Aspekte zur Politik für die kommende Legislaturperiode des Bundes

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Aspekte zur Politik f端r die kommende Legislaturperiode des Bundes



Aspekte zur Politik f端r die kommende Legislaturperiode des Bundes


Vorwort Deutschland ist im internationalen Vergleich in vielen Bereichen gut aufgestellt: Die wirtschaftliche Entwicklung ist – wenn auch auf niedrigem Niveau – stabil und die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts äußerst positiv. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen in Arbeit wie heute. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse liegt auf historisch hohem Niveau; die Sockelarbeitslosigkeit sinkt erstmals seit Jahrzehnten. Die Sozialversicherungen verzeichnen Rekordeinnahmen. Grundlage dieser hart erarbeiteten Erfolge sind erfolgreiche, wettbewerbsfähige Unternehmen und engagierte, gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine verantwortungsvolle Tarifpolitik von Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie richtige politische Weichenstellungen.

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In Europa gilt Deutschland in vielen Politikfeldern

zurückliegenden Jahre – insbesondere in der

als Vorbild: Schuldenbremse, duale Ausbildung,

Arbeitsmarkt-, Renten- und Steuerpolitik – dür-

funktionierende Sozial- und Tarifpartnerschaft,

fen nicht zurückgedreht oder verwässert wer-

ein starker Mix von Mittelstand und Großunter-

den. Auch für die Sozialversicherungen muss

nehmen, flexible Arbeitszeiten und eine Lebens-

eine nachhaltige Finanzierung der entschei-

arbeitszeitverlängerung sind hierfür Beispiele.

dende Kompass in Zeiten des demografischen

Deutschland hat in vielen Politikfeldern seine

Wandels sein. Die Unternehmen dürfen nicht

Hausaufgaben gemacht. Alle Baustellen sind

durch höhere Abgaben belastet werden und die

jedoch noch nicht abgearbeitet. Es gibt keinen

rasant steigenden Stromkosten unsere interna-

Grund, die Hände in den Schoß zu legen.

tionale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden.

Die Staatsschuldenkrise in Europa ist noch

Die wichtigsten Herausforderungen der wirt-

nicht überwunden. Auch Deutschland muss

schafts- und sozialpolitischen Agenda ste-

seinen Haushalt konsolidieren, konsequent

hen somit für die nächsten vier Jahre in vielen

Schulden abbauen und die Wettbewerbsfä-

Politikfeldern bereits fest. Die Politik muss diese

higkeit weiter verbessern. Zudem heißt es

Punkte entschlossen anpacken. Die Arbeitge-

Kurs halten: Die erfolgreichen Reformen der

ber werden sich konstruktiv beteiligen.

Prof. Dr. Dieter Hundt Arbeitgeberpräsident

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Vor welchen  Herausforderungen  steht unser Land in den kommenden Jahren?


Staatshaushalte in Europa und Deutschland ­konsolidieren und Schulden abbauen Die nahezu hemmungslose Verschuldung einiger Krisenstaaten in Europa hat den Blick dafür getrübt, dass sich auch Deutschland maßlos und weit jenseits der Stabilitätskriterien verschuldet hat. Wir dürfen nicht weiter über unsere Verhältnisse und damit auf Kosten künftiger Generationen leben. Die Staatsverschuldung muss durch Ausgabenreduzierung konsequent zurückgeführt werden. Das ist eine wesentliche Lehre aus der europäischen Staatsschuldenkrise.

Sozialsysteme nachhaltig ­ausrichten Die Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen liegen aktuell auf Rekordniveau. Daraus sind Forderungen nach teuren Leistungsausweitungen entstanden, von denen erste bereits umgesetzt wurden. Langfristig kann sich unser Land jedoch keine weiteren Leistungsausweitungen erlauben, sondern muss sich auf die Haushaltskonsolidierung fokussieren und höhere Abgaben vermeiden. Auch die Sozialsysteme müssen – besonders mit Blick auf die demografische Entwicklung – nachhaltig finanziert werden, damit ihre ­Funktionsfähigkeit garantiert ist.

Tarifeinheit ­gewährleisten Die Tarifautonomie ist ein klarer Standortvorteil Deutschlands! Denn nur die Tarifpartner haben die notwendige Sachkenntnis und Erfahrung, um branchen- und unternehmensspezifische Besonderheiten bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. So wird gewährleistet, dass Unternehmen wirtschaftlich arbeiten können, und damit Beschäftigung gesichert. Deshalb muss die Tarifautonomie gestärkt werden – insbesondere durch eine gesetzliche Regelung zur Wiederherstellung der Tarifeinheit.

Wettbewerbsfähigkeit des Standorts sichern Die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft Deutschlands müssen gestärkt werden, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Steuer- und Beitragserhöhungen jeglicher Art sind dabei kontraproduktiv. Die Energiewende darf nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Unternehmen führen.

Europäische Integration z­ ielgerichtet vorantreiben Die deutsche Wirtschaft profitiert im besonderen Maße vom europäischen Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung. Unser Wohlstand und unsere Arbeitsplätze sind eng damit verknüpft, dass Europa im globalen Kontext handlungsfähig bleibt. Daher sollte Deutschland an einer konsequenten Weiterentwicklung der europäischen Integration gezielt mitarbeiten.


Arbeitsmarkt & Arbeitsrecht

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Arbeit bedeutet gesellschaftliche und soziale Teilhabe, verringert das Armutsrisiko und

ermöglicht Selbstbestimmung. Nachdem die Sockelarbeitslosigkeit praktisch seit der Gründung der ­Bundesrepublik Deutschland unentwegt gestiegen ist, sinkt sie dank der richtigen Reformen am Arbeitsmarkt im Zuge der Agenda 2010 seit 2005 erstmals. Vielen Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen ist der (Wieder-)Einstieg in Arbeit ­gelungen,

oft über einfache Tätigkeiten in flexiblen Beschäftigungsformen. ­Beschäftigungshemmnisse ­abzubauen und mehr Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den gesellschaftlichen W ­ ohlstand angesichts des demografischen Wandels langfristig zu sichern, müssen ­Teilhabemöglichkeiten bestmöglich ausgeschöpft und Fachkräftepotenziale gehoben werden.

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Mehr Teilhabe durch fl ­ exible B ­ eschäftigungsformen e ­ rmöglichen Arbeit ist die Voraussetzung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an Wohlstand und sozialer Sicherung. Flexible Beschäftigungsformen wie Befristungen, Zeitarbeit und Minijobs senken die Einstellungshürden vor allem für diejenigen, die keine Ausbildung oder Berufserfahrung haben oder lange arbeitslos waren. Wer flexible Beschäftigungsformen eindämmt, trägt dazu bei, dass gerade Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte vom Arbeitsleben dauerhaft ausgeschlossen werden. Ihnen den Einstieg, aber auch den Aufstieg in Beschäftigung zu ermöglichen, ist ein Gebot sozialer

Gerechtigkeit. Zudem ist gerade für Menschen mit Erziehungs- oder Pflegeverantwortung eine Teilzeitbeschäftigung – die am weitesten verbreitete flexible Beschäftigungsform – oft die einzige Möglichkeit, um Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Ein ausgewogener Beschäftigungsmix ist von zentraler Bedeutung für einen gesunden, anpassungsfähigen Arbeitsmarkt.

Beschäftigung auf Rekordstand Entwicklung der Erwerbsbeschäftigung, in Mio.

39,0

40,4

41,6

2005

2009

2012

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012

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Beschäftigung auch durch Zeitarbeit sichern Zeitarbeit bietet in besonderer Weise die Chance auf Einstieg in Arbeit. Zwei Drittel der in Zeitarbeit Beschäftigten waren zuvor beschäftigungslos, 8,2 % sogar langzeitarbeitslos. Zeitarbeit verdrängt keine Stammbelegschaft. Die Zahlen belegen, dass in allen Betrieben, die Zeitarbeit einsetzen, auch die Zahl der Stammbelegschaften gestiegen ist. Damit hilft Zeitarbeit, Auftragsspitzen abzufangen, und bietet gleichzeitig Beschäftigten die Chance, Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt zu sammeln. Trotz des Branchenwachstums liegt die Anzahl der Zeitarbeitnehmer bei nur 2 % aller Erwerbstätigen. Durch

die Vereinbarung von Branchenzuschlägen für immer mehr Einsatzbranchen haben die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit erneut ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, branchengerechte und systemkonforme Lösungen für die spezifischen Anforderungen der Zeitarbeitsbranche zu finden.

Zeitarbeit wirkt als Beschäftigungsmotor Folgende Anteile der Zeitarbeitnehmer waren vorher …

… noch nie ­beschäftigt

9,3 %

… arbeitslos

54,9 %

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Stichtag 30. Juni 2012

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… beschäftigt

35,8 %


Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – Zeitarbeit SPD und Bündnis 90/Die Grünen sehen in der Zeitarbeit eine „prekäre“ Beschäftigungsform, die zurückgedrängt werden soll. Dafür soll der Einsatz von Zeitarbeit weiter reguliert werden. Beide Parteien fordern u. a. ein „Equal Pay“ – eine gleiche Bezahlung von ­ Zeit- und ­Stamm­arbeitnehmern.

Bewertung: Zeitarbeit ist eine reguläre, vollwertige, ­sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mit flächendeckender Tarifbindung und einem bundesweit geltenden Mindestlohn. Zu Recht wurden daher überkommene Beschränkungen der Zeitarbeit unter einer SPD-geführten Bundesregierung aufgehoben. „Equal Pay“ ab dem ersten Tag hätte negative Folgen für Wirtschaft und Beschäftigung. Betriebe verlören ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument, mit dem auch Stammarbeitsplätze gesichert werden. Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen bliebe eine wichtige Einstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt verwehrt. Für bereits neun Einsatzbranchen wurden von den Tarifpartnern – Arbeitgebern und Gewerkschaften – in der Zeitarbeit sog. Branchenzuschlagstarifverträge abgeschlossen, die teilweise Zuschläge von bis zu 50 % vorsehen.

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Beschäftigungspotenzial ­befristeter Arbeitsver­hältnisse erweitern Befristete Arbeitsverhältnisse sind gerade für Berufsanfänger ein erfolgreiches Modell für den Einstieg in Arbeit. Befristungen sind kein Massenphänomen, der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse liegt seit Jahren konstant unter 9 %. Die Quote der Arbeitnehmer, die direkt aus einer befristeten Beschäftigung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden, hat sich in den letzten Jahren aber auf fast 60 % gesteigert. Befristete Arbeitsverhältnisse erweisen sich somit als Beschäftigungsmotor. Das B ­eschäftigungspotenzial befristeter Arbeitsverhältnisse muss durch gesetzliche Entbürokratisierung unterstützt werden. Dazu ist es notwendig, Rechtsunsicherheit und überflüssige – von den Richtlinien der Europäischen Union nicht

geforderte – Beschränkungen aufzuheben und gesetzliche Entbürokratisierung zu unterstützen. So sollte eine sachgrundlose Befristung mit demselben Arbeitgeber erneut nach Ablauf eines Zeitraums von höchstens zwölf Monaten möglich sein. Dem Arbeitnehmer sollte das Recht eingeräumt werden, auch mehrfach mit demselben Arbeitgeber befristete Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund zu vereinbaren. Vor 2001 galt sogar ein Zeitraum von vier Monaten als ausreichend, der Gerichtshof der Europäischen Union lässt sogar drei Monate genügen.

Zahl der Befristungen unverändert, aber steigende Übernahmequote

8,3 %

2005

8,8 %

2007

8,6 %

2009

8,9 %

2011

Anteil der Befristungen an den abhängig Beschäftigten

39 %

48 %

45 %

56 %

Übernahmequote

Quellen: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Statistisches Bundesamt, 2012

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Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – ­Befristungen SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen befristete ­Arbeitsverhältnisse mit Sachgrund beschränken und ­sachgrundlose Befristung ganz abschaffen.

Bewertung: Beide Parteien verkennen die positive Beschäftigungswirkung von Befristungen. Befristete Arbeitsverträge, insbesondere sachgrundlos befristete, sind ein Beschäftigungsmotor besonders für Ersteinsteiger auf dem Arbeitsmarkt. Fast 60 % aller befristeten Arbeitsverhältnisse münden unmittelbar in einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Leidtragende einer solchen Regulierung wären insbesondere die Schwächsten am Arbeitsmarkt – ­Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose.

Werk- und Dienstverträge keinesfalls einschränken Arbeitsteilung und Spezialisierung sind für die Wertschöpfung in Unternehmen unverzichtbar. Das gilt für Handwerksarbeiten ebenso wie für das produktionsintegrierte Arbeiten. Werk- und Dienstverträge unterstützen Arbeitsteilung und Spezialisierung. Sie sichern Arbeitsplätze bei den Werkunternehmen und in den Einsatzbetrieben. Werk- und Dienstverträge sind keine spezifischen Beschäftigungsformen. Vielmehr gilt für Arbeitnehmer,

die im Rahmen von Werkverträgen beschäftigt werden, das gesamte Arbeits- und Tarifrecht wie für jeden anderen Arbeitnehmer auch. Werk- und Dienstverträge sind eine Vertragsform, die durch Arbeitsteilung und Spezialisierung die Zusammenarbeit unterschiedlicher Unternehmen ermöglicht und damit Wertschöpfung in Deutschland hält. Somit sind sie eine für den Arbeitsmarkt unverzichtbare Beschäftigungsform.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – Werkverträge SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen den Einsatz von Werkverträgen regulieren und die Mitbestimmung des B ­ etriebsrats wesentlich ausweiten.

Bewertung: Die vorgesehenen Regelungen zur angeblich besseren Abgrenzung von Zeitarbeit und Werkverträgen würden den Einsatz von Werkverträgen und Umstrukturierungen in Unternehmen erheblich erschweren, teils auch unmöglich machen. Zudem soll die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Vergabe von Aufträgen und bei Umstrukturierungen im Unternehmen ausgeweitet werden. Der Betriebsrat würde faktisch ein Vetorecht über die Fremdvergabe von Aufträgen erhalten, ohne gleichzeitig in die unternehmerische Verantwortung zu geraten. Eine solche Stellung als Ko-Unternehmer ohne entsprechende Haftung und Verantwortung ist mit der verfassungsrechtlich garantierten Unternehmerfreiheit nicht zu vereinbaren.

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Kündigungsschutz durch ­Abfindungsoption ergänzen Das geltende Kündigungsschutzrecht ist unübersichtlich und unklar. Kündigungsschutzprozesse bedeuten lange Rechtsunsicherheit für beide Parteien. Kalkulierbarkeit und Vorhersehbarkeit könnten durch eine Abfindungsoption geschaffen werden. Mit der Abfindungsoption würde Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt, vertraglich für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen die Zusage einer Abfindung auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage zu verzichten. Die Abfindungsoption ändert für bestehende Arbeitsverträge nichts am geltenden Kündigungsschutz, sondern ergänzt diesen. Schon jetzt ist es möglich, bei einer betriebsbedingten Kündigung ein Abfindungsangebot des Arbeitgebers anzunehmen und einen Prozess zu vermeiden. Diese Möglichkeit muss ausgebaut und für Arbeitsverträge generell nutzbar werden.

Mitbestimmungsverfahren ­weiterentwickeln Die Mitbestimmung hat sich in vielfältiger Weise bewährt. Die Verfahren der betrieblichen Mitbestimmung sind allerdings den Anforderungen einer globalen, im zunehmenden

Wettbewerb stehenden Wirtschaft teilweise nicht angemessen. Sie müssen durch die Einführung von Verfahrensfristen beschleunigt werden. Die Unternehmensmitbestimmung sollte – entsprechend dem europäischen Gesellschaftsrecht – für Vereinbarungslösungen geöffnet werden. Mitwirkung und Mitbestimmung sind wesentliche Elemente der Wirtschaftsordnung, dürfen aber die Unternehmerentscheidung nicht in Frage stellen.

Fachkräftemangel effektiv bekämpfen Um dem strukturellen, durch den demografischen Wandel wachsenden Fachkräftedefizit effektiv und nachhaltig zu begegnen, sind dringend weitere Schritte erforderlich: Reformen im Bildungssystem, nachhaltige Aus- und Weiterbildungsaktivitäten und Maßnahmen zur noch stärkeren Erschließung inländischer Potenziale, vor allem von Frauen, Älteren, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund, sind notwendig. Auch über die richtigen Reformen im Zuwanderungsrecht hinaus sind zusätzliche Schritte erforderlich, um Deutschland zu einem konkurrenzfähigen, attraktiven Ziel für internationale Fachkräfte zu machen. Neben der Entwicklung einer ­echten Willkommenskultur ist zu einer noch feineren Zuwanderungssteuerung eine Potenzialzuwanderung über transparente Kriterien wie z. B. Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse („Punktesystem“) notwendig.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – M ­ itbestimmung SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausweiten. Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Zeitarbeit und Werkverträgen.

Bewertung: Die Mitbestimmung ist in Deutschland Teil unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Dazu stehen die Arbeitgeber. Einer Ausweitung der Mitbestimmung bedarf es jedoch nicht. Beim Einsatz von Zeitarbeit hat der Betriebsrat bereits Mitwirkungsrechte nach dem Betriebsverfassungs­ gesetz, rechtlicher Handlungsbedarf besteht nicht. Demgegenüber ist die Vergabe von Werk- und Dienstaufträgen an Dritte nicht von Mitwirkungsrechten des Betriebsrats gedeckt. Eine Erstreckung hierauf würde im erheblichen Maße in die unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten eingreifen und wäre verfassungsmäßig bedenklich.

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Erwerbstätigkeit von Frauen umfassend ausbauen

Vereinbarkeit von Familie und Beruf dringend erleichtern

Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern gleichermaßen zu fördern und den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, ist ein wichtiges Anliegen der deutschen Wirtschaft – auch vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels. Starre Zwangsquoten sind jedoch der falsche Weg. Die Förderung von Frauen sollte vor allem bei der Berufswahl und der Vermeidung längerer Erwerbsunterbrechungen ansetzen. Die Ausgestaltung der familienpolitischen Instrumente und der ­steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen wirkt sich entscheidend auf die Erwerbsintegration von Frauen aus und damit auf ihre Teilhabechancen im beruflichen Leben. Sie sollten mit Blick auf diese Integrationswirkung auf den Prüfstand gestellt werden: Es dürfen keine Anreize für einen langfristigen Verbleib in nur geringfügiger Teilzeit oder gar zum Rückzug aus der Erwerbstätigkeit gesetzt werden. Andernfalls drohen Qualifikationsverluste, Karriereeinbrüche und bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit Altersarmut.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nicht zuletzt mit Blick auf die demografische Entwicklung für die Wirtschaft von größter Bedeutung. Vereinbarkeit im Interesse von Beschäftigten, Unternehmen und Gesellschaft gelingt aber nur, wenn alle Akteure zusammenwirken. Die Arbeitgeber leisten ihren Beitrag z. B. mit flexiblen, familienbewussten Arbeitszeiten und Unterstützung beim beruflichen Wiedereinstieg sowie bei der Kinderbetreuung. Eine qualitativ hochwertige und bedarfsdeckende Kinderbetreuung sicherzustellen, ist allerdings vorrangig eine staatliche Aufgabe. Der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur muss höchste Priorität behalten. Eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aber auch ein modernisiertes Arbeitszeitrecht. Mehr Arbeitszeitflexibilität wäre möglich, wenn das deutsche Arbeitszeitrecht in Übereinstimmung mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie künftig nicht mehr auf eine tägliche, sondern auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit abstellt.

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soziale sicherung

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Die langfristige Finanzierbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme ist eine wichtige

Voraussetzung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Damit verbunden ist die Herausforderung, dass aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Arbeitnehmer die Finanzierungslast der Sozialversicherung zu tragen haben. Nur mit weiteren Strukturanpassungen wird es daher gelingen, die Sozialabgaben dauerhaft auf unter 40 % zu begrenzen. Alles andere

wäre weder leistungs- noch generationengerecht. Dazu sollten umlagefinanzierte Leistungen auf eine Basissicherung beschränkt, ihre Finanzierung stärker vom Arbeitsverhältnis gelöst und durch individuelle Absicherungen ergänzt werden. So können Solidarität und Subsidiarität wieder in ein angemessenes Verhältnis rücken. Zusätzliche Belastungen der Beitragszahler durch Leistungsausweitungen ohne solide Gegenfinanzierung sind wachstums- und beschäftigungsfeindlich und damit unsozial.

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Gesetzliche Rentenversicherung weiter stabilisieren Die Rentenreformen der vergangenen Jahre haben dazu beigetragen, die finanzielle Tragfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich zu stärken. Jetzt kommt es darauf an, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre konsequent umzusetzen und bereits beschlossene Maßnahmen nicht wieder in Frage zu stellen.

Angesichts des demografischen Wandels und der zwingenden Notwendigkeit, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, sind neue Leistungsversprechen in der gesetzlichen Alterssicherung nicht finanzierbar. Im Gegenteil: Durch weitere Strukturveränderungen muss der Beitragssatz auch dauerhaft unter 20 % gehalten ­werden.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – Rente Die SPD plant rentenpolitische Änderungen, die eine nahezu ­vollständige ­Abkehr von allen von ihr selbst mitbeschlossenen ­Rentenreformen bedeuten: Aussetzung der „Rente mit 67“, Beibehaltung des ­Rentenniveaus und Möglichkeiten für eine Frührente ohne ­Abschläge.

Außerdem fordert die SPD die Einführung einer steuer­finanzierten ­„Solidarrente“ in Höhe von „nicht unter 850 €“ im Monat für Versicherte mit mindestens 30 Beitrags- und 40 Versicherungs­jahren.

Bewertung: Der Kurswechsel der SPD in der Rentenpolitik käme die Beitrags- und Steuerzahler teuer zu stehen. Die Rentenversicherung würde in den nächsten Jahren mit stark steigender Tendenz finanziell belastet. Langfristig (2030) entstünden für die Beitrags- und Steuerzahler Mehrbelastungen von weit über 40 Mrd. €, und das zusätzlich zu den ohnehin aufgrund der demografischen Entwicklung zu erwartenden Ausgabensteigerungen in der Rentenversicherung.

Die vorgeschlagene „Solidarrente“ wäre teuer und würde auch vom Grundsatz abweichen, dass sich die Höhe der Renten nach den zuvor eingezahlten Beiträgen richtet. Nicht nur Geringverdiener würden begünstigt, sondern auch Personen, die deshalb wenig verdient haben, weil sie nur wenige Stunden pro Woche gearbeitet haben. Die Kosten für eine derartige „Solidarrente“ würden nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums bei mindestens 10 Mrd. € pro Jahr liegen.

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Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – R ­ ente Bündnis 90/Die Grünen fordern u. a. eine steuerfinanzierte „Garantierente“ von mindestens 850 €. Allen Neurentnern mit mindestens 30 Versicherungs­jahren soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung garantiert werden.

Bewertung: Die vorgeschlagene „Garantierente“ wäre nicht nur teuer und in der Sache auch grundlegend falsch. Auch sie wäre eine Ausnahme von der Regel, dass sich die Höhe der Renten nach den zuvor eingezahlten Beiträgen richtet. Eine solche Ausnahme wäre allenfalls dann vertretbar, wenn sie auf langjährig in Vollzeit tätige Beitragszahler beschränkt würde, die dennoch über kein ausreichendes Alterseinkommen verfügen. 30 Versicherungsjahre – dazu zählen auch Zeiten der Ausbildung und Arbeitslosigkeit – stellen hingegen keine besonders zu begünstigende Lebensleistung dar. Zudem würden nicht nur Geringverdiener begünstigt, sondern auch Personen, die deshalb wenig verdient haben, weil sie nur wenige Stunden pro Woche gearbeitet haben. Das kann nicht gewollt sein. Zudem fehlt es an einer Konzentration dieser Leistung auf Personen, die über kein ausreichendes anderes Einkommen verfügen. Die Kosten für eine derartige „Garantierente“ würden nach einer ersten Einschätzung bei rd. 15 bis 20 Mrd. € liegen.

Immer weniger Erwerbsfähige müssen Rente schultern Verhältnis von Erwerbsfähigen und Rentenbeziehern

6:1

4:1

3:1

2:1

1950

1980

2010

2030*

Erwerbsfähige (20 bis 64 Jahre)

Rentner (ab 65 Jahre)

* Prognose Quelle: Statistisches Bundesamt, 2013; eigene Darstellung

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Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – Rente CDU und CSU wollen eine sog. Lebensleistungsrente einführen. Wer 40 Jahre v­ ersichert ist und privat v­ orgesorgt hat, soll einen Zuschuss zur Rente auf 850 € erhalten. CDU und CSU planen zudem ab 2014 für alle Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren ­wurden, die Erziehungsleistung mit einem zusätzlichen Rentenpunkt in der Alterssicherung zu berücksichtigen („Mütterrente“). Das entspricht bei zwei Kindern durchschnittlich 650 € mehr Rente im Jahr.

Bewertung: Das Vorhaben von CDU/CSU einer „Lebensleistungsrente“ wäre teuer und in der Sache falsch. Es wäre eine Ausnahme von der Regel, dass sich die Höhe der Renten nach den zuvor eingezahlten Beiträgen richtet. Die Folge wäre, dass ein Versicherter mit höherer Beitragsleistung als ein anderer Versicherter trotzdem später eine geringere Rente erhalten könnte. Eine rentenrechtliche Besserstellung von Müttern, die ihre Kinder vor dem Jahr 1992 geboren haben, ist abzulehnen. Sie hätte langfristige jährliche Mehrausgaben von 7 bis 8 Mrd. € zur Folge. Die geplante Finanzierung aus der Rentenkasse widerspricht dem richtigen Grundsatz, dass versicherungsfremde Leistungen von den Steuerzahlern und nicht von den Beitragszahlern und damit fast ausschließlich zulasten von Löhnen und Gehältern finanziert werden sollten. Es wäre äußerst kurzsichtig, die Rentenausgaben durch eine deutliche Erhöhung der „Mütterrenten“ über viele Jahrzehnte hinweg zu steigern, nur weil die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung augenblicklich gut gefüllt ist. Denn allein aus der Nachhaltigkeitsrücklage lassen sich die geplanten Rentenerhöhungen nicht finanzieren. Schon in den nächsten 15 Jahren würden die Pläne mehr als 100 Mrd. € Belastung für die Rentenkassen bedeuten. Das ist mehr als die bis dahin erreichte Entlastung durch die schrittweise Einführung der „Rente mit 67“. Das zeigt, wie schwer die finanzielle Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bei Einführung der „Mütterrente“ ­geschädigt würde.

Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge verbessern Der demografische Wandel erfordert neben der Begrenzung des Ausgabenanstiegs in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung den Ausbau von kapitalgedeckter Altersvorsorge. Attraktive steuer- und beitragsrechtliche Bedingungen und ein strikter Verzicht auf überflüssige Bürokratie sind die wichtigsten Voraussetzungen, um die betriebliche Altersvorsorge zu fördern. Dann bestehen gute Aussichten, dass die

betriebliche Altersvorsorge auf freiwilliger Grundlage noch weitere Verbreitung über das heutige Niveau von rd. 60 % hinaus findet. Kontraproduktiv wäre hingegen ein gesetzliches Obligatorium, das als Zwangslösung in den Betrieben Bürokratie, Regulierung und Personalzusatzkosten steigern würde.

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Gesetzliche Krankenversicherung ­effizienter ausrichten

Soziale Pflegeversicherung ­demografiefest gestalten

Weitere Strukturreformen, die sowohl auf der Finanzierungs- als auch auf der Leistungsseite ansetzen, sind nach wie vor dringlich. Insbesondere muss die Krankheitskostenfinanzierung über den kassenindividuellen Zusatzbeitrag hinaus vom Arbeitsverhältnis entkoppelt werden. Zur Effizienzsteigerung und Ausgabenbegrenzung muss der Wettbewerb vor allem durch mehr Vertragsfreiheit auf allen Ebenen intensiviert und die Eigenverantwortung der Versicherten wieder deutlich gestärkt werden. Einheitsversicherungen sind teurer und führen zu geringerer Versorgungsqualität.

Damit die soziale Pflegeversicherung dem demografischen Wandel standhalten kann, sollte sie weiterhin dem Teilleistungsprinzip folgen. Eine Vollversicherung ist weder finanzierbar noch generationengerecht. In den kommenden Jahrzehnten darf die Belastung der Arbeitskosten durch Pflegeversicherungsbeiträge nicht noch weiter steigen. Ein künftiges Ausgabenwachstum, das den Anstieg der Beitragsbemessungsgrundlage übersteigt, darf nicht mehr zulasten von Löhnen und Gehältern gehen, sondern muss über einkommensunabhängige Zusatzbeiträge der Versicherten mit Sozialausgleich finanziert werden.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – Kra ­ nkenversicherung SPD und Bündnis 90/Die Grünen fordern die Einführung einer Bürgerversicherung.

Bewertung: Das Bürgerversicherungsmodell ist wachstums- und beschäftigungsfeindlich. Demografiefeste und generationengerechte Lösungsansätze für die Herausforderungen im Gesundheitswesen fehlen bei der Bürgerversicherung völlig. Im Gegenteil: Das demografieanfällige Umlageverfahren würde weiter ausgebaut, weil künftig alle Bürger in die umlagefinanzierte Bürgerversicherung einzahlen müssten. Die Bürgerversicherung ist ausschließlich darauf fixiert, durch eine Ausweitung der Beitragsbemessungsgrundlage und der Beitragszahler zusätzliche Beitragseinnahmen zu generieren, und schafft dabei sogar neue Ungerechtigkeiten: Das Solidarprinzip würde überstrapaziert, wenn Beiträge und Leistungen noch weiter auseinanderfallen. Die mit einer Bürgerversicherung verbundene faktische Abschaffung der Privaten Krankenversicherung (PKV) wäre ein schwerer Fehler. Denn im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung ist die PKV aufgrund der gebildeten Alterungsrückstellungen von 146 Mrd. € auf die demografische Entwicklung gut vorbereitet. Dieser Betrag entspricht mehr als dem Sechsfachen der jährlich ausgezahlten Versicherungsleistungen. Auf solche kapitalgedeckte Vorsorge künftig zu verzichten, wäre angesichts der unausweichlichen demografischen Veränderungen fahrlässig.

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Leistungen der Unfallversicherung ­anpassen

Versorgung psychisch Erkrankter schnell verbessern

Die seit langem angekündigte, aber nie umgesetzte Reform des Leistungsrechts muss endlich angegangen werden. Bislang hat es bei Strukturanpassungen in der Unfallversicherung einseitig Leistungsausweitungen gegeben. Ausgabensenkende Anpassungen sind dagegen weitgehend unterblieben. Nur durch eine Leistungsrechtsreform kann die – angesichts der deutlich rückläufigen Zahl der Arbeitsunfälle mehr als überfällige – Beitragsentlastung der Unternehmen erreicht werden.

Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten ist ein wichtiges Anliegen der Unternehmen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer. Hier ist der Einflussbereich der Arbeitgeber jedoch begrenzt, weil die Ursachen psychischer Erkrankungen meist außerhalb des beruflichen Umfelds liegen. Insbesondere durch eine Verkürzung der viel zu langen Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung muss die ambulante Erstversorgung psychisch Erkrankter deutlich verbessert werden.

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Wachstum, Steuern & Staatsfinanzen

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Es ist eine Frage der Leistungs- und Generationengerechtigkeit, die Bürger nicht

unverhältnismäßig stark mit Abgaben und Steuern zu belasten und Schulden zu vermeiden. Die Staatsschuldenquote in Deutschland beträgt mehr als 80 %. Da die Staatsschulden von heute die investitions- und beschäftigungsfeindlichen Steuern von morgen sind, ist eine konsequent auf ausgabenseitige Haushaltskonsolidierung und mehr Wachstumsdynamik setzende Steuer- und Wirtschaftspolitik unverändert erforderlich. Diese auf Nachhaltigkeit beruhende Doppelstrategie ist zugleich ein zentraler Eckpfeiler, um nachfolgenden Generationen die Sicherung ihres Wohlstands zu ermöglichen und zugleich der öffentlichen Hand wieder neue fiskalische Handlungsspielräume zur Erfüllung ihrer originären staatlichen Aufgaben zu verschaffen.

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Haushaltskonsolidierung konsequenter fortsetzen – Schuldenstand senken Solide Staatsfinanzen sind eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Deutschland hat mit der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse eine zentrale Voraussetzung geschaffen, um die öffentliche Kreditaufnahme zurückzuführen. Daran muss zukünftig konsequent festgehalten werden. Zugleich steht Deutschland vor der zentralen Herausforderung, seinen mit über 80 % immer noch um ein Drittel über der im Maastrichter Vertrag festgelegten Staatsschuldenobergrenze von 60 % liegenden Schuldenstand abzubauen. Hohe Staatsschulden führen zu hohen Zins- und Tilgungslasten in der Zukunft und schränken damit die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik für nachfolgende Generationen ein.

Umso wichtiger ist, dass in der kommenden Legislaturperiode die Rückführung der Staatsschuldenquote prioritär angegangen wird. Dafür sollten einerseits die Wachstumskräfte nachhaltig gestärkt werden, insbesondere die für Beschäftigung sorgende private Investitionstätigkeit. Andererseits ist eine auf Ausgabenkürzungen statt Einnahmenerhöhungen gerichtete Konsolidierungspolitik fortzuführen.

Mittelstand stärken statt mit ­zusätzlichen Steuern belasten Der Mittelstand ist das Herz unserer Wirtschaft. Rund 60 % der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze sind in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu finden.

Steuereinnahmen auf Rekordniveau Steueraufkommen im Zeitverlauf

2008

2012

2017*

* Prognose Quelle: Bundesfinanzministerium, 2013

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Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – S ­ teuern SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer auf 49 % anheben und die Vermögen­steuer wieder einführen – Bündnis 90/Die Grünen planen sogar eine ­Vermögensabgabe.

CDU/CSU und FDP schließen Erhöhungen der ­Einkommensteuer und eine Einführung der Vermögen­steuer aus.

Bewertung: Steuererhöhungen würden die Investitionsspielräume der Unternehmen extrem einschränken. Eine Vermögensteuer hätte zur Folge, dass Betriebe selbst dann Steuern zahlen müssten, wenn sie kaum Gewinne machen oder gar Verluste einfahren. Die Unternehmen müssten die Vermögensteuer nach gegenwärtigen Plänen aus ihrer Substanz bezahlen – zulasten ihrer Eigenkapitalbasis. Aber auch bei einer begrenzten, gewinnabhängigen Steuer in Höhe von 30 % können sich zusammen mit der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag Belastungen in Höhe von rd. 80 % bezogen auf den Gewinn ergeben. Was dem Mittelstand vom Gewinn genommen wird, fehlt aber bei den Investitionen und gefährdet damit Wachstum und Beschäftigung. Andere Staaten haben dies längst erkannt, so dass eine Vermögensteuer in der EU eine absolute Ausnahme ist. Die Einführung einer Vermögensteuer ist reine Neid- und Symbolpolitik. Überdies stünden die möglichen Mehreinnahmen in keinem Verhältnis zu den Kosten der Erhebung, die jedoch weit über dem Durchschnitt aus anderen Steuerarten liegen. Deutschland hat kein Einnahmenproblem. Im Gegenteil: Mit Steuereinnahmen von rd. 600 Mrd. € wurde 2012 eine neue Rekordhöhe erreicht, nach amtlichen Steuerschätzungen ist die Tendenz für die nächsten Jahre steigend. Die Anhebung des Spitzensteuersatzes würde aber die Selbstfinanzierungskraft gerade von mittelständischen Unternehmen ­empfindlich treffen und die Bildung von Eigenkapital stark beschränken. Dadurch wären Investitionen und mittelfristig auch Arbeitsplätze gefährdet. Zudem würde die Steuererhöhung schon Einkommen von rd. 50.000 € zusätzlich belasten und somit auch Facharbeiter treffen.

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Keil zwischen Brutto und Netto endlich verringern

Investitionsbremsen wirkungsvoll lösen

Die auf dem Faktor Arbeit lastenden Abgaben sind in Deutschland im OECD-Vergleich besonders hoch. Gerade bei niedrigen Einkommen machen dabei die Sozialbeiträge den größten Teil der Abgabenlast aus. Um den Abgabenkeil zwischen Bruttoarbeitskosten und Nettoverdiensten zu verringern, bedarf es daher vor allem Strukturreformen in der Sozialversicherung. Zudem ist der deutsche Einkommensteuertarif infolge der sog. kalten Progression nicht leistungsgerecht: Lohnerhöhungen, die lediglich dem Ausgleich der Inflation dienen, bewirken höhere Steuerlasten, ohne dass sich die wirtschaftliche Situation des Einzelnen verbessert. Weil der Steuersatz im unteren Bereich besonders schnell ansteigt, sind kleine und mittlere Verdiener übermäßig stark von der kalten Progression betroffen. Es ist daher ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit, in regelmäßigen Abständen den steuerlichen Grundfreibetrag anzuheben und in gleicher prozentualer Höhe den gesamten Einkommensteuertarif zu verschieben.

Deutschland leidet an einer massiven Investitionsschwäche, besonders im öffentlichen Bereich. Investitionen in die Zukunft und auch in die öffentliche Infrastruktur sind aber unerlässlich, um den Wohlstand dauerhaft zu sichern. Dafür müssen bürokratische und steuerliche Investitionshemmnisse, wie z. B. die langen Verfahren zur Planung und Genehmigung von Infrastrukturprojekten sowie die investitionsfeindlichen gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen in der Gewerbesteuer, dringend abgebaut werden. Auch der sich weiter verschärfende Fachkräftemangel muss effektiv bekämpft werden.

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tarifautonomie

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Die Tarifautonomie ist einer der Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft in Deutsch-

land. In den Krisensituationen der jüngsten Vergangenheit wurde deutlich, wie wichtig die Arbeit der Sozial- und Tarifpartner für die Beschäftigung und die gesamte Wirtschaft in Deutschland ist. Denn der tarifpolitische Modernisierungsprozess der letzten Jahre – in Form von produktivitätsorientierten Tarifabschlüssen und einer Ausweitung betrieblicher Gestaltungsspielräume – hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Betriebe trotz Wirtschaftseinbruch und anhaltender Konjunkturrisiken über Freiraum zur nachhaltigen Arbeitsplatzsicherung verfügen. Dies zeigt, dass die in Deutschland gelebte Sozialpartnerschaft nach wie vor ein Erfolgsmodell ist. Deshalb ist eine wichtige Aufgabe, die Tarifautonomie zu erhalten und zu stärken.

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Tarifautonome Lohngestaltung stärken Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze. Leidtragende wären vor allem Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose, die ohne einen funktionierenden Arbeitsmarkt für einfache Tätigkeiten kaum mehr Chancen auf einen Einstieg in Arbeit hätten. Alle europäischen Länder mit einheitlichem gesetzlichem Mindestlohn haben z. B. eine deutlich höhere Jugendarbeitslosigkeit. Gleichzeitig beeinträchtigt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn die Tarifautonomie und das bewährte System der Lohnfindung, bei dem Arbeitgeber

und Gewerkschaften gemeinsam die Löhne unabhängig von staatlichen Einflüssen aushandeln. Statt der jeweiligen konkreten Situation in den einzelnen Branchen würden bei der Festsetzung der Mindestlohnhöhe politische Erwägungen in den Vordergrund rücken. Deutschland verfügt über ein funktionierendes Tarifsystem, das nicht durch staatliche Eingriffe in die Lohngestaltung ausgehebelt werden sollte.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – M ­ indestlohn SPD und Bündnis 90/Die Grünen fordern die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 €.

CDU und CSU planen „für die Bereiche, in denen es keine Tarif­ verträge gibt, die Tarifpartner gesetzlich in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen gemeinsam in einer Kommission einen tariflichen Mindestlohn festlegen, wobei die unterschiedlichen Situationen in den Regionen und Branchen berücksichtigt werden können.“

Bewertung: Sämtliche Forderungen nach einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn bzw. einer Lohnuntergrenze, unabhängig davon, welches Modell der Lohnfindung zugrunde liegt, sind konsequent abzulehnen. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn ist ein schwerwiegender staatlicher Eingriff in die Lohngestaltung durch die Tarifparteien. Im Ergebnis würde es sich immer um einen politisch motivierten Mindestlohn, der vor Wahlen zum Spielball der Politik würde, handeln. Die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wären erheblich. Bereits bei dem geforderten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 € wären nach Berechnungen des ifo Instituts etwa 1,2 Mio. Arbeitsplätze gefährdet, was vor allem die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt träfe.

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© dpa

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Tarifeinheit wiederherstellen Die Tarifeinheit muss gesetzlich geregelt werden. Durch das vermehrte Auftreten neuer, für kleine Arbeitnehmergruppen agierende Gewerkschaften droht die Tariflandschaft immer stärker zu zersplittern, wodurch die Sozialpartnerschaft zunehmend in Gefahr gerät. Neue Tarifforderungen mit immer neuen Arbeitskämpfen treten auf. Letztendlich entsteht so eine Vielzahl sich überschneidender Tarifverträge, was dazu führt, dass

die Friedenspflicht des Tarifvertragssystems am Ende leerläuft. Nur die Tarifeinheit schafft hier die notwendige Rechtsklarheit. Ohne Tarifeinheit ist die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens als wichtigste Funktion von Tarifverträgen in Deutschland nicht denkbar.

Positionen aus den Wahlprogrammen der Parteien – ­Tarifeinheit CDU und CSU bekennen sich klar dazu, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln und damit die Tarifpartnerschaft zu stärken. Die Union ­ betont in ihrem Programm, dass sich die Tarifeinheit über ­ Jahrzehnte bewährt hat.

Auch die SPD bekennt sich in ihrem Wahlprogramm zum Prinzip der Tarifeinheit und hat bereits in der Vergangenheit wiederholt eine ­gesetzliche Regelung gefordert.

Die FDP sieht keinen Bedarf, die Tarifeinheit gesetzlich neu zu regeln.

Bewertung: Die Aussagen der FDP überraschen, da sich der Parteivorsitzende und Bundeswirtschaftsminister, Dr. Philipp Rösler, und der Spitzenkandidat der FDP, Rainer Brüderle, mehrfach für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit ausgesprochen haben. Die Behauptung im Wahlprogramm der FDP, dass der Gefahr des Missbrauchs der Tarifautonomie durch Spartengewerkschaften mit einer Änderung des Arbeitskampfrechts hinreichend begegnet werden kann, ist realitätsfremd. Wenn es die Politik schon nicht schafft, das geltende Tarifvertragsgesetz um eine Klarstellung zu ergänzen, welche die Tarifautonomie verfassungsgemäß ausgestaltet, wie soll dann eine Änderung des Arbeitskampfrechts gelingen?

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Europa & Globalisierung

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Die globale Wettbewerbsfähigkeit ist für die Zukunft der Europäischen Union (EU)

entscheidend. Nur wenn es der EU als Ganzes gelingt, sich neben den USA und China mit ent-

sprechendem wirtschaftlichem Gewicht dauerhaft zu behaupten, kann sie die Politik in der Welt mitgestalten. Dafür ist eine vertiefte europäische Integration notwendig, also eine Wirtschaftsund W ­ ährungsunion, die um eine politische Union ergänzt wird.

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Europäische Integration ausbauen Nur wenn die europäische Integration vertieft wird, kann sich die EU auf einen gemeinsamen Weg in der Haushalts- und Finanzpolitik verbindlich verständigen, der auf Konsolidierung, Wettbewerbsfähigkeit und langfristiges Wachstum zielt. Dieser Weg liegt im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft, denn deutsche Belange können nur im europäischen Kontext, mit einem stabilen Euro und einer funktionierenden Währungsunion erfolgreich vertreten werden. Ohne die Fortführung der europäischen Einigung droht der Rückfall in die Kleinstaaterei. Das wäre für Deutschlands Zukunft in einer globalisierten Welt – ebenso wie für alle anderen europäischen Staaten – verheerend. Um diese Ziele erreichen zu können, muss sich die EU auf ihre Kernaufgaben gemäß dem Vertrag von Lissabon konzentrieren. Die Bundesregierung sollte darauf hinwirken, dass die institutionelle Fortentwicklung der EU zu mehr demokratischer Legitimation führt. Nur dann können eine gemeinsam getragene Haushalts- und Finanzpolitik wie auch die EU-Außenpolitik mit der notwendigen parlamentarischen Kontrolle realisiert werden. Gleichzeitig sollte ein Mentalitätswandel herbeigeführt werden, der die angemessene Zuordnung von Kompetenzen wiederherstellt. Dezentralisierung für die Bereiche, die besser nationalstaatlich geregelt werden können, muss zum Leitprinzip europäischer Politik werden.

Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise bewältigen Die Weichen zur Überwindung der europäischen Staatsschuldenkrise wurden gestellt, aber ein solidarisches Miteinander der Mitgliedstaaten ist unerlässlich. Alle Mitgliedstaaten der EU müssen sich nicht nur dazu bekennen, dass Konsolidierungsmaßnahmen unumgänglich sind, sondern diese auch konsequent durchführen. Die strukturellen Reformen besonders in den Krisenländern müssen konsequent angegangen und auch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überwacht werden. Finanzhilfen und Strukturfondsmittel sollten nur in Verbindung mit strikten Konditionalitäten gewährt werden.

Wirksame Kontrollen und Sanktionen durchsetzen Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, dass die Wirtschafts- und Währungsunion in ihrer jetzigen Form ein unvollendetes Projekt ist. Deshalb müssen die kurzfristigen Notfallmaßnahmen zur Rettung des Euro von grundsätzlichen Weichenstellungen flankiert werden. Es bedarf einer verbesserten Governance in der Finanz- und Haushaltspolitik mit verbindlichen Regeln zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Einhaltung solider Staatsfinanzen sowie europäischer Kontroll- und Eingriffsrechte. Jeder Mitgliedstaat der Eurozone muss dabei akzeptieren, dass im Interesse der gemeinsamen Währung die nationale Souveränität nicht uneingeschränkt bestehen bleiben kann, wenn die Währungsunion funktionieren soll.

Arbeits- und Sozialrecht beschäftigungs­freundlich gestalten Die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern, muss die Maßgabe sein, nach der das Arbeits- und Sozialrecht gestaltet wird. Oft ist dies besser auf nationalstaatlicher Ebene möglich. Hier hat es in den letzten Jahren eine Fehlentwicklung gegeben, weil die Europäische Kommission ihre Kompetenzen vielfach fehlinterpretiert und mit zahlreichen Richtlinienvorschlägen zu tief in das Arbeits- und Sozialrecht der Mitgliedstaaten eingegriffen hat. Deshalb sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass nicht mehrheitsfähige Richtlinienvorschläge, die seit Jahren im Rat blockiert sind, von der Kommission zurückgezogen werden, wie z. B. die Antidiskriminierungsricht­linie und die Richtlinie zur Revision der Mutterschutzrichtlinie. Um unnötige oder bürokratietreibende Regulierungen von vornherein zu verhindern, sollten für alle neuen EU-Richtlinien grundsätzlich ein systematischer Wettbewerbs­check sowie eine unabhängige Folgenabschätzung erfolgen.

Subsidiaritätsprinzip einfordern Da viele Regelungen besser auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden können, ist das Subsidiaritätsprinzip konsequent einzufordern. Darauf zielt das mit dem Lissabon-Vertrag eingeführte Instrument der Subsidiaritätsrüge, auf das die Bundesregierung bei Bedarf auch zurückgreifen sollte.

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Energiepolitik

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Für einen global wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland ist eine

­verlässliche, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung unerlässlich. Die ­Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen darf nicht durch den weiteren unkontrollierten Ausbau erneuerbarer Energien und den damit verbundenen Kostenanstieg gefährdet werden. Allein die EEG-Umlage ist jüngst um 50 % gestiegen. Für eine wirksame Kostenbegrenzung ist eine Generalrevision des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) notwendig.

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Stromkostenbremse aufstellen Erforderlich ist eine Kostenbremse, die alle Verbraucher entlastet, ohne Arbeitsplätze in der exportorientierten industriellen Basis zu gefährden. Industrieunternehmen mit durchschnittlichem Stromverbrauch müssen hierzulande bereits rd. 20 % mehr als im EU-Durchschnitt für ihren Strom bezahlen – Tendenz steigend. Diese unzumutbare Kostenentwicklung geht primär von der steigenden EEG-Umlage aus. Nach dem derzeitigen Fördersystem wird die Produktion von Strom aus erneuerbarer Energie auch dann vergütet, wenn sie wegen Überproduktion nicht ins Netz eingespeist werden kann. Diese Ineffizienz im EEG-Fördersystem muss dringend korrigiert werden – sonst drohen durch die umfangreichen neuen Vergütungszahlungen weitere Kostensteigungen. Neuanlagen für erneuerbare Energien sollten deshalb nicht weiter subventioniert, aber auch die Subventionierung bestehender Anlagen muss schrittweise abgebaut werden. Eine Rückführung der EEG-Ausnahmeregelungen für stromintensive Unternehmen, wie sie von Bündnis 90/ Die Grünen gefordert wird, ist entschieden abzulehnen.

Stromsteuer senken Steuern und Abgaben machen etwa die Hälfte des Strompreises aus. Der Staat verdient also kräftig mit: Rund 7 Mrd. € jährlich fließen aus der Stromsteuer in den Haushalt, außerdem stehen dem Staat bei jeder Strompreiserhöhung zusätzliche Erlöse aus der Mehrwertsteuer zu, allein bei der jüngsten Erhöhung der EEG-Umlage

rd.  300  Mio.  €. Diese staatlich bedingte Abgabenlast muss durch eine Absenkung der Stromsteuer reduziert werden, um die Stromverbraucher zu entlasten.

Bessere Koordinierung auf nationaler und europäischer Ebene Die bisherige Umsetzung der Energiewende ist unzureichend – auch vor dem Hintergrund, dass der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2021 abgeschlossen sein soll. Vor allem beim Neubau von Leitungen, Speicher- und Kraftwerkskapazitäten muss stärker aufs Tempo gedrückt werden, um die Energieversorgung nicht zu gefährden. Sich gegenseitig behindernde Bundes- und Landeszuständigkeiten und gegensätzliche Interessen zwischen Bund und Ländern bei der Energiewende gefährden den sehr engen Zeitplan. Deutschland braucht angesichts der vielen ungelösten Probleme bei der Energiewende eine bessere Koordination, um die Energieversorgung auch in Zukunft zu sichern. Für schnellere und verlässliche Entscheidungen darf nicht länger die Kompetenzkonzentration in einem Ministerium tabu sein. Zudem brauchen wir beim grenzüberschreitenden Netzausbau eine bessere Abstimmung mit den europäischen Partnern. Mit dem steigenden Export teuer produzierten Stroms aus erneuerbaren E ­ nergien überfordert Deutschland bereits jetzt seine Nachbarn. Europa braucht eine gemeinsame, abgestimmte Energiepolitik und keine ­nationalen Alleingänge.

Drastischer Anstieg der Stromkosten Entwicklung der durchschnittlichen Industriestrompreise zwischen 2001 und 2013

15,1 Cent/kWh 0,45

6,5 Cent/kWh 0,30

0,24 0,31

5,27

7,84

EEG-Umlage Stromsteuer Erzeugung, Transport, Vertrieb

5,62

1,54

2001

Sonstige Abgaben: Konzessionsabgabe, KWK-Aufschlag, §19-Umlage, OffshoreHaftungsumlage

2013

Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, 2013

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Bildung & Integration

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Die hohe Zahl von Jugendlichen ohne Ausbildungsreife und Aufstiegschancen ist

die größte s­ oziale wie bildungspolitische Herausforderung unserer Zeit. Unserem Schulsystem mangelt es nach wie vor an Bildungsgerechtigkeit, denn die individuellen Chancen hängen immer noch zu sehr von der Herkunft ab. Angesichts des Nachwuchsmangels in vielen wirtschaftlichen Bereichen können wir aber auf keinen Kopf verzichten. Deutschland braucht ein leistungsfähiges Bildungssystem – damit der Einzelne sich beteiligen, Potenziale entfalten und sein Leben eigenständig gestalten kann, aber auch um die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts und damit unseren allgemeinen ­Wohlstand und Fortschritt zu sichern.

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Chancen für Kinder mit ungünstigen Ausgangslagen erhöhen

Ganztagsschulen flächendeckend ­ausbauen

Kinder aus Migranten- und bildungsfernen Familien sind mehr als andere auf gute Bildung angewiesen, werden aber bislang nicht ausreichend gefördert. Vor allem bei Migrantenkindern kann und muss deutlich aufgeholt werden, z. B. durch intensive Sprachförderung schon in der Kita. Der Bund sollte die Sprachförderung und eine begleitende Wirksamkeitsforschung kontinuierlich fortsetzen. Auch bei Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann mehr Potenzial entfaltet werden als bisher: Die zunehmende Inklusion in Kitas und Schulen ist eine immense ­Herausforderung für Bildungseinrichtungen; dafür brauchen sie handhabbare Konzepte und konkrete Unterstützung.

Ganztagsschulen ermöglichen eine intensive und gezielte Förderung für alle Schüler – ob leistungsschwächer oder -stärker. Der politische Konsens zum Ausbau der Ganztagsschulen ist vorhanden; allerdings besteht in einigen Ländern großer Nachholbedarf. Da der Ausbau seinerzeit nur durch ein Bundesinvestitionsprogramm entscheidend vorangekommen ist, halten wir ein neues, vom Bund finanziertes Ganztagsschulprogramm für richtig und notwendig.

Bildungstrichter: Soziale Herkunft entscheidet zu stark Bildungsverlauf von Akademiker- und Nichtakademikerkindern

100 %

100 %

84 %

77 %

Akademikerkinder

37 %

Primarstufe

Übergang zur ­gymnasialen Oberstufe

23 %

Übergang zur H ­ ochschule

Nichtakademikerkinder

Quellen: Deutsches Studentenwerk, Hochschul-Informations-System GmbH, 2013; eigene Darstellung

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Übergang Schule – Beruf verbessern Der Übergang von der Schule in die Ausbildung ist nach wie vor für zu viele Jugendliche ein Stolperstein. Trotz des demografischen Wandels und der daraus resultierenden besseren Chancen von Jugendlichen geht der „Übergangsbereich“ mit Maßnahmen zwischen Schule und Beruf nur langsam zurück. Es existieren zahlreiche Maßnahmen, die aber nur eine „Aufbewahrung“ der Jugendlichen bedeuten, während betriebsnahe Maßnahmen weit effektiver in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt führen. Ziel muss es sein, dass alle Jugendlichen mit ihrem Schulabschluss die Ausbildungsreife erreichen und möglichst nahtlos ihren beruflichen Weg anschließen können.

Duale Ausbildung in Europa stärken In Deutschland trägt die duale Ausbildung entscheidend zur niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa bei. Andere Länder wie Spanien, Italien und Griechenland fragen zunehmend nach, wie die duale Ausbildung auch bei ihnen funktionieren kann. Eine immer wichtigere Aufgabe der Bundesregierung wird es sein, Elemente der dualen Ausbildung in Europa zu stärken und damit zu Chancen wie zum Wohlstand junger Menschen beizutragen.

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Finanzierung der Hochschulen ­verstetigen Der Bund hat sich mit Hochschulpakt und Exzellenzinitiative finanziell an der Hochschulforschung und dem Ausbau von Studienplätzen beteiligt und so wichtige Impulse gesetzt. Beide Initiativen laufen jedoch in der nächsten Legislaturperiode aus. Hier ist auch der Bund weiterhin gefordert, die Bedingungen für eine international wettbewerbsfähige Hochschullandschaft zu sichern. Dazu gehören eine Anpassung des Grundgesetzes, um Kooperationen von Bund und Ländern im Hochschulbereich abzusichern, sowie eine Mitfinanzierung von Hochschulen in besonderen Bereichen. Studienplätze sind vor allem im MINT-Bereich dringend notwendig, aber kostenintensiv. An dieser Stelle ist ein Hochschulpakt von Bund und Ländern weiterhin notwendig und bis 2020 zu verlängern.

Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung fördern Die Zahl der beruflich Qualifizierten, die ein Studium aufnehmen, ist zwar gestiegen, aber immer noch auf niedrigem Niveau. An den Hochschulen fehlen Teilzeitstudiengänge, die eine Kombination von Berufstätigkeit und Studium ermöglichen. Hier sollte der Bund Hochschulen beim Ausbau unterstützen. Solche Angebote sind aber auch für Studierende mit Abitur erforderlich, die z. B. Kindererziehung oder Pflege mit dem Studium in Einklang bringen müssen.

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