Option für die Jugend

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Option für die Jugend Schulbildung verbessern, Ausbildungsfähigkeit fördern, Berufsorientierung intensivieren



Option für die Jugend Schulbildung verbessern, Ausbildungsfähigkeit fördern, Berufsorientierung intensivieren


Stand: Juli 2003 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Gestaltung: www.nolte-kommunikation.de ISBN 3-9808995-1-9


Vorwort

Modern ausgebildeter Fachkräftenachwuchs ist für die Betriebe sowie für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland unverzichtbar. Die Wirtschaft ist unverändert von den Vorzügen des dualen Ausbildungssystems überzeugt, weil es keinen besseren Einstieg in das Berufsleben gibt. Im Mittelpunkt der jahrzehntelangen immensen Ausbildungsleistung der Unternehmen stand und steht weiter das Ziel, jedem ausbildungsfähigen und -willigen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Deshalb bemühen sich die Arbeitgeber in der derzeitigen anhaltenden wirtschaftlichen Krise mit einer drohenden großen Lehrstellenlücke mit größtem Nachdruck, möglichst viele Ausbildungsplätze zu mobilisieren. Diese Anstrengungen müssen aber durch bessere wirtschafts-, sozial- und steuerpolitische Rahmenbedingungen, die unternehmerisches Handeln nicht länger erschweren, flankiert werden. Mit Sorge beobachten Unternehmen, dass immer mehr Jugendlichen die Ausbildungsvoraussetzung fehlt. Nicht nur die schlechten Ergebnisse der PISA-Studie, sondern auch die täglichen Erfahrungen vieler Ausbilder im Betrieb zeigen, dass die Schulbildung in Deutschland wesentlich verbessert werden muss. Vor allem leistungsschwächere junge Menschen benötigen eine intensivere Förderung, Beratung und Betreuung in Schule und Ausbildung. Auch die Vorbereitung auf das Berufsleben ist mangelhaft: Das Interesse zu vieler Jugendlicher konzentriert sich auf zu wenige Berufe. In bestimmten Branchen und Berufsgruppen herrscht mittlerweile deshalb ein Mangel an Bewerbern. Ein hoher Anteil bricht die Ausbildung wegen Fehlinformationen und falscher Vorstellungen über den Beruf wieder ab. Schulen, Berufsschulen und Betriebe müssen die Berufsorientierung der Jugendlichen erheblich verbessern.

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Ich bin überzeugt: Für die Zukunftschancen unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist es entscheidend, welche Bildung und Ausbildung wir der jungen Generation mitgeben. Wir brauchen die Option für die Zukunft; wir brauchen die Option für die Jugend.

Dr. Dieter Hundt (Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) Berlin, im Juli 2003

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Übersicht

1. Alarmsignale bei der Ausbildungsfähigkeit und Berufsorientierung..................... 7 2. Leitbilder, Aufgaben, Verantwortlichkeiten........................................................14 3. Politisches Aktionsprogramm............................................................................ 21 4. »Best Practice« – Beispiele aus der Wirtschaft.................................................. 26 5. Zukunft von Arbeit und Ausbildung.................................................................. 31

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1. Alarmsignale bei der Ausbildungsfähigkeit und Berufsorientierung

Unser duales System der beruflichen Bildung verbindet theoretisches Wissen und praktisches Können, fördert die Integration der Auszubildenden in den Betrieb und erleichtert den Übergang in das Berufs- und Arbeitsleben wesentlich. Die Berufsausbildung im dualen System ist daher ein optimaler Start in den Beruf. Unser Ziel ist und bleibt es, jedem ausbildungsfähigen und -willigen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können. Dies ist aber nicht möglich ohne die entsprechenden wirtschafts-, sozial- und steuerpolitischen Rahmenbedingungen. Denn die Berufsausbildung im Betrieb sorgt zwar einerseits für große Praxisnähe und rasche Integration in das Arbeitsleben, macht aber andererseits das Angebot an Ausbildungsplätzen von der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen und der Arbeitsmarktentwicklung abhängig. Eine verfehlte Wirtschaftspolitik und unzureichende steuer- und sozialpolitische Rahmenbedingungen sind aber nicht die einzigen Hindernisse auf dem Weg zu einer Berufsausbildung für alle Jugendlichen. Mit Sorge beobachten viele Unternehmen, dass die Ausbildungsvoraussetzungen bei einer zunehmenden Zahl von Jugendlichen fehlen. Dieses Problem ist nicht neu, es hat sich aber in den letzten Jahren erheblich verschärft. Die Brüche in der Ausbildungsbiografie junger Menschen haben deutlich zugenommen. Galt bislang eine Quote von circa 10 % der Jugendlichen als »Risikogruppe«, die ihre Ausbildung entweder nicht antritt oder zu keinem erfolgreichen Abschluss bringt, veranschlagen Betriebe diese Zahl inzwischen mit 25 %. Das heißt: Nicht weniger als ein Viertel der jungen Generation steht vor einer äußerst unsicheren beruflichen Zukunft.

Mangelhafte Grundbildung der Schulabgänger Eine Ausbildung wird nicht erfolgreich sein, wenn die Basis fehlt: Dies ist vor allem eine trag- und ausbaufähige Schulbildung der Ausbildungsplatzbewerber. Unternehmen haben vielfach den Eindruck, dass die Schule in ihrer Entwicklung den Anforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft nur mühsam hinterherhinkt. In einer Unternehmensbefragung, die das Institut der deutschen Wirtschaft im Mai 2002

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durchgeführt hat, hielten die befragten Betriebe die mangelnde Qualität des deutschen Bildungssystems für eines der gravierendsten wirtschaftlichen Probleme , das sie auf einer Skala gleich nach dem Problem zu hoher Lohnzusatzkosten einstuften. Das heißt: Unser Schulsystem gibt seinen Absolventen nicht das ausreichende und angemessene Rüstzeug für ihre weitere Zukunft mit.

Schulleistungen: PISA-Ergebnisse »Während im Durchschnitt aller OECD-Mitgliedsstaaten 6 % der Schülerinnen und Schüler den Anforderungen der (untersten) Kompetenzstufe 1 nicht gewachsen sind, liegt der Anteil in Deutschland bei fast 10 %. Weitere 12,7 % der in Deutschland erfassten Schülerinnen und Schüler befinden sich auf Kompetenzstufe 1«. »Betrachtet man die Definition der Kompetenzstufe 1, ist zu vermuten, dass Jugendliche, die den entsprechenden Anforderungen nicht gewachsen sind, erhebliche Schwierigkeiten beim Übergang in das Berufsleben haben werden... Sie werden im Hinblick auf ihre Aussichten auf beruflichen Erfolg als Risikogruppe definiert«. Vgl. Deutsches PISA-Konsortium (Hg.): PISA 2000, Opladen 2001, S.103, 117

Umfrage der BDA: Auswirkungen der Schul- auf die Berufsausbildung Die Ergebnisse einer Umfrage der BDA unter ausbildenden Betrieben belegen die dramatischen Folgen einer unzureichenden Schul- für die Ausbildung: Über 90 % der antwortenden Betriebe und Verbände stellen erkennbare Auswirkungen der schulischen Defizite auf die Berufsausbildung fest, hiervon über 50 % partielle und über 40 % gravierende Auswirkungen. Kulturtechniken mangelhaft: Fast 85 % der Betriebe beklagen schlechte Rechtschreib- und Grammatikkenntnisse; mehr als zwei Drittel sind mit den Rechenfähigkeiten der Jugendlichen unzufrieden. Mit über 65 % kritisiert

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wird die Fähigkeit sich auszudrücken, Texte zu erstellen und den Sinn von Texten zu erfassen. Fehlende Schlüsselqualifikationen: 40 % der Betriebe vermissen Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Engagement und Zuverlässigkeit. Mehr als ein Drittel kritisieren den Mangel an kognitiven und methodischen Fähigkeiten, Lernwilligkeit und Selbstmanagement. Ungenügende Ausbildungsfähigkeit: Über 73 % der Unternehmen haben aufgrund der vorhandenen Defizite der Schulabgänger Probleme bei der Besetzung der vorhandenen Ausbildungsstellen mit qualifizierten Bewerbern. Knapp ein Fünftel der Unternehmen muss 40-50 % der Bewerber mangels Qualifikationen ablehnen; 10 % lehnen 50-60 % und weitere 12 % sogar 70-80 % der Bewerber ab. Engagement der Wirtschaft: 53 % der befragten Unternehmen und Verbände führen Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und Berufswahl sowie zur Kompensation der schulischen Bildungsmängel durch. Dazu gehören vor allem Stütz- und Förderkurse für Rechnen und Rechtschreibung.

Unbesetzte Lehrstellen: Umfrage des DIHK Die Umfrage des DIHK im April 2003 unter rund 50.000 Betrieben ergab, dass ein Fünftel der antwortenden Betriebe im Jahr 2002 mindestens einen Ausbildungsplatz aufgrund eines Mangels an geeigneten Bewerbern nicht besetzen konnte. Allein bei rund 8.500 Ausbildungsbetrieben blieben so rund 2.000 Lehrstellen unbesetzt. Wenn man auch diese Zahl nicht undifferenziert auf die Gesamtzahl der Ausbildungsbetriebe hochrechnen kann, so wird doch deutlich, dass ein erhebliches Potenzial vorhandener Lehrstellen ungenutzt brach liegt. Schwerpunkte liegen im Hotel- und Gaststättenwesen (Hotelfachmann/frau, Restaurantfachmann/frau, Koch/Köchin) mit 298 unbesetzten Lehrstellen, im Einzelhandel mit 290 unbesetzten Lehrstellen; Vakanzen gibt es in den kaufmännischen Berufen Bankkaufmann/frau (133), Bürokaufmann/frau und Kaufmann/frau für Bürokommunikation (67), bei den Versicherungskaufleuten (88), den Kaufleuten im Groß- und Außenhandel (71), aber auch bereits in den

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Berufen IT-Fachinformatiker/in und Informatikkaufmann/frau (56). In den gewerblich-technischen Berufen sind die Berufe Konstruktions- und Maschinenbaumechaniker (54), die Industriemechaniker (39), Werkzeugmechaniker (23), Verfahrensmechaniker (20) und die Technischen Zeichner (23) stark betroffen. Insgesamt geben nur 3.173 (37,4 %) der 8.482 Unternehmen an, dass ein Ausbildungsplatz grundsätzlich nicht besetzt wird, wenn sich kein geeigneter Bewerber findet. Immerhin 1.592 Betriebe (18,8 %) senken die Anforderungen bei der Auswahl der Bewerber, um die Lehrstelle trotzdem zu besetzen. 1.018 Betriebe (12,0 %) stellen eher eine ausgebildete Fachkraft ein als einen nicht ausreichend qualifizierten oder motivierten Schulabgänger. Informationen unter www.dihk.de

Unzureichendes Wissen über die Berufs- und Arbeitswelt Auch wenn Jugendliche sich für eine Ausbildung eignen und einen Ausbildungsplatz erhalten haben, bricht ein Besorgnis erregend großer Teil von ihnen diese Ausbildung wieder ab. Die Zahl der Ausbildungsabbrüche nimmt seit Jahren zu. Im Schnitt wird fast jeder vierte neu abgeschlossene Vertrag wieder gelöst, davon die Hälfte im 1. Ausbildungsjahr, ein weiteres Drittel im 2. und nochmals 17 % im 3. Ausbildungsjahr. Ein Viertel der Vertragslösungen fällt dabei noch in die Probezeit. In der Mehrzahl der Fälle brechen die Jugendlichen keineswegs die Berufsausbildung insgesamt ab, sondern wechseln den Ausbildungsberuf oder -betrieb. Es dominieren bei ihnen also berufsbezogene Gründe . In der Tat war für knapp die Hälfte der Ausbildungsabbrecher der gewählte Beruf nicht ihr Wunschberuf: 42 % gaben an, dass sie sich den gewählten Beruf anders vorgestellt hatten (Studie des BIBB 2002, vgl. Berufsbildungsbericht 2003). Ein noch so begabter Jugendlicher kann in der Ausbildung scheitern, wenn er falsche Vorstellungen von einem Beruf hat, der gar nicht seinen Neigungen und Begabungen entspricht. Zu viele Jugendliche sind zudem auf zu wenige Berufe konzentriert; das gilt insbesondere für junge Frauen. Das heißt: Den Jugendlichen fehlt ein fundiertes, theoretisches wie praktisches Wissen über die Berufswelt. Die Berufsorientierung im Vorfeld der Ausbildung verläuft nur sehr unzureichend.

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Gravierende Konsequenzen für Jugendliche, Wirtschaft und Gesellschaft Die mangelnde Ausbildungsfähigkeit und ineffektive Berufsorientierung haben gravierende Folgen. Sie spielen in der öffentlichen Debatte eine viel zu geringe Rolle. Was dies für die Jugendlichen selbst – auch unter psychologischen Gesichtspunkten – bedeutet, wird zu wenig gesehen: Jugendliche sind in einer grundsätzlichen Orientierungsphase , in der sie ihren Platz in der Gesellschaft noch suchen. Sie finden dabei oft zu wenig Unterstützung von Dritten; sie selbst tun sich mit verbindlichen Entscheidungen und bleibenden Festlegungen schwer. Versagens- und Scheiternserfahrungen sind in dieser Phase herbe Rückschläge, die dauerhaft eine schädliche Wirkung auf die Persönlichkeit und ihren weiteren Lebensweg entfalten können. Dies kann bis zur Vorprogrammierung von »Sozialhilfekarrieren« gehen. Seit Jahren bleiben rund 10 % der Jugendlichen unter 25 Jahren arbeitslos , die Tendenz ist steigend. Im März 2003 waren allein 562.000 Jugendliche ohne Arbeit. Mehr als 500.000 junge Menschen unter 25 Jahren nahmen im gleichen Monat an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil. Nicht oder nur gering Qualifizierte sind in besonders hohem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen. Von allen Variablen, die Einfluss auf die Jugendarbeitslosigkeit haben, ist Bildung das einflussreichste individuelle Merkmal , das den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt fördert oder hemmt. Mit zunehmender Bildung sinkt die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Nach den Ergebnissen der PISA-Studie hat fast ein Viertel der 15-jährigen Schüler – das sind 200.000 Jugendliche – massive Probleme beim Lesen und Rechnen. Auch die betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden einer solchen Fehlsteuerung sind nicht hoch genug zu veranschlagen: Die sozialpolitischen Kosten für Jugendliche, die keine Schul- und Berufsausbildung absolviert haben, sind erheblich. Das Sozialstaatsprinzip kann nicht bedeuten, große Summen für Reparaturmaßnahmen aufzuwenden. Sozial ist es vielmehr, durch eine solide Schulbildung und gezielte Berufsorientierung für die Ausbildungs- und Berufsfähigkeit eines jeden Jugendlichen zu sorgen. Den Betrieben gehen durch Ausbildungsabbrüche zukünftige Fach- und Führungskräfte verloren. Dies ist ein schwerwiegender Wettbewerbsnachteil für den Ausbildungsbetrieb. Nicht zuletzt stellt jeder Ausbildungsabbruch auch eine direkte Kostenbelastung für das Unternehmen dar.

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Auch die Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb sind gravierend. Die Defizite des Bildungssystems bringen es mit sich, dass wirtschaftliche Chancen wegen des Mangels an qualifizierten Mitarbeitern nicht ergriffen werden können; die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft nimmt dadurch ab. Während sich die einen Unternehmen in der derzeitigen schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht imstande sehen, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, leiden die anderen – je nach Branche und Region – unter einem Mangel an geeigneten Bewerbern für die vorhandenen Ausbildungsplätze. In der Wissens- und Informationsgesellschaft sind die Anforderungen vieler Berufsbilder gestiegen . Gleichzeitig sind das Wissen, die Kenntnisse und Kompetenzen der Schulabgänger gesunken. Zur Zeit muss daher ein doppelter Spagat unternommen werden, um diese Kluft zu überwinden.

Es muss uns alle beunruhigen, dass 10 % der Schüler die Schule ohne einen Abschluss verlassen, dass unser deutsches Schulsystem nicht die notwendige Qualität hat, dass hohe Abbrecherzahlen in der Ausbildung herrschen, dass Jugendliche wenig von der Berufs- und Arbeitswelt wissen, dass 42 % der Ausbildungsabbrecher ihre Ausbildung wegen falscher Vorstellungen aufgeben, dass die Jugendarbeitslosigkeit wieder auf 1/2 Million ansteigt, dass Eltern sich mit der Orientierung ihrer Kinder überfordert sehen, dass jede Institution ihre jeweiligen »Problemfälle« an die nächste weiterreicht (Familie, Schule, Arbeitsverwaltung).

Fazit: Wir brauchen eine neue Option für die Jugend. Die Frage nach der Ausbildungsfähigkeit und Berufsorientierung bei Jugendlichen ist kein Randproblem, sondern eine Schicksalsfrage für die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft . Es geht weder um bildungspolitische Expertenfragen noch um eine reine Angelegenheit der Tarif- und Sozialpartner, sondern um die Chancen unserer Gesellschaft.

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Die Schwachstellenanalyse zeigt: Wir brauchen vor allem eine Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit und eine Intensivierung der Berufsorientierung bei den jungen Menschen.

»Voraussetzung für mehr Ausbildungsplätze ist, dass die deutsche Wirtschaft wieder einen soliden Wachstumspfad erreicht und die Betriebe wieder Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung gewinnen. Hierzu ist ein Kurswechsel in der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Tarifpolitik erforderlich... Die Wirtschaft wird trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen in einer gemeinsamen Initiative alle Anstrengungen unternehmen, um so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu mobilisieren. Ausbildung sichert den Unternehmen qualifizierte Fachkräfte, die sie brauchen, um erfolgreich zu sein... Das BDA-Präsidium ruft die Unternehmen auf, in dieser schwierigen Zeit alle Möglichkeiten zum Erhalt und zur Schaffung von Ausbildungsplätzen auszuschöpfen. Insbesondere sind auch bisher nicht ausbildende Betriebe gefordert, jungen Menschen eine Chance zu geben.« Auszug aus dem Aufruf des BDA-Präsidiums »Ausbildungsplätze mobilisieren, Rahmenbedingungen verbessern« vom April 2003

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2. Leitbilder Mit den gängigen Schuldzuweisungen lassen sich Probleme nicht lösen. Wir setzen darauf, dass in einer hochgradig ausdifferenzierten und arbeitsteiligen Gesellschaft jeder seinen Part übernimmt und verantwortungsvoll erfüllen muss. Welche Aufgaben haben die Eltern, die Schulen, die Betriebe, die Arbeitsverwaltung und die Jugendlichen selbst, um die Ausbildungsfähigkeit sicherzustellen? Die folgenden Leitbilder schildern diese Aufgaben aller Beteiligten als positive Zielmarken und Normen für die konkrete Praxis. Leitbilder zeichnen idealtypisch, welche Verhaltensweisen der Verantwortlichkeit entsprechen, und dienen als Orientierungsmaßstab für Verbesserungen.

Leitbild für die Eltern Eltern sind primär für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. Dieser Aufgabe müssen sie mit hohem Verantwortungsbewusstsein nachkommen. Die Familie ist und bleibt der erste und zentrale Ort, an dem Kinder Werthaltungen ausbilden und einüben, Orientierungspunkte und Vorbilder finden. Familien brauchen dafür Unterstützung von der Gemeinschaft. Eltern verdeutlichen ihren Kindern den Wert von Bildung und ermutigen sie zu Anstrengung und Leistungsbereitschaft wie zur Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten. Die PISA-Studie 2000 hat verdeutlicht, dass Interesse und Anteilnahme der Eltern erheblich zum Bildungserfolg ihrer Kinder beitragen. Soziale und persönliche Kompetenzen bei den Auszubildenden sind für die Betriebe heute ebenso wichtig wie eine allgemeine Grundbildung. Für diese Verhaltensweisen und Einstellungen ist das Elternhaus von entscheidender Bedeutung. Die Erziehung durch die Schule kommt hinzu: Eltern und Lehrer verstehen sich dabei als Erziehungspartner. Auch im Bereich der Berufsausbildung haben Eltern nach wie vor eine maßgebliche Beratungs- und Unterstützungsfunktion für ihre Kinder. Eigene Kontaktangebote der Betriebe für die Eltern machen auch die Beratung und Betreuung der Jugendlichen effektiver. Insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund hilft die Einbe-

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ziehung der Familie maßgeblich bei der Aufnahme wie dem erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung.

Leitbild für die Schule Die Schule hat die Aufgabe, allen ihren Schülern bis zum Ende der Schulpflicht eine grundlegende Allgemeinbildung vermittelt zu haben. Dazu zählen die Kulturtechni ken (Lesen, Schreiben, Rechnen), ein ausbaufähiges Grundwissen und ein Set an Schlüsselqualifikationen. Der Anwendungsbezug des Wissens, die Grundlegung lebenslangen Lernens und die Vermittlung persönlicher Kompetenzen rücken immer stärker in den Mittelpunkt. Diese Allgemeinbildung muss jedem Schüler – unabhängig von seiner individuellen Leistungsfähigkeit und Begabung – auf jeden Fall mitgegeben werden. Sie kann dabei je nach Schülergruppe mit ganz unterschiedlichen didaktisch-methodischen Ansätzen vermittelt werden: Schüler brauchen eine auf ihr Begabungsprofil zugeschnittene Lernunterstützung. Die Schule muss dabei nicht nur, aber auch auf das spätere Arbeits- und Berufs leben vorbereiten. Dabei ist nicht die Vermittlung von Spezialwissen das Ziel, sondern ein Verbund von ökonomischem Grundwissen, aufgearbeiteten praktischen Erfahrungen mit der Arbeitswelt und Orientierung über Berufsbilder und Arbeitsmarktchancen. Die Arbeitskreise und -gemeinschaften sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT unterstützen die Zusammenarbeit von Schulen und Betrieben. Diesen allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag kann die Schule auf ihre Weise verwirklichen. Während das Ziel feststeht, sind unterschiedliche Wege dahin möglich und wünschenswert. Mit ihrem spezifischen Programm und Profil entwickelt die einzelne Schule ihr pädagogisches Konzept und setzt eigene Schwerpunkte.

Leitbild für die Schulleitung Die Bedeutung der Schulleitung wächst in einer selbstständiger werdenden Schule erheblich. Sie ist ein eigener, sehr verantwortungsvoller Beruf geworden. Die Schul-

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leitung ist primär für den Qualitätsverbesserungsprozess in »ihrer« Schule verantwortlich. Schulleiter sind Führungskräfte mit pädagogischen Kompetenzen, mit Managementfähigkeiten und mit der Fähigkeit zur Personalführung. Sie brauchen entsprechende Qualifikationen und müssen sorgfältig ausgewählt und regelmäßig evaluiert werden. Für den Erfolg des »Unternehmens« Schule ist ein gemeinsames Schulprogramm notwendig, das von der Schulleitung und dem Lehrerkollegium getragen und von den Eltern unterstützt wird. Der Einfluss der Schulleitung auf das Schulklima und seine Leistungsorientierung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auch die Kontakte zum Schulumfeld sind insbesondere von der Schulleitung zu pflegen, wenn sie sich auf die gesamte Schule auswirken sollen. Dazu gehört vorrangig der Kontakt zu Betrieben , der die Berufsorientierung der Schule wesentlich stärkt. Als »Abnehmer« sind Betriebe in die Arbeit der Schule einzubeziehen; dies kann über die Schulkonferenz, einen Schulrat oder »Aufsichtsrat« erfolgen.

Leitbild für die Lehrer Lehrer sind pädagogische Führungskräfte im Unternehmen Schule. Ihre Professionalität ist entscheidend für den Bildungserfolg der ihnen anvertrauten Schüler. Sie stellen ein lernfreundliches Klima im Unterricht her; sie managen die Lern- und Entwicklungsprozesse der Schüler; sie sind Experten, die Fachinhalte und Methoden ebenso vermitteln wie fächerübergreifende Inhalte und Kompetenzen. Lehrer fordern und fördern ihre Schüler, bewerten und beurteilen deren Leistungen. Zu den Führungsqualitäten gehören auch regelmäßige und systematisch vorgehende persönliche Beratungsgespräche mit den einzelnen Schülern und ihren Eltern. Das aktiv-entdeckende Lernen der Schüler steht heute im Vordergrund; die Entwicklung von Lerntechniken, ein selbstständiges Lernen wird für das spätere Leben immer wichtiger. Die Lehrer stellen sich mit neuen didaktisch-methodischen Ansätzen darauf ein. Schülerorientierter Unterricht kann dabei durchaus lehrerzentrierter Unterricht sein; primär ist die kognitive und praktische Aktivierung der Schüler. Dadurch wird das Wissen der Schüler erst anwendungsbezogen und handlungsrelevant; zugleich werden ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen gefördert und gestärkt.

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Lehrer stellen sich auf die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten und Leistungsniveaus der Schüler in ihrer Lerngruppe ein. Das Lernen wird stärker individualisiert. Für besonders lernschwache wie begabte Schüler stehen gezielte Unterstützungs systeme bereit; Lehrer werden durch Psychologen, Berufsberater und KlassenAssistenten unterstützt. Regelmäßige und systematisierte Kontakte zur außerschulischen Berufs welt und der Wirtschaft sind notwendig, damit Lehrer ihre Schüler auf das Leben – und das heißt vor allem auf das Berufsleben – vorbereiten können. Die Pflege von Partnerschaften zwischen Schulen und Betrieben gehört dazu ebenso wie die Betreuung von Praktika der Schüler oder ein Lehrerpraktikum. Ökonomisches Grundwissen muss bei den Lehrern aller Fächer vorausgesetzt werden können.

Leitbild für die Jugendlichen Auch wenn ihr Weg von den vorgefundenen Rahmenbedingungen in Schule, Berufsschule und Ausbildungsmarkt abhängt, tragen Jugendliche selbst Verantwortung für ihren Lebensweg und ihre Bildungsbiografie. Sie interessieren sich für Neues, wollen mehr wissen und können. Sie wissen, dass Anstrengung und Leistungsbereitschaft für den beruflichen Erfolg notwendig sind. Sie machen sich kundig, nehmen Informationsangebote und Erfahrungsmöglichkeiten gerne an und sind selbst initiativ. Sie handeln zielorientiert und zeigen Entscheidungsfähigkeit, Sorgfalt und Ausdauer.

Leitbild für die Betriebe Betriebe stellen Berufsorientierung zur Verfügung und unterstützen im Vorfeld Schulen und Berufsschulen bei dieser Aufgabe. Dabei wird zum einen über das breite Berufsspektrum informiert, das vielen Jugendlichen nur in einem kleinen Ausschnitt bekannt ist. Zum anderen wird anschaulich illustriert, wie ein Beruf tatsächlich aussieht und was die Jugendlichen in der Ausbildung und im späteren Berufsleben erwartet. Berufsorientierung lässt sich am besten über Einblicke in die berufliche Praxis vermitteln, wie über Schulpraktika, Tage der offenen Tür, Schulbesuche von Betriebs-

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praktikern, Lehrerpraktika in Betrieben etc. Betriebe können Kontakte zu potenziellem Nachwuchs aufbauen, Bewerber schon vorher kennen lernen und durch bessere Informationen der Auszubildenden die Abbruchswahrscheinlichkeit senken. Dies liegt in ihrem elementaren Interesse. In Kooperation mit Betrieben bieten Bildungsträger Programme an, die auf eine Ausbildung vorbereiten. Sie richten sich an Jugendliche, die noch nicht in der Lage sind, eine reguläre Ausbildung aufzunehmen. Die Ausbildungs- und Berufsvorbereitungs programme sind speziell auf die individuellen Defizite der Jugendlichen ausgerichtet. Sie gehen auf schulische wie soziale Defizite ein und umfassen Schulunterricht wie sozialpädagogische Maßnahmen, kombiniert mit Praxiseinsätzen im Betrieb. Durch die Praxiseinsätze werden Berufsorientierung und Motivation der Teilnehmer erheblich gestärkt. Auch Betriebe können Jugendlichen, deren qualifikatorische Defizite eine Ausbildung noch nicht zulassen, Vorbereitungs- und Kompensationsmaßnahmen anbieten. Sie gehen zur Steigerung der Ausbildungsfähigkeit – entsprechend den Anforderungen der Arbeitswelt und den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen – zielgerichtet und praxisorientiert vor. Dabei sind je nach Bedarfslage und Möglichkeiten des Betriebs Initiativen unterschiedlicher Intensität und Ausrichtung denkbar. Für Jugendliche, die bereits in die Ausbildung integriert werden können, allerdings einzelne Schwächen aufweisen, sind gezielte und weniger umfassende Maßnahmen möglich, z. B. Nachhilfeunterricht in Deutsch, Mathematik oder Naturwissenschaften. Auszubildende mit schulischen Defiziten und/oder sozialen Problemen erhalten für die Aufnahme, Fortsetzung und den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung besondere Unterstützung . Hierzu tragen die ausbildungsbegleitenden Hilfen in Form von Stützunterricht und sozialpädagogischer Begleitung im Rahmen eines betrieblichen Ausbildungsverhältnisses bei (nach SGB III). Betriebe schauen bei der Auswahl der Ausbildungsplatzbewerber nicht nur auf formale Kriterien oder Schulnoten, sondern beziehen auch außerschulisch erworbene Kompetenzen mit ein. Für die persönlichen und sozialen Kompetenzen eines Jugendlichen kann dies das gesellschaftliche Engagement oder die Beteiligung in Vereinen sein. Auch fachliches Interesse und Engagement kann sich durch außer schulische Aktivitäten zeigen; bei der Bewerberauswahl werden daher häufig auch

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Hobbys oder außerschulische Kurse wie Sprachkurse oder -reisen sowie Computerkurse berücksichtigt. Unternehmen achten auf das exakte Anforderungsprofil eines Ausbildungsplatzes und überprüfen, ob die Anforderungen an die Bewerber durch die entsprechende Ausbildung und das Berufsfeld gerechtfertigt sind. Ausgeprägte Fremdsprachenkenntnisse sind zum Beispiel nicht notwendig, wenn keine Geschäftsbeziehungen ins Ausland bestehen; naturwissenschaftliche Fachkenntnisse werden für eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich nicht benötigt. Unnötig hohe Anforderungen an Auszubildende können sonst dazu führen, dass eigentlich gut qualifizierte Bewerber unberücksichtigt bleiben. Wird ein den hohen Anforderungen entsprechender Jugendlicher eingestellt, kann aber umgekehrt auch Unterforderung und Frustration beim Auszubildenden auftreten. Die betrieblichen Ausbilder haben eine zentrale Rolle für die individuelle Begleitung und Betreuung der Jugendlichen . Zum einen steht dem Jugendlichen während seiner Ausbildung kontinuierlich ein Ansprechpartner zur Verfügung. Darüber hinaus begleitet ihn der Ausbilder im Verlauf der Ausbildung, hat damit einen Überblick über die Entwicklung des Jugendlichen und kann gezielt auf diese einwirken.

Leitbild für die Berufsschule Auch die Berufsschulen tragen zur Berufsorientierung der Jugendlichen im Vorfeld der Berufsbildung bei. In Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen und Betrieben können sie Aktivitäten zur Berufs wahl durchführen. Dazu gehören Tage der offenen Tür, Besuche in Schulen und die Zusammenarbeit in Kontaktkreisen Schule-Berufsschule-Betrieb. Im Rahmen von schulischen Berufsvorbereitungsmaßnahmen fördert die Kooperation mit Betrieben die praxisnahe und effiziente Berufsvorbereitung. Die Berufsschulen suchen daher betriebliche Partner : Zum einen hilft dies, das Konzept der Berufsvorbereitungsmaßnahme auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Betriebe auszurichten und praxisnah zu gestalten. Zum anderen ermöglicht die Kooperation mit Betrieben die Durchführung von Praxisphasen, die für den Erfolg der Berufsvorbereitung wesentlich sind.

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Leitbild für die Jugendhilfe Die Jugendhilfe mit ihren verschiedenen Tätigkeitsbereichen – wie z. B. der Schulsozialarbeit – unterstützt und hilft Jugendlichen in schwierigen sozialen und persönlichen Lagen. Sie vernetzt Familie, Schule, Berufsvorbereitung, Ausbildung und Beruf an ihren Schnittstellen, damit Übergangsphasen für die Jugendlichen nicht zu Brüchen werden. Die jungen Menschen stehen dabei immer wieder vor neuen Herausforderungen und brauchen persönliche und intensive Beratungs- und Unterstützungsangebote. Dabei steht die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung der Jugendlichen im Vordergrund aller Aktivitäten.

Leitbild für die Arbeitsverwaltung Das Arbeitsamt hilft als moderner Dienstleister Jugendlichen mit gravierenden Problemen begleitend bei der Berufsorientierung und -ausbildungsvorbereitung. Die Maßnahmen sind gezielt einzusetzen und mit größtmöglicher Nähe zum Lernort Betrieb auszugestalten. Außerdem bieten die Arbeitsämter Berufsberatung an, um Jugendliche bei der Wahl einer Berufsausbildung oder beim Berufseinstieg zu unterstützen. Dazu gehören persönliche Beratungsgespräche im Arbeitsamt sowie regelmäßige Informationsgespräche in Schulen und Betrieben, in die auch Eltern und Lehrer eingebunden werden. Arbeitsämter betreiben Berufsinformationszentren (BIZ) und den Ausbildungsstellen-Informations-Service (AIS) im Internet, über die sich Jugendliche selbst über den Arbeits- und Ausbildungsmarkt informieren können.

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3. Politisches Aktionsprogramm Die Leitbilder zeigen, in welche Richtung Verbesserungsmaßnahmen zielen müssen, um die Ausbildungsfähigkeit und Berufsorientierung zu verbessern. Vieles ist dabei nur umsetzbar, wenn die politischen Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet werden. Wir brauchen dringend Reformen im gesamten Bildungssystem. Manches ist dabei schon im Gange, manches andere fehlt noch völlig.

Programmteil 1: Mehr Qualität in die Schulen In der Schule müssen bessere Bildungs- und Erziehungsergebnisse erzielt werden. Schulabgänger müssen die Kulturtechniken sicher beherrschen, eine ausbaufähige Allgemeinbildung sowie methodische und soziale Kompetenzen mitbringen, damit die Ausbildung hierauf aufbauend beginnen und erfolgreich verlaufen kann. a) Leistungsstandards halten fest, welche Kenntnisse und Kompetenzen zu welchem Zeitpunkt der Schullaufbahn erreicht sein sollen. Der internationale wie nationale PISA-Vergleich hat eindeutig belegt, dass klar formulierte und regelmäßig überprüfte Leistungsstandards der entscheidende Hebel sind, um vor allem die schwachen Ergebnisse der unteren Leistungsgruppen deutlich anzuheben. Daher fordern wir: Bundesweit sind klare und verbindliche Leistungsstandards für alle Fächer und bestimmte Jahrgangsstufen zu definieren. Länderübergreifend ist eine wirksame Evaluation der erreichten Leistungsstandards unabdingbar. Zentrale Abschlussprüfungen geben dem Lernen Orientierung und sichern maßgeblich die Qualität der Einzelschule. b) Die individuelle Förderung jedes einzelnen Schülers muss neu in den Mittelpunkt rücken. Diagnostik und Förderung müssen so früh und treffsicher wie möglich greifen. Sonst werden die Potenziale der Schüler mit schlechteren Startchancen nicht ausgeschöpft. Daher fordern wir: Die kontinuierliche Begleitung und die ebenso regelmäßige wie systematische Beratung aller Schüler muss selbstverständlich werden. Die Aus- und Fortbildung der Lehrer braucht dringend eine Neuorientierung, die ihre Diagnosefähigkeit, ihr didaktisch-methodisches Know-how und ihre

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Kenntnis der Arbeitswelt verbessert. Auch der Kindergarten muss seinen Bildungsauftrag wirksam wahrnehmen. Die Grundschule braucht eine höhere Stundenzahl, definierte Leistungsstandards und mehr Möglichkeiten gezielter Förderung. Mehr Ganztagsangebote an allen Schulformen sind notwendig, die Raum für individuelle Fördermaßnahmen schaffen. An allen Hauptschulen und ähnlichen Bildungsgängen in übergreifenden Schulformen sind Praxis- oder Kooperationsklassen einzurichten; der regelmäßige Kontakt der Schüler mit der betrieblichen Praxis stärkt ihre Lern- und Leistungsbereitschaft. Haupt- und Berufsschulen müssen enger zusammenarbeiten. Schüler müssen leistungsgerecht auf die weiterführenden Schulen empfohlen werden; dabei muss die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen aktiv gefördert werden. Mit einer leistungsorientierten Bezahlung müssen Lehrer und Schulleiter – gerade auch in schwierigen Klassen – belohnt werden können. Schulen sollen die Angebote des kommunalen Umfelds offensiver nutzen und die systematische Zusammenarbeit mit Jugendsozialarbeit, Berufsberatung, psychologischen Diensten, Betrieben u. a. suchen. Die mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen (MINT-)Fächer müssen quantitativ wie qualitativ gestärkt werden. c) Die Berufsorientierung braucht einen steigenden Stellenwert in der Schulbildung. Die jungen Menschen müssen auf das Arbeits- und Berufsleben vorbereitet werden. Nur so sind Fehlorientierungen und Brüche in der Ausbildungsbiografie zu vermeiden. Daher fordern wir: Im Unterricht ist durchgängig der Bezug zur Arbeits- und Berufs welt zu stärken. Ein eigenes Fach Wirtschaft ist in allen Schulformen ab Klasse 5 einzurichten, das theoretisch wie praktisch auf die Arbeitswelt vorbereitet und eine ökonomische Allgemeinbildung vermittelt. Schulen und Betriebe können zusammenarbeiten durch: • die Einbindung von Unternehmensvertretern in den Unterricht, • thematische Erkundungen in den Betrieben, • verschiedene Formen von Praktika, • gemeinsame Projekte von Schülern und Auszubildenden, • die Gründung von Schülerfirmen.

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d) Die Schulen brauchen einen größeren Handlungsspielraum, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Erfüllung der Leistungsstandards stellt sie ebenso vor neue Herausforderungen wie die Differenzierung des Unterrichtens und Förderns. Darum fordern wir: Die einzelnen Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit in pädagogischer, finanzieller und personeller Hinsicht. Schulen brauchen eine adäquate technische, infrastrukturelle, finanzielle und personelle Ausstattung , die es ihnen ermöglicht, ihren verantwortungsvollen Aufgaben nachzukommen. Neben Lehrkräften muss es eine breitere Personalpalette an den Schulen geben, wie z. B. Tutoren, Mentoren, Berufsberater, IT-Experten, Klassen-Assistenten, Psychologen, Sozialpädagogen u. a. m.

Programmteil 2: Berufsvorbereitung effizienter gestalten Berufsvorbereitungsmaßnahmen müssen zum Übergang in die reguläre Ausbildung beitragen. Sie sollen zielgruppenorientiert und zielgerichtet auf die dauerhafte Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vorbereiten, sich auf die wirklichen Problemgruppen konzentrieren, für den tatsächlichen Bedarf qualifizieren und die realen Bedingungen des Arbeitsmarktes im Auge behalten. a) Bei der Gestaltung von Berufsvorbereitung müssen daher folgende Aspekte beachtet werden: Qualifizierungsbausteine: Modulare Qualifizierungskonzepte, wie sie sich in den vergangenen Jahren bei vielen Trägern bewährt haben, sind weiterzuentwickeln und breiter umzusetzen. Sie können auch ein wichtiges Instrument für die Berufsorientierung der Jugendlichen sein. Hierbei können z. B. Qualifizierungsbausteine genutzt werden. Durch das »Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« wurde die Berufsausbildungsvorbereitung für lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Jugendliche als eigenständiger Teil der beruflichen Bildung in das Berufsbildungsgesetz integriert (§50ff BBiG). Der Erwerb der Handlungsfähigkeit soll dabei insbesondere durch inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Lerneinheiten erfolgen, die in der Regel aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden sollen.

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Zertifizierung/Dokumentation: Um Transparenz bei der Berufsvorbereitung zu erreichen und Doppelungen zu vermeiden, sind Dokumentationen und Zertifizierungen der Qualifizierungsleistungen einzusetzen. Durch die systematischere Zertifizierung auch von Qualifizierungsteilen, die z. B. in der Berufsvorbereitung, im Rahmen einer abgebrochenen Ausbildung oder durch berufsbegleitende Qualifizierung erworben werden, können die Chancen auch dieser Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verbessert und ihre Motivation für weitere Qualifizierungsschritte angeregt werden. Flexibilität bei der Anrechnung: Wenn in der Berufsvorbereitung bereits Elemente aus einem späteren Ausbildungsberuf erlernt worden sind, macht eine entsprechende Dokumentation/Zertifizierung dies erkennbar. Eine Anerkennung dieser Leistungsteile durch einen Betrieb im Rahmen einer späteren Ausbildung kann fakultativ nach Entscheidung des Betriebs erfolgen. Eine Verpflichtung zur Anrechnung wäre dagegen eine Hürde zur Integration von Berufsvorbereitungsabsolventen in die reguläre Ausbildung. Praxisphasen: Damit die Jugendlichen nicht praxisfern und am Bedarf vorbei qualifiziert werden, sind Praxisphasen in Betrieben optimal. Dabei ergibt sich zum einen die Chance für die Jugendlichen, sich durch einen positiven Eindruck für die Übernahme in eine Ausbildung zu empfehlen, und die Chance für den Betrieb, einen möglichen Auszubildenden vorab kennen zu lernen. Zum anderen erhält der Jugendliche so Einblicke in das Berufsleben und spezielle Tätigkeiten, die für die Berufswahl sehr wertvoll sind. Hauptschulabschluss: Der Hauptschulabschluss ist für viele Betriebe die Voraussetzung für die Aufnahme einer regulären Ausbildung. Daher sind Programme sinnvoll, die Berufsvorbereitung und Nachholen eines Hauptschulabschlusses verbinden. Allgemeinbildung: Ausbildungsvorbereitung kann nicht ausschließlich auf die Vermittlung von Ausbildungsordnungen entnommenen Fachqualifikationen (»Qualifizierungsbausteine«) eingeschränkt werden: Ebenso notwendig bleibt, je nach dem Problemprofil des einzelnen Jugendlichen, die Aufarbeitung von Allgemeinbildungs-, Sprach- und Motivationsdefiziten. Basisqualifikationen und Sozialkompetenzen sind Kern der Vorbereitungsmaßnahmen, ergänzt durch berufskundliche Aspekte, um eine gezielte Berufswahl und den Übergang in Ausbildung oder Berufstätigkeit zu erleichtern. Bildungsträger: Trotz der Änderung im SGB III und der Verankerung der Berufsvorbereitung einschließlich Qualifizierungsbausteinen im BBiG wird Ausbildungsvorbereitung auch künftig nur im Ausnahmefall in betrieblicher Ver-

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antwortung, in der Regel aber bei Bildungsträgern mit entsprechender Expertise und auf der Basis öffentlicher Finanzierung stattfinden. Arbeitsverwaltung: Die örtlichen Arbeitsämter müssen ihre Prioritäten bei der Begleitung schwächerer Jugendlicher mit Startschwierigkeiten setzen. b) Neben einer effizienten Gestaltung und bedarfsorientierten Ausrichtung der Berufsvorbereitung müssen darüber hinaus im Ausbildungssystem mehr Chancen für leistungsschwächere Jugendliche geschaffen werden. Wir brauchen dringend modulare, flexible Ausbildungsberufe. Die Arbeitgeber fordern beispielsweise die Berufe Maschinenführer, Holz- und Bautenschützer, Fachkraft für Küchen- und Möbelservice, Änderungsschneider, Fahrradmonteur und Pflegefachkraft für ambulante Dienste.

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4. »Best Practice« – Beispiele aus der Wirtschaft Für viele Reformmaßnahmen gibt es bereits gute Beispiele aus der gelebten Praxis, die Vorbild sein können. Sie zeigen, dass Verbesserungen sehr wohl möglic h und teilweise schon realisiert sind. Einzelprojekte, so erfolgreich sie sind, reichen allerdings nicht aus: Jeder Jugendliche in Deutschland muss Chancen für seine Zukunft haben. Eine breite Umsetzung und Realisierung muss daher folgen.

Nahtstelle Übergang Schule – Ausbildung/Beruf »BiK – Berufsvorbereitung in Kooperationsklassen« Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg

Zielgruppe: Schüler und Schülerinnen der 9. Klassen der Hauptschulen und des Berufsvorbereitungsjahres Ziele: Verbesserung der Chancen der Schülerinnen und Schüler der Kooperationsklassen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Intensivierung der Zusammenarbeit von Schulen und Betrieben Instrumente: Begleitung im Übergang Schule-Beruf durch umfassende Hilfen und Informationen in enger Kooperation mit den zuständigen Lehrern und Lehrerinnen Hilfen zur Berufsfindung in Absprache mit den zuständigen Berufsberatern des örtlichen Arbeitsamtes Bewerbungstraining Hilfe bei der Suche nach Praktikumsplätzen Betreuung der Praktika Sprechstunden in den Schulen Einzelfallhilfen Nachbetreuung der Schüler und Schülerinnen Die Betreuung in Kooperationsklassen ist ein Angebot des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. Südwestmetall im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsinitiative »Start 2000 plus«. www.bbq-zukunftskurs.de

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Ganztagesschulen im Hauptschulbereich Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft/Verband der Bayerischen Metallund Elektroindustrie

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (vbw) und der Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. (VBM) fördern im Rahmen dieses Projektes in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Kultusministerium sieben rhythmisierte Ganztageshauptschulen. An den Schulen werden innovative Konzepte umgesetzt, wie z. B. die Vergabe externer Lehraufträge, Weiterbildungsseminare für Lehrkräfte, berufsbezogene Projektarbeit im Unterricht etc. Ferner wurde eine Clearingstelle eingerichtet, die für die Vernetzung der Schulen sorgt. www.bildunginbayern.de

Förderprogramm »Start in den Beruf« der BASF AG Ludwigshafen sowie der Chemie-Sozialpartner BAVC und IG BCE in Zusammenarbeit mit dem Unterstützungsverein der chemischen Industrie (UCI)

Voraussetzung für die Aufnahme in das Förderprogramm ist ein Hauptschulabschluss. Ziel ist es, die Jugendlichen, die aufgrund ihrer gravierenden Defizite keinen Ausbildungsplatz bekommen, durch innerbetriebliche Fördermaßnahmen – kombiniert mit Unterricht in der Berufsschule – berufsausbildungsfähig zu machen. In 12 Monaten soll diese Befähigung erreicht sein und das Programm in ein Ausbildungsverhältnis münden. Zum einen wird das Grundwissen durch Unterricht in der Gruppe verbessert, insbesondere in den Fächern Deutsch, Mathematik, Physik, Chemie und betriebsbezogene Sozialkunde. Zum anderen werden die Jugendlichen im Betrieb eingesetzt und mit einfachen Tätigkeiten in der Produktion, in Werkstätten, Labors oder Büros vertraut gemacht. Die innerbetriebliche Förderung wird durch Praktika zur Berufsfindung in anderen Ausbildungsbetrieben ergänzt. Großer Wert wird auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen gelegt. Ausbilder und Jugendliche lernen sich bei einem Schullandheimaufenthalt kennen. Im Jahr 2002 nahmen bundesweit 150 Jugendliche am Förderprogramm teil. Die Mehrzahl konnte im Anschluss eine Ausbildung aufnehmen. www.basf-ag.de

»Best Practice« – Beispiele aus der Wirtschaft

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MDQM – die modulare duale Qualifizierungsmaßnahme Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg

MDQM wird derzeit in 20 anerkannten kaufmännischen, gewerblich-technischen und Dienstleistungsberufen angeboten. Das Programm teilt sich in Berufsvorbereitung (MDQM I) und schulische Berufsausbildung (MDQM II). Der fachtheoretische Anteil wird dabei an den Berliner Oberstufenzentren vermittelt, der fachpraktische in der bbw Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft oder bei einem Kooperationspartner. MDQM I führt bei entsprechenden Leistungen zu einem Hauptschulabschluss. Eine erfolgreiche Teilnahme verhilft zu größeren Chancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt und garantiert eine Teilnahme an MDQM II. Insgesamt umfasst MDQM I pro Woche 15 Unterrichtsstunden Fachtheorie und 15 Stunden Fachpraxis. MDQM II ist, je nach Ausbildungsberuf, eine 2, 3 oder 31/2-jährige schulische Berufsausbildung, die auf eine externe Prüfung vorbereitet. Bei entsprechenden Leistungen ist damit der Realschulabschluss verbunden. MDQM II umfasst 20 Wochenstunden Fachtheorie in der Berufsschule und 20 Stunden Fachpraktikum im bbw oder bei einem Kooperationspartner. MDQM II eignet sich für alle Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, die mindestens über einen Hauptschulabschluss verfügen. www.uvb-online.de

»Zukunftswerkstätten für Schüler« Stiftung der Deutschen Wirtschaft

Ziele: Verbesserung der Berufswahlkompetenz, bessere Ausbildungsreife. Instrumente: Im Rahmen der Future Camps wird ein Methodenmix aus berufsorientierenden, teambildenden und individuellen Maßnahmen (Eignungsfeststellung, Arbeit im Team, Interaktion in Gesprächen) angewendet. Die Ergebnisse werden von den Schülern, in Schülerfirmen oder Schüler-Azubi-Projekten mit Unterstützung der Lehrkräfte und Partnerunternehmen (DaimlerChrysler, MTU u. a.) umgesetzt. Die Schüler erhalten Zertifikate. www.sdw.org

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Innenansichten – Lehrer erleben Wirtschaft Dresdner Bank

Lehrer erleben und erfahren alles rund um den Bankkaufmann/-frau, das Bankgeschäft und den Bankalltag und können ihre Schüler aktuell darüber informieren. Das Praktikum dauert eine Woche und wird mehrmals im Jahr durchgeführt. Zielgruppe sind Lehrer von Realschulen und Gymnasien.

Holiday-Shadow Dresdner Bank

»Schnupperlehre« für Realschüler und Gymnasiasten Praktika in der Ferienzeit: Schüler begleiten Auszubildende drei Wochen lang in ihren Ferien wie ein »Schatten«. Sie erhalten frühzeitig Einblick in den Beruf und können Neigungen und Eignungen erkennen. 2002 nahmen rund 500 Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren teil. www.dresdner-bank.de

»Berufswahlentscheidung als Bestandteil des Lebenskonzeptes« Bildungswerk der Thüringer Wirtscha ft mit dem Kultusministerium; Thüringer Institut für Lehrplanentwicklung, Lehrerfortbildung und Medien (ThIllm); Landesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT Thüringen

Zielgruppe: Schülerinnen und Schüler der Haupt- und Realschule (Regelschule) Ab Klasse 7 bis Klasse 9 bzw. 10 Im Rahmen des Projektes werden vier Module bearbeitet: Modul 1: Info-Plattform online Klasse 7-10 Modul 2: Berufswahl leicht gemacht (Assessment-Center) Klasse 7 Modul 3: Berufswahl entsprechend der Wirtschaftsstruktur In folgenden Fächern findet eine intensive berufliche Orientierung statt: »Wirtschaft und Technik« Klasse 7-9 »Wirtschaft und Recht« Klasse 9

»Best Practice« – Beispiele aus der Wirtschaft

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»Wirtschaft – Umwelt – Europa« Klasse 8, 9 »Deutsch« Klasse 8 Hauptschulkurs, Klasse 9 Realschulkurs Durchführung von zweiwöchigen Betriebspraktika Klasse 8-9 Modul 4: Typisch Mädchen (PC-Kenntnisse) Unternehmen leisten Berufserkundungen vor Ort, Assessmentverfahren, Vorstellungsgespräche, Berufswahlbörsen in den Schulen, Schnupperpraktika, Tage der offenen Tür. Schulen gestalten die Berufsorientierung als Projektwoche und -arbeit. Für alle Kurse werden Zertifikate ausgegeben. www.bwtw.de

»Steps to success«: Lehrer werden Karriere-Coachs für Schüler Kommunikationsagentur Imago, Wuppertal

Im Trainingsprogramm »Steps to success« werden Lehrer der Sekundarstufen I und II geschult, um als Moderatoren bei intensiven Workshops Schüler in Richtung Beruf zu orientieren. Es ist von der Kommunikationsagentur Imago, Wuppertal, entwickelt worden. Förderung: Wuppertaler Arbeitgeberverbände, Unternehmerschaft Niederrhein, Stiftung Pro Ausbildung der Unternehmerschaft Düsseldorf, Arbeitgeberverband Rhein-Wupper, Verband der Siegerländer Metallindustrie, Niederrheinische Industrie- und Handelskammer Duisburg, Bildungswerk der Nordrhein-Westfälischen Wirtschaft, Bildungszentrum Tannenfelde. www.steps-to-success.info.

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Option für die Jugend


5. Zukunft von Arbeit und Ausbildung Unsere Wirtschaft ist im Wandel begriffen und dies hat auch Auswirkungen auf Bildung und Ausbildung. Technischer Fortschritt, veränderte Konsumgewohnheiten der Bürger, Nachfrageverschiebungen durch die internationale Arbeitsteilung – mit anderen Worten ein tiefgreifender Strukturwandel – verändern die Wirtschaft. Langzeitprognosen sagen, dass der Anteil höherwertiger und produktionsnaher Dienstleistungen am Tätigkeitsspektrum weiter steigen wird. Dieser Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft muss sich in der Schulbildung und der betrieblichen Ausbildung niederschlagen. Die Modernisierung der Ausbildungsberufe ist eine ständige Aufgabe. Es geht darum, veraltete Ausbildungsberufe zu modernisieren und neue berufsübergreifende Anforderungen als Elemente in Ausbildungsberufe aufzunehmen und schließlich neue Tätigkeitsfelder in neuen Ausbildungsberufen abzubilden. Im Zuge der technischen Entwicklung haben etwa computergestützte Maschinen in viele Tätigkeitsbereiche Einzug gehalten, die früher eher als einfach charakterisiert wurden. Damit wachsen auch die Anforderungen an die entsprechende Arbeitskraft. Ohne Kompetenzen und Vorkenntnisse geht es in den meisten Tätigkeitsbereichen – auch den eher einfachen – nicht mehr. Gerade grundlegende technische Kompetenzen, aber auch soziale Kompetenzen sind immer erforderlich: Bildung spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg am Arbeitsmarkt. Personen ohne Berufsausbildung sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Es widerspricht der Chancengerechtigkeit , sie ohne Angebote zu lassen. Wir dürfen nicht nur hoch qualifizierte Erwerbstätigkeiten vorsehen, sondern müssen auch solchen Personen und vor allem Jugendlichen Chancen auf einfachere Tätigkeiten und entsprechende Ausbildungen geben. Wir appellieren an die Gewerkschaften, sich dem nicht länger entgegenzustellen. Dazu gehören auch neue Systeme der Leistungsmessung . Mangelnde Flexibilität in der Tarifstruktur kann die Einstellung von geringer Qualifizierten für einfache Tätigkeiten verhindern. Darüber hinaus kann auch ein geringer Abstand zwischen Lohnersatzleistungen und Lohn ein zu geringer Anreiz sein, eine entsprechende einfache Tätigkeit aufzunehmen. Wir brauchen tätigkeits- und leistungsorientierte Entgeltsysteme. Gleichzeitig müssen wir die Transfersysteme grundlegend reformieren, damit sie eine echte »Hilfe zur Arbeit« geben.

Zukunft von Arbeit und Ausbildung

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Beschäftigungsmöglichkeiten sind für Arbeitnehmer mit einer Grundausrüstung an Qualifikationen und Kompetenzen vorhanden: Ein großer Anteil der zur Zeit gemeldeten offenen Stellen richtet sich auf Tätigkeiten, die keine spezielle Berufsausbildung verlangen. Eine exakte Vorhersage, welche Qualifikationsmuster in Zukunft gebraucht werden, ist schwierig. Allein die Dynamik der technischen Innovationen schafft heute noch unabsehbare Wirtschaftsfelder und Tätigkeitsbereiche. Deshalb müssen die Bildungssysteme flexibel sein, um sich zeitnah auf Veränderungen einstellen und reagieren zu können. Bildungseinrichtungen müssen sich – wie Unternehmen – als lernende Organisationen verstehen, um dem Wandel gerecht zu werden. Eine enge Verzahnung mit der betrieblichen Praxis ist dazu notwendig. Die Betriebe selbst stellen kontinuierlich entsprechend ihren Organisations- und Arbeitsstrukturen den eigenen Qualifikationsbedarf fest. Diese Erkenntnisse werden über die Netzwerke der Wirtschaft gesammelt, gebündelt und durch die Entwicklung der richtigen, passgenauen Ausbildungsberufe, Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungskonzepte umgesetzt. Diese Netzwerke müssen in den nächsten Jahren noch weiter ausgebaut und genutzt werden. Ein erfolgreiches Beispiel für die gute Zusammenarbeit ist das Projekt »Dauerbeobachtungssystem der betrieblichen Qualifikationsentwicklung« des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung.

So tiefgreifend der Wandel auch sein wird, eines bleibt gewiss: Die junge Gene ration wird mit ihrer Wissens- und Bildungsausstattung für die Inno vationsfähigkeit und das Wachstum unserer Wirtschaft entscheidend sein. Ihnen die notwendige Bildung mitzugeben ist ein Teil des Generationenvertrages. Wir brauchen eine Option für die Zukunft: die Option für die Jugend.

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Option für die Jugend


Weitere Publikationen der Deutschen Arbeitgeber zur Schulpolitik und zur Berufsausbildung:

Eckpunkte zur Verbesserung der Strukturen und der Rahmenbedingungen der Berufsausbildung (2003) Bildungsauftrag Werteerziehung – Selbstständig denken, verantwortlich handeln (2002) Standortfaktor Schule – Begabung fördern, Lernen differenzieren (2002) Führungskraft Lehrer – Empfehlung der Wirtschaft für ein Lehrerleitbild (2001) Schule in der modernen Leistungsgesellschaft. Das schulpolitische Positionspapier der BDA (1998)

gemeinsam mit anderen europäischen Arbeitgeberverbänden: Empowering the teaching profession and modernizing school management (2003) In search of quality in schools. The employers’ perspective (2000)

gemeinsam mit dem DGB: Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB zu Ganztagsangeboten (2003) Wirtschaft – notwendig für schulische Allgemeinbildung. Gemeinsame Initiative von Eltern, Lehrern, Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften (2000)


Ansprechpartner: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Abt. Bildungspolitik, Gesellschaftspolitik und Grundsatzfragen Breite StraĂ&#x;e 29 10178 Berlin Telefon: 030/20 33-15 00 Telefax: 030/20 33-15 05 E-Mail Abt_05@bda-online.de www.bda-online.de ISBN 3-9808995-1-9


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