Mensch sei davon so überfordert, dass er seine Sinnes-­ organe auf lange Sicht optimieren müsse. Er ist überzeugt, dass ein Gehirnimplantat in Zukunft genauso normal sein wird, wie Herzschrittmacher, Brille und Hörgerät. »Die Vorstellung macht vielen Menschen Angst, aber sie folgt der Logik«, sagt er. Forscher arbeiten seit Jahren an einem solchen Gehirnschrittmacher, um Schlaganfallpatienten wieder fit zu machen. In Zukunft könnte er nicht nur bei Patienten eingesetzt werden, sondern auch die Köpfe künftiger Entscheider aufrüsten: Der Chip kurbelt die Gedächtnis-­ und Denkleistung an, indem er neuronale Impulsmuster nachahmt. Das getunte Gehirn kann mehr Informationen aufnehmen, speichern und abrufen. An Mäusen haben ameri-­ kanische Wissenschaftler solche Implantate schon erfolgreich getestet. Die Super-­Mäuse lernten schneller als ihre Artgenossen, mit welchem Hebel sie im Käfig die Futter-­Selbstbedienung aktivieren können und erinnerten sich länger daran.

ist es ein Medikament zur Behandlung von Hyperaktivität. Bei gesunden Menschen wirkt es wie ein Denk-­Turbo: 100 bis 200 Milligramm schlucken, zwölf Stunden Arbeitswut – das berichten gedopte Workaholics in Online-­Foren. Auch Stress, Nervosität und Lampenfieber lassen sich per Pille ausschalten: Betablocker wie Metoprolol hemmen die Aufnahme des Stresshormons Adrenalin und senken die Herzfrequenz. Die Methode geriet in die Schlagzeilen, als ein Musiker der Berliner Symphoniker über sein gedoptes Orchester auspackte. Das Karrieredoping hat seinen Preis: Schlafstörungen, Herzbeschwerden, Psychosen und Abhängig-­ keit sind die Risiken des Medikamentenmissbrauchs. Dennoch arbeiten US-­Pharmakonzerne an einer neuen Generation von Smart Drugs, die das Denken beschleunigen und das Vergessen ausbremsen sollen. 4 SUPERLINSE Alle Informationen auf einen Blick: Schon bald könnte ein Computer im Auge für übermenschliche Leistungen sorgen. Wissenschaftler der Universität Washington arbeiten an einer Hightech-­Kontaktlinse, auf deren Oberfläche sich Bilder projizieren lassen. Professor Babak Parviz gelang es 2011 erstmals, eine Kontaktlinse zum Monitor umzufunktionieren. Weiterentwickelt könnte sie die Facebook-­ Informationen des Gegenübers, E-­Mails oder ganze Kinofilme direkt ins Auge übertragen, sagt er. Der Pupillen-­PC besteht aus einer mikroskopisch kleinen Leuchtdiode und einer winzigen Linse, an deren Seite die Schaltkreise des Steuerungsmoduls angebracht sind. Das alles ist in einer gewöhnlichen Kontaktlinse integriert. Die 330 Mikrowatt, die die Elektronik verbraucht, empfängt die Linse per Funk. Die eingeblendeten Informationen sollen das echte Sichtfeld überlagern, so dass der Blick nicht eingeschränkt ist.

2 FITNESS TO GO »Ein richtig Dicker hat im Top-­Management kaum eine Chance«, sagt Personalberater Ernst Heiligenthal. Studien zeigen, dass Men-­ schen mit guter Figur als intelligenter und warmherziger wahrge-­ nommen werden. Außerdem beweisen trainierte Körper Kraft und Disziplin. Neue Hightech-­Geräte versprechen solche Erfolgskörper in Rekordzeit. Eine der Methoden heißt Elektromuskelstimulation. Trainiert wird unter Strom: Feuchte Klamotten anziehen, Kabelweste, Arm-­ und Beingurte drüber. Über Elektroden schießt dann während Kniebeugen und Ausfallschritten bis zu 85 Hertz starker Strom in 5 POWER DRESSING die Muskeln und verstärkt den Trainingseffekt. Zwanzig Minuten »Echte Bosse setzen auf Power Dressing«, sagt VIP-­Imageberaterin Elektroschocks pro Woche genügen laut den Anbietern. Wer auch dafür keine Zeit hat, braucht einen umgebauten Cadillac der Lisa Pippus. Weil Kleider nicht nur den ersten Eindruck bestimmen, Firma Becker Automotive Design und einen Chauffeur: In der Rück-­ sondern auch die Art sich zu bewegen und zu sprechen. Ob jemand bank ist ein Fitness-­Fahrrad integriert, auf dem man zwischen zwei eine Krawatte trägt, könne man am Telefon hören, sagt sie. In konser-­ Geschäftsterminen auf der Autobahn radeln kann, bevor man sich vativen Führungsetagen bevorzugt man dunkelblaue oder anthrazit-­ einen Platz weiter auf dem Massagesitz vor dem Plasmafernseher graue Anzüge und mokkabraune oder schwarze Kostüme – die erholt. Farben gelten als exklusiv. Dazu empfiehlt Pippus Seidenkrawatten 3 TURBOPILLEN und Perlenschmuck: »Der Glanz der Materialien lenkt die Aufmerksam-­ Nicht nur im Sport, auch am Schreibtisch wird Doping immer beliebter. keit auf das Gesicht.« Das soll mit einer frischen Rasur oder Make-­up Disziplin und Kontrolle ausstrahlen. Frauen tragen Absatz, allerdings Sogenannte Smart Drugs sollen wacher, konzentrierter und aufnahme-­ weniger als sieben Zentimeter. Es sei denn, frau will fähiger machen. Der populärste Brainbooster ist Laura Hertreiter in der Erotik-­ oder Kreativbranche hoch hinaus. Methylphenidat – besser bekannt als Ritalin. Eigentlich

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OBEN //// Von oben herab

Allianz AG, München, Vorstandsvorsitzender Michael Diekmann.

AUSSICHTSlos / Sechs Büroblicke deutscher Topmanager.

Bertelsmann AG, Gütersloh, Vorstandsvorsitzender Thomas Rabe. Daimler AG, Stuttgart, Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche.

Nicolas Diekmann

Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt, Vorstandsvorsitzender Christoph Franz.

FOTOS: © DEUTSCHE LUFTHANSA AG, © BERTELSMANN AG, © BAYER AG, © DAIMLER AG, © THYSSENKRUPP AG, © ALLIANZ AG

Bayer AG, Leverkusen, Vorstandsvorsitzender Marijn Dekkers.

ThyssenKrupp AG, Essen, Vorstandsvorsitzender Heinrich Hiesinger.

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DIE OBEREN 150 / Die Elite aus Politik und Wirtschaft trifft sich privat. Bei exklusiven Konferenzen bleibt die Öffentlichkeit draußen. Peer Steinbrück bleibt ganz ruhig, Maximilian Zierer Youtube hochgeladen. Er ist Teil der Truther-Bewegung, die an eine Weltverobwohl ihn die Demonstranten mit Julius Lukas Fotohandys filmen und ihn immer wieder schwörung glaubt und die ihre »Wahrheit« ausbuhen. »Wir wollen keine neue Weltordnung«, ruft verbreiten will. Für die Truther ist die Bilderberg-Koneiner durch den Nieselregen. »Wir wollen Sie nicht und ferenz eine undemokratische Schattenregierung, die eine neue Weltordnung durchsetzen möchte und dafür Staatswir brauchen Sie auch nicht«, schnarrt es aus einem Megafon. Der SPD-Politiker gibt sich wenig beeindruckt, chefs einsetzt und absägt, wie sie will. Der Titel des Videos er geht stur die abschüssige Straße hinunter, bis ihn die lautet: »Bilderberger 2011 – Peer Steinbrück neuer Kanzler?« Die Vermutung, dass Steinbrück bald Deutschlands Schweizer Polizei in den abgesperrten Bereich hinter ein Sicherheitsband führt. Dort, in St. Moritz, liegt das Luxusneuer Regierungschef wird, leitet InfokriegerMCM aus der hotel Survetta House, wo das letztjährige BilderbergTatsache ab, dass vor ihm schon viele deutsche Politiker bei Bilderberg zu Gast waren – unmittelbar bevor sie an Meeting stattfand. Bei dieser Konferenz treffen sich seit 1954 jährlich knapp 150 der mächtigsten Menschen dieser die Regierung kamen. 2005 war die damalige OppositionsWelt, um über globale Fragen zu diskutieren – unter ihnen führerin Angela Merkel eingeladen, 2007 der spätere Regierungschefs, Finanzbosse, Industriemagnaten und Bundesaußenminister Guido Westerwelle. In diesem Jahr einflussreiche Journalisten. Der ehemalige Deutsche-Bankflog Jürgen Trittin nach Chantilly, Virginia. Der grüne Chef Josef Ackermann ist Stammgast, ebenso Peter Löscher Fraktionsvorsitzende könnte 2013 unter einem möglichen von Siemens und Thomas Enders von EADS. Wer dabei ist, Kanzler Steinbrück deutscher Außenminister werden. Für erfährt die Öffentlichkeit erst hinterher über die Website. die Verschwörungstheoretiker ist klar: Bilderberg Die gibt es erst seit zwei Jahren, vorher war alles geheim. bestimmt, wer Deutschland regieren darf. Bilderberg ist nicht das einzige Treffen dieser Art. Ob Trittin selbst findet nichts Anstößiges daran, jenseits bei der Münchner Sicherheitskonferenz, dem Weltwirtder Öffentlichkeit mit den Mächtigsten der Welt zu diskuschaftsforum in Davos, den Treffen der Trilateralen tieren. Für ihn ist die Bilderberg-Konferenz ein Treffen wie Kommission oder beim bekanntesten deutschen Netzviele andere. »Nach meinem Eindruck unterscheidet sie werk, der Atlantik-Brücke – die Eliten aus Politik und sich wenig von vielen anderen Konferenzen, bei denen Wirtschaft debattieren gerne hinter verschlossenen Türen. Manager, Wissenschaftler und Politiker zusammentreffen«, All diesen Zirkeln ist gemein, dass sie von keiner staatschreibt er in einer Stellungnahme. Dabei wurde Trittin lichen Institution geschaffen wurden, sondern privat für seine Teilnahme an der Konferenz von Parteifreunden organisiert sind. Und bei allen weiß kaum einer, der nicht und politischen Gegnern heftig kritisiert. FDP-Fraktionsdabei war, was genau diskutiert wurde. Denn die Medien chef Rainer Brüderle sagte etwa: »Es ist offenbar ein langer berichten meist sparsam, obwohl, wie im Falle Bilderberg, Weg vom Kommunistischen Bund Westdeutschland zur Bilderberg-Konferenz der Hochfinanz.« Journalisten renommierter Zeitungen wie Die Zeit, El País, und der Financial Times regelmäßig daran teilnehmen. Die InfokriegerMCM hat seine eigene Meinung zu den TeilVerschwiegenheit sei notwendig, damit die Konferenzteilnehmern der Konferenz. »Die mächtigsten Männer sind nicht die Bilderberger«, schreibt er in einem Kommentar nehmer frei sprechen können. Das ist die offizielle Linie. Doch die Geheimniskrämerei bietet reichlich Futter für an die 9500 Zuschauer seines Steinbrück-Videos. »Sie sind Verschwörungstheoretiker. nur ein Teil der Illuminaten-Pyramide, aber sie sind nicht Ein Internetaktivist, der sich InfokriegerMCM nennt, die Spitze. Die Wahrheit kommt ans Tageslicht!« Beweise nennt er nicht. hat die Szenen mit Peer Steinbrück abgefilmt und bei

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F O T O S : W U V I E N NA / F L IC K R , N V P, C H R I S G R A B E RT, NATA L I E B E H R I N G , A L L E C C 2 . 0

OBEN //// Machtpoker

Egal ob bei Bilderberg, der AtlantikBrücke, auf der Sicherheitskonferenz (SiKo), dem Weltwirtschaftsforum (WEF) oder bei der Trilateralen Kommission: Deutschlands Entscheider sind gut vernetzt.


OBEN //// Deutschlands Dagobert

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KARL DER UNBEKANNTE / Er besitzt 23 Milliarden Euro und ist der reichste Mensch Deutschlands. Trotzdem weiß man über Karl Albrecht nichts. Eine Spurensuche.

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//// 23 Milliarden sind 23.000 mal eine Millionen Euro. Albrecht könnte sich jeden Luxus leisten oder sich als Wohltäter feiern lassen. Tut er aber nicht.

Im Uhrzeigersinn: Einfahrt zu Karl Albrechts Haus, Kirche St. Markus und Schusterei von Ernst Stoffmehl in Essen-Bredeney.

Auf dem Klingelschild steht sein Martin Schneider ist aberwitzig groß. 23 Milliarden sind Nachname. Schwarz auf weiß. Hin23.000 mal eine Million Euro. Er könnte sich ter einer dünnen Plastikschicht klebt ein bedruckter jeden Luxus leisten. Er könnte sein Geld spenden und sich Papierstreifen, acht Buchstaben: Albrecht. Hinter dem als Wohltäter feiern lassen. Aber das tut Karl Albrecht Schild führt an fünf Laternenmasten eine kurze Einfahrt nicht. Wer wissen will warum, schaut sich in Essenzum Haus hinauf. Unten weißer Putz, das obere Stockwerk Bredeney um. ist mit dunklem Holz verkleidet. Über den schwarzen Das Blumengeschäft Franz und Scharf. Zwei blaue Blumenkübel stehen vor dem großen Schaufenster. Dachziegeln donnern Flieger. Das Haus liegt in der Einflugschneise des Flughafens Essen-Mülheim. Vor dem Tor Drinnen riecht es nach Rosen und nasser Erde. Annelore und rund um das Haus wachsen hinter einem schulterhohen Manzius begrüßt die Kunden. »Der Karl Albrecht, der grünen Stahlzaun Rhododendron-Hecken. Hier wohnt der kauft hier seine Blumen«, sagt sie. »Ein ganz normaler reichste Mensch Deutschlands. Mensch, wie du und ich. Auf der Straße würden sie ihn Karl Hans Albrecht ist 92 Jahre alt, hat am 20. Februar nicht erkennen.« Das Wort »normal« wiederholt sie drei Geburtstag und lebt in Essen. Er ist verheiratet, hat zwei Mal. Er sei »zurückhaltend und sehr nett«. Mittlerweile Kinder und sechs Enkelkinder. Albrecht ist streng schicke sie ihm die Blumen per Post, mit 92 sei er nicht mehr so gut zu Fuß. Vor allem über Pfingstrosen freut er katholisch, liebt den Golfsport und hat in seinem Garten sich. Aber mehr könne sie darüber nicht sagen. Er kaufe ein kleines Gewächshaus, in dem er Orchideen züchtet. auch hier ein, weil er wisse, dass sie nichts sagt. »Seit der Und er besitzt vermutlich 23 Milliarden Euro. Sein Geld Entführung ist er sehr vorsichtig.« hat er mit einer Ladenkette verdient, die er mit seinem Bruder Theo gegründet hat. Die Geschäfte haben sie nach 1971 wurde sein Bruder Theo gekidnappt, die Entführer sich selbst benannt: Albrecht-Discount. Diesen Namen forderten sieben Millionen Mark. Das Lösegeld wurde kennt niemand mehr, die Abkürzung jeder: Aldi. gezahlt, Theo kam unverletzt frei und die Täter wurden Über diese paar Fakten hinaus weiß man sehr wenig später geschnappt. Aber die Brüder merkten in diesem über Karl Albrecht. Er schirmt sich ab, gibt keine InterMoment, wie gefährlich es sein kann, Geld zu besitzen. views. Nur eine Handvoll Fotos existieren von ihm. Dabei Sie zogen sich zurück und trafen Sicherheitsvorkehrungen. besitzt er das, wovon fast alle Menschen träumen: genug Hinter den Rhododendron-Hecken vor Karls Haus stehen Geld, um sich jeden Wunsch zu erfüllen. Sein Vermögen drei Masten mit Kameras, die Einfahrt ist durch ein Stahl-

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tor gesichert, eine große gelbe Alarmsirene ist auf der Mauer hinter den Mülltonnen montiert. Es gibt Gerüchte, jedes seiner Kinder trage einen GPS-Sender unter der Haut. St. Markus in Bredeney ist eine zweckmäßige Kirche. Weißer Putz, kastige Bauart, ein paar bunte Fenster. Zur Straße hängt ein großer, eiserner Jesus am Kreuz. »In der Welt habt ihr Bedrängnis« steht daneben, Johannes 16, 33. Hier ging Karl Albrecht jahrelang jeden Sonntag zur Kirche. Ob er immer noch in der vordersten Bank sitzt? Pastor Wilfried Hirschler, der nebenan im Pfarrheim wohnt, muss es wissen. Er meldet sich über die Gegensprechanlage seiner Haustürklingel. Auf Karl Albrecht angesprochen sagt er jedoch: »Kenn' ich nicht, kann ich nichts dazu sagen.« Klick, Ende des Gesprächs. Sekunden später linst er durch die Gardinen, um zu schauen, wer nachgefragt hat. Ein paar Häuser diet Straße runter hat Ernst Stoffmehl seine Schusterei. Er ist ein bisschen schwerhörig. »Der Karl, der war früher oft hier«, sagt er. »Ein ganz anständiger Mensch, er hat sich immer in die Warteschlange gestellt, bis er dran war«, erzählt er. »Ich hab' ihm Einlagen gemacht, weil er eine leichte Beinverkürzung hat.« Der zehntreichste Mensch der Welt geht zum Schuster um die Ecke. »Ach, ich glaub, das Geld interessiert ihn nicht so. Es ist gut, wenn man es hat. Aber mehr auch nicht«, sagt Stoffmehl und geht wieder in seinen Keller. Als die Brüder Karl und Theo 1948 aus dem Krieg zurückkehrten, übernahmen sie das Geschäft der Mutter in Essen-Schonnebeck. Sie reduzierten das Warenangebot auf das Nötigste, kauften dafür von wenigen Produkten große Mengen ein und konnten dadurch billiger anbieten als die Konkurrenz. Bald teilten sie das Geschäft auf. Karl übernahm Aldi Süd, Theo den Norden. Von 1948 bis heute hat sich wenig am Aldi-Prinzip geändert: Beschränkung auf das Nötigste, knallharte Konsequenz. Dazu gehört:

keine Öffentlichkeitsarbeit. »Unsere Werbung liegt im billigen Preis«, hat Karl 1953 gesagt. Es ist das einzige Zitat, das von ihm bekannt ist. In Eichenau, einem verschlafenen Vorort von München, sitzt die Siepmann-Stiftung. Im Gewerbegebiet liegt ein Aldi-Zentrallager, an das ein karges Bürogebäude angehängt ist. Dort wird Karl Albrechts Vermögen verwaltet, es ist eine Art Geldspeicher. Die Stiftung dient den »gemeinsamen Interessen der Angehörigen der Familie Albrecht«. Drinnen gibt es einen Wartesaal, in dem als einzige Zeitschrift der Aldi-informiert-Prospekt ausliegt. Fragen beantwortet niemand. Die Stiftung ist so verschwiegen, dass selbst alteingesessene Eichenauer nicht wissen, dass 23 Milliarden schräg gegenüber der freiwilligen Feuerwehr verwaltet werden. Zu der Stiftung gehören zwei Unterstiftungen, die medizinische und kulturelle Projekte fördern. Welche Projekte das sind und wie viel Geld fließt? Unbekannt. Jeder, der Karl Albrecht kennt oder kannte, sagt auf Nachfrage reflexartig: Er spendet sehr, sehr viel. Aber Genaueres will niemand erzählen. In Bredeney sagen sie, der Karl wolle

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unter die Leute gehen«, sagt sie. »Das kann man sich nicht mit Geld kaufen. Und seine Kinder und Enkelkinder konnten in Ruhe aufwachsen.« Aber er könnte Deutschland verändern, wenn er wollte? »Ja, könnte er, will er aber nicht. Das ist nicht seine Art. Wenn sie ihn treffen würden, würden sie es verstehen. Eigentlich ist er ein süßer Opi.« Gegenüber von Sigrids Haus harkt ein Gärtner hinter dem grünen Stahlzaun unter den Rhododendron-Büschen. Ja, Karl sei da. Nein, er könne nicht rauskommen, er gibt keine Interviews. Mit jedem Wort entfernt er sich mehr vom Zaun. Auf der andern Straßenseite verlegt ein blonder Mann Steine. Er ist Mitte 20 und hat schon für Karl Albrecht gearbeitet. Seinen Namen will er nicht nennen. »Es ist schon unglaublich, wenn man weiß, wie viel Geld er hat«, sagt er. »Aber wenn man bei ihm arbeitet, merkt man davon nichts.« Das Haus sei voll mit seinen eigenen Produkten, er trinke Aldi-Kaffee und esse Aldi-Kuchen. Er sei als Chef sehr streng, sehr genau und nicht schnell zufrieden. »Aber absolut fair«, sagt er und rückt einen Stein zurecht. »Weil er ja nichts sagt, denken viele, dass es ein Geheimnis um ihn gibt. Aber wenn man dann mal neben ihm steht, ist es halt ein alter Mann. Er hat die gleichen Probleme wie jeder andere.« Von Karls Haus geht es die Straße hinauf zum städtischen Friedhof in Bredeney. Der Stahlmagnat Alfred Krupp hat sich hier einen gigantischen Sarkophag errichten lassen, über dem Grab seiner Frau beugt sich ein monumentaler Stahladler. Karl hat sich einen Platz zwischen allen anderen Gräbern im Süden des Friedhofes gesichert. Im Norden, direkt hinter dem Eingang, liegt seit zwei Jahren sein Bruder Theo. Auf dessen Ruhestätte führen vier Steinplatten zu einem schwarzen Grabstein, ungefähr zwei Meter hoch. Darauf steht: »Im Glück nicht stolz sein, und im Leid nicht zagen. Das Unvermeidliche mit Würde tragen.« Vielleicht versteht man den reichsten Mensch Deutschlands am besten, wenn man sich das Grab seines Bruders anschaut.

//// Er sei als Chef sehr streng, sehr genau und nicht schnell zufrieden. »Aber absolut fair«, sagt sein Gärtner und rückt einen Stein zurecht.

nicht, »dass die Leute ihm am Zeuch flicken« und er tue »wirklich viel, aber es ist ihm nicht recht, wenn darüber geredet wird«. Er soll sehr viel in die Krebsforschung stecken. Sein Sohn, Karl Albrecht junior, ist dreimal an Krebs erkrankt. In Bredeney erzählen sie außerdem, Karls Frau sei seit Jahren ein Pflegefall und werde im Haus von ihm und vom Personal versorgt. Im Gegensatz zu dieser Spendenbereitschaft steht die Sparsamkeit der Albrechts. Es existieren unzählige Anekdoten über die Pfennigfuchserei der Brüder. Sie sollen in Räumen immer zuerst das Licht ausgemacht haben, Bleistifte wurden bis zum Stummel runtergeschrieben. Nur ein einziges Luxusgut hat sich Karl Albrecht in seinem Leben geleistet: 1976 ließ er das Golfhotel Öschberghof bei Donaueschingen bauen. 179 Euro pro Nacht. Ein Fünf-Sterne-Tempel mit Spa und Pure-Gold-Radiance-Facial-Gesichtsmasken. Mitarbeiter erzählten früher, er sei nach einer Runde Golf mit AldiTüten in seinen Bungalow gestapft. Heute erzählt das Hotelpersonal gar nichts mehr: »Keine Auskunft.« Mit 92 Jahren golft Karl Albrecht nicht mehr, sondern geht zu Hause spazieren. Dann kommt er bei Sigrid vorbei. Sie ist seine Nachbarin. »Wenn ich im Vorgarten arbeite, grüßt er und wir unterhalten uns. Früher hat er immer Geschichten von seinen Filialen erzählt.« Er sei noch fit und lebe halt in seiner eigenen Welt. »Er genießt seine Freiheiten. Weil er nie in der Öffentlichkeit war, kann er Geldspeicher: Im Gewerbegebiet Eichenau bei München wird Karl Albrechts Vermögen in einem biederen Büroblock verwaltet.

Auf dem Friedhof Essen-Bredeney steht der Grabstein von Karls Bruder Theo. Er starb 2010.

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Macht gehabe /

Tierische Bosse, ganz menschlich. Alphas im Pelz //// OBEN Thomas Klinger Wolfgang Maria Weber 50B*

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Leithammel, im Niedersächsischen Bellhammel, im rechten Platten Leyhammel, ist in der Landwirtschaft und besonders in den Schafherden ein abgerichteter gemeiniglich mit einer Glocke versehener Hammel, das Treiben der Schafe zu erleichtern. Weil die Schafe gesellig sind, so, dass alle ihm nachfolgen, sich auch bald zu dem Menschen gewöhnen lassen, daß sie ihm wie ein Hund nachlaufen. Oekonomische Encyklopädie, Band 77

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* Julia Flüs, Laura Hertreiter, Verena Orth, Magdalena Schmude, Martin Schneider, 37 Daniel Schrödel, Hakan Tanriverdi


»Vor einigen Jahren«, erzählte McIntyre, »bat der Zoo von Portland eine dreizehnjährige Praktikantin, die gefangenen Wölfe zu beobachten. Als sie nach mehreren Wochen mit ihrem Bericht zurückkehrte, war der Biologe des Zoos aufgebracht. Das Mädchen hatte beobachtet, dass eine Wölfin das Rudel führte. Der Biologe war kurz davor, die Praktikantin wegzuschicken, als er sich entschied, mit ihr zusammen noch einmal zu den Tieren zu gehen. Und siehe da: Das Rudel wurde tatsächlich von einer Alphawölfin geführt.« Brenda Peterson, Build me an Ark

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Ein Blick von ihm genügt, und alle anderen Tiere kuschen. Der Silberrücken mit grauen Rückenhaaren ist der Anführer der Gorilla-Herde. Er steht in der Rangordnung am höchsten. Wenn sich die Gruppe bedroht fühlt, greift der Silberrücken ein. Er schüchtert einen Gegner zuerst ein, indem er ihn scharf anschaut. Hilft das nicht, trommelt er sich mit den Fäusten auf die Brust, reißt Pflanzen aus und wirft sie in die Luft. Dazu stößt er laute Schreie aus. Bertelsmann Kinder Tierlexikon


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Im scharfen Umriss hob sich sein wuchtiger Körper mit dem herrlichen Kronengeweih vom fahlgelben Himmel ab. Langsam streckte der Platzhirsch das Haupt, dass der zottige Hals sich blähte. Und während ihm der heiße Atem vom Äser rauchte, hallte sein dumpfer, lang gezogener Orgelton in die Lüfte. nach Ludwig Ganghofer

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WENN DER ABEND AUSKLINGT / Sex als Inspiration: Eine Berliner Agentur vermittelt »Musen« an wohlhabende Kunden. Edel-Escort //// OBEN

Das Zentrum der antiken Lustkultur Philipp Stute Als die Karriere und seine dritte Ehe beendet liegt in einem Plattenbau. Es ist ein Massimiliano Panzironi waren, kam Obers die Idee, sein Faible für käuflichen Sex und sein kreatives Talent zur unansehnliches Gebäude in einer der weniger pulsierenden Gegenden Berlin-Kreuzbergs. Von vereinen und einen exklusiven Escortservice für vermögende hier aus vermittelt Carlos Obers mit seiner Escortagentur Herren zu gründen. Obers nennt die Frauen nicht Huren oder Callgirls. Er nennt sie »Musen«, in Anlehnung an die Frauen an wohlhabende Männer. Die »Musen« tragen antiken Göttinnen und die Geliebten von Künstlern. »Die Künstlernamen wie Sharon Novalis, Paloma da Ponte oder Carina von Eichendorff. Auf der Website von Obers großen Künstler und Erfinder unserer Zeit sind die Manager. Agentur gibt es Hochglanzbilder, auf denen sich die Unsere Musen geben ihnen Inspiration«, sagt Obers. Als Frauen nackt auf teuren Möbeln und Klavieren rekeln. Hauptzielgruppe hat er wohlhabende Geschäftsleute mit Dazwischen hat Obers hauchzarte Poesie und feinsinnige einem Einkommen ab einer Million ausgemacht. WeltgeAnspielungen platziert. Und eine Preistafel. Sie beginnt wandte Machtmenschen, die an seinen Frauen schätzten, bei 1000 Euro für vier Stunden. dass sie ihnen auf Augenhöhe begegnen. Obers wohnt im fünften Stock in einer hellen AtelierAuf der Website stehen immer zwölf Frauen zur wohnung. Die Hausverwaltung wollte bildende Künstler Auswahl. Obers erfindet ihre klangvollen Pseudonyme, hierher locken, aber es kamen keine. Dafür kam Obers und indem er moderne Vornamen mit Nachnamen berühmter schuf hier die Atmosphäre einer Werbeagentur: Ein langer Künstler verbindet. Alle Musen seien hochgebildet und Konferenztisch, schwarze Ledersessel, dahinter eine hätten eigentlich einen anderen Beruf, sagt er. Es seien Regalwand voller bunter Kunstbände. In einer Ecke steht Künstlerinnen darunter, Tänzerinnen und Wissenschaftlerinnen. Alle vollkommen frei, völlig selbständig. »Wir eine hölzerne Fetisch-Figur, die Obers aus Tobago mitgebracht hat: ein grinsender Zwerg mit abstehendem Penis. sind der emanzipierteste Escortservice der Welt«, sagt Aus Lautsprechertürmen tönt leise klassische Musik. Obers. Die Frauen treten 30 Prozent ihrer Einnahmen an Carlos Obers ist 71 Jahre alt. Es gibt zu seinem Namen ihn für die Vermittlungsleistung ab. Ansonsten seien sie einen sorgfältig gepflegten Wikipedia-Eintrag und wenn ihm nichts schuldig. er aus seinem Leben erzählt, sieht man ihn hier und dort Carina von Eichendorff heißt eigentlich Anna und ist Ende 20. Auf den Fotos der Agentur posiert sie in einem aus dem Zeitenstrom auftauchen, mal in der Uniform eines Stierkämpfers, dann als Preisboxer oder Jesuitenpater. Fest durchsichtigen Seidengewand. Jetzt trägt sie eine rosasteht, dass er irgendwann ein erfolgreicher Werbetexter farbene Nicki-Jacke, Jeans und Sneakers und fällt unter wurde und die Kunst des Marketings erlernte. den anderen jungen Leuten in diesem Kreuzberger Café

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Carlos Obers war früher Werbetexter. Heute führt er eine Escortagentur.

»Man merkt ihnen an, dass sie sonst sehr beschäftigt sind. Sie wollen mit mir lockere Freizeit haben und können es genießen.« Es gehe ihnen im Bett nicht um Leistung. Nur selten sei ein Mann darunter, der ihr und sich etwas beweisen wolle. »Dann wird es sportlich.« Carlos Obers kennt die Bedürfnisse seiner Zielgruppe. »Männer in Führungspositionen sind selten zu Hause. Sie reisen ständig und haben gar keine Zeit, Frauen kennen zu lernen. Viele sind auch glücklich verheiratet und wollen ihre Frau nicht mit einer Geliebten betrügen.« Und natürlich seien die Musen vortreffliche Unterhalterinnen, die sich auch mal spontan ans Klavier setzen und Auszüge aus La Traviata spielen würden. Anna hat noch nie für ihre Kunden La Traviata gespielt und sie selten ins Theater begleitet. »Manche Männer wollen einfach in Ruhe abgammeln.« Sie erzählt von einem reichen Araber, der sie und eine Kollegin neulich für zwölf Stunden gebucht habe, um dann mit ihnen DVDs zu schauen. »Der lag dann mit zwei Musen im Arm auf dem Bett und wir haben Shaun das Schaf geguckt.« Natürlich, davor und danach hätten sie Sex gehabt. Anna ist das deutlich lieber als ausschweifende Candle-Light-Dinner mit tiefgründigen Gesprächen. »Es ist für mich auch eine Frage des Berufsethos, dass es beim Date immer Sex gibt.« Carlos Obers formuliert es in seinem Atelier so: »Unsere Kunden wissen ein schönes Abendessen zu schätzen. Aber sie schätzen es auch, wenn man den Abend wunderbar ausklingen lassen kann.« Weil es immer mehr Kunden gibt, die Abende wunderbar ausklingen lassen möchten, haben Obers und die Frauen erst kürzlich die Preise erhöht. Und sie wollen weiter wachsen. Gerade ist eine Seite im Aufbau, die Musen für sadomasochistische Erotik vermitteln soll. In seiner Zielgruppe bestehe daran durchaus Interesse, sagt Obers.

//// »Ich habe lange gesucht, aber ich fi nde keinen Widerstand dagegen in mir.« die Profile blättern, fände sich vieles immer wieder: Männer zwischen 40 und 60, Unternehmer, Banker, gehobenes Management, geschäftlich in der Stadt, mehr als die Hälfte aus dem Ausland. Ein bis drei Mal pro Woche fährt Anna in ein Berliner Hotel, um einen dieser Kunden zu treffen. Es sind immer Fünf-Sterne-Häuser, das schreibt die Agentur vor. Jedes Treffen beginnt an der Bar. Dann ist eine halbe Stunde Zeit für Smalltalk und zum Kennenlernen. Anna kann jederzeit gehen, wenn sie ein schlechtes Gefühl hat. Aber das kommt selten vor. »Ich habe immer erwartet, dass mal so ein richtiges Freier-Monster auftaucht, so ein Quasimodo mit Kettensäge.« Aber das passiert nicht. »Die Männer sind in der Regel sehr kultiviert. Erst recht, weil sie ja an dem Abend noch Sex wollen.« Nur mit sehr geschniegelten Männern habe sie hin und wieder Probleme gehabt. »Die sind am perversesten.« Was das heißt, bleibt Annas Geschäftsgeheimnis. Sie sagt, ihre Kunden seien beim Treffen fast nie nervös.

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BEI ANRUF VIP / Nur Gold kann (noch) nicht vom Himmel regnen. Concierge-Services sind die ultimative Dienstleistung für Superreiche.

Super-Dienstleister //// OBEN

//// Lifestyle-Management – Dubai all-inclusive Eine Woche vor dem Besuch im Armani Hotel im Burj Khalifa klingelt Ihr Telefon. Am anderen Ende: Der Lifestyle-Manager. In knapp zehn Minuten spult er einen Fragenkatalog ab: Verheiratet? Kinder? Hobbys? Interessen? Religion? Lieblingsessen? Allergien? Er will Ihren Lebensstil kennenlernen, um für Sie den perfekten Aufenthalt in Dubai zu planen. Das Hotel im höchsten Gebäude der Welt stellt jedem Gast einen solchen Manager zur Verfügung. Wenn er Sie vom Flughafen abholt, drückt er Ihnen eine Liste mit Programmvorschlägen in die Hand. Sie müssen nur noch ankreuzen, worauf Sie Lust haben. Dann können Sie Ihr Zimmer für 1800 Euro pro Nacht beziehen. Die Konzertkarten sind längst reserviert, das Essen vorbestellt und der Ausritt in die Wüste gebucht.

Tim Wessling

//// Die schwarze American Express – Ein Mythos

F O T O S : V E RT U, A M E R IC A N E X R P E S S

nicht auf. Mit der lasziven Kunstfigur auf den Fotos hat sie nur die grünen Augen gemein. Anna verdient seit sechs Jahren Geld mit Sex. Im Alltag studiert sie »mit wechselnder Motivation« ein geisteswissenschaftliches Fach. Sie spricht in langen und doch präzisen Sätze. Der Job als Prostituierte verschaffe ihr nicht nur finanziell »Freiheit in Reinform«, sagt Anna. Sie sei als »Projektionsfläche der Männer keinen spezifischen Erwartungen ausgesetzt«, könne kommen und gehen und immer jemand anders sein. Sie erzählt von einer »rückgratschaffenden Hemmungslosigkeit«, die aus ihr einen selbstbewussteren Menschen gemacht habe. Sie analysiert ihre eigenen Motive mit der Theorie des Psychologen Carl Gustav Jung. Sie sagt, dass sie es sogar genieße, von ihren Kunden als Objekt gesehen zu werden. »So lange ich mich selbst als soziales Subjekt begreife, ist mein Objektcharaker kein Problem.« Solche Sätze sagt sie, und dass sie es nicht ändern könne, dass sie diesen Job gern mache. »Ich habe lange gesucht, aber ich finde keinen Widerstand dagegen in mir.« Auf Carlos Obers Schreibtisch liegt eine dicke Mappe voller »Flugscheine«. Kleine Handzettel, die er den Frauen bei jeder Buchung mitgibt. Darauf stehen der Vorname des Kunden, Uhrzeit, Hotel und Wünsche zur Kleidung. Ganz unten steht ein kurzer anonymer Steckbrief, den Obers bei der Buchung abgefragt hat. Er würde diese Mappe nie aus der Hand geben, aber könnte man durch

Das Jackett missfällt dem Türsteher. In diesen Club kommen Sie heute nicht rein. Dabei wollten Sie doch die Tanzfläche kaputt tanzen. Mindestens. Beleidigt stehen Sie vor DER neuen In-Location der Stadt im Regen. Aber nicht lange. Denn Sie haben die passende Telefonnummer parat. Nein, nicht die des fiesen Schlägertypen! Sie rufen den Concierge-Service des Finanz- und Reisedienstleisters American Express an. Der wird sehr verständnisvoll auf Ihr Problem reagieren und Sie bitten, kurz zu warten. Nach spätestens fünf Minuten sollte Sie der Clubmanager persönlich an der Schlange vorbei zu Ihrem Tisch im VIP-Bereich begleiten. Der Türsteher wird jetzt vermutlich leicht konsterniert dreinblicken. Aber er konnte ja nicht ahnen, dass Sie diese Karte besitzen: Die schwarze American Express. Damit öffnen sich Türen, die Normalsterblichen verschlossen bleiben. In Deutschland wurde die Karte im Jahr 2000 eingeführt. Mittlerweile soll es 2000 Besitzer geben. Die schwarze AmEx, die Centurion Card, ist in der Regel aus Platin gefertigt und kann nicht einfach beantragt werden. American Express muss Sie für würdig erachten. Mindestvoraussetzungen: Ein hoher sechsstelliger Jahresumsatz über mehrere Jahre und möglichst keine Probleme mit internationalen Gerichtshöfen. Für Diktatoren aus dem Nahen Osten wird das schwarze Glück also vermutlich ein Wunschtraum bleiben.

//// Vertu – Rettung aus der Savanne Schuss. Treffer. Die Antilope ist erlegt. Jetzt muss sie nur noch in den Kochtopf. Sie wuchten das Tier auf die Ladefläche und setzen sich ans Steuer Ihres Jeeps. Doch der Geländewagen stottert nur kläglich und springt nicht an. Tank leer. Na toll. Es drohen der Ausfall des Abendessens und eine Nacht in der namibischen Savanne. Zum Glück haben Sie ein 200.000-Euro-Handy des Edel-Herstellers Vertu unter Ihrem Tropenhut versteckt. Das AntilopenGulasch und der Gin Tonic auf der Lodge-Terasse sind gerettet. Ein Druck auf die Concierge-Taste genügt: Der Möglich-Macher des Handyherstellers schickt einen Hubschrauber, der Sie aus der Steppe holt und sendet zwei Antilopen-Rezepte per Mail hinterher. Egal, wo auf der Welt Sie gerade sind: Es gibt praktisch kein Problem, das der Vertu-Service nicht lösen könnte. Auch alltägliche Dinge sind im Angebot. Ein Last-MinuteHochzeitsgeschenk für die Ehefrau oder ein romatisches Hotelzimmer für einen Abend mit der Affäre: Der nette Mensch am Telefon kümmert sich um beides – natürlich vollkommen diskret.

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Integrationsversuch auf dem Campingplatz.

Pole-Position //// OBEN

Wir holen nach, was der Undercover-Reporter Günter Wallraff vergessen hat: Ein Tag als BentleyBesitzer in der bayerischen Provinz.

GANZ O BEN Das graue Gewerbegebiet dieser Nicolas Diekmann stummen. Die Gäste schauen angestrengt mittelgroßen bayerischen Stadt hebt Philipp Stute an uns vorbei. Wir sind undercover unterwegs. Einen Tag sich nicht von Gewerbegebieten anderer Tim Wessling lang wollen wir erfahren, wie Deutschland mittelgroßer bayerischer Städte ab. Es gibt Burger King und Deichmann. Wir halten neben einem auf Menschen am Rand der Gesellschaft reagiert. Menschen SB-Backshop, vor dem semmelkauende Menschen unter am obersten Rand. Deshalb haben wir uns verkleidet. Wir Sonnenschirmen sitzen. Sie mustern uns beim Aussteigen, tragen edlen Herrenzwirn in geschmackvollen Pastellfarben, aber unsere wahre Maske ist dieses gewal-tige stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Aber je näher wir dem Backshop kommen, desto mehr Gespräche verAuto: Der Bentley Mulsanne. 3,2 Tonnen Sozialprestige,

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Seine Besitzer schätzen ihn als Reiselimousine für die Fahrt ins Zweithaus oder zum Jachthafen. Wir wollen testen, wie er in einer anderen Freizeitumgebung ankommt: auf einem Campingplatz. Als wir die Schranke des Platzes passieren, empfängt uns geordnete Erholung zwischen Nadelbäumen. Die meisten Stellplätze sind von Dauercampern belegt. Es gibt riesige Vorzelte, winzige Vorgärten und viele schwarz-rot-goldene Fahnen. Auf den schmalen Parkwegen fühlt sich der Wagen an wie die Queen Mary II

aus Stahl gepresst und in wochenlanger Handarbeit veredelt. Der Preis: 340.000 Euro. In seinem Innern spannt sich die Haut von 17 Rindern auf Sitzen, Dachhimmel, Armaturenbrett, Türen. Nur etwa 30 Mulsanne werden jährlich in Deutschland zugelassen. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat unsere Gesellschaft einmal als großes »Neidkraftwerk« beschrieben. Unser Bentley leistet 512 PS bei einem Drehmoment von 1020 Newtonmetern. Ein solches Auto ist kein Alltagsfahrzeug.

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Bentley, Döner, Argwohn (v.l.n.r.).

//// Menschen sammeln sich um Holzkohlegrills. Wir riechen Würstchen und Nackensteak. Aber niemand kommt und lädt uns ein.

Einsam mit 17 Rindern und 512 Pferdestärken.

im Rhein-Herne-Kanal. Plötzlich überholt uns ein aufgeregter Campingmitarbeiter mit freiem Oberkörper auf dem Fahrrad. Nein, das gehe doch so nicht, wir müssten uns erst im Büro anmelden. Das Auto sei ihm übrigens egal, da mache er keine Unterschiede. Wir rollen zurück zum Eingang, wo eine Hütte steht, in der ein Parkwächter sitzt, der vielleicht noch nie gelächelt hat. Wir hätten gerne einen schönen Platz zum Campen, sagen wir. Mit Stellplatz für das Auto. Der Parkwärter runzelt seine furchige Stirn, macht eine verstörend lange Pause und sagt, das gehe nicht. Es sei nichts gegen uns, aber er kenne seine Gäste ganz gut. Er schaut aus seinem Fenster auf den Bentley. Nach längerer Überredung weist er uns dann doch ein Fleckchen Rasen zu, ganz am Rand des Platzes. Unser einziger Nachbar ist ein ausrangierter Wohnwagen, Modell Comtesse. Wir klappen zwei Campingstühle auf und beziehen Stellung. In sicherer Entfernung bilden sich immer wieder kleine Grüppchen von kurzbehosten Urlaubern. Wir lächeln freundlich. Aber keiner kommt näher, winkt oder

begrüßt die neuen Nachbarn. Sie starren nur stumm. Wenn wir aufblicken, ziehen sie sich zurück. Der Mulsanne ist kein neureicher Provokateur wie die kreischenden Lamborghinis und Ferraris. Er inszeniert Macht mit einer einschüchternden Selbstverständlichkeit. Wir spielen unseren letzten Trumpf: Zwei kleine Deutschlandfahnen, die wir in die Fronttüren des Bentley klemmen. Es ist eine Geste an die Gemeinschaft, unser Bekenntnis zur Integration. In den feineren Gegenden des Campingplatzes sammeln sich die Menschen nun um die Holzkohlegrills, wir riechen Würstchen und Nackensteak. Aber niemand kommt und lädt uns ein. Der Bentley-Händler hat uns eine Botschaft mit auf die Reise gegeben: Ganz oben komme es nicht auf Besitz an, sondern auf Werte, auf Menschlichkeit. Auf diesem Stellplatz beschleicht uns der Verdacht, dass wir keine Chance erhalten werden, unsere Menschlichkeit zu beweisen. Wir

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klappen die Stühle zusammen und gleiten vom Platz. Selten haben wir uns so fremd und einsam gefühlt. Und so hungrig. Auf dem Weg zur Autobahn halten wir vor einer idyllisch von Buchen eingerahmten Imbissbude. Sie heißt Dönerplanet. Am Biertisch neben uns sitzen ein paar Jugendliche, die flüstern und kichern und nachäffen, wie wir uns mit dem tropfenden Döner abmühen. Natürlich haben sie unser Auto gesehen. Wir steigen wieder ein, verschwinden hinter den massiven Türen des Mulsanne. Während uns die Sitze sanft massieren und frische Luft durch die feinen Poren unserer Ledersessel den Rücken und das Gesäß kühlt, denken wir über den Tag nach. Wir fragen uns, ob wir immer noch wissen wollen, was Deutschland – dieses Dönerplanetensystem – von uns denkt. Hier, wo die Außenwelt abgedämmt ist, scheint es uns unwichtig. Wir könnten einfach den sanft tickenden Blinker des Mulsanne setzen und auf eine Spur wechseln, die uns dorthin bringt, wo man uns nahe ist.

Massiert und belüftet.

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Josef Ackermann

Gloria von Thurn und Taxis

Geldguru

Fürstin

CHEFSALAT / Das Lieblingsessen der Bosse.

Benedikt XVI. Papst

Marcel Reich-Ranicki Literatur-Endgegner

OBEN //// Machthungrig Laura Hertreiter Thomas Klinger

Heidi Klum

Topmodel-Produzentin

Uli Hoeneß

Helmut Schmidt

Präsident des FC Bayern & Wurstfabrikant

Weltexperte

Alfons Schuhbeck

Patricia Riekel

Sterne-Chef

BUNTE-Bossin

*Was bestellen die Bosse? Die Auflösung servieren wir auf Seite 74. 50

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Halima Krausen findet überall einen Ort zum Beten. Auf der Interreligiösen Konferenz Europäischer Theologinnen in Köln sucht sie in der Spielecke Ruhe, während um sie herum die Diskussionen toben.

OBEN //// Gottesdienst

DIE IMAMIN / Halima Krausen ist eine der wenigen Vorbeterinnen in Deutschland. Obwohl es im Islam nicht vorgesehen ist, betet sie für Männer mit – zum Missfallen konservativer Muslime. »Pray-in« nennt Halima Krausen ihre Taktik, wenn aber der ist weder im Koran noch in einem deutschen die Männer sie mal wieder nicht reinlassen wollen. Wörterbuch vorgesehen. Seit 17 Jahren ist Halima Krausen Chefin der deutschDann betritt sie eine Moschee und fängt direkt an zu beten. Egal wie sehr ihre männlichen Glaubensbrüder zetern und sprachigen Gemeinde in der Hamburger Imam-AliMoschee. Damals ernannte sie ihr sie zum Teufel wünschen – ein muslimisches Vorgänger Iman Razvi nach jahrelanger Gebet darf nur im Notfall unterbrochen werCharlotte Haunhorst den. »Und ein wütender Mann ist absolut Franziska Broich Lehrzeit zu seiner Nachfolgerin. »Seitdem kein Notfall«, sagt Krausen mit ihrem rheinJenny Schäfer sitze ich hier und keiner hat's gemerkt«, ischen Dialekt und lacht kurz und tief. Die Hakan Tanriverdi sagt Krausen und deutet mit dem Finger stämmige Frau mit den runden Brilleneinmal quer durch den Seminarraum der Moschee. Wieder lacht sie abgehackt, so dass nicht deutgläsern und dem weißen Kopftuch mag solche Anekdoten. lich wird, ob es Spaß ist oder Zynismus. Sie zeigen, dass es eigentlich ganz einfach ist, sich gegen die Männer durchzusetzen. Was Halima Krausen täglich Wie jeden Samstag hält Halima Krausen heute die tut, ist nicht selbstverständlich. Die 62-jährige Aachenerin Koranexegese. Neun Leute sind gekommen, darunter vier Männer. Krausen spricht für alle das Gebet. Ihre Handentschied sich mit 14 für den Islam, heute ist sie eine der flächen sind zur Decke gerichtet, die Augen geschlossen. wenigen muslimischen Vorbeterinnen in Deutschland. Vermutlich die Einzige, die auch für Männer das Gebet Krausen und ihre Gemeinde haben in der blauen Moschee spricht. »Imamin« wäre der korrekte Begriff für ihren Job, an der Außenalster Gastrecht. Wer es konservativer mag,

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Oben: Der Dialog zwischen den verschiedenen Religionen ist der Imamin wichtig. Mit der Rabbinerin Lee Wax aus London ist sie bereits seit Jahren auch privat eng befreundet.

//// »Aber Frauen haben im Islam doch gar nichts zu sagen?« Darauf antwortet Krausen: »Was tue ich denn hier die ganze Zeit, verdammt?«

Mitte: Halima Krausen vor der Imam-Ali-Moschee in Hamburg. Unten: Die alten Flip-Flops lässt Krausen in der Fußgängerzone stehen: »Vielleicht möchte die ja noch jemand reparieren«, sagt sie.

geht zu den Iranern nach nebenan. Denen ist eine Frau an der Gemeindespitze zwar suspekt, allerdings hat man sich miteinander arrangiert. »Nur wenn die alle fünf Jahre einen neuen Imam von da unten rüberschicken, muss ich dem erstmal erklären, dass ich hier bleibe«, sagt Krausen. Im Gegensatz zu ihr könnten die meisten iranischen Imame kein Deutsch, das sei ihr Vorteil. In Krausens Exegese-Gruppe ist eher das Arabisch ein Problem. Stockend liest Gemeindemitglied Peter Schütt die Originalsuren aus dem Koran vor. Immer wieder unterbricht Krausen ihn, korrigiert mit donnerndem Tonfall seine Fehler. Schütt nimmt ihr die Ruppigkeit nicht übel, sie kennen sich seit Jahren. Genau wie er ist auch Krausen vom Christentum zum Islam konvertiert. Allerdings mag sie den Begriff »konvertieren« nicht. »Ich habe halt zu Gott gefunden. In welche Schublade er mich am Ende steckt, ist ihm überlassen. Insofern sich mein Chef da oben überhaupt für Schubladen interessiert«, sagt sie und zeigt mit ihrer beringten rechten Hand an die Decke. Ihr Ehemann lebe mittlerweile in Dänemark, sie selbst wohne im Hamburger Schanzenviertel, erzählt Krausen. Dann lacht sie wieder. Und wechselt das Thema. Nach dem Vorlesen der Verse geht es an die gemeinsame Interpretation. Krausen ist Feministin, auch wenn ihr das viele aufgrund des Kopftuches reflexartig absprechen. Sie interpretiert den Koran historischkritisch. Die vielzitierten Passagen über Polygamie und Steinigung sieht Krausen als Fehlinterpretationen einer männerdominierten Gesellschaft. »Der Koran ist wie ein Spiegel: Man schaut hinein und bekommt ein Bild zurück«, sagt Krausen. Sie hat selbst an einer Koranübersetzung mitgewirkt, die Gemeinde respektiert ihre Auslegungen. In anderen muslimischen Zentren sähe das anders aus: »Die Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass eine Frau als Vorbeterin nicht geht. Der Fall in Hamburg ist deutschland- und weltweit eine absolute Ausnahme«, sagt beispielsweise der Korangelehrte Bülent Ucar vom

Szene habe das bereits begriffen, die deutsche weniger. Nach einem Türkischen Tee muss Krausen am Nachmittag in die Stadt. Sie braucht neue Schuhe, der Plastikriemen ihrer Moosgummi-Flip-Flops ist gerissen. Hinkend wandert die Imamin durch die Keupstraße in Köln-Mülheim. Als sie einen Woolworth-Markt entdeckt, freut sie sich riesig. Sie geht an den 8-Euro-Ballerinas vorbei und schimpft, die seien viel zu teuer. Schließlich kramt sie ein Paar lila Flip-Flops aus der untersten Ecke einer Kiste. An der Kasse schauen sie zwei junge Mädchen irritiert an. Als Halima Krausen zurück in die Jugendherberge kommt, ist es spät geworden. Die 62-Jährige ist müde, der schwarze Lidstrich unter den Augen ist verwischt. Ihre Knie sind kaputt, sie kann sich nicht mehr hinknien zum beten, nicht mehr so schnell laufen wie früher. Gerne würde sie ihre Erlebnisse von den unzähligen Reisen und Begegnungen aufschreiben. Vielleicht schafft sie es in ein paar Jahren, wenn sie ihre Aufgaben in der Imam-Ali-Moschee aufgibt. Eine Nachfolgerin hat Krausen nicht aufgebaut. »Vermutlich wird meine Stelle eh zerschlagen, wenn ich weg bin. Soviel kann ein Mensch alleine ja gar nicht arbeiten«, sagt sie und betont, dass sie diese Entwicklung nicht bedauere. Später erzählt sie dann doch noch von zwei potenziellen Nachfolgerinnen, die allerdings mittlerweile lieber den Weg der Wissenschaft eingeschlagen hätten. »Auch wenn sie mir sehr fehlen – vielleicht war es für die Karriere der beiden besser«, sagt Krausen. Nach ihrer Pensionierung möchte sie am liebsten auswandern. Nach Großbritannien zum Beispiel. Sie mag, wie die Menschen dort Verantwortung für ihre Religion übernehmen. »Und dass man da meinen Humor versteht«, fügt sie augenzwinkernd hinzu. Dann versucht sie es trotzdem noch einmal mit einer Anekdote. Bei einer Konferenz sollte sie nach einem Rabbi, einem Priester und einem Pfarrer über die Zehn Gebote sprechen. Alle anderen waren Männer. Nach ihrer Rede meldete sich jemand aus dem Plenum und fragte: »Aber Frauen haben im Islam doch gar nichts zu sagen?« Darauf habe Krausen nur erwidert: »Was tue ich denn hier die ganze Zeit, verdammt?«

Zentrum für Interkulturelle Islamstudien in Osnabrück. Halima Krausen sagt einfach nur: »In Deutschland ist der Islam bisher so wenig geregelt, dass es noch möglich ist, solche Dinge zu tun wie ich.« Später sagt sie dann aber: »Manche wollen mir sicher auch dafür den Hals umdrehen.« Lachen und Themenwechsel. Nach der Exegese kommt ein junges Mädchen aus Indonesien auf Krausen zu. Septyani Paputugan ist in der Runde eine der wenigen Frauen ohne Kopftuch. Ihr Freund hat ihr vorgeschlagen, die Bibel zu lesen. Sie selbst hat nun Angst, sich damit zu versündigen. »Mensch, du hast doch einen eigenen Kopf! Ich habe auch alle möglichen Religionsbücher gelesen!«, fährt die Imamin sie an. Die junge Frau bleibt hartnäckig: »Aber was ist, wenn du stark bist und ich schwach?«, fragt sie. »Nur schwarz und weiß taugt nichts. Sogar ein Computer kann eine Million Farben anzeigen. Und ich sehe doch, dass du klüger bist als ein Computer«, erwidert Krausen. Paputugan freut sich über diese Antwort, künftig will sie öfter in die Moschee kommen. »Ich bin gespannt, wie die Nachbargemeinde auf sie und ihren nicht-muslimischen Freund reagiert«, sagt Krausen später. Ihr selbst sei das »Parteibuch«, wie sie die Glaubenszugehörigkeit nennt, allerdings »völlig wurscht«. Nur wenige Tage später liefert sie den Beweis für diese Aussage. Innige Umarmungen, freudige Aufschreie über das Wiedersehen. Halima Krausen besucht zum zweiten Mal die Interreligiöse Konferenz Europäischer Theologinnen, die dieses Mal in der Jugendherberge in Köln-Riehl stattfindet. Das Thema: »Gewalt gegen Frauen – eine lässliche Sünde?« Feministische Theologinnen aller Religionen nehmen an der Konferenz teil: Rabbinerinnen, Christinnen, muslimische Frauen – viele von ihnen wurden in den letzten Jahren gute Freundinnen der Imamin. Krausen selbst hält in Köln einen Vortrag über den Koran. Sie erklärt ihren Zuhörerinnen, dass Verse, die Frauen benachteiligen, als Gesetze behandelt werden. Verse, die die Gleichheit von Männern und Frauen betonen, dagegen als Philosophie. Die islamische Theologin Myesser Ildem sagt über Krausen: »Halima ist eine Pionierin. Sie ist eine Autorität, auch für Männer.« Die internationale

//// »Die Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass eine Frau als Vorbeterin nicht geht.«

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OBEN //// Klagen auf hohem Niveau

schaften sind die einzigen, die von den Wenn sie auftreten, dann wird es Julia Flüs spannend: Sie machen aus sonst eher Klagen leben. Die Gesellschaften und ihre Marco dos Santos öden Aktionärs-Hauptversammlungen ein Anwälte haben eine große Lobby. Wenn es ihnen nicht in den Kram passt, was Kleinaktionäre tun, großes Spektakel. Karl-Walter Freitag beschimpfte zuletzt den Vorstandschef der Commerzbank. Caterina Steeg, die dann haben sie mehr Möglichkeiten, etwas dagegen zu einzige Frau unter den Berufsklägern, beschwert sich gern unternehmen.« Trotzdem räumt Jochen Knoesel ein, dass in Fäkalsprache. Und Klaus Zapf schillert schon allein sich mancher Aktionär »daneben benommen hat.« Knoesel durch seine Erscheinung: Mit seinem weißen Rauschebart steht übrigens auf Platz vier der Aktionäre, die Theodor sieht er aus wie Karl Marx, nur schäbiger. Das ist aber die Baums in seiner Studie als Berufskläger ausgemacht hat. einzige Gemeinsamkeit mit dem berühmten Kommunisten. Mit neuen Gesetzen versucht die Regierung den Berufsklägern das Geschäft zu vermiesen, bisher mit Freitag, Steeg und Zapf gehören zu den berüchtigsten Berufsklägern Deutschlands. mäßigem Erfolg, wie Theodor Baums meint. Kläger müssen In einer Studie hat der Frankfurter Rechtswissenschaftler zum Beispiel ihre Aktien schon vor der Hauptversammlung besessen haben. Auch die Gerichtsverfahren wurden verTheodor Baums 584 Klageerhebungen im Bundesanzeiger kürzt. Nur nützt das den Unternehmen, die kurz vor der ausgewertet. Dort machen Behörden HandelsregisterInsolvenz sind, nichts. »Wenn eine Aktiengesellschaft am Einträge bekannt. Er fand heraus, dass die Hälfte dieser Grabesrand steht, zählt jeder Klagen von einer Gruppe aus 14 Berufsklägern erhoben wurde. 14 Tag«, sagt Baums. Es ist schwerer geworden, doch erfahrene Berufskläger, die rund 14.000 AktienBerufskläger wie Karl-Walter gesellschaften in Deutschland das Freitag, Caterina Steeg oder Klaus Fürchten lehren. Einige Unternehmen simulieren die Show von Karl-Walter Zapf hält das nicht ab. Seit neuesFreitag in Seminaren, um die Vorstandsmitglieder auf die tem beschränken sich die Berufskläger nicht mehr auf Anfechtungsklagen. Sie finden neue Geschäftsmodelle. Hauptversammlung mit ihm vorzubereiten. »Berufskläger Eines davon sind Klagen als Anleihengläubiger, wie im gibt es schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts«, sagt Baums. Frühjahr 2012 bei dem Holzwerkstoff-Hersteller Pfleiderer Fast so lange, wie es in Deutschland Aktien gibt. »Das und dem Solarunternehmen Q-Cells. »Die Berufskläger Geschäftsmodell ist durch die oft spektakuläre Medienberichterstattung bekannt geworden. Möglich, dass der eine haben Pfleiderer in die Insolvenz getrieben«, sagt Theodor oder andere dadurch auf den Geschmack gekommen ist«, Baums. Der Vorstand von Pfleiderer wollte die Aktionäre dazu bewegen, auf Forderungen von rund 330 Millionen erklärt sich Baums die Blütezeit der Berufsklägerei seit der Euro zu verzichten. Im Gegenzug sollten sie bei einer Jahrtausendwende. geplanten Kapitalerhöhung vier Prozent neue Aktien Schon eine Aktie reicht, um gegen Beschlüsse auf erhalten. Die 75-Prozent-Mehrheit dafür wurde erreicht, einer Hauptversammlung Widerspruch einzulegen. doch eine Gruppe von Minderheitsgläubigern, darunter Dieser Widerspruch ist Voraussetzung für eine Anfechauch Karl-Walter Freitag und Klaus Zapf, klagte dagegen und tungsklage vor Gericht. Will ein Unternehmen zum Beispiel das Kapital erhöhen und ein Aktienbesitzer gewann. Auch Q-Cells-Chef Nedim Cen wollte das Solarunklagt dagegen, entscheidet der Richter, ob das ternehmen auf diese Weise retten. Auch er scheiterte. Peter Dreier ist der Anwalt der Minderheitsgläubiger Unternehmen ein Verfahren abwarten muss. Oft veranvon Q-Cells. »Das Sanierungskonzept basiert auf keiner lasst das die Aktiengesellschaften unter Zeitdruck zu rechtlichen Grundlage. Das Oberlandesgericht hat schon einem Vergleich. Anfechtungsklagen sind grundsätzlich das selbe Konzept im Fall Pfleiderer für nichtig erklärt«, ein wichtiges Instrument für Kleinaktionäre, um ihre rechtfertigt sich der Anwalt. Zehn bis 15 Millionen Euro Rechte durchzusetzen. Ohne diese Regulierung lägen alle Beschlüsse in den Händen der Großaktionäre. forderten die Minderheitsgläubiger. Das Geld sei da gewe»Neben dem räuberischen Aktionär gibt es auch den sen, argumentiert Dreier. Jetzt ist das Unternehmen insolvent und die Berufskläger haben nichts verdient. Allerräuberischen Großaktionär«, sagt Jochen Knoesel, der Vordings gingen allein im ersten Halbjahr 2012 bei den sitzende des Vereins zur Förderung der Aktionärsdemokratie. In seinen Augen existiert das Gewerbe Landgerichten 30 neue Anfechtungsklagen ein. Auch KarlBerufsklägerei gar nicht. »Die Anwälte der AktiengesellWalter Freitag ist wieder mit dabei.

//// »Berufskläger haben Unternehmen in die Insolvenz getrieben.«

REICH DANK VERGLEICH / Schon mit einer Aktie kann ein Berufskläger Konzerne erpressen. Legal. 56

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Eine B dem R Mitter

Hessen hierarchielos //// OHNE OBEN

DIE KASSEL BANDE / 74 Menschen, 10.000 Quadratmeter, eine gemeinsame Kasse. Uli will 16 Zeigefinger sehen, die Hakan Tanriverdi mittragen, bei der niemand übergangen wird, Fingerkuppen sollen nach oben bei der kein Machtmensch seinen Willen zeigen. So können die acht Seminarteilnehmer besser eindurchdrücken kann. Früher wurden die Seminarteilnehmer durch die Kommune bis in die Badezimmer geführt; auch schätzen, wie schwer der zwei Meter lange Stock ist, den während andere Menschen darin duschten. Heute gibt es Uli ihnen auf die Finger legt. Im Teamwork sollen sie ihn keine Badezimmer-Touren mehr. Das ist Konsens. auf den Boden legen. Aber acht Leute bedeutet acht Uli, 58, halb Bart, halb Gesicht, hat die Kommune NieGeschwindigkeiten: Ist man zu schnell, schwebt der Finger derkaufungen mitgegründet. Das war 1983, als 25 Kapitaunter dem Stock, ist man zu langsam, hält man die Gruplismusgegner eine Anzeige in der linken taz schalteten. Sie pe auf. Also beginnt einer der Teilnehmer laut zu atmen. Langsam, als würde er meditieren. Er atmet ein – Stockwollten ein alternatives Leben führen, keinem Chef dienen, starre – er atmet aus, und abwärts gehen die Zeigefinger. kein Rädchen im Getriebe sein. Sie wollten das Formale Die Gruppe findet ihr gemeinsames Tempo. Bis der Stock verbannen, weg mit Hierarchien, weg mit Nachnamen, Uli, am Boden liegt, verstreichen satte sieben Minuten. Uli das reicht. Sie wollten kein Oben kennen und kein Unten, auf Augenhöhe sein, wenn sie miteinander reden. Auf die guckt zufrieden in die Runde: »Wenn man es gemeinsam Anzeige meldeten sich 1000 Menschen, 17 davon nahmen macht, dann dauert es eben länger.« Hab und Gut und zogen nach Niederkaufungen. Die Stöckchen-Übung ist Teil eines Seminars, das Interessierten zeigen soll, worauf es ankommt hier in der größIn der Kommune leben 74 Menschen von monatlich ten politischen Kommune Deutschlands, in Niederkaufungut 50.000 Euro. Das Geld kommt von der eigenen Schreinerei, der Schlosserei, dem eigenen Bioladen, in dem es gen bei Kassel: einen Konsens finden. Eine Lösung, die alle

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für Selbstentfaltung. Pascal hatte ihr Outing als Transsexuelle in der Kommune. Weil das hier möglich ist, weil sie hier von heute auf morgen mit lackierten Fußnägeln und Push-up-BH rumlaufen kann, ohne verurteilt zu werden. Weil es Toiletten gibt ohne Männlein-WeibleinPiktogramm. Alles, was die Kommune zum Outing sagte, war: »Gib uns einfach Zeit, damit wir uns daran gewöhnen können, über dich als eine ›Sie‹ zu sprechen.« Die Kommune ist ein Ort, an dem Menschen sich in Spiegel verwandeln. Man sieht in den Reaktionen der anderen vor allem sich selbst. Wer einen Konsens finden will, muss wissen, wo er steht; das sei ihr politisches Selbstverständnis, sagt Uli. Genau wie die gemeinsame Kasse: ein roter Blechkasten, im Ernstfall knackbar mit dem Fingernagel, ein kleiner Selbstbedienungs-Geldautomat. Birgit, die das Seminar mit Uli leitet, seine Partnerin ist und Postkarten sammelt, auf denen Rosa Luxemburg oder Gandhi zitiert werden, sagt: »Das Funktionieren der Kasse hängt von Transparenz ab.« Also darf jeder Seminarmensch in die Bücher schauen. 50 Euro, Häkchen gesetzt bei Alkohol, Häkchen bei Sonstiges, Bus und Bahn, bei Körperpflege. Wenn eine Kommunardin Geld will, bedient sie sich und schreibt auf, wie viel sie genommen hat. Man könnte die Beträge errechnen, schauen, ob da einer bedeutend mehr ausgibt als der Rest. Das will aber keiner. Nur einmal, als vor 19 Jahren zwei Monate in Folge knapp 6000 Mark fehlten, hat man die Kasse in einen Raum gestellt, der für Nicht-Bewohner abgesperrt ist. »Wir haben uns gefragt, warum eine der Mitbewohnerinnen sich gezwungen sah, Geld zu klauen«, sagt Birgit, die grundsätzlich

500 Gramm Mandelmus für 5,90 Euro gibt, der öffentlichen Kita, einem Altenpflegeheim, das die Kommune betreibt, und wenigen Menschen, die außerhalb der Kommune arbeiten. Der Schreiner, weißer Bart, T-Shirt mit dem Aufdruck ›Kein Mensch ist illegal‹, fräst gerade an einem Beichtstuhl für die Kirche im Ort. »Für eine Kirche zu arbeiten, das wurde bei uns durchaus diskutiert«, sagt Uli. Die Kommune selbst ist religionskritisch. Sie verlangen jetzt einfach mehr als den marktüblichen Preis. Die Kommune ist ein Fachwerkhaus mit angrenzenden Grünflächen und Trampelpfaden. Alte, durchgesessene Sofas, Feuerstellen und sporadisch zusammengeleimte Holzstühle im Garten. Selbst hergestellte Möbel, Parkettböden und Wärmedämmung aus Altpapier im Haus, das Obst und Gemüse fast komplett aus eigenem Anbau. Jeden Tag Essen um 13 Uhr im Gemeinschaftsraum, jeden Dienstag Plenumssitzung. Dahin kommen immer weniger Leute, noch knapp die Hälfte. Der fehlende Glaube, etwas ändern zu können und Überforderung, das seien die Gründe, sagt Uli. Pascal, eine der 74 Kommunarden, war seinerzeit auch überfordert. Sie, früher ein Er, heute lieber gar keine Geschlechtszuweisung, aber wenn, dann sie – also sie hat ein Problem mit einem Mitbewohner. Der hatte verhindert, dass jemand einziehen konnte, den Pascal gerne dort gehabt hätte. Ob Neumitglieder einziehen dürfen, wird gemeinsam entschieden. Ist eine Person dagegen und 73 dafür, dann ist die Antwort trotzdem Nein. Wie bei der Stöckchen-Übung: Einer allein kann die Gruppe aufhalten. Einer allein hat die Entscheidungsmacht und keiner kann etwas dagegen unternehmen. Pascal wollte gerne den Grund wissen. »Ich habe mehrfach mit ihm geredet, aber ich verstehe seine Sicht bis heute nicht.« Pascal wurde aggressiv, hat nicht mehr geredet, sondern gebrüllt, konnte dem Typen nicht mehr begegnen. Aber ein Areal von einem Hektar, 10.000 Quadratmeter, das ist genug Platz, um sich zu meiden. »Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dem Menschen nicht sagen kann, dass er sich ändern muss. Ich kann nur mich ändern«, sagt Pascal. Sie sucht den Fehler jetzt bei sich, fragt, was sie an ihrem Verhalten ändern kann. Der andere sei unverändert: »Ein lauter Mensch, der seine Meinung rumposaunen und andere Leute schlecht machen muss«, so Pascal. In diesen Momenten verlässt sie heute den Raum, anstatt sich aufzuregen. Gewaltfreie Kommunikation nennt sich das. Menschen sollten sich nicht gegenseitig abkanzeln, sagt die DiplomPsychologin und Kommunardin Ina. »Ich muss mich selbst stärken, herausfinden, worum es mir geht.« Die Veränderungen sollen von der Person kommen, nicht von außen aufgedrückt werden. Die Kommune will ein Freiraum sein

in der weiblichen Form spricht. Falls es überhaupt einer von ihnen war – es hätten ja auch die Nachbarn sein können damals. Die wussten von der leichten Beute. David, 25, arbeitet im Bioladen. Ein knochiger Typ, groß, Wildwuchs auf dem Kopf. Während er im Laden steht, beschwert sich eine Frau über die Wassermelone von letztens. Die sei nicht reif gewesen, auf alle Fälle die 2,50 Euro nicht wert. Sie hätte das gerne ersetzt, Eier wären schön. »Alles klar«, sagt David. Die Frau packt die Eier ein, dazu ein Päckchen Saatgut und Bio-Lakritze. Bezahlt wird nicht, David schreibt an. David arbeitet außerdem auf dem Acker. Dort benutzt die Kommune drei Widder, das sind Pumpen zur Wasserbeförderung. Im Frühjahr, wenn es sehr trocken ist, reicht die Energie der Widder nicht aus, um die gesamte Ernte zu bewässern. Also zog einer der fünf Arbeiter aus dem Arbeitskreis Acker los und kaufte eine Benzinpumpe. Er fällte im Alleingang eine Entscheidung für fünf Leute, eine unökologische dazu. David fühlte sich hintergangen, er wusste von nichts. Aber er schwieg erst einmal, wartete die vier Tage bis zur Teambesprechung ab. Bis dahin wandelte sich seine Wut in Verständnis. »Es ist ja nur eine kleine Anschaffung«, sagt er heute. Und die Pumpe werde ja auch nur im Frühjahr eingesetzt, das sei schon okay.

//// Die Kommune ist ein Ort, an dem Menschen sich in Spiegel verwandeln. Man sieht vor allem sich selbst.

//// Sie, früher ein Er, heute lieber gar keine Geschlechtszuweisung, aber wenn, dann sie – also sie hat ein Problem.

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Die Entwickler von Counter-Strike arbeiten ohne Boss. Wie das geht, steht in ihrem Handbuch für neue Mitarbeiter.

chien gibt es nicht, denn die, so heißt es, beschneiden die Kreativität. Selbst Firmengründer Gabe Newell ist nur ein Mitarbeiter unter 300 anderen. Genauer gesagt: »Von allen Leuten bei Valve ist Gabe der, der am wenigsten der Boss ist.« So steht es in dem Handbuch, das jeder neue Mitarbeiter bekommt, um sich im Unternehmen zurecht zu finden. Heroisch-amerikanisch kündigt es den Neuankömmlingen die »tollste Arbeitserfahrung Ihres Lebens« an. Valve kann mehr als Ego-Shooter wie Counter-Strike oder Half-Life. Den größten Teil der Einnahmen generiert mittlerweile die Webplattform Steam, eine Art iTunes für Computerspiele. Selbst die Konkurrenz bietet ihre Spiele OHNE OBEN //// Geteilte Verantwortung dort zum Download an. Valves Firmenwert wird auf über drei Milliarden Dollar taxiert. Dementsprechend groß ist die Verantwortung für den einzelnen Mitarbeiter. Denn keiner sagt, was zu tun ist. »Du wurdest eingestellt, um dir selbständig die wertvollste Arbeit zu suchen, die du tun kannst«, sagt das Handbuch. »Eine hierarchielose Unternehmensführung funktioniert nicht«, sagt Martin Högl, Professor am Institut für Führung und Organisation an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Man könne zwar auf formale Hierarchiestufen verzichten, erklärt er, »aber Reputation und Standing sind immer entscheidend.« Tatsächlich gibt es auch bei Valve Leute, die andere führen, allerdings immer zeitlich begrenzt. Das Unternehmen fürchtet, dass Mitarbeiter, die zu lange in Führungspositionen sind, diesen Status erhalten wollen und sich dafür angepasste Mitarbeiter einstellen. Darunter leide die Kreativität. Darum setzt Valve auf »Shared Leadership«, wie Högl es nennt. Dabei ist jeder mal Führer und mal Geführter, Der Teamleader späht nach vorne, während ihm je nach Fachgebiet. Er sagt: »Insgesamt weichen die HierJared29 in der Felsenhalle Feuerschutz gibt. archien in der Arbeitswelt auf.« Wie bei Valve. Die Firma Maschinengewehrsalven, der Korridor nach draußen ist betreibt deshalb großen Aufwand, um die passenden Mitsauber. Über Funk kommt der Befehl: »Go, go, go!« Jared29 folgt seinem Chef auf den sandigen Hauptplatz der verarbeiter einzustellen – die »intelligentesten, innovativsten, lassenen Wüstenstadt und feuert los. Headshot. Die feindtalentiertesten Menschen der Welt«, wie es großspurig lichen Terroristen haben keine Chance. heißt. Sie bekommen perfekte Arbeitsbedingungen geboDas Computerspiel Counter-Strike folgt klaren Hierten, allerdings gibt es auch Konkurrenzdenken. Denn das archien. Der Boss gibt vor, was die Mannschaft zu tun Gehalt bestimmen die Kollegen. Nach einem genauen hat. Bei der Entwicklerfirma des Spiels, Valve, läuft es Regelwerk schätzen sie einmal im Jahr den Wert, den jeder genau andersherum. »Wir sind Boss-frei Mitarbeiter für die Firma erwirtschaftet. seit 1996«, verkündet das amerikanische Maximilian Zierer Dann geht es für eine Woche gemeinsam in den Firmenurlaub. Unternehmen auf seiner Website. HierarThomas Klinger

//// Der Firmengründer ist von allen Mitarbeitern am wenigsten der Boss.

BOSS-FREI SEIT 1996 / Produktiv arbeiten ohne Hierarchien? Es funktioniert, wie die Macher von CounterStrike beweisen.

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Blick ins Foyer der ehemaligen DDR-Parteihochschule. Investoren wollten hier nach der Wende Luxuswohnungen bauen und gingen pleite.

RUNTER //// Kaderschmiede reloaded

LEBEN NACH MARX

Nun sitzen Dozenten und Absolventen der DDR-Parteihochschule in Chefsesseln von Unternehmen und in Parlamenten. 64

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Sie sollten dem Sozialismus zum Sieg verhelfen.

Uwe-Peter Möller sitzt am NachDaniel Schrödel Rektor. Trotz seiner jahrzehntelangen SEDmittag im Café Sybille an der KarlThomas Klinger Mitgliedschaft und der Professur an der Karl Marx-Allee in Berlin und nippt am ersten Marx betrachtet sich der 67-Jährige nicht als Glas Rotwein, Karl-Marx-Spätburgunder. Zwölf Euro sozialistischen Dogmatiker. »Natürlich gab es dort kostet die Flasche, die aus der Nähe von Trier stammt, wo Stalinisten«, sagt Möller und nennt die beiden ehemaligen die Familie Marx früher Weinberge besaß. »Ich verehre Rektoren Hanna Wolf und Kurt Tiedke. »Viele Dozenten Karl Marx«, sagt Möller. »Zwei meiner Töchter heißen so an der Parteihochschule wussten aber, dass der sogenannte wie seine Kinder: Laura und Jenny.« ›reale‹ Sozialismus auf Dauer nicht überlebensfähig ist«, Möller war Vize-Rektor der DDR-Parteihochschule Karl sagt er. Das hätte aber niemand geäußert, weil die eine Marx. Dort wurde die Elite für den Arbeiter- und BauernHälfte zu feige und die andere zu borniert gewesen sei. staat gedrillt. Kurt Hager, Chefideologe der Sozialistischen Die Vergangenheit an der Karl Marx lässt sich nicht so einfach abschütteln. Das hat auch Petra Pau erfahren. Seit Einheitspartei Deutschlands (SED), besuchte die Kaderschmiede ebenso wie Politbüromitglied Hans Modrow, der 15 Jahren sitzt sie im Deutschen Bundestag. Der Verfassungsschutz beobachtet die Politikerin der letzte SED-Ministerpräsident. Wer in der DDR zu den Mächtigen gehören wollte, ging auf die Hochschule, lernte Linkspartei bis heute. In der Akte Pau wird erwähnt, dass Marxismus und bewies damit seine Linientreue. sie von 1985 bis 1988 an der Parteihochschule studierte. Das sogenannte Rote Kloster verließen aber nicht nur Im Dezember 1992 wurde sie Landesvorsitzende der Partei unbelehrbare Sozialismus-Jünger. Nach der Wende passten des Demokratischen Sozialismus (PDS). Sie forderte in sich viele ehemalige diesem Amt, dass sich die Dozenten und AbsolvenPDS mit der SED-Verganten erstaunlich schnell der genheit auseinandersetzt. neuen Umgebung an. Das Ex-Kader, die der DDR immer noch nachzeigen die Karrieren von trauerten, beschimpften Uwe-Peter Möller, der sie als Nestbeschmutzer. Vizepräsidentin des DeutUmso unverständlicher schen Bundestags Petra sind für Pau die ErmittPau (Die Linke) und des lungen des Verfassungsehemaligen Chefs von schutzes und das Gazprom Germania Verhalten einiger AbgeHans-Joachim Gornig. ordneter. »Ich kann ein Uwe-Peter Möller leigesundes Misstrauen tet heute ein Beratungsgegen Absolventen der unternehmen, das nach Parteihochschule versteeigenen Angaben seit 2005 jährlich zwischen hen«, sagt die 49-Jährige Mitglieder der SED-Jugendorganisationen im »Roten Kloster« zwei und fünf Millionen und fügt hinzu: »Trotzwährend einer Rede des SED-Ideologen Kurt Hager im Jahr 1966. Euro Umsatz erzielt. Dadem gehen vor allem Unibei liest sich seine Biografie wie die eines Paradesozialisten. onspolitiker unsachlich mit meiner Biografie um.« Es sei An seinem 18. Geburtstag, so früh wie möglich, trat er der unverschämt, wenn sie mit Zwischenrufen daran gehindert SED bei. Kurz vor deren Machtverlust wählten ihn die werde, eine Rede zu halten. Sie müsse sich immer noch für Dozenten an der Parteihochschule zum stellvertretenden ihre Vergangenheit rechtfertigen.

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Petra Pau und Uwe-Peter Möller stehen zu ihrer Zeit an der Parteihochschule. Möller ist Mitherausgeber eines Buches über die Schule. Paus Lebenslauf ist online für jeden einsehbar. Die meisten Absolventen versuchen aber, ihre Zeit an der Karl Marx zu vertuschen. Von ihren Ambitionen in der DDR soll niemand etwas mitbekommen. »Sie tarnen sich als Gesellschaftswissenschaftler oder Diplom-Politologen«, sagt Klaus Schroeder, der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Wo sie studiert haben, würden sie selten angeben. Bis zum Mauerfall glaubten sie, nichts könne ihren Weg an die Spitze verbauen. Innerhalb weniger Monate holte die Absolventen jedoch die Realität ein. Im wiedervereinigten Deutschland war das Zeugnis der Parteihochschule ein Karrierehindernis. Heute gibt es von den rund 25.000 Absolventen der Parteihochschule fast genauso wenig Spuren wie vom Schulgebäude. Zuletzt befand sich die Kaderschmiede in Berlin-Mitte. Das Vorderhaus am Köllnischen Park sieht aus, als wäre es mit Plastik verkleidet worden. Fast fensterlos zieht es sich in die Länge. Seit Jahren wird das Gebäude nicht mehr genutzt. Nur der verdreckte rote Teppich im Foyer lässt erahnen, dass hier einmal Eliten einund ausgingen. Der Unternehmer Uwe-Peter Möller hat heute eine Zweitwohnung zwischen Berlin und dem Spreewald. Er sitzt auf einem breiten Ledersofa neben einem riesigen FlatScreen-Fernseher und erzählt, wie er die Parteihochschule bis März 1990 abwickelte und ein Jahr später das Beratungsunternehmen ABU Consult gründete. Dass er sich im Beratergeschäft als Neuling behaupten konnte, verdankte er einem Deal zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow. In der ehemaligen DDR lebten damals hunderttausende Sowjetsoldaten mit ihren Angehörigen. Mehr als 14 Milliarden D-Mark bezahlte die Bundesrepublik, damit sie

so schnell wie möglich abziehen. Dafür sollten Wohnungen errichtet und die Soldaten umgeschult werden. Beteiligt am Millionengeschäft war auch Möllers Beratungsunternehmen ABU Consult. Heute koordiniert der frühere DDR-Wirtschaftsdozent Entwicklungsarbeit in Afghanistan, der Türkei oder Russland. Seine Auftraggeber sind die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Weltbank und die Europäische Kommission. Der PDS ist Uwe-Peter Möller nicht beigetreten. Darauf angesprochen sagt er: »Das selbe glühende Rohr fasse ich nicht zwei Mal an.« Möller wirkt zufrieden mit seiner Biografie. Eigentlich habe er schon in der DDR in der Wirtschaft arbeiten wollen, am Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung. Aber die Partei habe ihn als Dozenten in das Rote Kloster geschickt. Der vielleicht schillerndste Absolvent der Parteihochschule stieg sogar bis zum Chef von Gazprom Germania auf, einem Tochterunternehmen des russischen Gasgiganten Gazprom. Hans-Joachim Gornig ließ sich 1981 am Köllnischen Park seine sozialistische Tauglichkeit bescheinigen. Gornig war letzter stellvertretender Minister für Kohle und Energie in der DDR. Dass sich mit Gas aus dem Osten unabhängig vom politischen System bestens Geld verdienen lässt, dürfte ihm bekannt gewesen sein. Bis 2010 war er Geschäftsführer der deutschen Dependance von Gazprom. Unter seiner Regie wurden ehemalige StasiMitarbeiter in der Führungsetage des Unternehmens eingestellt. Heute lebt Gornig in einem Haus im Berliner Nobelstadtteil Zehlendorf. Auf dem Hof steht ein Mercedes. Es kursieren Schlagzeilen, wonach er in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll. Gornig selbst bestreitet die Vorwürfe. Noch immer arbeitet er als Berater für den russischen Gaskonzern. Wie Uwe-Peter Möller und Petra Pau hat Gornig seinen Platz im wiedervereinigten Deutschland gefunden.

//// »Sie tarnen sich als Gesellschaftswissenschaftler und Diplom-Politologen. Wo sie studiert haben, geben sie selten an. Bis zum Mauerfall glaubten sie, nichts könnte ihren Weg an die Spitze verbauen.«

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Drei DDR-Parteihochschüler, die es geschafft haben: Uwe-Peter Möller (oben) posiert neben dem Café Sybille. Petra Pau (unten rechts) im Bundestag. HansJoachim Gornig (unten links) in Berlin. Damals war er noch Geschäftsführer von Gazprom Germania.

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Regeln regeln //// RUNTER

Fairness

MENSCH ÄRGERE DICH NICHT / Politiker könnten von Spiele-­Erfindern lernen, bessere Gesetze zu machen. Ob Praxisgebühr oder verkürztes Abitur: Gesetze werden schnell beschlossen und nicht getestet. Wirken sie anders als geplant, wird nachgebessert – wieder ohne Testlauf. Darüber kann Max Kobbert nur staunen. Kobbert ist ProMagdalena Schmude Thomas Klinger fessor für Wahrnehmungspsychologie und entwickelt seit 30 Jahren Brettspiele. Das verrückte Labyrinth war sein größter Erfolg. Als Spielautor macht er selbst immer wieder Gesetze: die Spielregeln. Doch die werden mehrfach getestet, bevor sie in Kraft treten. »Man merkt schnell, dass viele Regeln, die man sich ausgedacht hat, nicht funktionieren«, sagt er. Für Kobbert sind Spiele ein gutes Testfeld. Auch komplexe Zusammenhänge können simuliert werden und Dinge, die man im Vorfeld nicht bedacht hat, werden sichtbar. »Die Politik könnte von Spielautoren lernen«, sagt er. Einmal hat ihn ein Politiker tatsächlich danach gefragt, und wenn es nach Kobbert ginge, könnten es mehr sein, die sich an Spielautoren wenden. Denn die haben auch die Bedürfnisse ihres Publikums im Blick, wenn sie Regeln machen. »Man muss darauf achten, was Menschen können und mögen«, sagt Max Kobbert. Spielentwickler Marcel-André Casasola Merkle hat sich ganz konkret damit beschäftigt, was Gesetze und Spielregeln gemeinsam haben. Auch er hält Spiele für ein brauchbares Abbild der Realität. »Viele Prinzipien, die im Kleinen zwischen Menschen wirken, zeigen, was auch im Großen funktioniert«, sagt er. Für ihn ist dabei wichtig, dass jeder motiviert wird, sich freiwillig zu beteiligen und seine besonderen Fähigkeiten einzusetzen. Im Spiel wie im echten Leben müssen Regelsysteme das ermöglichen: »Wenn ein Spiel nicht allen die gleichen Erfolgschancen bietet, abwechslungsreich und bis zum Schluss spannend ist, steigen die Spieler unterwegs aus«, sagt Casasola Merkle. Natürlich gibt es auch große Unterschiede, und keiner der Spielautoren will mit dem Würfel entscheiden, wer demnächst im Parlament sitzt. An ein paar grundsätzliche Regeln der Brettspielentwickler sollten sich Politiker vielleicht dennoch halten.

Spielregeln müssen fair sein. Hat ein Spieler den Eindruck, keine gerechte Chance auf den Sieg zu haben, gibt er innerlich auf. Schon Kleinigkeiten sind wichtig, etwa wer den ersten Zug macht. Ein früher Vorteil kann sich im Verlauf fortsetzen und am Ende entscheidend sein. Die Entwickler tarieren deshalb ein Spiel und achten darauf, dass der Startspielervorteil ausgeglichen wird. Auch im echten Leben sollten die unterschiedlichen Startbedingungen berücksichtigt werden. Wenn jemand nicht studieren kann, weil ihm das finanzkräftige Elternhaus fehlt, ist das systematisch ungerecht. Gute Gesetze sollten solche Unterschiede ausgleichen.

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Selbstbestimmtheit

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Beim Spielen sollen alle Spaß haben. Darauf achten Spielautoren, wenn sie Regeln machen.

Regeln sollten Platz für Entwicklung lassen. Jeder muss die Möglichkeit haben, seine Position durch den nächsten Zug zu verbessern, auch wenn er ganz hinten liegt. In Spielen gibt es deshalb zufällige Elemente wie Würfel oder Ereigniskarten. Im echten Leben verhindern dagegen starre Strukturen, dass es für jeden die Hoffnung auf Erfolg gibt. Ein Arbeitsloser, der keine Aussichten darauf hat, seine Position zu verbessern, resigniert früher oder später. Dabei ist häufig Bürokratie das Problem, etwa beim Weg in die Selbständigkeit. Diese strukturellen Hindernisse müsste die Politik beseitigen.

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Verständlichkeit Regeln müssen vor allem eines sein: einfach. Dauernd in der Anleitung nachlesen zu müssen oder den Sinn des Spiels nicht zu verstehen, macht keinen Spaß. Spielentwickler suchen deshalb nach Regeln, die auch Sonderfälle einschließen und nach einem immer gleichen Muster funktionieren. Gesetze sind dagegen oft unnötig kompliziert, zum Beispiel das Wahlrecht. Erst- und Zweitstimme, Überhangmandate – viele kennen sich damit nicht aus und die Verwirrung bei der Stimmabgabe ist regelmäßig groß. Doch wer das System nicht versteht, geht vielleicht gar nicht mehr zur Wahl, weil er seinen Einfluss für begrenzt hält. Für die Politik heißt das: Die Regeln einfacher machen und Sonderfälle vermeiden, damit jeder seine Möglichkeiten kennt.


RUNTER //// Hamburger Royal a.D.

UNWICHTIG WERDEN / Ole von Beust hat sich freiwillig aus der Politik verabschiedet. Ein Rückblick auf die Macht.

Wer wissen möchte, was aus Hamburgs ehemaligem Bürgermeister geworden ist, muss einfach klingeln. »Rechtsanwälte von Beust« steht am Türschild, eine Treppe führt direkt in seine Kanzlei, Altbau, Stuck an der Decke. Seit einem Dreivierteljahr arbeitet von Beust in den Räumen nahe des Hamburger Hauptbahnhofes. Gebräunt, strohblond und mit schnellem Schritt betritt er das Besprechungszimmer. Darin sind keine Bilder an den Wänden, eine Topfpflanze ist der einzige Farbtupfer im Raum. Hektisch holt er Kaffee für seine Gäste. Seit August 2010 führt Ole von Beust ein Nicolas Diekmann neues Leben. Damals ist er nach neun Jahren als Erster Charlotte Haunhorst Bürgermeister Hamburgs freiwillig zurückgetreten. Jenny Schäfer Herr von Beust, nach Ihrem Rücktritt aus der Politik sind Sie direkt in Ihren alten Beruf als Anwalt zurückgekehrt. Hatten Sie keine Lust auf eine Weltreise? Ich fühlte mich nicht erholungsbedürftig. Für mich war das Amt abgeschlossen. Körperlich am Ende war ich sicher nicht. Außerdem musste ich ja Geld verdienen.

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Aber Ihren Rücktritt begründeten Sie damals mit Amtsmüdigkeit. Das bezog sich auf die tägliche Arbeit. Ich war Neuem gegenüber nicht mehr so aufgeschlossen. Und meine Konfliktbereitschaft war abgenutzt. Die Bereitschaft, Dinge zu tun, die ich für richtig halte, auch wenn die eigene Partei sie für falsch hält. Zuvor hatte mir meine Arbeit viel Spaß gemacht. Aber zum Ende meiner Amtszeit waren die ständigen Bewertungen durch Journalisten für mich zu viel. Es ist richtig, dass Journalisten das tun. Aber es hat mich zu sehr belastet, als dass ich noch Freude an der Macht gehabt hätte.

Ole von Beust in seiner Hamburger Anwaltskanzlei. Direkt nach seinem Rücktritt als Bürgermeister im August 2010 fing er wieder an zu arbeiten. «Ich fühlte mich nicht erholungsbedürftig», sagt er heute.

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Im April 2012 erschien Ihre Biografie. Darin sprechen Sie auch über Macht. Unter anderem schreiben Sie, dass sich immer mehr Menschen in ihrer Funktion überschätzen. Wie kommt das? Die mediale Inszenierung von Menschen wird immer größer. Irgendwann halten die Leute diese Inszenierung für das wahre Leben. Wer das glaubt, ist hoch gefährdet. Die Inszenierung ist ein Selbstzweck. Das ist Unterhaltung, schafft Quote. Wenn Sie Teil der Inszenierung sind und es nicht merken, dann halten sie sich für so bedeutend, wie es Ihre mediale Präsenz ausdrückt. Und dann laufen Sie in die Falle der Selbstüberschätzung.

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Sinkt die Gefahr der Selbstüberschätzung mit dem Alter? Wenn Männer älter werden, ist ihre größte Sorge, unwichtig zu werden. Sie rennen Macht und Einfluss hinterher, da die Annahme entsteht: Mein Leben wird kürzer, mein Status geringer. Wenn Frauen älter werden, dann sind sie oft gelassener.

Hatte Heide Simonis zu wenig Distanz zu ihrem Amt als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein? Sie wurde ja auch im vierten Wahlgang nicht zur Ministerpräsidentin wiedergewählt. Eine Demütigung, der sie sich dort freiwillig ausgesetzt hat. Ich glaube, sie hatte auch Angst vor dem, was danach kommt. Frau Simonis hat das ja nett ausgedrückt, als sie sagte: ›Und was wird aus mir?‹ Das war ja eine Freud'sche Fehlleistung, weil man merkte: Die Angst vor der Vorstellung, die Macht nicht mehr zu haben, war groß. Die Angst ohne Aufgabe, ohne Bedeutung dazustehen.

ihres Tuns entnehmen sie den Medien. Einfach, weil Sie keine Zeit mehr haben, mit normalen Menschen zu sprechen. Sie leben in einem Kokon mit 2000 Menschen. Das ist eine Welt, die von der normalen sehr losgelöst ist. Davon Distanz zu wahren, fällt schwerer als in der Landespolitik. Wie lang dauert es, bis die Bodenhaftung in Berlin verloren geht? Das ist eine Typfrage. Es gibt Leute, die befriedigen Macht und Einfluss an sich. Das ist nichts Ehrenrühriges. Manche Politiker lieben den Status. Die finden es toll, im Dienstwagen vorzufahren. Ich habe es häufig bei Delegationsreisen mit Führungskräften aus der Wirtschaft mitbekommen, dass manche ein Totalprogramm von morgens um sieben bis abends um elf Uhr wollten. Nicht weil das Programm sie so interessierte, sondern weil sie nichts mit sich anzufangen wissen. Manche Menschen würden nie Jeans anziehen und durch die Stadt gehen. Wenn sie ein solcher Typ sind, fällt es auch schwerer, Distanz zu wahren.

Sie reden über andere, nicht über sich. Bei mir ist das ja auch nicht so. Mich interessiert Status überhaupt nicht. Solange ich gesund bin, genügend zu tun habe, gutes Geld verdiene und mich seelisch ausgeglichen fühle, ist mir Status völlig wurscht. Warum ist vielen Berliner Politikern Status und Macht nicht wurscht? Viele kleben seit Jahrzehnten an ihren Stühlen. Die Berliner Welt ist eine andere als die Hamburger. Wenn Sie in der Bundespolitik sind, dann sind sie ein Bestandteil eines Systems, das für sich selbst lebt, ob Sie wollen oder nicht. Sie gehen nur noch mit Politikern oder Journalisten essen. Die Bewertung

//// »Von bestimmten Ministern weiß ich, dass sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr wussten, wie eine EC-Karte funktioniert.«

Würden Sie also sagen, dass Sie zu den Guten zählen? Nein, das nicht. Ich bemühe mich darum, aber man wird immer wieder auf die Probe gestellt. Manchmal ist die Lüge bequemer als die Wahrheit und keiner merkt, wenn Sie lügen. Dann müssen Sie überlegen, welchen Weg Sie gehen.

Warum ist eine Figur wie der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg derart an der Macht gescheitert? Ich glaube, bei ihm ging alles zu schnell. Er wurde Opfer seiner eigenen Wirkung. Dabei ist er ein sympathischer Typ. Guttenberg ist unglaublich nett und wir haben immer gut gelacht. Allerdings ist meine Erfahrung, dass man keinen i-Punkt auf das i machen sollte. Weniger ist manchmal mehr. Die Presse will solche Leute, will Homestorys machen. Da sollte man Distanz wahren. Guttenberg hat die Distanz verloren aufgrund der enormen Popularität.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie ein Mensch sind, der auch verdrängt. Lügen Sie sich selbst etwas vor, was den Machtverlust angeht? Das glaube ich nicht. Ich merke einfach, dass ich mich besser fühle. Man kann nicht über Monate autosuggestiv sagen, mir geht es besser als vorher. Was ich verdränge, sind menschliche Enttäuschungen. Wenn Leute Intrigen geschmiedet oder Zusagen nicht eingehalten haben. Dann denke ich nicht lange darüber nach oder sinne auf Rache.

Auch Ole von Beust war zu Amtszeiten stets von der Presse umringt. Das Verhältnis der Bundespolitiker zu den Medien bezeichnet er rückblickend als «Kokon».

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Wie geht es den Kollegen, die freiwillig aus der Politik ausgeschieden sind? Ich kenne keinen Politiker, dem es mit dem freiwilligen Abgang schlecht geht. Wenn man allerdings abgewählt oder – schlimmer noch – von der eigenen Partei gestürzt wird, ist das ganz schön hart. Daran haben viele zu knabbern.

Gab es trotz aller innerer Distanz, die Sie zur Macht hatten, etwas, das Sie nach Ihrem Rücktritt neu lernen mussten? Eine Busfahrkarte kaufen. Bis dahin hatte ich immer einen Fahrer. Aber ich habe auch vorher schon viel selbst gemacht. Von bestimmten Ministern weiß ich, dass sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr wussten, wie eine EC-Karte funktioniert. Wenn sie vorher Geld gebraucht haben, hat die Sekretärin das organisiert. So etwas konnte ich dann doch noch selbst.

Was braucht man denn überhaupt für Charaktereigenschaften, um nach oben zu kommen? Sie müssen Menschen mögen. Ein reiner Zyniker oder ein sehr misstrauischer Mensch hat es viel schwerer, mächtig zu werden. Und sie brauchen Unterstützung. Unterstützt werden sie von den Leuten nur, wenn die das Gefühl haben: ›Der nimmt mich ernst, der mag mich, dem kann ich vertrauen.‹ Der introvertierte Zyniker, der das vielleicht nur als Spiel sieht, kriegt in der Demokratie nur ganz schwer Macht.

Ole von Beust hat keine Zeit mehr, er muss noch einen potenziellen Klienten zurückrufen. Prüfend schaut er auf sein Nokia-Handy, Typ Antennentelefon, tippt darauf herum. »Eines der wenigen Überbleibsel aus meiner Zeit als Bürgermeister«, sagt von Beust. Davon trennen konnte er sich nicht.

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UTE MACHTGESCHICHTEN SCHLUSSBLICK //// Sternstunden

Nicht immer war die Macht mit uns. Einige Anekdoten von unseren Recherchen.

//// Heilige Haushälterin Thema Macht und Religion, wen könnte man fragen? Den Papst? Hab' ich keine Nummer. Seine Haushälterin? Könnte schon eher klappen. Ingrid Stampa kochte vor Jahren mal den Kaffee des Heiligen Vaters. Die Musikprofessorin ist immer noch eine enge Vertraute von Benedikt XVI. Ich rufe im Staatssekretariat des Vatikans an. Die Dame am Empfang spricht aber nur Italienisch und Spanisch. Nächster Versuch mit Mitschüler Max, Zweitwohnsitz Barcelona. »No la conozco.« Sie kennt Stampa nicht. Ich wende mich an eine Korrespondentin in Rom: »Ja, so ist das beim Vatikan, der funktioniert nicht wie das Bundespresseamt.« Franziska Broich

//// Arroganter Anzugträger Wer über Karl Albrecht recherchiert, kassiert dabei mehr Absagen als der Aldi-Gründer Euros. Dem Golfhotel Donaueschingen war es aber zu wenig, einfach die Standardabfuhr rauszuhauen. Stattdessen schickten sie mir beim Verlassen des Geländes einen Anzugträger im Audi hinterher. Der bremste vor mir im Kiesbett, stieg aus und blaffte: »Haben Sie eben diese Reportershow abgezogen?« Dabei wollte ich nur wissen, ob Karl noch Golf spielt. Martin Schneider

//// Frierende Freizügige Sonntagmorgen, Münchner Opernplatz. Um 6.30 Uhr steht der Künstler Spencer Tunick auf einer Hebebühne und brüllt mit einem Megafon 1700 Menschen an. Alle sind nackt, golden und rot angemalt und rekeln sich bei zehn Grad um eine Statue. Ein Mann, der die Macht hat, Menschen nackt auf den Opernplatz zu bringen? Ideal! Das Problem: Den meisten war es egal, wer da ins Megafon brüllt. Sie wollten einfach nur nackt sein. Mit 1699 Fremden, bei Nicolas Diekmann zehn Grad, sonntagmorgens. Aha.

//// Starke Stammtischbrüder Einen Platzhirsch für die Fotostrecke? Kein Problem, dachte ich mir, das Hofbräuhaus ist das natürliche Habitat von Stammtischbrüdern. Unseren fünf (schwerhörig, bärtig, grantelig) dauerte aber der Kulissenaufbau eine Etage drüber zu lang. »Mach' ma nimma.« Was tun? Zwei Tische weiter saß eine Schafkopfrunde. Rote Köpfe, halbleere Weißbiergläser, prächtige Laune. »Freili, spui ma obn weida.« Schafkopfer sind die besseren Platzhirsche. Julia Flüs

* Auflösung Chefsalat

Im Uhrzeigersinn: Josef Ackermann: Sushi – Gloria von Thurn und Taxis: Rinderbrühe – Marcel Reich-Ranicki: Rührei – Helmut Schmidt: Kaffee und Kippe – Uli Hoeneß: Kalbsgeschnetzeltes und Spätzle – Benedikt XVI. : Pfannkuchensuppe – Patricia Riekel: Schokoladenkuchen – Alfons Schuhbeck: Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat – Heidi Klum: Sauerkrautsuppe.

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