kolb chronik

Page 1


D R . W E R N E R K O L B U N D S E I N E D R . W. K O L B A G .


Für meine Frau Maria und meine Kinder Esther, Susanne, Katrin und Christine. Für meine ersten Aktionäre Ernst Lips, Max Früh, Oskar Krebs, Peter Schafroth, Eduard Kolb, René Thommen, Doris Vest, Walter Huber. Für meine Mitarbeiter/Innen, Partner, Kunden und alle, denen ich den Erfolg des Unternehmens verdanke.


Markus M채der

D R . W E R N E R K O L B U N D S E I N E D R . W. K O L B A G . Vom Dreimannbetrieb zum mittelst채ndischen Chemieunternehmen.


Š Dr. Werner Kolb, 2000


«Nicht ganz ohne Stolz schaue ich auf die erstaunliche Entwicklung der Fabrik zurück. Gleichzeitig aber auch mit ein bisschen Wehmut. Durch die rosa Brille erscheinen die guten alten Zeiten, als man die Schläuche noch mit Draht zusammenband und wo ein neuer Tank von riesigen zehn Kubikmetern Inhalt innerhalb einer Woche aufgestellt wurde.» Dr. Werner Kolb


I N H A LT S V E R Z E I C H N I S EINLEITUNG Augenschein in der Fabrik Prozesse und Produkte Sicherheit Forschung und Entwicklung

10 10 11 12

E R S T E R T E I L . D I E P I O N I E R Z E I T. B I S 1 9 7 0 Eine Jugend mit einem Freund und Chemie Pionierromantik Die Aktiengesellschaft des Dr. W. Kolb Der erste Bau Prozesse mit Jugendfreund Hefti und späte Versöhnung Die ersten Mitarbeiter Heinrich Guggenbühl Werner Kolb als Vertreter in eigener Sache

15 16 17 18 19 20 21 22

Z W E I T E R T E I L . D I E Z E I T D E S U N A U F H A LT S A M E N W A C H S T U M S . 1 9 7 0 B I S 1 9 9 1 Wachsen fast wider Willen Schäume sind die Alpträume der Papierindustrie. Filzwaschmittel für die Papierindustrie Mehr Umsatz mit weniger Wasser Was ist Etoxylieren Nichtionische Tenside Versuche mit Sorbitol Fünfundzwanzig-Jahr-Jubiläum Über Sicherheit und Risiko sowie die Lust am freien Unternehmertum

48 49 49 50 50 50 51 51 52

DRITTER TEIL. DAS UNTERNEHMEN IN DER ZWEITEN GENERATION. 1991 UND DANACH Esther Dale-Kolb übernimmt das Unternehmen. Neue Pionierzeit in Moerdijk, Holland Bauzeit Betriebsaufnahme Rezession als Chance Qualität als höchster Anspruch seit der ersten Stunde Neuerungen in der Produktion Blick zurück

66 67 67 68 68 69 69 79


Dr. Werner Kolb am 1. Juli 1964


EINLEITUNG 1964 hat Dr. Werner Kolb in Hedingen die Dr. W. Kolb AG gegründet. Als Herstellerin von Entschäumern und Filzwaschmitteln für die Papierindustrie sowie von nichtionischen Tensiden für die Kosmetik und Waschmittelindustrie entwickelte sich der Dreimannbetrieb in wenigen Jahren zu einem mittelständischen Unternehmen mit einem ausgezeichneten Ruf weit über die Region und die Landesgrenzen hinaus. Die dynamische Gruppe gewann sehr rasch einen umfangreichen Kundenstamm in Europa und in den USA. Kundennähe, Sicherheit und Qualität zum Vorteil der Umwelt und des eigenen Teams haben die rasche Entwicklung möglich gemacht. Zu den rund 800 Produkten kommen je nach Kundenbedürfnissen laufend neue, auch individuelle Produkte dazu. Seit 1991 liegt die Geschäftsführung des Familienbetriebs in den Händen von Werner Kolbs ältester Tochter Esther Dale-Kolb. Im gleichen Jahr fiel der Entscheid für eine Schwestergesellschaft in den Niederlanden. Die Dr. W. Kolb Nederland B.V. in Moerdijk südlich von Rotterdam konzentriert sich auf die Herstellung von Grossmengenprodukten im Tensid-Bereich. Verkauf, Einkauf, Forschung und Entwicklung werden in Hedingen für beide Werke getätigt. – Seit 1995 gehört auch die Tochterfirma Kolb Asia Pte. Ltd. mit Sitz in Singapur zur Kolb Gruppe. Die Dr. W. Kolb AG gehört zu den grössten Industriebetrieben im Säuliamt. Die Kolb Gruppe bildet eine multikulturelle Einheit mit rund 200 Mitarbeitern, mit Produktionsstätten in der Schweiz, den Niederlanden und mit beachtlichen Aktivitäten in Asien.

Heizung die Lichter angehen, beginnt der Arbeitstag von Felix Christof – und der Tag der Dr. W. Kolb AG. Als Heizer hat er bis 06.00 für alle Autoklaven 155 Grad heissen Dampf mit 6 bar Druck aufzubereiten. Ohne Dampf läuft fast gar nichts. Um ihn zu erzeugen, braucht es zwischen 3000 und 4000 Liter Heizöl pro Tag. Je nach Qualität kommen noch bis zu 700 l Altöl dazu. Während der Heizer in den Overall steigt, erklärt er, was geschieht, wenn er die Hebel in Bewegung setzt. Die Dampfkessel zur Erhitzung der Chemikalien in den Autoklaven verdampfen gut und gern zehn Tonnen Wasser pro Stunde. Die Abgase werden nach neuesten Methoden mit einem Katalysator gereinigt, bevor sie in die Atmosphäre entweichen. Zur Schonung der Nasen der Nachbarn und der Umwelt. Um die Autoklaven wieder zu kühlen, dient Wasser, dessen Hitze zur Heizung der Vorratstanks und der Gebäude abgezweigt wird.

PROZESSE UND PRODUKTE Die eigentliche Produktion verläuft für Aussenstehende unspektakulär. Weil fast alles vollautomatisch abläuft, sind kaum Leute an den Apparaten zu sehen. Der Weg führt durch menschenleere Gänge, treppauf und treppab über Gitterrostböden zu den Arbeitsplätzen, die eher Überwachungsplätze sind. In den universell einsetzbaren Autoklaven verschiedener Grösse reagieren die Komponenten miteinander und bilden neue chemische Verbindungen mit veränderten Eigenschaften. Dabei werden gefährliche Stoffe wie Ethylenoxid und Propylenoxid unter allen möglichen Sicherheitsmassnahmen zu harmlosen Verbindungen verarbeitet. Autoklaven waren von Anbeginn das Herzstück des Unternehmens. Ein Autoklav (Reaktor) ist ein in sich geschlossener Behälter zur Druckerzeugung. Heute sind es sieben mit einem Gesamtfassungsvermögen von achtzig Tonnen. Die kleineren mit einer bis vier Tonnen dienen der Herstellung von Spezialitäten. Die grösseren mit bis zu zwanzig Tonnen sind den Volumenprodukten vorbehalten. Sie werden in Hedingen zweimal und im holländischen Moerdijk vier- bis fünfmal täglich gefüllt, um pro Tag rund hundertsechzig Tonnen zu etoxylieren. Das sind monatlich 3000 Tonnen oder gut und gern tausend Bahntankwagen voll. Dazu kommen die vier bis fünf 25-Tonnen-Autoklaven in Moerdijk mit nochmals 4500 Tonnen im Monat. Das sind 50 000 Tonnen pro Jahr oder 1000 Eisenbahnwagen voll. Einer der Hauptrohstoffe ist Ethylenoxid. Es ist vielseitig verwendbar, aber anspruchsvoll, was die Sicherheit der Handhabung betrifft. Mit Ethylenoxid, Propylenoxid, Fettalkoholen, Fettsäuren, Aminen usw.

AUGENSCHEIN IN DER FABRIK Inmitten üppiger Schweizer Wiesen und Felder gelegen, ist Hedingen eine ländliche Gemeinde im Schweizer Mittelland geblieben. Eher ein Dorf als ein Stück der Agglomeration Zürichs, und doch muss man die Dr. W. Kolb AG in Hedingen suchen. Mitten im Dorf, gleich hinter dem Bahnhof und einigen schmuck herausgeputzten Bauernhäusern, liegt die Fabrik fast etwas versteckt. Kaum zu glauben, dass so zentral eine moderne Industrieanlage mit Verwaltung und Produktion von beträchtlichem Ausmass Raum findet. Kessel und Röhren, grosse und kleine, dicke und dünne, aus Chromstahl und Aluminium, und wo man hinschaut: Türme von farbigen Fässern. Was da hergestellt wird, ist einer «Chemischen» nicht anzusehen, aber dass Volumenprodukte und Spezialitäten in kleineren Mengen hergestellt werden, wird erst auf den zweiten Blick klar. Wenn morgens um 05.40 in der

10


lassen sich auf Kundenwunsch die verschiedensten Produkte, vor allem nichtionische Tenside herstellen. Sie verändern die Oberflächenspannung des Wassers. Je nach Produkt lässt sich ihre Wirkung im Wasser mit Entschäumen, Emulgieren, Benetzen, Reinigen, Schäumen, Entfetten oder Waschen beschreiben. Ein bedeutender Produktionszweig ist die Herstellung von wässrigen Dispersionsentschäumern, die einen entscheidenden Beitrag zur störungsfreien Produktion in Papier-, Kartonund Zellstoffindustrie leisten, indem sie Schaum und Lufteinschlüsse bekämpfen. Der so genannte «Betrieb II» von 1980, einst für die Sorbitolherstellung geplant, ist heute der Produktion von Entschäumern und Spezialitäten im Bereich der nichtionischen Tenside vorbehalten. Hier werden Rohstoffe für Textil-Wasch- und -Veredlungsmittel, für Haushaltreiniger, Abwasch- und Geschirrspülmittel oder für Haarshampoos und Duschgels und Kosmetikcrèmes erzeugt. Sie basieren auf pflanzlichen Ölen und Fetten sowie auf Zuckerderivaten und tragen bei vielen Produkten zur Verbesserung der Anwendungsqualität bei. Unter dem gleichen Dach arbeitet die Pastillieranlage von 1996. Sie formt vor allem für die kosmetische Industrie Ester und Fettalkoholetoxylate, die schon bei rund 40 Grad schmelzen, zu erbsengrossen, popcornartigen Kügelchen. Der Prozess für alle Produkte ist in allen Autoklaven der gleiche: Etoxylieren, und in einem etwas weiteren Sinn: Alkoxylieren. Im Grunde haben sich Werner Kolb und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Leben lang auf einen einzigen Vorgang konzentriert: aufs Etoxylieren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es zeigt sich, dass es sich auszahlt, einen erfolgreich eingeschlagenen Weg immer weiter zu Ende zu gehen. Wer immer das Gleiche macht, muss fast notgedrungen Überlegenheit erreichen, was die Qualität der Produkte und die Sicherheit bei der Herstellung betrifft. Als zweiter Prozess hat sich später die Veresterung dazugesellt. Vor allem die Verbindung von Fettsäuren mit Sorbitol (unter Abspaltung von Wasser) hat sich für die Anwendung in der Kosmetik und in der Textilindustrie bestens bewährt. Der Kern des Betriebs, wenn auch heute nur noch ein Nebenschauplatz, bleibt das Urgebäude von 1964: In seiner Winzigkeit ist es kaum mehr zu finden am Rande der grossen Fabrik. Auf Flugaufnahmen verschwindet es in den neueren Bauten wie ein Bauklötzchen in einer Grossstadt. Das Wachstum der Dr. W. Kolb AG in etwas über dreissig Jahren ist kaum vorstellbar. Nicht zu glauben, dass die Bauindustrie in so kurzer Zeit so viele und grosse Gebäude hinstellen kann. «Jedes Mal, wenn da etwas verändert wird, reisst man mir ein Stück Herz aus dem Leib», sagt Werner Kolb. Ein bisschen sieht es in dem Schuppen immer noch aus, als hätten wir Daniel Düsentriebs Erfinderküche betreten. Reihenweise

stehen Mischkübel unter einem Gewirr von Röhren und Kesseln. Hier ist noch die alte Treppe, die Kolb für einen Fünfliber dem AbbruchHonegger abkaufte, dort das Labörchen und die Entwicklung, und dieses kleine Räumchen, das jetzt mit Alarmanlagen vollgestopft ist, war das Büro, in dem Kolb und Heinrich Guggenbühl, sein lebenslanger «Kampfgenosse», gemeinsam das Richtige taten, damit die Firma über sich hinauswachsen konnte. Was die beiden damals anpackten, war bei aller Improvisation auf Dauer angelegt. Hier ist noch einiges wie in den ersten Tagen: zum Beispiel das Second-Hand-Toiletten-Abflussrohr, das sich über dem Putz vom ersten Stock ins Erdgeschoss windet und seit bald vierzig Jahren noch nie einen Tropfen nach aussen sickern liess. Die Wahl des Areals hatte Werner Kolb mit weitem Blick in die Zukunft getroffen. Für den Transport von kleinen Mengen seiner Produktion in den Anfangszeiten reichten Tank-Lastwagen aus. Als der Betrieb eigendynamisches Wachstum annahm, konnte vor allem für die gefährlichen Rohstoffe nur noch die Bahn mit den grossen Tonnagen umgehen. Der Bahnhof Hedingen liegt nah. Und siehe da, zum Anschluss ans Netz der Schweizerischen Bundesbahnen brauchten nur einige wenige Meter Schiene verlegt zu werden. In den ersten Jahren rollte die Fracht in Kesselwagen von Rollschemeln aus. Ein Bremser stoppte die halsbrecherisch wirkende Fahrt meist zentimetergenau am Ende eines Stumpengeleises. Als die Volumen zunahmen, schufen Rohstoffleitungen die Verbindung von den Produktionsanlagen zu den Bahnhofgeleisen. Ein einziges Rohr genügt, um eine ganze Reihe von Rohstoffen fliessen zu lassen. Fachwort Molchleitung. Ein Gummizapfen, der den Innenraum des Rohres lückenlos ausfüllt, reinigt die Leitung, bevor eine andere Fracht hindurchgepumpt wird.

SICHERHEIT Seit seinen ersten, studentischen Erfahrungen mit den Tücken «seines» chemischen Prozesses wurde stets unter äusserster Vorsicht gearbeitet. So hat er in der Firma seines Namens ein Verfahren entwickelt, bei dem während des ganzen Vorgangs keine Abgase in die Umwelt abgeleitet werden. Das Sicherheitsdispositiv hat sich bewährt. In den über dreissig Jahren seines Bestehens hatte das Unternehmen keinen einzigen nennenswerten Unfall zu verzeichnen. Dass die Betriebsfeuerwehr auf der Höhe ihres Könnens und einsatzbereit ist, und überdies kantonaler Kontrolle untersteht, versteht sich von selbst. Die Feuerwehrkittel, Helme und Handschuhe liegen in Reih und Glied für den Ernstfall griffbereit. «Einsatzleiter, ich melde. Alle bereit.» Innert Sekunden haben sich über dreissig Mann Besatzung mit den modernsten Mitteln ausgerüstet, um

11


kleine Brände zu löschen – wo das Feuerwehrpikett der Gemeinde nach seinen fünf bis zehn Minuten Anmarschzeit einem unlöschbaren Grossbrand gegenüber stünde. Aber noch rascher, als je ein Mensch eingreifen kann, werden die kleinen roten Flaschen mit Löschpulver, die sich in verschiedener Zahl und Grösse auf den Autoklaven befinden, aktiv: die Explosionslöscher; sie reagieren so schnell und wirkungsvoll, dass sechs Stück à 16 kg Ammoniumphosphat unter 60 Atmosphären Druck ausreichen sollten, um eine Explosion auch in einem ZwanzigTonnen-Autoklaven im Keim zu ersticken. Aber eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Als 1997 eine hohe Stichflamme aus dem grössten Kessel Hedingens in den Himmel schoss, fuhr dem alten Meister, der von seinem Büro aus zusah, der Schrecken in die Knochen. Werner Kolb wird noch heute leicht käsig, wenn er davon erzählt: «Ich sah schon das Schlimmste voraus, doch bevor ich mir die Folgen ausmalen konnte, sackte die Flamme in sich zusammen. Es war bei einer Verpuffung geblieben. Der Autoklav hatte sich gute dreissig Zentimeter gestreckt, aber geplatzt war er nicht. Verletzt wurde niemand. Wenn das ein nennenswerter Unfall gewesen sein sollte, dann bloss für die Hauszeitung und fürs Lokalblatt.» Weil Sicherheit oberste Priorität hat, wird auch dem Etylenoxyd in den Lagertanks grosse Beachtung geschenkt. Kommt die Flüssigkeit einmal in Brand, läuft die Verbrennung auch ohne Zufuhr von Sauerstoff ab. Einzig Wasser kann Etylenoxyd löschen. Deshalb sind die Lagertanks bei Dr. W. Kolb AG, weltweit einmalig, von einem Wasserbad umgeben: in Hedingen genauso wie in Moerdijk.

tet spezielle Kundenprobleme. Ein viertes Labor übernimmt die zentrale Analytik für die anderen drei Labors sowie für die Kunden. Allein in die Analytik werden heute hunderttausende von Franken gesteckt. Hochdruck-Flüssigchromatographie, Gaschromatografie und andere kostspielige Messmethoden zur Feststellung von Verunreinigungen wurden für jedes chemische Unternehmen zur Pflicht, nachdem sich in den ersten zwanzig Jahren der Dr. W. Kolb AG keine Behörde um Details gekümmert hatte. Dann machten analytische Spezialisten aus ihrer Leidenschaft Vorschriften. Die Kosten hat der Unternehmer. Je höher die Anforderungen wurden, von Seiten der Behörden genauso wie von Seiten der Kunden, begann Dr. W. Kolb AG in seinem «Papierindustrie-Entwicklungslabor» mit der Entwicklung eigener Apparaturen. In der «Technischen Geräteabteilung» wird diese «Hardware» für die Anwendung der Flüssigkeiten hergestellt. Eben alles, was es braucht, um die Chemikalien der Dr. W. Kolb AG sparsam und wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen. Kleine Förderpumpen für die Filzwaschmittel, Dosierungseinrichtungen, acht bis zehn Meter lange Spritzrohre für die Filzwäsche usw., damit der Kunde von einem einzigen Ansprechpartner eine komplette, in sich stimmende Lösung erhält. So ist das KLG Kolb Luftmessgerät das erste und beste auf dem Markt, das die Menge der Luft in flüssigen Stoffen nachweisen kann. Seit Ende der Achtzigerjahre trägt dieser Produktionszweig als Dienstleistung am Kunden einiges zum Unternehmenserfolg bei. Aber eine Chemiefabrik allein gibt noch keine Chemiefabrik her. Verwaltung, Auftragsabwicklung, Spedition, Werkstatt, Personaldienst, Kantine und andere Dinge kommen dazu. Wie viel man outsourcen soll? Alles, ganz oder teilweise? Bei Dr. W. Kolb AG hat sich das Selbermachen bis heute meistens als die günstigste Lösung erwiesen. In der Hausschlosserei reparieren, warten und revidieren ein halbes Dutzend Leute alle anfallenden Teile. Eine Argon-Schweissanlage mit dem nötigen Drum und Dran ... Ein undurchschaubares, fensterloses Betongebäude, etwas abseits gelegen, ist mit einer ächzenden Metalltür verschlossen. Warnung beim Öffnen: Da drin riecht eine Kläranlage. Das Abwasser-Auffangbecken in der Grösse eines stolzen Hotelswimmingpools dient gleichzeitig als Feuerwehrbecken. In den 550 m3 Wasser drehen sich langsam zwei Tauchtropfkörper: mächtige Zylinder, in denen sich die organischen Substanzen biologisch abbauen. Bis zur Fertigstellung der betriebseigenen Kläranlage wurde das Abwasser über Auffangbecken geführt und in der Gemeindekläranlage von Zwillikon gefiltert. Das heisst, seit der Gründung des Unternehmens hat Werner Kolb dem Schutz der Umwelt eine ungewöhnlich hohe Priorität eingeräumt.

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG Eine Chemische Fabrik ohne wissenschaftlich arbeitende Labors gleicht einem Autoklaven ohne Druck. Die Dr. W. Kolb AG verfügt über alles, was es braucht, um neue Produkte für den Markt auszutesten und die Qualität bis aufs Nanogramm zu überprüfen. Spezialistinnen und Spezialisten unternehmen Versuche mit Reagenzgläsern und Bunsenbrennern, wie sie jedermann vom Chemieunterricht kennt. In den Kilolabors entwickeln sie praktische Vorgehensweisen, und mit unscheinbaren, aber komplexen elektronischen Geräten messen sie, ob die Ergebnisse den höchsten Anforderungen des Qualitätsmanagements entsprechen. Im Labor zur Qualitätskontrolle werden die Rohstoffe, die Zwischenprodukte und Fertigfabrikate geprüft. Ein zweites Labor entwickelt nichtionische Tenside und Ester. Der Schwerpunkt hier liegt in der Synthese kundenspezifischer Alkoxylate, Ester und endgruppenverschlossener Niotenside. Ein drittes Labor entwickelt Papier-Prozess-Chemikalien. Es formuliert und prüft die Applikationen neuer Produkte und bearbei-

12


Landkauf in Hedingen für Fr. 25.– pro m2


Erstes Auftragsbuch


E R S T E R T E I L . D I E P I O N I E R Z E I T. B I S 1 9 7 0 Der alte Herr war von der Arbeit so angetan, dass er grosszügig übersah, in wie wenigen Monaten Werner Kolb sie zu Ende gebracht hatte. Der Geigerzähler, den der cand. chem. für seine Messungen selbst gebaut hatte, war in den ETH-Labors noch lange als Schaustück zu bewundern. Vor allem die Mechanik des Zählwerks beeindruckte die Besucher: es hatte gut und gern Offizierskistengrösse. Werner Kolbs Freund Hansruedi Hefti hatte unterdessen andere Pflichten, aber Werner blieb ihm während all der Jahre verbunden. Hansruedis Vater Fridolin besass in Zürich-Altstetten einen kleinen Chemiebetrieb. Der alte Fridolin Hefti hatte Pyramidon und Antipyrin, Heroin und Morphium hergestellt. Als Mitglied der Bundeskommission für Betäubungsmittel kämpfte Fridolin für strenge Bestimmungen, die aber kaum je sein eigenes Unternehmen trafen. Mit seinem starken, gewissenhaften Charakter lebte er seine unternehmerischen Visionen wie seine alkoholischen Exzesse etwas allzu weit aus – bis er eine Strafe einfing. Sie gab seinem Leben eine verblüffende Wende. Unter dem Einfluss seiner Mutter wurde Fridolin Hefti fromm. Vor lauter Frömmigkeit ging das Unternehmen beinahe in Konkurs. Nur dank «Doron» kam es über die Runde. «Doron», das griechische Wort für «Gottesgeschenk», diente als Markenname für Buchdruckerwalzen – bis der Sohn Hansruedi und Werner Kolb eingriffen. Ab 1951 führten sie Heftis väterliches Unternehmen gemeinsam, um es mit neuen Produkten wieder erfolgreich zu machen. Werner Kolb hatte schon während des Studiums zu nächtlichen Stunden gemeinsam mit Hansruedi in der väterlichen Fabrik experimentiert – und gleich mit allen Tücken der Chemie Bekanntschaft geschlossen. Schon bei der allerersten Arbeit, der Herstellung von NonylphenolEtoxylat für die Papierindustrie. Etylenoxid ist selbst ohne Sauerstoffzufuhr von aussen hoch explosiv. Das war Werner Kolb zwar sehr wohl bewusst. Ganz vorsichtig füllte er Nonylphenol in den Autoklaven, gab Ethylenoxid dazu, mehr und mehr, je 200 Gramm, je 250 Gramm, je 300 Gramm, und – wumm. Ein geplatzter Autoklav macht ein Labor zu einem Desaster – und bringt die Erfahrung fürs Leben. Bei anderen Versuchen hatten die beiden Freunde gemeinsam ein Rezept zur Herstellung von Sorbit entdeckt. Sie liessen es weltweit patentieren. Mit gutem Grund. Sorbitol war gefragt auf dem Markt und fand Anklang bei den Kunden. Anfang der Sechzigerjahre, nach rund zehn Jahren also, machten bei Hefti rund 30 Arbeiter gute zehn Millionen Umsatz im Jahr. Das war nach aussen ein überzeugendes Ergebnis, aber hinter den Fabrikmauern lief menschlich nicht mehr alles ganz rund.

EINE JUGEND MIT EINEM FREUND UND CHEMIE Dass Werner Kolb Chemiker wird, war ihm bald einmal klar, sobald er erkannte, wie vielseitig und spannend die Arbeit seines Vaters war, der ebenfalls Chemie studiert hatte. Dass er mit fast vierzig ein eigenes Unternehmen gründen würde, hat ihn aber dann wohl selbst am meisten überrascht. Seine Begabung zum Unternehmer war lange verborgen geblieben. Anders als bei seinem Zwillingsbruder Eduard verlangte das Gymnasium von Werner fleissige Arbeit. Obendrein war Werner schüchtern. Die ganze Schulzeit hatte er sich um jeden Vortrag gedrückt. Bloss nicht vor vielen Leuten reden müssen. Erst in der Offiziersschule und später in der Zunft lernte er, seine Ideen zu formulieren, Leute zu begeistern, Freunde zu gewinnen. Da erwachte sein beruflicher Ehrgeiz. Geboren ist Werner Kolb (Sohn von Rosa und Jakob Kolb-Huber) 1924, aufgewachsen am Stadtrand in Zürich-Altstetten, dem Limmattaler Stadtquartier, das damals noch ein Bauerndorf war. Auf seinen ausgedehnten Wiesen stiegen Heissluftballone und Drachen. Im Winter konnte man vom Waldrand bis zur Hauptstrasse schlitteln. Das und einiges mehr, was Buben sich aushecken, um ihre Jugend mit Abenteuern und Streichen vergnüglich zu machen, genoss Werner Kolb mit seinem Zwillingsbruder Eduard, seiner zwei Jahre älteren Schwester Doris und seinem Jugendfreund Hansruedi Hefti in vollen Zügen. Die drei Jungen besuchten gemeinsam die Schule, vom Kindergarten über alle Grundschulklassen und das Gymnasium bis zur Matur, und als es um die Wahl eines Studiums ging, brauchten sich Hefti und Kolb nicht lange Gedanken zu machen. Die Wegweiser zeigten unmissverständlich Richtung Zürich. Zur Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH und zur Uni in Zürich. Weil rundherum der Zweite Weltkrieg tobte, kam dem Militär besondere Bedeutung zu. Werner liebte die Übung an den Waffen, den Umgang mit Kameraden, er suchte den Erfolg vorerst weniger im Feld der Forschung und Entwicklung, weniger im wirtschaftlichen Kampf als auf dem Feld draussen in einem von feindlichen Truppen umzingelten Land. Der Aktivdienst als Soldat konnte ihm nicht genügen. Gerne und erfolgreich aspirierte er für die Offiziersschule, worauf es galt, den Grad «abzuverdienen»: nochmals 17 Wochen fern von Hörsaal und Labor. Wer weiterkommen wollte, hatte ein Semester Chemiestudium in vier Wochen hineinzupacken und die gesamten Vorlesungen in Nachtstunden nachzulesen. Er tat es und erreichte sein Ziel als Offizier wie als Dr. chem. «Über die Radioaktivitätsmessung als analytische Unter-suchungsmethode für Mineralwasser» lautete das Thema bei Prof. Dr. W. D. Treadwell.

15


Hansruedi Hefti war schon immer schüchtern und introvertiert gewesen. Nun wich er den Konflikten immer öfter aus, indem er sich Zeit ausbedingte, um Gott um Rat zu fragen. Wie der Vater, hatte unterdessen auch der Sohn den Weg zum Glauben gefunden, und der führte weg von den Menschen. Gott wäre wohl unfair gewesen, wenn er bei Meinungsverschiedenheiten nicht regelmässig dem gottesfürchtigen Hansruedi Recht gegeben hätte – nicht nur zum Vorteil des Betriebs. Bald wurde die Arbeit so schwierig, dass Werner Kolb auf eigenen Beinen zu stehen beschloss. Er suchte einen Standort für eine Fabrik: nicht zu weit vom Haus in Unterengstringen und zu einem vernünftigen Quadratmeterpreis. Für die ersten Vorbereitungen zur Produktion reichte der heimische Grund und Boden. Esther Kolb, Werners älteste Tochter, welche heute die Dr. W. Kolb AG in der zweiten Generation führt, erinnert sich an die Zeit: «Als ich elf Jahre alt wurde, veränderte sich einiges in meinem Leben grundlegend: Mein Vater ging nicht mehr wie gewöhnlich zur Arbeit, sondern er baute sich in der Garage ein Mini-Labor auf. Das heisst, auf der Hobelbank standen ein Trockenschrank, Reagenzgläser und Erlenmeyer. Wir Kinder durften jeweils nach der Schule beim Abwaschen der Glaswaren mithelfen. Unsere Nachbarn wunderten sich über den Chemiker, der in seiner Garage experimentierte, und zogen ihren Hund so schnell wie möglich an der Gefahrenzone vorbei. Bald hatten unsere Sonntags-Familienausflüge und Picknicks nur noch ein Ziel, nämlich die Baustelle in Hedingen ... Mit Stemmeisen und Zuckerbroten versuchte mein Vater, den Wagen ins Rollen zu bringen.»

noch weitere Herausforderungen annehmen konnte. In der ohnehin überfrachtetsten Zeit gründete er die Reitgesellschaft an der Limmat, die er zehn Jahre lang präsidierte. Damit nicht genug. Fast gleichzeitig gründete er auch die Reitgesellschaft in Fehraltorf und übernahm die Präsidentschaft für drei Jahre. In jenen Jahren absolvierte er überdies eine beträchtliche Zahl seiner 1100 Militärdiensttage. Seit 1957 kam die Mitgliedschaft in der Letzizunft dazu. Seine Ämter als Reiterchef und später als Zunftmeister machten ihm zwar ungetrübt Spass, doch verlangten sie einiges an zeitaufwendiger Arbeit. Geschäfte haben weder die Zunft noch die Reitergesellschaften gebracht, aber politisch wären die Steigbügel bereit gewesen. In der Zunft hat er erfahren, in welchen Zwangsjacken vor allem die höchsten Politiker ständig stecken. Deshalb bevorzugte er vor allem die «kleineren» Ämter. Solange er sein Unternehmen führte, reizten Werner Kolb immer wieder Nebenaufgaben in «unchemischen» Unternehmen. Noch bis vor wenigen Jahren amtierte er in der Aufnahmekommission der Zunft. 1980, in der politisch «chaotischen» Zeit der «Bewegung» in Zürich, gehörte er zu den Initianten einer Aktion auf dem Münsterhof, an der auch der populäre SVP-Mann Christoph Blocher seine Meinung vertrat. Eine Schrift der Letzizunft zu Ehren von Dr. Werner Kolb, dipl. Ing. Chem. ETH, Zunftmeister von 1972 bis 1982 und Ehren-Zunftmeister, beleuchtet diese Episode der Zürcher Geschichte: «Als Vertreter der freien Marktwirtschaft macht ihm der «Staatsinterventionismus» jeglicher Art und Schattierung immer wieder zu schaffen, und als Verfechter des liberalen Rechtsstaates litt er sichtlich unter den schweren Unruhen. Da seine ungezählten persönlichen Gespräche mit «Leuten aus der Bewegung» keine greifbaren Erfolge zeitigten, gründete er unter immensem eigenen Einsatz und ohne Scheu, sich selbst zu exponieren, zusammen mit gleichgesinnten Freunden das «Komitee für Recht und Ordnung» (KRO). An einer «Landsgemeinde» auf dem Lindenhof riefen er und seine Tochter Susann die Jugend zur Anerkennung und Achtung unseres Rechtsstaates auf.» Werner Kolbs Schlosser stellten den «Schutztrupp». Die Männer konnten offensichtlich noch anderes als Maschinen zerlegen und wieder zusammenmontieren. Sie hatten die Lage unter Kontrolle. Trotz «bewegten» Diskussionen bis morgens um fünf gab es nicht eine kaputte Scheibe. – 1982 wurde Werner Kolb in den Gemeinderat seiner Wohnortsgemeinde Unterengstringen gewählt. Aber zurück zu den Anfängen.

PIONIERROMANTIK Oft kulminieren Leben in ganz wenigen Jahren. Alles gelingt, und hinterher ist unbegreiflich, wie man so vieles auf einmal machen konnte. Bei Werner Kolb konzentrierten sich die verschiedensten Aktivitäten auf Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre. Er sei ein «Spätzünder» gewesen, sagt er. Mit vierzig erst gründete er sein Unternehmen. Aber es war nur ein kleiner Anfang von etwas Grossem, das bis heute nicht aufhört zu wachsen. Warum hat er eine eigene Firma gegründet? Äussere, vor allem personelle Zwänge sprachen dafür. «Einfach einmal hineinspringen und schauen, ob man schwimmen kann», sagte er sich, und wagte den Sprung. «Wenn das Fabriklein da unten läuft», sagte er sich, «bin ich zufrieden.» Die ständige, bis heute glücklicherweise unbegründete Angst, dass der Betrieb einmal stillstehen könnte und rund 200 Leute ihre Arbeit verlieren, kannte er damals noch nicht. Seine Energien waren gross genug, und seine Tage lang genug, dass er neben der Belastung einer Unternehmensgründung unbeschadet auch

16


D I E A K T I E N G E S E L L S C H A F T D E S D R . W. K O L B Im ersten Werk von 1964 hatten Produktion, Werkstatt, Labor und Büro – der ganze Betrieb – in einer Stahlträgerhalle von 35 m Länge auf 12 m Breite Platz. Am 11. März war die Dr. W. Kolb AG ins Handelsregister eingetragen worden. Die Produktion begann im August mit einer Mischung von Schalöl zum Bestreichen der Holzschalbretter, die es zum Bau von Betonmauern braucht – und mit einem Prozess. Jugendfreund Hansruedi Hefti klagte wegen zu ähnlicher Produktion: Werner Kolb habe das Konkurrenzverbot verletzt. Aber davon später. Erst brauchte es Geld, und das lag für Jungunternehmer schon damals nicht auf der Strasse. Das Aktienkapital von anfangs Fr. 350 000.– musste Werner Kolb aus privaten Quellen zusammentragen. Von den Banken waren wie heute kaum Kredite zu erwarten, aber auf Freunde und Verwandte konnte Kolb sich verlassen. Ein Zunftkollege, der Verwalter der SBG-Filiale in Altstetten, gewährte eine Sicherheit von Fr. 50 000.–. Das war ein verheissungsvoller Anfang. Also weiter so: Telefonieren, Essen gehen, Leute einladen. Werner Kolb baute sein Chemiewerk auf sein chemisches Wissen – und ebenso solide auf die zwischenmenschliche Chemie. Eine Freundschaft mit ihm hat sich im Nachhinein fast immer als eine Freundschaft auf Lebenszeit und als Quelle der Geldvermehrung erwiesen. Es sollte keinen gereuen. Aber dass das so war, konnte damals noch nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden. Deshalb haben alle ersten Aktionäre des Unternehmens immer wieder ein Lorbeerkränzchen verdient. Allein das Prinzip Hoffnung verspricht ihnen Erträge auf ihren Einsatz. So brauchte es auch im Fall der Dr. W. Kolb AG eine handverlesene Schar von Optimisten, die einem geistigen «Spätzünder» am späten Ende seiner ersten Lebenshälfte Vertrauen schenkten, um dem Gründer den Start im Wettbewerb der Wirtschaft zu sichern. Werner Kolb setzte ein Eigenkapital von Fr. 150 000.– ein. Die andere Hälfte des Aktienkapitals teilten sich Freunde und Verwandte. Max Früh, Drogist in Märwil und eine Art Onkel für Werner Kolb, machte Fr. 50 000.– locker. Zahnarzt Walter Huber, ein leiblicher Onkel, Fr. 30 000.–. Architekt Ernst Lips aus Altstetten, der bereits Kolbs Eigenheim gebaut hatte und dann die erste Fabrik in Hedingen erstellte, leistete Fr. 50 000.–. Apotheker Peter Schafroth, der wie Hansruedi Hefti mit Werner Kolb den Kindergarten, die Primarschule und das Gymnasium besucht hatte, trug Fr. 20 000.– bei. Die Schwester Dr. Doris Vest und der Zwillingsbruder Prof. Dr. Eduard Kolb, unterdessen AltenglischPhilologe an der Uni Basel, gaben je Fr. 15 000.–. Alles zusammen ergab das eine beträchtliche Summe, aber noch nicht genug für eine neue Fabrik. Ein Pionier braucht mehr als Geld. Neben

Mut zum Beispiel auch das nötige Material. René Thommen, Alteisenund Autohändler in Kaiseraugst, der über ein paar ausgediente Chemikalienapparate verfügte, war ein Freund aus den ersten Jahren bei Hefti. Er kaufte seine Aktien nicht mit Franken, sondern gab einen alten Autoklaven und eine stattliche Reihe von Kesseln im Gegengeschäft für Aktien zum Nennwert von Fr. 30 000.–. Der Wert heute: mehr als das Zehnfache. René Thommen besitzt sie immer noch. Und Werner Kolb hat sich von seinem ersten Autoklaven genauso wenig getrennt. Er ziert den Hof vor dem Haupteingang in Hedingen. Abgetakelt als historisches Monument. Geschäfte sind damit nicht mehr zu machen. Aber als Blumentopf wirkt er beglückend nostalgisch. Ein Zeichen, dass Aktien der Dr. W. Kolb AG wie Freundschaften währen. Von Anfang an besass Werner Kolb stets die Aktienmehrheit. Nur knapp, aber entscheidend. 51% reichen, um alle Fehler auf eigene Verantwortung selber zu machen. Auch als er das Kapital erhöhte. Damals waren die Aktionäre so freundlich, ihm zahlreiche Aktien zum Nominalwert abzutreten. Das war eine Grosszügigkeit, die dem Geschäft ausserordentlich zugute kam. Später hat Werner Kolb so viele wie möglich zurückgekauft. Das Stück für Fr. 11 000.–. Oft konnte er nicht zugreifen. Die Aktionäre von damals behielten ihren Anteil oder vererbten ihn ihren Kindern. Im Aktienbuch von 1997 sind die wichtigsten Aktionäre zusammengestellt. Das Aktienkapital beträgt Fr. 800 000.–. Davon fallen Fr. 650 000.– auf das Unternehmen in Hedingen und Fr. 150 000.– auf die Produktionsstätte Dr. W. Kolb B.V. in Moerdijk, Holland. Mit Nominalwerten von Fr. 1000.– bis Fr. 7000.– erfreuen sich eine ganze Kolonne von Erstzeichnern am Gedeihen des Unternehmens. 1991, als sich Dr. W. Kolb exakt im Pensionierungsalter von 65 aus den operativen Geschäften zurückzog, erwarb seine älteste Tochter Esther Dale-Kolb 51%-Mehrheit. Damit verfügt Dr. Werner Kolb noch über 250 Stück à Fr. 1000.–. Die neue Hauptaktionärin besitzt 402 Stück. Mit einem fundierten Erbvertrag konnten auch die anderen Töchter zufrieden gestellt werden. Esther Dale-Kolb führt heute die operationellen Geschäfte, während sich W. Kolb auf beratende und repräsentative Funktionen sowie auf die Rolle des Verwaltungsratspräsidenten zurückgezogen hat. Ein Erbvertrag, der die familiären Besitzverhältnisse detailliert regelt, ist von allen vier Kindern sowie von der Mutter unterschrieben. Sinn des Vertrages ist es, in gegebener Zukunft alle Beteiligten wieder gleichzustellen.

17


DER ERSTE BAU Bereits die Urzelle der Dr. W. Kolb AG erscheint als rechte Fabrikhalle, wenn man genug nah davor steht, und noch viel mehr, wenn man drin steht. So schlecht sah sie nicht einmal aus. Von Anfang an nicht. Architekt Ernst Lips bewies, dass er nicht nur Eigenheime, sondern auch chemische Fabriken zu planen verstand. Hier die Halle für die Autoklaven, dort die Labors für Forschung, Entwicklung und Prüfung, alles einfach, unspektakulär, zugegeben, aber völlig zweckmässig. Geräumig, mit grossen Fenstern und hoher Decke, hatte sie, was es braucht, um nach den Versuchen in der Garage «den Wagen ins Rollen zu bringen». Das Besondere einer Epoche wird meistens erst im Nachhinein deutlich. Im Widerspruch zu einer Gegenwart, die immer Neues ganz anders anpackt. Die Anfänge waren pionierhaft. Es klingt, wie wenn Entwicklungshelfer aus dem schwarzen Kontinent erzählen. Um Erfolg zu haben, darf man den Spezialisten nicht alles glauben und muss die Ärmel hochkrempeln. Zum Glück darf sich Werner Kolb einer dicken Haut rühmen: «Es braucht ein ziemlich scharfes Messer, um sie anzukratzen.» Zum Vorteil eines Unternehmens, meistens schon in der ersten Stunde seines freien Daseins. Der Konstrukteur der Halle erwies sich als Unfachmann. Wenn es nach ihm und dem Geologen gegangen wäre, würde Dr. W. Kolb heute noch auf den ersten Spatenstich warten. Die beiden verlangten die Abschottung der Strasse gegen Grundwasser. Ein teures Unterfangen, das sich ein Unternehmer nicht leisten kann, schon gar nicht, bevor das Unternehmen den ersten Franken eingebracht hat. Kolb zeigte, wie Pioniere ihre Werke anpacken, und machte es so, wie es der gesunde Menschenverstand auch einem Fachmann geboten hätte. Er grub Löcher mit dem Trax, dort wo die tragenden Säulen hineinkommen sollten. Und er sah auf einen Blick, was der Geologe mit tausend Gutachten nicht hätte haben wollen: Erde und Torf. Fünf Meter tiefer lag Kies, in dem sich etwas Sickerwasser bildete. Ein idealer Baugrund. Na also. Hinein mit den Säulen, allen warnenden Stimmen zum Trotz. Zur Freude des Unternehmers. Keinen Millimeter hat sich das Gebäude in einem Drittel-Jahrhundert verschoben. Bloss der Fussboden wirkt etwas schwabblig, weil die Erde darunter nicht ausgehoben wurde. Dafür war das Werk nur wenige Wochen nach Baubeginn schon bereit, den Betrieb aufzunehmen. Wo es zu improvisieren galt, erwies sich Werner Kolb als Meister. Dass die einfachsten und günstigsten Lösungen oft auch die praktikabelsten sind, wusste er aus militärischer Erfahrung. Das Prinzip funktionierte auch im zivilisierteren Leben. Die Treppe ins Labor stammte für einen Fünflieber von AbbruchHonegger, das Plastik-Toilettenrohr, das heute noch funktioniert, klebte Dr. W. Kolb eigenhändig zusammen. Weil diese Kleinigkeiten auf ein

Prinzip verweisen, ist er darauf beinah so stolz wie auf sein ganzes Unternehmen. Schliesslich sind die Rohre bis heute absolut dicht, was ja durchaus auch anders sein könnte, wenn man bedenkt, was da jeden Tag alles hindurchfliesst. Am 1. Juli 1964 begann Werner Kolb mit der Produktion ziemlich genau dort, wo er bei Hefti in Zürich-Altstetten aufgehört hatte. Mit Entschäumern für die Papierindustrie: sie tragen bis heute entscheidend zum Volumen bei. Damals waren es natürlich erst wenige Tonnen im Tag. Der alte Autoklav von Alteisenhändler Thommen war zu klein, um mehr herzugeben. Aber gross genug, um mit den anfangs bescheidenen Bestellungseingängen rechtzeitig fertig zu werden. Einem eigenen Schlosser war zu verdanken, dass der rostende Kessel wieder gebrauchstüchtig wurde. Und wie gebrauchstüchtig. Zwanzig Jahre lang tat er seinen Dienst. Aus seiner Produktion floss Entschäumer in die ersten Tankwagen und das erste Geld in die Kasse. Werner Kolb war stolz auf sein Werk, aber das Echo der Grossen klang ernüchternd. «Ja, ja» sagte ein Besucher von Ciba-Geigy, als er vor den alten Kübeln und Leitungen stand: «So fängt halt eine Chemiefabrik an.» Kolb hätte ihm gerne den Hals umgedreht – aber ihn noch lieber zur Zusammenarbeit überzeugt ... Schon im zweiten Betriebsjahr kamen neue Autoklaven dazu. Ein Fünftönner und zwei Zehntönner, alle drei mehrmals so gross wie der erste. Eine der ersten und wichtigsten Anschaffungen war der Dampfkessel: JOWA, eine Tochter der Migros, bot ein Exemplar auf dem Gebrauchtwarenmarkt an: gutes altes Eisen, sauber genietet wie in ComicHeften, inklusive Pumpen und Öltank für sage und schreibe Fr. 2000.–. Kolb schlug zu. Gelegenheiten muss man beim Schopf packen, wenn sich der Schopf zeigt. Wäre es allerdings nach dem beschränkteren Vorstellungsvermögen des Dampfkesselbesitzervereins gegangen, der damals die Betriebsprüfungen abnahm, wäre das gute Stück abgewrackt worden. Aber Pioniere haben ein Auge für neue Möglichkeiten. Werner Kolb und seine Mitarbeiter demontierten den Kessel in Meilen eigenhändig, um ihn nach Richterswil in die Kesselschmiede zu bringen. Die Schläge der Hämmer auf die leer widerhallenden Metallwände waren jeweilen im ganzen Dorf zu hören. Die Kesselschmiede von Richterswil liebten ihr aussterbendes Handwerk. Sie vernieteten die Bleche wieder comme il faut. Jetzt brauchte der Oldtimer nur noch am neuen Standort eingemauert zu werden. Durch ein zehn Zentimeter dickes Rohr wurden die heissen Abgase in kaltem Wasser gekühlt, das seinerseits nun schon vorgeheizt war, um rascher in Dampf verwandelt zu werden. Eine Art TurboDampfkessel war geboren. Zur Isolation reichte einfache Glaswolle, um einen Wirkungsgrad zu erreichen, der den bescheidenen Ansprüchen des

18


PROZESSE MIT JUGENDFREUND HEFTI UND SPÄTE VERSÖHNUNG Mit der Gründung der Dr. W. Kolb AG sollte die Freundschaft mit Hansruedi Hefti alsbald in Feindschaft umschlagen. Der Prozess mit ihm hing seit dem Eröffnungstag als Drohung über der Fabrik. Der Verkehr lief bald nur noch schriftlich und über Anwälte. Hefti klagte Dr. W. Kolb wegen Verletzung des Konkurrenzverbots ein: den Privatmann Werner Kolb im Bezirksgericht Zürich, die Firma Dr. W. Kolb AG zuerst im Bezirksgericht Affoltern, dann am Handelsgericht in Zürich. Sich mit juristischen statt mit chemischen Prozessen herumzuschlagen, war nicht das, was ein Chemiker sich wünscht. Chemikalien mochten gefährlich reagieren, aber so unergründlich wie Richter waren sie nicht. Auf Hansruedi Heftis Klage plombierte ihm der unternehmenslustige Gerichtsvollstrecker kurzerhand sämtliche Kessel der Hedinger Fabrik. Wer weiss, was es kostet, eine neue Fabrik, noch bevor sie richtig angelaufen ist, stillstehen zu lassen, ahnt die Wut im Bauch von Werner Kolb. Sein Rechtsempfinden war zutiefst verletzt. Seine Zukunft stand auf dem Spiel. Kolb musste erfahren, dass Gerichte nicht ganz so unparteiisch sind, wie sie sich gerne geben. Weder in ihrer Gunst noch in ihrer Ungunst. Um sein Vertrauen in die Justiz nicht ganz zusammenbrechen zu lassen, war vor der Plombierung der Friedensrichter von Hedingen so nett gewesen, Werner Kolb zu warnen: Er solle alle wichtigen Dokumente in Sicherheit bringen, bevor die Gerichte sie beschlagnahmen könnten. Noch war nicht alles verloren. Zum ersten Lichtblick kam ein zweiter. Der Zufall wollte es, dass Oblt. W. Kolb ein paar Wochen zuvor mit Brigadier Brandenberger die Stellungen der Panzerabwehrkanonen an der Grenze besichtigt hatte. Brandenberger hatte nicht nur Kolb sympathisch gefunden, sondern er war auch Chef der EMPA. Kolb rief ihn an, um ihm die Wildwestmethoden «seines» Bezirksgerichts vor Ohren zu führen. Die Folge: die Plomben wurden alsbald wieder entfernt. Aber nur vorläufig. Ein Brief Brandenbergers ans Bezirksgericht Affoltern brachte Brandenberger von Affoltern eine Rüge ein. Es gehe ihn nichts an. Gleichzeitig veranlasste er die Entfernung der Plomben. Denn gerade hatte der Affolter Bezirksanwalt Dr. Stauffacher seine Feder gespitzt, um für das Problem eine Lösung zu finden. Er hatte nichts gegen Kolb, im Gegenteil, aber er hatte seine anwaltlichen Pflichten, und die hiessen: wieder plombieren. Kolbs Zukunft als Unternehmer hing buchstäblich an einem Faden. Der Faden musste weg. Es galt sofort zu handeln, sofort eine Lösung zu finden. Werner Kolb war geladen wie ein Autoklav im Augenblick der Reaktion. Dr. Stauffacher musste ans Telefon. Und Dr. Stauffacher hatte zu schweigen, während Kolb sprach. Bloss zuhören musste er, und gehorchen. Zwei geschlagene Stunden redete Kolb durch den Hörer auf Dr. Stauffacher ein, erklärte, argumen-

Hauses mehr als genügte. In den besten Kesseln damals ergab ein Kilo Öl bis zu zwölf Kilo Dampf. Werner Kolbs restaurierte Antiquität brachte es auf beachtliche zehn Kilo Dampf. Selbst der behäbige Dampfkesselbesitzerverein liess sich eines Besseren belehren: Er gab die Betriebsbewilligung gleich für zehn Jahre. Ein Jahr nach der Grundsteinlegung lief das Unternehmen, als wäre es schon immer gelaufen. Die Tanklaster fuhren vor, einer nach dem andern: auf einer frühen Foto des ersten Fabrikalbums ist gleich ein ganzer Fuhrpark miteinander zu sehen. Die verschiedenen Transporteure fuhren miteinander um die Wette. Später hat die Firma Furrer in Hedingen das ganze Kontingent übernommen. Transportiert wurde immer das Gleiche: Entschäumer für die Papierherstellung und Netzmittel für die Seifenindustrie. Ans Gute erinnert man sich lieber als ans Schlechte. Besonders, wenn einen sonst niemand mehr daran erinnert. Aber das Schlechte sei dennoch nicht verheimlicht, zumal das gute Ende kleine Fehler in Heldenstücke verzaubert. Mangels Erfahrung in den Anfangsmonaten erzeugte eine kleine Nachlässigkeit so viel Druck im Kühlmantel eines der neueren Autoklaven, dass eine Explosion die Blechverschalung wegriss. Ein Explosiönchen, um genauer zu sein, aber explosiv genug: Fenster gingen in Trümmer, das Dach sprang von den Trägern, aber der Polizei kam gar nichts zu Ohren. Nachtschicht für die ganze Belegschaft. Schon am nächsten Tag sah alles wieder aus, als wäre nie etwas Ungeplantes geschehen. Die drei Leute im Raum hatten unglaublich Glück gehabt. Sie waren Ohren- und Augenzeugen des einzigen Zwischenfalls bei Dr. W. Kolb vom ersten Tag an bis heute ... Nein, nicht ganz. Den Freunden von Eisenbahnunglücken aus der Frühzeit des Schienenverkehrs bei der Dr. W. Kolb AG sei auch das nicht verschwiegen. Zumal die Täter nicht bei Kolb, sondern bei der Bahn zu suchen waren. Zum Beispiel, als der Lokführer einen Tankwagen wegzog, dessen Inhalt noch durch den Schlauch floss – auf die Strasse. Dabei muss man wissen, dass es sich um Ethylenoxid handelte, das bei zehn Grad Celsius siedet und sich an einer glühenden Zigarette entzündet. Aber die Gefahr verdampfte spurlos, glücklicherweise. Die Rollschemel, auf denen die ersten Tankwagen über eine Mini-Geleise aufs Areal gefahren wurden, waren ohnehin nicht über allen Tadel erhaben. Die Güterbahnarbeiter hatten die Technik nicht immer vollkommen im Griff. Als einer der Tankwagen über die schiefe Ebene der Schienen in die grüne Wiese rutschte, sank er wie einst die Titanic gefährlich auf die Schlagseite. Kurz vor dem Desaster waren hydraulische Winden zur Stelle, um ihn wieder ins Lot zu bringen. Aber eben, tempi passati. Die Gefahr des Untergangs drohte dem Unternehmen in einer ganz anderen Szene.

19


tierte, schimpfte und drohte: «Die Plomben vernichten meine Existenz. Und wenn Sie mein Leben vernichten, werde ich auch Ihr Leben vernichten.» Das war absolut physisch gemeint, und Dr. Stauffacher verstand es auch so. Der Rest war nur noch ein Nachspiel. Stauffacher fand eine überraschend einfache Lösung, wenn auch nur eine vorläufige. Kolb hatte Fr. 10 000.– Kaution zu hinterlegen, um weiter produzieren zu dürfen, und Hefti, zu Kolbs Überraschung, Fr. 20 000.–. Es war offensichtlich: Das Bezirksgericht Affoltern, wo ein frommer Freund und Anwalt Heftis die Interessen von Kolbs Gegner vertrat, konnte den Richter gegen die Dr. W. Kolb AG beeinflussen. Zürich, wo Werner Kolb über seinen Architekten Lips seine Freunde hatte, war auf der Seite des Privatmanns Kolb. So wurde bald klar, um vor Gericht zu gewinnen, muss man Freunde gewinnen. In Zürich lief das Gerichtsgetriebe zu Kolbs Gunsten. Lips war mit Oberrichter Brühlmann befreundet. Er musste erfahren, wie es an den Zürcher Gerichten zu und her ging. Bei einem Abendessen im Katzenseerestaurant schüttete Kolb ihm das Herz aus. Und siehe da ... Die abschliessenden Verhandlungen wurden am Handelsgericht in Zürich geführt. Dort wurde der Konflikt auf sachliche Weise aus dem Wege geräumt. Die Prozessakten hält Dr. W. Kolb bis heute in seinen Schränken verwahrt. Wer will, kann einen Blick hineinwerfen. Das Ergebnis der Verhandlungen lautete: Hefti behält das Patent für Sorbit, alles andere darf Dr. W. Kolb produzieren. Bis sich die persönliche Beziehung zwischen den beiden Kämpfern wieder einrenkte, sollten allerdings noch ein paar Jahre vergehen ... Werner Kolbs Leben blieb mit dem Hansruedi Heftis verbunden. Was Hefti tat, bekam Kolb im Guten wie im Schlechten zu spüren. Und umgekehrt auch. Dass sich die Jugendfreunde und Erwachsenenfeinde nach schwierigen Zeiten versöhnten, ehrt beide. Anlass dafür war ein Teddybär, von denen Werner Kolb im Laufe seines Lebens eine wahre Grossfamilie um sich geschart hat. Einer hat bis heute die Ehre, Werner Kolbs Büro zu hüten: «Brummel». Ihn zeichnet der Glamour aus, einmal Hansruedi Heftis Teddybär gewesen zu sein. Aber eigentlich war der Teddy immer der gemeinsame Plüschfreund der beiden Freunde gewesen. Zu dritt hatten sie in Vater Heftis Chemiefabrik zusammen gespielt, Blei gegossen oder mit harmlosen Chemikalien experimentiert. Ohne Teddy fehlte jemand. Einmal, die beiden gingen noch kaum in die Schule, hatte Hansruedi die dumme Idee, dem Kuscheltier mit dem Luftgewehr auf die Augen zu zielen. Das durfte nicht sein. Der arme Teddy. Werner Kolb hatte Erbarmen mit dem wehrlosen Tier. Er kaufte es seinem Freund für zwei Franken ab. Jahrzehnte später, Jahrzehnte nach dem Vergleich in den Prozessen, fand

Kolb den Teddy im Estrich wieder. Der alte Teddy hat der Beziehung zwischen den beiden Männern eine neue Wendung gegeben. Kolb fasste sich ein Herz und schrieb: «Ich habe unseren Teddy im Estrich gefunden.» Hansruedi schrieb zurück: «Ich freue mich, dass es meinem Verdingbub gut geht.» Der alte Streit war vergessen, oder mindestens Vergangenheit. Hefti gab Kolb Aufträge, vermittelte Kunden, und später schenkte er ihm Apparate, die er kurz zuvor für sechsstellige Summen gekauft hatte. Als sie sich wieder verstanden wie einst, starb Hansruedi ohne Nachkommen. Sein Unternehmen hatte er 1997 aufgelöst. Denkmäler der Versöhnung sind mit Händen zu greifen. Die rostenden Überreste von Heftis einstiger Fabrik stapeln sich heute draussen auf Kolbs Lagerplatz. Ventile, Kessel, Leitungen in spriessendem Gras. «Man denkt, das kann man alles einmal brauchen, aber wie das geht mit alten Sachen, sie bleiben liegen, weil neue Pläne ganz neue Anforderungen stellen», sagt Werner Kolb. «Die Pionierzeit, in der man für alles, was einem günstig in die Hände fiel, einen Zweck zur Anwendung fand, sind endgültig vorbei.»

DIE ERSTEN MITARBEITER Auf einer verblassten Foto stehen sie draussen vor der Fassade. Fünf Männer in Überkleidern, einer die Hände auf den Schultern des andern. «Was meinen Sie, woher sie kamen?», fragt Werner Kolb und drückt die steifen Seiten des alten Albums nieder: «Alle aus Italien.» 1964 war Hochkonjunktur. Es war leichter, den Nobelpreis für Chemie zu gewinnen, als einen Schweizer Arbeiter für die täglichen Jobs anzuheuern. «Am besten schliessen Sie Ihren Betrieb», empfahl das Arbeitsamt dem frisch gebackenen Unternehmer. Eine Arbeitsbewilligung für Ausländer hätte er unter keinen Umständen, nicht für einen der fünf Männer, bekommen. Sollte er selber auch noch die Routinearbeiten verrichten, wo er täglich mit der Lösung neuer Probleme mehr als genug zu tun hatte? Wenn der Staat Fallstricke, Verbote und andere Wirtschaftshemmnisse erfindet, erweisen sich Unternehmer noch immer um eine Spur klüger. Werner Kolb war mit dem Sanitärunternehmer Walter Müller in Zürich befreundet. Sein Geschäft war schon etablierter. Er hatte genügend Leute und konnte sie unter seinem Namen bei Kolb in Hedingen arbeiten lassen. Das heisst, er stellte Bewilligungen frei. Die Löhne flossen über Zürich nach Hedingen zu denen, die sie verdient hatten. Denen kam es nicht auf den Absender an, sondern auf die Summe. Junge Unternehmen ziehen eine ganz eigene Art von Mitarbeitern an. Pioniere, die ins nächste Jungunternehmen abspringen, sobald der Erfolg zu überwältigend wird und festere Strukturen nach ruhenderen Per-

20


sönlichkeiten verlangen. Dr. W. Kolb AG ist ein frühes, aber typisches Beispiel eines Spin-offs. Nicht nur das Produkt und das Verfahren stammen aus der «Ursprungsfirma», sondern auch alle ersten führenden Mitarbeiter waren von Hefti gekommen. Ein Grüppchen unternehmenslustiger Leute bilden ein Rhizom, um selber zum Ursprung neuer Spin-offs zu werden. Die Aussicht auf neue Herausforderungen zog sie hinaus aufs Land, ins neue Unternehmen in Hedingens Dorfkern. Dem ersten Schlosser, Josef Cegka, hat das Unternehmen viel zu verdanken. Seine Kunst war die Improvisation. Werner Kolb brauchte bloss zu sagen: «Ich brauche einen Kübel für das und das», und Cegka wusste wofür. Er wusste, wie er was anpacken musste, und er nahm jeden Wunsch des Chefs bedingungslos als Auftrag entgegen. Was er machte, war preisgünstig, simpel genug für einen jungen Betrieb, und vor allem: es erfüllte die Zwecke, für die es bestimmt war. Cegka war Pionier mit Leib und Seele. Es gefiel ihm genauso lange, als es genügend chaotisch zu und her ging. Sobald sich erste Regeln, Pflichten, ja nur Erwartungshaltungen einschlichen, wurde es ihm zu eng. Es zog ihn weiter in den nächsten Betrieb, der ihm wieder verlockenderes Neuland versprach. Als Cegka ging, schrieb man gerade die revolutionären 68er-Jahre. Ein «Langhaariger» übernahm seinen Job: Herr Trachsler ist eine Übergangslösung, dachte sich jeder, aber der «Langhaarige» blieb – als Kurzhaariger allerdings. Er trennte sich von seiner Pracht – und leitet bis heute die Schlosserei nach allen Regeln eines führenden Industriebetriebs. Keine Frage, wer 1981 den Schutztrupp bei der Aktion für «Recht und Ordnung» anführte: Trachsler, selbstverständlich. Noch andere der ersten Mitarbeiter sind von «Mädchen» und «Buben für alles» in leitende Positionen aufgerückt. Schritt für Schritt, manchmal langsamer, manchmal schneller, gerade so, wie das Unternehmen Fortschritte machte. Laborant Horst Jung wuchs bald auch in die Rolle des Verkaufsleiters hinein, um sich später als Betriebschef Einkauf und Verkauf zu bewähren. Eduard Vogel wurde Chef der Papierabteilung. Bis heute haben die langjährigen Mitarbeiter aus der Pionierzeit den Geist des Unternehmens mit verkörpert, um das Besondere zu pflegen, was ein Unternehmen einmalig macht. Langjährige Treue war etwas, das nicht nur Werner Kolbs Beziehungen auszeichnet. Sein Vertrauen bekam er immer auch wieder in überaus grossem Masse zurück. Heidi Wegmann beispielsweise, die Telefonistin, sitzt, wo sie sitzt, seit es bei Dr. W. Kolb AG ein Telefon gibt. Von Anfang an. Mit ihrer auffallenden Stimme hat sie schon manchen Kunden telefonisch verführt. Dass sie unterdessen bald pensioniert wird, hat nichts daran geändert, dass sie jederzeit die Übersicht hat und

freundlich und kompetent Auskunft gibt: Wer soeben aus dem Lift gekommen ist, wer in welcher Sitzung unabkömmlich ist und wann wer von einer Reise heimkommt. Heidi Wegmann weiss, was sie wissen muss, und wem sie was sagen kann, darf oder muss.

HEINRICH GUGGENBÜHL Ein besonderer Rang unter den Mitarbeitern kommt indessen Heinrich Guggenbühl zu. Guggenbühl und Dr. W. Kolb hielten einander das ganze Leben lang Treue. Guggenbühl wurde eine Institution und ist heute noch ein Stück Erinnerung, ausstellungswürdig wie Thommens alter Autoklav vor dem Eingang. Als der vierzehnjährige Werner ins Kadettenkorps der Stadt Zürich eintrat, hiess sein Zugführer und Schiesslehrer, und der geneigte Leser ahnt etwas: Heinrich Guggenbühl. «Kaufmännischer Leiter» stand auf dem Anstellungsvertrag. «Kaufmännischer Direktor» hatte sich Guggenbühl auf die erste Visitenkarte gedruckt. «Waaas?», fragte Kolb. «Was denn sonnnst?», gab Guggenbühl zurück: «So wissen die Kunden: Wir sind ein Unternehmen mit Format.» Gerade in den Anekdoten, die Werner Kolb über seine «rechte Hand» zum Besten zu geben versteht, zeigen sich die Hochachtung und das Vertrauen, das die beiden verband. Die lange Männerfreundschaft hat sie hart im Geben und Nehmen und im Verständnis füreinander gemacht. Guggenbühl war ein quirliger Mann mit manchmal verqueren Ideen, aber der Erfolg gab ihm Recht. Er ging als Vertreter des jungen Unternehmens auf die Suche nach Kunden. Seine Kundengespräche begannen bei Adam und Eva, oder lieber noch näher am Anfang der Welt. Er hatte Werbematerial zusammengestellt, in denen Entschäumer für die Papierindustrie einen Zusammenhang mit den Dinosauriern hatten. Die ganze Entwicklungsgeschichte der Eier legenden Grosstiere war darin beschrieben. Einige Kunden mochten unsere Absonderlichkeiten belächeln. Die meisten fanden Interesse am historischen Rundschlag und sammelten die Blätter für ihre Kinder. So oder so, wenn Dr. W. Kolb selber seine Kunden besuchte, war er in der Papierindustrie als «Der Dinosaurier» bereits ein Begriff. Er konnte darauf zählen, herzlich empfangen und wohlwollend getestet zu werden. Vor allem in Deutschland genoss das Duo Guggenbühl/Kolb den Bonus des emotionalen Schweizer Standortvorteils. Die Aufträge liessen nicht lange auf sich warten. Damit sich die Kunden merken konnten, was sie bestellt hatten, erfand Heinrich Guggenbühl griffige, exotische, gräkolateinische Markennamen für die meisten der neuen Produkte. Paracum, Imbentin, Imbelit,

21


und nicht, weil zufällig ein freier Tag ist. – So ist er immer gewesen, so kennen ihn alle: Heinrich Guggenbühl.

Imbacin, Imbonal, Attacon, Mucosin, Incopur und andere Chemikalien, die heute jedem Papierhersteller geläufig sind, stammen von ihm. Wörter, Gedanken und ein immenses Wissen liessen ihn bis heute immer wieder in die Tasten greifen. Als Redaktor der «KolbZeitung», die neben Chemischem und Betrieblichem immer ein gerütteltes Mass von Humorigem und Allgemeinwissen enthielten, hat er die Unternehmenskultur, die damals noch Betriebsklima hiess, entscheidend geprägt. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Guggenbühl als langjähriger Kommentator des Zürcher Sechseläutens am Radio und am Schweizer Fernsehen zum Begriff. Auch er ein Zünfter, selbstverständlich, war mit Kolb auch über diese Fäden verbunden. Kurz, ohne Guggenbühl wäre das Unternehmen nicht, was es ist. In der KolbZeitung Nr. 23, seiner Abschiedsnummer, erzählt Guggenbühl lebendiger von seinen Anfängen im Unternehmen, als es der externe Unternehmenshistoriker könnte: «Als es am 1. Juli 1964 bei der Dr. W. Kolb AG losging, war ich im Element. Endlich mit Leuten verkehren, die etwas – nein, viel mehr – von Papier verstehen! Wenn ich damals meinen Beruf hätte wählen können, ich wäre Papiermacher geworden. Mechaniker, Chemiker, Organisator, Psychologe – alles in einer Person. Es blieb mir nur das Zuschauen und Anstaunen. Altpapiergestank, Harzgeruch, Hackschnitzelpyramiden – die reine Wonne. Meine Gefühle fürs Papier gingen weit – zu weit für meine Angetraute. Zum Beispiel, als zehn Minuten vor der Fahrt in die Ferien Werner Kolb anrief: Im Murgtal klappe es mit einer Filzwascheinrichtung nicht. Ob ich nicht vorbeischauen könne. Nur so im Schwick. Klar ... und schon hatte ich meine Familienpflichten vergessen ...» «Werner Kolb war nie ein strenger oder hochnäsiger Boss. Seine Leutseligkeit war weder gespielt noch zweckbedingt. Er hatte einfach vor Augen, dass er aus einfachen Verhältnissen kam. Trotzdem war er immer der Chef. Aber gerade diese Hierarchie war ein Stützpfeiler der Tätigkeit. Da brauchten sich nie Gleichberechtigte zusammenzuraufen, da galt ganz klar das Wort des Chefs. Werner Kolb war nie der Prototyp des Unternehmers, der von Cocktailparty zu Cocktailparty raste. Auch wenn er dem gesellschaftlichen Leben durchaus zugetan war, kamen für ihn zuerst die Kundschaft, die Produktion und ein ausreichender Arbeitsvorrat.» Seine Pensionierung hat Heinrich Guggenbühl trotz aller Verbundenheit mit der Firma nicht unter Tränen erlebt. Am Tag danach, erzählt er, sei er besonders früh aufgestanden: Einmal mehr erfahren, wie viele Farbtöne Dezembergrau in sich birgt. Einmal zum Menu des Frühstücks seinen Senf geben. Einmal den Sumpfschildkröten zuzusehen, bis der letzte Futterbrocken gejagt ist. Einmal segeln gehen, wenn es Wind hat,

WERNER KOLB ALS VERTRETER IN EIGENER SACHE Als ungeduldiger Jungunternehmer dachte Werner Kolb, wenn die Gebäude einmal stehen, ist das grosse Werk getan. Alles wird einfach. Aber das stimmt nicht. Er dachte nicht einmal so weit. Dass das nicht weitsichtig ist, muss jeder, der ein Unternehmen aufbaut, schmerzhaft am eigenen Leibe erfahren. Was für Kolb galt, gilt bis heute für alle, die sich auf den Märkten durchsetzen möchten: Gutes tun und reden davon. Der kommerzielle Erfolg eines neuen Produkts beginnt mit Marketing, Werbung und Kommunikation. Die Kunst war, einen Markt für ein neues Unternehmen zu finden. Auch wenn sich einer viel lieber als Wissenschaftler, Forscher, Entwickler oder Tüftler sieht. Was nützt das beste Produkt, wenn niemand es kennt? Telefonieren, besuchen, reden, reden und reden ... Telefonverkauf, dieses Marketingmittel der Neunzigerjahre, funktionierte für Kolb schon in den Sechzigern. Die Beharrlichkeit zahlte sich aus. Von zwanzig Anrufen führten vier zu einem Besuch vor Ort. Von vier Besuchen führte einer zu einem Versuch. Und praktisch jeder Versuch entwickelte sich zu einem Auftrag. Wenn Werner Kolb an Ort und Stelle zeigen konnte, was sein Produkt zu leisten vermochte, erfolgte der Durchbruch. Die Chemikanten massen auf den Milliliter genau, ob die Ergebnisse stimmten. Und diese Ergebnisse sprachen für Kolb. Die Rede war immer vom Gleichen: von Entschäumern für die Papierindustrie. «Hilfe, wir ertrinken im Schaum», lautete die Dauerklage der Papiermacher in den Sechzigerjahren. Ein Alptraum, denn darauf drohte stets Papierabriss, löchriges Papier und Maschinenstillstand. Bei den hohen Investitionskosten gingen die Produktionsverluste ins Geld. Die ersten Papierentschäumer in den Fünfzigerjahren hatten grösstenteils aus Petroleum und anderen Ölen bestanden. Mit simplem Zudosieren versuchte man, den Oberflächenschaum etwas zu reduzieren. Die Wirkung blieb bescheiden. Erst Werner Kolb löste mit seinen Entschäumern fast alle Probleme fast auf einmal – in der Herstellung und in der Papierqualität – indem er die Oberflächenspannung des Wassers mit chemischen Mitteln erhöhte. Chemikalien für die Papierindustrie sind das Grundthema bei Dr. W. Kolb seit der Gründung geblieben. In den ersten Jahren war Werner Kolb nicht nur Chef, sondern auch sein eigener Aussendienstmitarbeiter in Personalunion. Wie oft hat er als Verkäufer seiner Produkte das Murgtal besucht! Im Murgtal wird bis

22


heute Papier hergestellt, und bis heute ist es eines seiner besten Absatzgebiete. «Dem Murgtal verdanken wir die Existenz, es war die Quelle unseres Erfolgs», sagt Werner Kolb, noch heute stolz auf die Pioniertat in der Mitte der Sechzigerjahre. Sein Geschäftswagen von damals, ein alter Opel, «glänzte» mit einem Rostloch in der Tür. Es war deutlich zu sehen. Auch für den Betriebsleiter, der zum Abschied an die Türe kam: «Ich hoffe, Ihr Geschäft läuft besser als Ihr Auto», sagte er mit kritischem Unterton. Als Kolb nächstes Mal mit einem glänzenden, (fast) neuen Chevrolet vorfuhr, meinte er: «Wir bezahlen Sie offensichtlich zu gut ...» Die Wahrheit war anders: Der Wagen fiel unter die unvermeidlichen Repräsentationsausgaben. Werner Kolb lebte bescheiden. Das Stammquartier im «Wilden Mann» in Gernspach kostete zwölf Mark pro Person, Frühstück inbegriffen. Die Foto im «Geschäftsfamilienalbum» zeigt einen einfachen deutschen Landgasthof und eine Wirtin, die den Hunger ihrer Gäste zu jeder Tages- und Nachtzeit zu stillen verstand: Freundlich genug, um über lange Jahre als «home away from home» für die nötige Ruhe nach hektischen Tagen zu sorgen. Lediglich am Zoll war noch zu spüren, wie fern die Heimat nach wenigen Kilometern schon rückte. Frankreich und Deutschland hätten eigentlich schon längst freie Grenzen haben müssen. Die häufigen Grenzübertritte waren jedesmal für Überraschungen gut. «Öffnen Sie mal ihre Koffer» war eine Bitte, der Werner Kolb und seine Vertreter nur ungern entsprachen. Der Gepäckraum war bis zum Rand mit Mustern gefüllt. «Tut mir leid», sagte einmal ein junger Beamte: «Aber wir müssen sie einsperren.» Nach einer guten halben Stunde kam der Leiter der Zollstation, um sich um die Verdächtigen zu kümmern. «Schwerwiegender Fall», meinte er und nickte bedeutungsvoll. Aber offensichtlich hattte er nur darauf gewartet, dass der allzu dienstfertige Anfänger anderweitig beschäftigt war. Er blickte ihm kurz hinterher und machte eine unverkennbare Handbewegung: «Verschwinden Sie», knurrte er zu Werner Kolb. Der Zollprofi hatte erkannt, dass der Transport von Warenmustern kein Verbrechen, sondern eine Bagatelle war. Kolbs Produkte wurden tankzugweise transportiert. Die Tonnagen zählten. Entsprechend wurden die Geräte und Chemikalien zur Durchführung der Versuche bald so zahl- und umfangreich, dass Heinrich Guggenbühl sie in einem Anhänger mitführen musste. Gleich jenseits der Grenze hatte er ein Lager aufgebaut, sodass die Zöllner nur noch selten Koffer und Gefässe voll unbekannter Ware entdeckten und Deklarationen verlangten, die nicht existierten. Werner Kolb hatte die Papierindustrie bereits auf Reisen für Hefti kennen gelernt. Im vormals weissen, chemikalienzerfressenen Übermantel fuhr er von Tür zu Tür. In den meisten Betrieben ging es ziemlich

hemdsärmlig zu. Hakle in Mainz war so eine Adresse. Nach überzeugenden Versuchen riss der Betriebsleiter einen leeren Zettel entzwei und schob eine Hälfte über den Tisch: «Sie schreiben Ihren Preis hin, und ich schreibe meinen. Wenn Sie gleich viel oder weniger schreiben als ich, gehen Sie mit einem Auftrag nach Hause.» Es war Pokern. Auf dem Spiel stand eine Summe, die Etablierteren als Kolb den Angstschweiss auf die Stirn treiben konnte. Kolb gewann. Toilettenpapier geht am laufenden Band von den Rollen, bekanntlich. Einen solchen Auftrag nimmt auch eine grössere Fabrik, als Kolb sie damals besass, mit besonderer Freude entgegen. Aber es war nur ein Anfang. Oder die Fortsetzung eines Anfangs. Der allererste Kunde waren die Buhl Papierfabriken AG in Ettlingen bei Karlsruhe. Kolb hatte dort bereits Versuche für Hefti gezeigt – und die Probleme des Kunden gelöst. Ist einmal der Anfang gemacht, öffnet ein Kunde die Tür für den nächsten. Der nächste war Holtzmann in Weisenbach. Er wurde zur tragenden Säule der Dr. W. Kolb AG in Hedingen. Und weil Geschäfte immer über Leute ablaufen, brachten zwei Ingenieure die Säule zum Tragen. Bernd Niethammer und Erwin Ritter. Hiermit sei ihnen Dank erstattet. Kolb kam zu Niethammer, um seine Entschäumungsversuche zu zeigen: «Haben Sie Ihr Zeug dabei?» Aber klar hatte Kolb. Niethammer schickte ihn zum Laboranten: Die Kontakte des Jungunternehmens beginnen immer auf dem harten Boden beim Laboranten. Erst später steigt man in die Spannteppichetagen. Niethammers Laborant hiess Knapp. Mit Stoppuhr und Reagenzglas schaute er Kolb über die Schulter. Kolb hatte feuchte Hände und zittrige Finger. Holtzmann war schliesslich nicht irgendwer in der Branche. Wenn der Neuling hier reüssierte, war er Profi. Und siehe da ... Knapp und Niethammer öffneten die Tür zu Betriebsleiter Ritter, der in Wolfsheck eine zweite Fabrik führte. Es war nicht Ritters Tag, er hatte Wichtigeres zu tun, als einem kleinen Schweizer ins Reagenzglas zu gucken. Aber: «Wenns sein muss, dann zeigen Sie halt Ihre Show», brummte er. Als Versuchsleiter beurteilte Werner Kolb wie gewohnt den Istzustand, die Menge des Konkurrenz-Entschäumers, die Papierqualität und andere Faktoren. Dann gab er über eine Dosierpumpe die mindestnotwendige Entschäumermenge bei. Zur Einführung dauerte ein Versuch zwei bis drei Stunden. Nach einer Woche hatte sich die Reaktion stabilisiert, das Ergebnis wurde genauestens messbar. Die Überlegenheit der Kolbschen Produkte wurde Ritter allerdings bereits nach den ersten Handgriffen klar. Als Ritter von Wolfsheck wurde er bei der Dr. W. Kolb AG zum Begriff. Ritter von Wolfsheck wurde Kolbs treuester Kunde. Die Versuche standen am Beginn einer Beziehung, die über 35 Jahre, bis zu Ritters Pensionierung, enger und enger werden sollte.

23


Ritter und Niethammer machten die Dr. W. Kolb AG in ganz Deutschland bekannt. Die Produktion nahm Formen an. Fass um Fass rollte aus der Fabrik. Lastwagenweise gingen Entschäumer von Hedingen zum nördlichen Nachbarn. Und weil jede Beziehung ihre eigenen Formen annimmt, genoss Ritter in Hedingen einige besondere Rechte. Am Montagmorgen, in der Geschäftsleitungssitzung, klingelte praktisch ausnahmslos einmal das «rote» Telefon. «Der Ritter!», riefen die Anwesenden beim ersten Ton. Und fast immer hatten sie Recht. Es war eines der Rituale, das Beziehungen Bestand verleiht. Kolb hatte eine fast familiäre Beziehung zu seinem Unternehmen und seinen Kunden. Neben seinen Apparaturen und Essenzen nahm er stets einen Fotoapparat mit auf die Reisen. Er knipste seine Fabriken, seine Partner und die Maschinen, für die seine Produkte gut waren, und füllte chronologisch Album um Album. «Mein Geschäft» ist das erste beschriftet. März 1964 bis 1969. Kleine, unscharfe, vergilbte Bilder zeigen die frühen Stätten des Wirkens. Da sind Fabriken aus Backstein und Eisen zu sehen. Sheddächer aus der Frühgeschichte der Industrialisierung, baufällige Buden, von denen man heute kaum glaubt, dass darin etwas produziert werden kann. Alle wirken sie ziemlich romantisch, strukturell überaltert. Aber hinter den Mauern verbirgt sich die damals wahrscheinlich potenteste Papierindustrie des Kontinents. In Holtzmanns Neubau in Maxau standen Maschinen von 8 m Breite. Sie produzierten 1200 m Papier pro Minute. Heute sind das schon wieder Oldtimer: Die neusten, 10 Meter breiten Maschinen laufen am Ende des Jahrhunderts mit 60 bis 90 km pro Stunde. Wie rasch man damit die Erde einwickeln könnte. Über Fotoalben kommt man leicht ins Träumen. Die Bildlegenden lesen sich heute wie Legenden des raschen Erfolgs von Dr. W. Kolb in Hedingen: C. Kast und Gruber Weber in Obertsrot. Köhler in Oberkirch. Lott in Oberachern. Schon 1967 folgen Unternehmen in Österreich, in Belgien und in Schweden. Frankreich und Italien kamen dazu. Dutzende von Fabriken liessen sich davon überzeugen, dass Dr. W. Kolb für sie Kosten einsparte und ihnen Konkurrenzvorteile verschaffte. Und zum «Wilden Mann» kamen weitere «Homes away from home»: Das Lamm in Ettlingen, der Engel in Kostheim, das Hotel Jean Bart in Paris – zu 16 FF für Übernachtung und Frühstück. Allesamt waren sie einfache Pensionen, aber allemal gut genug, um die Verkaufserfolge des Tages mit einer währschaften Mahlzeit zu feiern. Im zweiten Band ist dann der Hauch der weiten Welt mit Händen zu greifen. Flughäfen weisen auf die neuen Dimensionen. Kolb vor den Glasfassaden von Orly. Fabriken in England und Irland. Die Bushaltestelle vor dem Flughafen von Heathrow wurde zum Ausgangspunkt dieser erweiterten Touren.

Gleichzeitig entwickelte Kolb Vorträge für wissenschaftliche Institute, um ein grösseres Publikum zu überzeugen. Er sprach in München, Darmstadt-Düren, Grenoble, Florenz ... und war auf dem besten Weg, sich als Wanderprediger einen Namen zu schaffen. An den ersten Auftritt in der Technischen Hochschule von Darmstadt erinnert sich Kolb noch genau. «Da drin schwätzt ein Schweizer und hört nicht auf», sagte eine Putzfrau vor der Türe: «Langweilig kann es nicht sein», tönte es von einer wartenden Papiermachergattin zurück: «Sonst hätten einige den Saal wohl längst schon verlassen.» Werner Kolb war immer ein geschätzter Verkäufer. Mit Schalk im Nacken meint er: «Die Kundenbeziehung ist dann ideal, wenn einem bei der Ankunft der Direktor der Fabrik oben vom Fenster her zuwinkt, unten das Personal den roten Teppich ausrollt, und der Direktor ruft, «Möchten Sie bei dem schönen Wetter wirklich hereinkommen, oder soll ich die Maschinen im Hof aufstellen lassen.»

24


Werner Kolb als Student an der ETH

Dr. Werner Kolb mit Hansruedi und Eleonore Hefti


Der zweite Autoklav f端r f端nf Tonnen

Der Kessel der Schoggifabrik Jowa


Der Rohbau in Hedingen, Fr체hling 1964

Da waren wir m채chtig stolz

Josef Cegka beim Aufbau des ersten Autoklaven

Alte Biertanks dienen Werner Kolb als Vorratsbeh채lter


Maria und Werner Kolb


Maria Kolb, Doris Vest und Ginette Krebs

Die ersten Aktionäre Dr. Oskar Krebs (†)

Werner und Eduard Kolb


Walter Huber Senior

Ernst Lips


Max Früh

Peter Schafroth

René Thommen


Heinrich Guggenb端hl und Werner Kolb


Frau Reist und Frau Wegmann

Herr Jung und Herr Napolitano

Alle Mitarbeiter zusammen


Das Unternehmen w채chst, die ersten f체nf Arbeiter


Der dritte Autoklav f체r zehn Tonnen

Versandbereite Entsch채umer f체r die Papierindustrie


Panne an einem Autoklaven 1964

Bloss der Dampfmantel hat Schaden genommen


Das Fabrikgel채nde in Hedingen 1964


Eine Heimat f端r den Aussendienst im Murgtal


Ein fr端her, namhafter Kunde: die Papierfarik Holtzmann in Maxau


Saubere Filze mit Produkten der Dr. W. Kolb AG

Filzwäsche nach herkömmlicher Art durch die Mangel gedreht

Abwasserkanal ohne Entschäumer der Dr. W. Kolb AG


Versuche in der Papierfabrik Maxau

Ohne Entsch채umer

Mit Entsch채umern der Dr. W. Kolb AG


Werner Kolb demonstriert in der Cellulose du Pin Facture (Bordeaux)

Sichtbare Erfolge in der Filzw채sche bei Stillstand


Erstes Tanklager f端r Sandoz in Hedingen 1970

Ein neues Labor f端r Forschung und Entwicklung


Erfolgsentscheidend: die Euroexpo in Grenoble alle vier Jahre

Dr. W. Kolb zeigt, was seine Produkte leisten


Der franzĂśsische Generalvertreter in Grenoble hat Ăźberzeugende Argumente

FĂźr Markenprodukte aus Hedingen


Empfang der Darmst채dter Zellcheming-Papieringenieure

Alpenrundflug mit den Darmst채dter G채sten


Die vierj채hrige Tochter Esther Kolb


Z W E I T E R T E I L . D I E Z E I T D E S U N A U F H A LT S A M E N W A C H S T U M S . 1 9 7 0 B I S 1 9 9 1 WACHSEN FAST WIDER WILLEN «Wenn ich mir überlege, was für meine Töchter und für mich interessant sein könnte, dann ist es die Pionierzeit», sagt Werner Kolb: «Die Gegenwart kennt eigentlich jeder. Der Reiz liegt in dem, was weiter zurückliegt.» Trotzdem übt die folgende Phase des Wachstums eine Faszination aus. Man kann und will es kaum glauben, dass ein Unternehmen so rasch in neue Dimensionen über sich hinauswachsen konnte. Die Pionierzeit hatte sich in den Jahren der Hochkonjunktur unversehens verflüchtigt. Der Grundstein war gelegt, das Konzept richtig, die Produkte stimmten und das Marketing hatte mit einem persönlichen Beziehungsnetz dafür gesorgt, dass Dr. W. Kolb AG einen Namen hatte auf den wichtigen Märkten. «Nicht ganz ohne einen Hauch von Wehmut», schrieb Werner Kolb in der «KolbZeitung», «verlassen wir die Zeit, wo uns ein abgesprungener Kunde die Existenz bedrohte und wo uns eine 200-kg-Bestellung zum Himmel jauchzen liess.» Esther Dale-Kolb erinnert sich an den jähen Aufschwung: «Als ich 1973 von meinem USA-Aufenthalt zurückkehrte, traute ich meinen Augen nicht. Da stand jetzt ein Verwaltungsgebäude mit fantastischen Büros. War das noch dieselbe Firma? Es wimmelte nur noch von neuen Gesichtern. Der Personalbestand war auf fünfzig Personen angewachsen.» Das Unternehmen wuchs fast wie ein Kind, das auch nicht weiss, warum, und das Wachstum doch nicht aufhalten kann. Werner Kolb nahm das hin, führte die operativen Geschäfte und freute sich natürlich, wie sich das grosse Areal in Hedingen mit Gefässen und Röhren aus Aluminium und rostfreiem Stahl zu einem hochmodernen Industriekomplex möblierte. Neben den Lagertanks türmten sich Fässer, Container und Säcke. Um die verschiedensten Spezialprodukte auf Kundenwunsch auch in kleineren Mengen herstellen zu können, wurden Autoklaventürme in verschiedenster Grösse gebaut. Dazu kamen Bürogebäude, Anbauten, Aufbauten und Umbauten, und was gebaut war, erwies sich stets schon wieder als zu klein. Eben wie bei Kindern, die immer wieder in zu kurzen Hosen und zu engen Hemden stecken. In knapp zehn Jahren war fast der ganze Chemiekomplex, wie er sich heute präsentiert, inklusive Verwaltungsgebäude, aufgebaut worden. Ein zweiter Landkauf hatte es möglich gemacht. Nach einem dritten Landkauf 1973 kam 1978 noch ein letzter Neubau dazu. In diesem «Betrieb II» gegenüber dem Haupteingang sollte wieder wie bei Hansruedi Hefti Sorbitol hergestellt werden.

Werner Kolb wurde ein «ganz gewöhnlicher» Unternehmer. Aber als Mensch, der stets in den vertrauten Grenzen seines Freundeskreises dachte, für den sein Unternehmen auch eine Art Heim und Familie war, sah er im Wachstum nicht nur das Glück. Bei einem Dutzend Leute hat der Chef die Übersicht. Sympathie, Respekt und praktische Bedürfnisse regeln die Beziehungen zwischen den Leuten fast automatisch. Sie waren aufgehoben in einer Gemeinschaft, die weit über die Herstellung von Entschäumern hinausging. Alle kannten einander. Sie gingen Ski fahren zusammen und hatten einige Säle ausfindig gemacht, in denen sie immer wieder Gründe fanden, etwas zu feiern. Wer garantierte, dass das so blieb, wenn allmählich hundert oder zweihundert Leute zusammen arbeiten sollten und abstrakte Ordnungen die persönlichen Beziehungsnetze ersetzten? Probleme mit Strukturen und Organigrammen pflegen in höheren Potenzen zu wachsen als die Mitarbeiterzahl. Unter der Rubrik «Hier schreibt der Chef persönlich», machte sich der Chef in der «KolbZeitung» Gedanken über diese Erscheinung. «Ein Einmannbetrieb hat eine hundertprozentige Ausnützung seiner Arbeitskraft. Bei zwei Leuten gehen durch die interne Kommunikation ca. zwanzig Prozent verloren, und drei Leute arbeiten höchstens noch zweihundert Prozent. Und in einem Grossbetrieb verschwenden die Arbeitskräfte anerkannterweise rund die Hälfte ihrer Leistung, um ihren Mitarbeitern und Chefs zu beweisen, wie gut sie sind. Das ist ein unumstössliches Gesetz, das mitdenkende Mitarbeiter in einer guten Organisation allerdings stark einschränken können.» Werner Kolb schränkte ein, was er konnte. Zusammenarbeit verstand er als Entwicklung von Synergien, schon bevor Unternehmensberater das Schlagwort erfanden. Anders als ein Kind, war sich Kolb stets bewusst, dass zum Grosssein auch grössere Schatten gehören. Im Grosswerden lag eine Eigendynamik, die Werner Kolb eher zu bremsen versuchte. Er fragte nach externen Beratern, die ihm Wege aufzeigten, um die Fabrik im kleinen, feinen Rahmen zu halten. Er fragte vergeblich. Alle gaben ihm die gleiche Auskunft: «Sie müssen weiter wachsen. Wachstum ist das Schicksal der Erfolgreichen. Es gibt kaum eine Alternative.» Selbst in der schwierigen Zeit nach 1990 blieb kaum Zeit zur Konsolidierung. Die Eigendynamik liess den Betrieb in Hedingen und Moerdijk auf über 200 Leute anwachsen. Und immer ging es ums Gleiche.

48


SCHÄUME SIND ALPTRÄUME IN DER PAPIERINDUSTRIE. Wenn die Oberflächenspannung sinkt, hat Wasser schäumende Tendenz. Das heisst, wo immer mit wässerigen, tensidhaltigen Lösungen gearbeitet wird, schäumt es. Was das bedeutet, weiss jeder, der einmal Seifenwasser in einen Waschzuber goss. In der Papierherstellung, bei der ein faseriger Brei aus Wasser abgeschöpft wird, entsteht sehr rasch viel Schaum. Das hat drei Nachteile: Erstens. Die Motoren leiden unter dem Schaum. Mitgerissene Schaumfetzen bringen das Papier zum Abriss. Zweitens. Die Pumpen saugen lufthaltigen Brei sehr unregelmässig an. Drittens. Das Papier wird unregelmässig dick und kann Löcher aufweisen, wie ältere Leute das in Zeitungen bis spät in die Sechzigerjahre kennen. Viertens. In Bildern, die auf solchen Papieren gedruckt sind, entstehen «Missing Dots»: Halbrunde Vertiefungen, die von geplatzten Bläschen zurückbleiben. Die Folgen des Schaums waren auch draussen in der Umwelt unübersehbar. Bei Holtzmann, in der neuen Fabrik von Maxau, floss der Schaum meterhoch aus der Kanalisation. Besonders zwischen den Belüftungsbecken und Absetzbecken in den Kläranlagen konnten sich dicke, kompakte Schichten bilden. Von dort gelangten sie an die Oberfläche und in die Flüsse. Mit den Entschäumern der Dr. W. Kolb AG beginnen die ersten Blasen im Schaum nach wenigen Minuten zu «arbeiten». Die Wasserrinne ist bereits nach zehn Minuten sichtbar. Ein Liter pro Tonne reicht. Bei ihren Versuchen vor Ort mischten Kolb und Guggenbühl das optimale Verhältnis der Ingredienzen zusammen und gaben sie tröpfchenweise ins Wasser – und siehe da, der Schaum war weg. Fast spurlos weg. Mit zehntausenden von Tonnen im Lauf der Jahrzehnte haben die verschiedensten Arten von Entschäumern ununterbrochen Umsatz gebracht. Nicht dass Kolb etwas Neues erfand. Multis wie BASF und NOPCO hatten sich mit eigenen Mitteln schon einen Namen geschaffen. Die Mittel waren bekannt, lediglich ihre Mischung und eine ganze Reihe von Zusätzen waren noch zu optimieren. Die Leidenschaft, alles etwas besser zu machen als die Konkurrenz, brachte Dr. W. Kolb fast konkurrenzlose Überlegenheit auf diesem Gebiet. Paracum wurde zum Markennamen für alle Schaumverhinderer aus Hedingen. In den ersten Jahren genügten fünf bis zehn verschiedene Produkte, um den Markt zu erobern. Heute steht eine Palette von über fünfzig Produkten zur Auswahl. Sie gliedern sich in zwei Produktegruppen. Speziell für Oberflächenschaum eignet sich ein Konzentrat aus Fettsäure und Ethylenoxid in Gemischen mit Kohlenwasserstoffen (Etoxylate). Mindestens so bedeutend sind seit den Siebzigerjahren

Dispersions-Entschäumer geworden (wässerige Dispersionen von etoxylierten Einzelkomponenten). Als so genannte Entlüfter entfernen sie Luftblasen aus dem Innern der Papiermasse.

FILZWASCHMITTEL FÜR DIE PAPIERINDUSTRIE Auf seinen Vertreterbesuchen in eigener Sache hatte Werner Kolb schon früh noch ein zweites Bedürfnis der Papierindustrie entdeckt: die Filzwäsche. Papier entsteht auf dem Weg durch ein System von breiten, rollenden Endlos-Filzbändern. Durch sie wird das Wasser aus dem Papierbrei gepresst und das Papier danach getrocknet. Weil der Papierbrei nicht nur aus Wasser, Holzschliff oder Zellstoff, sondern auch aus Kaolin, Kalziumkarbonat, Stärke und Leim besteht, verschmieren die Filze auf wasserunlösliche Weise, und zwar in allen Bereichen der Produktion: in den Maschinensieben, in den Filzen, die der Entwässerung dienen, und in der letzten Phase, wo das das Restwasser aus dem Papier auf den Filzen mit grossen, heissen Trockenzylindern abgedampft wird. Mit dem bewährten Verfahren des Etoxylierens entwickelte Werner Kolb Chemikalien, um die Probleme mit den Filzen in allen Papierherstellungsphasen zu lösen: Sei es durch Reinigung, sei es durch Imprägnierung. Der Name Kolb genoss schon Vertrauen, und von den Vorzügen seiner Lösung brauchte Kolb seine Kunden nicht lange zu überzeugen. Während bisher die Filze demontiert werden mussten, war es nun möglich, die Filze im Stillstand, in der Maschine oder gar kontinuierlich während des Laufens zu waschen oder zu imprägnieren. Dosierungspumpen geben in den Rücklaufstrecken der Endlosfilze Laugen und säurehaltige Spezialwaschmittel dazu: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Die Einsparungen an Arbeitskräften und Stillstandszeiten sprachen für sich – und für die Dr. W. Kolb AG. Die Chemiefabrik in Hedingen ist heute, zumindest in Europa, in der Filzwäsche führend. Zeitsteuerung, pH-Steuerung, Porositätsmessung usw. Dr. W. Kolb AG und Filzbehandlung sind fast Synonyme geworden.

49


MEHR UMSATZ MIT WENIGER WASSER Vor allem die neuen Recyclingpapiere gaben der Filzwäsche und der Entschäumung in den Achtzigerjahren neue Bedeutung. Bei ihrer Herstellung entwickelt sich noch stärkerer Schaum: Um die alten Druckfarben abzulösen, verwendet man das so genannte Deinkingverfahren. Mit spezifischen Schäumern wird durch Lufteinblasen die Druckfarbe auf die Oberfläche getrieben und abgesaugt. Zudem brauchte es im Laufe der Jahrzehnte zur Herstellung von Papier immer weniger Wasser. Die Mengen sanken um das Dreissigfache: von 300 l Wasser für ein Kilo Papier auf heute noch sechs bis zehn Kilo. Das führte zu höherer Verschmutzung des Wassers im Kreislauf. Da pro Tonne Papier aber nicht weniger Schmutz anfällt, stellt die Reinigung der Maschinen und die Entschäumung höhere Ansprüche. Stickies (Kleber), Schleimablagerungen und Verunreinigungen aller Art brauchten stärkere und verfeinerte Produkte. Dr. W. Kolb AG hat sie entwickelt und erfolgreich verkauft. Eine neue Verdienstmöglichkeit. Heute gibt es Produktionsweisen ohne Frischwasserzufuhr. Lediglich was in der Trockenpartie verdampft, ist zu ersetzen. Kein Liter Wasser geht in die Kläranlage. Das streben viele Papierhersteller an, doch wird auch erkennbar, dass der Aufwand für völlig geschlossene Kreisläufe zu aufwändig wird. So oder so nimmt die Erforschung und Entwicklung von Filzwaschmitteln und Papierentschäumern in den Laboratorien einen immer bedeutenderen Stellenwert ein. Die komplexen Zusammenhänge von Luftgehalt, Blattbildung, Entwässerungsgeschwindigkeit, Retention, Beeinflussung von klebrigen Störstoffen usw. sind nur mit wissenschaftlichen Mitteln messbar und für die Praxis nutzbar zu machen. Aber das Herstellungsverfahren bleibt immer dasselbe.

Dosierpumpe direkt aus dem Lagertank zugesetzt. In den Autoklaven, die auf Waagen stehen, wird die rezeptmässige Menge der hydrophoben Komponente vorgelegt. Zur Beschleunigung der Reaktion wird ein Katalysator beigemischt. Bei erhöhter Temperatur kommt kontinuierlich Ethylenoxid dazu. Das erste Ethylenoxid- Molekül reagiert mit der hydrophoben Komponente. Anschliessend setzt sich die Reaktion an diesem Ethylenoxid fort. Das Ethylenoxid polymerisiert. Es entsteht ein kettenförmiges Molkül. Je nach der Menge des verwendeten Ethylenoxids bildet sich eine kürzere oder längere Kette. Bei kurzer Kette wirkt es als Entschäumer, bei mittlerer Länge als Emulgator/Dispersator und bei grosser Länge als Netzmittel. Die entstandenen Erzeugnisse gehören zu den Tensiden. Das heisst, es sind oberflächenaktive Stoffe. Sie verändern die Oberflächenspannung von Wasser oder von wässrigen Lösungen. Schäumt eine wässrige Lösung infolge herabgesetzter Oberflächenspannung, erhöht der Entschäumer sie wieder, und der Schaum verschwindet. Emulgatoren/Dispergatoren gleichen Grenzflächenspannungen aus. Netzmittel setzen die Oberflächenspannung herab: der Schaum kann sich bilden.

NICHTIONISCHE TENSIDE Die Herstellung von Tensiden führte fast zwangsläufig zur Ausweitung der Produktepalette. Tenside tragen schliesslich nicht nur in der Papierindustrie zur Verbesserung der Anwendungsqualität bei: bei Textilwasch- und -veredlungsmitteln, bei Haushaltreinigern, Abwasch- und Geschirrspülmitteln oder bei Haarshampoos und Duschgels. Die grössere Menge der Tenside wird bei der Dr. W. Kolb AG vorläufig noch an kleinere, grosse und ganz grosse Waschmittelhersteller verkauft. Speziell modifizierte Produkte finden vor allem in Kosmetikcrèmes Verwendung. In Reaktionen wie Methylieren, Verestern und Emulgieren werden Fettalkohole, Fettsäuren, Triglyceride und Sorbitol verwendet. Sie wirken als Dispergatoren oder Emulgatoren, aber auch als Rückfettungsmittel, Konsistenzgeber, Crèmegrundlagen sowie als Solubilisatoren. Mit der Entwicklung des Geschäftsbereichs Kosmetik ging das Unternehmen einen entscheidenden Schritt in die Richtung der Spezialitätenchemie. Kosmetik stellte ganz neue Anforderungen. Viele Kunden wenden sich mit ihren Problemen, vor allem mit Formulierungsfragen, an Kolb. Allein diese Applikationsunterstützung kann dem Kunden den notwendigen Zusatznutzen schaffen. Von der Verpackung über den Einkauf, die Herstellung, die Lieferbereitschaft über Pünktlichkeit, Sauberkeit und Dokumentation bis zur Beratung. Beim Kunden zählt schliesslich nur das Endresultat.

WAS IST ETOXYLIEREN Der grundlegende chemische Prozess bei der Dr. W. Kolb AG ist zwar für Chemiker von relativ einfacher Natur. Trotzdem ist Etoxylieren nicht sehr einfach zu beschreiben. Wenn wir einen Entschäumer, einen Emulgator/Dispergator oder ein Netzmittel herstellen, brauchen wir eine hydrophobe (wasserabstossende) und eine hydrophile (wasserfreundliche) Komponente. Fettsäuren und Fettalkolhole sind Beispiele der ersten und Ethylenoxid der zweiten Kategorie. Beide Kategorien sind Derivate von Naturprodukten (Erdölabkömmlinge). Als verflüssigtes Gas wird Ethylenoxid gekühlt in besonders ausgerüsteten Bahnkesselwagen unter Stickstoffüberdruck angeliefert. Die für eine Fabrikationscharge erforderliche Menge kommt zuerst in den so genannten Tagestank – je einer pro Autoklav – oder sie wird mit einer

50


FÜNFUNDZWANZIG-JAHR-JUBILÄUM 1989, zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Unternehmens, wurde das Verwaltungs-, Speditions- und Laborgebäude von 1971 um weitere zwei Stockwerke erhöht. Das war für einmal kein Neubau, sondern ein Umbau und Aufbau – und jedenfalls Grund genug zum Feiern. Die eingeschworene Gemeinschaft der Dr. W. Kolb AG bestand immer noch, allen früheren Befürchtungen von Dr. W. Kolb zum Trotz. Und die Kunden feierten mit. Zwei steuerten eine Art Industrielyrik bei. Dr. Werner Boller, Chemiker und Zunftkollege Werner Kolbs, liess in Kolbs Stammbuch vergangene Zeiten hochleben. Die Knittelverse in Wilhelm Buschs Manier geben die Tonart.

Kosmetische Formulierungen kommen aufgrund ihres Verwendungszwecks mit menschlicher Haut in Berührung. Das heisst, Hautreizungen, Schleimhautirritationen, gesundheitsschädigende Wirkungen usw. müssen natürlich ausgeschlossen werden. Weil viele Produkte später wieder abgewaschen werden, ist auch der biologischen Abbaubakeit der Ingredienzen Beachtung zu schenken. Um das sicherzustellen, sind seit 1996 alle Rohstoffe von Kosmetika mit einer INCI-Bezeichnung (International Nomenclature Cosmetic Ingredients) versehen. Sie findet weltweit bei allen Herstellern gleichermassen Verwendung und verlangte auch von der Dr. W. Kolb AG besondere Anstrengungen.

VERSUCHE MIT SORBITOL Wenn einmal nicht alles wunschgemäss lief, war es in Betrieb II. Er war eigentlich zur Verwirklichung von Werner Kolbs Jugendtraum vorgesehen: Sorbitol herzustellen. Sorbitol ist ein sechswertiger Zuckeralkohol und wird vor allem als Diabetikerzucker und für spezielle pharmazeutische Zwecke verwendet. Ausserdem hat es als Feuchthaltemittel in der Lebensmittel- und Zigarettenindustrie grosse Bedeutung. Noch während des Studiums hatte Kolb das entsprechende Hydrierverfahren mit Hansruedi Hefti nachts mit primitivsten Mitteln entwickelt. Bis in die Siebzigerjahre gab es nur eine einzige Fabrik in Amerika, die Sorbitol industriell herstellen konnte, und Heftis Patente waren unterdessen abgelaufen. Darin sah Werner Kolb eine Chance für seine Fabrik in Hedingen. Aber die äusseren Umstände erwiesen sich stärker als er: nur der Binnenmarkt stand offen. Zollschwierigkeiten verhinderten sogar, auch nur die Vorstufe von Sorbitol, die Glykose, ins Ausland zu verkaufen. Werner Kolb gab auf, als sich der Erfolg als unmöglich erwies. Die Produktion war unrentabel. Blattmann in Wädenswil übernahm das Geschäft. Aber der Betrieb II stand nie still. Als Herstellungsort für Dispersionsentschäumer und für die Veresterung hat er Potenzial. So stark das Unternehmen auch wuchs: Werner Kolb blieb Herr der Lage: als Chef, der wusste, was er wollte – und als Chef, der weiterträumte, den alten Pioniergeist noch einmal wieder aufleben zu lassen. Er träumte bis in die frühen Neunzigerjahre. Unter dem starken Einfluss der Geschäftsleitung, vor allem aber seiner Tochter Esther, begann er noch einmal von vorn. Im holländischen Moerdijk. Aber vorerst gab es zu feiern.

In der Chemischen Fabrik Produziert mit viel Geschick Doktor Kolb, man glaubt es kaum, Seit 25 Jahren Schaum. Jedoch auch das Gegenteil Bietet er der Kundschaft feil: Mittel, das den Schaum zerstört, Wenn er wo nicht hingehört. Die Chemie hat doch ihr Gutes Wenn man weiss wie, und man tut es. Nur Chemie in falschen Pfoten Gehört gewiss verboten. Wohlverstanden angewendet Sie doch hilfreich Segen spendet. Das hat Doktor Kolb bewiesen, Drum sei heute er gepriesen. Möge deshalb sein Bemühen In der Firma weiter blühen. Dr. Werner Boller

51


ÜBER SICHERHEIT UND RISIKO SOWIE DIE LUST AM FREIEN UNTERNEHMERTUM

Dass die Chemikalien der Dr. W. Kolb AG wirken, und dass auch die Chemie zwischen Kunden und Hersteller stimmt, macht Dr. W. Flucher von der Papierfabrik Balsthal auch für den Laien anschaulich. Auch hier gab Wilhelm Busch das Versmass. Die Produkte entsprechen dem Stand von 1985.

Kolb hatte die wilden Jahre der unternehmerischen Kindheit und Jugend über alles genossen. Die Pionierzeit, das waren auch die goldenen Jahre der Freiheit gewesen, als man Vorschriften allenfalls als gute Ratschläge in Betracht fassen konnte – als man einen Tank irgendwo hinstellen konnte, ohne dass sich jemand darum kümmerte, und als man ohne Ausfuhrerlaubnis und Betriebsbewilligung frisch und fröhlich vor sich hin werkeln konnte. Fahrlässig hat Werner Kolb aber kaum je gehandelt, weil er die Vorsicht und den gesunden Menschenverstand walten liess. Wer hätte den Schaden gehabt, wenn ... ? In allen Fragen der Umwelt und der Betriebssicherheit hat Werner Kolb aus Verantwortung für seine Leute und aus ureigenstem Interesse immer mehr als das Verlangte getan. Aber was zu weit ging, ging zu weit: «Wenn Vorschriften existieren, Fässer mit Etiketten praktisch rundherum zu bekleben, wollen wir nicht die ersten sein, die pflichtbewusst alles und wenn möglich noch ein bisschen mehr tun.» Dass immer mehr verlangt wurde, war das Problem. Als Hersteller chemischer Produkte sah sich Werner Kolb je länger, je mehr nicht nur mit den rein geschäftlichen Risiken konfrontiert, sondern auch mit den Risiken, die sich aus undurchschaubaren Massnahmen der Behörden ergaben. Dass äusserst präzise und pingelige Vorschriften überhaupt möglich wurden, hatte nicht zuletzt mit der raschen Entwicklung neuer, elektronischer Messmethoden zu tun. Als Genauigkeiten von 1 ppm (part per million, gleich ein Milligramm pro Kilo), von 1 ppb (part per billion) oder gar 1 ppt (part per trillion, gleich 0,000 000 01 Gramm pro Kilo) messbar wurden, konnten auch Restrisiken entsprechend pingelig gemessen werden: Ein ppb entspricht fünf Menschen auf die Weltbevölkerung von fünf Milliarden. Ein ppt wäre ein Stücklein von 0,4 Millimeter auf der Strecke von der Erde zum Mond. Bei Quantifizierungen in so extremen Bereichen braucht es indessen sehr wenig, bis das Ergebnis mehr über die Rahmenbedingungen als über das Testobjekt aussagen. Im Grunde schuf die Messung von unvorstellbar kleinen Restrisiken eine neue Art von «Risiken», über die sich bisher kein Mensch hatte Gedanken machen können, weil sie gar nicht erkennbar waren. Beamten-Ängste schränkten die Entfaltung der Branche immer wieder unnötig ein: Phosphatverbot, Nonylphenoläthoxylate, Formaldehyd, Dioxin usw. Aus Überforderung der Instanzen ergingen Vorschriften, die sich von vornherein oder im Nachhinein als unbegründet, unberechtigt, ja zum Teil als falsch erwiesen. Kolb lernte mit den Mechanismen zu leben:

Bist der Lage nicht mehr Meister, machst mehr Löcher als Papier, Doktor Kolb und seine Geister steh’n bereit zu helfen Dir. Ist der Grund von allem Übel heller, dunkler, rosa Schaum, nimmst du von dem ersten Kübel Paracum – gleich Antifoam. Weggeblasen ist die Krone, errettet bist du von dem Frust, siehst wieder Wasser – oben ohne, schaffen wird erneut zur Lust. Endlich ist der Paracup gelungen und die Löcher fast verschwunden, doch du siehst es mit Methode, eines hat die Periode. Jaaa – der Filz, der ist doch dreckig, undurchlässig, streifig, fleckig, voll mit Stickies, Harz und Aschen, höchste Zeit, den jetzt zu waschen. Imbelan, du Zauberwort, hilfst du mir auch diesmal fort? Sind auch andre Gründe schlimmer, Filze waschen hilft fast immer. Nimmst du dann noch Imbelit X 2000, Colabit, kommst du rascher aus dem Tief, läufts Papier dann nicht mehr schief. Bist du schliesslich auch am Ende, down, parterre und nicht mehr wohl, fühlst du nah’n die (Jahres)wende, nimmst du Imbe- oder Para-Dôle.

52


«Entstehung und Bewältigung von Risiken sind mit einem Pendel zu vergleichen. Jahrelange Sorglosigkeit, Fahrlässigkeit und Unvernunft von Unternehmen haben zu Umweltverschmutzungen und Unglücksfällen geführt, welche die Bevölkerung aufschrecken mussten. Gaswerke konnten jahrzehntelang ihre Teerwasser in Quellwasserströme absickern lassen. Chemikalientanks konnte man vor zwanzig Jahren noch ohne Bewilligung auf der grüne Wiese aufbauen. Kein vernünftiger Mensch tat das, aber Unvernünftige hat es immer gegeben.» Die Folgen waren absehbar: Das Pendel schlug auf die Seite zweihundertprozentiger Sicherheit aus. Doch zu erreichen ist sie mit allen Vorschriften nicht. Werner Kolbs Standpunkt in diesen Fragen ist immer klar und und vernünftig geblieben: «Entweder sind wir bereit, ein Minimum an Risiken zu tragen, lernen so damit weiterzuleben, oder wir werden unfähig, damit fertig zu werden. Wenn der Mensch – sein Geist und sein Körper – vor jeder Anstrengung, vor jeder Gefahr und vor jedem Risiko bewahrt und behütet wird, verliert er seine Abwehrkraft und seine Lebensfähigkeit.» Wenn die Dr. W. Kolb AG ihre heutige Bedeutung erlangte, verdankt sie das nicht nur der stets gepflegten Sorgfalt im Umgang mit Risiken, sondern auch, und nicht zuletzt, einer Reihe erfreulicher Überraschungen. Mehr als nur einmal suchten die Behörden mit ruhiger Sachlichkeit die Risiken richtig einzuschätzen und mit dem Unternehmen vernünftige Lösungen zur optimalen Reduktion von Gefahren. Wenn Gestehungskosten und Verkaufspreis in ein ungutes Verhältnis rückten, fragte sich Werner Kolb jedesmal aufs Neue: Lohnt es sich, Unternehmer zu sein? Um seinen immer zahlreicheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nahe zu bleiben, hat er in der «KolbZeitung» auch darüber geschrieben: «Früher waren des Unternehmers Früchte recht einfach zu pflücken: Reichtum und Macht. Heute hängen sie höher. Die Mitarbeiter haben ein Anrecht auf Einsicht und Mitsprache. Verstecktes Gewinnabführen ist kaum mehr möglich. Der Staat, die Gemeinde, die Unfallversicherung SUVA, das Gewässerschutzamt, die Feuerpolizei und nicht zuletzt sensibilisierte Mitbürger hängen oft wie Bleigewichte am Fuss. Je höher die Hindernisse werden, desto höher lernt man zu springen. Je grösser der Ballast in einer Unternehmensführung, desto mehr Kraft entwickelt der Unternehmer mit seinen Mitarbeitern. Irgendwann sorgen Politiker, Behörden und Beamte dann schon dafür, dass das Pendel nicht zu weit ausschlägt. Es gibt für alles taugliche Lösungen. Wer sie sucht, wird sie auch finden und umsetzen können. Enormer Einsatz ist der einzige Garant für das Überleben in schwieriger Zeit. Der Einsatz umfasst die Zeit, das Gedankengut und das Geld. Wer nicht bereit ist, alles einzusetzen, kann auch vor seinen Mitarbeitern nicht glaubwürdig auftreten.»

Ein guter Unternehmer ist risikofreudig und optimistisch. Werner Kolb hat unermüdlich Optimismus produziert, auch wenn er vor all den Anforderungen längst hätte schlappmachen müssen. Warum er nicht schlappmachte? Ein Hoffnungsschimmer am Horizont lässt ihn aufspringen. Er schüttelt sich wie ein nasser Hund und setzt zu neuen Taten an: «Ein Erfolg im Kampf gegen all diese Widerwärtigkeiten gibt einem ein Glücksgefühl, das alle Schwierigkeiten vergessen lässt. Lohnt es sich auch heute noch, Unternehmer zu sein? Wenn Sie mich fragen: tausendmal ja.» Werner Kolb, der im Mittelmeer Seeigel vom Meeresgrund schneidet, um die Fische beim Ausweiden der Beute zu betrachten, Werner Kolb, der nach antiken Amphoren und explodierten Munitionsschiffen taucht – um gleich darauf in den Dolomiten zu klettern und so fit zu bleiben dabei, dass er noch 1994 das Matterhorn bestieg: Der 8. Juli ist für ihn ein Tag, so schön wie der Gründungstag seiner Fabrik. Werner Kolb hätte immer genügend Steckenpferde gehabt, um sich auch ohne seine Fabrik ein reiches Leben zu gestalten. Reiten zum Beispiel. Oder Tennisspielen, Radfahren und Skifahren, am liebsten im frischen, tiefen Pulverschnee die Gipfel hinunter. Je steiler die Hänge, um so schöner. Was er tut, tut er mit Leidenschaft. In den Vitrinen seiner Direktionsetage zeugt eine breit angelegte Sammlung von Swatch-Uhren davon, wie systematisch er vorgeht, wenn er ein Ziel vor Augen hat. Der Designer Alfred Hofkunst war so begeistert, dass er ihm das Plakat einer «GUHRke», einer BonjUHR und einer VerdUHRa mit persönlicher Widmung signierte. Etwas weniger öffentlich, aber mindestens so leidenschaftlich, hat Werner Kolb auch Teddybären und Waffen gesammelt. Werner Kolb mit seiner kämpferischen und mit seiner verspielten, menschlichen Seite: Die Teddies, seine Freunde, die mit ihm sprechen, ihn trösten, ihm zu neuen Taten Mut machen, bevölkern sein Büro, um die Begegnungen mit dem Chef gleich sympathisch zu machen. Die Waffen ruhen sicher verwahrt in einem Räumchen gleich nebenan. Als Mittel zur Eroberung von Macht und Reichtum haben sie längst ausgespielt. Umso ungetrübter üben sie ihre Faszination auf ein Männerherz aus.

53


Schnell-Dampferzeuger 1969

Abladestation am Kolb-Geleise SBB 1970


Eine Kompanie der Schweizer Armee r端ckt ein

Das Fasslager in Achtungstellung


Betriebsausflug 1974


Ungetrübte Stimmung

Auch bei Regenwetter «im Schuss»


Zunftrede von Heinrich Guggenb端hl bei Letzi-Zunftmeister Werner Kolb


Zwanzig Jahre Dr. W. Kolb AG. Der Chef wird 60

Werner Kolb leitet die Urauff端hrung des Kolb-Marsches


Alle Mann bereit …

… zur Übung der Betriebsfeuerwehr


Eine Etage hรถher

Nach 25 Jahren Wachstum


1995: Ein Jubilar l채sst sich feiern


Die F채sser stehen Spalier

Zum Jubil채um Worte des Danks


Unter einem guten Stern


Seit 1999 heisst das Unternehmen einfach Kolb


D R I T T E R T E I L : D A S U N T E R N E H M E N I N D E R Z W E I T E N G E N E R AT I O N . 1 9 9 1 U N D D A N A C H jetzt wohl geschehen? Bläst nun ab sofort ein anderer Wind? Andererseits war es auch für mich schon gar nicht einfach – vor allem zu wissen, wie ich gerade dieses «Tochter-vom-Chef-Image» abbauen konnte.» Sie hatte unterdessen eine Familie gegründet. Dass sie als Mutter einmal die Nachfolge ihres Vaters antreten und selbstständige, verantwortliche Geschäftsfrau werden könnte, schien ihrem Vater unter der familiären Belastung ziemlich unwahrscheinlich. Aber für sie war klar, was sie wollte. Die Übergabe erfolgte zu einem idealen Zeitpunkt: «Eine grossartige Aufgabe, nach zehnjähriger Einführungszeit anpacken zu können, ist eine echte Herausforderung», bekannte sie in der «KolbZeitung» im Mai 1991: «Ich kann mit 150 guten, motivierten Mitarbeitern zusammenarbeiten. Ein erfahrenes Geschäftsleitungs-Team unterstützt mich dabei. Ausserdem steht mir der Verwaltungsratspräsident Dr. Kolb als persönlicher Berater bei. Das ist eine ideale Ausgangslage.» Wie gut Esther Dale-Kolb die Ausgangslage nutzte, um das väterliche Unternehmen in der Rezession der frühen Neunzigerjahre entschieden weiter auszubauen, sollte sich bald zeigen. Ihr Bekenntnis zu den Mitarbeitern zahlte sich aus: «Die Mitarbeiter sind das humane Kapital jeder erfolgreichen Firma. Es ist mir ein Anliegen, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Kräften zu motivieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Ideen und Erfahrungen in die zukünftige Entwicklung einzubringen.» Das gesunde Betriebsklima setzte Energien frei, um neue Herausforderungen anzupacken. Und diese Energien wurden gebraucht. Trotz Expansion des Betriebs nach Holland und trotz raschem Wachstum in den letzten Jahren hatte das Unternehmen flexibel zu bleiben. Es galt, die steigenden Qualitätsanforderungen des Marktes zu erfüllen, und in enger Zusammenarbeit mit den Kunden auf alle Fragen eine Antwort zu finden. Esther Dale-Kolb hatte gleich eine ganze Reihe von Herausforderungen anzunehmen.

ESTHER DALE-KOLB ÜBERNIMMT DAS UNTERNEHMEN. Anfängliche, fast unüberwindbare Schwierigkeiten bewältigte Werner Kolb mit enormer Durchsetzungskraft und mit unermüdlicher Energie. Sein Einsatz, seine engagierten Mitarbeiter und die Treue seiner Kunden liessen das Kleinstunternehmen mit seinen drei Mitarbeitern zu einem mittelgrossen Betrieb anwachsen. Und der Pionier der ersten Stunde war mittlerweile 65 Jahre alt. Im Januar 1991 war es soweit. Dr. Werner Kolb hatte sich entschieden, sich aus der Geschäftsleitung zurückzuziehen, und die Leitung der Firma in Hedingen eine Generation weiterzugeben. Seine älteste Tochter Esther Dale-Kolb war bereits seit 1981 als Produktmanagerin im Unternehmen tätig gewesen. Bei allem Vertrauen in seine Tochter ist Werner Kolb der Entscheid zum Rückzug kaum leicht gefallen. Etwas zu sagen und es dann auch durchzusetzen, sind oft zwei verschiedene Dinge, nicht zuletzt in Nachfolgefragen. Aber auch in dieser Hinsicht überzeugte Werner Kolb mit seiner Konsequenz. Er nahm nur noch an Sitzungen teil, wenn er eingeladen war, und er erteilte nur noch Ratschläge, wenn sie erwünscht waren. Kollegial und produktiv haben Vater und Tochter ihre Gespräche geführt, weil schliesslich die Alten von den Jungen genauso viel lernen können wie die Jungen von den Alten. Mit der Übernahme der Geschäftsleitung ging für Esther Dale-Kolb ein Traum in Erfüllung. Esther hatte die ganze Entwicklung von Anfang an miterlebt und entwickelte so eine enge Verbundenheit mit der Firma. Zum Erstaunen ihres Vaters entschloss sie sich, bereits im Erwachsenenalter, Chemie zu studieren. Aus alleiniger, freier Entscheidung, wie sie nachdrücklich festhält, pflegt sie die Familientradition nun schon in der dritten Generation. Schon während ihres Studiums als Chemikerin in England und vor allem während der Semesterferien schlüpfte Esther Dale-Kolb in die Schuhe des Vaters. Zusammen mit den Vertretern des Hauses betreute sie den Markt in Grossbritannien. Als weibliche Person, erzählt sie, war es einfach, Kontakte zu den Kunden zu knüpfen. Eine Erlaubnis für einen Versuch zu erhalten, wurde dann allerdings schwieriger, denn niemand konnte sich so richtig vorstellen, dass eine junge Frau in Gummistiefeln und Überkleid an einer Maschine mit anpacken würde. So lernte sie auch die Freuden und Leiden im Aussendienst hautnah kennen. Plötzlich Chefin zu sein, fiel Esther Dale-Kolb am Anfang nicht leicht: «Ich konnte die Fragezeichen in den Augen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr genau sehen. «Die Tochter des Chefs?» Was wird

– Fragen im Strukturwandel der Gesellschaft – Aufbau eines Zweigwerks in Holland – Innovationen bei den Produkten – Umweltfragen – Verschärfte Bestimmungen in dem sich zusehends vereinigenden Europa

66


Grosse Pläne im Inland und im Ausland verlangten bedeutende Veränderungen. Vorerst einmal auf dem Papier. Die Dr. W. Kolb AG wurde Tochter. 1991 gründeten Vater und Tochter gemeinsam die Dr. W. Kolb Holding AG mit Sitz in Zug. Die bisherigen Aktionäre der Dr. W. Kolb AG tauschten ihre Aktien gegen Aktien der Dr. W. Kolb Holding AG ein. Dadurch wurde die neu gegründete Holding Eigentümerin der Dr. W. Kolb AG und der kurz zuvor gegründeten niederländischen Tochtergesellschaft Dr. W. Kolb Nederland B.V. Mit der Gründung der Kolb Asia Pte. Ltd. mit Sitz in Singapur stiess 1995 eine weitere Tochterfirma zur Gruppe. Ganz aus dem Geschäft zurückzuziehen brauchte sich der frisch gebackene Rentner Werner Kolb indessen nicht. Mit einiger Ironie und gemischten Gefühlen spricht er von seiner neuen Rolle: «Unser Verwaltungsrat bestand aus 2 Mitgliedern: meiner Tochter und mir.» Werner Kolb als Präsident und Esther Dale-Kolb als Delegierte hielten ihre Sitzungen in Zug oder in der Freizeit ab. Ein netter kleiner Vorteil von Familienbetrieben, wenn «die Chemie stimmt». 1998 kam als dritter im Bund der Unternehmensberater Werner Fassbind dazu. Obwohl sich im Organigramm des Unternehmens einiges verändert hatte, wurde Werner Kolb als VR-Präsident bestätigt. So blieb dann, nach 26 Jahren Unternehmensführung, die erwartete eigene Hilflosigkeit, die bei Halb- oder Ganzpensionierungen nur allzu oft vorkommt, aus. Langsam, aber sicher und entschlossen löste sich der Firmengründer von allen Verantwortungen für den Betrieb in Hedingen. Das fiel ihm umso leichter, als ein Grossteil seiner Kraft noch während mindestens der nächsten Jahre durch den Aufbau eines Werkes in Moerdijk (Holland) beansprucht wurde. Noch einmal war Werner Kolbs Pioniergeist gefragt: Seine enorme Erfahrung konnte in den Aufbau des Werks eingebracht werden.

unternehmerisches Abenteuer in fremder Umgebung ein? Der allgemeine Trend von Schweizer Unternehmern, einen Fuss über die Schwelle des zusammenwachsenden Europas zu setzen, als sich die Schweiz als Alpeninsel zu isolieren schien, reichen für eine Erklärung nicht aus. Es brauchte konkretere Gründe. Zum Beispiel: Unter anderem stand in Hedingen, wenigstens nach der Meinung der Gemeindeväter, ganz einfach kein Land mehr zur Verfügung. Überdies geriet die Dr. W. Kolb AG auf ihrem Wachstumspfad mit der Logistik sowie mit der Lagermöglichkeit von Rohstoffen und Endprodukten allmählich in einen Engpass. Es ging um den Transport gefährlicher Güter. Ausgerechnet der wichtigste Rohstoff, der zur Herstellung verschiedenster Produkte wie z.B. für Waschrohstoffe verwendet wird, fiel in diese Kategorie. Lieferanten machten darauf aufmerksam, dass sie Transporte von Ethylenoxid quer durch Europa nur noch für etwa fünf Jahre zusichern konnten. Vor allem deshalb war eine Lösung zu suchen, die dem Unternehmen eine weitere Zukunft versprach. Die geografische Lage in Holland war auch von der Transportseite her interessant. Rohstoffe von Nordeuropa nach Hedingen zu bringen, um dann zwei Drittel der Fertigprodukte wieder dorthin oder von dort weiter nach Übersee zu verfrachten, war mit enormen Kosten verbunden und in Zeiten der Globalisierung nicht mehr opportun. In Moerdijk (Klundert), südlich von Rotterdam, stand ideales, flaches Land in einem der grössten Industriegebiete Hollands zum Kauf. 60 000 m2, keine zwei Kilometer von Shell entfernt, wechselten die Hand. Moerdijk offerierte alles, was das Unternehmen brauchte: Noch viele Hektaren Reserveland, genügend Arbeitskräfte, kürzere Transportwege nach Übersee und Nordeuropa, ein Standbein in der Europäischen Union usw. «Bei der B.V. Moerdijk handelt es sich im Grunde einfach um eine Kopie des Werks in Hedingen», sagen Esther Dale-Kolb und Dr. Werner Kolb: «Einfach etwas grösser, etwas schöner, etwas logischer aufgestellt.»

NEUE PIONIERZEIT IN MOERDIJK, HOLLAND «Nun läuft sie, die Schwester der Dr. W. Kolb AG», schrieben Werner Kolb und Esther Dale-Kolb mit gemeinsamer Begeisterung in «Kolb Tensitimes» im Oktober 1993: «Wir habens geschafft. Die Gewissheit, auch so eine grosse Herausforderung mit unseren Mitarbeitern erfolgreich bewältigen zu können, ist ein äusserst beglückendes Gefühl, und wir sind stolz auf unser einzigartiges Team.» Der Erfolg war allerdings härter errungen, als der Jubel im Ziel vermuten lässt. Der Baukomplex sieht aus wie mit leichter Hand vom Reissbrett in die grüne Wiese am Meer übertragen. Aber jeder Baustein war eine Herausforderung. Warum gründet ein kleines Schweizer Unternehmen überhaupt eine B.V. in Holland? Weshalb lässt sich ein gut schweizerisches KMU auf ein

BAUZEIT Was im deutschen Sprachbereich der erste Spatenstich ist, heisst in Holland «Pfahlschlag». Er fand 1991 statt. Im Januar 1993 hätte das Werk den Betrieb aufnehmen sollen. Aber es war erst im August 1993 soweit. Zwanzig Arbeiter warteten vor der Tür, um sich die Zeit mit Kartenspielen zu vertreiben, bis der Neubau bezugsbereit war. Er kam auf 33 Mio. Franken zu stehen. Die Baugeschichte war eine Leidensgeschichte. Trotz vorsichtiger Planung blieben die Rückschläge nicht aus. Moerdijk verlangte von Werner Kolb genau das, was er im Grunde am meisten liebt – die absolute Herausforderung.

67


«Je näher die Vollendung rückt, desto mehr gleicht sie der Kraftanstrengung, einen 4000 m hohen Berg zu erklimmen. Immer wieder sind neue Schwierigkeiten zu überwinden, grössere oder kleinere, und irgendwo kommt dann die Schlüsselstelle. Die schwierigste Passage, durch die man hindurch muss, um den Gipfel zu erreichen. Und bis am Ende bleiben die Fragen: Wie rasch und reibungslos bringen wir die Anlage zum Laufen? Wird die Auslastung der Planung entsprechen?»

ständiger Innovationen in der Produktion genauso wie bei den Produkten. Sehr bald zahlte sich jede Anstrengung aus. «Flexibler, sicherer und qualitätsbewusster kann man in unserem Geschäft nicht produzieren», bilanziert Theo L. Henrickx, Geschäftsführer der Dr. W. Kolb Nederland B.V., seine ersten Erfahrungen in Kolbs Tensitimes 7/1994: «Dahinter steckt die ausgereifte Technologie, die aus der 30-jährigen Geschichte des Kolb-Know-hows entstanden ist.»

BETRIEBSAUFNAHME 1993 konnte die Dr. W. Kolb Nederland B.V. endlich mit der Produktion beginnen. Was für einen sicheren Betrieb notwendig war, verlief reibungslos. Am ersten Tag fast unwahrscheinlich reibungslos. Am zweiten zeigten sich die ersten Tücken. Mehrere Monate lang waren in Hedingen die zwanzig holländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihre neuen Aufgaben eingeschult worden. Die Sicherheit der Anlagen war wegweisend. «Jede Fehlbedienung der Anlagen wird sofort registriert», war in der gleichen «Kolb Tensitimes» nachzulesen: «Sofern man die Sprache des Computers versteht, leitet er einen wieder auf den richtigen Weg.» In Tag- und Nachtschichten wurde das gesetzte Soll im ersten Monat gerade erfüllt. Es ging aufwärts. Als besonders gute Investition hat sich die Pipeline erwiesen. Bis heute funktioniert sie praktisch problemlos und genügt immer auch den höchsten Anforderungen. Sie führt von der Shell-Niederlassung in Moerdijk zur Dr. W. Kolb AG, um den Transport von Ethylenoxid unter allen Umständen zu gewährleisten: Tag und Nacht, unabhängig von Sturm und Kälte, logistischen Engpässen und Personalproblemen. Das Rohr verläuft teilweise unterirdisch und enthält auf seinen 2,5 km Länge stets rund 15 000 Liter Ethylenoxid. Die Kapazität beträgt bis zu zwölf Tonnen pro Stunde, auch wenn der Bedarf in der Praxis bis zu 28 Tonnen pro Stunde beträgt. Die Vorratstanks wirken dann als Puffer, um die Schwankungen aufzufangen. Die optimale zweischichtige Auslastung beider Werke – in Moerdijk mit den grösseren Mengen und in Hedingen mit Spezialprodukten – stellt für das Marketing sowie für Forschung und Entwicklung eine Herausforderung dar. Immer mit dem Ziel, die Kunden in der Qualität und in der Lieferfähigkeit zufrieden zu stellen, bewiesen die Mitarbeiter in Hedingen und Moerdijk ausgesprochene Flexibilität. Werner Kolb hatte mit seiner Tochter und dem vollen Einsatz der ganzen Belegschaft noch einmal ein Werk geschaffen, das die Zukunft und Existenz der Firma auch langfristig sichert. Die Unabhängigkeit bleibt trotz enger vertraglich gesicherter Zusammenarbeit mit Shell gewährleistet: Nicht zuletzt dank

REZESSION ALS CHANCE Während in den Neunzigerjahren Zusammenschlüsse, Übernahmen und Schliessungen von Firmen in den Wirtschaftszeitungen Schlagzeilen machten, schafften es andere, sich durchzusetzen und neu zu orientieren. Die sehr kurzfriste Auftragslage kitzelte auch die Nerven der Kolb Gruppe. Das Unternehmen nutzte die Gelegenheit als Training und als ständige Herausforderung, durch gute Koordination und rasches Handeln die Flexibilität täglich unter Beweis zu stellen. Einige Unternehmen besannen sich auf ihre Wurzeln und produzierten nurmehr ein paar wenige Hauptprodukte; sie legten ihr Geld in Anlagen an und bedienten nur noch eine Handvoll Kunden oder überliessen den Kundendienst einer dritten Partie. Andere konzentrierten sich auf Serviceleistungen und legten die Produktion in die Hände von Lohnproduzenten. Spezialisierte Logistikunternehmen, Lohnproduzenten und Marketing-Firmen veränderten die industrielle Struktur nicht nur in der Schweiz, sondern global ganz entscheidend. «Gibt es denn keine Vorteile, die gesamte Dientleistungskette vom Erkennen der Kundenwünsche bis hin zu deren Erfüllung aus einer Hand anzubieten?», fragten Esther Dale-Kolb und Verwaltungspräsident Werner Kolb. «Sehr wohl gibt es die», befanden sie: «Beide Seiten, Hersteller wie Kunden, profitieren von einer Organisation, die forscht, entwickelt, produziert und auch den Kunden den gewünschten Service anbietet. Wir können die Wunschvorstellungen der Kunden vollumfänglich erfüllen, wenn wir alle Facetten unserer Aktivität berücksichtigen», sagt Esther Dale-Kolb – und handelte danach. In einer Welt, in der die häufigsten Geschäftsbegriffe «global», «umstrukturieren», «fusionieren» und «defusionieren» lauteten, hatte die Dr. W. Kolb AG nur immer das eine Ziel im Auge: für den Kunden da zu sein, und zwar mit der klaren Forderung an sich selbst: Dass auf lange Sicht Qualität und Service vor dem Preis kommen muss. Mit anderen Worten: Die Wettbewerbsfähigkeit darf nicht auf Kosten der Kunden – und schon gar nicht auf Kosten der Mitarbeiter – erhalten werden. Mit Qualität und Service hatte sich das Unternehmen seinen guten Ruf erworben. Allein mit dem weiteren Ausbau der Leistungen wird es ihn weiter festigen.

68


Unter dem Motto, Bewährtes zu pflegen und Neues zu entwickeln, hat Esther Dale-Kolb das Unternehmen so strukturiert, dass es den veränderten Marktgegebenheiten und den Kundenwünschen jederzeit gerecht werden kann. Vom Pionierbetrieb hat es sich definitiv und energisch zum modernen, mustergültigen Familienbetrieb gewandelt. Professionelle Augen prüften, wo sich im Laufe der Zeit Routine und Bequemlichkeiten eingeschlichen hatten. Kürzere Entscheidungs- und Ablaufwege und Vermeidung von Doppelspurigkeiten erzielten nicht nur Kosteneffizienz, sondern sie förderten auch die Schnelligkeit und Flexibilität. Esther Dale-Kolb baute die Firmenhierarchie konsequent ab und schuf eine prozessorientierte, flache Organisation. Zu gross gewordene Bereiche teilte sie auf, um kleinere, schlagkräftigere Teams zu bilden. Das widerspiegelt vor allem den Wunsch, noch kundenorientierter und effizienter zu arbeiten.

der Dr. W. Kolb AG in Hedingen die Forderungen von EN ISO 9001 erfüllt. Kurz darauf folgte die Schwesterfirma in Moerdijk mit ISO 9002. Die Herstellung und der Vertrieb von oberflächenaktiven Substanzen und Papier-Prozess-Chemikalien entspricht damit höchsten Anforderungen. Seither überprüft die externe Zertifizierungsstelle alle sechs Monate, ob die Werke die geforderten Werte weiterhin bringen. Worum es geht, stellt Esther Dale-Kolb klar: «Die ISO-Norm birgt auch Gefahren. Aber richtig implementiert – und vor allem gelebt – fördert sie die Qualität und die Flexibilität. Sie lässt Raum für Individualität, erhöht die Transparenz und Qualität. Sie fordert lediglich das Dokumentieren und Einhalten von gewissen Spielregeln, um Fehlerquellen zu vermeiden.» Dem Unternehmen hat das bis heute nur Vorteile gebracht.

NEUERUNGEN IN DER PRODUKTION Neue Investitionen weisen den Weg in die Zukunft. Das Pastillierband von 1995 war ein erster, aber wichtiger Schritt zur Spezialisierung auf immer noch anspruchsvollere Kunden, vor allem im Kosmetikbereich. Nach sieben Monaten Bauzeit bei Berndorf in Wien begann das Band in Hedingen zu laufen. Es schmilzt täglich 4000 bis 5000 kg feste Produkte auf und giesst sie in kleine Kügelchen um. Die Vorteile für die Kunden liegen im wahrsten Sinne auf der Hand. Die Pastillen sind leichter dosierbar und staubfrei anwendbar. Sie verpappen weniger als die bisherigen Schuppen und lassen sich platzsparender lagern. Seit 1997 erzeugt die Dr. W. Kolb AG in Hedingen eigenen Strom. Und zwar mit Pfiff. Als sich aufgrund steigender Produktionszahlen Engpässe bei der Energieversorgung abzeichneten, suchte man nach einer umweltgerechten und ökonomischen Lösung. Fündig wurde man in einem modernen Blockheizkraftwert (BHKW). Es beruht auf einer Wärmekraftkopplung, die neben mechanischer Energie auch nutzbare Wärme für Gebäude, Tanklager, Kälteerzeugung und Produktion gewinnt. Der Dieselmotor von 2 x 200 kW Leistung wird mit Heizöl betrieben. Durch die Kopplung von Wärme und Strom erreicht er einen Nutzungsgrad von über 90%.

QUALITÄT ALS HÖCHSTER ANSPRUCH SEIT DER ERSTEN STUNDE Der Start des Firmengründers hattte nur gelingen können, weil er sich im Kampf um die Gunst der Kunden von Anfang an einer straffen internen Organisation bediente. Sie wies bereits alle Elemente auf, die heute im Qualitätsmanagement unter Stichworte fallen wie: Verantwortung der obersten Leitung, Vertragsüberprüfung oder auch Rückverfolgbarkeit. Etwas anderes wäre, nebenbei gesagt, gar nicht möglich gewesen: Die junge Unternehmung hatte aus so wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestanden, dass jeder für verschiedenste Belange zuständig sein musste. Nur gute schriftliche Dokumentationen überbrückten die oft langen Abwesenheiten. Aus Verpflichtung für seine Kunden hatte aber auch die Produktequalität im Hause Kolb von Anfang mehr als die Einhaltung von Sollwerten bedeutet. Werner Kolb hat Produktequalität stets als ein Ganzes betrachtet, das alle Beziehungen zwischen Lieferanten, Kolb und Kunden umfasste. Mindestens so grossen Wert legte das Unternehmen aber auch auf die interne Qualität, welche allein die Qualität der Produkte garantiert. Heute mehr denn je. Jede Papiermaschine hat ihre Besonderheiten. Das verlangt neben einer beträchtlichen Palette bewährter Standardgebinde die ständige Entwicklung individueller Produkte. Die Leute im Aussendienst kennen selbstverständlich alle ihre Kunden und ihre speziellen Ansprüche persönlich. Der Wunsch vieler Partner, das hauseigene Qualitätssicherungssystem nach einem international anerkannten Standard zertifizieren zu lassen, stiess deshalb auf offene Ohren. Die Bestätigung für den Erfolg liess nicht lange auf sich warten. 1994 bescheinigte das Bureau Veritas Quality International (BVQI), dass das Qualitätsmanagement-System

69


Grund zum Bauen


Grund zum Feiern: Erfolgsdruck und eine ideale Lage in Moerdijk (Holland)


Dr. W. Kolb AG erobert Neuland Traditioneller Pfahlschlag 1991


Werner Kolb und Esther Dale-Kolb mit den Vertretern der Shell Vertragsabschluss in der Stadthalle 端ber sechs Hektar Land


Erst der Tiefbau

Dann der Hochbau


Je grösser die Probleme beim Bauen …

… desto stolzer präsentiert sich das vollendete Werk


Ein Unternehmen führen heisst zuhören, erklären, zuhören ...

Esther Dale-Kolb mit Werner Fassbind, dem neuen Mann im Verwaltungsrat


Tanklager in Moerdijk

Autoklav f端r dreissig Tonnen


Dr. W. Kolb Nederland B.V. Mit Anschluss an Bahn und Schiff und Pipeline zu Shell


BLICK ZURÜCK

«Wissen Sie, was Alter bedeutet», fragt Werner Kolb. Er hält eine ganze Reihe von Antworten auf Lager. Testen Sie sich. Wenn drei und mehr auf Sie zutreffen, sind Sie alt.

Mit seinen 75 geht Werner Kolb nicht mehr täglich in «seine» Fabrik. Sieben Wochen Skifahren, drei Wochen Tauchen, zwei Wochen Reiten und zwei Wochen Klettern geben ihm gute Verschnaufpausen und neue Energie. Mindestens ebenso geniesst er es bis heute, in seinem Büro über die Dächer, die Kessel und die Fasslager zu blicken, um den Geist über die grünen Wiesen des Säuliamtes schweifen zu lassen. Das Werk bleibt für ihn sein Werk, auch wenn seine älteste Tochter zur klaren Führung auch die Aktienmehrheit besitzt. Wie «sein» Werk unter der Führung von Esther Dale-Kolb weiter gedeiht, macht ihm Tag für Tag wieder Freude. Dem Pionierunternehmen ist der Wandel zur weltweit aktiven Unternehmensgruppe gelungen. Und was er schon im Dreimannbetrieb erstaunt lernen musste, sieht Werner Kolb noch viel mehr für die Kolbgruppe bestätigt: Dass es für den Unternehmenserfolg mehr braucht als die Herstellung überlegener Produkte. Es braucht bei dieser Firmengrösse einen grossen Einsatz qualifizierter und engagierter Leute, die regelmässig und selbstständig tausende kleiner Aufgaben lösen. Und zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommen die Kunden und Partner, die gleichermassen überzeugt sein müssen, auch in Zukunft mit einem wegweisenden Unternehmen verbunden zu sein. Wie viel er ihnen allen verdankt, erfährt Werner regelmässig auch in seiner offiziellen Rolle, in der er nach wie vor über die Unternehmensausrichtung wacht. Schliesslich amtiert er noch immer als Verwaltungsratspräsident, und zwar nicht als einer von jenen, die an den wenigen Sitzungen im Schlaf kerngesunde Summen kassieren. – In seiner freien Zeit, die er sich reichlich gönnen kann, denkt er auf eine Weise übers Alter nach, wie nur junge Geister darüber nachdenken können.

«Sie kommen beim Schachspiel ausser Atem.» «Sie freuen sich auf einen langweiligen Abend.» «Sie laufen immer noch Frauen hinterher, wissen aber nicht mehr, warum.» «Alles tut Ihnen weh, und was nicht weh tut, funktioniert nicht mehr.» «Sie wissen auf alles eine Antwort, aber niemand stellt Ihnen Fragen.» In den Siebzigerjahren hatte Werner Kolb klettern gelernt. 1994 bestieg er das Matterhorn. Kurz darauf schrieb er in der «KolbZeitung» darüber. – Klettern und ein Unternehmen gründen: Verlangt nicht beides dasselbe, lernt man nicht bei beidem dasselbe? «Das Aufwärtsblicken ist einfacher, wenn man sich vom Gedanken befreit, dass man da hinaufklettern sollte. Aber dann beginnt es. Wo ist der nächste Tritt. Endlich, aber es reicht nicht zum Griff. Es muss reichen. Ein Kribbeln im Magen, überträgt sich auf Bein und Fuss, wie eine Nähmaschine zittert der Fuss auf und ab auf den kleinen Trittchen. Hurra. Ein Griff. Die Erlösung. Die Aufstiege habe ich gern, wo die schwierigste Stelle am Anfang ist. Jetzt geht es aber flott voran. Man lernt die Schwierigkeiten meistern, lernt die Gefahren erkennen und abschätzen. Man lernt, ungeheure Schimpfwörter von sich zu geben, wenn man glaubt, nicht mehr weiter zu kommen. Aber unbeschreiblich ist der Genuss am Ziel. Die herrliche Aussicht, mit einem fast überheblichen Blick die steile Felswand hinunter, die einem nun nichts mehr anhaben kann. Vergessen ist die Mühe. Ein bisschen Stolz, und es beherrscht einen eine ungeheure innere Erregung, die nur kennt, wer es selber erlebt hat.»

79


Gestaltung: Evelina Melchiori, Z端rich Druckvorstufe, Litho: Offset-Satz AG, Z端rich Druck: Offset-Druckerei Ernst AG, Z端rich



DR. WERNER KOLB UND SEINE

D R . W. K O L B A G .


DR. WERNER KOLB UND SEINE

D R . W. K O L B A G .


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.